FÜNF JAHRE UND EINE NACHT

 

(Originaltitel: Five years and one night)

by Shalimar ( shalimar@earthling.net )

 

editiert von: BeckyD

 

Besonderen Dank an TallyHo, die Singapore Infodiva

Rating: NC-17; Die Story enthält Erwachsenensprache und sexuelle Situationen, die nicht für Leser unter 17 Jahren bestimmt sind und vielleicht für einige Erwachsene auch nicht.

Disclaimer: Die Charaktere gehören Chris Carter, 1013, FOX und an dieser Stelle möglicherweise Mr. Rupert Murdoch. Und einer Menge Autoren, Vince Gilligan, Frank Spotnitz, Tim Minear, John Shiban... und möglicherweise ein paar anderen. Eine Verletzung ihrer Rechte ist nicht beabsichtigt.

Die Story hätte ohne die Hilfe einiger anderer nicht fertig gestellt werden können. BeckyD, Alanna B., MS, MD1016, Deb P. und GPA. Und natürlich Madame C. selbst. Und ein paar andere, die ich sicherlich vergessen habe.

Danke.

Die Story beginnt nach Kitsunegari und ist voll von Spoilern, einschließlich der 5. Staffel.

Anmerkung der Übersetzerin: Tausend Dank an Petra für die Hilfe bei der Überarbeitung und das Betalesen. Ohne sie wäre die Story nur halb so schön.  und ebenfalls tausend Dank an dana d., daß sie die Übersetzung auf ihrer Seite postet. Und tausend Dank an die Autorin, ohne sie hätten wir diese Story nicht.

 

Fünf Jahre Und Eine Nacht

 

Teil 1

Washington D.C.

4. Januar 1998

 

"Ich wollte Ihnen das persönlich geben, Sir."

Sie legte den Brief vorsichtig vor ihn auf den Schreibtisch. Ihre Hände zitterten jetzt kaum. Gut so.

"Agent Scully? Ich dachte, ich hätte Ihnen und Mulder vor Stunden gesagt, daß Sie nach Hause gehen und sich ausruhen sollen."

Skinner starrte auf ihre Hände und sie versteckte sie schnell hinter ihrem Rücken, so daß er sie nicht mehr sehen konnte. Er sah auf das Stück Papier, ohne es zu berühren.

"Was ist das?"

"Es ist ein Versetzungsgesuch, Sir."

Skinner lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sie ruhig. Er rieb sich das Kinn.

"Machen Sie sich Vorwürfe wegen dem, was heute mit Linda Bowman geschehen ist?"

Sie sah ihm direkt in die Augen.

"Ja, Sir. Ich habe das Gefühl, daß ich meinen Partner mit meinem eigenen Handlungen in Gefahr gebracht habe."

"Welche Handlungen waren das, Agent Scully?"

"Daß ich selbst an dem Fall beteiligt war."

Er sah sie einen Moment lang an. "Weiß Agent Mulder davon?" Er deutete auf den Brief, den sie hingelegt hatte.

"Ja, Sir. Er verlangte um meine Versetzung."

"Was!?" Er beugte sich ruckartig nach vorn und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. "Kimberly! Holen Sie Agent Mulder her."

"NEIN!"

Skinner zog seine Augenbrauen hoch.

"Ich meine: nein, Sir. Er ist für heute gegangen."

"Rufen Sie ihn zu Hause an, Kimberly."

Er lehnte sich zurück und sah sie wieder unverwandt an.

"Agent Scully, in keiner Weise und zu keiner Zeit sah ich Sie Mulder, mich selbst oder irgend ein anderes Mitglied des Untersuchungsteams gefährden."

"Ich hatte Sie nicht darüber informiert, in welchem Ausmaß Modell in der Lage war, Agent Mulders Gehirn - beim letzten Mal - zu beeinflussen."

Skinner lehnte sich zurück, legte seine Finger aneinander und drückte die Fingerspitzen gegen seine Unterlippe.

"Ich verstehe."

"Linda Bowman war in der Lage, Agent Mulders... Drang, mich zu beschützen, zu manipulieren."

"Es ist nicht unnormal für Partner, sich gegenseitig zu beschützen."

"Nein, Sir. Aber in diesem Fall hätten Agent Mulder und ich nicht dabei sein dürfen."

"Scully, ich habe Robert Modells besondere Art der Überzeugungskraft aus erster Hand erlebt. Es ist schwer für mich zu glauben, daß Mulders Wissen um diese Fähigkeit etwas anderes bewirkt hat, als ihm zu helfen die Fakten in diesem Fall zu ermitteln - besser als es irgend jemand sonst gekonnt hätte."

Sie blickte auf ihre Hände.

"Ungeachtet dessen bleibe ich bei meinem Gesuch, Sir."

Die Gegensprechanlage summte. Skinner drückte auf den Knopf.

"Agent Mulder antwortet weder auf seinem Handy noch auf seinem Telefon zu Hause," erklang Kimberlys geisterhafte Stimme.

"Versuchen Sie es weiter," fauchte er.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sie lange an.

"Agent Scully, wir wissen beide, was Sie mir einmal erzählt haben, um mir zu versichern, daß Agent Mulder und Sie mehr als nur eine normale Partnerschaft haben. Wenn diese Entscheidung das Ergebnis dessen ist..."

"Nein, Sir. Unsere Beziehung ist rein beruflich."

Plötzlich sah A. D. Skinner sehr müde aus. Er setzte seine Brille ab und rieb sich den Nasenrücken. "Es ist eine Untertreibung zu sagen, daß Sie in den letzten achtzehn Monaten eine Menge erlebt haben."

Sie nickte.

"Ich glaube, ich hätte es kommen sehen müssen. Es tut mir sehr leid, Sie zu verlieren. Sie sind eine meiner besten Agenten - wenn nicht die beste."

"Danke, Sir."

Er setzte seine Brille wieder auf, nahm den Brief und las ihn.

"Ich kann Sie von den X-Akten abziehen. Sie müssen D.C. nicht verlassen."

"Nein."

Er seufzte. "Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wohin Sie versetzt werden möchten?"

"Ich würde mich deswegen gern wieder bei Ihnen melden. In der Zwischenzeit würde ich gern zwei Wochen frei nehmen - aus persönlichen Gründen."

Skinner stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Er hielt ihr seine Hand hin. Sie stand auf und nahm sie.

"Sind Sie sicher, daß es keine andere Lösung gibt, Scully?"

Sie konnte ihrer Stimme nicht trauen. Deshalb schüttelte sie lediglich den Kopf.

"Lassen Sie mich mit einigen Leuten sprechen, die ich kenne. Ich will sehen, was ich für Sie finden kann."

Sie nickte erneut und schluckte schwer.

Er drückte kurz ihre Hand, dann ließ er sie gehen.

Sie schaffte es bis zu ihrem Wagen, bevor sie in Tränen ausbrach.

 

zwei Stunden vorher...

Scully ließ sich in ihren Schreibtischsessel fallen und barg ihr Gesicht in ihren Händen.

Sie hätte ihre Waffe in dem Lagerhaus nicht auf ihn richten dürfen.

Es passierte so schnell, aber sie hätte vorbereitet sein müssen. Sie hätte einen Plan haben müssen. Sie hätten ein Codewort haben müssen. Einen geheimen Code.

Afghanistan, Bananastan, Mulder.

Ich bin's.

Irgend etwas besseres als ‚Der Name Deiner Mutter ist Teena!'

Gott.

Sie kannte tausend intimere Dinge von ihm als den Namen seiner Mutter oder den seiner Schwester.

Sie hätte stärker als Modell und Bowman und klüger sein müssen. Sie hätte gewinnen müssen. Zusammen hätten sie gewinnen müssen. Sie hätte in der Lage sein müssen, zu ihm durchzudringen.

Teile und herrsche. Sie hätte ihre Lektion lernen müssen in diesem Sumpf.

Was hatte sie vorgehabt, als sie ihre Waffe auf ihn gerichtet hatte? Ihn erschießen, um sich selbst zu retten? Richtig.

Wenn sie nur ihre Waffe heruntergenommen hätte... Dann hätte er ihr glauben können und sie hätte zu ihm durchdringen können. Sie hätte auf Linda Bowman schießen können. Und er würde sich nicht so beschissen fühlen - und sie müßte sich nicht so fühlen, als hätte sie ihn irgendwie belogen.

Sie stöhnte laut.

Was für ein Schlamassel.

Die Tür ihres Büros machte ein kleines Geräusch, als er sie aufstieß und sie hob ihren Kopf, gespannt zu hören, warum Skinner ihn zu sich gerufen hatte.

Er schüttelte seinen Kopf wage in ihre Richtung, ging zu seinem Schreibtisch und warf sich in seinen Sessel. Er ignorierte ihren fragenden Blick, nahm eine Akte von seinem Schreibtisch und begann sie genau zu studieren.

Beunruhigt wandte sie sich wieder den Papieren auf ihrem eigenen Schreibtisch zu.

Zehn Minuten später war sie immer noch nicht in der Lage gewesen, auch nur

ein Wort des Berichtes vor ihr zu verarbeiten. Sie sah zu ihm herüber. Er

war über seinem Schreibtisch zusammengesackt, die Schultern hochgezogen,

sein Kopf in seinen Armen verborgen. Totale Verzweiflung stand in jeder

Linie seines Körpers geschrieben

"Mulder?" fragte sie leise.

Sie war sich nicht sicher, ob er sie gehört hatte. Wenn ja, dann ignorierte er sie.

Sie sah zurück auf ihren Bericht und versuchte, ihn nicht anzusehen. Fünf Minuten später hob er seinen Kopf und rieb seine Stirn mit den Fingerspitzen. Dann sprang er auf seine Füße und begann, die Dinge auf seinem Schreibtisch hin und her zu schieben. Er drehte sich abrupt um und griff nach seinem Mantel. "Ich gehe nach Hause," sagte er. Er hatte sie noch nicht direkt angesehen.

"Ich auch, in einer Minute. Möchtest Du auf mich warten?"

Er sah sie von der Seite an.

"Äh... sicher." Er senkte den Blick und sah auf seine Füße. Er rieb sich wieder seinen Kopf.

"Kopfschmerzen?"

"Nein."

Sie sah ihn beunruhigt an. Die Verwirrung und die Nachwirkungen, die das Manipuliertwerden mit sich brachte, schienen stets ein bißchen gefährlich zu sein.

Sie stand auf und schob die Papiere in einen Hefter, dann steckte sie sie in ihre Aktentasche und sah ihn an. Er sah blaß aus. Sie wollte sicher gehen, daß er in Ordnung war.

Er nickte fragend in Richtung ihrer Aktentasche.

"Oh, äh... nur einige..." Sie hatte keine Ahnung, was sie da gerade eingepackt hatte. "...Papiere. Die ich brauche für das Wochenende," schloß sie, sie wußte, daß ihr rationaler Ton ihn täuschen würde. So war es immer.

Sie nahm ihren Schlüssel und ihren Mantel.

"Fertig."

Schweigend hielt er die Tür für sie auf.

"Fährst Du nach Hause, Mulder?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Dann laß uns rausgehen, irgendwo zu Abend essen und uns betrinken."

Er lächelte nicht einmal.

Auf einmal drehte er sich um und versperrte ihr den Weg.

"Das funktioniert nicht," sagte er. Er sah ihr das erste Mal direkt in die Augen.

Sie sah zu ihm auf.

"Was?"

"Das." Sein Achselzucken schloß das gesamte Kellerbüro ein.

"Das? Was?"

"Wir."

Sie erstarrte.

"Wir...? Was meinst Du damit, Mulder?"

"Ich meine... Ich denke, wir sollten uns einige Zeit trennen."

Sie sah ihn mißtrauisch an. Er sah mißtrauisch zurück.

"Wieviel Zeit, Mulder?"

Er antwortete nicht.

"Ferien? Urlaub? Worüber redest Du hier?"

Sie zuckte zusammen, als er sich plötzlich vorwärts lehnte und sich ärgerlich vor ihr aufbaute.

"Was zur Hölle machst Du hier mit mir, Scully? Wie um alles in der Welt schaffst Du es, aus all dem rauszukommen?"

"Was!? Mulder, Du mußt wohl noch unter Schock stehen wegen heute. Du brauchst..."

"Hör auf, Scully. ‚Du brauchst, Du brauchst.' Oh, armer Mulder, ich werde ihn wieder bemuttern, ich werde seinen Kopf tätscheln und seinen Fehler richten und alles wieder gutmachen. Kannst Du aufhören, mich zu bemuttern.  Du bist verdammt noch mal nicht meine Mutter, Scully. Nicht einmal annähernd."

Ihre Augen weiteten sich entsetzt.

"Und es macht mich krank und ich bin es leid, zu versuchen, Dich vor all dem zu beschützen, was Dir passiert, wenn Du mit mir zusammen bist. Ich kann Dich nicht einmal vor mir beschützen, Scully!"

Ihr Erstaunen wandelte sich in Bestürzung.

"Ich habe Dich niemals gebeten, mich vor irgend etwas zu beschützen, Mulder," sagte sie, ihr Kopf schwirrte in dem Versuch zu erfassen, was hinter seinen bitteren Worten steckte.

"Was erwartest Du von mir, daß ich tue? Mich zurücklehnen und zusehen, wie Dir eine lausige Sache nach der anderen passiert? Warum bist Du noch hier, Scully?"

"Hast Du jemals daran gedacht, daß ich vielleicht auch ein Interesse daran habe? Wegen der Dinge, die mir passiert sind?"

Er schlug mit einer Hand gegen den Türpfosten nahe über ihrem Kopf. Dann senkte er seinen Kopf und lehnte ihn - die Augen geschlossen - gegen seinen Arm. Schließlich hob er ihn wieder und sah sie an. Seine Augen blickten finster.

"Ich sah Dich heute sterben, Scully."

"Mulder..."

"Und dann habe ich beinahe selbst eine Kugel auf Dich abgefeuert."

Sie starrte ihn an und schüttelte stumm ihren Kopf.

"Ich will, daß das vorbei ist, Scully. Jetzt."

Gott.

Sie hob ihr Kinn und kniff ihre Augen zusammen. "Vorbei? Forderst Du formal, daß ich die X-Akten abgebe?"

Seine Augen... seine Augen brachen ihr das Herz. Der Ausdruck darin... halb verteidigend, halb erschrocken über das, was er tat.

"Agent Mulder?"

Sie erwartete, daß er ‚Nein, natürlich nicht' sagen und ihren Namen aussprechen mit diesem kleinen Stocken in der Stimme und sie vielleicht sogar umarmen würde.

"Ja," sagte er leise, der Ärger war plötzlich aus seiner Stimme verschwunden.

"Fein," sagte sie mit wütendem Unterton.

Er senkte den Blick. Ohne sie noch einmal anzusehen, ging er hinaus und schloß leise die Tür.

Sie stand da und starrte die Tür eine ganze Minute lang an.

Ihr Herz schlug, als wäre sie gerade die Treppen des FBI-Gebäudes herauf gelaufen. Was zur Hölle war eben passiert? Mulder hatte ihr ein Ultimatum gestellt und - der Himmel hilf ihnen beiden - sie hatte den Köder geschluckt.

Langsam ging sie zu ihrem Schreibtisch hinüber und öffnete ihre Aktentasche. Sie nahm die Papiere heraus, die sie einen Moment vorher eingepackt hatte und legte sie ordentlich auf ihren Schreibtisch. Das obere Papier war der Polizeibericht über Modell. Sie sah ihn gelassen an.

Sie drehte sich herum und ließ ihren Blick über ihrer beider Büro gleiten.

Sein Büro.

Ihre Fingerspitzen berührten leicht ihren Schreibtisch. Bis Montag würde er verschwunden sein und wenn sie es selbst machen mußte.

 

 

 

 

Teil 2

Venice Beach, CA

sechs Monate später

29. Mai 1998

 

 

Ein Rendezvous mit jemandem zu haben, war sonderbar.

Er wollte mit ihr schlafen. Sie wußte, daß er hinter der Tür ihres Apartments stand und nicht ganz glauben konnte, daß sie ihn nicht hereingelassen hatte.

Sie hatte sich von ihm küssen lassen.

Das war auch sonderbar. Nett, aber mehr Lippen und Nasen und der Geschmack unbekannter Haut als Anziehung. Alles, woran sie denken konnte war, ob dieses kleine Schniefen, das er während des Films von sich gegeben hatte bedeutete, daß er eine Erkältung hatte.

Und daß sie sich vielleicht anstecken würde.

Er war richtig nett. Er war nur nicht... der Richtige.

Und so bedankte sie sich höflich für das Abendessen und den neuen Kurt-Russell-Film. Sie sah ihn einen Moment kritisch an. Vielleicht, wenn sie die Augen schloß und sich vorstellte, er wäre Kurt... es würde ihr gut tun...

Nein.

Sie sagte Gute Nacht und schloß ihm sanft die Tür vor der Nase.

Dann ging sie duschen. Sie lehnte sich gegen die kühlen Fliesen und schloß ihre Augen, die Handbrause zwischen ihren Beinen.

Es klopfte an der Tür, gerade als sie aus der Dusche kam.

Mulder.

Nein.

Mulder ist in Washington, wo er sein will. Du bist hier in L.A., wo Du sein willst. Es wird der Tag kommen - ermahnte sie sich zum hundertsten Mal selbst - an dem Deine Gedanken nicht mehr bei jedem Klingeln des Telefons und jedem Klopfen an der Tür zu ihm fliegen werden.

Es war bloß noch nicht passiert.

Sie rubbelte sich mit dem knotigen Handtuch über den Körper, bis ihre Haut rot wurde.

Es klopfte wieder.

Es mußte beinahe Mitternacht sein, aber vielleicht war es einer ihrer Nachbarn, der Lust auf ein Schwätzchen hatte. Die Leute in ihrem Haus hatten ein lockeres Verhältnis zur Zeit. Es hatte eine Weile gedauert, aber jetzt mochte sie es. Es funktionierte in beide Richtungen. Es war immer jemand zum reden da, wenn sie sich zu allein fühlte.

Sie zog sich ihren weißen Bademantel über und schlang ein Handtuch um ihr nasses Haar.

"Wer ist da?" fragte sie durch die Tür.

Es war still.

Dann, leise, "Scully, ich bin's."

Oh.

Gott.

Langsam bewegte sie den Türknauf und öffnete die Tür.

Er hatte eine Rasur nötig. Sein Anzug war ein wenig zerknittert. Sein Haar war zu lang über den Ohren.

Er sah wundervoll aus... und zu Tode erschrocken.

Sie fühlte, wie sich ihre Kehle mit Tränen füllte.

"Hi," sagte er leise.

Sie vertraute ihrer Stimme nicht.

Als sie nichts sagte, sprach er weiter. "Ich war auf dem Flughafen von L.A., Zwischenstation zwischen zwei Flügen..."

Verdammt.

"... und Venice ist so dicht am Flughafen, nur zehn Minuten bis hier, um Dich zu sehen, also..." Er hielt inne und schluckte schwer. "Und da bin ich."

Sein Blick glitt über sie und blieb an ihrem feuchten Bademantel hängen.

"Ich... ich hätte anrufen sollen."

Sie widerstand dem Verlangen, ihre Arme vor der Brust zu kreuzen. Verlegen wandte er seinen Blick ab - als hätte er ihre Gedanken gelesen - und sah auf einen Punkt irgendwo nahe über ihrem linken Ohr. "Aber ich hatte Angst, daß Du mich zum Teufel schicken würdest."

Sie sah ihn einfach nur an.

"Und ähm, ich glaube, es ist wirklich zu spät. In mehrfacher Hinsicht, richtig Scully?" Er sah auf seine Uhr und zog seine Stirn kraus. "Wie spät ist es hier eigentlich?"

Sie war nicht bereit, ihm zu helfen.

"Ich... das war keine gute Idee. Ich gehe besser wieder."

Einer ihrer Nachbarn, manchmal Bodybuilder, manchmal Elvis-Imitator, steckte seinen Kopf aus seiner Apartmenttür.

Er starrte Mulder an. "Alles in Ordnung, Dana?"

Sie räusperte sich. "Mir geht es gut. Das ist... nur..." Ihre Augen trafen Mulders für einen angespannten Moment. "... ein alter Freund."

Mulder löste seinen Blick von ihr und sah in die Richtung des anderen Mannes. Er und ihr Nachbar tauschten einen zusammenfassenden Blick.  Augenscheinlich befriedigt ging Elvis zurück in sein Apartment.

Mulder sah verwirrt zu ihr zurück. "Und Du konntest mich nicht anrufen und mir sagen, daß der King lebt?"

Sie verbarg ein kleines Lächeln und trat zurück, die Tür offenhaltend.

Er sah tatsächlich überrascht aus.

Als er hinter ihr herkam, konnte sie ihn schmecken. Sie schloß die Augen.

Nein.

In ihrem Apartment hielt er inne und sah sich um. Sie beobachtete ihn, als sein Blick über die weißen Baumwollschonbezüge der Möbel, die sandigen Turnschuhe an der Wohnungstür, das Treibholz am Kamin wanderte.

Sie hatte sich einfach eingerichtet. Sie mochte es so.

"Es ist nett. Es ist wie Du."

"Danke." Sie räusperte sich erneut. "Möchtest Du etwas trinken? Bier? Wein?

Kaffee?"

Er drehte sich zu ihr um, in seinen Augen war ein nachdenklicher Ausdruck.

"Bin ich ein alter Freund?"

Sie nickte leicht.

Er nickte leicht zurück. "Kaffee."

"Ich mache welchen."

Sie ließ ihn im Wohnzimmer zurück und ging den Kaffee kochen, dann verschwand sie im Badezimmer, um das Handtuch von ihrem Kopf zu nehmen und ihr feuchtes Haar auszuschütteln.

Sie betrachtete ihr Bild im Spiegel des Badezimmers. Sie würde kein Make-up auflegen. Sie würde nichts tun, um ihn zu beeindrucken.

Sie besah sich kritisch. Gut, vielleicht ein bißchen Eyeliner.

Und ein bißchen Lippenstift.

Sie könnte sich auch etwas anziehen. Sie wußte jedoch nicht, wieviel Zeit er zwischen den Flügen hatte.

Sie steckte ihren Kopf in das Wohnzimmer. "Mul..."

Er war gegangen.

Ihr Atem stockte ihr im Hals. Dann entdeckte sie seine Tasche, die über der Lehne eines ihrer Sessel hing. Die französischen Türen zu ihrem Balkon standen offen. Er mußte draußen in der Dunkelheit sein. Sie fühlte Erleichterung mit einer Intensität, die sie erschreckte, und ihre Hände zitterten, als sie den Gürtel ihres Bademantels enger zog.

Vergiß die Sachen.

Mulder lehnte an der Brüstung und sah in die Nacht.

Ihre Hand griff nach dem Schalter für das Außenlicht, dann ließ sie sie sinken.

Die Dunkelheit würde einfacher sein.

Es war ein lauer Maiabend. Ein Gischtschleier hing über den Wellenbrechern, der matt im trüben Licht des Mondes leuchtete. Der Geschmack von Salz und feuchtem Sand war um sie herum. Sie atmete tief ein und füllte ihre Lungen.  Sie liebte das alles hier.

Und als wenn er ihre Augen auf seinem Rücken gespürt hätte, drehte er sich um. Er trat rasch auf sie zu, um ihr das Tablett abzunehmen und sie sah ihm zu, als er es auf den schmalen Eisentisch stellte.

Es war verblüffend, ihn auf ihrem Balkon zu haben.

"Das ist großartig." Er wandte sich wieder dem Ausblick zu. "Ich habe, wenn ich an Dich dachte, nicht an den Strand gedacht."

Sie stellte sich zu ihm an die Brüstung, ein wenig von ihm weg, gerade außerhalb seiner Sphäre. Er kam ein wenig näher und damit in ihre.

Seine Anwesenheit füllte ihre Nase. Sein Geruch, seine Wärme... seine Aura...

Wenn sie an die Aura glauben würde.

Was hatte er gerade gesagt? Daß er überrascht war, daß sie am Meer lebte?

War sie überrascht, daß er an sie gedacht hatte?

"Warum?"

Er drehte sich um, um sie anzusehen. "Ich weiß nicht." Er hob seine Hand.  Sie wich ein wenig zurück und seine Hand hielt inne. Dann griff er langsam nach ihr, bis seine Fingerspitzen gerade ihr Haar berührten.

"Es ist so lang," sagte er, seine Augen wanderten zu ihren und hielten sie für einen qualvollen Moment fest. Er versuchte, ihr etwas mit seinen Augen zu sagen, aber sie konnte nicht sagen was.

Und sie konnte nicht wegsehen.

"Ja. Das ist es. Ich meine..." Sie schluckte. "Für eine Sekunde habe ich gedacht, Du würdest sagen ‚Es ist so lange her.'"

"Es ist so lange her." Er beobachtete sie, als er sanft ihr Haar nahm und durch seine Finger gleiten ließ. Er ließ seine Hand sinken und seine Augen wanderten zurück zu ihren.

"Zu lange, Scully," flüsterte er.

Sie riß ihren Blick von seinem los und bewegte sich abrupt, um Kaffee einzugießen.

"Wie laufen die Dinge in Washington?"

"Gut."

"Zucker?"

"Nein, danke."

"Skinner?"

Er gab ein kurzes trockenes Lachen von sich. "Ich bin nicht gerade sein Lieblingsagent."

Oh...

"Fälle?"

"In Ordnung."

Sie sah zu ihm zurück. Er rieb träge einen Finger entlang der Holzbrüstung.  Plötzlich wußte sie mit Bestimmtheit, daß diese Dinge nicht in Ordnung waren, so wenig wie sie es waren, als sie es hunderte Male zu ihm gesagt hatte.

Aber er wollte nicht bemuttert werden. Und so würde sie es nicht tun.

"Du wirst Dir noch einen Splitter einreißen, wenn Du so weitermachst."

Seine Finger hielt inne.

"Milch?"

Er drehte sich zu ihr um und nagelte sie mit einem weiteren von diesen intensiven Blicken fest.

"Scully? Weißt Du wirklich nicht mehr, wie ich meinen Kaffee mag?"

Sie sah ihn an.

Ja. Natürlich.

Sie drehte sich um und bereitete seinen Kaffee so, wie er in mochte, reichte ihm die Tasse und hielt ihm einen Teller mit Keksen hin.

"Hast Du die gemacht?"

"Ja."

Er nahm einen und biß hinein.

"Die sind gut."

"Du klingst überrascht."

Er antwortete nicht, er aß nur schweigend den Keks.

"Wie ist L. A.?"

"Gut. Ich kann in Shorts zur Arbeit gehen."

"Du? In Shorts zur Arbeit?"

Sie zuckte mit den Schultern.

"Wow," sagte er leise. "Die Dinge haben sich geändert."

"Yeah, Mulder, so ist es."

Einige Momente waren sie beide still.

"Fälle?" fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern. "Das Übliche. Ich mag es auf diese Weise."

Er nickte.

Tatsächlich waren die Fälle total langweilig. Ständig hielt sie bei allem nach Paranormalem Ausschau... mit einem traurigen Stich von Nostalgie.

"Du solltest in die Hauptabteilung zurückkehren, Scully. Du würdest es gut machen."

"Mmmnn." Ihre Antwort war unverbindlich.

Ein unangenehmes Schweigen hüllte sie ein, nur unterbrochen vom Geräusch der Wellen, die vor ihnen an den Strand liefen. Disharmonische Klänge kamen aus einem Radio in einem der Apartments nebenan, dann das plötzliche Gelächter aus der Kaffeestube eine Tür weiter. Eine leichte Brise wehte über sie hinweg und brachte den schweren Geruch von Jasmin vom Nachbarbalkon mit. Sie bewirkte, daß sich ihre Haare im Nacken aufrichteten.

Sie zitterte und schloß ihren Bademantel fester um sich.

"Wann geht Dein Flug?"

"Oh!" Er verschüttete seinen Kaffee, als er sich umdrehte, um auf seine Uhr zu sehen. "In fünfundzwanzig Minuten. Tut mir leid!" Er stellte seine Tasse ab, kniete sich hin und begann, den Kaffee, den er auf der Grasmatte verschüttet hatte, mit seiner Serviette wegzuwischen.

Sie kniete sich ebenfalls hin und wischte daran herum. Es war nicht wichtig.

Er sah plötzlich auf, sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Seine Augen waren dunkel in dem matten Licht.

"Es tut mir leid, Scully." Seine Stimme war sehr leise.

"Mach Dir keine Gedanken darüber. Ich werde es morgen mit dem Schlauch wegspritzen."

"Nicht wegen dem Teppich." Er hob seine Hand wieder zu ihr, diesmal hielt sie still, aber er berührte sie nicht. Ihr Verstand registrierte ungläubig, daß seine Hand zitterte. Er zog sie zurück.

"Es tut mir leid," sagte er wieder. "Alles. Ich mußte es Dir persönlich sagen."

Sie fühlte die Tränen wieder, die ihr in die Kehle stiegen und in ihrer Nase brannten, und sie biß sich hart auf die Lippe, um sie zurückzuhalten.  Sie würde nicht vor ihm weinen. Das würde sie nicht.

Sie nickte.

"Danke," brachte sie heraus. "Ich war... ich bin..." Sie schüttelte ihren Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Er sah sie schmerzerfüllt an, als er es bemerkte.

"Es war keine gute Idee von mir, herzukommen. Ich gehe besser."

Aber er machte keine Anstalten, um aufzustehen.

Er kniete einfach da und sah sie an.

"Scuh-lee..." begann er.

Sie schluckte schwer.

"Was...?" Ihre Stimme war kaum ein Flüstern.

Er antwortete nicht, er wollte sie nur ansehen. Einfach ansehen. Sie hatte das eigenartige Gefühl, daß er sich ihr Gesicht einprägte.

Seine Augen wanderten zu ihrem Mund...

Es klopfte wieder an der Eingangstür.

Verdammt.

Er machte eine Bewegung, um aufzustehen. Sie streckte ihre Hand aus, stoppte aber kurz bevor sie ihn berührte.

"Erzähl es mir," sagte sie.

"... nichts," sagte er schließlich und senkte seinen Kopf. Er rieb sich müde die Augen.

Ein gemurmeltes "Mach auf! Ich weiß, daß Du da bist!" drangt durch die Tür.

Es war Adrianna, ihre andere Nachbarin.

Der Zauber war gebrochen.

"Du solltest besser aufmachen."

"Yeah," nickte sie. "Und Du. Du wirst Dein Flugzeug verpassen."

"Yeah."

In den alten Zeiten hätte er ihr aufgeholfen. Nun, als sie aufstanden, bemerkte sie, daß er darauf bedacht war, sie nicht zu berühren.

Irreparabel, dachte sie traurig.

Vielleicht war der Schaden irreparabel.

Sie biß sich auf die Lippen und ging, um die Tür zu öffnen.

 

 

 

 

 

Teil 3

Ihre Nachbarin, Adrianna, war eine ziemlich hochgewachsene Frau, manchmal Stripperin, manchmal Schauspielerin, mit offen gestanden unglaublichen Ausmaßen. Sie hatte außerdem die merkwürdige Angewohnheit, nur Bikinis zu tragen, egal bei welchem Wetter oder zu welcher Tageszeit.

Heute Nacht trug sie einen Leopardenfell imitierenden Bikini und darüber einen grünen Fischnetz-Mini.

Er zeigte all ihre Tattoos perfekt.

"Hey, Dane. Wie war die Verabredung?"

Scully zuckte mit den Schultern.

Adrianna grinste sympathisch und stieß mit einer Hüfte gegen den Türrahmen.  "Bum-mer. Oh... ich wollte dir nur sagen, daß hier vorhin so ein Typ herumgehangen und dir zugesehen hat."

"Was? Wann?"

"Als du draußen gestanden hast mit deiner Verabredung. Er hat sich in den Schatten zurückgezogen, als du diesen Typen geküßt hast. Er saß auf einem Sessel am Pool im Innenhof und hat auf dich gewartet, glaube ich. Die Art, wie er dich angesehen hat, war... gruselig. Er hatte einen Anzug an. Du hast ihn nicht gesehen..."

Sie hielt plötzlich inne und schaute über Scullys Schulter. "Er."

Scully drehte sich um. Mulder kam gerade aus dem Badezimmer. Er hatte seine Anzugjacke ausgezogen, seine Krawatte gelöst und sich Wasser ins Gesicht gespritzt. Er trug keine Waffe. Seine Haare standen ein wenig ab.

Der Anblick Adriannas ließ ihn innehalten.

"Oh, er?" Scully mußte ein Lächeln unterdrücken beim Blick in sein Gesicht.

"Er ist in Ordnung."

Adriannas Blick wanderte von Mulders leicht unordentlichem Anblick zu Scullys Bademantel. "Ich verstehe."

"Er muß sein Flugzeug kriegen."

Er zeigte ihnen ein angespanntes Lächeln, nahm seine Krawatte ab und begann in seiner Reisetasche herumzuwühlen. Sie drehte sich zurück zu Adrianna, ihre Stimme gesenkt, "Wie lange war er hier?"

Adrianna zuckte mit den Schultern. "Ein paar Stunden."

Verdammt.

Adrianna betrachtete ihr Gesicht genau. "Er ist es also," sagte sie. Ihre Augen flatterten über Scullys Schulter und maßen ihn von Kopf bis Fuß.

Scully schnitt eine kleine Grimasse.

Sie sahen beide zu, als er ihnen den Rücken zudrehte und sein Hemd auszog.

Ihre Augen ruhten auf seinem Rückgrat. Er sieht mager aus, dachte sie mit einem Stich von... irgend etwas.

"Freundin," sagte Adrianna leise, ihre Augen immer noch auf Mulders Rücken.

"Flugzeuge kann man verpassen."

Er zog sich ein schwarzes T-Shirt und dann einen dunkelgrünen Baumwollsweater über den Kopf.

Adrianna lehnte sich vor bis ihr Mund beinahe Scullys Ohr berührte. "Ich werde ihn für Dich fesseln."

"Shhh!"

Mulder drehte sich zu ihnen um.

"Adrianna. Fox Mulder."

"Fox?? Hi."

"Hi," sagte er und nickte Adrianna zu. "Scully, kann ich hier unten irgendwo ein Taxi bekommen oder muß ich die Taxizentrale anrufen?"

"Scully?" fragte Adrianna.

"Das ist mein Nachname."

"Oh." Das eine Wort ließ keinen Zweifel daran, was sie genau darüber dachte.

"Es ist nicht so einfach, zu dieser Nachtzeit ein Taxi zu bekommen," sagte Scully. "Ich würde dich fahren, aber..." Sie deutete auf ihren Bademantel.  "Ich glaube nicht, daß die Zeit reicht."

Adrianna schenkte ihm ein unschuldiges kleines Lächeln. "Und ich würde dich liebend gern fahren, Süßer, aber meine Harley hat einen Platten."

"Äh... danke," sagte er und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er sah plötzlich erschöpft aus. "Scully, kann ich dein Telefon benutzen?"

"In der Küche."

In dem Moment, als er sich wegdrehte, verpaßte Adrianna ihr einen heftigen Stoß in die Rippen. "Sprich mir nach," sagte sie mit gesenkter Stimme. "'Du kannst auf meiner Couch übernachten, Fox.' Fox," wiederholte sie seinen Namen und lachte leise. "Tu du es, Dane, oder ich fessele ihn. Ich meine es ernst."

Er sprach mit der Information. Sie atmete tief ein. "Mulder?" Er legte seine Hand über die Sprechmuschel und sah zu ihr herüber. "Es gibt keine Möglichkeit mehr, dein Flugzeug zu bekommen. Mußt du unbedingt heute Nacht noch da hin, wo du hinwolltest?"

Er schüttelte den Kopf.

"Dann kannst du... äh... auf meiner Couch übernachten."

Bist-du-dir-sicher? fragten seine Augen.

Sie nickte.

Mulder legte den Hörer wieder auf. "Danke, Scully."

Adrianna sah von einem zum anderen. "Sie nennen sich ‚Mulder' und ‚Scully'.

Oh mein Gott." Sie schüttelte den Kopf und schlüpfte durch die Eingangstür.  "Wenn Du irgendwie Hilfe brauchst..." sagte sie mit einem weithin hörbaren Flüstern, zwinkerte Scully zu und verschwand in der Nacht.

Scully schloß energisch die Tür hinter ihr und drehte sich um.

Er stand noch da, eine Hand am Telefon und sah sie an. Er bewegte sich unbehaglich, als ihr Blick über ihn wanderte.

"Du siehst totmüde aus, Mulder. Bist Du fertig fürs Bett? Ich hole ein paar Decken."

Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und rollte seinen Kopf, um seinen Hals zu strecken.

"Vielleicht könnten wir noch ein bißchen sitzen, ausruhen. Ich hatte eine Menge Kaffee... und das Flugzeug... Wie wär's mit Deinem Balkon. Die frische Luft tut gut."

"Okay. Vielleicht ein Glas Wein?"

Er nickte. "Hört sich gut an."

"Ich bin gleich draußen."

Küchenschublade. Korkenzieher. Zwei Gläser. Eine Flasche Rotwein. Eine Minute später war sie auf dem Balkon.

Er blickte in den kleinen freistehenden Terracottakamin, den sie in Mexiko gekauft hatte.

"Funktioniert er?"

Sie nickte. "Wir können ihn anzünden."

"Streichhölzer?"

"In diesem Topf."

"Setz Dich, Scully. Ich mach das."

Also setzte sie sich hin und machte sich daran, die Flasche zu öffnen.

In kurzer Zeit hatte er ein kleines Feuer entfacht. Er setzte sich auf die Ecke ihrer Liege und sie reichte ihm sein Weinglas zu. Er schwenkte es und starrte in die kreisende Flüssigkeit.

"Warum sah sie so vertraut aus?" fragte er schließlich und sah zu ihr herüber.

Sie zog nur ihre Augenbrauen hoch.

"Oh," Mulder sah verblüfft drein. "Sie ist größer... wenn sie aufsteht. Ist sie eine Freundin von Dir?"

"Sie ist meine Nachbarin."

"Scully, Du bist in einem Fellinifilm gelandet. Dein anderer Nachbar hat mich angesehen, als hätte er tatsächlich noch nie vorher jemanden in einem Anzug ohne Goldmünzen gesehen. Welche Rolle spielst Du in alle dem?"

"Wenn Du sagst den Zwerg, Mulder, hole ich meine Waffe und erschieße Dich."

Plötzlich grinsten sie sich beide an. Es tat gut. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie ihn das letzte Mal an- und er zurückgelächelt hatte.

Aber dann machte es sie scheu und ihn offenbar auch. Sie drehten sich beide zur selben Zeit weg.

Vielleicht nicht irreparabel. Aber... schwer zerstört.

Sie tranken schweigend ihren Wein und blickten ins Feuer. Das Terracotta des Kamins mußte feucht geworden sein, es gab kleine zischende Geräusche von sich, als es sich erwärmte und ausdehnte. Das Holz krachte, als es verbrannte und verströmte einen scharfen Harzgeruch in die Luft gemixt mit den schwereren Düften der Blumen und des Ozeans.

Hin und wieder riskierte sie einen Blick zu ihm.

Er beobachtete ebenfalls die Flammen. Dabei rieb er sich seine Unterlippe.

Ihre Augen ruhten auf seiner Lippe.

"Wohin wolltest Du?" fragte sie schließlich.

"Was?"

"Der Flug, den Du verpaßt hast."

"Oh, Ich war auf dem Rückweg. Von Singapore."

"Singapore!? Warum warst Du da?"

Er hielt inne, als wollte er etwas sagen, dann seufzte er.

"Eine lange Geschichte."

"Warst Du lange dort?"

"Fünf Tage. Ich hätte Dich fast angerufen. Ich war auf dem Hinflug auf dem Flughafen von L. A."

"Wann?"

"Sonntag."

Vielleicht war es ihr deshalb die ganze Woche nicht gelungen, ihn aus ihrem Kopf zu bekommen.

"In welcher Zeitzone bist Du?"

Er sah auf seine Uhr. "Ich weiß nicht. Morgen."

"Du mußt erschöpft sein."

Er nickte langsam.

"Scully?"

"Mmm?"

"Danke, daß ich bleiben kann."

Sie nickte und sie starrten beide wieder ins Feuer.

Es wurde kühler. Die Feuchtigkeit legte sich auf ihre Haut.

Er beugte sich nach vorn und legte Holz nach. Für einen Augenblick beleuchtete das Feuer sein Gesicht und sein Haar und zeichnete seinen Umriß nach. Seine Wangenlinie... seinen Mund...

Ihr Mund wurde plötzlich trocken. Sie nahm einen Schluck Wein, löste ihren Blick von ihm und sah zum Mond hinauf. Ein fahler Halbmond. Zu schade, daß nicht Vollmond war. Der Meerblick von ihrem Balkon bei Vollmond war atemberaubend. Sie sah hinaus auf den Ozean. In einer Nacht wie dieser könnte man das Wasser sehen, aber es war dunkel. Dunkel und geheimnisvoll.  Sie liebte auch dies. Der Geruch der See war nun kräftiger, die Gezeiten wechselten, die Ebbe würde kommen und die Sandbänke freilegen...

Die Liege knackte, als er sich wieder neben sie setzte, ein bißchen näher diesmal, und sie konnte seine Augen auf ihrem Gesicht fühlen.

Sie war sich nicht sicher, ob sie schon bereit war zurückzublicken. Die Sache mit der Aura passierte wieder...

Schließlich konnte sie nicht anders, sie drehte ihren Kopf. Völlig sicher, daß er sie ansah. Seine Augen waren dunkel in dem matten Licht. Der Ausdruck darin angespannt...

Er hob seine Hand und berührte schließlich leicht mit den Fingerspitzen ihre Wangenknochen.

"Sommersprossen," flüsterte er, ein Lächeln in seiner Stimme.

Sie lächelte ein wenig schüchtern zurück.

Er ließ seine Finger über die Sommersprossen auf beiden Wangen gleiten, dann glitt seine Hand in ihr Haar und legte sich um ihren Nacken. Sein Daumen streichelte sanft ihr Ohrläppchen.

Sie hob ihre Hand, legte sie über seine und lehnte ihren Kopf in seine Handfläche.

"Ich hätte Dich das gleich als erstes fragen müssen," flüsterte er und drückte sanft gegen ihre Wange. "Wie geht es Dir, Scully?"

Ihr Krebs, natürlich.

"Gesund. Ich bin gesund."

Er nickte leicht, aber sie konnte in seinen Augen sehen, daß er nicht genau wußte, was sie meinte.

"Es gibt keine Anzeichen dafür, Mulder," flüsterte sie. "Es ist vorbei."

Sie sah Erleichterung in seinen Augen aufblitzen. Dann schloß er sie - nur für einen Augenblick - und sie hatte das deutliche Gefühl, daß er Dankgebete an einen unbekannten Gott schickte. Dann öffnete er sie wieder und sie sahen einander an. Der Moment zog sich dahin. Seine Augen waren so dunkel, so unergründlich...

So vertraut.

Mit einem ganz leichten Druck auf ihren Nacken zog er sie an sich heran.

Sie wehrte sich nicht, sie gab mit einem Seufzer nach. Seine Finger spreizten sich auf ihrer Kopfhaut und er legte ihren Kopf unter sein Kinn.  Sein anderer Arm legte sich um sie und drückte sie an seine Brust.

Sie legte ihre Arme um ihn und ihre Hände ruhten auf seinem Rücken. Sie rieb ihre Wange an dem rauhen Baumwollstoff seines Sweaters. Sein unrasierter Hals war stachelig an ihrer Stirn. Sie drückte ihre Nase gegen ihn und atmete tief ein.

Gott.

Plötzlich legte er seine Arme um sie und umarmte sie fest. Sie umarmte ihn auch - ebenso fest. Seine Arme waren so eng um sie, daß sie kaum atmen konnte, aber das war ihr egal.

Sie fühlte, wie er sein Gesicht an ihren Haaren rieb.

"Ich vermisse Dich," sagte er sehr leise.

"Ich vermisse Dich auch," flüsterte sie zurück.

Sie vergrub sich enger in ihm, öffnete ihren Mund an seinem Sweater und atmete seine Wärme ein.

Er lehnte sich zurück in die Kissen und zog sie mit sich. Er drückte sie an seine Brust und hielt sie fest.

Sie lag still, ihre Wange an seinem Herzen, schloß ihre Augen und entspannte sich in seiner Wärme. Ihren Atem paßte sie dem Rhythmus an, in dem sich seine Brust hob und senkte. Und sie verdrängte alles aus ihrem Empfinden außer seinem Herzschlag und das sanfte Reiben seiner Finger auf ihrer Kopfhaut.

Alle ihre ungeklärten Empfindungen... Versagen... Schmerzen... Ärger...

Verlust... begannen dahinzuschmelzen, als sich ihre Sinne mit ihm füllten.  Die Spannung wich aus ihren Schultern und aus ihrem Rücken und ihre Knochen verschmolzen mit seinen.

Sie wollte nicht über morgen nachdenken, oder die nächste Woche oder...  wann auch immer. Sie wollte einfach nur dasitzen, um den Rhythmus seines Körpers in sich aufzunehmen.

Nach einer Weile hörten die Finger auf, ihren Hinterkopf sanft zu liebkosen. Sie lag still und fragte sich, ob er eingeschlafen war. Er mußte erschöpft sein. Es war zu feucht für ihn, um hier draußen zu schlafen, sie mußte ihn aufwecken. Aber sie wollte sich nicht wirklich bewegen, wollte liegenbleiben und ihn halten.

Sie hob ihren Kopf, um in sein Gesicht zu sehen. Seine Augen waren noch offen, er schaute herunter, an ihrem Gesicht vorbei, mit einem Ausdruck von Wunder.

Sie folgte seinem Blick.

Der Ausschnitt ihres Bademantels war verrutscht und zeigte die Wölbung einer ihrer samtenen Brüste bis herab zu ihrer rosigen Spitze, die gegen den weißen Stoff des Bademantels drückte.

Sie bewegte sich, um den Mantel zu schließen, aber er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. Seine Augen ruhten auf ihrer Brust.

Sie sog den Atem ein und hielt ihn an.

Während sie hinsahen, wurde die Brustwarze hart.

Mit einem winzigen Stoß atmete sie aus und sah hoch, um in seine Augen zu sehen. Der Ausdruck darin war unsicher.

"Mulder... Ich..."

Sein Ausdruck wurde ernst, seine Augen dunkel.

"Scully," flüsterte er. "Als ich Dich heute abend zum ersten Mal sah.  Vorhin. Du warst so schön. Ich habe Dich schon..." er lächelte. "...auf so verschiedene Weise gesehen. Aber heute abend... ich habe Dich niemals so schön gesehen."

Wortlos sah sie ihn an.

Sein Blick hielt ihren für einen weiteren langen Moment, dann glitt er herab zu ihrem Mund. Sie konnte nichts dagegen tun, ihre Lippen öffneten sich.

Er lehnte sich näher heran. Ihre Augen folgten seinem Mund, als er näher kam. Den Bruchteil eines Zentimeters von ihrem entfernt stoppte er.

Oh Gott.

Er drückte einen sanften Kuß auf ihre Lippen. Seine waren warm und weich.

Beinahe... brüderlich.

Beinahe.

Dann küßte er sie wieder, seine Lippen immer noch weich, aber nicht mehr so brüderlich.

Sie gab ihm einen sanften Kuß zurück.

Dann ein dritter, und dieser war gar nicht mehr brüderlich.

Die Wärme seines Mundes auf ihrem sagte ihr mehr darüber, was er in den letzten sechs Monaten empfunden hatte, als alles, was er gesagt - oder nicht gesagt - hatte, seit er vor ihrer Tür aufgetaucht war.

Sie küßte ihn wieder. Und es hatte nichts mit Nasen oder unbekannter Haut zu tun, es hatte mit dem zu tun, was zwischen ihnen gewesen war - was immer noch zwischen ihnen war. Die Zärtlichkeit und Süße... die Sehnsucht und die Spannung, die sie niemals in Worte gefaßt hatten.

Als seine Lippen ihre erforschten, zart, sanft, liebevoll, spürte sie, wie etwas, das sie fest in ihrem Innern gehalten hatte, zu schmelzen begann und dann zerbrach.

Ihre Hände glitten in seine Haare und sie küßte ihn wieder. Ich habe Dich auch vermißt. Und ich weiß, warum Du es getan hast. Ich verstehe es, aber es tut höllisch weh... ich habe Dich vermißt und jetzt... alles was ich will, ist an Deiner Zunge saugen... Mulder...

Durch ihre Reaktion explodierte seine kontrollierte Sanftheit und er begann sie überall mit stillem Verlangen zu küssen. Er rollte sie auf die Seite, drückte sie gegen die Kissen und preßte seinen Körper an ihren. Er hielt ihren Kopf mit beiden Händen und stieß seine Zunge in ihren Mund, ließ sie über die Innenseite ihrer Lippen und über ihre Zähne gleiten und strich über ihre Zunge. Sie küßten sich, bis sie beide nach Luft schnappen mußten.  Und dann verließ sein Mund ihren und wanderte über ihr Gesicht, küßte ihre Wangen, ihre Lider, ihre Wimpern. Er gab ihr einen zarten Kuß auf den Nasenrücken, dann blickte er auf sie herab, sein Herz in seinen Augen.

Sie nahm seinen Kopf und zog seinen Mund wieder zu ihrem herunter.

Nun war es eine glühende Hitze, die in ihren Zehenspitzen begann und dann durch ihren ganzen Körper lief. Erregend und neu, weil sie ihn noch nie geküßt hatte und warm und vertraut, weil sie ihn schon immer kannte und...  oh Gott...

Seine Hände glitten über ihre Schultern und ihren Rücken. Sie streichelte seinen Rücken und ließ ihre Hände zu seinem Hosenbund heruntergleiten, sie glitten unter seinen Sweater und sein T-Shirt und an der warmen Haut seines Rückens herauf und herunter.

Und dann zogen seine Hände an dem Knoten ihres Bademantelgürtels. Er stoppte plötzlich, ließ seinen Blick durch die Nacht gleiten und dann zurück zu ihr.

"Niemand kann etwas sehen," flüsterte sie, schob seine Finger beiseite und löste den Knoten selbst. Erleichterung zuckte über sein Gesicht und sie erkannte, daß das nicht seine Frage gewesen war, aber sie hatte sie ihm trotzdem beantwortet.

Er schob den Bademantel von ihren Schultern und sie schüttelte ihn ab. Er richtete sich auf und sah auf ihren Körper herab. Er atmete schwer.

Sie lag still. Nackt. Ihre gerötete Haut prickelte in der kühlen Nachtluft.

"Scuh-lee... Du bist schön... so schön."

Er senkte seinen Kopf, um ihre Brüste zu küssen.

Ihre Hände glitten in sein Haar und strichen es zurück hinter seine Ohren.

"Mulder, Du kitzelst mich."

Sie wußte, daß sie grinste wie ein Dummkopf.

Er hob seinen Kopf und grinste zurück. Dann küßte er sich seinen Weg von der Spitze ihrer einen Brust zur Spitze der anderen. Und dann ihren Hals hinauf zurück zu ihren Lippen.

Sie rutschte unter ihm hervor, drückte ihn in die Kissen und legte sich auf ihn.

Es fühlte sich seltsam und wundervoll und verrückt an, vollkommen nackt in der kühlen Dunkelheit auf ihm zu liegen, während er komplett angezogen war.  Aber ihn wiederzusehen und die unerwartete Richtung, die dieser Abend genommen hatte, machten sie trunken vor Erleichterung.

Sie senkte ihren Kopf, um erneut seine Lippen zu treffen.

Er lächelte an ihrem Mund und sie rieb ihren Körper an seinem wie eine Katze und genoß dabei das Gefühl seines Körpers unter seinen Sachen. Aber es war nicht genug.

Unwillig löste sie ihren Mund von seinem und setzte sich auf.

Sie drückte ihren Schritt gegen die harte Beule in seinen Hosen, schob sein Shirt und seinen Sweater hoch und zog ihm beides über den Kopf.

Das Feuer schickte warme Lichtfinger über die Haut auf seinem Gesicht und auf seiner Brust. Er lag still da und sah ihr zu, wie sie mit ihren Fingerspitzen Muster an seinen Wangenknochen entlang, seinen Hals und seine Brust herunter, über seinen Bauch zu seinem Hosenbund zeichnete. Sie öffnete seine Hosen und zog sie ihm aus. Darunter trug er ein Paar rote Jerseyboxers, die ihm wie angegossen paßten. Seine Erregung spannte gegen den Stoff und sie berührte sie leicht.

"Scuhlee..." Er sah sie durchdringend an.

"Mmmm?"

Sie beugte sich nach vorn, um seinen Mund wieder zu erobern, aber ihre Finger blieben auf ihm, liebkosten ihn zuerst leicht, dann fest in langen gemächlichen Zügen. Dann glitt ihre Hand herunter, um seine Hoden zu fassen, die locker und warm waren. Sie erforschte sie zart, rollte sie zwischen ihren Fingern und streichelte die Muskeln darunter.

Er stöhnte wieder ihren Namen und dann waren seine Hände und seine Lippen auf ihr. Überall auf ihr. Strichen über die Haut auf ihrem Rücken, neckten die sensible Haut unter ihren Armen, saugten ihre Finger in seinen Mund, nibbelten Küsse entlang ihrer Hüfte. Sie wand sich unter seinem Mund und seinen Händen. Ihre Finger und ihr Mund waren ebenso auf ihm. Sie kratzte zart über die Haut auf seinem Rücken. Leckte und knabberte an seinen Brustwarzen, knabberte an seinen Schultern und an seinem Hals. Sie zog ihm seine Boxershorts aus und knetete die Muskeln seines Gesäßes. Dann kehrte sie zu seinen Hoden zurück, nur um die ein bißchen keuchende Art, in der er ihren Namen sagte, zu hören, als sie sie berührte.

"Scuh-leee."

Sie lächelte.

Sie hatte sich immer gefragt, wie es sein würde, wenn sie auf diese Art zusammenkommen würden. Würde es ein spontanes Feuer sein? Wilder, heißer Sex an der Innenseite der Tür ihres oder seines Apartments, bei dem sie beide innerhalb von Sekunden ihren Höhepunkt erreichen würden, um dann ohnmächtig auf den Boden zu sinken? Oder würde es langsam und sinnlich sein, sich allmählich steigernd bis...

Es war keines von beiden.

Sie rutschten tiefer in die Kissen. Seine Finger durchkämmten die Locken zwischen ihren Beinen.

Sie konnte nichts dagegen tun, sie stöhnte.

"Scuh-lee." sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören, als seine Finger über sie glitten.

Sie stöhnte wieder, lauter. "Mulderrr!"

"Scuh-leee?"

Seine Zunge war in ihrem Ohr, seine Stimme rauh vor Verlangen. Gott, vergiß es, mit ihm zu schlafen. Wenn er ihren Namen noch einmal so sagte, würde sie gleich mit einem Schrei kommen.

"Ja?" fragte sie atemlos und stieß ihr Becken gegen ihn.

"Gummi?"

"Was?" Sie stieß ihre Hüften wieder gegen seine Hand.

"Kondom. Hast Du irgendwo ein Kondom zur Hand?"

"Warum?"

Er hob seinen Kopf, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können.

"Scully, ich..."

Gott, es fiel ihr schwer, zu atmen.

"... ahhh... oh, Gott. Tu das... noch einmal. Ja. Das. Ahh..."

"Ich bin HIV negativ."

Er hatte seine Finger weggenommen und streichelte sie nun mit seiner Erektion, rieb mit seiner Spitze vor und zurück.

"Ich weiß. Ich auch. Du würdest nicht... ich weiß..." Ihr Hals bog sich nach hinten und ihre Hüften hoben sich, um seine Reibung zu verstärken.

"Aber Du solltest eins haben."

Typisch für ihn, sich in etwas zu vertiefen, wenn alles was sie wollte war, ihn in sich zu haben, so schnell und so fest wie nur möglich. Sie drückte die weiche Haut zwischen ihren Beinen verlangend gegen ihn. Wenigstens hatte er nicht mit dem aufgehört, was er tat.

"Scully? Wenn Du... Dieser Typ..."

Darum ging es also. Sie warf einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht. Er war wirklich beunruhigt und sie fühlte einen Schmerz in ihrer Brust, der nichts mit ihrem mühsamen Atmen zu tun hatte.

"Mulderrr. Die Schublade meines Nachttisches ist voll mit Kondomen. Aber ich schlafe nicht mit diesem Typen. Ich schlafe mit Dir. Willst Du jetzt endlich den Mund halten und..."

Bevor sie den Satz beenden konnte, unterband er ihren Kommentar mit seinem Mund. Sie streckte ihre Hand aus, um erneut seine Hoden zu nehmen und drückte sie gerade soviel, um ihn den Gedanken an sie mit einem anderen Mann vergessen zu lassen.

"Okay," atmete er in ihren Mund. "Ohhh, Gott. Oh, mein Gott. Scuhleee.

Scuhleeeee."

Sie lächelte an seinen Lippen. Ihre Zunge glitt in seinen Mund und traf auf seine. Sie legte ihre Hand um ihn, hob ihre Hüften leicht an und dann bewegte sie sich behutsam auf ihm. Und als Antwort darauf senkte er seine Hüften und vergrub sich komplett in ihr.

Es gibt eine Menge Dinge im Leben, die vorübergehen und die man vergißt, dachte sie, als sie tiefer in seine Augen sank und darin ertrank, aber niemals das erste Mal mit dem Menschen, den man liebt.

All das wollte sie in ihrer Erinnerung behalten, es unauslöschlich in ihr Gedächtnis einprägen.

Sie öffnete ihre Sinne für die Nacht... die kühle Brise, die ihre brennende Haut zum Prickeln brachte... das Auf- und Abrollen der Wellen auf dem Strand, ein Echo ihrer eigenen Ebbe und Flut... der strenge Duft des Feuers und des Kaffees und des Weins, und seines Körpers und ihres eigenen... das Kratzen und Seufzen seiner Haut gegen ihre... die rauhen Kissen unter ihren Knien, seine heißen schweißbedeckten Hüften zwischen ihren Schenkeln...

Seine Augen.

Er stieß in sie, langsam zuerst, dann fester, tiefer. Sie beobachtete ihn, wie er sie beobachtete und fühlte, wie Erstaunen sie erfaßte. Er war hier.

Endlich.

Es war an der Zeit.

Was immer sie auch voneinander getrennt hatte in all diesen Jahren... in den letzten sechs Monaten... verschwand in der Nacht... Und sie konnte in seinen Augen sehen, daß er es auch fühlte.

"Was?" konnte er kaum flüstern und sie konnte kaum antworten.

"Was?" fragte sie.

"Dein Gesicht. So ernst..."

Ich liebe Dich, dachte sie. So einfach ist das.

Und er lächelte, als hätte sie es laut gesagt. Ein einmal-im-Leben-Lächeln erleuchtete seine Augen und sein Gesicht und sandte Wellen von Wärme durch sie hindurch bis zu ihren Zehenspitzen.

Und dann waren es nur sie, nur Augen und Lippen und Haut und Hände. Und alle zusammenhängenden Gedanken verließen sie, als sie sich in ihm verlor, mit ihm verlor... und sie über den Rand glitten und in die Nacht fielen.

 

 

 

 

 

Teil 4

 

 

Sie starrte in den Himmel durch das Fenster über dem Bett. Der Himmel war ein dunkles Graublau, kaum heller als die Nacht. Es war mindestens eine Stunde vor dem Morgengrauen.

Ein warmes schweres Bein lag über ihren Beinen und ein besitzergreifender Arm hielt sie fest. Eine große Hand war in ihr Haar verwickelt und heißer Atem wärmte ihren Hals, gerade über ihrem Ohr.

Sie lächelte.

Er war vor nur einer Stunde eingeschlafen.

Monatelang hatte sie sich gefragt, ob sie ihn je wiedersehen würde. Und nun - war er hier, nackt und um sie herum gerollt. Und sie hatten miteinander geschlafen. Endlich. Warme köstliche Liebe. Eingehüllt in sattem aufwallendem Morgenrot hatte sie nicht geschlafen. Sie hatte nicht gewollt.

Sie drehte ihren Kopf ein wenig und schmeckte seine Haut. Nur das Salz am Rande seines Haaransatzes mit ihrer Zungenspitze.

Dann küßte sie leicht sein Ohr.

"Hey," flüsterte sie in sein Ohr.

Keine Antwort.

"Mulder," flüsterte sie wieder. Ihre Zunge glitt heraus, um seine Kinnlinie zu necken.

Noch keine Reaktion.

Er war unempfänglich für die Welt.

"Ich komme wieder," murmelte sie in sein Ohr. "Geh nicht weg..."

Widerwillig entschlüpfte sie der Wärme seines Körpers.

 

Sie mußte von ihm fort, um nachzudenken, gab sie sich selbst gegenüber zu, als sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschlich, bekleidet mit Turnschuhen, Shorts und einem Sweatshirt. Wenn ihr nackter Körper neben ihm lag, schien es, daß sie unter seinem Zauber stand.

Sie fröstelte ein wenig. Es war kühl für Ende Mai. Dampfschwaden stiegen vom Pool auf. Die Morgendämmerung war schwer von dem kalten feuchten Geruch der Wirklichkeit und dem berauschenden Geruch des taubedeckten Jasmins und der süßen orangen Pflaumen.

Eine Spinnwebe beiseite schiebend, ging sie durch das Tor und begann sich zu strecken, als sie ihre Laufstrecke hinunter zum Strand entlanglief.

Plötzlich fing sie an zu rennen. Sie raste vorbei an Oleandersträuchern und Bougainvillas, die sich wie geheimnisvolle Geister im Halbdunkel abzeichneten, dann unter Palmen hindurch und sie war am offenen Strand.

Die klare, kühle Luft füllte ihre Lungen und der scharfe Salzgeruch der Ebbe stieg auf, um sie mit einem Klatschen gegen ihre Haut zu treffen. Sie lief über das letzte Stück trockenen Sand und dann hinab zu den Ebenen einer ungewöhnlich niedrigen Ebbe, ihr Pferdeschwanz wehte hinter ihr her, ihre Turnschuhe verursachten kleine schmatzende Geräusche... und plötzlich liefen Tränen über ihre Wangen.

Sie rannte und rannte und rannte.

Bis sie nicht mehr rennen konnte und ihren Schritt, nach Atem ringend, verlangsamte.

Sie hatte ihn vermißt. In ihrem ersten Monat in L. A. fühlte sie sich in zwei Teile zerrissen. Die pure Hölle.

Aber nun...

Sie wischte sich die Nase am Ärmel ihres Sweatshirts ab, ging hinüber bis an den äußersten Rand der Wellen und sah hinaus auf das Meer. Am Horizont verschwand der alte Mond im Meer. Während sie zusah, begann die Morgendämmerung den Himmel zu erhellen.

Ihre Gedanken wanderten zu ihm, der in ihrem Bett lag. Sie fragte sich, was er wohl darüber dachte, daß sie miteinander geschlafen hatten...

Sie prüfte rasch ihre Gedanken.

Es ging nicht um ihn. Es ging um sie.

Ihr Leben.

Ihr Leben hier.

Sie war glücklich hier.

...War sie es?

Konnte sie es sich wirklich vorstellen, sie beide wieder zusammen? Wieder mit ihm zusammenzuarbeiten?

Ihr Verstand schob die Frage beiseite. Sie war noch nicht bereit, sie zu beantworten.

Ihre Arbeit hier... es war ein Schritt in die Richtung, in die sie immer wollte, oder nicht?

Richtig.

Ihr Privatleben hier... gut, sie traf sich mit jemandem und...

Sie verzog ihren Mund in einem plötzlichen befriedigten Lächeln.

Oh Gott.

Sie hatte mit Mulder geschlafen.

Und es war... verblüffend.

Sie hatte ihn immer gewollt. Gierte nach ihm fünf Jahre lang. Schließlich mit ihm zu schlafen... es war die Erfüllung einer lang andauernden Phantasie.

Sie war froh, daß es passiert war. Die Zärtlichkeit... die Vergebung... Es war ein langer Weg bis dahin, die Traurigkeit und den Ärger, den sie nicht in der Lage war zu vergessen, zu lindern. Sie liebte ihn. Liebte ihn trotz... einer Menge Dinge. Aber sie beide als Liebespaar...

Schon vor langer Zeit hatte sie festgestellt, daß es nicht die Art von

Liebe war, die gut für sie war. Sie konnte nicht gut für sie sein. Es war

so eine Sache, den falschen Mann zu lieben.

Vielleicht war es, nach all diesen Jahren, unausweichlich, mit ihm zu schlafen. Etwas, das sie beide brauchten, um mit der Heilung zu beginnen.  Aber nicht mehr als das.

Sie begann, allmählich ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen. Ihre Tränen waren versiegt und sie sah zu, wie die steigende Morgendämmerung die Farbe der Wellen änderte, von dunkelgrau zu rosa, von rosa zu grüngrau und schließlich zu einem blassen Blaugrün.

Eine plötzliche Windböe kräuselte die Wasseroberfläche und eine junge Möwe drehte sich abrupt und kreischte über ihrem Kopf auf der Suche nach einem Frühstück.

Der neue Tag war angebrochen.

In ein paar Stunden würde er ins Flugzeug steigen, um nach Washington zurückzukehren.

Und wenn er sie fragte?

Es gab keinen Weg zurück für sie.

 

 

 

 

Teil 5

 

Er traf an ihrer Tür auf sie, ein Handtuch um die Hüften geschlungen, die Haare feucht. Ein paar Wassertropfen glänzten auf seiner Brust.

Warum war es so verdammt peinlich, jemandem am Morgen danach ins Gesicht zu sehen?

"Hey," sagte er, Erleichterung stand auf seinem Gesicht geschrieben.

"Hey. Du bist wach. Ich habe Dich schlafen gelassen."

"Ich konnte nicht mehr schlafen ohne Dich." Sein Blick fiel auf ihre Sachen. "Du warst laufen?"

"Mmm-hmm." Sie zog ihre feuchten Turnschuhe an der Tür aus.

"Ich dachte, Du wärst gegangen, in der Hoffnung, ich wäre weg, wenn Du wiederkommst."

Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß er nur halb scherzte. Sie hob ihren Kopf und sah zu ihm auf. "Nein." und schüttelte ihren Kopf ein wenig.  "Nein."

"Ich hab mir Dein Shampoo geborgt." Er beugte sich etwas nach unten, so daß sie an seinem Haar riechen konnte.

"Mmmm. Paßt zu Dir."

Sie streckte die Hand aus, um ihm das Haar aus der Stirn zu streichen. Als ihre Fingerspitzen seine Haut berührten, verschwand die Peinlichkeit wie Rauch, und sie berührte mit der anderen Hand leicht seine Brust und wischte mit ihren Fingerspitzen durch die Wassertropfen.

Dann waren seine Hände auch auf ihr, spreizten sich weit über ihre Rippen, zogen sie an sich heran. Ihre Nase landete in der Mitte seiner noch feuchten Brust.

Mmmm auch hier.

"Kommst Du zurück ins Bett?" fragte er in ihr Haar hinein.

Er klang nicht so, als wenn er glaubte, daß sie ja sagen würde.

Sie lehnte ihren Kopf zurück und sah zu ihm auf. Er blickte auf sie herunter, erforschte vorsichtig ihr Gesicht, sein Gesichtsausdruck zurückhaltend. Er hatte sich rasiert und da war ein winziger Rest von Rasierschaum unter seinem Kinn. Sie hatte das Verlangen, ihn wegzulecken.  Statt dessen streckte sie ihre Hand aus und wischte ihn mit ihren Fingern weg.

Er lächelte plötzlich.

Sie lächelte zurück, ein wenig wehmütig...

Oh, warum zur Hölle nicht?

...und löste sich von ihm, gerade so weit, um ihn in ihr Schlafzimmer zurück geleiten zu können.

Sie zog ihre feuchten Sachen aus und kletterte nach ihm ins Bett. Er legte seine Arme um sie und sie kuschelten sich unter die Decke.

Ihre Hände glitten über seine Haut. Er war mager, dachte sie, als ihre Finger über seine Rippen wanderten. Wie war es ihm ergangen? Was hatte er gedacht, getan in den sechs Monaten, in denen sie getrennt waren?

Das fragte sie sich.

Seine Hände waren auch beschäftigt, glitten über ihren Rücken und legten sich um ihren nackten Po.

"Ich habe mich gefragt, woher Du diese Muskeln in Deinem Po hast," murmelte er.

Fünf Jahre vor Dir weglaufen.

"Nicht daß Dein Po nicht schon immer großartig war."

Oh?

"Aber jetzt...? Er ist klasse."

Sie belohnte ihn mit einem Kuß auf seine Brustwarze.

Er zeichnete leicht die Linie ihrer Wirbelsäule hinauf zu ihrem Nacken nach und zog dann den Gummi ab, der ihre Haare zusammenhielt. Mit seinen Fingern durchkämmte er ihr Haar und legte es sorgfältig über ihre Schultern.

"Es war gar nicht so seltsam, wie ich dachte."

"Was? Wir?"

"Wir. Zusammen im Bett."

"Du hast darüber nachgedacht?"

"Vielleicht. Hast Du?"

"Vielleicht."

"Du hast gedacht, es würde seltsam sein?"

"Das ist nicht das richtige Wort."

"Ich weiß, was Du meinst."

"Tust Du das?"

"Yeah."

Sie sah ihm zu, als er sanft ihr Haar glattstrich.

Mit ihm zu schlafen war einfach. Aber... sie konnte es in seinen Augen sehen, die Art, wie er seinen Mund hielt, da waren noch andere Dinge in seinem Kopf. Dinge, von denen sie nicht dachte, daß sie wieder hineingezogen werden wollte.

Seine Hand glitt zu ihrer Brust und sie unterdrückte einen Seufzer.

"Scully?"

Sie lag auf seiner Brust.

Haut an Haut. Eingehüllt in sonnengelbe Baumwollaken. Mit richtigem spätmorgentlichem Sonnenschein, der über das Bett fiel.

Vielleicht würde er heute nicht mehr nach Washington zurückkehren.

Eine Strähne ihres Haares fiel über seine Lippen und sie nahm sie zwischen die Finger und neckte seine Lippen mit ihren Haarspitzen. Er öffnete seinen Mund und schnappte danach, schmeckte es mit seiner Zunge.

Es gab nur eine Sache, die besser war als phantastisches Leinen im Bett, dachte sie träge und das war phantastisches Leinen mit einem Mann darin.

Diesen Mann, um genau zu sein.

Ihre Entschlossenheit von ihrem frühmorgentlichen Trip an den Strand war...  für den Moment... vergessen.

"Scully?"

"Mmmm?"

"Kann ich Dich etwas fragen?"

"Mmm-hmmm."

Sie wartete und zeichnete die Muskeln an seinem Hals mit einem Finger nach.

"Denkst Du noch an sie?" fragte er.

Sie.

Sie hob ihren Kopf, damit sie sein Gesicht besser sehen konnte. Er sah hinüber zu ihrer Kommode... den Fotos ihrer Familie, Melissa, Matthew, Queequeg... sogar eins von ihm...

Er meinte das kleine Bild von Emily. Sie empfand eine Mischung aus Erleichterung und Traurigkeit.

Dachte sie an sie? Nur zwanzig Mal am Tag.

Sie schaute zurück auf seinen Hals, senkte ihr Kinn, ohne in seine Augen zu sehen.

"Ja, Mulder. Ich denke an sie."

Er war eine Weile still, während seine Hände langsam über ihren Rücken glitten und sanft über ihre Haut strichen, als würde er eine Katze beruhigen.

"Fragst Du Dich manchmal, ob sie die einzige war?"

Als könnte sie so seine Frage ausschließen, schloß sie ihre Augen. Sie wollte sich das nicht fragen.

"Warum?" wollte sie schließlich wissen.

"Was wäre... was wäre, wenn da noch ein anderes Kind wäre?"

"Mulder, wir... ich habe noch keine Antworten, was Emily angeht."

Er streckte seine Hand aus, um einen Finger über ihre Stirn gleiten zu lassen, zeichnete ihre Augenbrauen und dann ihre Nase nach.

"Aber - angenommen - da wäre ein anderes - würdest Du es nicht wissen wollen?"

Sie brauchte eine lange Zeit, um zu antworten.

Schließlich schüttelte sie ihren Kopf.

"Ich hätte Angst davor, wenn da ein anderes Kind wäre," sagte sie langsam.

"Ich glaube nicht, daß ich das alles noch einmal durchmachen könnte.  Besonders..." Sie brach ab und schüttelte stumm ihren Kopf, ihre Augen flossen über vor Tränen.

"Oh, Scuhlee. Immer noch?"

Natürlich immer noch.

Sie nickte. Eine Träne fiel auf sein Kinn. Er lächelte sie traurig und betroffen an.

"Ich wollte Dich nicht zum Weinen bringen. Das bringt mich auch zum Weinen." Er versuchte, die Tränen mit seinem Daumen fortzuwischen. Dadurch weinte sie noch mehr.

Sie zog ihre Lippe in den Mund und biß darauf.

Plötzlich wurde sein Gesichtsausdruck ernst und er schob seine Hände in ihre Haare und hielt ihren Kopf dicht vor seinem.

"Ich vermisse Dich."

Sie nickte ein wenig zwischen seinen Händen. Die Tränen tropften weiter auf ihn und nun fing auch noch ihre Nase an zu laufen und auf ihn zu tropfen.

"Los Angeles ist weit weg."

Er würde sie bitten, zurückzukommen. Und sie würde nein sagen.

Nein-nein-nein-

Sie sah in seine Augen, die ebenfalls ein wenig feucht waren.

"Du bist glücklich hier."

Es war keine Frage, aber sie nickte ein ganz klein wenig.

"Ich kann es sehen und ich bin froh darüber." Er nickte schwach.

Oh.

"Ich bin froh darüber," wiederholte er, beinahe zu sich selbst, und sah von ihr weg zurück zu den Fotos.

Sie senkte ihren Kopf und lehnte ihn gegen seinen Hals und sah ebenfalls zu den Fotos hin. Eines davon zeigte ihn lachend...

Sanft streichelte er ihr Haar.

Sie lagen lange Zeit schweigend da.

"Ich gehe zurück nach Singapore Ende nächsten Monats."

Dann kannst Du vielleicht für einen Quicky vorbeischauen? Sie war erschrocken über den plötzlichen Anflug von Zorn, der sie befiel. Warum ärgerte sie die Idee so sehr?

"Singapore? Warum? Ein Fall?" fragte sie und versuchte, sich von ihm loszumachen. Er hielt sie an den Schultern fest und würde sie nicht loslassen, sein Körper spannte sich plötzlich unter ihren Händen.

"Es ist kein Fall... nicht direkt. Eine Spur. Die ich verfolge..." sagte er langsam. "... seit Monaten."

"Was für eine Spur?"

"Ich..." Er brach ab. Zu ihrer Überraschung schob er sie sanft beiseite und stieg aus dem Bett. Er ging hinüber zum Fenster und sah hinunter zum Strand. Daß jeder, der am Strand war und zu ihrem Fenster hinaufsah, einen vollkommen nackten Mulder sah, schien er nicht wahrzunehmen.

Er drehte sich um und betrachtete sie für einen langen Moment.

"Komm mit mir."

"Nach Singapore?"

Er nickte.

"Warum, Mulder? Was ist in Singapore?"

Er wandte sich ab und sah wieder aus dem Fenster.

"Ich brauche Deine Hilfe."

"Sag mir, worum es geht."

Er schüttelte den Kopf und sah immer noch hinaus auf den Strand.

"Ich brauche Dich einfach dabei."

"Mulder? Ein - was ist es? - 24-Stunden-Flug ohne jegliche Erklärung? Für etwas, daß ‚nicht unbedingt' ein Fall ist? Was kannst Du mir nicht sagen?"

Er drehte sich um und sah sie an. Seine Augen waren grün, melancholisch und flehend.

"Ich nehme nicht an ‚Ich brauche Dich" ist gut genug."

Das ist nicht fair, Mulder. Nicht fair.

Vertraue mir, flehten seine Augen. Bitte.

"Mulder..."

Singapore. Gott. Nein.

Bitte, Scully, seine Augen... bettelten jetzt. Bitte.

"O-kay..." sagte sie.

Mist. Sie drehte sich um, um dem Anblick dieser Augen zu entrinnen. Dies war wahnsinnig. Sie war wahnsinnig.

"In einem Monat?" Schließlich sah sie auf ihren Kalender. "Das würde um den vierten sein? Wie lange wird es dauern, Mulder? Ich kann ein paar Tage freinehmen. Für ein langes Wochenende."

"Das sollte ausreichen." Er nickte befriedigt. "Gut."

Er begann, sich umzusehen, vermutlich nach seinen Sachen.

"Scully? Kann ich Dein Telefon benutzen, um die Fluggesellschaft anzurufen?"

Und nun war er gegangen.

Oh, verdammt.

 

 

 

 

Teil 6

Singapore Airlines

Irgendwo über dem Pazifik

2.         Juli

 

 

Mürrisch starrte sie auf die Worte auf der Seite ihres Buches.

Das Grundstück des altersschwachen Hauses war tadellos,' las sie wohl zum vierhundertsten Mal.

Sie hatte wochenlang nichts von ihm gehört. Schließlich entschied sie, wenn er anrief, würde sie nicht mitgehen.

Sie begann zu glauben, die ganze Nacht wäre pure Einbildung gewesen, bis er wieder vor ihrer Tür stand, die Tickets in der Hand. Und er sah... viel eleganter aus und...

Sie seufzte.

...sexier als üblich. Teurer Anzug, teurer Haarschnitt, teures Eau de Cologne.

Alles für sie.

Oder so, hatte sie gedacht. Ihre Gefühle wechselten wild von geschmeichelt zu verlegen zu freudig erregt zu verärgert. Nach zwei Stunden Tanz um die Frage, warum sie nach Singapore sollten, schlief er auf ihrer Couch ein.

Sie war sich immer noch nicht sicher, warum.

Er bat sie, mehr elegante als professionelle Kleidung einzupacken.

Elegantes für Hitze und Feuchte.

Sie kam seiner Bitte nach, ohne zu wissen, warum zur Hölle sie das tat.

Und keine Waffe, sagte er ihr.

Tatsache war, mit Mulder irgendwo hinzugehen ohne ihre Waffe, war ein bißchen nervenaufreibend.

Die ersten fünfzehn Stunden des Fluges von L. A. nach Taipei waren extrem langsam vergangen. Diese letzte Vier-Stunden-Strecke von Taipei nach Singapore war qualvoll.

Trotz der überraschend bequemen Sitze in der Business Class und dem durchgängigen Getränkeservice war sie verdammt steif, müde, schlechtgelaunt und ausgetrocknet.

Das Grundstück des alters...'

"Scuhlee?" Er setzte sich neben sie nieder.

Sie sah zu ihm auf.

"Ja, Mulder?"

Er zögerte, dann "Dana?"

Oh, Mist.

Sie steckte das Buch in die Sitztasche vor ihr und drehte sich zu ihm um.

"Was?"

Er streckte seine Hand aus und nahm ihre Hand zwischen seine, sein Blick war besorgt.

"Es gibt noch ein Baby."

"Was? Was für ein Baby, Mulder?"

Sie sah ihn verwirrt an. Worüber zum Teufel sprach er? Und warum zur Hölle glaubte er, es wäre so wichtig, daß er sie ansah, als würde er befürchten, sie würde schreien? Es sei denn...

Oh MIST.

"Du meinst doch nicht..."

Er nickte langsam.

"Oh nein. Mulder, nein. Woher weißt Du das?"

Das war nicht wirklich die Frage. Er würde es ihr nicht gesagt haben, wenn er nicht sicher wäre. Die Frage war, warum er es ihr nicht in dem Moment gesagt hatte, als er es wußte.

"DNA."

"DNA?"

Er nickte. Und erforschte ihr Gesicht, sein Blick war ängstlich.

Ein Baby. Oh Gott.

"Es ist noch ein Baby? Kein Kind? Woher hast Du seine DNA? Wie hast Du es gefunden?"

Die Fragen kamen schneller von ihr, als er sie beantworten konnte.

Er nickte wieder.

"Frohike."

"Ist es bei einer Familie? Wo ist es?"

Er drückte ihre Hand fest. "In Singapore."

Sie entzog ihre Finger seinem Griff.

"Singapore!? Wie um Himmels Willen? Warum hast Du mir nichts gesagt!?"

Er zuckte ein wenig zusammen, griff in die Innentasche seines Jacketts und holte einen Briefumschlag hervor. Er hielt ihn ihr hin und beobachtete sie.  Der Ausdruck in seinen Augen... so aufmerksam... so ängstlich... so...  flehend darum, daß sie ihm vergeben möge, weil er es ihr gesagt hatte - und daß sie ihm vergeben möge, weil er es ihr nicht gesagt hatte - beides gleichzeitig.

Verdammt, sie war so wütend auf ihn.

Mit unsicherer Hand griff sie nach dem Umschlag.

"Was ist das? Mulder, woher hast Du...? Wer hat es?"

In dem Umschlag war eines dieser Neugeborenenfotos. Ein kleines verschwommenes Bild von einem ein wenig erschrocken dreinblickenden Baby.  Blaue Augen... und ein kleines bißchen von etwas, das man für rotes Haar halten könnte.

Ihr Herz zog sich zusammen in einer Mischung aus Besorgnis und Entsetzen...  und Sehnsucht.

"Er nicht es, Scully, ist bei einem Babyhändler und ich stehe... in Verhandlungen, um ihn zu kaufen."

"Ein Babyhändler? Verhandlungen? Kaufen...? Mulder..." Gott, sie erkannte ihre eigene Stimme nicht wieder.

Er schwieg für einen Moment und beobachtete sie genau. "Dieses Foto ist alt. Er ist jetzt vier Monate alt. Ich habe nachgedacht... Magst Du den Namen Liam, Scully?"

Sie konnte ihren Blick nicht von dem kleinen Gesicht lösen. "Was!?" Sie fühlte die Frustration und die Verzweiflung und den Schock, die sie in San Diego überwältigt hatten, wieder zurückkehren. Oh Gott. Nein. Nicht noch einmal.

Sie starrte auf das Foto. "Ist er... ist er... in Ordnung?"

"Es geht ihm gut."

Sie hätte ein bißchen erleichtert sein sollen, aber alles was sie empfand, war fürchterliche Angst. Emily war es auch ‚gut' gegangen.

"Gut im Sinne von... gut?" Gott, sie war Ärztin. Warum fiel ihr kein besseres Wort als gut ein? Ihr Verstand suchte nach den richtigen wissenschaftlich exakten Fragen und fand doch keine.

"Er ist ein normales, gesundes Kind. Soweit ich weiß."

"Mulder." Ihre Stimme klang erstickt, ihr Hals war wie zugeschnürt. "Ich hätte das wissen müssen. Du hättest es mir sagen müssen."

"Ich habe es versucht, Scully." Er schüttelte den Kopf.

Sie sah ihn an und wußte, daß er den Schmerz und den Zorn, die sie empfand, in ihren Augen sehen konnte. Sie konnte es nicht verbergen. Denn sie war unglaublich sauer auf ihn. "Nein, Mulder. Dieses Mal hättest Du es mir sagen müssen."

Er drehte sich von ihr weg und beugte sich nach vorn, stützte seine Ellbogen auf die Knie und rieb sich müde über das Gesicht.

Sie sah noch einmal ungläubig auf das Foto in ihrer Hand.

Changi Airport

Singapore

 

 

Es war glühend heiß beim Zoll.

Nicht nur, daß sie erschöpft und steif vom Flugzeug war und sich miserabel fühlte, sie war nun wütend und hatte rasende Kopfschmerzen. Und sie hatte das bestimmte Gefühl, daß sie begann, alles andere als frisch zu riechen.

Tatsächlich stank sie wahrscheinlich.

"Die Pässe, bitte."

Mulder reichte zwei zur Kontrolle.

Sie erstarrte, ihre Hand tief in ihrer Tasche, die ihren eigenen Paß festhielt.

"Mr. George Hale und... Mrs. Isobel Hale?" las der Mann vor. "Zu welchem Zweck besuchen Sie Singapore?"

Sie legte den Paß zurück auf den Grund ihrer Tasche und zog ihre Hand ganz langsam heraus.

"Ferien," antwortete Mulder.

"Wie lange?"

"Vier Tage."

"Rückflugtickets?"

Mulder reichte sie ihm. Plötzlich fiel ihr auf, daß sie nie einen Blick auf die Tickets geworfen hatte. Mulder hatte alles am Counter in L. A.  erledigt. Die Tickets mußten auch auf den Namen Hale lauten.

"Irgend etwas anzumelden?"

"Nein."

"Mrs. Hale?"

Sie fühlte, wie ihr der Schweiß über den Rücken lief.

Sie placierte ein zuckersüßes Lächeln auf ihrem Gesicht und versuchte, unschuldig dreinzublicken.

"Nichts... Sir."

Der Mann sah sie von oben bis unten an, dann sah er auf ihre halboffene Tasche.

"Ich versuche nur gerade, meine Tylenol-Tabletten zu finden. Rasende Kopfschmerzen."

Der Mann hielt seine Hand hin und wartete auf die Tasche. Sie sah herab und entdeckte das Tablettenröhrchen. Sie holte es aus den Tiefen der Tasche und reichte es ihm.

Er öffnete es und betrachtete argwöhnisch den Inhalt.

"Es ist nur ein Schmerzmittel, Sir," sagte Mulder. "Meine Frau...

Kopfschmerzen... der Flug... verstehen Sie."

Der Zollbeamte schloß das Röhrchen wieder und gab es ihr zurück.

"Wasserspender sind dort drüben. Das sauberste Wasser in ganz Asien."

Er gab Mulder die Pässe und Tickets zurück.

"Genießen Sie Ihren Aufenthalt in Singapore."

 

"Mulder, das war unglaublich dumm," sagte sie zu ihm in dem heißen Taxi.

Er schenkte ihr einen bekümmerten, graugrünen Blick und dann ignorierte er sie.

Sie ignorierte ihn auch, drehte ihm ihren Rücken zu und starrte den ganzen Weg zum Hotel blind aus dem Fenster.

 

 

 

Teil 7

Raffles Hotel

Singapore

3.         Juli

 

 

Sie hob ihren Kopf von dem ungewohnten Kissen und stöhnte.

Gott, ihr tat alles weh.

Dank des aufgewühltesten Sex, den sie je in ihrem Leben hatte.

Vier Mal? Fünf Mal in einer Nacht? Ihre Beckenknochen mußten schwarz und blau sein.

Das ganze Bett roch nach... ihnen.

Behutsam setzte sie sich hin.

Mulder war nirgendwo zu sehen.

Sie leckte ihre Lippen.

Sie waren geschwollen.

Und schmeckten nach ihm.

 

 

Raffles Hotel

Singapore

18 Stunden vorher

2. Juli

 

 

Sie saßen in dem Taxi, wie es schien lange genug, um zurück nach Hause fliegen zu können, sie steckten im Stadtverkehr fest. Dann schließlich checkten sie im Hotel ein.

Das außergewöhnliche Raffles Hotel - dem geübten Geschwätz ihres Hotelpagen nach - war weltbekannt für seine im britischen Kolonialstil gehaltene Eleganz und die Tatsache, daß es der Lieblingsplatz für Schriftsteller und Berühmtheiten von Somerset Maugham und Rudyard Kipling bis Noel Coward und Alice Faye war.

Er brachte sie in eine Suite, die so groß war wie Mulders und ihr Apartment zusammen. Die knapp 4,50m hohe Decke machte die Räume luftig trotz der Feuchtigkeit und der dunklen alten Einrichtung.

Orientteppiche lagen auf den Teakholzfußböden und ein verblüffender Zugang führte auf eine palmenreiche Veranda. Aber alles, was sie in diesem Moment sah, war das riesige antike Bett.

Der Page starrte auf die fünf US-Dollar, die Mulder ihm gegeben hatte, als hätte er so etwas noch nie zuvor gesehen, aber der Geldschein verschwand schnell genug. "Danke, Mr. und Mrs. Hale," sagte er und glitt rückwärts zur Tür hinaus. "Genießen Sie Ihren Aufenthalt in Singapore." Die Tür schloß sich leise und sie waren allein.

Mr. und Mrs. George Hale.

Und ihr großes Bett.

Gut. Sie würden miteinander schlafen, nicht wahr? Vielleicht. Vielleicht nicht.

Und wenn nicht? Gut... egal. Es war auch groß genug dafür.

Mulder sagte nur ein Wort, "Dusche" und verschwand im Badezimmer.

Vielleicht würde ein Drink helfen, ihren Nacken und ihre Schultern zu entspannen. Sie schleuderte ihre Schuhe von sich und inspizierte die Minibar. Anscheinend bevorzugten Somerset und Noel Gin und Scotch. Die Bar war voll mit den kleinen Flaschen.

Während man in Singapore war... Gin wäre okay.

Sie machte für sie beide einen Drink. Nach dem Flug könnte er vielleicht auch einen gebrauchen.

Mit einem Seufzer entspannte sie sich auf dem Sofa und nippte an ihrem Drink.

Nach ein paar Minuten streckte sie ihre Beine auf dem Couchtisch vor ihr aus. Er schien ungewöhnlich lange zu duschen. Was sie wirklich brauchte, war ein großes Glas Wasser, aber sie war zu müde, um aufzustehen und sich eins zu holen. Sie trank ihr Glas leer und begann, sein Glas zu leeren.  Sollte er sich seinen verdammten Drink allein machen.

Sie musterte seine Tragetasche. Sie wollte das Foto des Babys noch einmal sehen, aber es war wahrscheinlich noch in seiner Tasche.

Die Tür zum Badezimmer ging auf und er kam heraus. Vollkommen angezogen.

Er sah wundervoll aus. Großartig. Sie fühlte sich, wie man sich eben nach 6000 Meilen in abgestandener Luft fühlte.

Und wo zum Teufel wollte er hin?

Er musterte ihre zwei Gläser ohne Kommentar, dann streckte er die Hand aus, um nach der Tür des Getränkekühlschranks zu greifen.

Sie bemerkte es auf einmal.

"Mulder, Du trägst ja einen Ehering."

"Habe ich Dir das nicht erzählt? Die ganze Zeit, die wir uns kennen, bin ich glücklich verheiratet in Singapore und habe fünf Kinder."

"Oh, richtig. Wie geht es der Familie, Mulder? Hast Du ihr erzählt, daß Du mit mir geschlafen hast?"

Gott, sie hörte sich an, wie ein zänkisches Weib. Und sie fühlte sich auch so.

Er sah sie eine Minute lang ruhig an. So als könnte er nicht ausmachen, unter welchem Fels sie hervorgekrochen kam.

Das war's. Sie ging, um auch zu duschen. Das Geheimnis des Eherings konnte warten.

Sie nahm ihren Drink und ihre Waschtasche und stand auf.

"Es ist der Ring meines Großvaters, Scully. Das ist der einzige Finger, auf dem er paßt. Ich habe ihn immer getragen." Er sah herab auf den Ring an seinem Finger. "Wußtest Du das nicht? Ein Ehering ist ein Magnet für Mädchen." Er bedachte sie mit einem halbherzigen anzüglichen Blick. "Da fühlen sie sich sicher."

"Hast Du sie damit festgenagelt?" Sie hielt an der Badezimmertür an und sah zu ihm zurück. Der Dampf von seiner Dusche legte sich auf ihre Haut.  Plötzlich war ihr warm, zu warm.

Seine Stimme schien sehr weit entfernt und sehr, sehr vage.

"Dann traf ich Dich."

Hatte er das gerade wirklich gesagt?

Er drehte sich weg von ihr und goß sich ein Glas Scotch ein. Unverdünnt.  Mit einer Hüfte lehnte er sich gegen die Kante der Konsole und nahm einen Schluck. Sie hatte das Gefühl, als betrachtete sie jemanden, den sie nie wirklich getroffen hatte, aus großer Entfernung.

"Und der Mädchenmagnet war nicht mehr nötig, Mulder?"

"Nein."

"Aber jetzt plötzlich..."

Er setzte abrupt seinen Drink ab, fummelte in seiner Tasche herum und holte etwas heraus. Es war eine kleine rote Samtschmuckdose.

Sie starrte darauf.

"Scully...? Komm her."

Sie drehte sich um und ging langsam zu ihm zurück. Es schien sehr lange zu dauern, die knapp fünf Meter zwischen ihnen auf dem exquisiten Perserteppich zu überwinden.

Er öffnete die kleine Schachtel und hielt sie ihr hin.

Darin war ein mit Perlen und Rubinen besetzter Ring, offensichtlich sehr alt, und ebenso offensichtlich paßte er zu der Kette, die er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.

Sie starrte ihn an. Alles was sie tun konnte, war ihren Mund zu öffnen und wieder zu schließen.

"Scully... heirate mich."

Sie sah ihm schockiert ins Gesicht. Er machte Witze, nicht wahr? Es mußte ein Witz sein.

"Du machst Witze."

Er sah sie einen Moment lang an, dann wurde sein Gesichtsausdruck vollkommen verschlossen. Er senkte seinen Kopf und sah auf den Ring herab.

"Natürlich mache ich Witze, Scully. Wir müssen vorgeben, verheiratet zu sein, um das Baby kaufen zu können."

Oh.

"Wir? Ich dachte, Du wärst derjenige, der das Baby kauft, Mulder. Was habe ich damit zu tun?"

Er sah sie ungläubig an. "Was Du damit zu tun hast?"

Sie sagte nichts, sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Niemals hatte sie sich so weit von ihm entfernt gefühlt in all der Zeit, in der sie zusammen waren.

Schließlich hob er seine Schulter an, es hätte ein Strecken sein können, aber auch ein Schulterzucken. "Wir sind ein reiches amerikanisches Ehepaar, das ein Baby kaufen möchte."

Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Drink. Zu sagen, Mulder hätte den Dreh raus, Dinge zu offenbaren, wäre eine Untertreibung.

"Wieviel kostet es?"

"Fünfzigtausend amerikanische Dollar."

"Fünfzigtausend!?" Sie hätte beinahe ihren Drink verschüttet. "Woher zum Teufel hast Du soviel Bargeld?"

"Es könnten auch hunderttausend werden, wenn es zu einem Preiskampf kommt.

Bei der letzten Auktion war es so."

"Ein Preiskampf! Die letzte Auktion?"

Gott, alles was sie tun konnte, war zu wiederholen, was er sagte.

Er zuckte mit den Schultern. Diesmal wirklich ein Schulterzucken. Sie haßte es, wenn er das tat.

"Ist er es nicht wert, Scully?"

"Mulder!? Um Gottes Willen! Geld bezahlen für ein Baby!"

"Wir können bis hundertzwanzigtausend gehen."

Sie starrte in ihr Glas. Irgendwie war es alle geworden. Und sie konnte sich nicht erinnern, vorher schon einmal von zwei Drinks betrunken gewesen zu sein, aber sie fühlte sich definitiv ein bißchen benebelt.

Einhundertundzwanzigtausend Dollar!?

Sie ließ sich schwer auf die Couch fallen.

"Mulder, auch wenn es nicht illegal ist, ein Baby zu kaufen, moralisch gesehen ist es falsch."

"Was sie Dir angetan haben, war moralisch falsch. Dein Baby zu kaufen, ist nicht annähernd so falsch."

"Und was zur Hölle sollte das mit den Pässen? Warum hast Du mir nichts davon gesagt?"

"Weil Du nein gesagt hättest."

"Du hast verdammt recht, ich hätte nein gesagt. Sie könnten uns dafür glatt ins Gefängnis stecken und den Schlüssel dazu wegwerfen! Mulder, wenn Du mir nur etwas gesagt hättest, dann hätte ich es arrangieren können, daß wir mit legalen Undercover-Pässen reisen..."

"Nein," unterbrach er sie. "Verstehst Du das nicht? Wir können das nicht über reguläre Kanäle machen. Niemand kennt uns hier. Niemand darf uns kennen."

"Aber rechtmäßig..."

"Nichts ist hier rechtmäßig, Scully! Warum machst Du Dir mehr Sorgen darüber, ob Du die Gesetze brichst als darüber, ob Du Liam zurückbekommst?!"

"Weil ich Bundesagentin bin, Mulder, weil Du Bundesagent bist. Bedeutet Dir das gar nichts mehr...?" Ihr Stimme verlor sich, als er sie nur ansah.  "Zurück?"

"Es waren Deine Eizellen," sagte er sanft, aber sein Unterton... er war frustriert. Gut, sie konnte nichts dagegen tun. Sie war auch frustriert.  "Und daß Du Bundesagentin bist, hat sie nicht daran gehindert, Dich zu entführen, Dich zu vergewaltigen und sie Dir zu nehmen. Er gehört Dir, Scully."

"Aber was ist, wenn..."

Sie sah ihn an. Alles war plötzlich so unwirklich. Mulder in seinem teuren Tropenanzug und mit seinem Ehering. Sie beide auf der falschen Seite des Planeten. Diese Hotelsuite mit ihren lackierten Möbeln und der exotischen Atmosphäre. Ein anderes Baby irgendwo da draußen. Das alles konnte doch nicht passieren, nicht wahr?

"Was wenn was?" forderte er.

"Aber wenn das Kind... was ist, wenn es krank ist, Mulder? Wie willst Du wissen, daß es nicht krank ist? Hattest Du irgendwie Zugang zu seinen medizinischen Berichten?"

"Er, Scully. Das Kind ist ein er. Und sein Name ist Liam. Ich habe ihn so genannt. Ich habe sein Gesundheitszeugnis. Alles scheint normal zu sein.  Aber selbst wenn er krank ist und wir bekommen ihn, dann werden wir damit klarkommen."

An der pulsierenden Vene an seinem Auge konnte sie sehen, daß Mulder sich nur schwer unter Kontrolle halten konnte.

Sie stand plötzlich auf, dann sah sie auf ihre Füße herab. Sie waren noch da.

Gut.

Sie begann, einen vor den anderen zu setzen und in Richtung Badezimmer zu gehen.

"Scully? Was zum Teufel ist bloß los mit Dir? Ich dachte, Du würdest...  wenn Du erst Bescheid wüßtest... dachte ich... Gott Scully, ich bin ihm über Monate gefolgt. Schon drei Monate, bevor er überhaupt geboren wurde.  Ich dachte, Du würdest..."

Sie wirbelte zu ihm herum. "Ich habe Dir gesagt, daß ich es nicht wissen will!" schrie sie ihn an.

Er sah sie vollkommen schockiert an.

Plötzlich hielt sie ihre Hand hoch. "Warte! Du sagtest ‚drei Monte, bevor er geboren wurde'. Shhh!" Sie hob ihre Hand höher. "Diskutiere nicht mit mir. Und jetzt ist es vier Monate alt oder so? Mulder, das hast Du gesagt.  Du wußtest... das... nachdem ich gegangen war? Oder davor."

Sie fühlte plötzlich Tränen ihren Hals zuschnüren. Sie brannten in ihrer Brust.

"Sag es mir. Jetzt. In dieser Minute."

Sie atmete schwer, ihr Haar klebte in ihrem Gesicht, ihre Sachen waren zerknautscht und rochen und sie wußte, daß sie wahrscheinlich hochrot war.  Aber in diesem Moment störte es sie nicht.

Sie haßte ihn.

Mulder bewegte sich unbehaglich. "Ich entdeckte ihn, als er noch ein Fetus war. Als wir in San Diego waren."

"Ein Fetus? In San Diego? Wie...?? Als wir bei Emily waren?" War das ihre Stimme? Warum klang sie wie die eines nörgelnden Kindes?

"Mit... Scully?"

Es war zu spät. Alles war zu spät. Sie verschloß ihren Mund mit ihren Händen und rannte zur Toilette. Sie schaffte es gerade noch, bevor sie alles, was sie im letzten Monat gegessen hatte, in die Toilette spuckte.  Und die beiden Gin Tonics.

"Scully? Scully?"

Er lehnte an der Badezimmertür und beobachtete sie entsetzt.

"Geh weg, Mulder."

Sie erbrach sich wieder. Und dann wieder. Und dann wieder. Gott, sie war dabei, ihre Eingeweide auszuspucken.

Er hatte irgendwie einen Fetus in San Diego gefunden und er hatte irgendwie herausgefunden, daß es ihrer war und er hatte verflixt nochmal kein Wort gesagt. Nicht ein verdammtes Wort.

Wie bei ihren Eizellen.

Tu mir das nicht an, Mulder. Tu das nicht.

Sie fiel neben dem Toilettenbecken auf ihre Knie.

Zu spät, er hatte es bereits getan.

Sie wollte auf den kalten Bodenfliesen zusammenbrechen, ihre Augen schließen und im Vergessen versinken. Statt dessen erhob sie sich langsam auf ihre Füße. Sie ging zum Waschbecken und nahm Wasser in den Mund, um sich den entsetzlichen Gallegeschmack aus dem Mund zu spülen. Dann hob sie ihren Kopf und besah sich im Spiegel.

Mist. Sie sah fürchterlich aus.

Sie ging zur Dusche, drehte den Wasserhahn auf und begann, ihre Sachen auszuziehen.

Mulder stand immer noch an der Tür wie ein begossener Pudel.

"Geh raus."

"Scully."

"Ich sagte, geh raus. Mir geht es gut," stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Ich will duschen. Wir können reden, wenn ich fertig bin."

Er ging und schloß leise die Tür hinter sich.

Sie stellte sich unter den heißen Wasserstrahl. Er traf ihre Schultern und sie neigte ihren Hals, so daß er ihren Kopf traf.

Gott, war sie wütend. Die Pässe. Das Geld. Der Fetus... ein Fetus, um Gottes Willen.

Die Eizellen.

Die Tatsache, daß er auf ihrer Couch geschlafen hatte.

Der Ring.

Sie wollte ihn nicht für sich. Oh nein. Aber der Gedanke, diesen Ring an der Hand einer anderen Frau zu sehen, machte sie wütend.

Und er paßte zu ihrer Kette.

Die, wie sie nun ahnte, ein Familienerbstück war. Eine andere Tatsache, die er versäumt hatte zu erwähnen. Sie hatte gewußt, daß sie sehr alt und schön war, aber...

Verdammt. Verdammt.

Ein anderes Kind. Ein kleines Baby...

Oh Gott.

Schließlich, nachdem sie Haut und Haare so heftig geschrubbt hatte, daß es ein Wunder war, daß noch etwas übrig war und sie überall zitterte, stieg sie aus der Dusche.

Sie atmete tief ein. Noch einmal. Und dann noch einmal. Sie wurde ruhiger.  Nicht viel, aber ruhiger. Sie konnte sich ihm stellen. Sie konnten es diskutieren, sie hatten fünf Jahre zusammengearbeitet. Sicher konnten sie darüber reden.

Sie zog sich einen der dicken hoteleigenen Frotteemäntel über, stieß die Badezimmertür auf und sah hinaus.

Mulder war gegangen.

Aber die Schmuckschachtel lag noch auf dem Tisch vor dem Sofa.

Sie ignorierte sie und hielt Ausschau nach dem Mantel, den er im Flugzeug getragen hatte. Sie durchsuchte die Taschen. Kein Foto. Verdammt. Sie ging zu seiner Reisetasche und durchsuchte sie auch. Keine Aktenordner, keine Papiere. Nichts. Auch nichts in seinem Koffer.

Sie sah zu der Schmuckschachtel hin, ging langsam hinüber, nahm sie in die Hand und öffnete sie. Der mit Perlen und Rubinen besetzte Ring war wunderschön. Sie hielt ihn ins Licht. Auf der Innenseite war eine Gravur.

‚I. Mo Ghradh L.'

Das mußte gälisch sein. Etwas schönes und tiefgründiges, das besagte, daß sie einander lieben würden, für immer...

Das mußten seine Großeltern sein.

Liam. Liam und ...?

Sie setzte den Ring auf.

Welcher Trottel würde sie im Spaß fragen, ob sie ihn heiraten würde?

Mulder.

Plötzliche Erschöpfung überwältigte sie. Sie warf den feuchten Bademantel auf die Erde und kroch ins Bett.

 

 

 

 

 

Teil 8

Sie lag auf dem Bauch, den Kopf unter dem Kissen, als er zurückkam.

"Bist Du in Ordnung, Scully?"

Sie wollte nicht mit ihm reden. Still lag sie da und gab vor, zu schlafen.

Er setzte sich neben sie aufs Bett und berührte ihre Schulter.

"Ich weiß, daß Du nicht schläfst. Komm schon. Mach die Augen auf."

Er streichelte ihre nackte Haut ganz leicht und sie erschauerte und rutschte tiefer unter das Kissen, von ihm fort.

"Ich hab Dir ein bißchen Brot und Fruchtsaft mitgebracht. Unten ist eine Bäckerei."

Sie drehte ihren Kopf und blitzte ihn wütend an. Er zeigte ihr das Brot, brach ein Stück ab und hielt es ihr verlockend hin.

Sie konnte es riechen.

Sie schob das Kissen weg, zog die Decke über ihre Brust und griff nach dem Brot. Er entdeckte den Ring an ihrem Finger. Seine Augen huschten über ihr Gesicht, aber bevor er ihr in die Augen sehen konnte, sah sie weg.

Schweigend aß sie das Brot, dann setzte sie sich auf. Sie war zu sauer auf ihn, um ihn anzusprechen, aber sie nickte in Richtung Saft und er öffnete ihn für sie und gab ihn ihr.

"Wie geht es Deinem Magen?"

Sie hob ihre Schultern in einem halben Achselzucken.

"Dana."

Oh, um Himmels Willen, was jetzt?

"Als ich nach L. A. kam, um Dich zu sehen, da hatte ich nicht geplant, daß wir... Ich meinte nicht..."

Oh, verdammt. Jetzt das.

"...daß wir..."

Sie biß ein Stück Brot ab und kaute, sah auf den Ring an seiner Hand und wartete auf das Unausweichliche.

"...ähm..." Seine Stimme versagte.

Die Laß-uns-Freunde-sein-Rede. Er war mit ihr um die halbe Welt geflogen, um ein Baby zu kaufen und um ihr zu sagen, daß er nicht mit ihr hatte schlafen wollen. Merkwürdig, nicht eines ihrer Szenarien hatte auch nur im entferntesten so geendet wie dieses.

Aber das war Mulder, nichts sollte sie überraschen.

"Es ist einfach... passiert," fuhr er fort, sie hörte ihn schwer schlucken.  "Und vielleicht hätte es nicht passieren sollen. Vielleicht war es nicht das, was hätte passieren sollen."

Sie konnte ihn aus ihren Augenwinkeln sehen, wie er sie ansah und wartete, daß sie irgend etwas sagen würde. Aber sie würde ihn nicht ansehen.

Hatte er erwartet, daß sie zustimmte?

Als sie nicht antwortete, streckte er seine Hand aus und berührte ihre Schulter. Sie versuchte, ihn abzuschütteln, aber er gab nicht nach und zeichnete die Linie ihrer nackten Schulter mit einem Finger nach.

"In all diesen Jahren ist es nie passiert. Wir haben es nie zugelassen. Und dann letzten Monat? Es hätte nicht passieren sollen. Es war..." seufzte er.  "Es war nicht das, was wir damals in unserem Leben brauchten."

Nicht das, was wir brauchten? dachte sie. Wann zum Teufel hast Du jemals gewußt, was ich brauche?

"Dir ging es gut. Ich glaube... Es scheint... Es ging Dir gut, seit Du gegangen warst. Richtig gut... Und dann wir... daß wir miteinander geschlafen haben... es wurde nur komplizierter... Sag etwas, Dana."

Sie stellte den Saft vorsichtig auf den Nachttisch, dann wischte sie die Krümel von der Decke.

"Seitdem ich gegangen war?" Ihre Stimme war ein wenig rauh, aber ziemlich fest. "Wer forderte von wem zu gehen?"

Er war für einen langen Augenblick still.

"Du warst diejenige, die gegangen ist," sagte er sehr, sehr leise.

Sie sah zu ihm auf und nickte langsam.

"Zum Teufel mit Dir, Mulder," sagte sie ruhig. Sehr ruhig. Zu ruhig.

Damit würde er nicht durchkommen.

"Der Sex ist eben passiert," fuhr sie fort. "Und es war nur Sex, und nicht einmal besonders guter... im Vergleich zu..." sie schloß plötzlich ihren Mund, kniff ihre Augen zusammen und beobachtete ihn.

"Im Vergleich zu was?!"

Er war vollkommen und total geschockt.

"Wie kannst Du das mit irgend etwas vergleichen? Das waren wir und es war großartig!"

Sie zuckte mit den Schultern.

Er starrte sie an, dann drehte er seinen Kopf weg und sah auf seinen Finger, der plötzlich auf ihrem Arm gestoppt hatte.

Sie betrachtete sein abgewandtes Profil. Seine Unterlippe hielt er zwischen den Zähnen und er biß fest darauf. Er schloß seine Augen für einen Moment.  Dann öffnete er sie und sah auf seinen Finger. Sehr, sehr langsam begann er, ihn wieder zu bewegen, bedächtig ließ er ihn über ihren Unterarm gleiten, liebkoste sanft die weiche Linie ihrer Haut. Sie spannte den Arm an und versuchte, nicht zu zittern.

Sie beobachteten beide seinen Finger, wie er langsam an ihrem Arm zu ihrem Handgelenk herunterglitt.

Er erreichte die Innenseite ihres Handgelenks, hielt einen Moment an der empfindsamen Schwellung ihres Pulses inne, wanderte weiter zu ihrer Handfläche, strich über ihren Daumen und dann über jeden einzelnen Finger.

"Gut, wenn es nicht mehr für Dich war..." Er hatte seine Stimme nur schwer unter Kontrolle. Er war wütend.

Gut.

Er fuhr fort, "Ich denke nicht, daß es so eine gute Idee ist, es noch einmal zu tun. Es ist nicht mein Stil, hin und wieder mit jemandem für einen Quicky zusammenzukommen."

Er benutzte das Wort "Quicky" absichtlich, um sie zu verärgern. Sie konnte es an der leichten Rötung seiner Wangen sehen.

"Oh, wirklich?"

Seine Augen packten ihre. "Was zur Hölle meinst Du mit ‚wirklich', Scully?"

Aha, da wären wir also wieder bei Scully. Sie mußte beinahe lächeln.

Was als kleiner Ärger in seinen Augen gebrannt hatte, war schnell zu einem offenen Feuer geworden.

"Vergiß es, Mulder. Ja, wir haben gebumst. Ja, wir hatten einen One-Night-Stand? Na und?"

"Fünf Jahre und Du nennst es nur einen One-Night-Stand?" Seine Stimme klang, als würde er ersticken.

Sie zuckte mit den Schultern und setzte noch einen nach. "Es war nur Sex."

"Nur Sex," wiederholte er ungläubig. "Ein One-Night-Stand."

Sein Finger hatte den Ring erreicht und rieb leicht darüber, dann strich er über ihren Ringfinger. Sie beobachtete ihn, wie er über ihre Handfläche zurück zu ihrem Handgelenk wanderte. Er war wütend, sie war wütend, und sein Finger liebkoste ihre Hand, als wären die beiden nicht hier.

"Und da es nicht mehr als das war, hörst Du besser auf, mich zu berühren," sagte sie trocken.

Er sah herunter, als sein Finger über die Muskeln ihres Unterarmes strich.  Er hielt an, um die ein wenig kitzlige Armbeuge an ihrem Ellbogen leicht zu liebkosen und dann verstohlen seinen Weg auf der Innenseite ihres Oberarmes zu nehmen.

"Hör auf!"

Er ignorierte sie und fuhr fort, über ihren Arm und die empfindsame Kurve ihrer Achselhöhle über die weiche Haut dorthin zu streichen, wo die Decke ihre Brust bedeckte.

"Nimm Deine Hand weg!"

Er atmete tief ein. "Dana, ich..."

"Verdammt!" Sie schlug seine Hand weg und packte sein Handgelenk. Sie hielt es zwischen ihnen und grub ihre Fingernägel schmerzhaft in seine Haut.

Sie starrten einander an, sein Gesicht war gerötet, sein Atem ging stoßweise, seine Augen brannten in ihren. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals zuvor mit diesem Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen zu haben.

Seine Selbstsicherheit vollkommen zerstört.

Perfekt.

Sie riß plötzlich hart an seinem Handgelenk. "Dann komm hier rüber, Fox.

Kann ich Dich Fox nennen?"

Halb lehnte er sich herüber, halb fiel er über sie und sein "Nein!" wurde gedämpft durch ihre plötzlich unbedeckten Brüste. Er nahm sie in seine Hände, drückte sie hoch und zusammen und begann sie verzweifelt zu küssen.

Sie griff in sein Haar und zog seinen Mund hoch zu ihrem. Sie küßte ihn hart und er küßte sie hart zurück, sein Mund verlangend, glühend und nicht weniger wütend als ihrer.

Seine teuren Sachen vollkommen ignorierend begann sie, sie aufzureißen.  Seine Krawatte, sein Hemd. Sie zerrte heftig an seinem Gürtel, um ihn aufzumachen, dann riß sie seinen Hosenschlitz auf und griff in seine Boxershorts, um ihn herauszuholen. Er war beinahe hart wie ein Stein.

Ohne ihren Mund loszulassen, griff er nach der Decke und warf sie an das Fußende. Der Rest des Brotes flog mit ihr davon.

Verdammt sollst Du sein, verfluchte sie ihn schweigend, ihre Zunge strich wütend über seine.

Sie zerrte seine Hosen und seine Shorts fort. Verflucht sollen Deine Lügen sein, um mich zu schützen. Verflucht sollen Deine Geheimnisse und Deine verborgenen Pläne sein.

Warum konnten wir uns nicht fünf Jahre früher in der Cafeteria des Büros treffen. Uns verabreden und bis zur Besinnungslosigkeit miteinander schlafen, wie es normale Leute tun?

Er schob seine Hände in ihr Haar, packte es und hielt ihren Kopf still. Er preßte seinen Mund auf ihren und küßte sie hart. Irgend jemandes Zähne hatten irgend jemandes Lippe gespalten und sie schmeckte Blut. Vielleicht seines, vielleicht ihres.

Sie packte sein Gesäß mit beiden Händen, spreizte ihre Beine und er war an ihr, dann in ihr. Keine Vorreden. Kein Gerede über Kondome. Sie war ungeduldig und er war ungeduldig.

Gut.

Verdammt.

Er stieß tief in sie hinein, und dann wieder und wieder und wieder. Sie preßte ihre Hüften gegen seine. Hart, trotzig und wütend. Ihre Augen trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Er erforschte ihre. Was zum Teufel wollte er jetzt von ihr? Sie schloß ihre Augen und krachte gegen ihn. Sie wollte ausgefüllt sein, so gefüllt, daß sie zu voll war zum Denken, bis alles überlief.

Sie war nicht feucht - aber plötzlich war sie es und sie kam. Sie schrie seinen Namen und hoffte nur, daß die Wände des Raffles dick genug waren oder daß niemand nebenan war oder daß es normal war, Lustschreie am späten Nachmittag aus der Palmensuite zu hören oder... Und dann kümmerte es sie nicht mehr und sie schrie seinen Namen noch einmal.

Sie bäumte sich gegen ihn auf und zog ihre Muskeln um ihn zusammen, dann fühlte sie einen Erguß von Feuchtigkeit und sie explodierte. Aber er kam nicht. Er stieß in sie wieder und wieder. Für einen Moment war die Reibung zu stark und sie drückte ihre Zähne in die Muskeln an seinem Hals, um es auszuhalten. Und dann stieß er härter und härter in sie und dann kam sie noch einmal und stieß zurück.

Sie lagen da, schweigend, nackt, ohne sich zu berühren.

Nach alldem, was war da zu sagen?

Würden sie jemals wieder in der Lage sein, miteinander zu reden?

Sie fragte sich das und rollte von ihm weg und schlief im Nachmittagslicht ein, nur um geweckt zu werden von seinen Händen auf ihrem Rücken und seinen Zähnen in ihrer Schulter.

Nach dem zweiten, ebenso stürmischen Anfall, schaffte es Mulder, zu denken.

"Als Du gekommen bist, hast Du immer wieder Fox geschrien."

"Das habe ich nicht getan!"

"Hast Du doch. Denkst Du an mich als Fox?"

"Nein. Niemals."

 

Nach Einbruch der Abenddämmerung schalteten sie die Klimaanlage aus und öffneten die Fenster und Türen der duftschweren Nachtluft aus dem Hotelgarten.

Und dann Sekunden... Minuten... Tage... später fielen sie wieder übereinander her.

Dann schlichen sie jeder an das entgegengesetzte Ende der Hotelsuite, um ihre Wunden zu lecken.

Zur Abendbrotzeit... oder war es Frühstückszeit? L. A.-Zeit, bestellten sie sich etwas zu essen. Aber noch bevor sie das Essen beendet hatten, lag sie auf ihrem Rücken auf dem Perserteppich mit ihm auf ihr, in ihr, sein Mund ihren Hals verzehrend, ihre Brüste entflammend... sie zog ihn in sich hinein, als wenn sie, indem sie ihn mit ihrem Körper verschlang, seinen Verstand in sich aufnehmen und ihn schließlich verstehen könnte...

Danach lagen sie dort in der Dunkelheit, schwer atmend, mit rasenden Herzen, redeten weder miteinander, noch sahen sie einander an.

Sie fühlte seine Hand, die ihre berührte und dann herüberglitt, um ihre Finger miteinander zu verschränken. Als sie seinen Druck zart erwiderte, rollte er herum und preßte sein Gesicht an ihre Brüste. Sie strich ihm sanft übers Haar.

... und dann noch einmal in der Morgendämmerung...

Ja. Das machte fünfmal.

 

 

 

 

 

Teil 9

 

Raffles Hotel

Singapore

3.         Juli

 

 

Sie schwang ihre Beine aus dem Bett, setzte sich auf, streckte ihre Arme über den Kopf und krümmte ihren Rücken.

Autsch.

Wie spät es war, wußte sie nicht, aber es war bereits heiß. Sie schob ihre Haare aus dem Nacken. Ihre Haut war mit einem dünnen Schweißfilm bedeckt.  Sie schielte aus dem Fenster in die Sonne, späte, frühe, morgendliche...  vielleicht.

Sie schloß die Fenster und schaltete die Klimaanlage an, dann stolperte sie ins Badezimmer und drehte an dem altmodischen Wasserhahn in der Wanne.  Verflixt heißes Wasser schoß heraus und sie gab eine Handvoll Badesalz hinein. Dann ließ sie sich dankbar in das dampfende Wasser gleiten.

Wo war er hingegangen? Ihre Gedanken blieben kurz bei ihm hängen, dann rutschten sie ins Nichts, als sie sich entspannt nach hinten lehnte und das Wasser bis zu ihrem Kinn ansteigen ließ. Sie schloß ihre Augen und verfiel in einen Halbschlaf.

Schließlich fühlte sie sich wieder halbwegs menschlich, setzte sich auf und wusch sich mit dem duftenden Wasser. Dann stieg sie aus der Wanne und trocknete ihre heiße Haut kraftlos ab.

Nackt ging sie durch das Hotelzimmer und öffnete ihre Reisetasche. An der Seite entlang fahrend fand sie ihr gepolstertes Schmuckkästchen.

Sie holte die Kette hervor, die er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, und hielt sie neben den Ring. Zwei europäisch geschnittene Rubine. Sie paßten perfekt zusammen. Die Perlen rund herum, eingebettet in ihre antiken filigranen Goldfassungen, leuchteten in ihrem eigenen Licht.

Sie nahm die Kette an ihren Mund und rieb mit den Lippen darüber. Dann biß sie vorsichtig in die Perlen. Mutig. Selbstverständlich.

Sie drehte sich zu dem Spiegel über der Kommode und hielt die Kette an ihren Hals. Sie war wunderschön. Sie hatte sie ein paar Mal getragen, einmal zu einer Verabredung. Danach hatte sie sie in ihrem Schmuckkästchen gelassen.

Sie wußte nicht, warum sie sie mitgebrachte hatte...

Natürlich wußte sie es.

Mit einem Seufzer legte sie sie auf die Kommode und ging, um sich anzuziehen.

Luftig, aber elegant, dachte sie und zog das ärmellose pflaumenblaue Seidenhemd über ihren Kopf.

Weiße Haut, rotes Haar, rote Lippen, purpurrotes Kleid...

Alles was sie brauchte, waren eine lange Perlenkette und ein Zigarettenhalter. Sie wäre hier gerade richtig, um ein paar Singapore Slings mit Rudyard und Alice in der Expatriate Bar zu kippen.

Nach außen hin war nichts zu sehen von der wildesten Nacht ihres Lebens...  ausgenommen... sie legte eine Hand an ihre hochrote Wange und lehnte sich dichter zum Spiegel... ein leichtes Brennen von seinem Bart.

Vom Teppich war nichts zu sehen.

Sie sah sich in die Augen. Und sie tat wirklich ihr Bestes, nicht daran zu denken, daß sie heute versuchen würden, ein Baby zu kaufen.

Ihr Baby.

Sie wollte auch nicht an den kleinen Alkoven in ihrem Arbeitszimmer denken, der der perfekte Platz für eine Krippe wäre.

Als sich die Tür ihrer Suite öffnete, war sie in Gedanken versunken. Sie drehte sich nicht um, betrachtete ihn nur im Spiegel.

Khakishorts und weißes Poloshirt. Sie konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, als sie ihn in Shorts gesehen hatte. Sie sah auf seine Beine.  Lang, mager, braun, muskulös. Woher zum Teufel war er so braun?

Er hielt genau hinter ihr und sah ihr Spiegelbild an.

Seine Augen glitten langsam über sie von Kopf bis Fuß. Jeder Zentimeter ihrer Haut, den sein Blick liebkoste - ihr Gesicht, ihr Hals, ihre Arme - begann zu brennen.

Ihre Augen trafen sich im Spiegel.

Sie bemerkte, daß sie ihren Atem anhielt und atmete aus.

"Du siehst ganz wie ein amerikanischer Tourist aus, Mulder."

Er stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne.

"Scuh-lee." Seine Stimme klang heiser, als er ihren Namen sagte. Er räusperte sich. "Du siehst wirklich... umwerfend aus."

"Elegant genug für Dich, Mulder? Kühl, aber verrückt genug, um in Singapore ein Baby zu kaufen?"

"Ich habe gerade telefoniert. Wir treffen uns mit ihnen um zehn."

"Wer ist ‚ihnen'?"

"Madame Charlotta und ihre Bande Babyzüchter."

"Der Babyhändler ist eine Sie?"

"Die bösen Buben sind nicht immer Männer, Scully."

"Seit wann?" Sie hielt die Kette wieder an ihren Hals. "Zuviel?"

"Du hast sie mitgebracht."

Sie hatte sich das kurze Stocken in seiner Stimme nicht eingebildet. Diese Kette und der Ring bedeuteten ihm eine Menge.

Er streckte einen Finger aus und fuhr ganz leicht an der Goldkette an ihrem Hals entlang. Sie fühlte, wie ihre Brustwarzen hart wurden. Sein Blick fiel auf ihre Brüste, dann hob er ihn, um ihr im Spiegel in die Augen zu sehen.  Der Ausdruck in seinen Augen erschreckte sie und raubte ihr gleichzeitig den Atem.

"Machst Du sie mir zu?" brachte sie heraus.

Er hob das Haar von ihrem Nacken und schob es über ihre Schulter.

"Ich liebe..." sagte er, "... Dein Haar, wenn es so lang ist. Es läßt mich denken, daß Du Dich schließlich der dunklen Seite hingegeben hast."

Sie versuchte, ihre Schultern zu entspannen und hoffte, daß er nicht bemerkt hatte, wie sie bei dem Wort Liebe zurückgewichen war.

Sie konnte seine Finger an dem Verschluß arbeiten fühlen und betrachtete sein Gesicht, aber sie konnte den Ausdruck darin nicht interpretieren.

Die dunkle Seite... Ist es das, was Du glaubst, daß Du es von mir möchtest, Mulder?

Er senkte seinen Kopf und sie fühlte seine Lippen an ihrem Nacken. In einer langen Reihe von Küssen ließ er seinen Mund von ihrem Nacken zu der Kerbe an ihrem Hals wandern.

Und was wollte sie von ihm? Im Moment hatte sie keine Ahnung.

Sie krümmte ihren Hals und legte ihren Kopf zurück gegen ihn und seine Arme legten sich um sie, drückten ihren Rücken gegen seine Hüften. Ein Arm legte sich besitzergreifend über ihre Brüste, seine warme Handfläche legte sich um ihre Schulter.

"Ich habe unten gefrühstückt," murmelte er in ihr Ohr. "Ich dachte, Du hättest gern ein bißchen Raum für Dich."

"Ich habe ein Bad genommen," erwiderte sie und betrachtete ihn weiter im Spiegel.

"Ich habe geduscht. Aber ich kann Dich immer noch schmecken."

Sie sah ihn an, wie gelähmt durch das lüsterne Glimmen in seinen Augen und durch die Art, wie er sie hielt.

"Ich kann Dich noch fühlen," flüsterte sie.

Sie starrten ihre Spiegelbilder an.

"Nur Sex, Scully?" fragte er sanft.

Sie wandte ihren Kopf um, um in seine Augen zu sehen, nur wenige Zentimeter von ihren eigenen entfernt. So nahe konnte sie in ihre Tiefen blicken und plötzlich fühlte sie eine unerklärliche Scheu. Sie lächelte rätselhaft, um die unerwartete Empfindung zu verdecken und gab ihm kurz einen plötzlichen sanften Kuß auf den Mund.

"Zu schade, daß wir in einer Stunde da sein müssen," sagte sie.

Er gab ein zögerndes Lachen von sich. "Du bist unersättlich."

"Mmm-mm."

Er drückte sie noch einmal leicht und ließ dann widerstrebend seine Arme fallen.

Die Dinge hatten sich geändert. Die Regeln in ihrer Welt hatten sich total raffiniert geändert und sie war sich nicht sicher, ob sie wußte, was sie tat.

"Ich ziehe mich um," sagte er. "Wir treffen uns in zwanzig Minuten im Restaurant."

"Mulder?"

Er drehte sich zurück, "Was?"

"Hast Du, äh..." sie schluckte schwer. "...seine medizinischen Berichte?"

"Ich habe sie für Dich hier gelassen. Genau hier." Er nickte in Richtung eines Umschlags auf dem Tisch. "Hast Du sie Dir noch nicht angesehen?"

"Hab sie nicht gesehen. Danke." Sie griff nach der Akte und ging zur Tür, während sie in dem Umschlag nach dem kleineren mit dem Bild darin suchte.  Er war nicht drin.

"Hier." Mulder war neben ihr und hielt ihr den anderen Umschlag hin. "Du hättest mich nur fragen brauchen."

Sie schenkte ihm ein zögerndes Lächeln und entschwand durch die Tür.

Im Restaurant überflog sie die medizinischen Berichte. Das kleine Babyfoto lehnt an der Blumenvase in der Mitte des Tisches. Ihre Augen wanderten immer wieder zu dem Foto zurück.

Erleichtert sah sie, daß auf dem DNA-Test der Name eines unabhängigen Testlabors in Maryland stand. Sie studierte die Seite sorgfältig und ihre Augen wanderten wieder zu dem Foto zurück.

Liam.

Plötzlich ließ sie etwas aufblicken. Da war Mulder, der sie quer durch das Restaurant ansah. Ihre Augen trafen sich und er ließ ihren Blick nicht los auf seinem Weg durch die Tischreihen.

Einen Moment hielt er hinter ihrem Stuhl inne, dann beugte er sich herunter und drückte seine Lippen auf die entblößte Haut an ihrer Schulter und schickte damit Schauer durch ihren Körper bis zu ihren Zehenspitzen.

"Alle sehen Dich an," sagte er. "Du bist wunderschön."

Erneut erschauerte sie.

Sie beobachtete ihn, als er einen Stuhl herauszog und sich hineinfallen ließ. Er trug einen maßgeschneiderten Sommeranzug und sah selbst sehr gut aus. In der Tat zum Vernaschen gut, überlegte sie trocken. Sie ließ ihren Blick über ihn gleiten, katalogisierte seine Gesichtszüge bis es ihr bewußt wurde.

Gott, was war nur los mit ihr? Jedes Mal, wenn er ihr nahe kam, begann ihr Körper überall zu kribbeln. Zwischen ihnen hatte es immer so etwas wie eine elektrische Ladung gegeben, aber nun war die Spannung in die Höhe geschossen. Sie konnte ihre Brüste anschwellen und die Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen spüren. Zusätzlich fühlte sie eine seltsame Scheu. Um Himmelswillen, sie war eine erwachsene Frau und sie war Ärztin, kein verliebtes Schulmädchen.

Dies war... lächerlich.

"Mulder."

"Was?"

"Du wirst mir alles erzählen, was Du darüber weißt," sagte sie zu ihm, ihr Ton bewußt geschäftsmäßig. Sie klopfte auf die Papiere vor ihr. "Alles."

Er leckte sich über die Lippen, dann sah er sie an und nickte ein wenig.

"Kaffee?" fragte der Kellner, die unbemerkt neben ihrem Tisch aufgetaucht war.

Sie sahen beide schweigend zu, als der Kellner Mulders Tasse mit der dunklen duftenden Flüssigkeit füllte, ihr nachgoß und dann verschwand.

"Okay. Das Baby. Wo zum Teufel hast Du ihn als Fetus gesehen, Mulder, und wie?"

"Erinnerst Du Dich an die Privatklinik?"

"Wo Detective Kresge vergiftet wurde?"

Er runzelte die Stirn ein wenig, dann nickte er. "Das Baby war in einem Inkubator."

"Warum hast Du dann den Begriff Fetus benutzt, Mulder? Er hätte wie alt sein müssen? Sechs Monate? Vielleicht war er eine Frühgeburt?"

"Es war eine Art... Flüssigkeitsinkubator. Sie haben ihn irgendwie über seine Nabelschnur ernährt... denke ich."

Sie starrte ihn an.

"Eine Art künstlicher Gebärmutter? Gefüllt mit amniotischer Flüssigkeit?"

Der Ausdruck auf Mulders Gesicht wurde qualvoll. Er nickte.

"Was hat Dich veranlaßt, ihn mit mir in Verbindung zu bringen?"

"Da waren Identifizierungsunterlagen und äh... da stand Dein Name drauf."

Die Worte trafen sie mit der Kraft eines Windstoßes. "Und Du hast es mir nicht gesagt."

"Sculleee." Er seufzte erneut. "Nein. Ich habe es Dir nicht gesagt. Du warst... Du hattest genug durchzumachen mit..."

Emily.

"Irgendein anderer Name? Ein Vater?"

"Nein."

"Hast Du die Berichte mitgenommen?"

Er schüttelte den Kopf. "Nein."

Sie atmete tief ein.

"Waren da noch andere?"

Er bewegte sich unbehaglich auf seinem Sitz. "Ich... ich bin mir nicht sicher."

"Du bist Dir nicht sicher?"

"Die Patientinnen - ältere Frauen - in der Privatklinik bekamen Schwangerschaftshormone. Progesterone. Östrogene. Und sie wurden auch irgendwie als Inkubator benutzt... um diese Babys auszutragen. Nun ja, ich denke, da könnten andere gewesen sein, aber nein, ich habe keine gesehen."

Sie schauderte, kreuzte ihre Arme vor ihrer Brust und rieb sich über die Gänsehaut an ihren Oberarmen. "Und wie konnten sie ihre Operation hierher verlegen? Um Gottes Willen, Mulder, selbst Kaugummi ist hier verboten. Aber ein internationaler Schwarzmarkt für Babys?"

"Es scheint so, als hätten sie sich plötzlich entschieden, einen Ort zu finden mit jungen gesunden Frauen, die mehr als willig sind, die Babys vollständig auszutragen. Dann werden die Babys, so weit ich sagen kann, in amerikanische Familien gegeben."

"Gegeben? Verkauft meinst Du wohl, Mulder. Aber aus welchem Grund?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht warum... nach... alledem... finde ich es schwer, es zu glauben."

"Was glaubst du, wo die Berühmtheiten all diese wunderschönen weißen Babys herhaben, die sie ständig adoptieren? Madame Fernandez ist ein geläufiger Name in bestimmten Kreisen. Sie fanden einen etablierten Babyhandel und schlossen sich dem an. Dann, vermute ich, werden die Babys irgendwie verfolgt."

"Aber nicht... Liam."

Er lächelte sie an, seine Augen applaudierten ihr sanft dazu, daß sie seinen Namen benutzt hatte.

"Nicht Liam. Er wird verschwinden und sie werden niemals erfahren, was mit ihm passiert ist." Er sah nachdenklich aus. "Sofort als wir wußten, wo er war, das ungefähre Geburtsdatum..."

"Wir?"

Mulder setzte sich gerader hin und trank einen Schluck Kaffee. "Frohike.

Wir schulden ihm etwas dafür, Scully."

Sie biß sich auf die Lippe.

Er sah sie an. Wieder mit diesem gequälten Blick.

"Woher hast Du die DNA-Tests?"

"Für soviel Geld sollten sie dabei sein, oder? Genetische Tests sind eine Voraussetzung. Sie stellen sie zur Verfügung."

"Aber..." Sie blätterte die Papiere vor ihr durch auf der Suche nach den Laborergebnissen. "Aber Du hast Dich nicht auf ihre Tests verlassen."

"Natürlich nicht. Ich habe meine eigenen Tests machen lassen."

"Woher wußtest Du, daß es sein Blut war?" protestierte sie. "Sie hätten es austauschen können..."

Er sah sie mit einem leicht mitleidigen Ausdruck an, dann streckte er seine Hand nach ihrer aus und streichelte ihre Finger. "Er ist Dein Sohn, Scully.  Glaubst Du wirklich, ich habe Dich den ganzen Weg hierher gebracht - und lasse Dich das alles hier durchmachen - ohne daß ich mir absolut sicher bin?"

Ihre Augen kribbelten und sie schloß sie für eine Sekunde fest.

"Scully?"

Sie öffnete ihre Augen und sah ihn an.

"Ich stand daneben, als sie ihm das Blut abgenommen haben," sagte er. "Sie gaben mir die Phiole."

Sie starrte ihn an. Plötzlich fühlte sie sämtliche Haare an ihrem Körper zu Berge stehen.

"Du hast ihn gesehen?"

Ein leichtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, er nickte.

"Mulder..." flüsterte sie.

"Warte, bis Du ihn siehst, Scully," sagte er sanft.

Sie sahen sich an. Sie fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Oh Gott.

Seine Finger legten sich fester um ihre.

Plötzlich erinnerte sie sich. "Du hast sie gesehen, wie sie das Blut abnahmen, Mulder?"

Er nickte.

"Und als sie in die Haut stachen? Nichts...?"

Er schüttelte den Kopf.

Sie schloß ihre Augen erneut fest. Gott sei Dank.

Sogar mit geschlossenen Augen wußte sie, daß er sie beobachtete.

Und sie wußte, als er damit aufhörte. Sie öffnete ihre Augen.

Er sah auf die Uhr. "Wir müssen gehen. Bist Du bereit?"

"Mulder, warte. Ist da noch etwas, was Du mir nicht gesagt hast?"

Er sah sie einen Moment lang an, sein Gesichtsausdruck vollkommen ernst, dann schüttelte er den Kopf.

Sie musterte ihn. Da war noch etwas, aber er wollte es ihr jetzt nicht sagen. Das mußte jetzt warten.

Sie nickte, drückte seine Hand und stand auf. Dabei griff sie nach den medizinischen Berichten. Sie war bereit.

So bereit, wie sie immer war.

 

 

 

 

 

Teil 10

 

Golden Village

Singapore

 

 

Die Adresse befand sich in einem schönen alten Stadtteil. Eingezäunte Grundstücke mit Toren, nur hin und wieder einen flüchtigen Einblick gewährend durch das Grün der Natur auf das Geld, das sich hinter den Zäunen befinden mußte.

Als Mulder vor dem Tor eines großen reizenden alten Hauses hielt, drehte er sich zu ihr herum. Er lächelte gezwungen.

"Ab hier kann es gefährlich werden."

Sie sah ihn an und nickte. Sie konnte nichts sagen.

An der Tür stand ein schweigender weiß uniformierter Bediensteter und blickte scharf auf ihre Schuhe, bis sie erkannten, daß man erwartete, daß sie sie auszogen. Sie wurden durch abgedunkelte Räume mit hohen Decken zu einer abgeschirmten Veranda geführt. Der Bedienstete begleitete sie, dann verschwand er.

Sie konnte die Spannung in Mulders Fingern auf ihrem Rücken fühlen.

Eine Frau saß auf einer schattigen Couch, einen großen weißen Hund zu ihren Füßen. Sie erhob sich anmutig, als sie sie sah.

"Mr. Hale, wie reizend, Sie wiederzusehen."

Sie kam nach vorn, um ihnen die Hände zu schütteln. Scully hoffte, daß ihre Hände nicht so kalt waren, wie sie sich anfühlten.

"Madame Charlotta, meine Frau Isobel," sagte Mulder. Die stolze Note in seiner Stimme erfüllte ihr Blut mit Wärme.

"Mrs. Hale, wie entzückend, Sie endlich zu treffen. Ihr Mann hat mir so viel von Ihnen erzählt."

"Hallo."

Selten konnte sie auf Frauen herabblicken, besonders wenn sie keine Schuhe trug, aber Madame Charlotta war noch ein paar Zentimeter kleiner als sie.  Klein und schön hatte sie die makellose goldene Gesichtsfarbe des Ostens.  Ihr glänzend schwarzes Haar war zu einem Knoten in ihrem Nacken gebunden und eine exotische Blume steckte über ihrem Ohr.

Ein langes fließendes Kleid aus goldschimmerndem Brokat vervollständigte ihr exotisches ostasiatisches Aussehen.

Der Eindruck war alles in allem recht entzückend, dachte Scully, aber irgendwie nicht ganz real. Und sie schien schrecklich jung, um schon einen eingeführten Namen im Babyhandelsgeschäft zu haben.

Sonderbarerweise entspannte sie sich durch diese Beobachtung.

Mit einer anmutigen Geste beider Hände überreichte ihr Madame Charlotta ihre Visitenkarte, die kunstvoll mit Blüten und nur ihrem Namen und einer internationalen Telefonnummer bedruckt war.

Scully bewunderte sie gebührend und steckte sie dann Mulder in die Tasche.

"Eine Erfrischung?" Bevor sie antworten konnten, klatschte die Frau in die Hände und ein Bediensteter rollte einen Wagen, beladen mit einem kleinen Festmahl, heran.

"Bitte, setzen Sie sich."

Sie nahmen Platz.

Der weiße Hund, der wie ein Schatten hinter der Frau hergelaufen war, ließ sich zwischen ihnen und seiner Herrin nieder, ohne sie jemals aus den Augen zu lassen.

Der Bedienstete servierte ihnen Tee.

"Wie geht es ihm?" fragte Mulder.

"Gut." Madame Charlotta lächelte. "Er ist wunderschön, wirklich wunderschön. Alle unsere Babys sind es. Sind Sie sicher, daß Sie kein Interesse daran haben, einige unserer anderen Babys zu sehen..."

"Nein," sagte Mulder ziemlich kurz. "Danke schön."

"Oh, natürlich," sagte Madame Charlotta und schenkte Scully ein süßes verschwörerisches Lächeln.

Zu süß, dachte Scully und placierte im Gegenzug ein zuckersüßes Lächeln auf ihr eigenes Gesicht.

"Ich verstehe, warum Sie an diesem einen interessiert sind, jetzt da ich das entzückende Haar Ihrer Frau gesehen habe," fuhr Madame Charlotta fort.  Sie nahm einen Aktendeckel von der Bank neben sich und zog ein 9x13-Foto hervor. "Wir haben im Moment nur das eine rothaarige Baby."

"Haben Sie schon einen Namen ausgesucht?" fragte sie und reichte Scully das Foto.

Scully sah nach unten.

Ein kleines ernstes Engelsgesicht sah sie an. Er war älter auf diesem Foto.  Sein Haar war eindeutig rot und seine Augen blau. Er war pausbäckig und gut entwickelt und...

Wunderschön...

Ihr Herz schlug heftig gegen ihre Rippen und ihre Kehle verengte sich.

Sie hörte Mulders Stimme kaum im Hintergrund. Nein, sagte er, noch kein Name, irgend etwas von noch nicht entscheiden wollen, bevor alles geklärt wäre. Und Madame Charlottas entzückende flüssige Stimme, die erwiderte natürlich, natürlich. Was halten Sie von dem Baby, Mrs. Hale?

Seine Hand fand ihren Rücken und drückte sie beruhigend.

Sie starrte auf das Foto. Oh Gott...

"Mrs. Hale, Mrs. Hale?"

Scully sah erst auf, als sie ihren Namen zum dritten Mal rief.

"Äh..." Sie sah hilfesuchend zu Mulder.

Er schenkte ihr ein kleines ermutigendes Lächeln und streckte seine Hand nach dem Foto aus.

"Ich glaube, sie mag ihn," antwortete er für sie.

Sie sah zu, wie er das Foto nahm und darauf herabblickte. Seine Zähne gruben sich in seine Unterlippe.

Madame Charlotta sah sie zustimmend an.

"Das Gebot des anderen Paares steht bei 60.000, US-Dollar natürlich."

"Natürlich," sagte Mulder.

"Wir erhöhen die Gebote in fünftausender Schritten."

"Jetzt gleich?" fragte Scully, ihre Stimme klang schwach und sie räusperte sich.

"65.000," sagte Mulder, sein Blick immer noch auf dem Foto.

Madame Charlotta nickte. "Ich kann verstehen, Mrs. Hale, daß Ihr Mann dieses Baby unbedingt für Sie will."

Scully beobachtete Mulder, wie er auf das Foto starrte. Er hatte diesen Ausdruck auf seinem Gesicht, diesen, den er reserviert hatte nur für...

Oh Gott, Mulder. Was tun wir? Sie schluckte schwer.

"George," sagte sie. "George." Er sah nicht auf. "George!?" Dies verstand er. Er sah sie mit einem komischen sehnsüchtigen kleinen Lächeln an, das ihr Herz berührte und die Tränen in ihrer Kehle zum Überlaufen brachte.

"Madame Charlotta?" fragte sie und drehte sich zu der Frau um. "Würden Sie uns bitte für einen Moment entschuldigen?"

"Durchaus." Die Frau lächelte. "Warum gehen Sie nicht ein bißchen in den Garten. Entscheidungen wie diese sollten diskutiert werden."

Sie klatschte in die Hände und der Bedienstete brachte ihre Schuhe.

Scully stand auf und hielt Mulder ihre Hand hin. "Komm." Er nahm ihre Hand und stand ebenfalls auf.

Als sie hinausgingen, warf sie einen Blick über ihre Schulter. Madame Charlotta griff mit ihrer perfekt manikürten Hand nach dem Telefonhörer, einen berechnenden Ausdruck auf dem Gesicht. Plötzlich sah sie mehr als geeignet aus, wohlbekannt in Babyhandelskreisen zu sein.

Der Hund machte einen Laut tief in seiner Kehle. Madame Charlotta sah auf, plötzlich wieder das zuckersüße Lächeln im Gesicht. Scully schenkte ihr ein halbes Lächeln und entschwand mit Mulder über die Treppenstufen nach unten und ins Sonnenlicht.

"Bist Du in Ordnung?"

Sie nickte. "Mul..."

"Shhhh," sagte er sanft und legte einen Arm um ihre Schulter, um sie den Weg entlangzuführen. Die Mittagssonne brannte auf ihre Köpfe, während der überwältigende Geruch feuchter fruchtbarer Erde um sie herum aufstieg.  Palmen und überhängende Zweige kamen näher, schlossen sie plötzlich vom Rest der Welt ab. Der Ruf eines unsichtbaren Vogels brach die Stille und ein anderer antwortete. Bald erfüllte lautes Vogelgezwitscher die Luft.

Er zog sie in den Schatten. "Mynahs," sagte er.

"Was?"

"Mynahs. Davon gibt es hier mehr als Tauben."

"Wirklich?" Sie blickte sich vage um, sah aber nichts weiter als grüne Blätter und exotische Blüten, die sie im Moment nicht einmal annähernd bestimmen konnte. "Ich kann Dich nicht George nennen, wenn Du mir nicht antwortest," sagte sie leise.

Er nickte. "Tut mir leid."

"Da ist irgend etwas Verdächtiges an ihr," sagte sie. "Irgend etwas stimmt nicht."

"Ich habe dasselbe Empfinden. Schön aber tödlich. Vertrauen wir ihr? Auf keinen Fall. Ich glaube nicht, daß sie alle ihre Karten auf den Tisch gelegt hat, aber wir haben es auch nicht getan."

"Wissen wir denn, daß da wirklich ein anderes Paar ist? Sie könnte den Preis auch selbst in die Höhe treiben."

"Ich habe sie gesehen. Als ich das letzte Mal hier war."

"Du hast sie gesehen? Kennst Du ihren Namen? Hast Du irgend etwas über sie herausgefunden?"

"Sie sind das, was sie vorgeben zu sein. Ein reiches amerikanisches Ehepaar. Aus Seattle. Er ist in den Vierzigern, sie in den Dreißigern.  Keine Kinder. Fruchtbarkeitsbehandlungen."

"Fruchtbarkeitsbehandlungen?"

Er schüttelte den Kopf, als er ihren Gesichtsausdruck sah. "Keine Verbindung, soweit ich herausfinden konnte."

"Warum wollen sie dieses Baby, wenn Charlotta vermutlich eine ganze... Farm voller anderer hat?"

"Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich täte es."

"Mulder, das ist eine Menge Geld. Bist Du sicher, daß Du weißt, was Du tust?"

Er antwortete nicht.

Er sah wieder auf das Foto.

Dieser Ausdruck... Und wo zur Hölle hatte er so viel Geld her? Sie fürchtete sich davor, danach zu fragen. Aber wenigstens konnte sie versuchen, ihm einen Teil davon zu retten.

Als sie zurückkehrten, saß ein anderes Ehepaar bei Madame Charlotta.

"Das sind sie," flüsterte er ihr zu.

Die Frau hatte einen klasse Busen, großartige Haare, so unwahrscheinlich blond, und - Scully seufzte - lange Beine, die sie vorteilhaft zur Schau stellte durch ihren Minirock und die Art, wie sie dasaß. Sie ignorierte Scully und sah Mulder mit einem Blick an, der jeden anderen Mann zum Schmelzen gebracht hätte. Soweit Scully das einschätzen konnte, blieb Mulder jedoch unbeeindruckt.

Nichts desto trotz fühlte sie, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten.

Sie sah sich den Ehemann an. Er sah sehr gut aus, sehr reich und sehr gelangweilt. Ein Finger trommelte ungeduldig auf die Bank.

"Oh, gut," sagte Madame Charlotta, als sie sie sah. "Mr. und Mrs. Hale, Mr.  und Mrs. DaSilva."

Sie tauschten höfliches Gemurmel aus.

"Nun, wir sollten zum Geschäftlichen kommen. Die DaSilvas haben ihr Gebot auf 70.000 erhöht. Sind Sie immer noch interessiert?"

"75.000," sagte Mulder.

"80," säuselte Mrs. DaSilva, lehnte sich lässig in ihrem Sessel zurück und zeigte zwanglos noch mehr von sich.

Mulder öffnete gerade seinen Mund, als Scully ihre Fingernägel schmerzhaft in seinen Arm grub.

Er schloß seinen Mund.

"Wie alt genau ist das Kind, Madame?" fragte sie.

"Vier Monate."

Scully sah Mulder beschwörend an. "Bist Du sicher, daß wir kein jüngeres Baby haben wollen, George?"

Mulder verstand blitzartig. Er antwortete nicht, senkte nur seinen Kopf und sah sie an, dabei knabberte er an seiner Unterlippe.

"Du weißt, all diese ersten Male?" fragte sie ihn. "Das erste Lächeln, das erste Mal, daß er sich umdreht, der erste Zahn, das erste Mal, daß er nach einem Spielzeug greift..." verstummte sie und beobachtete aus den Augenwinkeln heraus Mrs. DaSilva, die genau zuhörte.

"Es liegt an Dir, Isobel," sagte Mulder.

Sie sah auf das Foto, das sie immer noch festhielt. "Natürlich, dieses hier hat meine Haare. Aber ein kleines blondes Baby wäre doch auch ganz entzückend, findest Du nicht auch?"

Dann herrschte Schweigen.

"Madame C.?" fragte Mrs. DaSilva plötzlich. "Haben sie ein blondes männliches Baby, erst einen Monat alt oder so?"

Madame Charlotta klatschte in die Hände und der Bedienstete erschien wieder. "Die Neugeborenenakte, bitte."

"Wie lange wird das dauern?" meldete sich plötzlich Mr. DaSilva. "Ich möchte hier so schnell wie möglich weg, sonst muß ich womöglich noch meine Reise nach London verschieben."

"Wir können auf dem Rückweg dorthin, Sugar," säuselte Mrs. DaSilva. Sie drehte sich zu Mulder um. "Ed ist immer so beschäftigt. Ich habe ewig gewartet, bis er mit mir hierher gekommen ist." Ihr Blick schien an Mulders Unterlippe hängengeblieben zu sein. Scully mußte sich davon abhalten, ihre Fingernägel erneut in seinen Arm zu drücken. Statt dessen legte sie eine Hand auf seinen Oberschenkel und ließ sie dort unbeweglich liegen. Ihre Fingerspitzen drückten ihn leicht.

Aus den Augenwinkeln heraus konnte sie sehen, daß Mulder schwer schluckte.

Der Bedienstete kam mit der Akte wieder. Madame Charlotta sah sie kurz durch und zog ein Foto heraus. "Grüne Augen oder blaue?"

"Grün," sagte Mrs. DaSilva.

"Blau," sagte Mulder. Er lehnte sich nahe zu Scully. "Wie kommt es, daß Du mich niemals Sugar nennst?" flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie unterdrückte ein Lächeln und drückte seinen Oberschenkel ein bißchen fester mit ihren Fingerspitzen. Sie mußte nicht den leisen Ton hören, den er beim Einatmen machte, um seine Reaktion zu kennen.

"Sie können es jetzt natürlich noch nicht sehen," sagte Charlotta. "Aber dieses hier wird blond. Und dieses hier."

Sie gab ein Foto an Mrs. DaSilva weiter und eines an Scully. Es war ein anderes kleines Neugeborenes mit zusammengekniffenen Augen und einer kleinen Spur Haare von undefinierbarer Farbe.

"Und hier sind ihre medizinischen Berichte."

Scully nahm den Bericht und studierte ihn genau. Allem Anschein nach war es ein gesundes Baby.

"Können wir Ihnen morgen Bescheid geben?" fragte Mrs. DaSilva.

"Rebecca, Du kannst Dich nie entscheiden. Biete einfach für dieses Baby und nimm es mit."

"Das ist nicht so, als würde man ein Auto kaufen, Ed. Und nebenbei, wir sparen dreißigtausend Dollar. Diese blonden Babys kosten fünfzig, richtig?"

Madame Charlotta nickte. "Sie halten immer noch das höchste Gebot für das erste Kind."

"Können wir unser letztes Gebot zurücknehmen?"

"Wenn Sie sich für eines der anderen beiden entscheiden. Ja."

"Gut, wir geben Ihnen Bescheid."

"Und Sie, Mr. und Mrs. Hale? Sind Sie noch an dem älteren Kind interessiert?"

"Wir lassen unser Gebot für ihn bei 75.000," sagte Scully. "Ich würde auch gern über die jüngeren Babys nachdenken."

Sie drehte sich zu Mulder und sah ihn an.

Er nickte langsam, seine Augen hielten mit ihren Rücksprache.

Gott. Es war so wichtig und er vertraute ihr vollkommen.

Bist Du sicher? fragten seine Augen.

Sie hoffte, das Richtige zu tun.

Ja. Sie schloß ihre Augen halb und wußte, daß er es als Bejahung erkennen würde. Dann nickte sie ganz leicht. Vertrau mir.

Er sah sie einen Moment lang an, dann nickte er auch ein wenig.

"Nun gut," sagte Madame Charlotta. "Morgen Mittag? Wir sehen uns dann."

Scully fühlte einen schmerzhaften Stich von Enttäuschung, als die Frau aufstand. Also würden sie Liam heute nicht sehen.

Sie seufzte. Das würden lange vierundzwanzig Stunden werden.

 

 

 

 

 

 

Teil 11

 

Sie waren jeder in seinen Gedanken verloren während der Rückfahrt ins Hotel. Vielleicht war es der Jetlag, vielleicht war es nur Erschöpfung, aber sie verspürte keine Lust zum Reden.

Zurück in ihrem Zimmer warf er sein Jackett über einen Sessel und streckte sich auf dem Bett aus. Er legte einen Arm über seine Augen und lag still da.

Sie wollte nicht schlafen, sondern sich über all das Klarheit verschaffen.

Sie wanderte hinaus auf die Veranda, lehnte sich gegen die Brüstung und sah in den Garten, der in der Mittagshitze vor sich hin dämmerte. Es war unglaublich heiß hier. Sie zerrte die schwere Seide weg, wo sie an ihrer Haut klebte. Ihr Kleid würde niemals wieder in Ordnung kommen, sie hatte die ganze Zeit, in der sie bei Charlotta waren, geschwitzt.

Diese Babys. So wunderschön, und noch...

Mulder konnte so optimistisch sein und nur das sehen, was er wollte. Er war so sicher, daß es Liam gut geht, daß es ihm weiterhin gut gehen würde.

Ihr Gehirn klickte durch hundert verschiedene Syndrome, die durch genetische Tests nicht erkannt wurden. Sie hatte ihn nicht angelogen. Sie konnte es nicht ertragen, dazustehen und zuzusehen, wie ein weiteres Kind starb, während sie ohnmächtig daneben stand und nicht helfen konnte.

Er verstand es nicht.

Er war da gewesen, Zeuge des qualvollen Endes von Emily, aber er hatte keine Vorstellung davon, wie es gewesen war, sie sterben zu sehen...  vollkommen hilflos.

Krankenhäuser, zu viele Krankenhäuser. Sie war in keinem mehr gewesen seit...

Plötzlich hatte sie die Vision von sich selbst im Krankenhaus, als sie ihrem Ende so nahe war und von Mulder, der sie beobachtete aus erschrockenen müden Augen und versuchte, sie zu beruhigen und davon zu überzeugen, daß alles wieder in Ordnung kommen würde... und dabei herumlief wie ein Verrückter und versuchte, ein Heilmittel zu finden.

Sie fühlte einen plötzlichen Kälteschauer über ihre Kopfhaut und dann ihren Rücken hinab laufen. Sie bekam eine Gänsehaut und rieb sich die Arme, trotz der schwülen Hitze zitternd.

Vielleicht verstand er es doch.

Ihre Hand griff nach der leichten Beule des Narbengewebes in ihrem Nacken.  Sie dachte wieder an all die anderen Frauen und wie sie die kleinen Phiolen mit ihren Implantaten hochhielten. Waren die Eizellen für die kleinen blonden Jungen von ihnen? Von Penny?

Alle tot.

Wenigstens sie war am Leben, um ihr Kind zu sehen...

Kinder...

Warum? Warum war von allen nur sie noch am Leben?

Mulder.

Sie hatte Mulder gehabt.

Als sie sich in diesem Frühjahr durch ihre Trennung quälte, konzentrierte sie sich auf die Gründe, warum es für sie besser war, weg von ihm zu sein.  Aber die Wahrheit war...

Sie hatte Mulder für so viele Dinge zu danken.

Und... nun hatte sie ihm dafür zu danken, daß er Liam gefunden hatte.

Sie ging langsam zurück nach drinnen.

Er senkte seinen Arm und sah sie an.

Sie setzte sich neben ihn, dann streckte sie die Hand aus und ließ einen Finger über seine Wange, die Stoppeln an seinem Bartansatz und dann über seine volle Unterlippe gleiten.

Er beobachtete sie schweigend, ohne sich zu bewegen.

Sie neigte ihren Kopf und erforschte sein Gesicht, als ihr Finger seine Wangen nachzeichnete... seine Haut... seine Wimpern... seine Nase...

Die DNA war schon eine unglaubliche Sache. Wie würde wohl ein kleiner Junge mit Mulders DNA aussehen? Der Gedanke machte sie traurig.

"Ich mußte es Dir sagen," sagte er schließlich.

Sie sah ihn nur an.

"Was hattest Du gemeint, als Du sagtest, Du willst es nicht wissen, Scully?"

Sie seufzte.

"Ich mußte es Dir doch sagen."

Sie sahen sich an. Schließlich nickte sie.

"Bist Du noch böse?"

Noch böse? Nein.

Sie schüttelte den Kopf.

"Scuh-lee," sagte er sanft und sah unheimlich erleichtert aus.

Und niemals, wenn er ihren Namen so sagte.

Er streckte seine Hand aus, um ihre zu nehmen und drückte ihr einen Kuß auf die Handfläche. "Ich muß Frohike eine e-mail schicken und ihm mitteilen, daß er das Geld telegrafisch anweisen soll bis Mitternacht D.C.-Zeit. Was möchtest Du dann tun? Etwas essen? Singapore ansehen?" fragte er.

Sie lächelte und zog eine Augenbraue hoch.

Er lachte und stöhnte, dann streckte er seine Hände aus und zog sie in seine Arme. Seine Arme legten sich um sie und hielten sie fest, zart und beruhigend, als sie ihre Hüften an seine anpaßte. "Ich glaube nicht. Ich habe mich von letzter Nacht noch nicht erholt." Er sah ihr einen Moment in die Augen, bevor er seinen Mund leicht über ihre Lippen strich. "Das muß irgendwie ein Rekord gewesen sein."

Es erregte ihren Körper, als sie sich auf ihm bewegte. Ihre Brüste kribbelten, als ihre Brustwarzen über seine Brust strichen und die schwache Entzündung zwischen ihren Schenkeln verwandelte sich plötzlich in das brennende Verlangen, ihn in sich zu haben.

"Das mag für Sie sprechen, Mr. Hale, aber nicht für mich."

"Yeah, richtig," sagte er und lachte wieder. Er umarmte sie und gab ihr einen weiteren längeren Kuß. Es war ein netter Kuß, süß, freundschaftlich, aber er schien nicht in die Richtung zu führen, die sie sich erhofft hatte.  Sie preßte ihre Hüften enger an ihn. Hmmm. Da regte sich gar nichts.

Sie seufzte. Sie war ein bißchen zu zielstrebig geworden.

Widerstrebend zog sie sich zurück und nibbelte ein letztes Mal sehnsüchtig an seiner Unterlippe.

"Was?" fragte er, als er ihren Gesichtsausdruck sah.

"Oh. Äh. Ich frage mich nur etwas wegen Charlotta," sagte sie. "Wo sind die Kinder? Sie waren nicht in dem Haus. Und ihre Mütter?"

Er zog plötzlich seine Schultern hoch.

"Was ist, Mulder?" Ihre Finger spürten die Verspannung in seinen Schultern

und massierten seine Muskeln

"Nur so etwas wie ein... deja vu." Er schüttelte seinen Kopf, wie um ihn freizubekommen. "Willst Du ihr folgen?"

"Laß uns Charlotta folgen," sagte sie genau in demselben Moment.

Sie lachte.

"Siehst Du? Wir sind dafür bestimmt, zusammenzusein." Er lächelte sie an.

"Mrs. Hale."

Sie erforschte sein Gesicht. Das hörte sich so an, als würde er eine Frage beantworten und sie hatte sie nicht gestellt. Jedenfalls nicht laut. Sie war sich nicht sicher, was sie in seinen Augen sah. Hoffnung vielleicht?  Daß sie etwas sagte? Sie fragte sich, was er in ihren Augen sah. Noch nie waren sie so dicht davor, über ihre Zukunft zu sprechen. Mit oder ohne Liam.

Zusammen. Wie?

"Ich gehe mich umziehen," war alles, was sie sagen konnte. Sie gab ihm einen schnellen entschuldigenden Kuß und erhob sich von ihm.

Er nickte nur ein wenig und sah traurig aus. Sie wandte sich ab von ihm und ging, um sich umzuziehen.

Was sie wirklich brauchte, war eine kalte Dusche.

 

 

 

 

Teil 12

 

Golden Village

Singapore

 

 

Sie parkten auf der Straße vor dem Haus, in dem sie Charlotta an diesem Morgen getroffen hatten. Scully konnte nur die Eingangstür durch den üppigen Hain von Bananen und Palmen sehen. Sie würden in der Lage sein, Charlotta zu sehen, wenn sie wegging.

Wenn sie wegging.

Scully gähnte, ein heftiges Gähnen, das ihre Kiefer knacken ließ. Sie hatte immer noch mit dem Jetlag zu kämpfen. Dasitzen, nichts tun, wenn auch nur für zwanzig Minuten in dieser tropischen Hitze... sie gähnte wieder... es fiel ihr schwer, die Augen offen zu halten.

Sie sah zu Mulder herüber. Er döste ebenfalls vor sich hin.

Ihre Einsatztechnik hatte definitiv gelitten.

"Mulder, ist sie das?"

Eine schlanke Person kam aus der Eingangstür, bekleidet mit weißen Jeans, einem roten T-Shirt, Sonnenbrille und Strohhut.

"Ist sie das?"

Mulder öffnete seine Augen und beobachtete, wie die Frau von der Eingangstür zu dem Landrover eilte, der an der Spitze der langgezogenen Auffahrt stand. Sie nahm etwas, das aussah wie eine Schachtel aus dem hinteren Teil, dann verschwand sie schnell wieder im Haus.

"Vielleicht." Er schloß seine Augen wieder.

Scully drehte sich um, nahm Liams medizinische Berichte aus ihrer Tasche und begann, zwischendurch immer wieder zum Haus blickend, jede Seite sorgfältig zu lesen, um zu prüfen, ob sie irgend etwas übersehen hatte.

Nichts.

Schließlich stopfte sie die Papiere frustriert zurück in ihre Tasche.

Mulder machte ein kleines Geräusch im Schlaf und bewegte seine Schultern unruhig hin und her. Sie beobachtete sein Gesicht eine Minute lang. Er sah müde aus, sogar im Schlaf.

"Mulder?" fragte sie sanft.

"Hmmm?"

"Werden wir ihn bekommen?"

Er öffnete kurz seine Augen und sah sie so intensiv an, daß sie glaubte, er hätte vielleicht gar nicht geschlafen.

"Ja."

Er schloß seine Augen wieder.

Scully konnte nichts dafür, aber sie fühlte sich erleichtert durch die Bestimmtheit in seinem Ton.

Mulder öffnete seine Augen und sah sie wieder an, dann setzte er sich plötzlich auf. "Entschuldige."

"Es ist in Ordnung. Schlaf," sagte sie sanft zu ihm. "Ich passe auf."

Er rieb sich die Augen und sah hinüber zum Haus.

"War irgend etwas?"

"Noch nicht."

Mulder griff nach hinten nach dem Laptop und lehnte sich zurück, den Laptop im Schoß und öffnete den Deckel.

Scully entspannte sich in ihrem Sitz.

Dieser Teil der Stadt war friedvoll und leise, abseits des geschäftigen Treibens von Singapore City. Träge beobachtete sie die Muster, die die Sonne machte, als sie sich durch die Bäume neigte. Einen Augenblick glaubte sie, sie könnte irgendwo Affen schreien hören, aber sie war sich nicht sicher.

"Im 13. Jahrhundert.." begann Mulder plötzlich, vom Bildschirm ablesend.

"Ja?"

"Ein Prinz von Palemburg, Indonesien, jagte hier - bevor hier Singapore erbaut wurde - und er sah ein Tier im Dschungel, das er als halb Löwe halb Fisch beschrieb. Seit dieser Zeit gab es immer wieder Berichte über Sichtungen dieser Kreatur."

Er sah sie erwartungsvoll an.

Es war schon eine Weile her, aber sie kannte ihr Stichwort.

Sie schenkte ihm ihren besten erzürnt-an-der-Grenze-zum-Widerwillen-Blick.  "Ich hätte es wissen müssen. Bist Du sicher, daß es nicht das ist, weswegen wir hier in Singapore sind, Mulder?"

Seine Lippen zuckten, als er sich ein Lächeln verkniff. Sie hatte es gebracht. Er hatte offensichtlich nur auf diese Reaktion gewartet. "Dieses phantastische Biest nennt man Merlion," fuhr er fort. "Und es ist das Wahrzeichen Singapores."

"Wo ist das her?"

"Einige Informationen, die ich mir heruntergeladen habe, bevor wir abgefahren sind." Seine Mundwinkel zogen sich ein wenig zusammen. "Das überrascht Dich, nicht wahr, Scully? Alles mögliche könnte in diesem Dschungel sein."

"Du wirst überrascht sein, was er geraucht hat. Ich nehme an, Halluzinogene wurden zu dieser Zeit unter den Adligen in hohem Maße konsumiert." Sie sah sich nach den sorgfältig erhaltenen Besitzungen um. "Ich weiß nicht, Mulder. Ich habe hier keinen Dschungel gesehen, der wild genug wäre, um einen Merlion zu verbergen."

"Hey, Scully, ich vermisse es, Dich um mich zu haben, damit Du meine Argumente entkräftest." Sein Ton war nachgiebig.

Sie konnte nicht ernst bleiben und grinste ihn an. Sie liebte die Art, wie er vor Aufregung rot wurde wie ein Kind, wenn es um Unerklärliches ging. Es war unglaublich gewinnend.

"Ich vermisse Dich auch, Mulder."

Sein Gesichtsausdruck änderte sich, wurde ernst. Er musterte ihr Gesicht für einen langen Moment.

"Scully, ich..."

Ihre Augen nahmen den Hauch einer Bewegung am Haus wahr. Es war wieder die Frau.

"Ist sie das?"

Die Person ging zum Landrover und öffnete die Tür.

In diesem Moment kam der weiße Hund um die Hausecke und sprang vor ihr in den Wagen.

"Das ist sie."

"Ich glaube, das ganze exotische Madame Outfit war ein bißchen viel."

Sie krümmten sich zusammen, als der Wagen aus dem Tor schoß und an ihnen vorbeizog.

"Wow, sie fährt wie der Teufel." Scully setzte sich auf. "Hol die Karte heraus, Mulder. In welche Richtung fährt sie?"

"Nach Norden."

Scully startete den Wagen und fuhr hinter ihr her.

An der Ecke bremste sie scharf und verfehlte nur knapp ein Auto, das vor ihnen vorbeifuhr. Mulder stemmte seine Hände gegen das Armaturenbrett.  Seine Karte und der Laptop fielen zu Boden.

"Fahr auf der linken Straßenseite! Autsch!"

"Entschuldige!"

Sie sah ihn an. Er hielt sich mit einer Hand den Kopf. Es war sehr seltsam, von dieser Seite zu ihm herüberzusehen, während sie fuhr.

"Bist Du in Ordnung?"

Er brummte und griff nach seinem Sicherheitsgurt.

Sie rasten nach Norden, dann nach Westen, dann waren sie plötzlich wieder an der Küste und fuhren nach Süden.

Schließlich wurde die Frau langsamer und fuhr durch die imposante Toreinfahrt eines wie es aussah privaten Clubs am Wasser. Gerade noch sichtbar über dem Zaun war ein langes, elegantes stuckverziertes Gebäude mit einem Dach aus roten Ziegeln. Dahinter ragten die Masten von Segelbooten auf.

"Raffles Marina," las Mulder. "Alles hier heißt ‚Raffles'. Es sieht aus, als wäre es nur für Mitglieder." Sie sahen zu, wie Charlottas Wagen kurz am Tor anhielt, dann sauste sie hindurch. "Vielleicht gibt es einen anderen Weg hinein, den wir nehmen können... Scully?"

Scully brachte ihren Wagen zu dem Haus am Tor. "Guten Tag," sagte sie zu dem Wachposten am Tor. "Wir sind Gäste des Raffles Hotels."

Der Wachposten nickte und winkte sie hindurch. "Willkommen in der Raffles Marina."

Mulder zog seine Augenbrauen hoch.

"Ich habe die Broschüre im Zimmer gelesen."

Sie folgten Charlotta in sicherem Abstand über den Parkplatz, dann hielten sie außer Sichtweite hinter einer Schaluppe, die auf dem Trockendock lag.  Die Frau und ihr Hund eilten eine Rampe herunter hinaus zum Dock. Dann gingen sie an Bord eines Kajütbootes und verschwanden unter Deck.

"Denkst Du, daß sie rausfährt?"

Er machte ein nichtssagendes Geräusch.

Sie löste ihren Sicherheitsgurt, drehte sich um und sah ihn an. Er befühlte sachte seine Stirn.

"Ist Dein Kopf in Ordnung?"

"Es geht ihm gut."

"Entschuldige..."

"Ich hoffe nur, der Laptop funktioniert noch." Er machte eine Pause. "Sie ist zurück an Deck."

Charlotta entfernte ein Segeltuch vom Heck des Bootes.

"Meinst Du, wir können ein Boot mieten?"

Er lehnte sich näher zu ihr und erforschte ihr Gesicht sorgfältig.

"Du willst sie immer noch verfolgen, Scully? Auch auf dem Wasser?"

"Oh ja. Du nicht?"

Er nickte langsam. "Sicher." Er sah wieder hinüber zu Charlottas Boot.

"Sicher." Die Frau war wieder unter Deck verschwunden.

"Bleib außer Sicht." Er zog sich das Basecap tiefer in die Augen. "Ich will sehen, ob ich ein Boot mieten kann." Er stieß die Tür des Autos auf und stieg aus, dann lehnte er sich nach innen zurück und grinste sie an. "Aber nur, wenn ich fahre."

Vielleicht war es die exotische Atmosphäre des fremden Landes, vielleicht war es der heiße, feuchte Wind, der ihr das Haar aus dem Gesicht wehte oder das gleichmäßige Poch Poch Poch der Bootsmaschine, das in ihrem Blut schlug. Vielleicht war es auch irgendwie alles zusammen. Was immer es auch war, sie fühlte sich glücklich und lebendig. So wie seit langer Zeit nicht mehr.

Ihre schmale, ein wenig ältere Motorbarkasse flog gleichmäßig über die Wellen und folgte Charlottas viel größerem, neuerem und schnellerem Boot.  Hin und wieder trafen sie eine Welle und Gischt flog auf und bespritzte sie mit lauwarmem Wasser. Sie schüttelte die Tropfen aus ihrem Haar und atmete tief ein. Sogar das Meer roch hier anders. Wärmer. Salziger.

Scully hatte das vermißt.

Sie hatte den Nervenkitzel einer Verfolgung, die Aufregung einer Jagd vermißt. Wildgänse oder sonst etwas.

Es war hell, gleißend hell, und heiß, sogar unter dem Schatten des Bimini.  Sie hatte die Sonnencreme vergessen, hoffte aber, daß ihr langärmliges weißes Baumwollshirt ihre Haut vor einem Sonnenbrand schützen würde.

Sie schob ihre Sonnenbrille hoch auf den Kopf und blinzelte. Charlottas Boot war nur noch ein Fleck in der Ferne auf dem blauen Wasser, aber Mulder hatte seine Augen auf ihre Beute fixiert und hielt ihre Position in sicherer Entfernung hinter ihr.

Sie schob ihre Sonnenbrille wieder auf ihre Nase und drehte sich um, um ihn wieder anzusehen.

Sie beobachtete ihn, wie er geschickt das Boot steuerte und dachte wieder an seine Bemerkung auf dem Bett.

Waren sie dazu bestimmt, zusammen zu sein?

Sie hatte geglaubt, nein. Sie hatte definitiv entschieden, daß sie es nicht sein sollten.

Aber... sie hatte das hier vermißt.

Sie hatte ihn vermißt. Und sie hatte sie beide zusammen vermißt.

Was, wenn sie einfach loslassen würde? Wenn sie dem nachgab, worum diese dunklen Augen von ihm sie anflehten?

Sie ließ ihren Blick über seinen Körper gleiten. Er saß auf der Ecke des Kapitänsstuhls, seine langen, mageren Beine stützend vor ihm. Mit seinem Basecap und allem sah er aus, als gehörte er hier hin.

Sie hatte ihn sich nie als Nautiker vorgestellt, aber er wußte genau, was er tat.

Er drehte sich plötzlich zu ihr um, ein Grinsen erhellte sein Gesicht. Er empfand es also auch, dachte sie. Dieses Summen. Diesen Nervenkitzel.

Sein Grinsen wurde zu einem Lächeln... Und... Gott. Was für ein Lächeln.

Verlockend. Verführerisch. Anziehend.

Sie widerstand...

Für den Bruchteil einer Sekunde.

Sie lächelte zurück, ging zu ihm und legte ihre Arme um seine Taille.

Er legte einen Arm um ihren Hals und sah auf sie herab. Sein Ärmel war rauh an ihrer Wange und roch schwach nach Waschmittel und unverkennbar nach ihm.  Sie sah zu ihm auf, fragte sich, was er empfand, aber sie konnte nicht in seinen Augen lesen, die hinter der Sonnenbrille lagen.

"Hey Du," sagte er.

Sie drückte seine Taille, zog ihn mehr an sich heran und drückte ihre Hände gegen seine Bauchmuskeln.

Das Kratzen der Haare seiner nackten Beine an ihren eigenen frisch rasierten war überraschend erotisch. Sie rieb ihre Wade ein ganz klein wenig an seiner. "Hast Du eine Ahnung, wohin sie fährt?"

Er zeigte auf die Karte, die unter der Plexiglasplatte des Kartentisches steckte.

"Vielleicht hier hin?" Er tippte auf eine Inselgruppe in ziemlicher Entfernung südlich von Singapore.. "Vielleicht Privatbesitz. Unbewohnbar.  Ich kann es nicht sagen. Oder hier her..." Er fuhr auf der Karte herunter, aber ihre Augen wanderten zu seinem Bein.

Er steuerte mühelos mit dem Knie, während er mit einer Hand auf die Inseln tippte und die andere - sein Arm immer noch um ihre Schultern - ihren Bizeps streichelte.

Sie beobachtete das Spiel seiner Muskeln unter der Haut seines Oberschenkels, als er ihren Kurs ein wenig korrigierte, nur sein Knie benutzend.

Faszinierend.

"Was ist?" Er sah auf sie herab.

"Was?" Sie sah hoch. "Oh... Denkst Du, sie merkt, daß wir ihr folgen?"

"Ich bezweifle das. Nein, es sei denn, sie hat danach gesehen. Und sie hat keinen Grund, mißtrauisch zu sein. Ihr Boot ist viel größer als unseres.  Unseres ist schmal, kaum zu erkennen auf die Entfernung."

"Mulder, ich will kein Risiko eingehen..."

"Ich auch nicht. Hier."

Er nahm sein Basecap ab und setzte es ihr auf. "Besser, Du versteckst Dein Haar darunter, Rothaarige."

Sie drehte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und hob beide Arme, um es unter das Basecap zu stecken.

Sie konnte seine Augen immer noch nicht sehen, aber sie schienen zuerst auf ihre Brüste und dann auf ihren Mund gerichtet zu sein. Er griff nach unten und zog sie langsam wieder an sich, neigte seinen Kopf und küßte sie sanft.  Seine Lippen waren warm und der Geruch seiner Haut vermischte sich mit dem salzigen Geruch des Meeres. Sie küßte ihn wieder und seine Lippen wurden noch zarter, sein Mund machte sanft Liebe mit ihrem.

Ja, dachte sie, das ist ein Kuß.

"Scuh-lee..." Er zog sie zwischen seine Beine und begann, sie vollendet zu küssen, ein Auge - so hoffte sie - noch auf das Meer gerichtet.

Alles verging in reinem Empfinden und in den brennenden Stellen, an denen sein Körper ihren berührte.

Ihre Brüste, die Brustwarzen empfindlich und erigiert, berührten seine Brust. Sein Mund war zart, so zart an ihrem. Seine Fingerspitzen, die die Haare in ihrem Nacken leicht streichelten. Der rauhe Schatten seines Bartes, der an ihrem Kinn kratzte. Seine Schenkel, auf beiden Seiten ihrer eigenen, die sie beständig in der Bewegung des Bootes hielten. Der sanfte und doch beharrliche Druck seiner Erektion gegen ihr immer noch empfindliches Schambein.

Seine andere Hand glitt langsam nach unten über ihren Rücken, dann weiter nach unten, um ihren Po durch ihre Shorts hindurch zu packen und sie stärker an sich anzupassen.

Sie entspannte sich an ihm. Er murmelte etwas unhörbar an ihrem Mund, dann glitt seine Hand an der Rückseite ihres Schenkels herab zu ihrer nackten Haut und wieder hinauf. Dabei schob er die lockere Baumwolle ihrer Shorts über die Rückseite ihres Beines und faßte nach der nackten Haut dazwischen.

Sie verlor sich in den Gefühlen, aber alles lief wieder darauf hinaus, daß sein Mund auf ihrem war. Sie schloß ihre Augen und konzentrierte sich auf ihre Münder, das Gefühl des Kusses...

Seine andere Hand griff nach dem Saum ihres Shirts, hob ihn hoch und strich langsam entlang ihres Rippenbogens zu ihrer Brust - enthüllte ihre Haut der erotischen Liebkosung durch die heiße Brise. Seine Finger erreichten ihre Brust und glitten unter ihren BH, seine andere Hand knetete zart ihren Po.

Was bedeutete... bemerkte sie... wenn seine beiden Hände beschäftigt waren... lenkte er das Boot wieder mit seinem Knie...

Vielversprechend...

Sie löste ihre Lippen widerwillig von seinen und drehte ihren Kopf herum, um den Flecken zu beobachten, dem sie folgten. Mulder schaffte es irgendwie, gleichzeitig zu steuern und das hier zu tun.

Sie war beeindruckt.

Sein Mund arbeitete sich seinen Weg an ihrem Hals herunter zu ihrer Brust.  Er nahm ihre Brustwarze in den Mund und saugte sanft daran, dann placierte er Küsse über ihren Rippenbogen zu ihrem Bauch.

Sie senkte ihre Hand zu der Beule in seinen Shorts und begann ihn leichthin durch seine Khakis zu necken. Er stöhnte und suchte ihren Mund.

"Wir werden einen Zusammenstoß erleben, wenn Du damit weitermachst, Agent Scully," sagte er an ihren Lippen, seine Stimme rauh, beinahe atemlos.

"Paß auf den Weg auf, Agent Mulder." Sie ließ sich vor ihm auf einem Knie nieder, öffnete seinen Hosenschlitz und ließ seine Erektion heraus.

"Scuh-leee..." Er verstummte, als sie ihre Hand um ihn legte und ihren Mund senkte. Ihre andere Hand glitt in seine Boxershorts und nahm seine Hoden...

Es würde die Männer wahrscheinlich überraschen, wenn sie wüßten, über wieviel man nachdenken konnte, während man sie mit dem Mund verwöhnte, dachte sie, als sein Zuckungen nachließen. Obwohl Mulder wahrscheinlich lachen würde, wenn sie ihm erzählte, daß sie nachgedacht hatte über die Symbolik kontra Intimität des Aktes, den Samen des Mannes zu schlucken...

Seine Hand, die auf ihrem Kopf lag, war schwer und ein schwaches Zittern durchlief seine Schenkel, als sie in sanft zurück in seine Hosen steckte und seinen Hosenschlitz richtete. Sie stand auf und sah sich um. Ihr Boot lag bewegungslos im Wasser und schaukelte sanft, während es dahintrieb.

"Es ist besser, ich stütze mich ab, oder ich falle um," sagte er zu ihr, einen erstaunten Unterton in seiner Stimme. Er nahm ihre Sonnenbrille ab und sah ihr in die Augen. "Das war wild. Du, mit Sonnenbrille und Basecap..." Er sah sich um. "... auf einem Boot, in dieser Hitze, vor der Küste von Singapore."

"Eine Deiner Phantasien, Mulder?"

"Jetzt ist es eine." Er legte seine Arme um sie und zog sie eng an seine Brust. Sie konnte sein Herz hart gegen seine Rippen schlagen fühlen.

"Wow," sagte er und küßte sie sanft auf die Lippen.

"Zurück werde ich fahren." Sie lächelte.

"Oh." Er grinste. "O-kayyy."

Sie küßte ihn zurück, dann drehte sie ihren Kopf, um sich umzusehen.

"Wo ist sie?"

Er reckte seinen Hals und prüfte kritisch das Wasser.

"Selbst die Queen Mary hätte uns entwischen können, Scully. Wir haben sie verloren."

Scully griff nach dem Fernglas und drehte sich in seinen Armen herum. Sie lehnte sich gegen ihn, um einen festen Stand gegen die sanft schaukelnde Bewegung des Bootes zu haben, hob das Fernglas und durchsuchte das Wasser zwischen den Inseln.

Kein Anzeichen.

"Bloß gut, daß wir darüber nicht bei Skinner berichten müssen." Er legte seine Hände auf ihre Taille und zog sie enger an sich. Sein Körper, der heißer als die Luft um sie herum war, brannte durch ihr Shirt hindurch und seine Sachen waren feucht an ihrem Rücken.

"'Es war Agent Scullys Schuld, Sir.'" Er knabberte sanft an ihrem Ohrläppchen. "'Sie wollte mich einfach nicht allein lassen.'" Seine Zunge lief an der Seite ihres Halses herab zu ihrem Schlüsselbein. "'Sie konnte ihre Hände nicht von mir lassen. Es wird wirklich zum Problem...'"

Er leckte Feuchtigkeit aus der kleinen Mulde an ihrem Schlüsselbein. Das Gefühl war unglaublich - aber Skinners Name hatte sie mit einem dumpfen Schlag zurück auf die Erde gebracht.

"Überleg mal," fuhr er fort. "All diese Überwachungen? Verpaßte Möglichkeiten." Er küßte sie auf den Rand ihrer unteren Halslinie und stupste sich seinen Weg nach innen, küßte sie auf ihre Brüste.

"Ich glaube, wir müssen ihr folgen, Mulder." Sie versuchte, von ihm wegzukommen und griff nach der Bootssteuerung, aber er wollte sie nicht loslassen.

"Scully." Er drehte sie, plötzlich ernst, zu sich herum, so daß sie ihn ansah. "Warum?"

"Weil, wir haben sie verfolgt und nun ist sie uns entkommen."

"Wir haben sie entkommen lassen."

"Aber..." Sie bewegte sich heftig, um von ihm wegzukommen, und er zog plötzlich seine Hände zurück und ließ sie gehen. "Wir müssen sie finden."

Sie ging hinüber zur Bootsreling und hielt Ausschau nach den Dutzenden von winzigen Inseln.

"Es würde eine Woche dauern, all diese Inseln zu überprüfen." Er stellte sich hinter sie, legte seine Hände auf ihre Schultern, sie liebkosend, und zog sie an sich. "Komm schon. Laß uns ein bißchen umherkreuzen, den Nachmittag genießen und dann zurückfahren."

Sie schloß ihre Augen. Wenn ihre Körper zusammen waren, konnte sie nicht denken, nicht handeln. Seine Nähe war wie eine Droge. Alles was sie wollte, war sich mit ihm zu paaren, wie irgendeine wilde Waldkreatur.

Aber das war es, was passierte, wenn sie ihren Impulsen nachgab und losließ. Sie vermasselte es. Und alles ging zur Hölle.

Sie erlaubte sich, exakt fünf Sekunden länger seinen Körper an ihrem zu genießen, dann bewegte sie sich fort und griff nach ihrer Sonnenbrille, setzte sie sich auf die Nase, so daß er ihren Ausdruck nicht lesen konnte.  Sie ging zurück zur Steuerung und startete die Maschine.

Aus den Augenwinkeln konnte sie ihn sehen. Er beobachtete sie, seine Augen schmerzvoll, sein Ausdruck verwirrt und tadelnd.

Scully fühlte einen Anflug von Mitleid mit ihm. Sie war heiß und kalt und sie wußte es.

Entschuldige, Mulder, sagte sie schweigend zu ihm, ich wollte Dir keinen Blowjob geben und Dich dann wegstoßen... aber...

Aber was? Die Wahrheit war, daß ihre Haut brannte, da wo er sie geküßt hatte, und ihre Brüste waren geschwollen, sehnten sich nach seinen Händen und nach seinem Mund. In ihr brannte ein wildes Verlangen, ihn in sich zu haben. Sie wollte nichts mehr, als die Sitzkissen auf das Deck zu werfen und mit ihm zu schlafen für den Rest des Nachmittags.

Aber... sie wollte genauso Charlotta finden.

"Ich muß diesen Ort sehen," versuchte sie zu erklären. Ihre Stimme klang verzweifelter als sie wollte, aber gleichzeitig auch ungewohnt bestimmt.

Er preßte seinen Mund zusammen und nickte langsam. Er kam herüber, um auf die Karte zu sehen, er stand neben ihr, aber sorgfältig darauf bedacht, sie nicht zu berühren.

"Okay, Scully. Wir sind hier." Er zeigte auf eine Insel ungefähr eine halbe Meile vor ihnen am Horizont, dann auf ihre Position auf der Karte. "Sie könnte hier, hier oder hier entlang sein. Also los."

Seine Stimme war rein geschäftlich und sie biß sich auf die Lippe. Sie hatte ihn verletzt. Und sie hatte das in Ordnung zu bringen. Bald. Aber in diesem Augenblick...

Sie legte den Gang ein und gab Gas.

 

 

 

 

Teil 13

 

"Ist es das?"

Sie waren noch ein ganzes Stück von der Insel entfernt, aber sie konnte Charlottas Boot am unteren Dock festgemacht sehen. Es war nicht schwierig gewesen, sie zu finden. Tatsächlich war es lächerlich einfach gewesen. Sie hatten gar nicht versucht, etwas zu verbergen.

Eine weiße Rampe führte die Böschung hinauf an Land. Sie konnte eine Reihe weißer Gebäude ausmachen durch das dichte Laub. Es sah aus wie ein Krankenhausgelände.

Scully hob das Fernglas. "Duck Dich!" Sie hockte sich hinter dem Schandeckel nieder. Mulder kniete sich neben sie.

"Was ist?"

"Es ist der Hund. Er guckt gerade zu uns her. Ich wollte nicht, daß er anfängt zu bellen. Okay. Er ist weg. Dort ist ein Schild. Ich kann nicht alles lesen, es ist hinter einem Busch. ‚Saint Frances... irgendwas...  irgendwas... Fernandez Forschungseinrichtung'." Sie sah ihn an.

"Saint Frances? Von Assisi?... Fernandez?"

Sie durchsuchte das Gelände erneut gründlich. Beinahe verborgen von Bäumen waren da Käfige und Ferche.

"Ziegen."

"Ziegen?" Mulder war ungläubig. "Was?"

Scully drehte sich zu ihm um. "Es ist eine Tierversuchseinrichtung."

Sie sahen sich an.

Sie hob das Fernglas wieder hoch. "Da sind Leute. Sie haben diese weißen Uniformen an, die wir in ihrem Haus gesehen haben."

"Irgend jemand, den wir kennen?"

"Nein, sie sehen aus wie Einheimische."

Mulder schien zu unschlüssig zu sein und sie sah in an. Er starrte gespannt auf die Insel.

"Irgendein Zeichen von den Kindern?" fragte er.

"Nein. Aber..." Sie war für einen Moment still, als sie das Gelände untersuchte. "Es scheint ordentlich gepflegt, sauber."

"Laß mich mal sehen."

Sie gab ihm das Fernglas.

"Geld," sagte er. "Es wird gut gewartet. Das ist irgendwie eine Erleichterung."

Er sah weiter hinüber für ein paar Minuten.

"Sieh mal, da ist jemand, der sieht aus wie ein Doktor...

Veterinärmediziner."

Scully grub ihre Finger in seinen Arm. "Nicht Calderon, nicht wahr? Wo?"

Mulder sah sie fragend an, als sie ihm das Fernglas grob aus der Hand riß.

"Da - bei dem Gebäude am Ende. Er spricht mit zwei Leuten."

"Irgend jemand, den wir kennen?"

"Es ist Charlotta und..."

"Wirklich? Sind wir zu dicht dran?"

"Nein, wir sehen aus wie ein Fischerboot. Ich glaube, es ist..." Sie verstummte.

"Wer?"

"Mulder." Sie senkte das Fernglas und sah ihn, schwer schluckend, an. Ein Dutzend Emotionen, die sie nicht bezeichnen konnte, durchliefen sie. "Es sind Kurt Crawford... und Dr. Scanlon."

Wortlos nahm er ihr das Fernglas ab und hob es hoch. Sie konnte an seinen zusammengekniffenen Lippen erkennen, daß sie recht hatte.

"Laß uns von hier verschwinden, Scully." Die Dringlichkeit in seiner Stimme - ein Ton, den sie bei ihm sehr lange nicht gehört hatte - ließ ihr die Haare im Nacken zu Berge stehen.

"Aber Mulder, wir müssen herausfinden, warum sie hier sind, wir müssen."

"Nein, das müssen wir nicht, Scully. Wir wissen beide, warum sie hier sind.  Komm schon." Er gab ihr das Fernglas. "Laß uns fahren." Gebückt ging er zurück zum Ruder und startete den Motor.

Sie folgte ihm, dann drehte sie sich um und hob das Fernglas; auf das Gelände gerichtet, hoch.

"Ich möchte um die Insel herumfahren," verlangte sie.

"Scully..." Seine Stimme klang gereizt, als er die Maschine startete. "Das Gelände ist wahrscheinlich schwer bewacht. Wir haben keine Waffen, keine Zuständigkeit."

Er drehte das Ruder zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.  Schnell prüfte sie das Gelände und hielt nach irgendeinem Beweis für die Kinder Ausschau.

"Ich sehe keine Wachen. Mulder, wir wissen immer noch nicht, ob die Babys hier sind. Ich muß es wissen. Bitte." Sie haßte den Klang ihrer Stimme.

Mulder legte seine Hand um ihren Ellbogen und zog das Fernglas von ihren Augen. Sie sah zu ihm auf. Der Ausdruck in seinen Augen war todernst.  "Scully, wir müssen uns daran erinnern, was hier wichtig ist. Der Grund, warum wir in Singapore sind. Nicht unsere Neugier. Nicht das, was hier vorgeht. Eine Sache ist wichtig."

Sie starrte ihn nur an, sie wußte das, sie wußte das alles.

Mulder starrte sie ebenfalls an, seine Augen... nicht ärgerlich, aber voll von dunkler Emotion. Er konnte nicht verstehen, warum sie so handelte, erkannte sie, und das brachte ihn aus der Fassung.

Damit waren sie zwei.

Die Sekunden tickten, als sich das Boot sanft von der Insel entfernte.

Schließlich biß er sich auf die Lippe und seufzte.

Er ließ ihren Arm los und wandte sich um, drehte das Steuer und brachte den Bug wieder zurück.

Sie stand da und sah ihn an, seine Augen flatterten kurz zu ihren und dann wieder weg.

Wider besseren Wissens vertraute er ihr.

Scully atmete aus und drehte sich zurück zur Insel, nahm das Fernglas hoch und untersuchte wieder die Bäume.

Die andere Seite der Insel war verwildert und unbewohnbar. Die Vegetation war üppig, dicht, das Unterholz verwachsen und undurchdringlich. Ein Mangrovensumpf reichte bis an den Rand des Wassers, man konnte nicht sagen, wo das Land aufhörte und wo das Wasser begann. Es war Ebbe und die spinnenartigen Mangrovenwurzeln sahen schmutzig und wenig einladend aus.

Sie runzelte die Nase wegen des Geruchs: der dunkle, feuchte Geruch von faulenden Sachen, die in der brennenden Sonne gebacken wurden, ein süßer Fäulnisgeruch, der ihr Brechreiz verursachte.

Primordialer Schlamm, dachte sie und empfand es als abstoßend.

Niemand ging hier herein oder heraus.

"Das war nicht unser Kurt Crawford, Scully."

Scully zuckte zusammen. Er hatte sie erschreckt.

Sie hörte ihn den Leerlauf einlegen.

"Unser?" fragte sie und wartete, ihre Augen auf den Dschungel gerichtet.

"Da waren mindestens ein Dutzend Kurts, die ich sah. Vielleicht hunderte - alle identisch. Sie sind Klone."

Warum war sie nicht überrascht?

"Wo war das?"

"Im Lombard Forschungsinstitut."

Sie nickte langsam und hob das Fernglas, um die Uferlinie zu untersuchen.

Und er hatte nicht daran gedacht, es ihr zu erzählen. Lustig, wenn sie ein Dutzend Kurts gesehen hätte, hätte sie es ihm erzählt.

"Wo Du Dr. Scanlons Namen gefunden hast?"

"Ja."

In dieser Nacht...

"Also in derselben Nacht fandest Du seinen Namen..."

...als Du auch auf mich gewartet hast...

"Ja?"

...die ganze Nacht...

Sie nickte.

...hast Du mir nichts erzählt? Warum?

"All diese... Kurts waren dort? Warum?"

"Sie haben noch mehr aufgezogen."

"Noch mehr?"

"Hybriden. Klone." Er zuckte mit den Schultern. "Mehr Kurts. Ich weiß es nicht. Sieh mal, Scully. Können wir darüber auf dem Rückweg reden? Hier gibt es nichts zu sehen. Laß uns einfach fahren..."

"Nein," sagte sie in den Dschungel vor sich. Sie konnte seinen Blick auf ihrem Rücken spüren. "Hybriden?"

"Alien-Mensch-Hybriden," sagte er ruhig.

Alien-Mensch-Hybriden. Warum war sie immer noch nicht überrascht?

"Wie?"

Er war einen langen Moment still.

"Eizellen," sagte er ruhig. "Viele Eizellen."

Sie drehte sich um und sah ihn an.

"Meine?"

Er griff nach unten und schaltete den Motor aus. Die plötzliche Stille war intensiv.

"Scully, ich..."

"Habe ich recht, Mulder?" Sie mußte sich plötzlich räuspern. "Du hast es mir nie gesagt... aber..."

Er stellte sich neben sie und sah zu ihr herunter.

"Ja. Deine... und andere."

Sie starrte in sein Gesicht.

Er beobachtete sie vorsichtig, als wenn er nicht ganz glauben könnte, daß sie sich jetzt damit befaßte.

Scully konnte nicht glauben, daß sie ihn nie zuvor danach gefragt hatte.

Dies war nicht die Zeit oder der Ort...

Schnell blickte sie zur Insel. Alles war still.

... aber, wenn sie irgendeine gemeinsame Zukunft haben sollten, mußte sie es wissen.

In diesem Moment.

Sie setzte sich plötzlich auf die gepolsterte Bank.

"Wie genau haben sie sie aufgezogen, Mulder?"

Er setzte sich neben sie.

"In Tanks."

Scully runzelte die Stirn. "Inkubatoren? Wie bei Liam?"

Seine Lider flatterten ein wenig bei dem Wort Inkubator. Würde es immer so sein? Würde sie immer jede kleinste Information schmerzvoll aus ihm herauspressen?

"Nein, dies waren beinahe voll ausgebildete... Erwachsene. Ich weiß nicht, wie man sie nennen soll... in großen Tanks. Nichts wie bei Liam."

Sie starrte ihn an. Ihr Blick fiel auf den dünnen Schweißfilm über seiner Oberlippe.

Er log.

Mulder sah ihren Blick und leckte sich über die Oberlippe.

"Lüg mich deswegen nicht an, Mulder," flüsterte sie.

Er schloß kurz seine Augen, dann öffnete er sie. Sich selbst dazu zu zwingen, ihr das zu sagen, war entsetzlich.

"Es war... so etwas... wie bei Liam," gab er leise zu.

"Wie?"

Er starrte sie an. Dieser Ausdruck in seinen Augen... verletzt. Was immer es auch war, das er ihr nicht gesagt hatte, er glaubte, es war zu ihrem Besten.

Verdammt.

Sie seufzte plötzlich und schob sich das feuchte Haar aus der Stirn. Es war unerträglich heiß.

"Gut, Mulder," entgegnete sie heftig. Er wich bei ihrem Ton zurück. "Sag mir, wenn Du bereit bist. Vielleicht ringst Du Dich dazu durch, mir all die Dinge zu erzählen, die Du mir verschwiegen hast."

Sie drehte ihm den Rücken zu, um wieder zur Insel hinüberzublicken. "Es erklärt jedoch noch nicht, warum ein Kurt auf dieser Insel ist."

"Sie überwachen den Prozeß." Sein Ton war vorsichtig, emotionslos.

"Aber das würde bedeuten, daß sie es hier auch machen." Ihre Stimme war plötzlich rauh, sie drehte sich zurück, um ihn anzustarren. "Liam..."

"Liam ist kein Hybrid, Scully. Wir sind uns dessen sicher."

"Warum sind einige Hybriden und andere nicht?"

"Ich weiß es nicht."

"Dann ist er eine andere Art von...?"

Klon. Sie konnte es nicht laut sagen. Sie mußte es nicht.

"Scully..."

Mulder starrte sie an, seine Augen plötzlich voller Mitleid. Er schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Hand. Aber gerade jetzt brauchte sie sein Mitleid nicht oder die Ablenkung durch eben dieses kleine bißchen seiner Haut an ihrer. Sie zog ihre Hand fort.

"Scully... ich weiß es nicht."

"Muld..."

In diesem Moment griff er nach ihrem Handgelenk und packte es fest. Sie erkannte plötzlich, daß er sich nur schwer unter Kontrolle hatte.

"Ich sage Dir die Wahrheit. Ehrlich, ich weiß es nicht, Scully."

Ihre Augen verengten sich, sie beobachtete ihn einen Moment sorgfältig.

Er sagte die Wahrheit.

Aber sie konnte in seinen Augen sehen, daß sie seine Geduld nun bis zum äußersten strapaziert hatte.

"Vielleicht sind die Antworten hier auf der Insel."

"Scully, wir wissen, was hier vor sich geht. Es ist die perfekte Lösung.

Die Babys sind auf der ganzen Welt verteilt."

"Verteilt wofür?"

Er verlor plötzlich seine Gelassenheit. "Wie zur Hölle sollte ich das wissen, Scully? Jetzt werden wir verdammt nochmal von hier verschwinden."

Sie stand auf und sah zu ihm herab. Ihr Handgelenk war immer noch in seinem Griff gefangen.

Mulder sah zu ihr auf. Seine Finger schlossen sich enger um ihr Handgelenk, drückten es hart. Zu hart. Er begann wirklich zornig zu werden, doch sie hob ihre andere Hand und berührte sanft seine Wange. Ein wenig wich er zurück, aber er schob sie nicht beiseite. Starrte sie nur an, seine Augen wütend und verletzt.

Sie starrte zurück.

Innerhalb von zwanzig Minuten hatte sie die zerbrechliche Sache zwischen ihnen systematisch zerstört, beinahe als hätte sie es geplant. Und, dachte sie traurig, sie schien sich nicht stoppen zu können.

Sie hatten versucht, ihre Beziehung wieder aufzubauen, ohne die Schäden zu beseitigen - die Trümmer darunter - und es bestand ernsthaft die Gefahr, daß alles über ihnen zusammenfiel.

Seine Haut unter ihren Fingerspitzen war heiß, Schweißtropfen waren darauf.  Ihr Blick fiel auf sein Hemd. Es war durchgeschwitzt. Die Hitze war niederdrückend. Sie schwitzte auch. Unter ihrem Shirt tröpfelte es und der Bund ihrer Hose war durchgeschwitzt.

Die Luft fühlte sich...verkehrt an. Was tat sie? Sie mußten verdammt nochmal von hier verschwinden.

Er runzelte die Stirn, als sie nichts sagte, und sah auf ihr Handgelenk in seinem Griff. Plötzlich ließ er sie los.

"Wir verschwinden hier, Scully. Jetzt. Ich möchte nicht in der Dunkelheit zurückfahren müssen. Und..." Er sah sich um, der Ärger war plötzlich aus seiner Stimme verschwunden. "Die Luft fühlt sich verkehrt an."

Scully sah sich überrascht um, als er ihre Gedanken nachsprach. Es war ungewöhnlich still. Unheilvoll. Ahnungsvoll.

Sie rieb sich ihr Handgelenk und bewegte die Finger, um das Blut wieder in ihrer Hand zirkulieren zu lassen.

Plötzlich schüttelte eine Bewegung einen Baum in dem Dschungel vor ihnen.

Sie sprang auf, als einige Mynahs kreischend in den Himmel flogen.

Aus dem Nichts heraus füllte eine heftige Spannung die Luft.

"Unser Merlion, Mulder?" Sie versuchte, ihre plötzliche Nervosität zu verbergen.

Er starrte in den Dschungel. "Und wir ohne Kamera. Wieder einmal," sagte er leicht, der ernste Ausdruck auf seinem Gesicht strafte seinen Ton Lügen.

Eine Gänsehaut überzog ihre Oberarme. Unruhig untersuchte sie den Horizont hinter ihnen.

"Sieh!"

Eine gefährliche rot-grüne Wolkenmasse füllte den südwestlichen Himmel.

Der Wind frischte plötzlich auf und traf sie. Irgend etwas brachte sie dazu, sich umzudrehen und nach Südosten zu sehen zum entfernten Ende der Insel, in der entgegengesetzten Richtung, die sie beobachtet hatten.

Oh Schei...

"Mulder! Ein Boot! Oh mein Gott, ich glaube, das sind sie. Bleib unten!" fuhr sie ihn an, als er aufstehen wollte. "Sie haben nur mich gesehen. Sie werden Dich wiedererkennen. Sie sehen hierher."

Sie war schon am Steuer. Sie drehte den Zündschlüssel herum und die Maschine zuckte, stotterte, zuckte wieder und erwachte zum Leben. Mulder rutschte auf den Knien heran, um nach dem Fernglas zu greifen und es auf das Boot hinter ihnen zu richten.

"Fahr! Scully, fahr!"

Sie riß das Steuer herum und lenkte das Boot weg von dem anderen. Aus den Augenwinkeln konnte sie es sehen, ihr Boot bewegte sich nicht, es schaukelte nur sanft, während sie sie beobachteten.

Plötzlich drehte sich das Boot in ihre Richtung und begann sich stetig vorwärts zu bewegen.

Mulder fluchte. "Sie kommen!" sagte er drängend. "Fahr!"

Oh Gott.

Sie gab soviel Gas wie möglich.

 

 

 

 

 

Teil 14

 

Das kraftvoll antwortende Aufheulen der Maschine überraschte sie. Es schien, daß die alte Dame noch Leben in sich hatte. Gott sei Dank.

Sie hing über dem Steuerrad, fuhr in Richtung Singapore und begann im Flüsterton zu beten. Sie mußten dem anderen Boot entkommen.

Nach zwei Minuten sah sie sich um. Mit einem widerlichen Stich in ihre Eingeweide erkannte sie, daß es nicht funktionierte. Das andere Boot kam stetig näher.

Unruhig sah sie auf das offene Wasser hinaus. Wenn sie ihnen nicht entkommen konnten, mußten sie sie abhängen.

Irgendwie.

Mulder kroch zurück an ihre Seite und zog die Karte herunter. "Du erinnerst Dich an den Weg zurück, Scully?" schrie er, um den Krach der Maschine zu übertönen.

"Ja." Sie schaute zurück. Das Boot hinter ihnen kam stetig näher. "Aber wir können ihnen nicht entkommen. Ich fahre zu diesen Inseln."

Sie riß das Steuer scharf herum und fuhr in Richtung einer Gruppe kleiner Inseln, nicht weit entfernt in westlicher Richtung. Mulder verlor den Halt, schlitterte über die Decksplanken und landete hart an der Bootswand.

"Bist Du in Ordnung?" schrie sie.

Er runzelte die Stirn und deutete auf den Himmel.

"Scully! Der Sturm!"

Sie reckte ihren Hals. Oh Gott.

Die riesigen finsteren Wolken eines tropischen Sturms kamen schnell näher.  Schneller als sie jemals in ihrem Leben einen Sturm sich zusammenbrauen sah.

Sie waren gefangen zwischen dem Sturm und dem anderen Boot.

Schon war die Wasseroberfläche durch Windböen aufgewühlt und der Himmel verdunkelte sich zu einem unheimlichen grün-gelb.

Scully duckte sich, als ein Blitz die unheimlichen Wolken erhellte.

Mulder spähte über den Bootsrand. "Können wir es schaffen?" rief er zu ihr zurück.

"Ich weiß nicht!" Der Wind riß ihr die Worte vom Mund. "Wenn wir da rein kommen, können wir sie vielleicht abhängen!"

Er drückte die flatternde Karte mit beiden Händen gegen die Decksplanken.

"Hier, zwischen diesen beiden ist eine enge Durchfahrt."

"Wie tief?" schrie sie.

Ihr Haar kam unter ihrem Hut hervor und eine Strähne fiel ihr ins Auge. Sie würden sie definitiv erkennen, wenn es freikam. "Nimm das Steuer!"

Er kniete sich auf die Karte und steuerte, als sie sich niederhockte und ihr Haar außer Sicht unter den Hut schob.

"Wie tief!" schrie sie wieder.

"Ein Meter bei Ebbe. Was haben wir jetzt?"

"Beinahe Ebbe."

Sie richtete sich auf und übernahm das Steuer wieder. Die Inseln kamen schnell näher, aber der Sturm war beinahe über ihnen. Ein weiterer Blitz sauste auf das Wasser und schlug mit einem Krachen ein.

Scully fühlte sämtliche Haare an ihrem Körper prickeln durch die elektrische Ladung. Mist. Das war zu dicht. Vielleicht würde der Blitz das andere Boot davon überzeugen, umzukehren. Sie sah über ihre Schulter. Kein Glück. Sie kamen schnell heran.

Plötzlich prasselte Regen vom Himmel herab. Das Bimini gab spärlichen Schutz vor den windgetriebenen Regentropfen. Eine harte Bö traf sie an der Breitseite und das Boot zitterte und hing einen Moment träge im Wasser. Die Maschine hustete, dann fing sie sich wieder und das Boot richtete sich auf und rollte über die rauhen Wellen. Grimmig hing sie über dem Steuer und hielt auf die Lücke zu.

Scully fühlte Mulders Hand ihren Knöchel umfassen und ihn drücken. Sie nahm eine Hand vom Steuer und legte ihre Fingerspitzen für eine Sekunde auf seinen Kopf. Als Glücksbringer.

"Halt durch!" schrie sie.

Die Inselgruppe war klein. Einige der Inseln nicht mehr als hundert Fuß breit.

"Fahr langsamer!" schrie er. "Die Durchfahrt, die Du nehmen willst, ist links hinter der zweiten Bucht."

"In Ordnung!" Sie nickte, nahm aber die Geschwindigkeit nicht weg.  Plötzlich waren sie aus dem bewegten Wasser heraus und die Bootsmaschine schrie auf, als sie über die Ruhe im Schutz der ersten Insel hinausbrüllte.

Scully nahm das Gas weg und riß das Ruder hart herum. Das Boot legte sich zur Seite und flog über das plötzlich seichte Wasser sauber in die enge Durchfahrt und landete mit einem Plumps.

"Mist, Scully, warum zur Hölle hast Du das getan?" Mulders Stimme war laut in der relativen Stille der Durchfahrt. Sie waren in einer Flaute, der Wind blies kaum. Der Kanal war nur knapp zwanzig Fuß breit und sah so aus, als wenn er noch enger werden würde, wo er sich außer Sichtweite schlängelte.

Sie sah herab auf seine Hand an ihrem Knöchel. Er hatte ihn in festem Griff. Seine andere Hand markierte ihre Position auf der Karte.

"Können wir hier weiterfahren?" fragte sie ihn.

"Ja. Aber es ist seicht, halt Dich rechts."

Scully steuerte das Boot so dicht an das Ufer, wie sie sich traute. Sie drehte sich herum und sah zurück. "Ich sehe sie nicht."

In diesem Moment sauste das andere Boot am Ende der Durchfahrt vorbei. Sie hörte einen Schrei und dann das sich ändernde Geräusch des anderen Bootsmotors, als sie umkehrten und zurückkamen.

"Verdammt!"

"Sie haben zuviel Tiefgang. Sie können uns durch diesen seichten Teil nicht folgen."

"Alles, was sie tun müssen, ist zu warten, bis wir rauskommen."

"Der Kanal geht den ganzen Weg durch." Er starrte beunruhigt auf den Dschungel vor ihnen. "Zumindest sieht es auf der Karte so aus..."

In diesem Moment kehrte eine unheimliche Stille ein. Der Dschungel, der Wind... Sie schaute nach oben. Die Wolken waren dunkel und niedrig, hingen gerade über den Baumspitzen.

Die Atmosphäre um sie herum zischte. Sie sah zu Mulder und er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Es war, als wenn sie sich unter Wasser ansahen. Unter trübem, schlechtem, elektrisierend grünem Wasser.

Sie drosselte den Motor fast ganz. "Wir müssen das Boot festmachen und den Sturm abwarten, Mulder. JETZT!"

Kaum hatte sie das gesagt, begann der Sturm und die Hölle brach los. Der Himmel öffnete sich und Regen stürzte vom Himmel. Der Wind erwischte sie hart, warf das Boot gegen das Ufer und riß eine Ecke des Bimini-Segeltuchs los.

Donner machte sie taub, als sie versuchte, die Ecke zu greifen und damit nur erreichte, daß der wütende Wind das Segeltuch ergriff und es gegen ihre Wange schlug.

Sie hob eine Hand, um es abzuwehren und versuchte, mit der anderen zu steuern.

Mulder ergriff den Ellbogen des Arms, mit dem sie steuerte, und versuchte sie herunterzuholen. "Das andere Boot!" dachte sie, schrie er. Sie sah sich um und tatsächlich, da war das andere Boot, das sich langsam hinter ihnen in die Fahrrinne schob.

Mulder schrie wieder, warf sich hoch und hart gegen sie, gerade als sie sah, daß der Mann am Bug eine Waffe hob.

Ein Blitz zuckte auf. Die Waffe donnerte. Sie fühlte irgend etwas über ihre Stirn wischen, hörte Mulder verzweifelt schreien "Sculleee!!" und dann war alles schwarz, als sie auf dem Deck zusammenbrach.

 

 

 

 

Teil 15

 

... es war pechschwarz... die harte Oberfläche unter ihrem Rücken schaukelte widerlich... sein Gewicht war schwer über ihr... hüllte sie ein, seine Arme fest, um sie vor der Nacht und dem Regen zu schützen... sie war durchnäßt... und kalt, wo seine Haut nicht an ihrer war... seine nackte nasse Schulter war an ihrer Nase... sie schmeckte Sauerstoff und Haut und Schweiß und Angst und die Schwärze um sie herum...

Über dem Brüllen des Sturms und des Dschungels und des Regens konnte sie ihn hören. Er fluchte.

"Mist. Mist. Mist," und dann "Scuh-lee..." zärtlich, mit einem gebrochenen Klang in seiner Stimme. Seine Arme hielten sie fester. Er drückte sie so fest, daß sie kaum atmen konnte.

Sie versuchte, ihren Mund zu öffnen und ihm zu sagen, daß es ihr gut ging, sie versuchte ihn ebenfalls zu drücken und ihn zu beruhigen... aber...  bevor sie es konnte, versank sie wieder in der Dunkelheit...

... es war dunkel... immer noch dunkel... sie wurde sanft angehoben, dann sank sie, anheben, sinken. Ein Boot. Das war es. Ein Boot. Sie war auf dem Segelboot der Familie in ihrer Koje. Melissa und Bill und Charly schliefen in ihren und sie konnte die leisen Stimmen ihrer Mutter und ihres Vaters an Deck hören. Sie hatte einen schlechten Traum gehabt. Hatte sie geschrien?  Sie hörte ihre Mutter sagen, "Ich werde nach den Kindern sehen," dann sah sie sie, ihre Gestalt dunkler als die Dunkelheit hinter ihr, als sie ihren Kopf durch die Luke steckte. Dann gingen weiche Schritte zurück über das Deck. Ihr Vater leise "War es Dana?" Dann ihre Mutter leiser, "Mmm-hmm."

Dann leises Singen. Sie sangen ihr ein Schlaflied auf dem Meer...

... wo Wellen auf Wellen treffen, sind sie dein sanftes Kissen...

Beruhigt schlief sie wieder ein.

... waren das Tränen auf ihrem Gesicht? Oder war es warmer Regen?

Sie öffnete ihre Augen. Es war immer noch dunkel. Mulder stand über ihr am Steuer, seine nackte Brust schimmerte, als er steuerte. Es mußte sein nasses Hemd sein, was unter ihrem Kinn klemmte. Irgend etwas anderes, das nach Fisch und Benzin roch - eine rauhe Segeltuchpersenning - bedeckte den Rest von ihr.

Das stetige Klopfen der Maschine vibrierte unter ihrem Rücken. Sie versuchte, ihren Mund zu öffnen, um seinen Namen zu sagen, aber sie konnte es nicht. Es mußten Tränen auf ihrem Gesicht sein, denn der Himmel war klar. Er steuerte sie im Licht der Sterne nach Hause...

Als sie wieder erwachte, waren sie zurück in der Marina und sie war allein auf dem Boot.

Ein sanftes Leuchten von herabhängenden elektrischen Laternen erhellte die Docks. Alles sah zu sauber aus, zu festlich und eine Million Meilen von dem entfernt, was sie gerade durchgemacht hatten.

Sie drehte ihren Kopf ein wenig. Er war auf dem Dock und befestigte das Boot, seine Bewegungen schnell und wild.

Ihr Mund funktionierte schließlich. "Mir geht es gut, Mulder," sagte sie, so laut sie konnte. Er drehte sich um, sprang zurück an Bord und kniete sich neben sie. Sorge war in sein Gesicht gezeichnet.

"Shhh. Lieg still," sagte er und streichelte zärtlich ihre Schläfe. "Ich werde Dich ins Krankenhaus bringen."

"Bin ich angeschossen worden?"

"Nein. Ein Baum ist auf das Boot gefallen. Er hat Dich k.o. geschlagen. Du warst fast zwei Stunden bewußtlos."

"Zwei Stunden?" Sie runzelte die Stirn. "Ich denke, mir geht es gut."

"Lieg still. Ich gehe einen Krankenwagen rufen."

"Nein," protestierte sie. "Mir geht es gut." Und sie bewegte sich, um sich aufzusetzen, ihr Kopf drehte sich. Einen Moment versuchte er, sie niederzuhalten, dann gab er auf und zog sie vorsichtig zu sich heran. Er legte seine Arme um sie und schaukelte sie sanft.

"Mist verdammter," flüsterte er in ihr Haar. Dann drückte er sie fester an sich und seine Stimme brach. "Alles Mist."

Scully war entsetzt über die völlige Verzweiflung in seiner Stimme. Sie schob ihre Hand hoch, um sein Gesicht zu berühren. "Was ist, Mulder? Was ist passiert?"

Er hob seinen Kopf und starrte sie an. "Sie haben mich gesehen, Scully. Sie haben mich, verdammt nochmal, erkannt."

Oh Gott.

"Oh nein. Oh nein, Mulder."

Er nickte, dann schüttelte er den Kopf. "Laß uns von hier verschwinden."

"Ich denke, ich kann gehen."

"Nein."

Er hob sie hoch, drückte sie gegen seine nackte Brust und kletterte ungeschickt von Bord. "Komm. Ich bringe Dich zum Auto."

Ihr Kopf, noch pochend, begann klar zu werden. "Was ist passiert, Mulder?

Ich sah sie auf mich schießen."

"Sobald sie gesehen hatten, daß ich es war, verschwanden sie. Sie sahen mich nur an, erkannten mich und verschwanden. Ich weiß nicht, ob sie es durch diesen Sturm geschafft haben. Ich weiß nicht, wie wir es geschafft haben. Es war eine Wasserhose, Scully."

Sie nickte behutsam. Was immer sie am Hinterkopf getroffen hatte, es konnte nicht der ganze Baum gewesen sein, aber es fühlte sich so an.

"Bist Du in Ordnung, Mulder?"

Er antwortete nicht, brachte sie nur die Rampe hinunter zum Parkplatz. Als sie das Auto erreichten, war er außer Atem, aber er setzte sie vorsichtig hinein, dann stieg er selbst ein, startete und schaltete die Heizung ein.

Er wühlte auf dem Rücksitz herum und fand seinen Pullover.

"Du mußt aus den nassen Sachen heraus."

Er zog sie ihr vorsichtig über den Kopf und half ihr, seinen Pullover anzuziehen. Dann zog er sich sein nasses Hemd über den Kopf.

"Mulder," sagte sie leise. "Was ist mit Liam?"

Er drehte sich zu ihr um, seine Augen traurig. "Ich weiß es nicht."

"Mulder...?"

"Ich weiß es nicht," wiederholte er und schüttelte den Kopf. "Kann ich Dich ein paar Minuten allein lassen? Ich muß die Schlüssel für das Boot zurückbringen." Er starrte sie an. "Ich kann es nicht glauben, daß Du in Ordnung bist. Ich war..." Er brach ab und räusperte sich. Sein Blick wurde ein wenig weicher, als er über ihr Gesicht glitt. "Bist Du wirklich in Ordnung?"

"Ich bin wirklich in Ordnung, Mulder," beruhigte sie ihn. "Welchen Schaden haben wir an dem Boot angerichtet?"

"Überraschend wenig." Ein ganz schwacher Funken eines Lächelns kam in seine Stimme. "Wenigstens haben wir das nicht versenkt."

Danke, lieber Gott, schickte sie ein kleines Gebet nach oben.

Er drehte sich plötzlich weg und schlug seine Faust auf das Lenkrad. Sie fuhr hoch.

"Es reicht. Verdammt. Ich habe es wieder getan, nicht wahr, Scully? Ich habe Dich fast umgebracht. Und nun habe ich unsere Chancen vermasselt, Liam zu bekommen."

"Mulder, nein!" protestierte sie. Plötzlich war sie wach genug, um zu erkennen, was das Trauma, das Boot durch die unbekannte Nacht zurückzubringen - mit ihr bewußtlos auf dem Deck - ihm angetan hatte. Er war am Ende seiner Kraft.

Wenn die Situation andersherum gewesen wäre... sie wäre verzweifelt gewesen. Und nun machte er sich für alles verantwortlich.

Sie streckte ihre Hand aus und berührte seinen Arm sanft mit ihren Fingerspitzen, dann legte sie ihre Finger um sein Handgelenk. "Ich habe es vermasselt, Mulder. Ich wollte, daß wir ihr folgen. Ich wollte nicht weg.  Du warst derjenige, der die ganze Zeit vernünftig war, und ich habe Dich ignoriert. Es war meine Schuld, daß wir da draußen waren."

Seine Augen erforschten ihre, dann schüttelte er den Kopf und stieß einen langen frustrierten Seufzer aus.

"Ich hätte Dich niemals nach Singapore bringen dürfen, Scully. Ich und meine verdammten, brillanten Ideen."

"Mulder..."

Er zog seinen Arm aus ihrem Griff.

"Ich bin gleich zurück. Bist Du sicher, daß Du in Ordnung bist?"

Sie nickte ein wenig und zuckte vor Schmerz zusammen.

"Laß mich mal sehen." Er knipste die Innenbeleuchtung an und sie senkte ihren Kopf zu ihm. Er teilte vorsichtig ihr Haar, ohne die wunde Stelle zu berühren. "Es hat aufgehört zu bluten."

"Es hat geblutet?" Ihre Hand ausstreckend untersuchte sie Schwellung vorsichtig und zuckte erneut zusammen. Sie wünschte, sie könnte es sich selbst ansehen. Es schmerzte höllisch. "Mulder, das ist Blut auf Deinem Hemd. Du kannst unmöglich so in das Büro gehen."

"Ich werde ihnen sagen, daß uns der Sturm erwischt hat und ich mich geschnitten habe. Keine große Sache."

Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und senkte seinen Kopf ein wenig, um ihr in die Augen zu sehen. Sein Daumen strich leicht über ihren Wangenknochen.  "Tut das weh?"

"Was ist das?"

"Es sieht aus, als würde es ein Bluterguß werden. Gott, es tut mir leid, Scully."

"Mulder, hör auf, Dich selbst zu beschuldigen. Es war meine Schuld."

Er schüttelte nur seinen Kopf. "Ich bin gleich zurück," sagte er leise und stieg aus dem Auto.

Auf der Fahrt zurück zum Hotel überzeugte sie ihn, daß sie in kein Krankenhaus mußte. Ihr Kopf schmerzte mehr, als sie ihm sagte, aber...  selbst wenn sie eine Gehirnerschütterung hatte, konnten sie nichts dagegen tun.

Also fuhren sie, naß und beschmutzt, in die Parkplatzeinfahrt des Hotels.

In der Dusche schloß sie die Augen und lehnte sich an seine Brust. Das heiße Wasser fühlte sich wunderbar an, als es über ihre Körper rann und ihre ausgekühlte Haut wärmte. Er schäumte vorsichtig ihr Haar und ihren Körper ein, dann spülte er sie ebenso vorsichtig ab. Angestrengt versuchte sie, ihn nicht sehen zu lassen, wie schwach sie war, aber ihre Knie zitterten, als er sie abtrocknete.

Er fluchte und hob sie hoch.

Nachdem er sie ins Bett gepackt hatte, schlang er sich das Handtuch, mit dem er sie abgetrocknet hatte, um seine nackten Hüften und setzte sich neben sie.

"Scully." Er runzelte die Stirn, Sorge in seinen Augen. "Ich muß einen Arzt für Dich holen."

"Nein. Ich denke, ich bin nur hungrig. Es war ein langer Tag."

Er starrte sie ruhig an, ein ganz leiser Ton von Bedauern schlich sich in seine Stimme. "Ich wünschte," sagte er langsam. "Du könntest mir genug vertrauen, um mir - einmal - zu sagen, wie Du Dich wirklich fühlst."

Sie forschte in seinem Gesicht... bei allem, was passiert war... letzte Nacht... heute...

Sie hatten einen Wendepunkt erreicht und sie begriff plötzlich, daß es kein Zurück mehr gab. Er mußte hören, daß sie ihm vertraute.

"Hungrig, zittrig, erschöpft," sagte sie nur und es war schließlich leicht.  "Mein Kopf dröhnt höllisch... bestürzt wegen Liam... durcheinander..." Sie verstummte. Der Ausdruck, der auf seinem Gesicht erschien, dankbar weil sie es ihm gesagt hatte, jedoch besorgt darüber, was sie ihm sagte, machte Mulder so sympathisch, daß es ihr die Brust zuschnürte.

... durcheinander, weil ich denke, daß ich mich wieder in Dich verliebe...

Scully schloß ihre Augen und fragte sich, was passieren würde, wenn sie die Worte einfach sagte.

Sie fühlte seine Hand, die ihre Schläfe leicht streichelte.

"Scuh-lee? Schließ Deine Augen nicht, Du erschreckst mich."

Also öffnete sie ihre Augen und traf seinen besorgten Blick. Sie brachte ein kleines Lächeln zustande, um zu versuchen, ihn zu beruhigen. "Ich glaube wirklich, daß ich in Ordnung bin. Mir ist weder schwindlig noch ist mir übel, also glaube ich nicht, daß es eine Gehirnerschütterung ist." Sie seufzte. "Ich bin einfach nur kaputt."

Er sah sie lange und fest an, dann atmete er in einem tiefen Seufzer aus.  "Okay, wenn Du versprichst, daß Du es mir sagst, wenn Du glaubst, daß es schlimmer wird."

Sie dachte nicht daran und nickte, zusammenzuckend. Er zuckte aus Sympathie auch zusammen, dann stand er auf. "Ich glaube, ich kann etwas gegen Nummer eins, zwei und drei auf Deiner Liste tun. Vielleicht sogar gegen Nummer vier."

Mulder nahm den Telefonhörer und bestellte etwas zum Essen. Scully mußte lächeln, als er Burger und Pommes bestellte. Sie konnte sich nichts vorstellen, was sie lieber essen würde. Amerikanisches Essen in Singapore.  Diese ganze Reise wurde von Minute zu Minute surrealer.

Mulder legte den Telefonhörer auf und lächelte sie an, ein nicht ganz echtes Lächeln, aber es war eine noble Geste. "Siehst Du? Es ist leicht.  Und jetzt, wie wäre es mit etwas Eis für diese Beule?" Er richtete ihre Kissen und steckte die Decke um ihren Hals fest. "Ruh Dich aus, bis das Essen hier ist."

Als das Essen kam, half er ihr, sich hinzusetzen, mit den Kissen im Rücken, und sich ein T-Shirt über die wunde Stelle an ihrem Kopf zu ziehen. Dann rollte er sich neben ihr auf dem Bett zusammen und beobachtete sie, während sie hungrig aß. Er sagte nicht viel und er aß auch nicht viel.

Mulder erwischte sie, wie sie seinen Teller ansah.

"Hier, iß meines auf," sagte er und schob ihr sein kaum berührtes Essen zu.  Keiner von beiden hatte den Tag über viel gegessen, bemerkte sie. Warum aß er nichts?

"Bist Du nicht hungrig, Mulder?" fragte sie besorgt.

"Nein," sagte er matt und schwang seine Beine aus dem Bett. Vor dem Essen hatte er sich wieder angezogen, schwarze Jeans und schwarzes T-Shirt. Jetzt lief er ruhelos durch ihre Suite, er sah finster und gefährlich aus.

Er hatte vor, irgendwo hinzugehen. Wohin?

Mulder schlich hinaus auf die Veranda und lehnte sich an die Brüstung. Dort stand er eine lange Zeit und sah hinaus in die Nacht. Sie drehte ihren Kopf, legte ihre Wange auf die weiche Baumwolle des Kissens und beobachtete ihn.

Es fiel ihr schwer, ihre Augen offen zu halten, als er plötzlich wieder hereinkam. Er warf beide Koffer auf das Fußende des Bettes und begann, zu packen. Ihre Augen fielen zu... sie würde ihn in ein oder zwei Minuten fragen, warum er heute nacht packte... und dann mußte sie wohl eingenickt sein, denn das nächste, was sie hörte, war das Klicken der Tür.

Er wollte gerade hinaus.

"Mulder?" rief sie ihm leise nach.

Er kam wieder herein, schloß die Tür, kam auf ihre Seite des Bettes und sah auf sie herab. Dann streckte er seine Hand aus und schob vorsichtig mit seinen Fingerspitzen das Haar aus ihrer feuchten Stirn.

"Kannst Du nicht schlafen?" fragte er. Sie studierte seine Augen. Der Ausdruck darin war... geistesabwesend.

"Nein. Mir ist heiß." Sie schob die Decken beiseite und setzte sich auf.

"Die Klimaanlage ist an." Er runzelte die Stirn und legte seine Handfläche auf ihre Stirn. Gehorsam hielt sie still, während er ihre Temperatur prüfte.

"Du fühlst Dich in Ordnung an, ein bißchen feucht." Er ließ seine Hand heruntergleiten und prüfte den Puls an ihrem Hals. "Was ist mit der Beule?  Hilft das Eis?"

"Ein bißchen. Es dröhnt immer noch."

"Kann ich irgend etwas für Dich tun, Scully?"

Er tat das Richtige, aber seine Gedanken waren ganz woanders.

"Nein. Wohin willst Du?"

"Oh, nur..." Er verstummte und konzentrierte sich ein bißchen mehr auf sie.

Sie sah ihn an und wartete.

Mulder leckte sich die Lippen, dann seufzte er. "Ich gehe und versuche, eine Waffe zu kaufen."

"Nein," protestierte sie.

"Ich bin vielleicht in der Lage, eine zu bekommen, Scully."

"Nein," sagte sie wieder. Sie streckte ihre Hand aus, legte ihre Finger um seine und zog heftig daran. "Wie soll ich denn für Liam bezahlen, wenn Du im Gefängnis bist?"

Er sah sie an und seufzte, dann ließ er sich von ihr nach unten auf das Bett neben sie ziehen.

Ihr Blick fiel auf ihre Koffer, die fertig gepackt an der Tür standen.  Mulder folgte ihrem Blick. "Nur für den Fall, daß wir schnell von hier verschwinden müssen."

"Heute Nacht?"

"Nein." Er sah sich in ihrem Zimmer um. "Ich denke, hier sind wir so sicher, wie es geht."

"Morgen?"

Er nickte.

"Ich muß immer wieder daran denken," sagte sie. "Werden wir noch versuchen, zu Charlotta zu gehen?"

Er senkte den Kopf und sah auf ihre verschlungenen Finger. Er rieb das Band ihres Ringes...

Sein Ring.

"Mulder. Vielleicht glauben sie, wir waren nur zum Vergnügen auf dem Wasser und das Zusammentreffen mit ihnen war ein Zufall..." Ihre Stimme verhallte lahm, als er die Stirn runzelte.

"Keine verdammte Chance, Scully. Sie haben mich als mich erkannt."

Oh Mist. Sie war so kaputt, sie verstand nicht. Oh Mist.

"Ich kann nur hoffen," fuhr er fort, "daß sie - irgendwie - nicht zwei und zwei zusammenzählen können und erkennen, daß wir die Hales sind. Charlotta war nicht in dem Boot, das uns verfolgte. Nur Crawford - einer von ihnen - und Calderon. Sie wäre die einzige, die uns als die Hales hätte erkennen können." Er war für einen Moment still. "Wir müssen die DaSilvas ausstechen und verdammt nochmal Singapore mit dem Baby so schnell wie möglich verlassen."

"Wie lange wird die elektronische Überweisung dauern? Mulder! Morgen ist der vierte. Wir werden nie in der Lage sein, das Geld zu überweisen."

"Das Geld ist hier, auf der Bank von Singapore."

"Es ist hier?"

Er sah sie an. "Denkst Du, ich würde das Risiko eingehen? ‚Tut mir leid, Madame C., ich habe den Feiertag in den Staaten vergessen. Nehmen Sie auch die VisaCard?"

Sie seufzte erleichtert. Er schien alles unter Kontrolle zu haben. Diesmal war sie es, die keine Kontrolle hatte. Es war ein beunruhigender Gedanke.

"Frohike war derjenige, der mich daran erinnert hat. Wir schulden ihm schon wieder was. Hey Scully, vielleicht sollten wir das Baby nach ihm benennen."

Sie lächelte. Das bedurfte keiner Antwort.

"Es gibt einen Flug um 8.30 Uhr abends. Wir verschwinden, sobald wir ihn haben."

"Wenn wir ihn haben..." flüsterte sie. In seinen Augen blitzte plötzlich ein dunkles Gefühl auf, von dem sie sich nicht sicher war, ob sie es einordnen wollte, und sie verstummte, ihr Lächeln war fort. Er war wirklich ziemlich am Ende, erkannte sie. Verzweifelt, gefährlich. Es waren die Augen eines in der Klemme steckenden Mannes, der seinen Besitz beschützen würde oder sterben.

Sein Gesichtsausdruck wurde intensiver und er drückte ihre Finger fest.

"Wir müssen ihn bekommen, Scully."

Sie erwiderte den Druck.

Sie starrten einander an, Spannung in der Luft zwischen ihnen, dann nickte sie ein wenig und er nickte auch, als würden sie einen Pakt beschließen...  alles würde gut werden...

Mulder senkte den Blick, streckte seine Hand aus und strich über ihre Taille, die von der weichen Baumwolle seines T-Shirts bedeckt war. Seine Hand glitt zum Saum, hob ihn aber nicht an. Er ließ nur seine Fingerspitzen über ihren Schenkel streichen.

Mit einem Mal stand er auf und begann, seine Sachen abzulegen. Sie atmete erleichtert tief ein. Die Spannung in der Atmosphäre verflüchtigte sich abrupt, als wäre sie nie dagewesen.

Mulder schaltete das Licht aus, rollte sich neben ihr zusammen und legte seine Arme um sie. Er drückte sie an sich, zog sie eng an seinen Körper mit einem Seufzer. Sie konnte die Sorge in seinem Klang hören und die Spannung in seinem Körper fühlen. Heute war es beinahe zur Katastrophe gekommen.  Wieder einmal. Sie umarmte ihn ein bißchen fester.

Und nun... morgen...

Plötzlich wollte sie vergessen - nur für eine kleine Weile - und ihn vergessen lassen - alles.

Morgen. Heute. Was sie zu ihm auf dem Boot gesagt hatte. War irgend etwas von dem, was er ihr nicht erzählt hatte, jetzt wirklich von Bedeutung? Es war es nicht wert gewesen, ihrer beider Leben zu riskieren, das war sicher.  Zählte überhaupt irgend etwas, außer daß sie beide noch am Leben waren...?

Und noch zusammen.

Sie seufzte und ließ ihre Fingerspitzen über seinen Kiefer gleiten.

Gott.

Ihre Hand glitt herab zu seiner Brust, über seinen Bauch zum Hosenbund seiner Boxershorts, dann zwanglos hinein in die Baumwolle.

Er hob seinen Kopf und sah sie an.

"Scuh-lee..." Überrascht lachte er leise, als ihre Hand noch tiefer rutschte. "Du solltest es besser wissen. Wenn Du eine Gehirnerschütterung hast..."

Sie lächelte bloß und legte ihre Hand um ihn. Er atmete heftig aus und beugte sich herab, um sie zu küssen.

Und sie liebten sich. Langsam und süß und diesmal so sanft, wie es letzte Nacht rauh war. War es wirklich erst letzte Nacht? Es schien Wochen her zu sein. Sie seufzte an seinem Mund und versuchte, ihm mit ihren Händen und Lippen zu sagen, was sie nicht in Worte kleiden konnte.

Mulder ließ die Fingerspitzen einer Hand zärtlich und sanft über ihren Körper gleiten und berührte dabei kaum ihre Haut. Vorsichtig und zart streichelte er sie, als wenn sie die empfindlichste Sache der Welt wäre und plötzlich zerbrechen könnte. Aber gleichzeitig lockerte sich der Griff seines anderen Armes, mit dem er sie hielt, niemals. Er hielt sie eng an sich gedrückt, als wenn sie plötzlich verschwinden könnte, wenn er sie nicht fest genug hielt.

Und dann glitten sein Mund und seine Zunge langsam tiefer, über ihre Brüste, über ihren Bauch, bis er zwischen ihren Beinen war und sie dort liebkoste. Seine Hand war warm und sanft auf ihren Schenkeln, als er sie auseinanderspreizte. Der Druck seiner Lippen nahm zu, seine Zunge, seine Finger glitten in sie hinein. Sie erzitterte und schloß ihre Augen und ließ die blendenden Lichter ihres Orgasmus hinter ihren geschlossenen Lidern explodieren.

Dann war er über ihr, in ihr.

Aber als sie seinen Orgasmus über sie hinwegrollen spürte, schien es, als würde ein Teil ihre Gehirns, der noch wachsam war, beobachten... ihn beobachten, wie er sanft in ihren Hals stöhnte, sie beobachten, wie sie ihre Beine um ihn geschlungen hatte und sich in ihn preßte... und sie wußte, ohne daß sie es gesehen hatte, daß in seinen geschlossenen Augen eine Traurigkeit war, die sie nicht auslöschen konnte.

Sie lag in seinen Armen, ihren Rücken an ihn gekuschelt, und sah hinaus in das Mondlicht. Es hatte auch hier ein Gewitter gegeben, das den Dunst und die Feuchtigkeit fortgespült hatte und den frischen Geruch vom Regen gewaschener exotischer Blumen zurückließ, der die Luft füllte. Er richtete sie ein wenig, zog sie enger an sich.

Scully drehte sich in seinen Armen um und drückte ihre nackten Brüste gegen seine Brust, streckte ihre Beine aus und schob sie zwischen seine. Seine Hände glitten über ihre Wirbelsäule, zeichneten jeden Knochen nach und formten sie genauer. Sie fühlte, wie sich ihr Schamhaar mit seinem vermengte und unterdrückte ein Stöhnen. Sie wollte ihn wieder, aber... sie war entschieden zu müde, um etwas dafür zu tun. So streckte sie sich statt dessen wie eine Katze und preßte soviel Haut an ihn, wie sie konnte.

Nur wenn man so müde von jemandem war, dachte sie, kann man seine Haut so an seine schmiegen, seine Muskeln so gegen seine strecken, seine Lippen so über seine streichen und seine Haut zu einem gehören.

"Scuh-leee," flüsterte er sanft in ihr Ohr.

"Hmmm?"

"Kannst Du immer noch nicht schlafen?"

"Nein..." Sie rieb ihre Wange an seinem Brusthaar. Dann seufzte sie mit offenem Mund an seiner warmen feuchten Haut, sog die Wärme und den Geruch der Haut an seiner Brust ein. Seine Aura. Sie sog sie tief in ihre Lungen.  Es war nun ihre. Wenn sie eine dieser Aurakameras hätten und sie gleich jetzt ein Foto von ihr gemacht hätten, würde sie ein wenig leuchten, vom Kopf bis zu den Zehen...

Sie lächelte ihn an. Sie war so müde, daß sie phantasierte.

"Ich bin so müde, daß ich schon jenseits von müde bin," sagte sie laut.

"Mmmm. Ich auch." Seine Finger waren in ihrem Haar, streichelten es.

Vermieden sorgfältig die Schwellung. "Was macht Dein Kopf?"

"Er ist in Ordnung."

Er bewegte seinen Kopf, so daß er ihr Gesicht sehen konnte. "Ehrenwort," sagte sie. Sie konnte ihre eigene Brust nicht erreichen, so schrieb sie rasch ein Kreuz über sein Herz mit der Spitze ihres Zeigefingers und lächelte ihn an.

Lange sah er sie an, sein Ausdruck war in der Dunkelheit nicht zu lesen.

Aber etwas in seinem Gesicht...

Das waren ungefähr 45 Minuten Vergessen, dachte sie wehmütig.

Mulder löste sich sanft von ihr. Sie war unwillig, seine Wärme loszulassen.

"Laß los, Scully. Ich muß ins Bad." Sie seufzte und ließ ihn los.

Als er zurückkam, ließ er sich auf der anderen Seite des Bettes nieder, weg von ihr. Er lag auf dem Rücken und starrte an die Decke.

Genauso gut hätte er auf der anderen Seite des Raumes sein können.

Verdammt.

Gott wußte, es gab genug in ihren Gedanken, das sie auch die ganze Nacht lang wachhalten konnte. Aber das war Mulder.

"Mulder?"

"Mmmmm?"

"Was tust Du da drüben?"

"Denken." Seine Stimme war so leise, daß sie einen Moment brauchte, um herauszufinden, was er gesagt hatte.

"Du kannst es nicht hier tun?"

Er schüttelte den Kopf. "Nein," sagte er leise.

"Mulder..."

"Ja?" Er rollte auf die Seite, um sie anzusehen.

"Wegen heute."

Er sah sie nur an. Seine Augen glänzten in der Dunkelheit. Er war hellwach.

"Du hast Dir die Schuld gegeben."

Immer noch sah er sie nur an.

"Aber ich war es. Ich habe es vermasselt. Es tut mir leid."

Er rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke.

Sie seufzte.

"Mulder... was wenn... was wenn wir morgen zu diesem Haus kommen und sie sind nicht da?"

Mulder seufzte und rieb sich mit einer Hand die Augen, dann drehte er seinen Kopf, um sie wieder anzusehen.

"Komm her," sagte er. Scully rutschte über das Bett und er zog sie zu sich, damit sie sich an ihn kuschelte. "Shhhh." Er strich ihr leicht über die Stirn. "Wie kann ich Dich denn alle paar Stunden aufwecken, um zu sehen, ob Du eine Gehirnerschütterung hast, wenn Du nicht schlafen willst? Denk nicht mehr darüber nach, Scully. Mach Deine Augen zu, Du brauchst die Ruhe."

"Du denkst darüber nach."

"Shhh," sagte er. "Ich denke für uns beide darüber nach."

Und seine Finger rieben zärtlich ihre Stirn, strichen die Spannung daraus.  Scully schloß die Augen und versuchte, sich zu entspannen und die Bilder in ihrem Hirn abzuschwächen.

Nach ein paar Minuten fühlte sie sich schließlich an der Schwelle zum Schlaf, aber sie war sich der Spannung in seinem Körper an ihrem zu bewußt.  Ein weiteres Mal öffnete sie die Augen, um sein Gesicht zu sehen.

Seine Augen waren immer noch weit offen, starrten blind in die Nacht.

Scully drehte ihren Kopf ein wenig und drückte einen Kuß auf das nächste bißchen Haut, das sie erreichen konnte, dann fiel sie in den Schlaf, die Lippen auf ihn gepreßt.

 

 

 

 

 

Teil 16

 

Raffles Hotel

Singapore

4.         Juli

 

 

 

Scully zog sich langsam vor dem Spiegel an. Sie zog ihren Slip und ihren BH

an, dann trat sie näher an den Spiegel und starrte sich an. All ihre Energie war weg. Sie sah erschöpft, leergepumpt aus, und sie fühlte sich auch so. Blaß. Auf der Nase ein Sonnenbrand. Die Schramme auf ihrer Wange, und... ein großer häßlicher Bluterguß, der die Haut über ihren linken unteren Rippen kennzeichnete. Weder erinnerte sie sich daran, wie es passiert war, noch hatte sie es letzte Nacht gespürt. Aber nun schmerzte es.

Vorsichtig mit den Fingerspitzen dagegen stoßend, befühlte sie die Rippen unter der Haut. Sie schienen in Ordnung zu sein.

Ein anderer Bluterguß an ihrem Handgelenk. Sie drehte sich um, wühlte in ihrem Schmuckkästchen nach einem breiten Armband und schloß es über den Bluterguß. Es verdeckte ihn. Einigermaßen.

Scully sah hinüber zum Bett. Mulder schlief noch, unter seinem Kissen verkrochen. Sie wußte nicht, wann er schließlich eingeschlafen war, aber er hatte im Schlaf alle Decken geklaut und sie hatte sie ihm gelassen, sie wollte ihn nicht wecken.

Die Uhr zeigte 9.30 Uhr vormittag. Er konnte noch eine Stunde schlafen und sie würden immer noch genug Zeit haben, zu Charlotta zu kommen.

Scully wühlte in ihrem Make up nach einem Abdeckstift und rieb ihn über ihre Wange. So, dachte sie. Noch ein bißchen Rouge darüber... und niemand würde es bemerken.

Es sei denn, sie waren es, die sie verfolgt hatten.

Die Beule an ihrem Kopf schmerzte stetig, aber dem Himmel sei Dank wurde sie von ihren Haaren verdeckt.

Seufzend drehte sie sich um, zog einen lose fallenden Rock und eine ärmellose Bluse, beides mandarinfarben, über.

Orange. Die Farbe der Tapferkeit.

Oder war es Feigheit? Was auch immer... welche auch immer, sie gingen in die Höhle des Löwen.

Scully ging hinüber zur Bettkante. Mulder schlief fest und schnarchte leise. Sie küßte ihre Fingerspitzen und drückte den Kuß auf das Kissen an seiner Wange. Dann ging sie frühstücken.

Es stellte sich heraus, daß sie nicht genug Zeit hatten und daß sie spät dran waren. Sie mußten aus dem Hotel auschecken und dann das Gepäck ins Auto bringen. Es dauerte ewig und die Mittagshitze war atemberaubend. Sie war völlig durchgeschwitzt, als sie durch die Straßen rasten und schließlich bei Charlotta ankamen. Und ihr Kopf schmerzte scheußlich. Sie hätte sonst etwas für die Tabletten gegeben, die in ihrem Koffer lagen.

Es war viertel nach elf, aber derselbe schweigsame Bedienstete traf sie an der Tür, ohne zu fragen und wartete darauf, sie durch das Haus zu führen.

Scully tauschte einen erleichterten Blick mit Mulder, als sie sich niederbeugten, um ihre Schuhe auszuziehen.

Diesmal war die Veranda voll von Menschen.

Sie überprüfte kurz die Menge und blieb plötzlich stehen. Mulder prallte von hinten gegen sie. Drei Männer, die sie nie zuvor gesehen hatten - alle trugen denselben weißen Anzug und hatten denselben teilnahmslosen Gesichtsausdruck - standen an strategischen Punkten im Raum. Der Schimmer eines dunklen Lederholsters unter einem Arm zog ihren Blick auf sich. Sie versuchte, sie nicht anzustarren, und fühlte noch mehr nervösen Schweiß unter ihren Armen.

Bewaffnete Wachen.

Ihr unterer Rücken fühlte sich nackt an ohne ihre Sig Sauer.

Plötzlich drückten sich Mulders Finger beruhigend genau in die Stelle, wo normalerweise ihre Waffe saß, dann gab er ihr einen kleinen Stoß in den Raum hinein.

Zwei weiß uniformierte Krankenschwestern standen neben zwei mit Moskitonetzen verhängten Weidenkorbwiegen bei Madame Charlotta. Scully starrte zu ihnen hinüber, aber Charlottas Hund stand abrupt auf und ließ ein leises Bellen in seiner Kehle hören. Auf ein Wort von Charlotta setzte er sich wieder und starrte sie mißtrauisch an.

Mr. DaSilva, mit dem Rücken zur Menge, sprach in sein Handy. Mrs. DaSilva sah elegant aus in dem schwarzen enganliegenden Kleid, das wahrscheinlich mehr kostete, als Scully in einem Monat verdiente. Sie hielt ein sehr junges Baby in ihrem Schoß und wischte gelassen Babyspucke von der schwarzen Seide.

Scully verspannte sich einen Moment, bis sie erkannte, daß das Baby zu klein war, um Liam sein zu können.

Sie fühlte sich durch die Wachen zu befangen und ging zu der am dichtesten stehenden Wiege und sah hinein. Darin lag ein anderes sehr kleines Baby.  Vermutlich ein Junge, etwa zwei Monate alt. Er sah sie mit großen blauen Augen an. Das war also der andere blonde Junge. Liam war nirgendwo zu sehen.

"Oh! Sie sind reizend." Scully konnte nichts dafür. Sie waren reizend.

"Kann ich dieses mal hochnehmen?"

"Wenn Sie nichts dagegen haben, sich zuerst die Hände zu waschen, Mrs.

Hale."

"Oh, natürlich. Es tut mir leid." Eine der Schwestern zeigte auf eine Tür an der Seite der Veranda. Es war eine kleine Toilette. Mulder und sie zwängten sich beide hinein.

"Diese Männer. Denkst Du...?"

"Shhh," flüsterte er an ihrem Ohr, verdeckt durch das laufende Wasser. "So weit so gut. Ich denke, wir sind in Ordnung. Ich glaube nicht, daß sie Bescheid wissen."

Sie drehte sich um, um die Tür zu öffnen.

"Sc... warte."

Sie drehte sich zurück. Er griff nach ihrer Hand, drehte sie herum und prüfte den Bluterguß an ihrem Handgelenk, den sie mit dem Armband halb verdeckt hatte.

"Mist," flüsterte er

"Sieht man es zu sehr?"

"Scuh-leee..." Er verstummte. Sie sah in seine Augen. Er starrte ungläubig auf ihr Handgelenk.

Mulder hob ihre Hand und küßte sie zärtlich auf den Bluterguß auf der Innenseite ihres Handgelenks. Sie bemerkte, daß er begann, grün-rot zu werden, aber es war nichts, was ihn aus der Fassung bringen mußte.

"Es tut nicht einmal weh," sagte sie ihm leise.

Sein Gesichtsausdruck immer noch gequält, als er den Kopf schüttelte.

"Komm," sagte er. "Laß uns zurückgehen." Er drehte sich abrupt weg von ihr und stieß die Tür auf.

Sie atmete tief ein und folgte ihm.

Der kleine blonde Junge war reizend. Sie nahm ihn hoch und bekam von der lächelnden Schwester ein Spucktuch ausgehändigt.

Scully betrachtete die junge Frau, eine Malaysierin nahm sie an. "Sind Sie die Mutter?" fragte sie, sehr leise.

Die Schwester sah schnell zu Charlotta und den Wachen herüber. Madame war mit der Konversation mit Mrs. DaSilva beschäftigt. Die Wachen hätten Statuen sein können.

Sie sah zurück zu Scully und schüttelte kurz den Kopf, dann ging sie fort von ihr zurück zur Wiege.

Scully ließ sich auf einer niedrigen Couch nieder und sah auf das Baby herab. Sie schaukelte es sanft und es gab ein kleines gurgelndes Geräusch von sich. Das erste Mal, seit sie herausgefunden hatte, daß sie keine Kinder bekommen konnte, fühlte sie einen plötzlichen Hoffnungsschimmer.  Auch wenn es nicht klappen sollte, Liam zu kaufen... Zu wissen, daß es diesen Ort hier gab, mit all diesen entzückenden Babys...

Plötzlich fühlte sie sich beschämt durch die eigensüchtige Richtung, die ihre Gedanken genommen hatten. Gerade sie wußte, was sich hinter diesem Ort verbarg. Mit einem Mal gähnte das Baby und kräuselte sein Gesicht. Sie konnte nicht anders, sie mußte lächeln. Welcher Gottlose es auch geschaffen hatte, dieses Baby war unschuldig. Scully hob es hoch und küßte es auf die Stirn.

Sie sah auf und traf Mulders Augen. Seine Augen waren ein wenig traurig, während er sie beobachtete. Er war auf derselben Wellenlänge.

"Hängen Sie sich nicht zu sehr an ihn," sagte Mrs. DaSilva plötzlich. "Ich kaufe beide."

Mulder zog seine Augenbrauen hoch, dann schwang sein Blick zu Mr. DaSilva.

Scully folgte seinem Blick. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Ed leicht überrascht aus, dann griff er in seine Brusttasche und holte eine ledergebundene Mappe und einen goldenen Stift hervor.

"Wohin überweise ich das Geld, Madame Charlotta?" fragte er und zog sein Handy aus einer anderen Tasche.

"Hier ist die Information." Charlotta gab dem Bediensteten eine Karte, damit er sie an Ed weiterreichte.

Ed wählte bereits.

"Das sind dann einhunderttausend?"

Madame Charlotta nickte.

Mrs. DaSilva lächelte wie eine Katze.

Scully sah auf das Baby in ihrem Schoß.

"Isobel? Isobel? Iz... Liebling?" Mulders Hand drückte plötzlich ihre Schulter, aber es war die atemberaubende Art, die Zärtlichkeit in seiner Stimme, die sie sich umdrehen ließ.

Eine andere Schwester war hereingekommen und hielt...

Es mußte Liam sein.

Scully stand auf und übergab das Baby, das sie hielt, seiner Schwester, dann streckte sie ihre Arme nach dem Jungen aus.

Liam war schwer, gut fünf Pfund schwerer als das jüngere Baby. Die zusätzlichen Monate hatten ihm mehr Kontrolle über seinen Hals gegeben. Er hob den Kopf und sah sie an, seine großen Augen weit offen und blau. Seine Haare waren tatsächlich ein bißchen länger als auf dem Foto, das Mulder hatte. Und definitiv rot.

Plötzlich zitterte sie.

Oh Gott. Sein Gesicht, seine Wangen, seine Nase... sein kleiner Mund.

Ihre Augen suchten Mulders. Er starrte sie an, nicht Liam, sondern sie.

Sein Herz in seinen Augen.

Mit einem Schritt war er bei ihr, sein Arm legte sich eng um sie und hielt sie fest.

"Hier. Setz Dich," sagte er leise und half ihr, sich wieder auf die Couch hinter ihr zusetzen. Er setzte sich dicht neben sie, sein Arm um ihre Taille. Sie sahen auf das Baby herab.

Das Baby sah sie beide ruhig an.

"Hi, Kleiner," sagte Mulder zu ihm und streckte einen Finger aus. Das Baby schwang seine Hand danach und nach einem kurzen Versuch griff er ihn fest.  "Erinnerst Du Dich an mich?"

Scully berührte ihn zärtlich an seiner glatten kleinen Babywange, fasziniert.

"Hi, Tweetie," sagte sie leise, sie konnte kaum atmen.

Liam begann zu lächeln.

Mulder und Scully lachten beide ein wenig schüchtern.

Scully wandte sich um und betrachtete Mulder, wie er das Baby betrachtete.  Sie war eine atemlose Masse von Nerven und er sah so... glücklich... und ruhig aus.

Sie drückte Mulder einen Kuß aufs Ohr. "Danke," flüsterte sie.

Er sah sie nicht an, aber ein kleines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Scully sah zu den anderen, sie sahen alle zu ihnen mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken. Madame Charlotta und die Schwestern lächelten. Mrs.  DaSilva schaute halb amüsiert, halb angewidert. Ed telefonierte noch, ignorierte alle und spuckte eine Reihe von Zahlen aus.

"Haben wir schon einen Namen?" fragte Madame Charlotta.

"Christopher und David," sagte Mrs. DaSilva.

Ed nickte bloß und schaltete sein Handy aus. "Erledigt," sagte er. "Wann können wir sie mitnehmen?"

"Also nehmen Sie Ihr letztes Gebot für das ältere Baby zurück, Mr.

DaSilva?"

"Ja! Wir brauchen nicht drei!"

"Tristan wird meine Bank anrufen, um sicherzustellen, daß die Überweisung geklappt hat, und dann steht es Ihnen frei, die Kinder mit Ihnen zu nehmen." Sie drehte sich zu Mulder und Scully um. "Mr. und Mrs. Hale..."

Scully drehte sich um und traf Mulders Augen.

"Wir nehmen ihn," sagte sie.

"George Jr," sagte Mulder.

"Wunderbar," sagte Madame Charlotta.

Mulder zog sein Handy aus der Tasche. "Fünfundsiebzig?"

Madame Charlotta lächelte und nickte.

Mulder nickte ebenfalls und begann, die Nummer zu wählen.

Scully hatte Gänsehaut auf ihren Armen und sah auf. Alle drei Wachen starrten nun sie und Mulder an. Ihr Gesichtsausdruck immer noch teilnahmslos, aber... sie zitterte.

Unter großen Anstrengungen löste sie ihren Blick von ihnen und sah wieder auf das Baby herab.

Ihr Baby, dachte sie und unterdrückte ein kleines Geräusch, das halb ein Lachen, halb ein Schluchzen war.

 

 

 

 

Teil 17

 

Es war still und heiß im Garten.

Die Sonne knallte blendend heiß auf die weißen Steine des Hofes, die die Hitze bis in die schattigsten Ecken reflektierten. Die üppigen tropischen Pflanzen und Bäume wurden kraftlos in der Hitze, sogar die Mynahs schwiegen und behielten ihren Kommentar für sich.

Der Nachmittag war vollkommen still.

Warten.

Ihr elektronische Überweisung dauerte ewig.

Die DaSilvas waren schon lange gegangen, die beiden kleinen Babys in Autositzen auf dem Rücksitz ihrer chauffeurgelenkten Limousine.

Mulder und sie hätten in der schattigen Veranda warten können. Wenigstens bewegten die sich langsam drehenden Deckenventilatoren die Luft und gaben die Illusion von Kühle... aber drinnen wären sie unter den wachsamen Augen der Wachen gewesen. Statt dessen nahmen sie Liam für einen Spaziergang durch den Park mit und fanden eine Bank, außerhalb ihrer Sichtweite im blauen Schatten eines weinumrankten Pavillions. Und nun warteten sie ebenfalls.

Liam war eingeschlafen in glückseliger völliger Säuglingsentspannung an Mulders Schulter und... sie konnte nicht aufhören, sein schlafendes Gesicht anzusehen.

Ein weiteres Wunder.

Diesmal sollte es eines sein, hoffte sie.

Die zarte Farbe seiner Haut... die süße Linie seiner Wimpern auf seiner Wange... seine kleinen Babyohren... seine Finger... seine Fingernägel...

Sie löste ihren Blick und prüfte die Gartenbeete und Gebäude, die von ihrer Bank aus zu sehen waren, genau.

Die Wachen, da war Scully sich sicher, waren irgendwo in der Nähe, beaufsichtigten sie außer Sichtweite. Sie würden wahrscheinlich schnell genug da sein, sollten sie einen plötzlichen Spurt zu ihrem Auto machen.

Mulder hatte nicht viel gesagt, seitdem er angerufen hatte, um die Überweisung in die Wege zu leiten. Er saß da, sah entspannt aus, die Beine vor sich ausgestreckt, die Augen ein wenig geschlossen, seine Finger streichelten zärtlich den Rücken des schlafenden Babys. Täuschend friedlich.

Sie legte ihre Finger um seinen Arm und war nicht überrascht, als sie fühlte, wie angespannt seine Muskeln waren.

Er war in Wachhundstimmung.

Und sie auch.

Sie waren noch weit davon entfernt, es geschafft zu haben.

"Was hat er zu Dir gesagt, bevor sie gegangen sind?" fragte sie, mehr um sich abzulenken als alles andere.

"Wer? DaSilva?" Er lächelte ein wenig. "Er sagte, er wüßte etwas besseres mit diesen dreißigtausend anzufangen.

Sie lachte leise und schüttelte ihren Kopf. "Was für ein Paar. Warum, glaubst Du, wollten sie L.. little George Jr. so sehr? Sie schien ebenso glücklich mit den Jungen, die sie ausgesucht hat."

Mulder untersuchte träge das Haus und das Grundstück.

"Das letzte Mal, als ich sie sah, hatte sie rote Haare."

"So einfach?"

"Mmmphh."

Dieses Warten brachte sie um. Ihr Kopf hämmerte grauenvoll, sie fühlte sich überall grün und blau und alles, was sie wollte, war ein Nickerchen in einem lauen Bad machen und dann ein Jahr lang schlafen.

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schloß die Augen. Sein baumwollenes Frackhemd war feucht und sie rieb ihre Wange daran. Sie gaben das perfekte Bild einer glücklichen Familie ab, wenn irgend jemand sie beobachten würde, und sie brauchte die Berührung seines Körpers in diesem Moment.

"Was denkst Du, werden sie tun mit zwei Babys?" fragte sie.

"Ein Kindermädchen anstellen," sagte Mulder, seine Stimme abwesend.

"Zwei Kindermädchen."

"Miau."

Unschuldig zog Scully eine Augenbraue hoch, dann lächelte sie und betrachtete wieder Liam. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob er wie Bill als Baby aussah oder wie Charly. Sofort wenn sie zurück in den Staaten waren, mußte sie ihre Mutter anrufen und sie bitten, ihr einige ihrer alten Fotos zu schicken.

Ihre Mutter. Sie lächelte ihn an. Ihre Mutter würde begeistert sein.

Verwirrt, aber begeistert.

Das Baby gab ein kleines Geräusch von sich. Glück? Unbehagen? Sie konnte es noch nicht erkennen. Seine Augen waren noch geschlossen und er schlief friedlich, aber wahrscheinlich sollten sie ihn nicht länger draußen in der Hitze lassen. Scully streckte ihre Hand aus und befühlte seinen Nacken mit ihren Fingern. Er schien in Ordnung zu sein, möglicherweise mehr an diese Temperaturen gewöhnt als sie beide.

"Ist es zu heiß für ihn?"

Mulder musterte sie. "Es ist nicht so heiß. Er ist in Ordnung."

"Nicht so heiß? Es ist kochend heiß."

Er drehte sein Handgelenk um, um auf seine Uhr zu sehen.

"Die Überweisung sollte bald erledigt sein und dann verschwinden wir hier."

Das Baby öffnete den Mund im Schlaf und formte ein perfektes "O", und plötzlich wünschte sie, sie hätte eine Kamera.

Vier Monate. Sie hatte bereits vier Monate versäumt.

"Keine Kindermädchen," sagte sie leise.

Mulder bewegte seinen Arm ein wenig. "Scuh-lee," sagte er sehr, sehr leise, beinahe... warnend.

"Was?" Sie hob ihren Blick und sah ihn an.

Mulder sah sie an, sein Gesichtsausdruck vorsichtig.

"Was?" fragte sie wieder.

Seufzend sah er weg.

"Mulder?" fragte sie leise.

Er drehte sich wieder zu ihr um. "Ich habe schon."

"Hast schon was?"

Er beobachtete sie genau. "Eins eingestellt."

Scully setzte sich plötzlich auf. Zu schnell sagte sie sich. Zu schnell für die sie beobachtenden Wachen, zu schnell für ihren Kopf. Sie zwang sich, sich wieder zurückzulehnen und legte eine Hand auf ihre Stirn. Ihr war schwindlig, sie mußte aus dieser wahnsinnigen Hitze heraus.

"Du hast ein Kindermädchen eingestellt?"

Er nickte.

"In D.C.?"

Er nickte wieder, sehr langsam, seine Augen beobachteten sie immer noch sorgfältig.

In D.C.

Er hat ein Kindermädchen in D.C. angestellt.

"Aber..."

Sie versuchte zu begreifen, was das wirklich bedeutete. Aber ihre Gedanken wiederholten immer nur D.C., D.C.

"Du hast mir gesagt," sagte er langsam, sein Gesicht sehr ruhig, seine Stimme... sorgfältig distanziert, "daß Du nichts von ihm wissen willst."

Plötzlich hämmerte ihr Kopf wirklich. Sie fühlte Schweiß ausbrechen auf ihrer Oberlippe und auf ihrer Stirn.

Er war einen Moment lang still, während dies wirkte. "Ich hatte eine Weile - einen Monat - Zeit, darüber nachzudenken. Und ich dachte, es wäre besser, einen Plan zu machen."

"Aber wie... Mulder... Du hast mir doch nicht wirklich geglaubt, als ich das sagte, nicht wahr?"

Mulder schaute weg von ihr, über den schlafenden Garten und kniff seine Augen ein wenig zusammen, seine Zähne gruben sich hart in seine Unterlippe.  Lange Zeit war er still. "Ich habe auch nicht geglaubt, daß Du wirklich gehen würdest... aber Du hast es getan." Seine Augen schwenkten zu ihren.  Der Schmerz, den sie darin sah, nahm ihr den Atem. So sehr verletzt?  staunte sie. Selbst nach einem halben Jahr Getrenntseins nicht verblaßt?

Und plötzlich drehte sich die Unterhaltung um etwas völlig anderes.

"Mulder...ich..."

"Shhh!" warnte er scharf. "George." Seine Augen flatterten weg von ihren und geschwind über das Grundstück.

Ihr Blick folgte seinem. Nichts Aufregendes.

Müde schloß sie ihre Augen und versuchte, nachzudenken.

Er hatte es verlangt. Sie war gegangen. Sie war gegangen, weil er es verlangt hatte... gefordert hatte, daß sie ging.

Oder vielleicht...

Nein.

Das war es, was sie sich selbst eingeredet hatte. Aber vielleicht war die Wahrheit...

Sie war gegangen, weil sie bereit war zu gehen.

Ihr Kopf hämmerte jetzt wahrhaftig. Sie mußten reden. Unbedingt. Aber nicht jetzt. Nicht hier.

Scully öffnete ihre Augen.

Mulder war still. Seine Augen waren geschlossen, sein Kopf nach vorn gebeugt, seine Lippen an der Schläfe des Babys.

Er wollte Liam mitnehmen nach D.C. Das war sein Plan von Anfang an. Er kaufte dieses Baby für sich selbst. Nicht für sie.

Alles was sie hätte sagen können, steckte hinter den Tränen, die in ihrer Kehle saßen.

Wie hatte sie das nicht sehen können?

Mulder begann zu sprechen, seine Augen immer noch geschlossen, seine Stimme so leise, daß sie sich zu ihm herüber beugen mußte, um ihn zu verstehen.

"In San Diego? In dieser Nacht in der Privatklinik? Ich nahm seinen Ink..." Er schien über das Wort zu stolpern. "Inkubator und hielt ihn in meinen Händen. Und ich dachte, ‚ich habe ihn. Endlich. Den Beweis.' Den Beweis dafür, was sie Dir angetan hatten. Was sie all den anderen Frauen angetan hatten. Der Beweis, der uns ständig entwischt war. Ich hatte ihn. Ich hielt ihn in der Hand. Genug , um einige Antworten zu fordern, vielleicht genug, um einige Leute zur Verantwortung zu ziehen. Genug, um ein wenig Gerechtigkeit zu bekommen."

Sie nickte langsam.

"Und dann..." Er verstummte. "Und dann bewegte er sich. Nur ein kleiner Tritt. Aber mit einem Mal wußte ich, daß ich nicht irgendeinen abstrakten Beweis in den Händen hielt... Ich hielt einen Menschen in der Hand.

Er hob seinen Kopf und dann sah er sie voll an. "Dein Kind."

Sie schluckte schwer.

"Meine erste Reaktion war, mit ihm da rauszurennen und ihn zu Dir zu schaffen. Aber Du warst im Krankenhaus mit... Emily. Und er wurde am Leben erhalten durch..." Er bewegte sich unbehaglich. "... eine Technologie, von der ich nicht glaubte, daß wir sie kopieren könnten. Und... ich konnte Dir das nicht antun. Mittendrin von all dem, was Du durchmachtest, aufzutauchen und Dir ein anderes - vielleicht sterbendes - Baby zu bringen."

Sie starrte ihn an, ihre Augen füllten sich mit Tränen.

"So ließ ich ihn da. Es hat mich beinahe umgebracht, es zu tun, aber ich entschied, daß es besser war, fortzugehen als Dir noch mehr Schmerzen zu bereiten..."

Er räusperte sich.

"So haben Frohike und ich Transgen beobachtet, hatten ein Auge darauf, was mit ihm passierte. Verfolgten ihre Transportaufträge, Aufträge zur medizinischen Versorgung, Gehaltslisten, einfach alles. Als er herausfand, wohin sie die Operation verlegt hatten, als wir die Verbindung zwischen Madame Charlotta und Liam herausfanden?" Er schüttelte den Kopf. "Du weiß nicht, Scuh-lee..."

Seine Stimme wurde beinahe unhörbar. Sie mußte sich dichter zu ihm beugen, um ihn zu hören. "Es war, als ob... als ob ich alles gefunden hatte, was ich immer wollte. Nur besser, weil..."

Sie nickte, die Augen weit aufgerissen.

"Weil er frisch und neu war. Weil er keine Vergangenheit hatte, die ihn verfolgen konnte. Weil er das einzig gute war, das bei all dem herauskommen konnte, was Dir passiert war... während Du mit mir zusammen warst."

Es war nicht das, was sie von ihm zu hören erwartet hatte. Aber... es war besser. Die Intensität und die Ehrlichkeit... Die Tränen liefen ihr nun über die Wangen. Sie wischte sie weg.

"Mulder," flüsterte sie erleichtert. "Ich will ihn. Es tut mir leid, daß ich Dich glauben machte, ich wollte nicht."

Er schaute sie an, seine Augen voller Erleichterung und Hoffnung.

"Du wirst kein Kindermädchen brauchen." Sie lachte ein bißchen belegt durch ihre Tränen. "Natürlich werde ich ihn behalten."

Er sah sie einen Moment an. Wartend.

Sie nickte.

"Ich werde frei nehmen. Mach Dir keine Sorgen, Mulder. Uns wird es gut gehen."

Er starrte sie weiter an. "Es wird Euch gut gehen," flüsterte er matt.

Sie nickte.

"In L. A.?"

"Natürlich in L. A.," wiederholte sie leise. Sie streckte ihre Hand aus, um Liams kleine Faust zu streicheln, dann blickte sie Mulder wieder an.

Scully sah, wie seine Augen traurig wurden, dann ungläubig.

Er legte das Baby zärtlich auf seine andere Schulter, auf die von ihr abgewandte, und spreizte seine Hand schützend über Liams Rücken.

"Mulder, was ist?" fragte sie ein wenig verzweifelt, erschrocken durch den Ausdruck in seinen Augen.

"Sieben Monate." Er kniff seine Augen zusammen und nickte, als würde er sie schließlich verstehen. "Sieben Monate," wiederholte er und schenkte ihr ein kurzes bitteres Lachen. "... und - nicht zu vergessen fünfundsiebzigtausend Dollar - später. Und ich bin immer noch ein ahnungsloser Hurensohn." Er machte ein vielsagendes empörtes Geräusch in seiner Kehle. "Daraus wird nichts."

Er stand auf und drehte ihr den Rücken zu, ließ sie zurück ohne einen weiteren Blick.

"Komm Liam," sagte er und ging davon.

Sie starrte ihm schockiert nach.

Daraus wird nichts?

Was zur Hölle?

Was hatte er gedacht...?

Sie biß sich auf die Lippe, als sie in beobachtete, wie er durch den Garten ging, den Kopf über das schlafende Baby gebeugt.

Komm, sagte sie sich heftig. Du wußtest, daß das kommen würde. Du wußtest, daß er Dich - etwas - fragen würde und daß Du eine Antwort haben solltest.

Ja oder nein, Scully.

Scuh-lee.

Und sie hätte ihm genauso gut ins Gesicht schlagen können.

Rasch stand sie auf und sie fühlte das Blut aus ihrem Kopf fließen. Sie setzte sich ebenso schnell wieder hin und wollte, daß die langsam steigende Dunkelheit in ihrem Wahrnehmungsbereich wegging. Was würde für die sie beobachtenden Wachen weniger beunruhigend aussehen: sie mit ihrem Kopf zwischen den Knien oder auf dem Boden zusammengesackt?

Knie entschied sie und lehnte sich nach vorn, stützte ihren Kopf in ihre Handflächen.

Als Charlottas Bediensteter ein paar Minuten später mit einem Glas Eistee an ihrer Seite auftauchte, war sie in der Lage, sich aufzusetzen und griff zitternd nach dem Glas.

Der junge Mann stand an ihrer Seite, während sie trank, einen winzigen Funken Mitleid in seinen dunklen Augen.

"Die Hitze..." brachte sie heraus als eine Art Erklärung.

"Möchten Sie, daß ich Ihren Mann hole, Mrs. Hale?"

Ihre Augen gingen zu Mulder, der auf der weit entfernten Seite des Gartens stand. Er war im Schatten irgendeines exotischen schlanken Baumes, schaukelte Liam ein wenig und beobachtete sie. Als er sah, daß sie ihn anschaute, drehte er sich weg.

Sie biß sich auf die Lippen.

"Nein, danke. Mir geht es gut."

"Ja, Ma'am." Der Bedienstete nickte und ging zurück ins Haus.

 

 

 

 

Teil 18

 

"Mr. Hale? Herzlichen Glückwunsch."

Eine strenge Welle exotischen Parfüms begleitete die leise Stimme. Scullys Lider flatterten auf und da war Madame Charlotta, die einem lächelnden Mulder die Hand schüttelte, der ein paar Schritte von ihr entfernt stand.

"Die Überweisung hat geklappt?" Sogar für ihre eigenen Ohren klang ihre Stimme schwach und unsicher.

Charlottas Augen ruhten kurz auf ihr.

"Ja. Herzlichen Glückwunsch, Mrs. Hale. Sie sind ab jetzt Eltern.

Aufgeregt?"

Scully erhob sich langsam, eine Hand auf der Rücklehne der Bank. Kein Anflug von Dunkelheit diesmal. Gott sei Dank. "Ja. Es ist... wundervoll!" brachte sie zustande, ein bißchen zu strahlend, und lächelte so breit, wie sie konnte.

Plötzlich waren die Schwestern um sie.

Eine junge Malaysierin in Weiß streckte ihre Arme nach dem Baby aus. "Wir ziehen ihn um, bevor Sie gehen, Mr. Hale," sagte sie sanft.

Scullys Augen huschten zu Mulders angesichts der unbeabsichtigten Doppeldeutigkeit, aber er sah sie nicht an, lächelte nur die Schwester an und sagte, "Zeigen Sie mir, wie." Das Mädchen kicherte und führte ihn fort.

Scully, deren Kopf immer noch hämmerte, schluckte einmal, ließ die Bank los und drehte sich zu Madame Charlotta. "Sonst noch etwas?" fragte sie.

"Noch ein paar Papiere unterschreiben und dann können Sie sich auf den Weg machen." Sie drehten sich um und begannen langsam zurück zum Haus zu gehen.  "Haben Sie vor, sich noch mehr von Singapore anzusehen, bevor Sie in die Staaten zurückkehren?"

"Äh... vielleicht," antwortete Scully und hörte mit halbem Ohr zu, als Madame Charlotta ihr die verschiedenen Plätze aufzählte, die sie einfach besuchen müßten.

Scully unterbrach schließlich den Redefluß. "Entschuldigen Sie, Madame, aber wurde George Jr. von einer... bestimmten Schwester... versorgt?"

Die Frau zog die Augenbrauen hoch, dann zeigte sich Verstehen in ihren Augen. "Sie meinen, ob er jemanden Bestimmten vermissen wird?"

"Ja."

"Nein." Madame Charlotta klopfte ihr beruhigend auf den Arm. "Er erhielt außergewöhnliche Sorgfalt und Aufmerksamkeit von verschiedenen sehr liebevollen Schwestern. Sie sehen, er ist ein glückliches, gesundes Baby.  Aber von nun an werden Sie für ihn sorgen und ich weiß, er wird sofort an Ihnen hängen. Schließlich, Mrs. Hale," sagte sie lächelnd, "sind Sie jetzt seine neue Mama."

Scully nickte angesichts der Worte der Beruhigung, dann folgte sie der Frau ins Haus.

Sie überflog die Papiere, die Charlotta vor sie hingelegt hatte, dann unterschrieb sie, sorgfältig darauf achtend, daß sie im Moment Isobal Hale war. Dann kamen Mulder und Liam zurück, umringt von einer Gruppe lachender Schwestern. Sie placierte ein Lächeln zurück auf ihr Gesicht und ließ sich vorwärts treiben, als sie sie zum Wagen brachten.

Die Schwestern und Charlotta mußten das Baby zum Abschied umarmen und küssen, dann halfen sie, es in seinen neuen Autositz zu packen und luden all seine Taschen auf den Rücksitz.

Scully stand auf der einen Seite, schwankte ein wenig und dachte sehnsüchtig an die Klimaanlage des Autos. Mulder benahm sich wie ein perfekter Vater. Er erkundigte sich nach Essen, Schlafen und Decken, lächelte stolz auf Liam herab und ignorierte sie völlig. Er überprüfte den Sicherheitsgurt an Liams Autositz ein letztes Mal und griff nach dem Griff der Beifahrertür.

Sie leckte sich über die Lippen. "Ich glaube, es ist besser, wenn Du fährst, Mul..."

Nun sah er sie an, umfaßte ihr Gesicht mit einem kurzen irritierten Blick, hielt sie am Ellbogen fest und schubste sie praktisch ins Auto.

Undeutlich registrierte sie Madame Charlotta und die Schwestern, die zum Abschied winkten, als er das Auto startete, langsam die lange gewundene Zufahrt hinabfuhr und die uniformierten Wachen am Tor passierte.

Scully lehnte ihren Kopf gegen die Kopfstütze und schloß die Augen. Sie atmete langsam und wartete darauf, daß die Klimaanlage ansprang.  Schließlich strömte kühle Luft aus den Schlitzen und sie saß vollkommen still und ließ sie über ihre überhitzte Haut streifen.

Nach ein paar Minuten klappte sie die Sonnenblende herunter und benutzte es als Rückspiegel für die Straße hinter ihnen.

Kein Auto in Sicht.

Sie hatten es geschafft.

Sie drehte den Spiegel, so daß sie Liam in seinem Sitz sehen konnte.

"Wir haben es geschafft," sagte sie leise. "Wir haben es geschafft, Mulder.

Wir haben ihn."

Er antwortete nicht.

Sie sah zu ihm herüber. Er saß lässig zurückgelehnt in seinem Sitz und fuhr zügig, seine Bewegungen schnell und automatisch. Sein Blick war finster.

"Mulder... wir müssen reden."

Er erwiderte ihre Worte nicht und sie fragte sich, ob er sie überhaupt gehört hatte. Schweigend fuhren sie ein paar Blocks.

"Dann sprich," stieß er schließlich hervor, seine Stimme rauh und gereizt.

Sie krümmte sich. Mist.

"Sieh, Mulder. Ich kann Dir die Zeit nicht zurückgeben, die Du damit verbracht hast, ihn zu suchen, aber ich habe ein bißchen Geld gespart..."

"Zum Teufel mit dem Geld."

"Aber Du sagtest..."

"Ich habe einfach nur Tamtam gemacht. Es hat nichts zu tun mit dem Geld."

Sie schluckte schwer. In Ordnung. Sie hatte das befürchtet. "Mein Leben jetzt ist in L. A...." begann sie.

"Das hast Du deutlich gemacht."

Seine Stimme. Gott. Sie hatte ihn verletzt.

"Mulder... sieh mal, was immer Du geglaubt hast, was ich damals gesagt habe. Ich habe Dich niemals verletzen wollen. Ich dachte..." Sie legte ihren Kopf in ihre Handfläche und rieb sich die Stirn. Sie sah ihn von der Seite an. Er blickte finster auf die Straße. "Ich weiß nicht, was ich dachte," endete sie kläglich.

Ein Muskel in seinem Kinn wurde hart, sonst gab es keine Veränderung in seinem Gesichtsausdruck.

"Nun, was immer jeder von uns dachte, es spielt keine Rolle mehr," sagte er und sein Ton sagte ihr mehr als Worte, daß ihre Entschuldigung zu spät kam.  "Sie wußten Bescheid."

"Was!??"

"Sie wußten Bescheid," wiederholte er bitter. "Sie wußten genau, wer wir waren und sie ließen uns hereinkommen und ihn mitnehmen."

Sie versetzte sich verzweifelt zurück. Es war alles glatt gegangen. Was...?

"Mulder? Woher weißt Du das!?"

"Calderon und zwei von den Crawfords haben uns von der oberen Terrasse aus beobachtet, als wir draußen im Garten waren. Sie sprachen mit Charlotta und einer anderen Frau..." Sein Ton wurde ironisch. "... die Charlottas Zwilling hätte sein können."

"Oh, mein Gott," sagte sie ungläubig. "Sie auch? Haben sie gemerkt, daß Du sie gesehen hast?"

"Nein."

"Sie haben uns vom Boot erkannt? Warum haben sie uns nicht aufgehalten?"

Er schüttelte den Kopf. "Begreifst Du es nicht? Sie haben die ganze Zeit gewußt, daß wir es waren. Es war eine einzige große abgekartete Sache."

Sie lehnte sich nach vorn, um wieder in den Spiegel zu sehen. Immer noch kein Anzeichen dafür, daß ihnen jemand folgte.

Er lachte spöttisch. "Sie müssen uns nicht folgen. sie sind jetzt in meiner Wohnung, trinken mein Bier und installieren eine Überwachungskamera."

"Aber wie konnte es eine abgekartete Sache sein?" protestierte sie. "Du hast sie gefunden, nicht sie Dich. Und Liams DNA? Sie stimmt überein. Du hast gesehen, wie sie das Blut abnahmen. Sie können das nicht gefälscht haben."

Seine Augen ruhten kurz und unparteiisch auf ihrem Gesicht. Der Ausdruck darin schreckte sie ab. "Ich glaube, daß Liam der einzige ist, der hier real ist."

Sie keuchte flach und drehte sich weg von ihm. Mulder verletzt und wütend war die eine Sache. Mulder bewußt grausam war etwas, wogegen sie sich nicht verteidigen konnte.

"Sie wollten, daß wir ihn bekommen. Offensichtlich wollten sie nicht, daß wir herausfinden, daß sie Bescheid wissen. Aus irgendeinem Grund sollten wir annehmen, daß wir sie in ihrem eigenen Spiel geschlagen haben."

Scully wartete darauf, daß die vertraute Leidenschaft in seine Stimme zurückkehrte, die wir-werden-diese-Bastarde-dafür-bezahlen-lassen-Entschlossenheit, die Art, wie es immer war, wenn diese Männer - wer auch immer zur Hölle sie waren - kamen und ihre Leben durcheinanderbrachten.

Aber da war nichts in seiner Stimme als eine Art selbstanklagender Bitterkeit... und er hatte offensichtlich seine Meinung dahingehend geändert, daß sie nicht länger an seiner Seite war.

Mulder wandte sich von ihr ab und zog eine Schulter hoch, konzentrierte sich auf die Straße.

"Aber warum, Mulder? Warum würden sie wollen, daß wir ihn bekommen? Du hast es selbst gesagt: er ist ein Beweis."

"Warum wollten sie, daß Du Emily bekommst?"

Sie starrte sein Profil an und runzelte die Stirn. "Sie wollten nicht, Mulder. Ich fand..."

"Du fandest sie? Warum San Diego? Die Stimme Deiner toten Schwester am Telefon? Und Dein Bruder und Tara plötzlich schwanger, nachdem sie dort stationiert wurden? Du hast mir selbst gesagt, daß sie es jahrelang versucht haben."

Sie saß erstarrt da. "Mulder, nein, nicht..."

Er bewegte eine Schulter in einem winzigen Achselzucken.

"Tara ist wieder schwanger," erzählte sie ihm.

Er sah nicht überrascht aus.

"Sag mir, daß Du keinen Beweis hast..." flüsterte sie.

Er seufzte frustriert, dann schüttelte er den Kopf.

Sie atmete tief ein. "Wenn sie wollten, daß ich sie bekomme, warum gaben sie mir dann nicht die Mittel, um sie am Leben zu erhalten?"

Er schloß seine Augen für eine Sekunde.

"Oh. Mist," sagte sie in einem sehr leisen Flüsterton.

"Mulder?"

Er ignorierte sie und kniff seine Augen zusammen, konzentrierte sich scheinbar auf den zunehmenden Verkehr, als sie durch die Innenstadt fuhren.  Aber sie hatte das Gefühl, daß er nichts davon sah. Sie kannte diesen Ausdruck. Er versetzte sich zurück, versuchte die Teile zu sortieren.

Sie drehte sich um und sah zu Liam. Er gluckste und sie bot ein winziges Lächeln für ihn auf. Dann drehte sie sich zurück zu Mulder.

Schließlich schüttelte er den Kopf.

"Nein. Sie konnten es vorher gar nicht gewußt haben. Tatsächlich lief alles gut, bis ich kam, um Dich zu sehen. Und seitdem habe ich jeden Schritt vermasselt. Ich und mein gottverdammter Plan." Seine Stimme war unerträglich spöttisch.

"Mulder, nicht..."

"Mulder, nicht was? Dir nicht etwas sagen, was Du wirklich nicht hören möchtest?"

Sie starrte ihn an. "Was?"

"Du sagst mir, ich soll Dich nicht schützen, daß Du die Wahrheit wissen möchtest. Aber wir wissen beide, daß das nicht die ganze Wahrheit bedeutet, nicht wahr?" Er blickte sie an, seine Augen zynisch. "Nun, ich weiß nicht, welche Teile Du von mir überhaupt erwartest, daß ich sie herausfiltere."

"Mulder..." Sie verstummte schockiert.

"Weißt Du, wie schwer es war, Dir nicht von ihm zu erzählen?"

Schweigend schüttelte sie den Kopf.

"Ich hatte vor, Dir von ihm zu erzählen... versuchte, Dir von ihm zu erzählen, als ich nach L. A. kam. Aber Du standst da mit Deinem glücklichen neuen Leben und Deiner Schublade voller Kondome und Deiner ‚Fuck-yourself-Mulder'-Einstellung und..." Sein Blick glitt kurz über sie hinweg. "Es war einfacher, mit Dir zu schlafen als in Deine Augen zu sehen und zu versuchen, herauszufinden, ob Du wissen wolltest, daß Du einen Sohn hast."

Sie erstarrte.

"Also habe ich Dich hierher geschleppt und gehofft..." Er machte einen langen holprigen Atemzug. "Ich dachte, wenn Du es herausfindest, würdest Du begeistert sein. Aber Du hast es mir regelrecht ins Gesicht geschleudert." Seine Lider flatterten einen Moment, dann schüttelte er den Kopf und beobachtete ausdruckslos die Fußgänger, die vor ihnen an einer Ampel vorübergingen. "Mal sehen, was habe ich denn noch so vermasselt? Wieder mit Dir geschlafen, obwohl ich mir geschworen hatte, es nicht zu tun. Ich habe Dich praktisch beinahe umgebracht. Wieder einmal." Er hätte genauso gut eine Einkaufsliste abhaken können. "Und dann wieder mit Dir geschlafen, wo... sieh Dich an..." Seine Augen glitten seitwärts, um sie eine Sekunde lang anzusehen, dann wieder fort. "... Du wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung hast. Das alles, weil ich meine gottverdammten Hände nicht von Dir lassen kann."

Seine Finger schlossen sich plötzlich fest um das Lenkrad.

Sie hätten genauso gut an ihrem Hals sein können. Sie realisierte, daß sie nicht atmete, schloß ihre Augen und konzentrierte sich auf den Versuch, zu atmen.

"Ich dachte... ich dachte, er würde einiges von dem ganzen Scheiß wieder gutmachen, den Du wegen mir durchmachen mußtest. Oder sogar..." Seine Stimme tropfte auf einmal vor Sarkasmus. "... daß plötzlich alles vergeben sein würde und Du zurückgerannt kommen würdest." Er schnaubte. "Was für ein verdammter Narr bin ich."

Sie öffnete ihren Mund, aber sie hatte keine Ahnung, was sie dazu sagen sollte. "Du dachtest was?" kam heraus, aber dann brach ihre Stimme. Sie atmete tief ein und versuchte es noch einmal. "Du dachtest, Du könntest Liam benutzen..., um mich zu bestechen... zurückzukommen?"

Er drehte seinen Kopf und traf ihre Augen, forderte sie heraus. "Schockiert Dich das? Du wußtest doch immer, daß ich ein Arschloch bin, richtig?  Deswegen bist Du gegangen."

Sie wollte ihre Hand auf seinen Mund schlagen und schreien Stop!, aber alles, was sie tun konnte, war dazusitzen und ihn anzustarren und seine vernichtenden Worte durch das Auto ziehen zu lassen.

"Und jetzt... Das. Du. Heute. Sie..." Er machte eine heftige wütende Geste, alles einschließend. "Sie haben es herausbekommen. Sie haben verdammt noch mal herausgefunden, was ich gemacht habe und ich habe keine Ahnung wie.  Frohike und ich, wir waren so vorsichtig."

"Aber," sagte sie. "Wir haben ihn bekommen. Er ist jetzt hier." Sie guckte zu Liam, er schwenkte seine Ärmchen, als er sie sah. Sein Gesicht kräuselte sich zu einem breiten Lächeln.

Gott.

"Du hast es immer noch nicht begriffen, nicht wahr? Er sollte unser ein.

Nun gehört er ihnen."

Ihr Gehirn konzentrierte sich auf ein Wort: ‚unser'. Sie sah kurz zu Mulder zurück.

Seine Augen verengten sich. "Aber es geht nicht mehr um Dich. Es geht um ihn. Ihn zu schützen."

"Mulder. Was dachtest Du..."

"Ich weiß nicht, was ich verdammt noch mal gedacht habe." Seine Augen glitten herüber, um ihre zu treffen. "Ich bezweifle, daß ich in diesem Punkt überhaupt gedachte habe."

Sie fühlte sich überall wund, als wenn jedes Nervenende in ihrem Körper geschunden worden war. Und ihr Kopf. Gott, wenn sie nicht bald etwas dagegen tat, würde sie sich übergeben.

"Mulder... hör auf," protestierte sie. "Tu das nicht."

Er starrte sie immer noch an, ließ sie schließlich seine Enttäuschung, die er wegen ihr empfand, völlig in seinen Augen sehen. "Ich wünschte, ich wäre niemals bei Dir aufgekreuzt..."

"Genug!" unterbrach sie ihn mitten im Satz. "Fahr ran."

"Was?"

"Halt das Auto an."

"Kann das nicht bis zum Flughafen warten...?"

"Nein," sagte sie scharf. "Ich sagte, halt das Auto an."

Er fuhr den Wagen ohne Kommentar an die Seite und starrte geradeaus.

"Mach den Kofferraum auf."

Mulder bediente den Kofferraumhebel und lehnte sich in seinen Sitz zurück.  Er sah sie nicht an, trommelte nur langsam mit seinen Fingern auf das Lenkrad.

Ihr Koffer war natürlich ganz unten. Sie stieß seinen zur Seite und fummelte, während ihr der Schweiß über das Gesicht lief, am Kombinationsschloß und wühlte nach ihrer Schminktasche. Dankbar schlossen sich ihre Finger um das kleine Fläschchen. Halbgeschlossen stopfte sie ihren Koffer zurück, warf die Kofferraumklappe zu und sah sich um. Sie hatten an einem Park am Fluß gehalten. Und, sie seufzte erleichtert, da war ein Imbißstand.

Während sie sich anstellte, beobachtete sie eine Familie, die Fotos vor einem großen steinernen Springbrunnen am Wasserrand machte.

Mutter, Vater und drei kleine Mädchen stellten sich in Pose, während ein anderer Tourist das Foto machte. Sie sagten alle ‚cheese' gerade, als der Mann auf die Frau herabsah und lächelte...

Gott.

Er hatte sich geschworen, er würde nicht mit ihr schlafen?

Er bereute es?

War das wahr?

Sie hatten den Kreis geschlossen. Zurück zu ihr, die schockiert zuhörte, als er die wütenden Worte ausspuckte. Worte, die sie verletzen sollten.  Worte, die sie wegstoßen sollten.

Was ist es nun? Tatsächlich das Ende für sie beide?

Sie sollte wütend auf ihn sein, aber...sie erkannte Selbstgeißelung, wenn sie sie sah und sie kannte die Hinterhältigkeit dieser Männer... was sie ihrer beider Leben angetan hatten. Er hatte ihr erzählt, wieviel das Baby ihm bedeutet hatte; herauszufinden, daß Liam irgendwie Teil ihres furchtbaren Planes war, war ein letzter Schlag... und er glaubte, sie hatte ihn im Stich gelassen... wieder. Zwei letzte Schläge.

Anstelle von Wut war alles, was sie empfand, eine Art von makabrem Mitleid... und ein taubes Gefühl, beinahe als würde sie schweben. Heiß und schwebend, hoch über all dem.

Es tat ihm leid, daß sie miteinander geschlafen hatten...

Scully schloß ihre Augen gegen die schimmernde Hitze des Pflasters... sie konnte immer noch seine Augen sehen.

Gott.

Es mußte der Klang der Wahrheit gewesen sein. Es war die Wahrheit.

Sie öffnete ihre Augen, als die Familie davonging, schnatternd und lachend wie richtige Touristen. Ihr Mund verzog sich sehnsüchtig, als sie sie beobachtete, dann konzentrierten sich ihre Augen auf die wasserspuckende Statue und versuchte, zu entziffern, was es war...

"Nur das, Miss, ja?" fragte der Imbißverkäufer, auf den Saft und das Wasser deutend, das sie sich genommen hatte.

Sie nickte, und dann, als sie bezahlte, sah sie die Einwegkameras in der Auslage und kaufte auch noch eine davon.

Die Flaschen jonglierend öffnete sie die Autotür und sank dankbar zurück in die Kühle drinnen.

Mulder hatte sich zurückgelehnt an die Kopfstütze, seine Augen waren geschlossen.

Sie sah nach hinten zu Liam, der wieder eingeschlafen war in seinem Sitz.  Er würde wahrscheinlich die ganze Nacht im Flugzeug wach sein. Sein Gesicht war so süß und in einer Hand hielt er seine Klapper, sogar im Schlaf. Gott sei Dank war er zu klein, um irgend etwas von dem hier zu verstehen.

Ihre Augen gingen zurück zu Mulder und wanderten über sein Profil, Erschöpfung und Niederlage waren in jede Linie seines Gesichtes geprägt.  Mit Schrecken bemerkte sie erste graue Strähnen an seiner Schläfe.

Mulder wurde grau.

Dieses Anzeichen traf sie schwerer als alles, was er während seiner Schimpfkanonade von sich gegeben hatte.

All diese Jahre hatte sie auf ihre Gelegenheit gewartet, darauf gewartet, daß Dr. Dana Scullys perfektes Leben schließlich begann: perfekte Karriere, perfekter Mann, perfektes Haus und irgendwie sogar zwei bis vier perfekte Über-Kinder. Sie hatte sich selbst überzeugt, daß der Tag kommen würde und alles würde in Ordnung kommen und sie würde plötzlich, augenblicklich, mühelos glücklich sein.

Und Mulder... sie hatte sich gesagt, wenn sie sich in ihn verlieben würde, wenn sie diesen unvollkommenen Mann in ihr Herz ließ... dann würde ihr wirkliches Leben vermasselt werden.

Irgendwie hatte sie die Tatsache, daß dies ihr wirkliches Leben war, total ignoriert. Und er hatte gerade ein weiteres halbes Jahr damit verbracht, ihrem Kind zu folgen.

Oh Mulder, dachte sie, ihre Augen liefen über sein Gesicht, was habe ich getan?

Sie nahm den Schweißfilm auf seiner Stirn wahr, die blaßgraue Farbe seiner Haut. Ihre Augen gingen zu seinem Puls, der an seinem Hals flatterte. Es war schwer, ihn visuell zu prüfen, aber...

"Mulder."

Er öffnete seine Augen und sah sie an. Der Ausdruck in seinen Augen war...  fürchterlich.

"Hier," sagte sie. "Ich habe Dir Saft mitgebracht. Trink ihn."

Seine Lider flatterten ein wenig. "Ich dachte, du bist gegangen."

Sie zog eine Augenbraue hoch.

"Ich dachte," sagte er langsam. "... Du wärst aus dem Auto gestiegen, hättest Deinen Koffer genommen und mich hier mitten in Singapore zurückgelassen."

Sie hielt ihm das Fläschchen Tylenol hin, damit er es sehen konnte. Seine Augen glitten von ihrem Gesicht weg und konzentrierten sich auf das Fläschchen. Er sah zu, wie sie vier Tabletten herausschüttete und sie mit einem wohltuenden Schluck ihres Getränks herunterschluckte. Seine Augen trafen wieder ihre. Der fürchterliche Ausdruck darin war weg, ersetzt durch eine Art verlegene Vorsicht.

Mulder hielt ihr seine Hand hin, die Handfläche nach oben.

Scully schüttete zwei Tabletten darauf und gab ihm seinen Saft.

"Ich habe Dich tatsächlich dafür bewundert," fuhr er fort, seine Stimme erschöpft. "Daß Du den Mumm hattest, einfach auszusteigen und mich erbärmlichen Arsch ein zweites Mal im Stich zu lassen."

Sie kaute kurz auf ihrer Lippe und dachte darüber nach. "Und Dich allein lassen mit Liam auf diesem Flug?"

"Uns wird es gut gehen."

Autsch. Getroffen.

"Du hattest meinen Paß," sagte sie schließlich leise.

"Und Dein Ticket." Er griff in seine Manteltasche und holte ihre Pässe und ihre Tickets hervor und sortierte ihre aus. "Hier." Er hielt sie ihr hin.

Scully sah nicht einmal hin. "Ich habe lange darauf gewartet, die Wahrheit von Dir zu hören, Mulder," sagte sie ihm, ihr sorgsam kühler Ton verdeckte die Tatsache, daß ihr Inneres nicht gerade fest war. "Ich meine, ich kann damit umgehen, ohne zu gehen."

Er sah sie an, vollkommen verständnislos.

Sie leerte ihre erste Flasche Saft und öffnete eine zweite. Sie fühlte sich gleich besser. Mulder war gerade dabei, seine zu leeren. Sie versuchte sich an das letzte Mal zu erinnern, als sie ihn irgend etwas essen gesehen hatte. Er hatte nicht besonders viel gegessen, seit sie angekommen waren.

Plötzlich war sie hungrig. Sehr hungrig. Wenn sie sich und ihn durch die nächsten fünf Minuten bringen konnte, dann würden sie Mittag essen gehen.

"Sieh mal," sagte er. "... Du..."

"Hör auf!" sagte sie klipp und klar. "Ich sagte, ich kann damit umgehen, nicht daß ich darüber heute noch irgend etwas hören will." Sie machte eine Pause. "Und NIE wieder vor Liam. Ist das klar?"

Mulder kräuselte seine Lippen, dann drehte er sich um und sah über seine Schulter hinweg zu Liam. Sie beobachtete ihn, wie er das schlafende Baby betrachtete. Die Haut rund um seine Augen sah noch blutunterlaufen aus, aber die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.

"Mulder. In Ordnung. Sie wissen Bescheid. Aber vergiß nicht, was hier wichtig ist... eine Sache. Und jetzt laß ihn uns zum Teufel noch mal aus Singapore rausbringen."

Mulder drehte sich zurück zu ihr und sie sah ihm direkt in die Augen, als er ihr Gesicht erforschte. Sie wußte nicht, ob er irgendwelche Antworten dort fand, aber schließlich sah er herab auf den Paß und das Ticket, die er immer noch in der Hand hielt, als könnte er sich nicht erinnern, wie sie dahin gekommen waren.

Er steckte sie zurück in die Innentasche seines Mantels.

Scully seufzte innerlich tief erleichtert auf und sah auf die Autouhr. Sie hatten noch ein paar Stunden Zeit, bis ihr Flugzeug ging. Als nächstes:

Essen.

Sie sah, wie seine Augen zu der Kamera in ihrem Schoß gingen.

"Zuerst Mittag," sagte sie. "Und dann... für den Fall, daß uns irgend jemand beobachtet, werden wir eine glückliche Touristenfamilie spielen.  Weil..." Sie nahm die Kamera und schwenkte sie halb verlockend, halb ermahnend. "Weißt Du was? Ich weiß, wo Dein Merlion ist, Mulder."

 

 

 

 

Teil 19

 

Venice Beach

Ihre Nase war bequem in dem vertrauten Geruch ihres eigenen Kissens versunken... sie öffnete ein Auge... draußen war es hell. Morgen?  Nachmittag? Benommen drehte sie ihren Kopf und musterte die Qualität des Lichtes durch das Fenster... neblig... im Juli?

Sie hob ihren Kopf heftig an. War es ein Traum gewesen?

Sich für einen Moment still verhaltend, lauschte sie auf die Geräusche in ihrem Apartment. Es war so still.

Waren sie gegangen?

Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und eilte, schweigend und nackt, zur ihrer Schlafzimmertür.

Es brauchte den Bruchteil einer Sekunde, den Raum zu untersuchen. Die Couch war leer, die Decken und Laken zusammengefaltet am Ende. Die Badezimmertür stand offen. Er war nicht im Apartment.

Aber Liam war da. Noch zusammengerollt, fest eingeschlafen, in dem Nest von Steppdecken, das sie ihm gemacht hatte in dem kleinen Alkoven am Ende des Arbeitsbereiches in ihrem Wohnzimmer.

Und da war Mulders Koffer. Sie atmete aus. Ein scharfes unbeabsichtigtes Geräusch der Erleichterung.

Scully bemerkte, daß sie eine Hand fest zur Faust geballt und an ihr Herz gedrückt hatte. Ihr Puls war von null auf hundertfünfzig in zwei Minuten gestiegen.

Einen Moment beobachtete das Heben und Senken von Liams Brust, dann, tief einatmend, entspannte sie bedächtig ihre Faust und eilte ins Badezimmer.

Der Boden war feucht, die Luft schmeckte nach seinem Shampoo. Seine Waschtasche stand auf der Ablage.

Er war noch hier. Liam war noch hier.

Was zur Hölle sollte sie tun?

Sie mußte einiges herausfinden. Schnell.

Ihr Bild im Badezimmerspiegel hielt plötzlich ihren Blick fest. Oh Gott.

Sie sah schrecklich aus.

Scully lehnte sich nach vorn, um ihren Bluterguß im Spiegel kritisch zu untersuchen. Es war eine grelle Mischung aus grün und gelb. Und nun konnte sie etwas anderes sehen als in dem schlecht beleuchteten Spiegel des Flugzeugwaschraums, sie erkannte, daß die Wunde schlimmer wurde, als sie eigentlich geglaubt hatte, sie schimmerte rot und blau mit einem Hauch gelb und warf Schatten auf die empfindliche Haut unter ihrem Auge.

Nein. Kein Traum.

Sie machte einen Schritt zurück und inspizierte ihren ganzen Körper. Ihr nackter Körper sah zu schmal aus, zu dünn... lauter Ecken und Blutergüsse.  Ein häßlicher grünlich-roter Fleck bedeckte ihre ganze Seite. Ihre Rippen und ihre Hüftknochen stachen zu weit hervor... ihre Brüste waren klein und sahen verlassen aus... Nicht unbedingt anziehend für jemanden, dachte sie traurig. Gott, niemand anderes als Dein eigener Spiegel sagt Dir die Wahrheit.

Als sie ein Geräusch aus dem Wohnzimmer hörte, straffte sie sich, dann entspannte sie sich. Es war definitiv das Geräusch eines hungrigen Babys.

Sie griff ihren Bademantel, der noch hinter der Badezimmertür hing, wo sie ihn vor Millionen von Jahren gelassen hatte und zog ihn über.

Als das Baby sie sah, hörte es auf zu weinen und lächelte.

"Hey, Liams," sagte sie sanft. "Bist Du froh, aus dem Flugzeug heraus zu sein? Ich auch." Sie kniete sich neben ihn, nahm ihn in den Arm und küßte ihn auf die Nase. "Wo ist Du-weißt-schon-wer?"

Liam guckte sie nur aus großen Augen an, ohne zu antworten.

"Das ist Dein neuer Papa für Dich," erzählte sie ihm, ihr Ton halb scherzhaft. Er hatte einen seiner Socken verloren und sie suchte mit ihrer freien Hand unter seinen Decken danach. "'Liam,'" sagte sie in ihrem besten Mulder imitierenden Ton. "'Ich höre, es wurden Lichter am Himmel über Wyoming gesehen. Ich muß da hin. Wir sehen uns in einer Woche, little Buddy.'"

Liam lachte.

Scully lachte hocherfreut zurück und umarmte ihn. "Ich wußte nicht, daß Du groß genug bist, um zu lachen. Das ist richtig. Lache nur, wenn er Dir das erzählt."

Sie hielt seinen dicken kleinen Fuß an ihren Mund und küßte ihn auf den weichen Spann. "Nicht, daß er mich jemals gewarnt hat, weißt Du." Sie senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. "Sag ihm einfach:

Aber, Papi, mein Socken ist verschwunden! Ich glaube, kleine graue Männchen haben ihn geholt. Vielleicht bleibst Du besser zu Hause und untersuchst das!"

Liam lächelte sie an, dann begann er seine Ärmchen aufgeregt zu schwenken.

Sie senkte ihren Kopf und legte ihre Lippen an sein Ohr.

"Vielleicht sollte ich Dich stehlen," flüsterte sie. "Dich verschwinden lassen." Sie sah auf ihn herab. "Wie würde Dir das gefallen?"

Dreißig Sekunden lang zog sie es in Erwägung.

Sie seufzte. Ich wünschte, ich könnte es tun, dachte sie. Ich wünschte, es wäre so einfach.

Liam gab, wie sie nun erkannte, sehr hungrige Geräusche von sich und sie wühlte in seiner Tasche nach einer Flasche Fertignahrung. "Da haben wir sie! Gott sei Dank haben wir eine übrig gelassen."

Das Baby seufzte zufrieden, als es nach dem Nuckel schnappte.

 

Der Rest des Nachmittags in Singapore und das Besteigen des Flugzeug war ihr nur verschwommen in Erinnerung. Sie hatten kaum zehn Worte miteinander gewechselt. Zwischen dem geisttötenden Dröhnen der Maschinen, ihrem gezwungenen Waffenstillstand und dem zunehmend unglücklichen Baby war ebensowenig eine Chance zum Reden gewesen.

Hin und wieder glitten sie in so etwas wie eine normale Unterhaltung, ohne das zu erwähnen, was sie gerade durchgemacht hatten oder wohin sie ihr Weg führte. Es war, als wenn sie sich in einem Zustand zeitweilig außer Kraft gesetzter Wirklichkeit befanden, in der was vorher geschehen war und was als nächstes geschehen würde, einfach nicht existiert.

Auf der zweiten Etappe des Fluges - noch acht Stunden von L. A. entfernt - reagierten sie beide nur noch mechanisch.

Liam schrie in panischer Angst, die sie beide zermürbte, als sie versuchten, ihn in die Korbwiege zu legen, so daß er die ganze Zeit in Mulders Schoß lag, unregelmäßig dösend, offensichtlich unglücklich.

Mulder, seinen Kopf über das Baby gebeugt, summte ihm ein kleines Lied vor und streichelte zärtlich seine Schulter und versuchte, ihn zu beruhigen.

"Armer kleiner Junge," sagte sie leise.

Mulder sah sie an, sein Gesichtsausdruck verschlossen, seine Augen sorgfältig auf Distanz. "Ich frage mich, ob er seine Kinderschwester vermißt."

"Naja... Matthew kennt Tara," sagte sie, sich um einen normalen Tonfall bemühend. Sie drehte ihren Kopf und ließ ihre Haare vors Gesicht fallen, um ihre Gesichtszüge vor ihm zu verbergen, als sie sich in einer von Liams Taschen vergrub auf der Suche nach etwas, irgend etwas, einer Eingebung...

Stoffwindeln im Flugzeug. Was für ein Alptraum.

"Manchmal," fuhr sie fort, "wenn er weint, will er nur sie. Niemand sonst kann ihn glücklich machen. Ich habe Madame C. gefragt. Sie sagte, daß er von verschiedenen Schwestern versorgt worden ist, gerade aus diesem Grund.  Aber er kennt uns noch nicht..." Sie hielt inne, sie hatte das unbehagliche Gefühl zu schwatzen.

Liam wand sich plötzlich und krümmte seinen Rücken.

"Möchtest Du, daß ich ihn nehme?" fragte sie.

"Nein." Er schaukelte Liam etwas fester. Er schien beschlossen zu haben, alles allein zu tun.

"Versuch, ihn auf den Bauch zu legen, Mulder. Reib seinen Rücken."

Er zögerte eine Sekunde, dann drehte er das Baby vorsichtig um und tat, was sie vorgeschlagen hatte. Liam schien sich ein bißchen wohler zu fühlen und schloß seine Augen wieder.

"Sieh mal!" sagte sie triumphierend. "Ein Binky."

"Ein was?"

"Ein Binky," sagte sie und hielt den Schnuller auf ihrer Handfläche.

"Das ist ein Nuckel," informierte sie Mulder.

"Danke, Dr. Spock."

Sie schob den Binky auf ihren Finger wie einen Ring und lehnte ihren Kopf zurück an ihren Sitz und betrachtete das schlafende Baby. In nicht einmal dreißig Sekunden fielen ihr die Augen zu.

Liam wählte diesen Moment, um ein plötzliches Wimmern von sich zu geben.  Sie tauchte den Schnuller in ihr Glas Cola, um ihn abzuspülen, wischte ihn an der Serviette ab und hielt ihn dem Baby an die Lippen. Nach einem bißchen Nörgeln nahm er ihn in den Mund, schloß seine Augen und begann, heftig zu nuckeln.

"Cola? Du wirst ihm die Zähne ruinieren."

"Er hat keine Zähne."

"Aber er wird welche haben," konterte Mulder.

"Nicht vor dem Ende dieses Fluges. Hoffentlich. Womit sollte ich ihn sonst waschen?"

"Du bist Ärztin. Er sollte sterilisiert sein."

"Ich bin auch die zweitjüngste von vier Kindern. Ich kann mich erinnern, das Charlys Binky in viel stärkeren Sachen gewaschen wurden - und viel kräftiger - als Cola."

"Ich hätte Miss Singapore rufen können, damit sie uns ein bißchen heißes Wasser bringt."

"Und eine halbe Stunde später, wenn sie es gebracht hätte, hätte er immer noch geweint? Sieh ihn an."

Liam war fast eingeschlafen.

"Cola kann den Rost von einem Vergaser wegfressen."

"Mul-der." Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück, schloß die Augen und hoffte, daß das die Diskussion beenden würde.

Lernen, Eltern zu sein in 12.000 Metern Höhe...

 

Ein unerwartetes gurgelndes Geräusch in ihrem Schoß brachte sie in die Wirklichkeit zurück und ihre Finger trafen auf etwas warmes, feuchtes und klebriges. "Äh...oh. Was ist das?" Sie drehte ihn herum und sah auf seinen Rücken. "Nun, Mr. Baby, Du hast eine sehr volle Windel. Was für ein Chaos!  Gott sei Dank sind wir damit nicht mehr im Flugzeug."

Liam sah sie an. lächelte und gurgelte glücklich. Er griff nach ihrem Bademantel, hielt sich ordentlich fest und begann daran zu ziehen.

"Zufrieden mit Dir, nicht wahr?" Sie griff seine Tasche und brachte ihn ins Badezimmer.

"Erzähl mir nichts," sagte sie zu ihm und suchte in seiner Tasche. "Nur eine saubere Windel ist übrig?"

Sie öffnete seinen roten Strampler und zog ihn herunter. "Oha." Sie brachte es fertig, ihm den Strampler auszuziehen und ihn in das Waschbecken zu werfen.

Sie löste vorsichtig die Stoffwindel und hüllte sie in die Gummihose. "Ich möchte sowas nicht noch einmal sehen," sagte sie zu ihm und warf sie in Richtung Abfalleimer. Sie landete natürlich mit einem durchnäßten Platsch auf dem Fußboden.

"Halt still, Liam, halt still. Ohhhh. Liams."

Statt dessen wackelte er vor Freude und nun war er von oben bis unten beschmiert. Sie sah hinunter auf ihre Knie. Ihr Bademantel war auch beschmutzt.

Liam hatte entschieden, daß ihre Haare das beste Spielzeug waren, das er jemals gesehen hatte und er packte sie mit seinen kleinen Fäusten. Zu spät erkannte sie, daß sie es zuerst nach hinten hätte stecken müssen, bevor sie das hier begonnen hatte. Sie schob es mit ihren Schultern zurück, so gut sie konnte.

"Okay, Mr. Stinky. Badewannenzeit für Dich."

Scully drehte den Wasserhahn auf und lehnte sich nach vorn, um die Wassertemperatur mit ihrem Ellbogen zu prüfen. Sie sah zu Liam herüber, der beinahe auf der Seite lag und versuchte, nach dem Saum ihres Bademantels zu greifen und sich gleichzeitig umzudrehen.

Sie griff nach ihm. "Oh nein, so nicht" meinte sie, hob ihn hoch und hielt ihn ungeschickt unter das laufende Wasser. So gut sie konnte wusch sie ihn ab, während er lachte und seine Arme schwenkte und ihr Wasser ins Gesicht spritzte und auf ihren Bademantel. Es war beinahe unmöglich, ihn zu halten und gleichzeitig zu waschen.

"Liam, Du bist ein glitschiger kleiner Kürbis." Sie sah an sich herab. Das Baby war ziemlich sauber, aber nun war sie schmutzig. "Okay. Rück rüber.  Ich komme rein."

Sie hob ihn aus der Wanne, steckte den Stöpsel in den Abfluß und ließ frisches Wasser ein.

"Ich wette, jemand hat, was wir brauchen in seiner Waschtasche." Sie griff nach Mulders Tasche auf dem Badezimmerregal, sie fiel herunter und der Inhalt verteilte sich auf dem Boden. "Oh, Sch..., wir müssen das nachher aufheben." Mit ihrem Fuß wühlte sie durch die umherliegenden Toilettenartikel, Rasierer, Rasierschaum, Rasierpinsel, Deo, Zahnpasta.  Shampoo. "Da haben wir es. Siehst Du? Ich kenne alle seine Geheimnisse." Sie ließ ein bißchen Babyshampoo aus der Reiseflasche unter das fließende Wasser laufen.

Liam lächelte sie an, als hätte sie irgend etwas komisches gesagt. "Gut," verbesserte sie sich vorsichtig. "Früher wenigstens."

Sie zog ihren Bademantel aus und warf ihn in die Ecke.

"Okay, da wären wir. Zurück in die Wanne." Sie stieg hinein, setzte sich im Schneidersitz hin und bettete Liam in ihrem Schoß. "So. Besser?"

Er lächelte sie wieder an und sie küßte ihn auf seine dicke Wange. "Du bist ein kleiner Schatz, weißt Du. Ich wünschte..." Sie verstummte seufzend.  "Ich wünschte nur."

ein paar Stunden vorher

irgendwo über dem Pazifik

 

 

Das stetige Dröhnen der Flugzeugmaschinen war eins geworden mit ihrem Nervensystem. Der Geruch der Flugzeugsitze, das Baby und Mulder, ihre ganze Welt. Sie war beinahe eingeschlafen, ihr Gehirn taub...

"Fühlst Du Dich etwas besser?" fragte er leise.

Sie dachte darüber nach, ohne ihre Augen zu öffnen. Wunderbarerweise hatte in dem kühlen, trockenen Inneren des Flugzeugs ihr Kopf schließlich aufgehört zu hämmern. Aber sie war wahrhaftig erschöpft. Physisch und mental.

Sie öffnete ihre Augen.

Er beobachtete sie.

Scully ließ ihren Blick über das Bild, das er abgab, streichen. Das schlafende Baby in seinem Schoß. Sein Haar ein einziges Durcheinander, sein Kinn bedeckt mit einem sechsunddreißig Stunden alten Bart. Sein teures Hemd am Kragen offen, zerknittert und mit Babyspucke befleckt. Ein Spucktuch über der Schulter. Seine Augen müde, aber hinter der Zurückhaltung konnte sie es plötzlich klar sehen - Sorge um sie.

Sie fühlte das altvertraute Ziehen in ihrem Herzen, stärker, eindringlicher denn je.

Anstatt es wegzuschieben, ließ sie das Gefühl durch ihren Körper fließen, bis es so war, als wenn das, was sie für ihn empfand ihr Blut war, das von ihrem Herzen warm durch ihre Adern, Arme, Beine, Finger, Zehen... Kopf gepumpt wurde.

Die Stärke dieser Empfindung nahm ihr den Atem.

Sie wollte ihre Hand ausstrecken und die Stoppeln an seinem Kinn berühren, ihre Finger an seinen Mund legen...

Er wartete immer noch auf eine Antwort und beobachtete sie neugierig.

"Äh... besser. Danke." Sie schluckte schwer. "Aber ich denke, ich werde zum Röntgen gehen, nur für den Fall, wenn wir zurück sind."

Er nickte. "Ich hätte Dich doch in ein Krankenhaus bringen sollen."

"Mmmnhph," murmelte sie zurückhaltend. "Was ist mit Dir?" fragte sie. "Wie fühlst Du Dich?" Er schürzte seine Lippen und sagte gar nichts. Sie meinte es physisch, aber das war es offensichtlich nicht, was er annahm.

Mulder sah auf das schlafende Baby herab und ein Muskel in seiner Wange zog sich zusammen. "Ich bin in Ordnung," murmelte er schließlich.

Scully glaubte es nicht.

Sie mußte ihn berühren, hob ihre Hand und legte sie auf seine. Seine Haut fühlte sich trocken und kalt an. Ihre Finger glitten eigenmächtig zu seinem Handgelenk. Fest drückte sie ihre Fingerspitzen auf seine Adern. Sie mußte sein Blut auch warm durch ihn fließen fühlen.

Sie waren so darum bemüht gewesen, sich nicht zu berühren. Darum. Der Kontakt war erregend, elektrisierend, der Strom floß von ihrem Körper in seinen und wieder zurück. Sie konzentrierte sich auf das Gefühl, nahm es in sich auf und fragte sich wieder, wenn es möglich war, daß diese Gefühle für ihn durch ihr Blut strömten - ob diese Leidenschaft einseitig sein konnte.  Sie konnte sein Herz schlagen fühlen, zuerst in ihren Fingern, dann in ihren Händen, dann schließlich in ihren Armen und in ihrer Brust. Mit einem Mal erkannte sie, daß ihre Herzen gemeinsam schlugen. Perfekt zeitgleich.  Die Haare an ihren Armen standen ihr zu Berge, als sie mit ihren Fingern lauschte. Bumm. Bumm. Bumm.

"Fühlst Du meinen Puls?" Er klang amüsiert.

Sie sah ihn schnell an. Konnte er es nicht auch fühlen?

Mulder sah auf ihre Hände herab. Er drehte seine Hand in ihrer um und legte seine Finger um ihr Handgelenk, seine Finger fühlten auch ihren Puls.

Ihr Handgelenk sah sehr schmal und zerbrechlich aus in seiner Hand. Zu zerbrechlich. Und der Bluterguß sah schlimm aus. Sie bog es ein bißchen, beruhigt durch das Muskelspiel unter ihrer Haut.

Mulder räusperte sich.

"Danke," sagte er leise.

"Wofür?"

"Dafür, daß du uns da weggebracht hast. Ich glaube, ich würde immer noch dasitzen."

Scully senkte ihren Kopf und versuchte, sein Gesicht zu sehen. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. "Ich glaube, Liam hatte etwas anderes im Sinn."

Er schüttelte ein wenig seinen Kopf, seine Aufmerksamkeit immer noch auf ihre Hände gerichtet und leckte sich die Unterlippe.

"Und dafür, daß Du mich nicht zurückgestoßen hast."

Mulder... Gott. Entschuldigte er sich? "Es wäre mir nie in den Sinn gekommen." sagte sie leise.

Er sah sie von der Seite an, betrachtete sie ernst, dann nickte er.

"Trotzdem, danke."

"Gern." Sie schenkte ihm ein winzig kleines halbes Lächeln.

Er betrachtete sie einen Moment, dann sah er weg, ohne das Lächeln zu erwidern. Unbehaglich bewegte er sich und sah auf seine Uhr. "Noch weitere sieben Stunden im Fegefeuer," sagte er, offensichtlich das Thema wechselnd.  "Kannst Du ein bißchen schlafen, solange er ruhig ist?"

Scully nickte.

Mulder sah sie wieder an und bekam noch mit, daß sie genickt hatte und nickte ebenfalls.

Er ließ ihr Handgelenk los, zog den Ärmel ihrer Jacke über ihren Bluterguß und legte ihre Hand zurück auf ihre Seite der Armlehne.

"Dann schlaf," sagte er leise.

Scully schloß ihre Augen und schob ihre plötzlich kühlen Finger unter ihre Achselhöhlen, um sie zu wärmen.

Ein paar Minuten später konnte sie immer noch seinen Blick auf ihr fühlen.

Sie öffnete die Augen, überrascht von dem Ausdruck totalen Elends auf seinem Gesicht. Augenblicklich verschwand er. Er schenkte ihr ein kleines trauriges halbes Lächeln und flüsterte, "Schlaf," dann schloß auch er seine Augen.

Ihr Blick fiel auf seine Finger, die zärtlich Liams Nacken streichelten.

Sie griff nach seiner anderen Hand und verschränkte ihre Finger. Mulder öffnete seine Augen nicht, versuchte nur, sich loszumachen. Sie würde ihn nicht loslassen und zog seine Hand in ihren Schoß. Seine Finger waren einen Moment komplett ruhig, dann schloß er sie fester um ihre und sie erwiderte den Druck. Sie drehte ihre verbundenen Hände so, daß seine unter ihrer ruhte, Handfläche an Handfläche, ihr Handgelenk fest auf seinen Puls gedrückt.

Scully bettete ihre Schultern bequemer in den Sitz, schloß ihre Augen und schlief ein.

 

Venice Beach

am nächsten Tag

 

 

Scully hatte es bereits im Flugzeug getan und alles schien in Ordnung zu sein, aber sie konnte nichts dagegen tun.

Sie überprüfte seinen Nacken noch einmal, dann untersuchte sie jeden Zentimeter seiner Haut ganz genau. Aber sie fand nichts als weiche, süße, köstliche Babyhaut...

Scully lehnte ihn zurück in ihren Schoß, so daß sie sein Haar naß machen konnte. Dann goß sie ein bißchen Babyshampoo in ihre Hand und seifte ihn damit ein und spülte ihn ab.

"So. Viel sauberer."

Plötzlich streckte Liam seine Hand aus und griff nach ihrer Brust.

"Du erinnerst Dich daran, als Du klein warst? Ist es das, woher Du Deine Milch bekamst?"

Liam öffnete seinen Mund und stupste ihre Brustwarze an. Sie empfand einen eigenartigen Reiz.

"War Deine Flasche nicht genug? Tut mir leid, Liebling, aber das hier funktioniert nicht bei Tante Da..."

Mist.

Sie biß sich fest auf die Lippen und schloß ihre Augen.

Mist. Mist. Mist.

In die Tante-Dana-Matthew-Methode abzugleiten, war zu einfach gewesen.

Das ist nicht Matthew, sagte sie sich, das ist Dein Sohn.

Mein Sohn.

Sie atmete tief ein und sah auf ihn herab.

Es schien immer noch so unwirklich.

Nun versuchte er, ein bißchen Schaum in den Mund zu nehmen.

"Weißt Du," sagte sie zu ihm. "Ich kenne einen anderen kleinen Jungen, ungefähr so groß wie Du. Sein Name ist Matthew und er ist Dein Cousin.  Vielleicht... werdet Ihr zwei zusammen spielen... manchmal."

Er drehte sich plötzlich wieder zu ihrer Brustwarze um, senkte seinen Kopf und versuchte es erneut. Ein plötzliches Verlangen überkam sie.

"In Ordnung, ein bißchen," sagte sie leise.

Sie hob seinen offenen Mund ein wenig dichter an ihre Brust und er hielt sich fest und saugte hart.

Sie lachte überrascht auf. Es fühlte sich unglaublich an. Liam kuschelte sich an ihre Brust, schloß seine Augen und nuckelte.

Scully studierte sein Profil. Pausbäckige Babywangen, kecke kleine Nase, festes kleines Kinn... und vielleicht ein bißchen Ähnlichkeit mit Emily...

Und sie fragte sich, nicht das erste Mal, wer sein biologischer Vater sein könnte. Wer immer er war, sie hoffte, daß er gesund, glücklich und vollkommen unwissend über all das hier war...

Aber sie wünschte sich zum Teufel nochmal, sie könnte seine medizinische Geschichte in die Finger bekommen.

Plötzlich schloß sie ihre Augen.

Gott? Hörst Du mich? Warum konnte ich dieses Baby nicht in der althergebrachten Weise auf die Welt bringen? Neun Monate, nachdem ich mit dem Mann geschlafen habe, den ich mir ausgesucht habe, um mit ihm mein Leben zu teilen?

Mulder. Sie wünschte sich verzweifelter, Mulder könnte sein Vater sein, als irgend etwas anderes in ihrem Leben.

Sie starrte auf Liam herab, prägte sich bewußt sein Gesicht ein, die Art, wie er aussah an ihre Brust gekuschelt, die Art, wie er ihre Brustwarze festhielt, seine kleine Faust an sie gedrückt. Diesen Moment speicherte sie in ihrem Gedächtnis.

Oh Gott.

Wie kann ich ihn nur gehen lassen...?

"Ich glaube, ich bin eifersüchtig."

Sie erschrak und sah auf. Mulder lehnte am Rahmen der Badezimmertür und beobachtete sie.

"Mulder!" Sie fühlte, wie sie rot wurde, am ganzen Körper. "Wie lange bist Du schon da?"

"Lange genug. Konntest Du seinen Binky nicht finden?"

Sie fühlte sich unglaublich verletzlich, so nackt dasitzend. Was für ein bizarres und mitleiderregendes Bild mußte sie ihm abgeben; ein verprügeltes und unfruchtbares altes Mädchen, das in einer Badewanne saß und einem Baby ihre leere Brust gab.

Sie fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

Auch das würde er ihr nicht erlauben.

"Eifersüchtig auf das, was er tut, Mulder? Oder einfach nur, weil Du ihm lieber selber die Brust geben würdest?" fragte sie spitz.

Er sah verblüfft aus, dann ein wenig ärgerlich. "Ich habe Dich erschreckt."

Seine Augen glitten von ihr zu dem Baby. "Es tut mir leid."

"Äh... Ich glaube, er wollte einen kleinen Snack," sagte sie schnell, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

Mulder sah ihr nicht in die Augen, er nickte nur. Sie sah seinen Blick über die Sachen im Waschbecken gleiten, das Chaos auf dem Fußboden, ihren Bademantel in der Ecke. Neben der Wanne kniete er nieder und begann den Inhalt seiner Waschtasche einzusammeln.

Verstohlen versuchte sie Liam von ihrer Brust zu lösen. Er wollte nicht loslassen, er nuckelte nur fester.

"Er wird nicht glücklich darüber sein, wenn er herausfindet, daß da nichts ist." Gott, Dana, dachte sie, halt den Mund.

Er sah sie an, ein winziges Anzeichen von Mitleid in seinen Augen.

"Möchtest Du, daß ich ihm eine Flasche fertig mache?"

Scully biß sich auf die Lippe, sie wollte sein Mitleid nicht. "Die Fertignahrung ist alle."

"Nein. Ich war einkaufen. Wegwerfwindeln, Wattestäbchen, Fertignahrung.  Hast Du eine Ahnung, was dieses Zeug kostet? Ich habe pulverisierte genommen. Dieselbe Marke." Er hielt inne und betrachtete Liam. "Aber er sieht aus, als würde er genießen, was er da tut."

Scully sah ihn an. "Also müssen wir jetzt einen Haushaltsplan aufstellen?" Sie war sehr unzufrieden mit der Art, wie er auf das Baby an ihrer Brust starrte.

Mulder antwortete nicht, aber sein Blick flatterte kurz über ihr Gesicht und wieder weg. Offensichtlich war wir nicht das funktionierende Wort.

"Kann ich Dich fragen, woher Du das Geld hast, Mulder?"

Mulder nagte an seiner Unterlippe. "Das Ferienhaus."

"Du hast es verkauft?" Das Ferienhaus in Quonochontaug. "Gehörte es nicht Deiner Mutter?"

"Sie wollte es nicht wiedersehen. Und ich auch nicht." Er zog eine Schulter hoch. "Ich habe Dir erzählt," sagte er, "ich hätte alles dafür getan, um ihn zu bekommen."

"Mulder..." begann sie, dann hörte sie auf, schockiert durch die Verzweiflung in ihrer Stimme.

Mulder schüttelte den Kopf und sammelte seine Sachen zu Ende ein.  Vorsichtig hob er die Windel auf und neigte seinen Kopf in Richtung Abfalleimer. Sie nickte. Er warf sie hinein, dann stand er auf und stellte seine Waschtasche wieder neben das Waschbecken. Als würde er etwas sagen wollen, hielt er inne, dann warf er ihr einen knappen Blick zu und ging zur Tür hinaus. Sie hörte das Rascheln von Einkaufstüten, als er sie in die Küche brachte.

Sie beugte ihren Kopf über das Baby.

Liams Augen waren geschlossen, aber sein Mund nuckelte immer noch gierig.

Sie schloß ihre Augen und sammelte sich mühsam.

 

über dem Pazifik kurz vor L.A.

ein paar Stunden vorher

 

 

Auf dem Landeanflug auf L.A. erwachte Liam schreiend.

Mit dem Schnuller in seinem Mund hatte er sieben Stunden durchgeschlafen.  Sie hatte fast genauso lange geschlafen, ihren Kopf ungeschickt gegen die Rückenlehne ihres Sitzes gekrümmt.

Mulder hatte das Baby anscheinend die ganze Zeit in seinem Schoß gehalten.  Sie wußte nicht, ob er geschlafen hatte oder nicht. Mit dem einen Teil ihres Gehirns, in dem die Nervenzellen noch funktionierten, schaffte sie es, ein wenig Ehrfurcht und Bewunderung für die Art zu empfinden, wie er mit dem Baby umging.

Der Binky half nicht. Sie schaukelte ihn in ihrem Schoß, während Mulder verzweifelt in den Taschen nach einem Fläschchen stöberte.

"Shhhh, Süßer. Shhhh. Papi guckt nach Deiner Milch." Sie sagte es, bevor es ihr bewußt wurde. Ihr Blick ging zu Mulder. Für den Bruchteil einer Sekunde unterbrach er das, was er gerade machte, dann stöberte er weiter nach dem Fläschchen, als hätte er es nicht gehört.

Eine Flugbegleiterin griff nach Mulders Ellbogen. "Es sind seine Ohren," sagte sie und sah sie beide an, als wären sie vom Mars. "Die Druckänderung.  Haben Sie kein Fläschchen?"

Sie eilte den Gang entlang, als Mulder schließlich eine ausbuddelte. Er schnitt eine Grimasse hinter dem Rücken der Frau, dann drehte er seinen Kopf und lächelte Scully müde an.

Endlich.

Sie lächelte müde zurück.

 

 

Venice Beach

Stunden später

 

 

Das Wasser in der Badewanne war abgekühlt und der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee füllte die Luft, als Liams Mund sich schließlich entspannte.

Als sie hochsah, stand Mulder wieder in der Tür und beobachtete sie. Sie schenkte ihm den kleinen Versuch eines Beinahelächelns. "Mulder? Kannst Du ihn nehmen?"

Er drückte sich vom Türrahmen ab und nahm ein Handtuch aus dem Regal.

Scully hob das schlafende Baby hoch und Mulder umhüllte es sanft.

Er war gerade mit dem Windeln fertig, als sie in ein Handtuch gehüllt herauskam. Er nahm ein Wattestäbchen aus Liams Tasche und trocknete dem Baby sanft die Ohren.

"So bitte schön, Buddy" murmelte er besänftigend.

Mulder legte das Baby auf die Steppdecke auf dem Fußboden und deckte es mit einer Baumwolldecke zu.

"Es ist warm genug hier für ihn im Moment." Er sah auf seine Uhr. "Er wird bald sein Fläschchen wollen."

"Du bist wirklich gut mit ihm, Mulder. Wirklich richtig gut," sagte sie müde. "Es wird Euch gut gehen ohne..." Sie verstummte.

Er beendete, was er gerade tat und sah sie schweigend an.

Scully lächelte ihn kaum wahrnehmbar an und drehte sich um. Sie ging zurück in ihr Schlafzimmer, zog sich ein T-Shirt und Unterwäsche an und setzte sich auf ihr Bett.

Sie sah auf das Datum auf ihrer Uhr. War es wirklich erst der Fünfte, hier in den Staaten? Ihr müdes Gehirn versuchte, all das zu begreifen und sie rieb sich die Stirn. Fünf Tage, sechs Nächte und zwei Flugreisen mit Mulder und ihr sorgfältig geordnetes Leben war ein heilloses Durcheinander. Von Liam wußte sie genau vier von diesen Tagen. Immer noch litt sie fürchterlich unter dem Jetlag, ihr Gehirn fühlte sich wie Mus an, die Beule war immer noch schmerzempfindlich, wenn sie ihren Kopf zu schnell bewegte.  Sie hatte der Himmel weiß wieviel internationale Gesetze gebrochen und...

Morgen würde er sie wieder verlassen und ihr Baby mit sich nehmen.

Sie mußten miteinander reden. Sie mußte losgehen und ruhig und rational argumentieren, warum sie diejenige war, bei der Liam leben sollte.  Schließlich war sie Ärztin, sie konnte besser auf ihn aufpassen, sicherstellen, daß er gesund blieb; Mulder könnte ihn sehen, so oft er wollte... eine Art Schutzgemeinschaft, vielleicht... und...

Sie schloß ihre Augen fest.

Nein.

Sie mußte ihm die Wahrheit sagen. Genau, was sie empfand. Daß sie sie beide vollkommen in ihrem Leben wollte und daß es ihr das Herz brechen würde, wenn einer von ihnen morgen in dieses Flugzeug steigen würde.

Es war so einfach. Sie würde ihm die Wahrheit sagen, alles in seine Hände legen und sehen, wie er reagierte. Er würde zuhören. Er mußte.

Sie brauchte... Gott... sie brauchte mehr Schlaf. Sie wollte ihren Kopf nur eine Sekunde auf das Kissen legen... dann würde sie gehen und es ihm sagen...

 

Flughafen von L.A.

Stunden vorher

 

 

Den Zollbeamten auf dem Flughafen von L.A. anzulügen war sehr einfach. Sie konnte gar nicht glauben, daß sie nicht einmal darüber nachgedacht hatte, aber sie war nicht überrascht, daß Mulder auch einen Paß für Liam hatte.

Die vormorgendliche Luft war angefüllt von dem ausgeprägten Geruch von Rauch, als sie das Gebäude verließen. Mulder blieb stehen und schnüffelte.  "Feuerwerk. War hier nicht letzte Nacht der Vierte?"

Scully hatte keine Ahnung, schüttelte nur ihren Kopf und nahm ihm die Pässe aus der Hand. Sie sah sich Liams neugierig an. Er trug einen Stempel, als wäre er an demselben Tag nach Singapore gereist wie sie.

Erstaunlich.

George Ellery Hale, Jr.

Ihre Augen glitten weiter herab auf der Seite. Geburtstag: 23. Februar 1998.

Sie blieb plötzlich stehen und sah schnell zu Mulder hin.

Er beobachtete sie, setzte seinen Koffer und Liams Autositz auf dem Bügersteig ab. Liam war wach und sah sich um, verwundert über die Geschäftigkeit auf dem Flughafen.

"Wir haben es geschafft," sagte er. "Wir haben ihn."

Sie sog die Luft ein und hielt den Atem an.

"Dana," sagte er. Sein Mund verzerrte sich ein wenig.

Ohhh...

"Ich wollte Dir danken, daß Du mit mir nach Singapore gekommen bist," sagte er förmlich.

Sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte, sie nickte nur.

Mulder streckte seine Hand aus und nahm ihre. Seine Berührung war kalt.  "Ich hätte es nicht ohne Dich tun können. Ich hätte ihn nicht bekommen. Ich weiß, daß einiges von dem, was wir tun mußten, um ihn zu bekommen, gegen Deine Prinzipien war. Ich möchte, daß Du weißt, daß ich das schätze."

Sorgfältig einstudiert.

Sie wartete.

Seine Finger drückten ihre sanft. Sie sahen beide herab auf ihre Hände. Der Ring. Sein Daumen streichelte ihn zart.

Mulder sah sie mit sehnsüchtigem Blick an. "Er gehörte meiner Großmutter," sagte er.

Sie nickte.

"Isobel... und Liam."

Wieder nickte sie. Sie hatte damit gerechnet.

"Ich glaube, sie waren die letzten wirklich glücklichen Menschen in meiner Familie."

Ein weiteres Mal nickte sie.

"Danke für... das Vortäuschen..."

Scully versuchte, ein bißchen Luft in ihre Lungen zu bekommen, aber sie konnte es nicht mit der Berührung seiner Hand auf ihrer. Sie löste ihre Hand aus seinem Griff und sah auf den Ring herab.

Vorgetäuscht.

Ja. Das war es gewesen.

Der Rubin schimmerte wie ein dunkler Tropfen Blut in dem fluoreszierenden Licht, die Perlen fast opalisierend. Das alte Gold glänzte prächtig, wie vor fast achtzig Jahren. Oh, Gott. Tränen. Wieder. Sie preßte ihre Lippen fest zusammen, um sie zurückzuhalten.

Dies war ein Moment so gut wie jeder andere. Sie zog an dem Ring. Er wollte nicht abgehen. Sie drückte ihre Zähne fest in ihre Unterlippe und zerrte heftig an dem Ring. Er rutschte herunter und nahm ein Stück Haut mit. Auf ihrer Handfläche hielt sie ihn ihm hin.

Mulder stand stocksteif da und starrte auf ihn herunter, ohne ihn zu berühren. Sein Mund straffte sich fast unmerklich.

"Willst Du die Kette auch zurück?" fragte sie.

Sie beobachtete ihn, wie er mühsam schluckte. Es schien, als würde er seinen ganzen Oberkörper dazu brauchen. Hals, Schultern, Brustkorb.

Genau da stieß Liam einen Freudenschrei aus. Sie sahen beide auf das Baby herab und beobachteten, wie er es schaffte, den Beißring in seinem Schoß zu greifen und ihn an seinen Mund zu bringen. Dann sahen sie beide zurück auf den Ring. Mulder nahm ihn vorsichtig von ihrer Handfläche, ohne ihre Haut zu berühren und steckte ihn in seine Tasche.

"Äh... nein...äh..." sagte er und drehte sich von ihr weg, er sah sich vage um, als würde er erkennen, wo sie waren. Seine Augen konzentrierten sich auf einen Bus am Straßenrand. "Der Flug zurück nach Dulles ist mit Delta Airlines... ich nehme an... das ist der Bus zum anderen Terminal. So... ich nehme an... äh... Du kannst Dir ein Taxi nehmen..."

Er verstummte und studierte sie, sein Gesichtsausdruck aufgewühlt und ein wenig benommen. Ihr Blick war seinem zum Bus gefolgt. Da stand eindeutig "Anaheim/Disneyland" dran. Ihr Blick flatterte zurück zu seinem Gesicht und sie prüfte beunruhigt seine Augen. Er servierte sie ab, so schnell wie möglich.

Während des ganzen Fluges war sie nicht in der Lage gewesen zuzugeben, daß er das Baby nehmen würde und nach Hause fliegen würde. Ohne sie.

Aber es schien genau das zu sein, was er nun tat.

Plötzlich fühlte sie sich, als hätte sie einen Schlag in den Magen bekommen.

Er atmete tief ein, dann bückte er sich und nahm den Autositz an seinem Tragegriff.

Die zerbrechliche Ruhe, die sie im Flugzeug erreicht hatte, seit dem Auto, seit Charlottas Garten, verließ sie plötzlich.

"Nein!" Sie streckte ihre Hände aus und faßte den Griff mit beiden Händen.

Mulder sah herab auf ihre Hände und dann hob er seinen Blick langsam zu ihrem Gesicht.

"Sieh Mulder, bei Charlotta hast Du gesagt, kein Geschäft. Gut, was ist das Geschäft? Was willst du? Sag es mir."

Sie schloß ihre Hände fester um den Griff und zog ein wenig.

Er sagte nichts und er ließ auch nicht los, beobachtete sie nur sorgfältig.

"Sag es mir! Du mußt mich ihn sehen lassen, Mulder. Du mußt mich Teil seines Lebens sein lassen. Willst Du, daß ich zurückkomme nach D.C.? Ich komme. Willst Du, daß ich wieder mit Dir arbeite? Ich tue es. Gott Mulder, ich schlafe auch mit Dir, wenn es das ist, was Du willst, aber Du mußt es klar machen..." Seine Augen flatterten ein wenig und sie brach ab. "Egal was. Sag mir jetzt genau, was Du willst und ich werde es tun. Alles. Alles im Austausch dafür, ihn zu sehen. Abgemacht?"

Die Menschen strömten an ihnen vorbei, während sie dastanden, sich anstarrten, Tauziehen veranstalteten mit einem Baby in einem Autositz mitten im Ausgang zum Gepäckschalter.

Mulder starrte sie immer noch mit diesem gequälten Blick in seinen Augen an. Gott, es schien, daß alles, was er jemals tat war, sie anzustarren. Er sagte nichts, bewegte sich nicht, sah sie nur an, dann schloß er seine Augen und stand da, verschloß sich vor ihr, atmete durch den Mund.

Schließlich öffnete er die Augen und sah sie an, als könnte er sich wirklich nicht erinnern, wer zur Hölle sie war oder warum zur Hölle sie hier war.

"Ich will gar nichts von Dir," sagte er, seine Stimme leise und tonlos.  "Nur... sag mir, was Du willst. Sag mir genau, wie Du willst, daß es funktioniert und wir werden es tun."

Sie starrte ihn an. Ihr Hirn strampelte sich rasch ab nach einer vernünftigen Antwort.

Was wollte sie? Als sie das mit dem Baby herausgefunden hatte, was hatte sie gedacht, würde passieren? Daß sie Liam haben würde... und Mulder würde... kommen, um sie zu sehen... und an irgendeinem Punkt wären sie alle zusammen. Irgendwie.

Anscheinend konnte sie auch das nicht haben.

Also das nächstbeste: er ging mit Mulder... und sie würde kommen, um sie zu sehen... und vielleicht an irgendeinem Punkt...

"Ich möchte in der Lage sein zu kommen, um ihn zu sehen," sagte sie, ihre Stimme klang fester als sie sich fühlte. "Zeit mit ihm verbringen."

Er schüttelte seinen Kopf ganz leicht.

"Du kannst ihn jederzeit sehen, wenn Du willst. Du kannst Tante Dana sein und zweimal im Jahr zur Stadt hereingeflogen kommen mit einem Arm voller Geschenke. Verdammt, Du kannst in D.C. leben und jeden Tag vorbeikommen." Er schüttelte seinen Kopf wieder, ein bißchen fester, wie um ihn klar zu bekommen, sah für eine Sekunde auf Liam herab, dann zog er am Autositzgriff und begann, fortzugehen. "Aber vergiß nicht, mich vorher anzurufen, wenn Du beschließt vorbeizukommen. Dann kannst Du sicher sein, daß ich nicht da bin."

Mist.

Sie hielt fest. "Nein!"

Er antwortete nicht und sie sahen beide herab auf ihre weißen Knöchel, die den Autositz festhielten. Das Baby war schwer in dieser Position. Ihre Arme begannen durch die Überanstrengung zu zittern. Liam sah sie beide glücklich an und genoß die schwingende Bewegung.

Mulder hob den Sitz ein wenig an. Sie zog ihn zurück.

"Mulder, bitte, bitte, bitte, tu das nicht."

"Ich tue gar nichts," sagte er matt.

"Doch, Du tust etwas. Halt an, bitte halt an." Und verdammt, schon wieder die Tränen. Ärgerlich zwinkerte sie sie weg. "Du läßt mich nicht einmal Auf Wiedersehen sagen. Ich habe Dich in Singapore nicht im Stich gelassen.  Bitte... laß mich jetzt nicht im Stich."

Er sah sie nur an.

"Mulder, ich habe Dir weh getan. Du hast mir weh getan. Aber hier geht es nicht um Dich und mich. Das ist mein Baby. Mein Sohn. Bitte benutze ihn nicht, um mich zu bestrafen. Bitte. Bitte." Sie fühlte ihr letztes bißchen Stolz dahin gehen und sie hob ihr Kinn, sie konnte ihn kaum sehen, ihre Augen waren so voller Tränen. "Gott, Mulder. Ich flehe Dich an. Nimm ihn mir nicht weg." Ihre Stimme brach und wurde zu einem Flüstern. "Bitte nimm ihn mir nicht weg, Mulder. Bitte."

Er fuhr fort, sie anzustarren, dann biß er sich auf die Lippen und seufzte.

"In Ordnung, in Ordnung, ich laß los. Laß ihn nicht fallen," sagte er leise. Vorsichtig ließ er seine Seite des Griffes los, stellte sicher, daß sie nicht in die andere Richtung hinfallen würde. Er runzelte die Stirn.  "Sieh. Das... Nicht hier." Er schwieg einen langen Moment, beobachtete sie, dann sah er auf das Baby herab. "Ich werde... über Nacht bleiben. Liam braucht nicht gleich noch einen Flug."

Sie senkte ihren Kopf in einer Mischung aus Erleichterung und Hoffnung.  Gott, sie ekelte sich vor sich selbst. Wie weit waren sie gekommen, daß sie nicht einmal mehr miteinander reden konnten, ohne daß es sich in etwas fürchterliches auflöste?

"Möchtest Du, daß ich in ein Hotel gehe?"

"Nein," flüsterte sie kläglich, hob den Autositz hoch und legte ungeschickt ihre Arme darum. Sie lehnte ihren Kopf an Liams Wange. Das Baby streckte seine Hand aus, griff in ihr Haar und zog fest daran. Dies brachte noch mehr Tränen in ihre Augen, aber es war ihr egal.

Er drehte sich von ihnen weg, um ein Taxi zu rufen.

In ihrem Apartment lagen die Kissen und Decken, die Mulder in der Nacht bevor sie abgeflogen waren, benutzt hatte, noch auf der Couch. Sie winkte in ihre Richtung und breitete eine Steppdecke auf dem Fußboden des kleinen Alkovens in ihrem Arbeitsbereich aus.

"Willst Du ihn nicht mit zu Dir nehmen?"

"Das hier ist L.A." sagte sie sehr hart. "Er muß von allem weg sein, das bei einem Erdbeben plötzlich umkippen könnte. Außerdem... dies..."

"Was?"

"Nichts," stieß sie zwischen den Zähnen hervor. "Das ist der perfekte Platz für ihn. Das ist alles."

Sie nahm das dankbarerweise schlafende Baby aus seinem Autositz und legte es auf die Steppdecke, überließ Mulder sich selbst, stolperte in ihr Schlafzimmer, zog sich die Sachen, die sie seit zwei Tagen trug, aus und fiel erschöpft ins Bett.

 

 

 

 

 

Teil 20

 

Scully lag da, die Augen geschlossen, und lauschte auf das leise Stöhnen des Nebelhorns.

Hin und wieder konnte sie den weit entfernten Klang der Glockenboje vom Pier in Santa Monica hören, und von irgendwo viel näher den stetigen Baß einer Stereoanlage. Sie lag zusammengerollt auf ihrem ungemachten Bett, die vertraute Weichheit des Chenilleüberwurfs ihrer Couch unter ihrem Kinn. Er mußte sie zugedeckt haben, während sie schlief.

Schließlich öffnete sie ihre Augen. Der Abend dämmerte, dichter Nebel draußen vor dem Fenster. Sie hatte eine Weile geschlafen.

Sie wäre aufgesprungen und zur Schlafzimmertür gerannt, das wiederholend, was sie schon vorher am Tage gemacht hatte, wenn ihre Füße nicht behaglich an die Wärme seiner nackten Waden geschmiegt wären. Und sie konnte das Geräusch, das Liam machte, als er an seinem Fläschchen nuckelte, ungefähr einen halben Meter hinter ihrem Rücken hören. Mulders weichen Atem hören konnte sie auch hören, als sie lauschte.

"Bist Du wach?" fragte er leise.

Sie drehte ihren Kopf und sah ihn über die Schulter hinweg an. Mulder saß da, die Kissen im Rücken. Er trug noch immer das T-Shirt und die Shorts vom Nachmittag, seine Beine hatte er vor sich ausgestreckt. Liam lag in seinem Schoß. Scully hatte keine Ahnung, warum er hier drin bei ihr war, aber sie mochte es, aufzuwachen und die beiden hier zu finden.

Sie mochte es sehr.

"Hey," sagte sie.

"Hey," erwiderte er leise. Er beobachtete das Baby beim Essen und sah nicht auf.

Behutsam reckte sie ihren Hals und schob sich die Haare aus dem Gesicht.

"Wie spät ist es?"

"Halb acht."

"Warum hast Du mich nicht geweckt?"

"Du brauchtest den Schlaf."

Mit einem kleinen Seufzer atmete sie aus. "Danke."

Und nicht nur dafür, daß er sie nicht geweckt hatte.

"Wir sind hier rein gekommen, weil unten eine Party stattfindet und es zu laut für Liam in Deinem Wohnzimmer war."

Das war also die Musik. Ihr Blick fiel auf den reizenden, bequemen gepolsterten Sessel und die Fußbank in der Ecke ihre Schlafzimmers.  "Mmmhmm. Das ist in Ordnung, Mulder."

Eine Weile war er still. "Deine sehr große, halb angezogene Nachbarin war hier und hat gefragt, ob Du mitgehen wolltest.

Ihr Blick ging wieder zu ihm zurück. "Adrianna? Sie war halb angezogen?"

"Vielleicht auch nur ein Achtel?" Er überlegte. "Ein Sechzehntel?"

"Das klingt mehr nach ihr."

"Sie warf einen Blick auf Liam und..." Er schüttelte seinen Kopf. "Sie denkt, ich bin so etwas wie eine schlechte Nachricht für Dich..." Er verstummte.

Schlechte Nachrichten. Sie wollte nicht daran rühren.

Als sie nichts dazu sagte, sprach er weiter, als hätte er es nie gesagt.  "Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal einen roten Wildlederbikini mit Fransen gesehen habe."

"Sie hatte diesen an? Ich hatte mal eine solche Weste."

Er drehte sich um und zog die Augenbrauen zusammen.

"Guck mich nicht so an, Mulder. Ich war acht. Und ich liebte diese Weste."

Sein Blick wurde ein wenig weicher.

Beinahe ein Lächeln. Nicht ganz.

"Adrianna ist in Ordnung," sagte sie. "Ich hab die Party dieses Wochenende vergessen. Wahrscheinlich geht sie schon seit Freitag."

"Sag mir nicht... das hier ist ein Partyhaus?"

"Es ist berühmt dafür."

Mulder nickte ein wenig, als würde er im Geiste die Scully, die er kannte und ein Apartmenthaus, berühmt für seine Parties und voll mit verrückten Nachbarn zusammenzählen.

Scully war sich nicht sicher, ob er es bewußt oder unbewußt tat, aber sie hatte ihn so oft in Aktion erlebt, sie hätte es im Schlaf erkannt: Laß den Verdächtigen sich zuerst beim Small Talk entspannen, dann Schnitt zu den harten Sachen. Sie hatte kein Problem damit, tatsächlich nahm sie den vertrauten Rhythmus an.

Scully drehte sich von ihm weg und schloß ihre Augen, konzentrierte sich sorgfältig auf die Atmosphäre zwischen ihnen. Sie war entspannt, friedlich.  Wenigstens für den Moment hatte die Anspannung nachgelassen. Da war eine unterschwellige Strömung, aber sie war nicht negativ. Sie öffnete ihre Augen und war nicht überrascht, daß sie direkt das Bild ihrer Schwester ansah. Keine Telefonanrufe diesmal, aber... ‚Sag ihm die Wahrheit' drängten Melissas Augen sie. ‚Du weißt, was Du empfindest. Sag ihm, daß Du ihn liebst.'

Gefühle... Liebe.

Oh, Missy... das war immer so einfach für Dich.

Sie kräuselte ihre Nase ein wenig zu Missy, dann rollte sie herum, um Mulder anzusehen. Sie schaffte es, ohne den Kontakt zwischen ihren Füßen und seinen Beinen zu unterbrechen. Ihr rechter Fuß drängte sich unter sein Bein, die empfindsame Haut ihres Spanns drückte sich in die warme Beuge seiner Kniekehle.

Mulder sah Liam mit einem komischen kleinen Lächeln auf seinem Gesicht an.  Das Baby aß mit geschlossenen Augen, sein Gesichtsausdruck zufrieden. Das Gefühl, wie er an ihrer Brustwarze zog, überkam sie wieder.

Das Mutterverlangen war die Hölle.

"Ich habe darüber nachgedacht, was Du gesagt hast," meinte er. "Ihm selbst die Brust zu geben. Sich vorzustellen, ihm etwas von meinem Körper zu geben, das ihn ernährt." Seine Stimme war voller Staunen.

"Wirklich?"

"Was für ein Gefühl war das?" fragte er.

"Erstaunlich... eigentlich," sagte sie langsam. "Ich wünschte, ich hätte...

Milch."

Er nickte, als wäre es überhaupt keine große, bloß eine völlig natürliche Sache für sie, es zu wollen, und war wieder eine Weile still, sah das essende Baby an.

"Kann man die Milchproduktion nicht mit Hormonen oder so stimulieren?"

"Ja. Ja, man kann. Man kann Östrogene geben - um den hohen Östrogenwert einer Schwangerschaft zu simulieren, dann setzt man sie ab, um die Geburt zu simulieren. Das veranlaßt die Hypophyse Prolactin und Oxytocin, die milchproduzierenden Hormone..." Sie hielt inne. "Warte mal. Meinst Du etwa in Dir?"

Er lachte ein leises nachlässiges Lachen. Sie schloß ihre Augen und ließ den Klang sanft über sie hinwegrollen. Mulder...

"Neiiin. Nicht ich. Du natürlich." Sie öffnete ihre Augen. Er studierte sie. "Es ist nicht so, daß irgend etwas bei Dir verkehrt ist. Wenn Du wolltest, es gibt die in-vitro-Befr..."

Plötzlich hielt er inne.

Ihr Gesicht war plötzlich starr. Warum sprach er darüber, daß sie ein anderes Baby haben könnte? Weil sie dieses hier nicht haben konnte?

"Rein hypothetisch," sagte sie langsam. "Aber... manche Krebsarten können durch eine Schwangerschaft wieder ausbrechen. Wenn in meinem Blutkreislauf irgend etwas zurückgeblieben ist... dann wäre es, als würde man Benzin ins Feuer gießen."

Mulder sah ein wenig fahl aus. "Es tut mir leid," sagte er leise. Er sah ehrlich bestürzt aus. "Ich hatte gelesen, daß das nur auf Brustkrebs zutrifft. Und ich dachte..." Er brach ab und schluckte, dann war er eine kleine Weile still. "Was ist mit einem Ersatz?"

"Wovon sprichst Du hier eigentlich, Mulder? Da spielen eine Menge Faktoren eine Rolle. Eizellen. Sperma. Nach dem, was Du sagst, habe ich keine Eizellen." Sie hatte keine Lust, diese Stimmung kaputt zu machen, aber...  ihr Blick glitt über ihn, konzentrierte sich auf alles, seine Körpersprache, seine Worte, sie versuchte, genau zu verstehen, was er sagte, was er gesagt hatte. Sie deutete mit dem Kinn auf Liam. "Nebenbei, warum sollte ich eine anderes Baby haben wollen? Ich habe ein Baby."

Er dachte darüber nach, leckte sich die Lippen und schluckte, aber er ging nicht auf ihre Herausforderung ein oder widersprach. Seine Schultern blieben entspannt.

Sie atmete ein und versuchte, sich ebenfalls zu entspannen.

"Dein Gesicht," sagte er. "Vorhin. Im Bad. Brüder... Schwestern..."

Scully hätte nicht mehr überrascht sein können, wenn er ihr in den Magen geboxt hätte. Sie spürte, wie sie mit einem Zischen ausatmete.

"Und... ich habe einfach gedacht, wir hätten die Insel stürmen sollen und Deine Eizellen holen."

Sie konnte kaum ein Keuchen zurückhalten.

Mulder beugte seinen Kopf wieder über das Baby. Die zunehmende Dämmerung im Zimmer machte es schwierig, sein Gesicht zu sehen. Das einzige Geräusch war das kräftige Saugen von Liams Mund an der Flasche.

"Also..." sagte er, "solltest Du kein Östrogen benutzen, um die Milchproduktion zu bewirken?"

"Nun... es gibt eine natürliche Methode. Die Hormone zur Milchproduktion können auch als Reaktion auf die Stimulation der Brustwarzen produziert werden."

Scully starrte ihn an, plötzlich ein klares Bild im Kopf von Mulder über ihr, wie er sie ausfüllt, sein Mund unglaublich zart auf ihrer Brust. Sie fühlte, wie ihre Wangen rot wurden, als ihr Körper auf diesen Gedanken reagierte.

Mulder starrte sie auch an. Dann drehte er sich weg, atmete tief ein und langsam wieder aus.

"Wenn ein Baby saugt?" fragte er.

Sie nickte. "Oder mit einer Milchpumpe."

"Und das reicht aus?"

"Anscheinend. Es dauert ein paar Wochen... aber ja."

Er nickte gedankenvoll.

War es ihre Einbildung oder drückte er ihre Füße ganz zart mit seinen Beinen?

"Mulder...?" fragte sie ganz leise.

Er sagte nichts und sie beobachteten beide Liam, dessen Mund sich nur noch ein bißchen an dem Nuckel bewegte. Zart drückte sie ein wenig mit ihren Zehen gegen sein Bein. Plötzlich war die Stille spannungsgeladen.

Mulder warf seinen Kopf herum und sah sie an. "Du bist nicht die einzige, die bei all dem etwas empfindet, weißt Du." Sie konnte seine Augen das erste Mal deutlich sehen, der Ausdruck darin war ein Durcheinander von Gefühlen. Traurigkeit. Verzweiflung. Schmerz. Bedürfnis. Sehnsucht. Aber keine Hoffnung.

Sie nickte ein wenig. "Ich weiß," sagte sie leise.

Sein Blick wanderte über ihr Gesicht. "Tust Du das?"

"Ich denke ja." Sie nickte wieder langsam, versuchte ihn, mit ihren Augen zu ermutigen. "Erzähl es mir."

Er prüfte ihr Gesicht, sein Ausdruck mit einem Mal vorsichtig. Sie konnte die plötzliche Anspannung in seinen Muskeln unter ihren Zehen spüren.

"Ich wünschte, er wäre mein Kind," sagte er.

Scully fühlte ihr Herz schneller schlagen. Nur seines? Ihrer beider? Oh Gott. Was zur Hölle sagte er da? Daß er sie auch wollte? Oder nur Liam?  Oder... Mit jeder Faser ihres Körpers versuchte sie, zu erkennen, was er ihr sagen wollte...

Mist.

"Deines?" Sie leckte sich die Lippen. "Oder unser?"

Er antwortete nicht, sah sie nur an. Schließlich verzog er seinen Mund schmerzlich und sah wieder auf das Baby herab. "Wenn Du das fragen mußt..." Er schloß den Mund und schüttelte den Kopf.

Ja, wenn sie fragen mußte... und das bedeutete was? Verdammt.

"Verdammt, Mulder," sagte sie plötzlich. Sein Kopf flog hart herum und er sah sie an, das Baby zuckte im Schlaf zusammen. "Ich kann nicht Deine Gedanken lesen. Wenn Du möchtest, daß ich etwas weiß, dann sag es mir.  Diese ganze Reise, das war so, als ob es ein Drehbuch gegeben hat, das Du hattest, aber ich nicht. Und wenn ich nicht erraten kann, welche Richtung zur Hölle von mir erwartet wird, dann stecke ich in Schwierigkeiten.  Wieder. Und..." Sie brach ab und machte ein Geräusch, das sich wie ein verdammt frustriertes Knurren anhörte.

Mulder sah erschrocken aus. Sie runzelte ihre Stirn, zog ihre Füße von seinen Beinen weg, drehte sich abrupt weg von ihm und rollte sich in Fetusposition zusammen. Melissas Foto vor ihr auf der Kommode sah sie mit milder Sorge an. ‚Er kann Deine Gedanken auch nicht lesen, Dana.'

‚Halt den Mund, Missy,' sagte sie in Gedanken zu dem Bild, schloß ihre Augen und seufzte.

Mulder sagte eine Weile gar nichts.

Plötzlich fühlte sie seine Fingerspitzen an ihrer Schulter. Nur eine ganz leichte Berührung, dann war sie vorbei.

"Du bist hungrig," sagte er. "Ich auch."

Sie sagte nichts. Er hatte recht. Sie war am Verhungern.

"Liam ist eingeschlafen. Er ist noch erschöpft vom Flug. Ich lege ihn hin und dann, was meinst Du, mache ich Dir Abendbrot?"

Ihr Abendbrot machen? Sie drehte ihren Kopf und sah ihn an. Mulder hatte seinen Kopf über Liam gebeugt, aber er beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Da war etwas in seinem Ausdruck, das vorher nicht dagewesen war. Sie konnte es nicht bestimmen. Eine Bereitschaft, vielleicht.

"Füttere Deine Partnerin, wenn sie schwach ist," sagte er leise. "Das habe ich von Dir gelernt."

Seine Partnerin. Wenn sie ihren Mund aufmachen würde, würde sie sagen ‚Ich bin nicht mehr Deine Partnerin' und sie wollte das nicht sagen, also hielt sie ihren Mund.

Die Worte hingen irgendwie zwischen ihnen in der Luft.

"Können wir auf Deinem Balkon essen?"

Sie sah ihn immer noch störrisch an.

Er studierte ihren Gesichtsausdruck. "Ich bin geblieben, damit wir reden können," sagte er leise. "Also... können wir beim Essen reden?"

Sie gab nach und nickte. "Ich weiß nicht, was ich im Kühlschrank habe." Das letzte Mal, als sie da hinein gesehen hatte... "Vielleicht ein paar Eier."

Er zuckte zusammen. "Warte. Ich habe etwas eingekauft."

Sie sah aus dem Fenster. "Es ist ziemlich neblig draußen."

"Ich liebe den Nebel."

"Ich auch."

"Können wir Deinen kleinen Kamin anzünden?" Er schenkte ihr ein winziges Lächeln.

Sie konnte nichts dagegen tun, sie lächelte ein ganz klein wenig zurück.  "In Ordnung. Hört sich gut an," sagte sie, ihre Stimme klang ruhiger als sie sich fühlte. Sie setzte sich hin. "Gib ihn mir, ich werde ihn ins Bett bringen. Hast Du ihn noch einmal umgezogen?"

"Ja."

Mulder gab ihr das Baby. Liam war weich und schwer vor Erschöpfung und liebenswert in einem kleinen krausen gelben Schlafanzug. Sie brachte ihn in das andere Zimmer und legte ihn unter seine Decke in seiner Ecke. Dann kniete sie sich nieder und gab ihm einen Kuß auf die Schläfe.

Scully drehte sich um. Mulder hatte sich nicht bewegt, er saß immer noch in ihrem beinahe dunklen Schlafzimmer, beobachtete sie durch die Tür.

Langsam erhob sie sich und ging zurück in das andere Zimmer, sich plötzlich dessen bewußt, daß sie nur ein T-Shirt und einen Slip trug. Sie setzte sich neben ihn auf seine Seite des Bettes.

"Er scheint in Ordnung zu sein, Mulder."

Er nickte. Sein Blick fiel auf ihre Brüste, ohne BH unter ihrem T-Shirt, dann auf ihre nackten Beine.

"Das Blut, Du hast gesehen, wie sie es ihm abnahmen?" fragte sie. "War alles normal, als sie es ihm abnahmen?"

"Ja..." Es schien ihn große Anstrengung zu kosten, seinen Blick von ihren Beinen zu lösen und ihrem Gesicht zuzuwenden. "Ja."

"Es tut mir leid," sagte sie leise. "Ich kann nichts dagegen tun."

"Ich weiß."

Sein Blick wanderte einen Moment über ihr Gesicht, blieb an ihrem Mund hängen, dann seufzte er und lehnte sich zum Nachttisch hinüber und griff nach seinem Flugticket.

Oh Gott.

"Hast Du einen Stift?" fragte er. "Ich muß mal kurz telefonieren."

"Oh, Mulder..."

Er sah sie nur an.

"Morgen..." sagte sie ein wenig hoffnungslos, "... vielleicht könntest Du noch einen Tag bleiben und wir könnten ihn zu einem Kinderarzt zur Untersuchung bringen." Sie versuchte, sich zu stoppen. Sie mußten in Ruhe und vernünftig darüber reden, wie Erwachsene und nicht, indem sie ihn anflehte... wieder.

"Ich muß es tun, mit einem Arzt reden," brachte sie mit ruhigerer Stimme heraus. "Die Universitätsklinik von L.A., die Ärzte dort, sie haben die beste pediatrische Vorsorge des Landes."

Er betrachtete sie, sein Blick schimmerte ein wenig.

"Bleibst Du bitte ein paar Tage, Mulder?"

Seine Augen forschten in ihren. Dann fiel sein Blick wieder auf ihren Mund und blieb dort hängen. Er schloß seine Augen.

Scully hob ihre Hand und berührte sanft sein Gesicht. Er wich ein wenig zurück, behielt aber seine Augen geschlossen. Sie legte ihre Hand an seine Wange und streichelte die Linie, die seine geschlossenen Lider auf seinen Wangenknochen zeichnete, mit ihrem Daumen. Ihre andere Hand glitt zu seinem Knie, dann zu seinem Schenkel. Langsam beugte sie sich nach vorn und drückte ihre Lippen auf seine.

Er hielt vollkommen still und ließ sie ihn küssen, sein Mund weich und warm unter ihrem, aber er küßte sie nicht zurück. Seine Lider öffneten sich und sie zog sich ein wenig zurück, um in seine Augen zu sehen.

Ihre Lider flatterten ein wenig unter seinem Blick. Sein Ausdruck war voller Traurigkeit und Bedauern.

"Nicht," flüsterte er, dann schüttelte er seinen Kopf, nur ein kurzes Schütteln, hin und her. "Das..." sein Blick fiel auf ihren Mund, dann wieder in ihre Augen. "... sind nicht wir." Er streckte seine Hand aus und legte sie auf ihre und zog sie sanft von seiner Wange weg. Dann hob er ihre andere Hand von seinem Schenkel und legte sie zurück in ihren Schoß.

Ohhh...

Gott. Ihr Herz schmerzte, schmerzte physisch.

Das war es dann, dachte sie und eine herbe Traurigkeit befiel sie, dann der Schock. Kein Erwachsenengespräch unter vier Augen während des Essens auf dem Balkon konnte diese Endgültigkeit ändern.

Scully schloß ihre Augen und versuchte, tief einzuatmen. Es löste nicht den Druck in ihrer Brust. Sie setzte sich zurück und sah ihn unglücklich an.  Der Ausdruck auf ihrem Gesicht konnte nicht gut sein, denn er sah plötzlich besorgt aus. Sehr besorgt.

"Es tut mir leid," sagte er, sehr, sehr leise. "Die Dinge, die passiert sind. Die Dinge, die ich gesagt habe. Alles."

Sie nickte, schluckte mühsam und lehnte sich nach vorn, drückte einen zweiten zarten Kuß auf seinen Mund, während er still hielt, ließ ihre Lippen einen zusätzlichen Moment verweilen und prägte sich die Weichheit und die Beschaffenheit ein. Ein letztes Mal, dachte sie, ich liebe Dich...

Sie zog sich zurück und streckte ihre Hand aus, um seine Unterlippe nur ganz leicht mit ihren Fingerspitzen zu berühren.

"Es tut mir auch leid," sagte sie leise. Ihre Brust schmerzte und sie war voller Tränen, die sich ihren Weg in ihre Kehle erzwangen. Sie schluckte sie herunter und ließ ihre Hand in ihren Schoß fallen. Ihr Blick fiel auf das Flugticket, das er immer noch in der anderen Hand hielt. "Äh... ein Stift... Stifte sind hier drin." Sie zog die Schublade ihres Nachttisches auf, dann stand sie abrupt auf. Sie mußte hier raus, bevor ihr die Tränen kamen.

Er starrte in die Schublade, ohne sich zu bewegen.

"Was?" fragte sie. Er antwortete nicht und sie beugte sich über ihn, um zu sehen, was er ansah.

Eine kleine Schachtel Kondome schaute unter einem Buch und ein paar Briefen hervor.

"Ich kann nicht glauben, daß Du dich gerade jetzt daran erinnerst, Mulder."

Er sah sie nur an. "Hast Du es gesagt, um mich eifersüchtig zu machen?"

"Eifersüchtig? Willst Du mich veralbern? Nein. Ich habe es gesagt, weil ich Dich in mir spüren wollte und Du wolltest einfach nicht den Mund halten." Das war die Wahrheit. Sie hätte lachen können über den Ausdruck auf seinem Gesicht. Statt dessen fühlte sie, wie sich ihre Lippen zu dem kleinsten traurigen Lächeln verzogen und ihre Nebenhöhlen begannen zu brennen von der Herbheit der drohenden Tränen. "Und ich hatte niemals eine Fuck-yourself-Haltung. Ich weiß nicht, wo Du das her hast. Als ich die Tür öffnete und Du standst da. Ich war froh, Dich zu sehen... FROH." Sie atmete tief ein. "Diese Nacht, Mulder?" Er wurde sehr still. "Diese Nacht war die schönste, die ich je in meinem Leben erlebt habe."

Er forschte in ihrem Gesicht und runzelte ein wenig die Stirn. "Aber Du sagtest..."

"Wir haben beide Dinge über diese Nacht gesagt, die wir bereuen. Aber die Wahrheit ist... die Wahrheit ist, es war wunderbar. Wenigstens für mich..." Sie verstummte.

Nun war ihre Kehle so voller Tränen, daß es ihr schwer fallen würde, ein weiteres Wort zu sagen. Wenigstens war sie in der Lage gewesen, ihm das zu sagen.

Das letzte Licht vom Fenster fiel auf sein Gesicht, aber sie stand mit dem Rücken zum Fenster und ihr Gesicht mußte im Schatten liegen, weil er sie anschaute, als wenn er sie nicht sehr gut sehen könnte. Er drehte sich um und streckte eine Hand aus, um die Lampe neben dem Bett anzuschalten.

Das letzte, was sie brauchte war, daß er ihr Gesicht deutlich sehen konnte.  "Da muß irgendwo ein Stift drin sein," stieß sie hervor, ihre Stimme voller Tränen. "Hilf Dir selbst." Sie senkte ihren Kopf und drehte sich zum Gehen um.

Seine Hand an ihrem Handgelenk hielt sie auf. Er knipste das Licht an. Sie wollte sich nicht zurückdrehen und versuchte, ihr Handgelenk von ihm zu lösen, aber er hielt fest.

Scully drehte sich um, blinzelte im plötzlichen Lampenlicht. "Muld..." Er sah in ihre Lampe hinein. Einen Finger hatte er auf seine Lippen gelegt.

Sie beugte sich herüber und folgte seinem Blick.

Eine Wanze.

Sie atmete heftig ein.

Eine Wanze hier?

Oh Gott.

Sie hatte es nicht begriffen, aber die hatten es! Und was jetzt? Worüber hatten sie gesprochen? Liam, UCLA, induzierte Milchproduktion... Irgendeine gesichtslose Person hatte zugehört, als sie ihm gesagt hatte, daß mit ihm zu schlafen die schönste Sache in ihrem Leben war... und Gott, irgend jemand hatte zugehört an dem Morgen, als sie miteinander schliefen.

Das konnte nicht passiert sein.

Plötzlich zitterte sie.

In dem Moment klingelte ihr Telefon. Sie hörte es kaum.

Sie entwand ihr Handgelenk seinem Griff und drehte sich weg, stolperte über ihren Koffer auf dem Weg zu ihrem Schrank. Sie zog ein paar Radlerhosen aus dem Schubfach und zog sie an.

Das Telefon klingelte beharrlich.

Tränen liefen ihr über das Gesicht. Mulder war auf einmal neben ihr.

"Scully?" fragte er leise.

Blind schob sie ihn weg und lief barfuß zur Wohnungstür. Sie sah zu Liam, er schlief friedlich.

Das Telefon hatte aufgehört zu klingeln. Der Anrufbeantworter war angesprungen.

"Hier ist Walter Skinner." Vage hörte sie die Stimme, aber sie brachte sie dazu, innezuhalten mitten in ihren Gedanken. "Agent Scully?? Es tut mir leid, Sie am Sonntag zu stören, aber besteht IRGENDEINE Chance, daß Sie wissen, wo Agent Mulder ist, es ist EXTREM WICHTIG, daß ich mit ihm in Kontakt trete." Er machte eine Pause. "Dana - es ist unbedingt erforderlich, daß ich ihn sofort finde. Also wenn Sie irgendeine Ahnung haben, wo er sein könnte..."

Mulder konnte das erledigen.

"Scully!! Warte! Warte!!"

"Verdammt," fluchte er scharf, dann... "Hier ist Mulder, ich bin hier." Im nächsten Moment war sie zur Tür hinaus.

Sobald sie draußen war, rannte sie los. Die Apartments, Palmen, Sonntag-Abend-Strandspaziergänger, Nebel, alles zusammen tränenverschleiert.

Und dann weinte sie zu heftig, um zu laufen, die Tränen in ihrer Kehle und in ihrer Nase blockierten ihren Atem. Sie verfiel in Schrittempo und stolperte vorwärts, kämpfte darum, ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen.  Schließlich erreichte sie das entfernteste Ende des Strandes und warf sich auf ihren Bauch in den Sand.

Umgeben von ihrem eigenen privaten Nebelkokon legte sie ihren Kopf auf ihre Arme und schluchzte.

 

 

 

 

Teil 21

 

Konzentrier Dich.

Denk an etwas - irgend etwas - anderes.

Der Geruch von feuchtem Sand.

Atme ihn ein.

Die feuchte Kälte der Abendluft.

Fühle sie auf Deiner Haut. Fühle die Gänsehaut auf Deinen Armen. Du beginnst zu zittern. Im kalten, feuchten Sand zu liegen, in T-Shirt und Radlerhosen war der Wahnsinn...

Er will Dich nicht.

Oh Mist.

Atme.

Ein.

Aus.

Ein.

Aus.

Du kannst Liam nicht haben.

Schmerz.

Stechender Schmerz.

Rot.

Verdammt.

Krieg Dich unter Kontrolle, verdammt.

Ruhe.

Verdammt.

Liams ganzes Leben ist zum Teufel wegen einer Wanze in Deinem Apartment. Du hättest wissen müssen, daß Du nicht raus aus der Sache warst. Du bist vom Fach. Du hättest nach Wanzen suchen müssen.

Mulder hat sich sechs Monate abgemüht, das zu schaukeln, ohne eine Störung und nun ist alles zum Teufel wegen Dir.

Deine Schuld.

Atme. Atme.

Steh auf von dem Sand.

Du mußt zurückgehen.

Wenn Skinner ihn braucht, geht er vielleicht noch heute nacht.

Steh auf. Geh zurück.

Komm schon. Steh auf. Geh zurück. Du mußt Auf Wiedersehen sagen.

... sie sind vielleicht bereits gegangen.

Oh Verdammt.

Mehr Schmerz. Atme.

 

Sie konnte nicht aufstehen, selbst wenn ihr Leben davon abhing.

Das Adrenalin, das durch ihre Adern geschossen war beim Anblick der Wanze und das sie an den Strand gejagt hatte, verschwand, ließ sie zitternd und schwach zurück. Sie lag bewegungslos auf ihrem Bauch, die fest geschlossenen Augen hart gegen ihr Handgelenk gepreßt.

... es würde leichter sein, sie gehen zu lassen, ohne ihnen eine weitere Szene zu machen...

Ein weiteres Zittern durchlief ihren Körper bei diesem Gedanken.

Wie um alles auf der Welt konntest Du hier an diesem Strand stehen, nachdem Du mit ihm geschlafen hattest im Mai und so leicht entscheiden, daß Du nicht mit ihm zurück nach D.C. gehen würdest?

Vor einem Monat. Ein Monat. Wie konntest Du nur so unglaublich naiv sein?

Dir geht es gut.

Einfach... gut.

Einfach verdammt gut...

In Ordnung. Wenn Du Dich nicht auf etwas anderes konzentrieren kannst, dann geh näher darauf ein, wälze Dich darin, ein kompletter Idiot zu sein.

Du hast es Dir selbst angetan. Du hast Dich albern, unreif, vollkommen in ihn verliebt. Du hast die Stärke Deines Glücks in seine Hände gelegt.

Du mußt es zurücknehmen. Du kannst es zurücknehmen.

Leicht gesagt.

Als er im Mai hier war, gab es keinen Liam.

Nein. Er wußte von Liam und er hatte ihr nichts gesagt.

Liam...

‚... wir können das Baby als Freunde aufziehen, Mulder. Du nimmst ihn mit nach Washington... ich werde zu Besuch kommen... ich werde mich so benehmen, als würde ich Dich nicht lieben... einfach wie ich es immer getan habe... und Du wirst Dich benehmen, als wärst Du ein kleines bißchen in mich verliebt... einfach wie Du es immer getan hast...

Nur daß ich es jetzt besser weiß, um es zu glauben...'

Schmerz.

Wieder.

Atme...

Dir geht es gut.

Dir wird es gut gehen. Es stinkt Dir und es wird Dir eine Weile erbärmlich gehen... aber es wird Dich nicht umbringen. Du lebst. Du hast den Krebs besiegt. Du hast Emilys Tod überlebt. Du hast Missys Tod überlebt. Du hast Dads Tod überlebt. Du hast Dich selbst. Und das Leben wird weitergehen.  Liam lebt und Du wirst alles in Deiner Macht stehende tun, damit es so bleibt.

Und was passiert, wenn Mulder mit jemandem zusammenkommt? Was dann? Mach weiter, bring dieses Szenario zu Ende. Wenn er jemanden heiratet? Seine Augen... die in Liebe auf jemand anderen blicken? Und sie werden eine Familie?

Wieder Schmerz.

Weißglühend.

Konzentrier Dich. Atme. Schließe es aus. Atme. Ein. Aus. Ein. Aus. Der Geruch des Sandes. Fischartig. Der Ozean. Fischartig. Die Algen.  Fischartig.

Verdammt!

Der Versuch, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, war absurd. Sie gab sich dem Schmerz hin und ließ ihn Besitz von ihr ergreifen.

Seine Augen.

Als er sie das erste Mal küßte... als er ihr von Liam erzählte... als...

... als Ihr Euch wild und wütend geliebt habt... als Du ihm auf dem Boot einen Blowjob gegeben hast... als er Dich beobachtete, als Du Liam das erste Mal im Arm hieltst...

"Das sind nicht wir."

Sie biß die Zähne zusammen.

Wieder Schmerz. Schwarz diesmal. Verdammter. Stechender. Schmerz. So hart, heiß und sinnlos, daß sie laut keuchte und sich in den Handrücken biß, Sandkörner an ihrem Mund. In ihrem Mund.

Sie hatte nicht verstanden bis zu dieser Sekunde, als er es sagte, wie sehr sie geglaubt hatte, es könnte funktionieren.

Gottverdammt.

Sie drehte ihren Kopf und spuckte aus.

Atme verdammt. Atme.

Verdammter Atem.

Alles, was sie tun konnte, war fühlen.

Scully legte ihre Stirn zurück in den Sand.

Sie konnte von einem Ende des Strandes zum anderen schreien, aber sie konnte dies hier nicht kontrollieren. In ein paar Minuten würde sie ihren Atem unter Kontrolle haben und in der Lage sein, aufzustehen und zurückzugehen, nur weil sie die zähe Dana Scully war. Und niemand würde in der Lage sein, ihr anzusehen, wie hart sie das traf. Sie würde zurückgehen und ihnen ruhig Auf Wiedersehen sagen... Sie würde wieder zur Arbeit gehen.  Da würde sie erzählen, ihr Wochenende vom 4. Juli war verdammt unglaublich und sie hatte eine tolle Zeit. Die Schramme auf ihrer Wange? Das blaue Auge? Zuviel Beachvolleyball...

Aber die Wahrheit war... sie atmete tief ein und gab es schließlich sich selbst gegenüber zu:

Das hier. All das hier... die Wahrheit war...

Scully war ernsthaft durcheinander.

Auf einmal spürte sie ihn.

Mulder gab kein Geräusch von sich oder berührte sie, aber er war da.

Sie konnte ihn fühlen. Stärker als die Feuchtigkeit des Nebels auf ihrer Haut.

Seine Aura... wenn sie daran glaubte. Oh Gott. Sie glaubte an seine Aura, und der einzige Platz, wo sie sein wollte, war darin.

Sie drückte ihre Stirn fest gegen ihre Handgelenke und bewegte sich nicht.

Atme.

Atme.

Atme.

Atme.

Gott. Sein Duft war auch da, vermischt mit dem salzigen Geruch des Nebels und des feuchten fischigen Sandes.

"Geh weg," flüsterte sie, wahrscheinlich nicht laut genug für ihn, um es zu hören.

Scully hörte einen leisen Seufzer und dann ein schwaches Knistern, als er sich neben sie im Sand niederließ. Nun konnte sie ihn atmen hören, schwer, als wenn er gerannt war, um sie einzuholen.

Sie wünschte, er wäre einfach gegangen. Sie wollte nicht, daß er sie so sah.

Dana Scully mit dem Gesicht im Sand.

Am Boden.

"Geh," sagte sie wieder, kaum lauter, immer noch ohne ihren Kopf anzuheben.

Mulder ging nicht.

"Du hattest recht," sagte sie schließlich, ihre Stimme leise und gedämpft durch ihre Arme. "Du hättest niemals herkommen sollen, um mich zu sehen.  Ich wünschte, Du wärst niemals hergekommen. Ich wünschte, Du hättest mir niemals von ihm erzählt."

Ein kleines Schluchzen drohte zu entweichen und sie drückte ihre Finger fest in den Sand und hielt ihren Atem an. Scully drehte ihren Kopf und drückte ihre zusammengebissenen Zähne gegen ihren Arm.

Er sagte gar nichts.

"Das ist es, wie sie es herausgefunden haben," flüsterte sie. "Wenn Du es mir nicht erzählt hättest, wäre er in Sicherheit gewesen."

Scully lauschte. Mulder hatte es auch begriffen. Er mußte es begriffen haben, weil sein Atem sich nicht veränderte.

Sie atmete tief ein. "Es tut mir so leid, daß ich alles versaut habe. Nimm ihn einfach und geh. Ich kann das nicht noch einmal tun."

Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie wartete. Um ein weiteres Schluchzen zu unterdrücken, biß sie sich hart auf die Lippe. Dabei zerbiß sie sich die Lippe und ihr Mund füllte sich mit dem warmen salzigen Geschmack ihres Blutes. Sie schluckte es und wartete.

Mulder ging nicht.

"Wie konnte ich..." Er brach ab und sie hörte ihn schlucken. Seine Stimme war rauh. "Wie konnte ich Dir nicht von ihm erzählen?" sagte er schließlich. Ein Hauch von Verzweiflung lag in den Worten.

Sie sah ihn von der Seite her durch ihre Haare hindurch an.

Mulder lag auf dem Bauch im Sand neben ihr, sein Kinn ruhte auf seinen Händen und er starrte hinaus auf die paar Meter grauen Ozeans, die sie im Nebel sehen konnten. Ihr Blick flog schnell über sein Gesicht... seine Lider, seine Wangen, sein Mund... Er hatte die Stirn in Falten gelegt und versuchte, es in seiner Stimme zu verbergen, aber er war auch bestürzt.  Unglaublich bestürzt.

Als würde er ihre Augen auf sich spüren, sah er zu ihr herüber, sie drehte ihren Kopf schnell weg und blickte in die andere Richtung.

Nein.

Unreif war nicht das Wort für das, was sie für ihn empfand.

Nicht einmal annähernd.

Sie kämpfte darum, sich an die Begründung zu erinnern, die sie das ganze Frühjahr benutzt hatte, um sich selbst zu überzeugen, daß es ihr besser gehen würde ohne ihn.

Er steckte voller Fehler und Eigenheiten und Neurosen und seltsamer abgefuckter Ideen, die mit den Jahren immer seltsamer und abgefuckter wurden. Er war einsam und äußerst kompliziert. Sie waren sich nur die Hälfte der Zeit einig... Er hatte Lachfältchen und ein paar graue Haare und eine komische Nase...

Aber genau das waren die Dinge, die sie an ihm liebte.

Informationen aus ihm herauszubekommen war wie Zähne ziehen. Sie haßte das.

Aber - Gott - sie begann sogar, es zu verstehen.

Und er war gottverlassen brillant.

Der einzige Mann, den sie jemals getroffen hatte, der beinahe so klug war wie sie.

Was Du für ihn empfindest, sagte sie sich - ein wenig herablassend - ist eine herzergreifende atemberaubende sexuell geladene reife Liebe, die Dich mit Deinem frischen Gesicht und Deinem perfekten Makeup dazu gebracht hätte, die Beine zusammenzunehmen und aus seinem Büro zu rennen an diesem allerersten Tag, wenn Du sie schon damals empfunden hättest.

Diese Art von Liebe hätte für sie genauso weit hergeholt sein können wie eine X-Akte...

"Ich konnte Dich nicht finden. Du hast mich erschreckt," unterbrach er ihre Gedanken leise, seine Stimme immer noch belegt. Die warme Haut seines Ellbogens streifte ihre nur für eine Sekunde. Gott, sie brauchte es wirklich nicht, daß ihr Herz erneut gegen ihre Rippen hämmerte.

Sie stieß einen Seufzer aus. Es würde bald dunkel sein und sie fror. Sie hatte ihm nichts zu sagen und sie hatte keine Antworten. Was immer er auch jetzt von ihr wollte, sie würde nicht nachgeben.

"Gib Dir nicht die Schuld, Scully. Ich hätte wissen müssen, daß sie Dich beobachten." Er schien erkannt zu haben, daß sie ihm nicht antworten würde, also sprach er irgendwie weiter. "Du hast es begriffen, nicht wahr?" sagte er leise. "Wie es hätte sein können, wenn sie es nicht gewußt hätten?"

Liam.

Schließlich gab sie nach. Sie mußte einen Blick auf Liam werfen. Scully wandte ihren Kopf um und sah Mulder wieder an. Er lag mit geschlossenen Augen da. Sie hob ihren Kopf und sah über ihn hinweg auf die andere Seite.  Liam war nicht da.

"Wo ist er?" verlangte sie zu wissen.

"Er ist bei Deinen Nachbarn," sagte er, ohne die Augen zu öffnen.

"Was? Bei wem?"

"Bei allen. Hast Du sie nicht gesehen? Du bist genau durch die Poolparty gelaufen. Adrianna kam anmarschiert, nahm ihn mir aus dem Arm und zeigte hinter Dir her. Ich habe nicht diskutiert."

"Aber..."

Sie schätzte die Kraft in ihren Beinen ab. Nicht daß sie ihren Nachbarn nicht traute... Teufel... er war wahrscheinlich sicherer bei Adrianna als bei ihr. Aber... wer zur Hölle wußte, wer wer war in dieser Welt.

Scully drückte sich auf die Knie, stellte erst ein Bein auf, dann das andere und erhob sich. Sich umdrehend eilte den Strand zurück. Ungefähr eine Meile war sie von ihrem Apartment aus nach Süden zum Eingang der Marina gerannt, es dürfte nicht allzu lange dauern, zurückzukommen. Nach ungefähr zehn Sekunden begriff sie, daß sie nicht den ganzen Weg durch den weichen Sand laufen konnte. Also machte sie kehrt und eilte zum festen Sand am Rande des Wassers.

"Scully, warte!"

Sie ignorierte ihn und setzte weiter einen nackten Fuß vor den anderen.  Ihre Knie waren ein bißchen wacklig. Und Gott, wenn dieser verdammte Schlag auf ihren Kopf nicht wieder hämmern würde. Morgen mußte sie das wirklich untersuchen lassen. Ihr war ein wenig schwindlig, aber das war nur der Blutdruck, der abgesackt war, weil sie innerhalb von Sekunden aufgesprungen und losgerannt war. Das würde in einer Minute vorbei sein. Zwar fühlte sie sich nicht gut, aber sie hatte genug davon, physischer Schwäche nachzugeben. Sie hatte so hart daran gearbeitet, um nach ihrem Krebs wieder in gute physische Form zu kommen. Fünf Tage mit Mulder hatten ihr auch die genommen.

Scully mußte zurück zu Liam. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei, ihn bei irgend jemandem zu lassen.

"Sie haben ihn uns aus Singapore herausbringen lassen, sie werden ihn nicht jetzt holen kommen." Er hatte sie eingeholt. "Und nebenbei, sie können gegen dieses Ensemble von Charakteren nicht gewinnen." Sie fühlte seine Finger gegen ihren Ellbogen stoßen. "Der King sagte, er würde ihm vorsingen, wenn er unruhig werden würde..."

Beinahe mußte sie darüber lächeln, dann kam ein halbes Schluchzen aus ihrer Kehle. Sie versuchte, ihr Gesicht an ihrer Schulter auf der ihm abgewandten Seite zu reiben. Dann gab sie nach, senkte ihren Kopf und ließ ihr Haar über ihr Gesicht fallen.

"Shhhh, Scully."

Seine Finger legten sich um ihren Unterarm, dann wurde er langsamer und hielt sie fest. Sie zitterte beim Klang seiner Stimme, die ihren Namen so weich sagte. Wenigstens nannte er sie wieder Scully.

"Gott, Deine Haut ist ja wie Eis. Halt eine Sekunde an."

Sie wurde langsamer, aber sie ging weiter und versuchte, von ihm loszukommen, doch er hielt sie fest.

"Halt an, Scully, halt an. Er wird für ein paar Minuten in Ordnung sein.

Wir gehen gleich zurück."

Mulder zog sie herum, damit sie ihn ansah, aber sie ging rückwärts weiter.

"Halt an," sagte er fest und blieb plötzlich stehen. Nun hatte sie keine andere Wahl, als auch stehenzubleiben. Seine Finger legten sich unter ihr Kinn und hoben sanft ihr Gesicht an.

Trotzig traf sie seinen Blick durch den Vorhang aus Haaren vor ihrem Gesicht.

Mulder zuckte zusammen.

"Oh, Scuh-leee," sagte er sanft. Seine Augen waren dunkel und ernst und intensiv... und voller Mitleid. Ihr Gesicht mußte eine einzige Katastrophe sein.

Er ließ ihr Kinn los und schob ihr vorsichtig die Haare aus den Augen, ohne ihr Gesicht zu berühren. Dann begann er sehr, sehr leicht - so leicht, daß seine Fingerspitzen nur den Sand, nicht ihre Haut berührten - ihn von ihren Wangen zu streichen.

Mit den Fingern seiner anderen Hand hielt er immer noch ihren Unterarm fest. Wahrscheinlich hatte er Angst, daß sie versuchen würde, sich loszumachen und wegzulaufen. Und er hatte recht.

"Er gehört Dir," sagte er leise.

Sie starrte ihn an, als sie das, was er gesagt hatte, sinken ließ.

Oh... Gott.

Sein Mund verzog sich zu einem kleinen kläglichen Lächeln. "Du bist seine Mutter. Er braucht Dich, nicht mich." Sein Blick hielt für einen Moment ihren fest, dann glitt er weg und beobachtete seine Finger, die fortfuhren, ihr Gesicht zu säubern. Seine federleichte Berührung war unglaublich zart.

Scully konnte kein Wort sagen. Sie zog nur ihre Unterlippe zwischen die Zähne und fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

Seine Finger schienen eine Sekunde zu zögern, dann bewegten sie sich zu ihren Lippen und begannen, den Sand von ihrem Mund zu streichen, er verstärkte ihren Druck um eine Winzigkeit. Seine warmen Finger bewegten sich über ihre kalten Lippen. "Was hast Du mit Deinem Mund getan? Du blutest."

Sie schüttelte ihren Kopf nur minimal.

"Scully," sagte er sanft. "Dies war niemals darauf angelegt, Dich zu verletzen."

Atme.

Es schien das einzige zu sein, das sie tun konnte. Und nicht besonders gut.  Sie konnte fühlen, wie ihr Atem von seiner Hand abprallte und zurück über ihre Lippen glitt. Die Augen schließend schickte sie ein kleines Gebet nach oben.

Danke, lieber Gott. Danke...aber...

Scully atmete sehr tief ein und öffnete ihre Augen. Mulder schien vollständig von dem gefangen, was er tat. Er leckte seine Lippen, sein Blick immer noch auf ihrem Mund.

"Mulder..."

Ihre Stimme klang sehr dünn, atemlos und sehr unsicher. Und sie zitterte.  Reaktion, Kälte, Mulder-veranlaßter Wahnsinn, was auch immer, aber sie zitterte. Schreckliche kleine Schauer. Jeden Moment würden ihre Zähne anfangen zu klappern. Oh, nur für sechzig Sekunden die glühende Hitze, die sie in Singapore hinter sich gelassen hatten.

"Ich liebe Dich," sagte sie.

Seine Finger hielten inne und er sah ihr in die Augen. Lange forschte er darin, dann wurde sein Ausdruck nachdenklich und er sah weg.

"Dafür, daß ich Dir zurückgegeben habe, was Deines ist? Er gehörte nicht mir." Er schüttelte den Kopf. "Nein."

Nein.

Sein Blick kam zurück zu ihr, beinahe zögernd, und er studierte ihr Gesicht. "Komm her, Du frierst." Und bevor sie ganz begriffen hatte, was er tat, hatte er sein T-Shirt hochgehoben, sie eng an seine warme nackte Brust gezogen und das T-Shirt über ihren Kopf und ihren Rücken gezogen. Er legte seine Arme um sie, hielt sie fest und rieb seine Hände über ihre Arme und Schultern, um sie zu wärmen.

Scully legte ihre Hände auf seinen Bauch und drückte ihn ein wenig weg.

"Mulder..."

"Sei still," sagte er. "Ich glaube, Du hast einen Schock."

Scully legte ihre Arme um sich und stand steif in dem Kokon unter seinem T-Shirt. Sie hatte keinen Schock. Das wüßte sie, wenn sie einen Schock hätte. Sie hatte keinen Schock... Hatte sie einen? Wann hatte sie das letzte Mal etwas gegessen oder getrunken? Letzte Nacht im Flugzeug? Typisch Mulder zu denken, sie mußte einen Schock haben, wenn sie ihm sagte, daß sie ihn liebte. "Shhh," machte er wieder und zog sie enger an sich heran, obwohl sie nicht glaubte, daß sie irgend etwas davon laut gesagt hatte.  Plötzlich fand sie ihre Wange an die sehr warme Haut auf seiner Brust gedrückt.

Scully entspannte sich ein bißchen. Sie wollte in seiner Aura sein. Nun, hier war sie es. Die Augen geschlossen gestattete sie sich, sich ein bißchen mehr zu entspannen, atmete seine Wärme und seinen Geruch ein. Es war wärmer in seinem T-Shirt und sie fror nicht mehr so.

"Ist es jetzt besser hier drinnen?" fragte er.

Sie nickte an seinem Brustbein. Warm... warm.

"Ich habe versucht herauszufinden, wie ich es Dir sage," sagte er leise.  "Ich wollte es Dir beim Essen sagen. Anscheinend kann ich Dir nicht einmal gute Nachrichten überbringen."

Seine Hände rieben sanft über ihre Schultern und Arme, immer noch damit beschäftigt, die Kälte zu vertreiben.

"Eine kleine Weile habe ich so getan, als wenn er mir gehört," sagte er, seine Stimme noch tief und brummelnd in seiner Brust unter ihrem Ohr. "Aber er gehört nicht mir. Er gehört zu Dir."

Sie war still, sie kannte ihn. Das war das zweite Mal. Sie nahm eine großen Zug nach Mulder duftender Luft.

"Dir, Mulder?"

Seine Hände hielten inne.

Vielleicht würde er diesmal antworten.

Sie wartete, konzentrierte sich auf seinen Herzschlag.

Eins.

Zwei.

Drei.

Vier.

Fünf.

"Oder so getan, als wäre er unser?" half sie ihm sanft auf die Sprünge.

Sechs.

Sieben.

Acht.

Neun.

Zehn.

Elf.

Zwölf.

Dreizehn.

Vierzehn.

Fünfzehn.

Sechzehn.

Siebzehn.

"Scuh-leee..." sagte er leise, nahe an ihrem Ohr.

Sie zitterte wieder - und nicht vor Kälte. Seine Hände begannen sich wieder langsam über ihren Rücken zu bewegen, rieben sanft ihre Schulterblätter und ihre Wirbelsäule.

Achtzehn.

Neunzehn.

Zwanzig.

Einundzwanzig.

Zweiundzwanzig.

Dreiundzwanzig. Sein Herz schlug ein bißchen schneller. Vierundzwanzig.

Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtund...

Er atmete tief ein, so tief, daß sie die Luft hören konnte, die durch seine Lungen rauschte.

Neunundzwanzig. Drei...

Gott. Wollte sie es wirklich wissen? Macht nichts, Mulder. Ich glaube, ich will es lieber nicht... Oh Mist. Sag mir einfach...

"Unser," sagte er leise und sie glaubte, seine Lippen auf ihrem Kopf durch den Stoff des T-Shirts zu fühlen.

Sie bewegte sich plötzlich und griff nach dem Saum seines T-Shirts, schob es über ihren Kopf und strich es dann sorgfältig wieder über seinen Bauch.  Es war kalt, jetzt wo sie nicht mehr an seinem Körper war.

Scully hob ihren Kopf und traf seinen Blick, Tränenspuren, Sand, Blut und alles. Sein Gesicht war besorgt und mindestens ein bißchen resigniert.  Lange starrte sie ihn an. Plötzlich hatte sie den Verdacht, daß es ihm leid tat, daß er es gesagt hatte und nicht wissen wollte, was sie sagen mußte.  Für ihn hatte nicht zu wissen die Schönheit der Unkenntnis.

Für sie war es die Hölle.

Zu spät, Mulder. Du hast es zuerst gesagt.

"Ich auch," sagte sie ihm.

Sein Ausdruck änderte sich nicht, er bewegte keinen Muskel, nur seine Pupillen bewegten sich, erweiterten sich in der einbrechenden Dunkelheit, als sie ihr Gesicht erforschten.

Auf einmal atmete er mit einem kleinen keuchenden Schnappen aus.

Sie fühlte plötzliche Scheu und hatte keine Ahnung, was zur Hölle sie als nächstes tun sollte. Mulder schien es auch nicht zu wissen. Er neigte unvermittelt seinen Kopf und sah auf die Wellen, die nahe bei ihren Füßen an den Strand rollten.

"Komm." Sie sah auf ihre Füße. Ihre Zehen waren taub. "Laß uns zurückgehen und ihn holen."

Ihre Augen flatterten für den Bruchteil einer Sekunde zu seinen, als er sie von der Seite ansah und nickte.

Scully drehte sich um, um den Strand hinunter zurückzugehen, aber seine Hand auf ihrer Schulter hielt sie zurück. Er legte seinen Arm ein wenig ungeschickt um ihre Schultern, sie schlüpfte zurück in seine Wärme und legte ihren Arm um seine Taille.

Sie gingen ohne zu sprechen, das einzige Geräusch war das gedämpfte Stoßen der Brandung. Der Nebel gab ihm eine unwirkliche Klangfarbe... Nebel im Juli, eine weitere Folge von El Nino. Aber trotz des Nebels hielt sich die Dämmerung an diesem Abend sehr lange. War es wirklich erst eine Woche oder so her seit dem längsten Tag des Jahres? Ihr war nicht mehr kalt, sie schwebte einfach neben ihm in der Dämmerung, ohne wirklich darüber nachzudenken, was sie gerade gesagt hatten.

Und trotz der Tatsache, daß sie einander festhielten, gingen sie nicht einmal vage im Gleichschritt.

Scully sah auf ihre Füße herab. Komisch, daß sie niemals bemerkt hatte, daß ihr Schritt nur gerade halb so lang wie seiner war. Sie mußte für alle paar Schritte, die er tat, einen extra machen. Aber er versuchte, kleinere Schritte zu machen, so daß sie nur ab und zu einen kleinen zusätzlichen Schritt machen mußte, um ihn einzuholen...

Nur ein Paar Fußabdrücke kam aus der anderen Richtung, stellenweise durch die Flut weggewaschen. Die Schritte waren wesentlich länger als die, die sie jetzt machten. Er war schnell gelaufen.

Mulder sah auch auf ihre Fußabdrücke herab. "Ich war schon fast am Santa Monika Pier, bevor ich diesen Weg zurückkam," sagte er.

Das waren fünf, vielleicht sechs Meilen. Sie hatte nicht erwartet, daß er ihr folgen würde...

Scully fragte sich, was ihn so lange aufgehalten hatte.

"Was wollte Skinner?" fragte sie.

"Mist!" sagte er und blieb plötzlich stehen. Er ließ sie los, um sein Handy aus der Tasche zu holen. "Ich hab ihm gesagt, daß ich ihn in zehn Minuten von meinem Handy aus zurückrufe und hab eingehängt."

Mulder schaltete das Telefon ein und es klingelte sofort und erschreckte sie beide. Sie sahen das Telefon an, dann einander.

Scully zog ihre Augenbrauen hoch.

Mulder schüttelte den Kopf und sein Blick fiel auf ihren Mund. Langsam hob er seine Hand und streichelte zärtlich ihr Gesicht. "Scuh-leee," flüsterte er, sein Blick hielt ihren fest.

Scully sah ihn nur an. Plötzlich lagen seine Arme fest um ihren Rücken, zogen sie auf ihre Zehenspitzen und drückten sie eng an sich.

Und sie ließ sich von ihm fest umarmen, ihre Hände lagen leicht auf seiner Taille.

Das Telefon mußte er fallen gelassen haben, weil es im Sand zu ihren Füßen klingelte.

Ein wenig löste er seinen Griff und hob seinen Kopf, um sie anzusehen, dann beugte er sich zu ihr. Er wollte sie küssen.

"Nein." Sie hob ihre Hand hoch und seine Lippen stoppten an ihren Fingern.  Im Moment war sie zu zerbrechlich, um das zu tun. In dieser Nacht hatte sie ihn bereits zum Abschied geküßt und das war genug. Sie würde ihn nicht wieder küssen, außer... außer...

Dramatisch, aber wahr.

Das verdammte Telefon wollte nicht aufhören zu klingeln.

"Wir müssen miteinander reden," sagte sie leise. Wie oft hatten sie das in den letzten zwei Tagen gesagt? Zu oft.

Er nickte und drückte einen zarten Kuß auf ihre Finger, dann streckte er seine Hand aus, nahm ihre und schob sie zur Seite, seine Finger mit ihren verschränkt. Sein Blick lag immer noch auf ihren Lippen.

Sie erstarrte, als er sich dichter an sie lehnte. Er steckte seine Zunge ein winziges bißchen heraus und leckte ganz leicht über ihre Unterlippe. Oh Gott... er leckte das Blut ab, seine Zunge warm und zart. Er folgte vorsichtig ihrer Rundung, zog ihre Unterlippe sanft in seinen Mund, dann ließ er sie los.

Scully sah in seine Augen. Gold und grau und durchscheinend... Wild.

Sie schnappte nach Luft.

Oh Gott.

"Bitte..." hauchte sie.

"Wir werden die ganze Nacht reden, Sweetheart," flüsterte er und lehnte sich noch ein bißchen dichter an sie.

Sweetheart... Sie preßte ihre Lippen zusammen, damit sie sich nicht eigenmächtig öffnen würden und schloß ihre Augen, um sein Gesicht, seinen Ausdruck, seine Konzentration auf ihren Mund auszusperren.

Scully konnte seinen warmen Atem fühlen, der ihre Lippen liebkoste.

"Oh, Mulder," flüsterte sie. "Bitte..."

Er ließ seinen Mund einfach über ihren streichen.

"Scuh-leee, sieh mich an," hauchte er.

Sie öffnete ihre Augen. Seine waren halb geschlossen , voller Sehnsucht.

"Bitte... bitte, hör auf," sagte sie verzweifelt.

Daraufhin hörte er auf und nahm seinen Mund eine Winzigkeit von ihrem weg.

"Nicht," hauchte sie. "Ich kann das nicht." Seine Augen forschten in ihren.  Sie senkte ihren Kopf, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. "Tu mir nicht mehr weh," protestierte sie leise, so leise, daß es nicht wirklich dazu bestimmt war, von ihm gehört zu werden.

Mulder atmete ein und zog sie eng an sich unter sein Kinn. "Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid," murmelte er in ihr Haar.

Das Telefon klingelte erneut zu ihren Füßen. Sie versuchte, darauf zu treten und es mit dem Zeh auszumachen, aber es klingelte, in den Sand gedrückt, weiter. "Das Telefon..."

"Zum Teufel damit," sagte er. Sein Kopf fiel herab und er preßte sein Gesicht an ihren Hals.

"Wenn Du es ertragen kannst, dann halt mich einfach," flüsterte er.

"Bitte."

Scully legte ihre Arme um seine Taille und umarmte ihn fest. So fest sie konnte. Er hielt sie und schaukelte sie sanft.

Sie konnte nicht glauben, daß das Telefon immer noch klingelte, ein wenig gedämpft durch den feuchten Sand. Was zur Hölle konnte Skinner nur wollen?

"Sprich einfach mit ihm und bring es hinter dich," flüsterte sie.

Sein Griff verstärkte sich, seine Lippen flüsterten etwas in ihren Hals.  Schließlich hob er seinen Kopf. Als sie sah, daß die Verzweiflung in seinem Blick einer Art Entschlossenheit gewichen war, war sie nicht überrascht. Es war das, was sie selbst empfand.

Sie würden zurückgehen, alle Wanzen aufspüren, sich dann auf ihren Balkon setzen und reden. Und vielleicht... sie kreuzte plötzlich ihre Finger hinter ihrem Rücken.

Beschrei es nicht.

Ohne seinen Blick von ihrem zu lösen, beugte er sich herab, hob das Telefon auf und nahm es ans Ohr.

 

 

 

 

Teil 22

 

"Mulder," sagte er ins Telefon. Seine Stimme klang rauh und atemlos. Sein Blick hielt immer noch ihren, als er die Sprechmuschel gegen seine Schulter drückte und tief einatmete. Er kämpft um seine Fassung, dachte sie, in seinen Augen forschend. Mulder war vollkommen erschüttert. Die ungeschützte Verwundbarkeit in ihren Tiefen erschreckte sie und sie sah schnell weg.

Sieh ihn an, sagte sie sich. Er will, daß Du es siehst, sonst würde er Dich nicht so ansehen.

Seine Finger drückten zart ihren Unterarm.

Scully hob ihren Kopf und traf seinen Blick. Überrascht beobachtete sie, wie sich seine Augen mit Erleichterung füllten. So viel Erleichterung als Reaktion darauf, daß sie ihn einfach ansah, wunderte sie sich? Sie beobachtete ihn, wie er sie beobachtete, als er das Telefon wieder ans Ohr nahm und zuhörte.

Mit ihren Augen deutete sie in Richtung ihres Apartments. Liam. Er nickte.  Sie löste ihren Blick von seinem. Was immer er im Moment von ihr wollte, sie konnte nicht warten, während er mit Skinner sprach. Sie mußte zurück zu Liam.

Scully drehte sich um und entzog sich seinem Griff. Mulder griff nach ihr und erwischte sie an der Hand. Er verschränkte seine Finger mit ihren und ließ sich von ihr mitziehen, als sie anfing zu gehen. Sie warf ihm einen Blick zu und konnte sehen, daß seine Aufmerksamkeit ihr galt und nicht dem, was Skinner sagte.

Dann zuckte er zusammen. "Ja, Sir. Entschuldigung, Sir."

Scully drückte seine Finger ein wenig. Skinner mußte ihm den Kopf waschen.

Sie zog an seiner Hand und kam ihm ein bißchen näher, während sie gingen.

Mulder runzelte die Stirn. "Mein Wagen?" Seine Stimme klang beunruhigt.

"Ja, Sir... Er ist noch ein Kind. Alle paar Wochenenden benutzt er ihn." Seine Stimme hob sich. "Was ist passiert? Hat er ihn für eine Spritztour ausgeliehen und ihn zu Schrott gefahren?"

Sie verlangsamte ihren Schritt. Schließlich blieb sie stehen und bewegte ihren Kopf. Mulder beugte sich nieder und hielt das Telefon so, daß sie mithören konnte. Ihre andere Hand legte sie auf seine Brust. Sein Herz raste. Ihm leicht die Brust tätschelnd, versuchte sie, ihn zu beruhigen.

"Nein." Die Schärfe in Skinners Ton erschreckte sie. Ihre Augen weiteten sich und ihr eigener Atem ging schneller. Mulder nickte ein wenig angesichts ihres Ausdrucks. "Er fand heute nachmittag eine kleine Überraschung unter der Motorhaube," fuhr Skinner fort. "Glücklicherweise wußte er, was zur Hölle er da sah. Er rief die Polizei von Alexandria an.  Die riefen mich an. Plastiksprengstoff mit dem Gaspedal verbunden."

Ihr Blick traf ungläubig auf seinen und ihre Finger schlossen sich krampfhaft um den Stoff seines T-Shirts. Das Blut hämmerte in ihren Ohren, als sie ihren Kopf näher zum Telefon streckte, um besser zu hören. Mulder beugte sich ein wenig mehr herab.

Scully war froh darüber, daß sie nicht diejenige war, die mit Skinner sprach. Denn sie glaubte nicht, daß sie etwas zusammenhängendes zustande gebracht hätte.

"Es ist nicht explodiert? Er ist in Ordnung?" fragte Mulder.

"Sie sollten verdammt dankbar sein, daß es ihm gut geht," sagte Skinner.  "Was ich wissen möchte ist, wem zur Hölle haben Sie nun wieder auf die Füße getreten?"

Mist, artikulierte er für sie. "Ich weiß nicht, Sir."

Auf einmal war sie sich auf unangenehme Weise dessen bewußt, daß keiner von beiden seine Waffe hatte. Sich umdrehend löste sie ihre Blick von seinem, um den Strand hinter ihnen zu prüfen. Sie waren allein, aber irgend jemand konnte außer Sichtweite im Nebel und der sich ausbreitenden Dunkelheit sein.

Liam. Sie mußten zu ihm zurück, so schnell wie möglich. So begann sie, ihn ein wenig in Richtung ihres Apartments zu ziehen.

"Nehmen sie den letzten Flieger heute Nacht zurück?" Skinners Worte schnitten scharf in ihre Gedanken.

Ihre Finger schlossen sich enger um Mulders in demselben Moment, als er ihre schmerzhaft drückte. Mulder sah auf ihre sich umklammernden Hände herab, dann schloß er seine Augen und drückte ihr Handgelenk gegen seine Wange. Er atmete tief ein.

"Ich werde nicht vor Dienstag zurück sein, Sir."

"Machen Sie es kurz und kommen Sie heute Nacht zurück."

Mulder öffnete seine Augen, wenige Zentimeter von ihren und hielt sie mit einem Blick fest, so voll mit einer komplizierten Mischung aus Gefühlen, aus Besorgnis und Verlangen und Hitze und...

Gott...

Wie hatte er das vor ihr verschweigen können?

Und warum?

Seine Augen...

Besorgt... aber voller intensiver zarter Liebe.

Scully starrte ernst in sie hinein. Sie hätte es wissen müssen.

Was immer er tat, um sich unter Kontrolle zu halten, aus welchem Grund auch immer, es war vorbei, die sorgfältige Distanz war, als wäre sie nie dagewesen.

Ihre Finger von seinem T-Shirt lösend ließ sie ihre Hand um seine Taille wandern. Sie drückte ihn halb beschützend, halb ärgerlich. Dann fand sie sich ihn fest umarmend, als Erleichterung sie durchfloß vom Kopf bis zu den Zehen.

"Ich kann nicht... Sir," sagte er fest. Bei seinen Worten ging eine rasche elektrische Welle durch ihr Blut, die ihr Herz mehr schmerzen ließ als es das tat, als er sie in ihrem Apartment zurückwies. "Ich bin mittendrin in etwas. Etwas wichtigem."

"Was ist denn wichtiger als ein Anschlag auf Ihr Leben, Agent Mulder?"

Er antwortete nicht, lehnte nur seinen Kopf ein wenig vor, bis seine Stirn an ihrer lehnte, seine Nasenspitze berührte ihre.

Sie stand still bei ihm und schloß ihre Augen. Dabei hatte sie das Gefühl, daß ihr Blut in einer Richtung durch ihren Körper lief und dann umdrehte und glühend heiß durch ihre Adern in die andere Richtung zurückfloß. Jede Stelle ihrer Haut, die seine berührte, bekleidet oder nicht bekleidet, fühlte sich gleichzeitig versengt und liebkost an...

Stirn, Hände, Nasen, Brüste, Schenkel. Ihre sich eng umklammernden Hände.

Sogar ihre Zehen an seinen nackten Füßen.

"Agent Mulder?" verlangte Skinner. "Haben Sie mich gehört?"

"Mmmm-hmmm," murmelte Mulder und rieb nur ihre Nasenspitze sanft mit seiner.

Skinner schwieg einen Moment, anscheinend immer noch auf eine Antwort wartend. Dann gab er überraschend ohne zu fragen nach, der Ärger in seiner Stimme ließ nach. "In Ordnung, als erstes werden wir Dienstag früh in meinem Büro herausfinden, wer zum Teufel dahintersteckt. Rufen Sie mich an, wenn Ihnen irgend etwas einfällt. Oh - und grüßen Sie sie von mir."

Ja, Sir. Warten Sie. Sir? Warum haben Sie Agent Scully angerufen auf der Suche nach mir?"

Skinner gab ein gedämpftes Geräusch von sich. "So wie Sie sich in der letzten Woche hier benommen haben? Ich weiß nicht, was das alles bedeutet, aber passen Sie auf sich auf. Besser noch, sie paßt auf Sie auf."

Klick.

Scully stand, wo sie war, einen Arm um ihn gelegt, drückte mit der anderen Hand seine und preßte sich an ihn, atmete ihn in ihre Lungen ein, nahm die Hitze und die Intensität seines Körpers in sich auf, ihre Augen waren immer noch geschlossen.

Sie konnte sich nicht bewegen.

"Soviel dazu, daß ich mir eingebildet habe, meine Spuren verwischt zu haben," sagte er leise. Sie fühlte, wie das Telefon von ihrem Ohr genommen wurde und dann die Rauheit seiner Wange, als er ihre leicht rieb. Sein Atem strich warm über ihren Mund. Dann fühlte sie, wie seine Lippen den zartesten, sanftesten Kuß, den man sich vorstellen kann auf ihr geschlossenes Lid drückten. "Bist Du in Ordnung?" flüsterte er.

Sie nickte ein kleines bißchen.

Scully konnte fühlen, daß er wartete. In einer Sekunde würde sie sich bewegen. Sie mußte zu Liam zurück, aber...

"Öffne Deine Augen," sagte er leise. "Skinner sagt, Du sollst auf mich aufpassen." Sie öffnete sie. Seine waren nur wenige Zentimeter von ihren und sehr besorgt. "Bist Du in Ordnung?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Eine Bombe, Mulder."

Schockierend.

Noch verarbeitete sie nichts, wartete nur darauf, daß ihr Blut und ihr Herz begannen, richtig zu arbeiten. Und vielleicht würde sie dann auch wieder beginnen zu atmen... Ihre Stimme war sehr schwach geworden. Das konnte sie in Ordnung bringen. Sie räusperte sich.

"Ich weiß," sagte er leise. Als sein Blick in ihrem Gesicht forschte, wurde er besorgter. "Komm. Laß uns zurückgehen und sicherstellen, daß er..." Er hielt inne. "Es geht ihm gut. Komm. Laß uns Dich ins Warme bringen."

Mulder schob das Telefon zurück in seine Tasche, dann legte er seinen Arm um ihre Schulter und drehte sie in Richtung trockenes Land.

"Oh Gott, Mulder."

Er seufzte zustimmend, dann fluchte er, "Verdammt. VERDAMMT!" Er hielt plötzlich an, erschreckte sie. "GENUG!!" schrie er plötzlich in die neblige Nacht. "LASST UNS VERDAMMT NOCH MAL IN RUHE!!"

Scully drehte sich um und legte wieder beide Arme eng um ihn. Er zitterte.  "Mist. Mist. Mist," sagte sie in seine Brust. Seine Arme legten sich ebenfalls eng um sie.

"Ich weiß. Verdammt," fluchte er erneut in ihr Haar und sie standen einen Moment da, hielten sich gegenseitig fest, dann drehten sie sich gleichzeitig um und gingen auf dem kürzesten Weg vom Wasser weg und begannen mühsam durch den trockenen Sand zu stapfen. Obwohl es schwer war zu gehen, waren ihre Körper nicht mehr unbeholfen miteinander. Sie ging perfekt eng an seiner Seite. Seine Hand umfaßte sanft ihre Schulter, sein Kopf war nahe an ihrem. Und so eilten sie dahin, ihre Schritte nun im Einklang.

"Verdammter Plastiksprengstoff," sagte er ungläubig. "Rate, wer der Absender war."

"Aber warum? Warum jetzt?"

"Vielleicht haben sie es endlich satt mit mir. Wollen mir heimzahlen, daß ich ihre Insel gefunden habe. Dich und Liam allein zurücklassen."

"Aber Du würdest Liam dabei gehabt haben. Warum würden sie ihm wehtun wollen?"

Er seufzte und sah auf sie herab, sein Gesicht angespannt. "Ich glaube, sie kennen mich besser als Du," sagte er langsam.

"Wovon sprichst Du, Mulder?"

"Ich hätte ihn niemals mitgenommen."

Sie runzelte ihre Stirn.

"Auf dem Flughafen, ich habe ihn Dir gegeben, als..."

Sie war überrascht. "Du hast ihn genommen."

"Nein. Zuerst nicht."

"Du HAST."

Er schüttelte langsam den Kopf.

Sie konnte es nicht glauben. "Du hast mich betteln lassen," warf sie ihm vor und wartete darauf, daß er es bestreiten würde. Als er es nicht tat, zog sie ihren Arm von ihm weg und entzog sich seinem Griff.

Er blickte sie mit einem Ich-bin-ein-Arsch-Blick an, der ihr das Herz zusammenzog und sie wandte sich ab.

"Scully, ich hatte Dich durch die Hölle geschickt - es ging nur darum, Deinen Sohn für Dich zu bekommen - und Du hast dagestanden, schön und stolz, hast mich angesehen mit einem Feuer in Deinen Augen wie eine Tigermutter... und ich dachte, Gott, was für ein Arschloch bin ich? Du hast nicht gefleht, Du hast gefordert, ich habe die verdammte Ahnung..."

Die Empfindung in seiner Stimme ging durch ihre Brust, schnürte sie enger und sie schüttelte ungläubig den Kopf. Sie wollte nicht aufhören darüber nachzudenken, daß was immer sie auch durchgemacht hatte, es so schien, als hätte er es auch durchgemacht. Er ging ihr eine Weile schweigend nach.

"Ich dachte, wenn Du wütend genug wärst, würde ich auch wütend genug werden, um in der Lage zu sein, wegzugehen. Und als Du sofort angenommen hast, ich wäre Arschloch genug, ihn mitzunehmen? Für fünf Sekunden dachte ich, zur Hölle, warum nicht? Aber sogar wenn ich Dich in dem Moment hätte verlassen können, ich hätte ihn nicht schon wieder in ein Flugzeug stecken können. Ich wäre in einem Hotel oder so gelandet und hätte ihn zu Dir nach Hause gebracht."

Er berührte ihren Arm, nur das leichteste zarte Streicheln mit seinen Fingerspitzen. "Auf einmal wußte ich, wenn ich in dem Moment von Dir weggegangen wäre, würde ich es den Rest meines Lebens bereut haben."

"Du hast mich Dich anflehen lassen," sagte sie wieder, ohne ihn anzusehen, aber sie streckte ihre Hand aus. Seine Finger legten sich um ihre und sie ließ ihn sie dicht zurück an seine Seite ziehen.

Der Geruch von Gegrilltem erreichte sie, bevor sie das Tor öffnete und ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen. Plötzlich blieb sie stehen. Liam wird hier sein, es wird ihm gut gehen, sagte sie sich fest. Sie konnte Elvis und einen anderen Nachbarn hören, die ein leises Gitarrenbluesduett sangen.

"Über die Entfernung... die ganze Zeit... habe ich meine Hand nach Dir ausgestreckt... in meinen Gedanken..."

Sie stieß das Tor auf.

Alle Bewohner ihres Apartmenthauses saßen um den rauchenden Grill am Pool, unterhielten sich leise oder lauschten dem Gesang. Alles leuchtete gespenstisch im Licht der Unterwasserbeleuchtung des Pools. Jedermann erschien gedämpfter als normalerweise. Vielleicht der Einfluß des Nebels.

Ihre Augen suchten rasch nach Adrianna. Am Pool fand sie sie. Liam lag in ihrem Schoß und saugte glücklich an seinem Fläschchen, sein Kopf ruhte bequem an ihrer Brust. Sie hatte ihren Kopf über ihn gebeugt und schaukelte ihn sanft hin und her im Rhythmus der Musik.

Scully stieß einen unvermittelten Seufzer der Erleichterung aus. Mulder drückte ihre Schulter und sie hörte ihn auch erleichtert einatmen.

"Die Venezianische Madonna," flüsterte er ihr ins Ohr, als sie um den Pool herum gingen.

Ein paar von ihren Nachbarn sahen auf und nickten ihr zu und sahen Mulder prüfend an. Aber die meisten von ihnen beachteten sie nicht. Sie war froh darüber, senkte ihren Kopf und ließ ihr Haar über ihr Gesicht fallen, dankbar für das gedämpfte Licht.

Vor Adrianna blieb sie stehen.

"Danke, daß Du Dich um ihn gekümmert hast, A." Scully bückte sich und nahm Liam ein bißchen zu schnell hoch, erschreckte ihn dadurch. Das Fläschchen fiel aus seinem Mund und rollte auf den Pool zu. Liam begann ein lautes ärgerliches Geschrei. Alle Köpfe fuhren herum und sahen sie an. Mulder rettete rasch das Fläschchen, machte den Nuckel sauber und steckte ihn wieder in Liams Mund. Das Baby nuckelte energisch und machte ein paar kleinliche klagende Geräusche mit seinem vollen Mund. Einen Moment später lehnte er sich zurück in Scullys Arm. Mulder sah sich nach den anderen um und zuckte die Schultern. Sie wandten sich wieder ihrer Beschäftigung zu.

"Störe niemals ein zufriedenes Baby," stellte Adrianna trocken fest. "Ich mußte in Dein Apartment gehen und ihm ein Fläschchen kochen. Irgendein Typ mit einer wirklich sexy Stimme hat mindestens fünfmal auf Deinen Anrufbeantworter gesprochen, während ich oben war. Er war auf der Suche nach Dir." Ihr Blick ruhte auf Mulder. Er nickte nur. Sie sah zurück zu Scully, die nur mit den Achseln zuckte und auch nickte. "Ihr beide seht schrecklich aus. Habt Ihr Hunger? Da ist genug zu essen. Geh und mach Dane einen Teller fertig," forderte sie Mulder auf. "Da  ist gegrillter Fisch, Shish-ka-bob mit Rosmarin, Hot Dogs, Mais."

Mulder zog seine Augenbrauen hoch und sah Scully an.

Ihr Magen zog sich ein wenig zusammen bei dem Gedanken an Essen. Aber er wollte für sie beide Abendessen machen...

Er beobachtete sie genau. "Morgen Abend," sagte er.

Bevor er mit dem letzten Flieger zurück nach D.C. mußte. Verdammt. Nur den Bruchteil einer Sekunde daran zu denken, tat weh. Sie mußten mit jeder Minute rechnen, die ihnen blieb, bis er zurückfuhr.

Sie leckte sich ihre Lippen, sie war ausgetrocknet und hungrig, sie mußte etwas essen und er auch. Das würde am schnellsten gehen. "In Ordnung.  Fisch, Mais," sagte sie. "Riecht gut."

"Du mußt noch mehr Fisch auf den Grill legen," sagte Adrianna. "Er ist in der Kühltasche."

"Warum gehst Du nicht hoch," sagte er.

"Ich warte auf Dich." Sie wollte nicht allein nach oben gehen.

"Ist Dir warm genug, um ein paar Minuten zu warten, während ich was koche?" fragte er überrascht, seine Hand glitt über ihren Unterarm und befühlte ihn. Sie riß sich zusammen, um nicht zu zittern.

Scully nickte.

"Ich beeile mich. Danke Adrianna," sagte er. Er drehte sich um und eilte zum Tisch mit dem Essen.

"Ich sehe, er hat Dich gefunden. Bist Du in Ordnung?"

Scully nickte müde. Noch einmal Adrenalin, und Mulder, der sie nach Hause gebracht hatte, aber jetzt war sie ausgepumpt. Sie glaubte, nach oben gehen zu können und sich ihrem Apartment zu stellen.

"Du siehst nicht so aus, als wärst Du in Ordnung." Adrianna stand auf und sah auf Liam herab. "Dann ist es also sein Kind. Was ist das mit den Männern? Immerzu Schwierigkeiten. Er sieht Dir ähnlicher als ihm mit seinem roten Haar." Sie tätschelte dem Baby leicht das Kinn. "Ich meine, er sieht um den Mund herum ein bißchen wie Papa aus." Sie schüttelte ihren Kopf.  "Was hat der Mann? Ein Faible für Rothaarige?"

Scully lachte unwillkürlich traurig auf.

"Arme Dane," sagte Adrianna mitfühlend.

Scullys Augen suchten Mulder. Er packte ein paar Stücke Fisch auf den Grill, aber er beobachtete sie und sah ihren Blick. Sie deutete mit ihrem Kopf nach oben zu ihrem Apartment und er nickte.

Danke, daß Du auf Liam aufgepaßt hast," sagte Scully. "Er sieht zufrieden aus."

"Es fängt früh an," sagte Adrianna trocken.

Liam sah sie ernst mit seinen großen blauen Augen an. Als er sah, daß Scully ihn anschaute, lächelte er mit dem Nuckel im Mund, dann wandte er sich wieder seinem Fläschchen zu. Sie umarmte ihn ein bißchen fester.

"Wenn Du willst, nehme ich ihn, solange ihr eßt. Ich nehme ihn gern."

"Danke, aber ich denke, wir gehen nach oben essen."

Adrianna prüfte Scullys Gesicht. "Ich weiß nicht, was er Dich hat durchmachen lassen, aber Du siehst wieder zu dünn aus. So wie damals, als Du hier eingezogen bist." Ihre Augen weiteten sich. "Mist."

Scully legte eine Hand auf ihr blaues Auge. Es war immer noch ein wenig empfindlich, wenn sie darauf drückte. "Ist es schlimm?"

"Hast Du Dich deshalb das ganze Wochenende nicht blicken lassen?" Ihre Stimme klang schockiert.

"Nein, ich war verreist."

"Mit dem Fuchs?"

Scully nickte wieder. Sie bewegte ihre Füße ungeduldig auf dem kalten Zement. Wie lange dauerte es denn, den Fisch zu grillen? Das warme Bündel Liam in ihren Armen war das einzige, was sie vor dem sichtbaren Zittern bewahrte.

"Dane..." sagte Adrianna sanft, ihr Gesichtsausdruck war besorgt, ihr Blick lag immer noch auf dem Bluterguß.

Scully brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Adrianna da andeutete.

"Nein! Er war das nicht. Nein. Es war ein Bootsunfall."

"Und das?" Adrianna sah auf ihr Handgelenk.

Scully senkte ihr Handgelenk und sah den Bluterguß an. Das Nein blieb ihr im Hals stecken. Eine lebhafte Erinnerung überkam sie. Die Hitze... seine Augen...

"Bist Du deswegen aus D.C. weggegangen?"

"Nein, nein."

Adrianna seufzte, dann schüttelte sie langsam den Kopf.

"Nein, Adrianna, wirklich," widersprach sie. "Er würde mich NIEMALS verletzen." Sie hielt inne, als ihre Wort sanken. Nicht physisch...

Scully drehte sich um und sah hinüber zu Mulder, der sie anstarrte, sein ganzer Körper drückte Besorgnis aus.

Auf einmal versanken die kühle feuchte Nachtluft auf ihrer Haut, das Geräusch der Party und die Musik. Sie nahm nichts mehr wahr außer Liams warmem kleinen Körper in ihrem Armen und Mulders Augen über die Entfernung des Pools.

‚Du hast mir das Herz gebrochen,' sagte sie ihm mit ihren Augen. ‚Warum?

Ich muß es wissen.'

Mulder bewegte sich plötzlich in ihre Richtung und sie schüttelte ihren Kopf eine Winzigkeit. ‚Komm nicht, bevor Du bereit bist, es mir zu sagen,' verlangte sie von ihm. Und sie glaubte, daß er sie verstanden hatte, denn er blieb stehen und stand da und starrte sie an, seine Augen brannten in ihren. Er nickte kurz.

Sie brauchte all ihre Energie, um ihre Augen von ihm zu lösen, dann drehte sie sich zurück zu Adrianna. "Niemals," wiederholte sie leise.

Adrianna sah überhaupt nicht überzeugt aus. Sie überprüfte Scullys Gesicht.  "Ich bin gleich nebenan," sagte sie schließlich. "Irgendwann diese Woche trinken wir ein Bier zusammen und ich lehre Dich ein paar Tricks." Sie tätschelte Liams bestrumpften Fuß. "Gute Nacht, Fox Jr."

Scully konnte sowohl Adriannas als auch Mulders Augen fühlen, die ihr folgten, als sie langsam die Treppe zu ihrem Apartment hinaufstieg.

 

 

 

 

Teil 23

 

Scully untersuchte ihr Wohnzimmer. Alles sah so aus wie immer: die kühlen weißen Wände, die weißen Gazevorhänge an den Französischen Türen, der saubere gemütliche leere Platz. Aber er war nicht mehr länger ihre Zuflucht, ihr Platz des Friedens. In der Tat war er ihr unangenehm. Ihr Blick wanderte genauer über die Möbel, dann fixierte sie das einzige Kunstwerk an ihren Wänden: ein in Wasserfarben gemaltes Bild des Strandes.  Es hing zu gerade. Es hatte nicht ordentlich gehangen, seit sie mit Draht eine Erdbebenkette daran befestigt hatte, nach einem Beben in der ersten Woche, in der sie hier war.

"So, Tweety. Da sind wir," sagte sie. Sie umarmte das Baby, legte es in seinen Autositz und stützte sein Fläschchen, damit er zu Ende trinken konnte. Dann drehte sie sich zu dem Bild um, zog sie es ein wenig von der Wand ab und untersuchte den Rahmen. Ein kleines elektronisches Gerät, kaum größer, als der Radiergummi an einem Bleistift, war an der unteren Ecke des Bildes befestigt.

Wenn sie den Draht bewegte, war es möglich, daß sie sofort wußten, daß sie es gefunden hatte.

"Ich weiß nicht, Liam," sagte sie direkt in die Wanze. "Ich glaube, ich bin dieses Bild hier leid." Rigoros holte sie das Bild von der Wand und brach die Erdbebenhalterung ab. "Laß uns umdekorieren." Sie löste die Wanze vom Rahmen und legte sie vorsichtig auf ihren Couchtisch, dann sah sie sich um.  "Was noch?"

Wütend und systematisch untersuchte sie das Wohnzimmer und die Küche. Vier Wanzen später und nach einem laufenden Kommentar für Liam, der einem SNL-Sketch würdig war, blieb sie stehen und sah sich schwer atmend um. Sie hatte die Wohnung in zehn Minuten umgekrempelt. Nicht größer als Zecken in allen Ecken, in denen sie saß und telefonierte. Keine Videokamera - Gott sei Dank. Wenigstens nicht hier drinnen. Sie vermied es, die Schlafzimmertür anzusehen. Da konnte sie jetzt nicht hineingehen.

Der köstliche Geruch von gegrilltem Fisch stieg ihr in die Nase und ließ ihren Magen knurren. Sie schnellte herum.

Mulder stand an der Tür und nahm die vollkommene Unordnung in sich auf, zwei Teller voller Essen in seinen Händen. Sie sah, daß er den kleinen Haufen Wanzen auf ihrem Couchtisch entdeckt hatte und seine Augenbrauen wachsam hochzog. "Vier?" artikulierte er.

Scully ruckte ihren Kopf in Richtung Schlafzimmer und hielt fünf Finger hoch, dann zuckte sie die Achseln.

Mulder setzte die Teller ab, nahm die Wanzen hoch und untersuchte sie genau. Er warf sie auf den Fußboden und wollte sie gerade zertreten, als sie ihn aufhielt. Scully hob sie auf, brachte sie in die Küche, öffnete die Kühlschranktür und warf sie hinein.

Als sie sich umdrehte, kniete Mulder auf dem Fußboden neben dem Baby. "Hey Buddy," sagte er. "Wie geht es Dir?"

Sie kniete sich langsam neben sie. An seinem Gesicht konnte sie nicht erkennen, ob er verstanden hatte, was sie ihm unten versucht hatte, zu sagen.

Mulder streichelte Liams Wange mit einem Finger, als das Baby mit seinem Fläschchen fertig wurde. Als Liam herausfand, daß er in die Luft saugte, schob der den Nuckel aus seinem Mund und griff nach Mulders Finger.

"Da hast Du mich," sagte Mulder und zog sanft an den kleinen Fingern, die sich um seinen viel größeren gelegt hatten. Das Baby hielt ordentlich fest und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

"Da-da-da-da," sagte Liam deutlich, dann versuchte er, Mulders Finger in den Mund zu nehmen.

Ihre Augen huschten zu Mulders. Eine halbe Sekunde sah er verblüfft drein, dann grinste er, ein breites Lächeln, erst nach unten zum Baby, dann seitwärts zu ihr.

Scully mußte auch lächeln.

"Lee-ums," sagte er weich. "Komm her." Er hob ihn hoch und kuschelte ihn an seine Brust. "Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, daß es Dir gut geht." Er küßte ihn sanft auf den Kopf. "Ich liebe Dich, Buddy."

Gott.

Sie liebte ihn - sie - nicht einfach nur, sie war Hals über Kopf in sie verliebt. Sie fühlte, wie ihr Lächeln sich so weitete, daß es wehtat.

Mulder sah sie an und nahm ihren Ausdruck in sich auf. Sein eigener wurde ein bißchen verlegen. Sein Lächeln sank. "Er hätte zuerst Ma-ma sagen sollen."

"Nein," widersprach sie. "Das war großartig. Es war perfekt." Sie schluckte schwer, in ihrer Stimme schwangen zu viele Emotionen.

Er sah zurück zu dem Baby. "Liam. Sag Ma-ma-ma."

"Da-da-da-da," sagte Liam wieder.

Mulder bog seinen Kopf zurück und lachte.

Ihr standen alle Haare zu Berge. Sie hatte ein plötzliches kraftvolles Bild davon, wie es wäre, wenn er glücklich wäre, ohne die Last der Welt auf seinen Schultern. Und wie es wäre, mit ihm zusammen zu sein. Sie fühlte, wie sich der Schwerpunkt von dem, was sie vom Leben wollte, mit einem Klick änderte.

Sie wollte ihn nicht nur. Sie wollte ihn so.

Ihr Lächeln wurde nachdenklich, als sie die beiden so sah. Sie mußten von hier weggehen.

Mulder drehte sich zu ihr um, sein Lachen war verschwunden, aber Spuren davon waren noch in seinen Augen. Er untersuchte ihr Gesicht. Plötzlich wünschte sie sich, sie hätte es gewaschen und sich die Haare gekämmt.

"Du mußt etwas essen," sagte er mit normaler Stimme, dann lehnte er sich dicht an sie. Sie war sich nicht sicher, was er tat, bis die Wärme seines Atems ihr Ohr kitzelte. "Nur das Bewegen der Wanzen kann sie alarmiert haben."

Scully nickte und seine Lippen strichen über ihr Ohr und ließen sie erzittern.

"Ich kann nicht glauben, daß Du vier gefunden hast in der Zeit, in der ich diesen Fisch gegrillt habe." Seine Stimme war voller Dankbarkeit. "Ich hätte schon nach zwei Stück aufgehört."

Scully bog ihren Kopf nach hinten, um ihn besser zu sehen. Seine Augen waren voller Bewunderung und sanfter Belustigung.

"Es scheinen mir zu viele zu sein," flüsterte sie.

Mulder nickte. Liam griff nach ihrem Haar und erwischte es. Er umklammerte die Enden und versuchte, eine Strähne in den Mund zu stecken.

"Ups," sagte Mulder leise. "Laß los, Liam." Sie beugte ihren Kopf nach vorn, während Mulder vorsichtig ihr Haar aus Liams Hand löste.

"Ich habe das Schlafzimmer noch nicht untersucht," erzählte sie ihm.

"Was ist mit dem Bad?"

Sie zuckte zusammen. "Ich werde es jetzt gleich untersuchen."

Er befreite endgültig ihr Haar aus Liams pausbäckiger Hand und sie hob ihren Kopf. Sorgsam schob er ihr die Strähnen hinter ihre Ohren, zuerst hinter das eine, dann hinter das andere. Dann strich er leicht über die Haut auf ihrer Stirn. "Immer noch Sand..." sagte er leise, sein Blick glitt herab und blieb auf ihrer zerbissenen Lippe hängen, aber er verkniff sich einen Kommentar. Ihre Zunge glitt heraus und sie leckte sie. Es hatte aufgehört zu bluten.

Sein Blick wanderte hoch und er sah ihr in die Augen. "Das Essen wird kalt werden. Ich werde kurz nachsehen und dann können wir alles noch einmal kontrollieren, wenn wir gegessen haben."

Sie nickte. Es tat gut, etwas aktiv gegen diese Leute zu tun. Zusammen.

"In Ordnung."

"Komm essen," sagte er laut. Er stand auf und hielt ihr seine Hand hin, um ihr zu helfen. Sie nahm sie und stand auf.

"Ich werde ihn nehmen," sagte sie ebenfalls in normalem Ton.

"Ist schon in Ordnung. Er kann mir helfen."

Sie bückte sich und gab Liam einen raschen Kuß, dann drehte sie sich in Richtung Küche. "Wein? Ich glaube, ich habe noch roten."

Er ließ ihre Hand nicht los. Sie drehte sich um. Er sah aus, als wollte er auch einen Kuß. Aber alles, was er sagte war, "Ich habe Wein gekauft. Er ist im Kühlschrank."

Scully runzelte eine Augenbraue. Also hatte er das geplant, noch bevor sie aufgewacht war. "Großartig. Ich werde ihn holen."

"Komm Liams," sagte er zu dem Baby. "Wir haben einen Job zu erledigen." Er drückte ihre Finger, dann ließ er sie los. "Wir sehen uns." Mit dem Kopf deutete er in Richtung Balkon.

Sie nickte und ging, um sich das Gesicht zu waschen.

Scully zündete ein Feuer in dem kleinen Terracottakamin an, dann betrachtete sie ihren Balkon. Wenn sie Besuch hatte, holte sie üblicherweise einen Tisch und Stühle von drinnen. Statt dessen zog sie den niedrigen Eisentisch, dessen Platte aus Kacheln bestand, vor die gepolsterte Liege mit der Rückenlehne. Sie konnten nebeneinander sitzen.  Weniger förmlich würde es leichter sein zu reden, als wenn sie sich gegenüber saßen.

Zwar glaubte sie nicht, daß hier draußen auch irgendwelche Wanzen waren.  Hier hatte sie nicht dieses Kribbeln zwischen den Schulterblättern, wie sie es in ihrem Apartment empfand. Aber... Sie kippte die Liege auf die Seite und untersuchte sie kurz auf der Unterseite, dann kniete sie sich hin und sah unter den Tisch. Nichts.

Scully legte das Besteck auf den Tisch und stellte die Gläser dazu, zündete ein paar Kerzen auf dem Tisch an und machte sich dann daran, die Weinflasche zu öffnen.

Mulder kam mit Liam und seinem Autositz heraus, als sie gerade den Sauvignon Blanc eingoß. Er schaltete ihre Stereoanlage ein und der Sound des Jazzradiosenders von Long Beach wehte durch die offene Tür nach draußen. Mit einem rätselhaften Blick sah er sie an, als er das Feuer im Kamin wahrnahm. Sie zog nur ihre Augenbrauen hoch.

Einen Finger hochhebend nickte er in Richtung ihres Schlafzimmers.

"Das Bad?" artikulierte sie.

Er schüttelte den Kopf und sie seufzte erleichtert.

Erst prüfte er den Balkon, dann schaltete er die Außenbeleuchtung an. Sie schauten sich die Fenster und das Geländer schnell aber gründlich an.  Schließlich sah er sie an und zuckte die Achseln und sie tat es ebenfalls.  Er schaltete das Licht aus. Liam sah ihnen neugierig von seinem Sitz aus zu und versuchte seine ganze Faust in den Mund zu stopfen.

"Genießt Du die Show heute abend, Liam?" fragte Mulder ihn und gab ihm einen kleinen Bären. "Wirst Du so zufrieden sitzenbleiben und uns beim Essen zusehen?"

Liam lächelte ihn nur an.

"Ich werde ihn nehmen, wenn er unruhig wird," sagte sie.

"Wo ist sein Binky?"

"Neben ihm in seinem Sitz, glaube ich. Aber gib ihn ihm nicht, bevor er unruhig wird."

"Mach Dir keine Sorgen. Ich werde seine orale Fixierung nicht fördern. Ich muß es wissen." Er lächelte über ihren Gesichtsausdruck. "Möchtest Du, daß ich das Essen in der Mikrowelle noch einmal warm mache?"

"Laß uns einfach essen. Ich bin am Verhungern."

Scully langte mit Vergnügen zu. Der Fisch war köstlich, ebenso die Beilagen, die er ihr auf den Teller gelegt hatte. Sie sah kurz zu ihm hin, er aß genauso hungrig wie sie. Gut.

Aber nun, da sie nebeneinander saßen, war sie befangen. Sie war sich dessen nur allzu bewußt, daß er jedesmal, wenn er nach seinem Weinglas greifen würde, mit seinem Ellbogen an ihren stoßen würde. Der niedrige Tisch war für sie bequem, aber Mulder schien nicht zu wissen, wo er seine Füße lassen sollte und die paar Zentimeter Abstand zwischen seinem Schenkel und ihrem schienen mit jedem Mal etwas weniger zu werden, wenn er sich ruhelos bewegte.

Sie konnte ihn riechen, erkannte sie. Das bleibende männliche Aroma seines schnellen Laufes am Strand in der Abendluft. Es mischte sich mit dem Duft des Harzes vom Feuer, dem Geruch des gegrillten Fisches und dem leichten Zimtgeruch der brennenden Kerzen.

Für ein paar Augenblicke ließ sie ihre Augen halbgeschlossen, als sie ihn aus den Augenwinkeln heraus beobachtete. Sie dachte darüber nach, der Anziehungskraft nachzugeben und näher heranzurutschen, um zu sehen, ob er bereit war, ihren Körpern die Entscheidung zu überlassen...

Scully trank einen Schluck Wein, löste ihren Blick von dem faszinierenden Spiel des Feuerscheins auf den goldenen Haaren an seinem Handgelenk und versuchte, sich auf Liam zu konzentrieren.

Das Baby, das die elektrische Spannung, die zwischen seinen Eltern in der Luft knisterte, nicht wahrnahm, winkte glücklich mit Armen und Beinen und machte kleine gurrende Geräusche.

Scully warf einen verstohlenen Blick zu Mulder. Er schien seine Aufmerksamkeit auch auf das Baby zu konzentrieren und sah es nun mit einer kleinen Falte zwischen seinen Brauen an. Sie sah, daß er seinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, dann zögerte.

"Was?" fragte sie leise.

"Ich will nicht denken, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist, aber ist er nicht zu... ruhig?", fragte er.

Sie betrachtete das Baby. "Du hast den Flug nicht schon vergessen, nicht wahr Mulder?" Sie tauschten ein kleines Grinsen. "Ich glaube, er ist dennoch sehr ruhig für das erste Baby, im Vergleich zu Matthew. Aber es liegt möglicherweise an der Art, wie er versorgt wurde. Mach Dir keine Sorgen, wir werden ihn schnell genug verwöhnen."

Wir. Sie hatte es absichtlich gesagt. Er sah sie von der Seite an. Sie sagte nichts, hielt nur seinen Blick fest, als sie einen Schluck Wein trank, dann blickte sie zurück auf ihren Teller.

Scully stocherte mit ihrer Gabel nach einem großen dunklen Etwas unter einem Salatblatt. Ein Brownie, fand sie heraus. Wieder sah sie ihn an. Noch immer beobachtete er sie. Sie zeigte mit der Gabel auf den Brownie und er nickte. Nun war sie froh, daß sie die Kerzen angezündet hatte, sonst wäre sie nicht in der Lage gewesen, überhaupt den Ausdruck in seinen Augen zu sehen. Ein bißchen befangen, aber zärtlich... und beunruhigt.

Skinners Anruf hatten sie nicht erwähnt, aber das Bewußtsein dessen zeigte sich in jedem Blick zwischen ihnen. Sie war auch beunruhigt.

"Ich möchte nur, daß er sicher ist und daß Du sicher bist," erzählte sie ihm leise.

Sie sahen sich einen langen Augenblick an. "Und Du auch," sagte er, sein Blick ernst. Dann seufzte er und schob seinen fast leeren Teller von sich.  "Ich wünschte, ich hätte gewußt, in welcher Gefahr Du dabei warst."

Sie? Sie schüttelte den Kopf. "Ich bin die letzte, um die ich mir Sorgen mache. Was glaubst Du, werden sie tun?"

Er rieb sich den Nacken und bewegte müde seine Schultern. "Ich dachte, es würde irgend etwas sein wie bei... Emily." Seine Stimme zögerte bei ihrem Namen, der die Tränen zurückbrachte in ihre Kehle. "... ich dachte, es können Jahre sein, aber es kann morgen beginnen."

"Es hat bereits begonnen," sagte sie traurig.

"Wir werden ihn beschützen," sagte er, seine Stimme entschlossen. "Wir werden ihn in Sicherheit bringen."

Wir. Nun hatte er es gesagt.

Sie nickte. Er nickte, bekräftigte das Versprechen und drehte sich um, um einen Schluck von seinem Wein zu trinken. Dann setzte er sich zurück auf die Liege und legte seine Hände um ein Knie und sah hinaus auf das Meer.

Liam. Zwischen einem Gurren und dem nächsten war Mr. Easy-Going eingeschlafen. Sie bückte sich und steckte seine Decke um seine Hals fest.  Ein kleines Leben. Welch eine Verantwortung. Noch immer konnte sie es nicht glauben.

Sicherheit, dachte sie mit einer plötzlichen wilden Entschlossenheit. Das wichtigste war, Liam in Sicherheit zu bringen. Sie schwor sich dasselbe Versprechen voller Leidenschaft.

Scully setzte sich auf und nahm ihre Gabel hoch. Ihre Hand zitterte ein wenig und sie legte die Gabel wieder hin, nicht mehr in der Lage, einen weiteren Bissen zu essen. Sie schob ihren Teller weg und lehnte sich mit ihrem Glas Wein in der Hand zurück.

Es dauerte eine Weile, bis sie ihrer Stimme traute. "Das war köstlich, Mulder. Danke."

"Mmmph. Danke Deinen Nachbarn." Er fuhr fort, in die Nacht hinaus zu schauen. Ihr Blick ging zurück zu dem schlafenden Baby.

"Scully," unterbrach er ihre Gedanken, seine Stimme leise. "Was würdest Du dazu sagen... wenn ich... hierher ziehen würde?" Sie drehte ihren Kopf rasch herum und sah ihn an. "Ich meine," fuhr er fort. "Ich könnte mir hier irgendwo ein Apartment suchen. Dir helfen mit ihm."

Sie starrte ihn an, hunderte verschiedene Fragen und Einwände schossen durch ihr Gehirn. Aber hinter allem ein Hauch von Aufregung. Ihn hier zu haben...

"So sehr liebst Du ihn?" fragte sie leise.

Er sah sie mißtrauisch an. "Ist das ein Problem?"

Unwillig zog sie ihre Augenbrauen nach oben. "Nein!" widersprach sie.

Die Erleichterung in seinem Ausdruck schockierte sie.

"Wirklich?" fragte er.

"Mulder..." Scully verstummte und schloß ihre Augen. Waren die Dinge zwischen ihnen wirklich so vermasselt? Sie öffnete ihre Augen und sah ihn ernst an. "Wir hätten ihn nicht, wenn Du nicht gewesen wärst." Sie hielt inne. "Liam scheint zu glauben, Du bist sein Papa. Möchtest Du, daß er das glaubt?"

Er starrte sie einen langen Augenblick an, dann nickte er langsam.

"Das möchte ich auch," stimmte sie zu. "Dann werden wir ihn so aufziehen."

Sie versuchte ein vorsichtiges Lächeln, aber er starrte sie nur an. Dann schloß er seine Augen halb, öffnete den Mund und schloß ihn wieder, ohne etwas zu sagen.

Abrupt drehte er sich abrupt zurück zum Meer.

Ihr Lächeln verschwand.

Fünf Minuten flaues, unbequemes Schweigen später und ihr Wein war alle.  Reden war eine Teufelsidee, dachte sie. Zu dumm, daß sie beide so verdammt schlecht darin waren. Sie hatte nicht die leiseste Vorstellung, wo sie die Unterhaltung wieder beginnen sollte oder wie er darüber dachte, was sie gerade gesagt hatte. Sie sah zu ihm hinüber. Er sah immer noch auf das Meer hinaus, anscheinend in seine eigenen Gedanken versunken. So drehte sie sich um und sah auch hinaus auf das Wasser.

Der Strand war leer. Der Nebel hatte sich gelichtet...

Es war auf einmal klar.

Sie atmete tief ein.

"Mulder?" sagte sie, ohne sich umzudrehen und froh darüber, daß ihre Stimme einigermaßen fest war.

"Ja?"

"Tut es Dir wirklich leid, daß wir miteinander geschlafen haben?"

Sie hörte, wie er heftig ausatmete. Auf ihrem Gesicht konnte sie seinen Blick spüren, sie drehte sich um und sah ihn an. War das Verlegenheit in seinem Blick? Kein gutes Zeichen.

"Rede mit mir," sagte sie. "Wenn es die Wahrheit war, dann müssen wir es nie wieder erwähnen. Aber ich muß es wissen."

"Ich wünschte, ich könnte jedes Wort davon zurücknehmen."

Sie wartete.

Er bewegte sich unbehaglich, aber er sah nicht weg. "Als ich hierher kam...  in dieser Nacht... als ich Dich sah... ich wollte mit Dir schlafen, mehr als alles andere auf der ganzen Welt."

Scully spürte die Wärme, die beim Klang seiner Stimme durch ihren Körper lief. Dies war wesentlich beruhigender als der Ausdruck auf seinem Gesicht.  "Wirklich?"

"Ja, wirklich."

"Es tut Dir nicht leid?"

Er machte eine winzige Pause.

"Es tut Dir leid," sagte sie unglücklich. Gott. "Es tut Dir leid. Du hast wirklich nur mit mir geschlafen, weil es leichter war, als mit mir zu reden."

"Scully, es gab wesentlich mehr als das, was mir durch den Kopf ging, glaube mir..." Er lehnte sich ein wenig zu ihr hinüber und sah sie ehrlich an. "Ich hatte gerade seine Blutprobe bekommen. Ich hatte noch nicht den endgültigen DNA-Test machen lassen. Wenn ich es Dir gesagt hätte und es hätte sich herausgestellt, daß es nicht wahr war..."

Es wäre ein Alptraum gewesen.

"... so war es leichter," gab er zu, "aber..." Er verstummte und seufzte.

Sie räusperte sich. "Du hättest es mir sagen müssen."

Er nickte. "Ich weiß."

"Wann hast Du die endgültigen Ergebnisse bekommen?"

"In der Nacht, bevor ich hierher zurückkam. Ich hatte befürchtet, daß ich sie nicht rechtzeitig bekommen würde und daß ich - vielleicht wir - in Singapore landen und für ein Baby bieten würde, daß Dein Baby war oder auch nicht. Dann bekam ich die Ergebnisse." Wehmütig verzog er seinen Mund. "Ich saß stundenlang mit dem Telefon in meinem Schoß da. Schließlich packte ich meine Sachen und nahm das nächste Flugzeug hierher." Er sah in sein Weinglas.

Scully saß still da und dachte zurück. Hin und wieder hatte sie dieses Frühjahr angehalten und sich gefragt, ob er jemals einen Gedanken an sie verschwendete. Und dann in dem Monat, nachdem er sie besuchte und sie nichts von ihm hörte... hatte sie sich dasselbe gefragt. Sie hätte wissen müssen, daß irgend etwas vor sich ging. Die wenigen Hinweise, die er ihr gegeben hatte, als sie an diesem Morgen in den Armen des anderen lagen, hätten genügen müssen, um auf das Konsortium zu tippen. Warum hatte sie es nicht begriffen? Er war so vollkommen konzentriert - ja besessen - dieses Baby zu bekommen, gab sie widerwillig zu. Für sie. Sie hätte es wissen, es ahnen und ihn anrufen müssen. Sie hatte keine Ahnung, warum sie es nicht getan hatte. Hatte er recht? Wollte sie es wirklich nicht wissen? War sie so egoistisch? War es Egoismus? War es das wirklich?

Scully betrachtete seine abgewandten Augen, dann fiel ihr Blick auf seine langen Finger, die ruhelos den Stiel seines Weinglases drehten.

Was um alles in der Welt sah er, wenn er sie anschaute? Warum hatte sie niemals angehalten und einen kritischen Blick auf sich selbst aus seiner Perspektive geworfen? Egoistisch. Streitsüchtig. Nüchtern. Unmöglich, Dinge zu sagen... Was noch?

Etwas, das es ihn bereuen ließ, mit ihr geschlafen zu haben...

Sie seufzte schwer.

"Scully, ich versuche es. Du mußt mir glauben, daß ich es versuche." Er nahm einen großen Schluck, leerte sein Weinglas. Dann nahm er die Flasche in die Hand und hielt sie über ihr leeres Glas.

Sie nickte.

Die Flüssigkeit funkelte bernsteinfarben im Licht der Kerzen und des Feuers, als er sie eingoß. Ein ganz klein wenig spürte sie die Wirkung des Weins. Alles verstärkte, verschärfte sich. Sie konnte den Rauchfaden der Kerzen sehen, die lichtbrechende Eigenschaft des heißen Dampfes, der sich der Dunkelheit der Nacht hinter ihm zuwandte. Das Geräusch der Flammen, die heftig knisterten und aus dem harzigen Holz schlugen. Flackernde Lichtwellen kräuselten sich aus dem Kamin, durchsetzt mit den Wellen der Dunkelheit, die so lebendig waren, wie das Licht selbst. Die Wellen wirbelten über den Tisch, berührten ihre Gläser mit ihrem hellen Glanz.  Wirbelten über Mulder und ließen sein Gesicht im Schatten, wirbelten über Liams Gesicht, das unschuldig erhellt wurde von dem leuchtenden Schein des Feuers...

Scully würde sich immer an diesen Augenblick erinnern. Sie alle drei so zusammen.

"Scuh-leee...?" sagte er sehr leise. "Es tut mir nicht leid, daß wir miteinander geschlafen haben." Er sah sie blitzschnell scheu von der Seite an. "Es ist nur," fuhr er fort, bevor sie irgend etwas sagen konnte. "Ich glaube, der Sex hat allem eine neue Dimension hinzugefügt, mit der wir noch nicht umgehen konnten. Es war zu schnell."

Zu schnell.

"Ich weiß nicht, welche Gründe Du in jener Nacht hattest," fuhr er langsam fort, "aber es war nicht, weil Du... eine Bindung eingegangen bist."

Sie konnte nicht widersprechen. Er hatte recht. Da war auch eine Menge gewesen, das ihr durch den Kopf gegangen war.

"Was noch?" fragte sie leise.

Er sah sie fragend an.

"Du sagtest, Dir ist eine Menge durch den Kopf gegangen."

"Ich habe gearbeitet..." Er brach ab.

"Dich selbst kaputt gemacht bei dem Versuch, dieses Baby für mich zu bekommen," half sie.

Er nickte, dann drehte er seinen Kopf weg und blickte in die Flammen.

"Ich habe die ganze Zeit in Singapore über Dich nachgedacht. Als ich Dich das erste Mal sah. Ich hatte Angst zu kommen und Dich zu sehen. Ich hatte Angst und trotzdem war ich aufgeregt, mit Dir zu sprechen. Ich hoffte, wenn Du es weißt, würdest Du mir vergeben, irgendwie hoffte ich, Du würdest zurückkommen..." Er verstummte. "Und als ich hier auftauchte - ohne Ankündigung - der erste Anblick von Dir, den ich seit sechs Monaten hatte.  Da warst Du: betäubend schön, blühend, glücklich, lachend." Er hielt inne, seine Stimme wehmütig. "Einen anderen Typen küssend. Ich hätte niemals...  ich habe niemals..." Er schloß für einen kurzen Moment seine Augen. "Ich ging. Aber während ich am Bordstein stand und mich fragte, wo zur Hölle all die Taxis waren, sah ich den Typen herauskommen und in sein Auto steigen.

Du hattest ihn nicht hereingelassen. Und irgendwie landete ich wieder vor

Deiner Tür." Ein Hauch von Ironie schlich sich in seinen Ton. "Du hast Dich

mit einem Typen getroffen, der einen Maserati Cabrio fährt, um Gottes

Willen, Scully"

Sie spürte eine kleine Wärme in ihrem Magen. Er glaubte, daß sie schön war.

Und er hatte mit ihr geschlafen, weil er eifersüchtig war?

"Was für ein Typ?" fragte sie unschuldig.

Er sah sie an.

Sie zuckte nur mit den Achseln.

Mulder bemerkte, daß er die Flasche immer noch in der Hand hielt und füllte sein eigenes Glas nach.

Scully leckte sich die Lippen. "Warst Du eifersüchtig?"

"Eifersüchtig ist nicht das richtige Wort, um es zu beschreiben."

"Du könntest auch einen Maz fahren, Mulder, wenn Du nicht umherfahren und Babys kaufen würdest," sagte sie leicht und versuchte, damit den Ausdruck aus seinem Gesicht zu löschen. Er begann, sie zu ängstigen. Traurigkeit, eine altvertraute intensive Traurigkeit. Er entfernte sich von ihr.

Mulder ignorierte ihren Versuch, ihn abzulenken. "Also haben wir miteinander geschlafen, beide aus den falschen Gründen..."

"Aber Du kennst meine Gründe nicht..."

"Shhh," sagte er. "Ich kenne Dich. Als Du an diesem Morgen zurückkamst...  Dein Gesicht..." Er brach ab und nickte ein wenig. "Da wußte ich... Mir war auf einmal klar, daß ich mich selbst veralberte, auf irgend etwas zu warten, das..." Plötzlich hielt er inne.

Scully hielt den Atem an und saß vollkommen still.

Mulder schwieg, dann sah er in sein Weinglas, als würde er darin die Antworten finden. "Ich habe eine Regel verletzt, die ich mir selbst aufgestellt hatte," sagte er schließlich. "Eine, die ich sehr, sehr lange befolgt hatte." Er drehte sich um und sah ihr in die Augen. Der Ausdruck in seinen war zu kompliziert, um ihn zu bezeichnen. Ein bißchen defensiv, ein bißchen resigniert und immer noch voll von dieser unglaublichen Traurigkeit. "Daß ich niemals mit Dir schlafen würde, es sei denn, es würde Dir das gleiche bedeuten wie mir."

Scully starrte ihm wie gelähmt in die Augen.

Sie hatte immer die Momente im Leben gefürchtet, wo sich alles in Sekundenbruchteilen änderte und es kein Zurück gab. Bei ihrem Vater lernte sie es... bei Missy.

Aber das... im Bruchteil einer Sekunde...

Die Erleuchtung.

Unerwartet. Schön. Köstlich. Ihr Herz und ihren Hals zuschnürend wie eine große Faust.

Scully konnte den Mund nicht aufmachen. Sie wußte nicht, ob sie die Worte finden würde, um ihm zu sagen, was er ihr gerade gegeben hatte, um es ihm zurückgeben zu können.

Und wollte er es denn hören? Ich liebe Dich hatte nicht funktioniert. Ein Echo seiner Worte ‚das sind nicht wir' schoß ihr durch den Kopf. Es brach ihr immer noch das Herz.

Eilig fuhr er fort, "Du hattest ein neues Leben. Eines, in dem ein neues Baby womöglich nicht willkommen war. Und ich erkannte, daß er womöglich bei mir bleiben würde."

Bevor sie eine zusammenhängende Antwort auf irgend etwas davon formulieren konnte, füllten sich seine Augen mit Enttäuschung und sie wandten sich ab von ihren und er fuhr mit belegter Stimme fort. "Aber Du hast diese falsche Vorstellung bei Charlotta geradegerückt.". Er schloß seine Augen fest und hörte auf zu reden. Schließlich sagte er ihren Namen sehr leise. "Scully?"

"Ja?" brachte sie heraus. Ihre Stimme klang hoch und nervös. Sie versuchte, sich zu räuspern.

"Ich glaube... ich bin ein bißchen verrückt geworden, als Du das gesagt hast."

Ihr Blick wanderte über sein gebeugtes Profil. "Versuche nicht, den Wahnsinn mit mir zu verteidigen," sagte sie, erleichtert darüber, daß ihre Stimme wieder ihren normalen Klang angenommen hatte. "Ich glaube nicht, daß ich Dich jemals in Deinem Leben mehr erschreckend vernünftig gehört habe.  Fürchterlich, erschreckend vernünftig."

Er öffnete seine Augen und drehte ihr sein Gesicht zu.

"Du hast mir weh getan, Mulder."

Schmerz ersetzte die Schuld in seinen Augen. "Es tut mir leid. Du hast mir auch weh getan."

"Ich weiß, und es tut mir leid - unglaublich leid, daß ich Dir wehgetan habe. Aber ich habe es nicht absichtlich getan. Und Du hast es absichtlich getan," sagte sie leise. "Und es tut immer noch höllisch weh." Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Mulder zuckte zusammen. "Es war nicht absichtlich. Alles brach auseinander.

Und ich habe es an Dir ausgelassen."

"Im Ernst," sagte sie im Flüsterton und er zuckte wieder zusammen.

Scully wollte nicht weinen, sie blinzelte hartnäckig gegen die Tränen an und bekam sie unter Kontrolle.

"Kannst Du mir jemals verzeihen, Scully?"

Sie leckte über ihre trockene Oberlippe. "Vielleicht war es zuerst nicht absichtlich, aber seitdem hast Du mich zurückgewiesen. Ich muß wissen warum."

Er nickte kaum wahrnehmbar, sein Blick war angespannt, aber er sagte nichts.

"Mulder... ich muß die Wahrheit von Dir hören. Was immer Du auch vor mir verbirgst. Was immer Du mir in Singapore nicht sagen wolltest. Ich muß es jetzt hören. Oder... ich glaube nicht, daß wir noch irgend etwas retten können."

Bis die Worte aus ihrem Mund kamen, hatte sie nicht erkannt, daß sie ihm ein Ultimatum stellte, aber er sah nicht so aus, als hätte er es nicht erwartet.

"Da sind ein paar Dinge, die Du besser nicht wissen solltest, Scully."

Seine Stimme klang endgültig.

"Besser für Dich oder für mich?" forderte sie.

Er antwortete nicht, lehnte sich nur nach vorn und rieb sich die Stirn mit den Fingerspitzen. Dann drehte er seine Kopf zur Seite und sah in ihre Augen.

Sie starrten sich beide fast eine Minute lang an.

Irgend etwas versuchte er ihr mit seinen Augen zu sagen, aber sie konnte nicht herausfinden, was es war.

Schließlich ließ sie ihn gewinnen und drehte ihm starr den Rücken zu. Sie mußte umdisponieren, ohne daß er ihr Gesicht dabei beobachtete. Warum hatte sie keine Flasche Sodium Pentothal zur Hand? Oder vielleicht konnte sie ihn betrunken genug machen, daß er es ihr erzählte. Er hatte gerade zwei Gläser Wein. Wieviel würde es brauchen, ihn betrunken zu machen? Was zur Hölle konnte es sein, daß er glaubte, es würde ihr so weh tun? Irgend etwas, was er getan hatte?

Oder vielleicht war sie dazu bestimmt, es selbst zu verstehen.

Er räusperte sich. "Also... Ich nehme an, es ist Liams Zukunft, über die wir heute abend reden sollten, richtig? Du sagtest ‚keine Kindermädchen'."

Liam. Es mußte irgend etwas mit Liam zu tun haben. Mulder hatte ihr fast das Handgelenk zerquetscht, als sie ihn nach der Möglichkeit gefragt hatte, daß Liam ein Klon war. Er hatte gesagt, daß er es nicht wußte und sie hatte ihm geglaubt, aber...

"Willst Du immer noch eine Weile freinehmen?" fragte er und nun zog er sich auf vorsichtige Ironie zurück. "Eine Art von Instant-Baby-von-irgendwo-Urlaub?"

Sie nickte langsam und vorsichtig. Damit würde sie damit klarkommen.

Scully ließ ihre Gedanken in den Mulder-Schnellgang-Modus gleiten, um seinen Gedanken zu folgen. Baby-Urlaub. Keine Kindermädchen... im Garten...  auf einmal ging es um alles. Aber noch zu schnell. Er hatte sie gefragt - irgend etwas und sie hatte...

Sie drehte sich um und sah zurück in sein Gesicht. Trotz seines leichten Tons waren seine Augen immer noch gefüllt mit dieser dunklen resignierten Traurigkeit.

Sie hatte ihm auch nicht alles gesagt.

"Dich," sagte sie. "Ich will Dich."

Seine Augen weiteten sich und er setzte sich auf.

"In Charlottas Garten, Mulder? Wie konnte ich nur Liam wollen? Ich will Dich ebenso."

Kompliziert war eine milde Beschreibung für das, was nun in seinen Augen zu sehen war.

"Du hattest recht," fuhr sie rasch fort, sie fühlte sich plötzlich lächerlich nervös. "Nicht wegen dem, was ich gesagt habe - oder nicht gesagt habe - in Charlottas Garten. Deshalb hattest Du nicht recht, aber Du hattest recht, ich habe nicht verstanden, was ich wollte, als Du das erste mal hierher kamst, um mich zu sehen, aber jetzt weiß ich es. Und egal, ob ich bereit war, eine Bindung einzugehen, als wir miteinander geschlafen haben, oder nicht, es hat mir ganz bestimmt genauso viel bedeutet wie Dir.  Noch nicht in dieser Nacht, aber wieder mit Dir zusammen zu sein - diese ganze Reise."

Mulder konzentrierte sich so intensiv auf sie, sein Gesicht, sein ganzer Körper, als wollte er sich jedes Wort einprägen. Was gut so war, denn sie war sich nicht sicher, ob das, was sie sagte, einen Sinn machte.

"Und weil... ich Dich liebe," sagte sie. "Ich habe mit Dir geschlafen, weil ich Dich liebe." Diesmal war es einfacher, es zu sagen und sie empfand einen mächtigen Sturm der Erleichterung, daß sie es schließlich gesagt hatte. Ihm das nicht zu sagen war genauso furchtbar, wie alles, was er ihr nicht gesagt hatte. Er hatte es verdient, es zu wissen. Was immer er auch empfand, die Erleichterung darüber, daß er es wußte, war überwältigend.

"Ich liebe Euch beide. Ihn eine Menge. Aber Dich..." Ihr Herz schmolz, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht beobachtete, als er die verrückte Eile ihres Geständnisses in sich aufnahm. "Gott, Mulder, hast Du überhaupt eine Ahnung, wie sehr ich Dich liebe?"

Das plötzliche Aufleuchten in seinen Augen erschütterte sie bis in die Fußspitzen.

"Scuh-leee..." sagte er leise, ungläubig.

Sie nickte und versuchte, ihre Lippen zu einem Lächeln zu formen, aber sie hatte das Gefühl, daß sie ihn aus hoffnungslos hoffnungsvollen Augen anstarrte. Gott. Sie hatte all ihre Karten auf den Tisch gelegt.

Mulder sah sie fassungslos an. Vollkommen und total fassungslos. Aber seine Augen... dunkel mit goldenen Flecken darin vom Feuerschein, aber erleuchtet von innen durch ihr eigenes hoffnungslos leuchtendes Feuer. Und plötzlich war sie ebenso fassungslos. Sie hatte angenommen, daß er sie liebte, aber nun wußte sie mit Bestimmtheit, daß sie nicht die Hälfte wußte. Aber sie wollte alles wissen. Und sie wollte sich niemals wieder von diesen Augen lösen.

Vielleicht würde alles gut werden. Irgendwie. Was immer noch passierte, sie hatte es ihm gesagt und ihn sie so ansehen lassen.

"Wirklich?" fragte er.

"Ja, wirklich." Sie sonnte sich in der Glut seiner Augen, dann streckte sie ihre Hand aus und berührte die Lachfalte an seinem Auge. "Also..." sie atmete tief und zitternd ein. "Was immer Du mir nicht gesagt hast, laß es jetzt raus," schloß sie ein wenig eilig. "Ich werde kein Nein als Antwort akzeptieren."

Mulder streckte seine Hand aus, hielt ihre ganz zart und rieb mit seinem Daumen über ihren Handrücken.

"Du kannst mir alles sagen, Mulder. Nichts wird meine Gefühle für Dich ändern."

Er sah sie ernst und prüfend an, dann runzelte er die Stirn. "Wird es nicht?"

Sie biß sich auf die Lippe. "Es ist wegen Liam, nicht wahr? Irgend etwas stimmt nicht mit ihm und Du willst es mir nicht sagen..."

"Nein." Mulder schüttelte den Kopf. "Nicht soweit wir wissen."

Scully war nicht beruhigt. Sie ergriff seine Hand und hielt sie fest.

"Erzähl es mir," sagte sie knapp.

"In Ordnung. In Ordnung." Er gab mit einem frustrierten Seufzer nach. "Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll."

"Mit dem Anfang."

Er atmete aus. "Am 10. September 1993 trat Dana Katherine Scully in mein Leben..."

Hart drückte sie seine Hand.

"Kann ich nicht einfach mit Dir schlafen, anstatt Dir das zu erzählen?" fragte er.

Ihr stockte der Atem, dann drückte sie noch ein wenig fester zu. "Hör auf damit. Ich meine es vollkommen ernst."

"Ich bin ernst. Ich bin absolut, vollkommen ernst." Er war es, erkannte sie.

"Ich meinte, was ich sagte. Du mußt mir die Wahrheit sagen... zuerst."

Er hob seine Brauen ein wenig, dann wurde sein Ausdruck ernst und er atmete tief ein. "Drei Dinge. Nummer eins. Die Nacht, in der ich Liam fand. Die amniotische Flüssigkeit in seinem Inkubator war grün."

Er sagte es so schnell, daß sie nicht einmal sicher war, daß er sich keinen Scherz erlaubte. Dann begann ihr Herz wie verrückt gegen ihre Rippen zu schlagen.

"Was?" Sie starrte ihn an. Sein Gesicht war ernsthaft beunruhigt. Seine Finger fanden ihre Wange und streichelten sie leicht. Sie war wahrscheinlich kreidebleich geworden, dachte sie mit einem winzigen Teil ihres Gehirns, während der Rest sich nach möglichen Erklärungen abstrampelte. "Könnte es Myconeum gewesen sein, oder..."

"Nein, klares leuchtendes Grün."

Mulder mußte nichts weiter sagen. Sie hatten es beide schon vorher gesehen.

"Kannst Du Dich an irgend etwas aus dem Kurvenblatt erinnern?"

Er schüttelte den Kopf.

"Es bedeutet vielleicht gar nichts..." flüsterte sie.

"Da waren auch kleine Fläschchen von derselben grünen Farbe. Ich hatte nichts in der Hand, um zu wissen, ob es dieselbe Flüssigkeit war." Er hielt inne und Schuld füllte seine Augen.

Sie wartete.

"Ich nahm eine mit."

"Du hast!? Was war es?"

"Es war unbestimmbar, was die grüne Farbe ausmachte, und die Tests," seufzte er, "waren nicht schlüssig." Sie empfand heftige Enttäuschung.  "Aber sie enthielt eine hohe Konzentration von Stammzellen."

"Stammzellen," wiederholte sie langsam.

"Liams Stammzellen."

Ihre Finger schlossen sich plötzlich um sein Handgelenk. "Hast Du sie sichergestellt?"

"Ja. Sie befinden sich in einer kryogenischen Einrichtung unter falschem..."

"Wieviel sind es?"

"Ungefähr hundert Gramm."

"Mulder, im Besitz von Liams Stammzellen zu sein, das ist eine gute Neuigkeit. Es ist eine unglaubliche Neuigkeit. Eine Vielzahl von Krankheiten oder sein Immunsystem schädigenden Behandlungen können mit Stammzellen behandelt werden. Auch Funktionsstörungen im Blut."

Mulder sah nicht glücklich aus. Er nickte. "Ich weiß. Dieser Teil ist wunderbar. Er mußte in diesem Inkubator sein, um ihnen zu erlauben, diese Stammzellen aus seiner Nabelschnur einfach ernten zu können. Aber die Frage ist warum?"

Sie biß sich auf die Lippe. "Er war für einen bestimmten Zweck geplant worden. Das wissen wir."

Er sagte sehr langsam, während er sie dabei genau beobachtete, "Ich glaube, er wurde geschaffen, um Emily zu retten."

Scully nickte. Das machte Sinn. Es war wahrscheinlich, daß was immer sie Emiliy auch angetan hatten, um sie krank zu machen, Calderon versucht hatte, sie zu retten. Oder... sie empfand Kälte... ihr Leben zu verlängern, bis sie mit ihren Tests fertig waren.

Aber es erklärte nicht die vollkommene Trostlosigkeit, die nun in Mulders Gesicht geschrieben stand. Sie bekam es nicht zusammen, was immer es auch war.

Scully streckte ihre Hand aus und nahm seine andere Hand. Er zitterte ein wenig. Besorgt forschte sie in seinen Augen. DAS war es. "Erzähl es mir einfach."

"Ich hatte dieses Fläschchen in meiner Tasche, als ich Dich im Hospital sah. In der Nacht, in der sie starb. Wenn ich es Dir gegeben hätte, hättest Du vielleicht einen Weg finden können, um sie zu retten." Seine Augen füllten sich plötzlich mit Tränen und er starrte sie an, seine Augen dunkel und gequält. Die Tränen schossen plötzlich heraus und er schloß sie fest.  Er entzog seine Hände ihrem Griff und bedeckte sein Gesicht.

"Oh, Mulder." Sie ergriff seine Unterarme und zog ihn sanft an sich. Er legte sein Gesicht an ihre Schulter und sie umarmte ihn fest. Er hielt sich selbst zu angespannt für eine richtige Umarmung, aber sie hielt ihn trotzdem fest.

Dies hatte er so lange für sich behalten. Es mußte ihn innerlich zerrissen

haben. Kein Wunder, daß er graue Haare bekam. Sie fuhr ihm mit einer Hand

ins Haar und streichelte es

"Shh," sagte sie zu ihm. "Shhh." Ihre eigenen Tränen schossen hervor.

Sie wiegte ihn ein bißchen, aber er entspannte sich nicht, wurde noch steifer. Dann legte sie ihre Wange an sein Haar und dachte darüber nach.  "Du bist direkt aus der Privatklinik ins Hospital gekommen, als Du mich in dieser Nacht gesehen hast, nicht wahr?"

Er nickte, sein Kopf an ihrer Schulter.

"Mulder," fuhr sie fort. "Ich hätte es analysieren müssen. Selbst wenn ich alles, was darin enthalten war, hätte identifizieren können, gab es keine Möglichkeit, Emilys Histokompatibilität zu diesen Zellen zu bestimmen. Ich hätte es ihr nicht gegeben, ohne es zu wissen. Ich glaube, es war möglicherweise das, womit Calderon ins Krankenhaus gekommen war, um es ihr zu geben. Und es hat nicht funktioniert. Die Krankheit war schon zu weit fortgeschritten." Sie versuchte, seinen Kopf zurückzubeugen, damit sie sein Gesicht sehen konnte, aber er ließ es nicht zu. "Ein paar Stunden später war es vorbei. Du siehst also? Ich konnte sie nicht retten. Alles was dabei herausgekommen wäre, wäre gewesen, daß ich ihre letzten Stunden damit verbracht hätte, zu untersuchen, was zur Hölle es war. Statt dessen verbrachte ich sie damit, sie zu halten."

Seine Schultern zitterten. "Shhh," sprach sie zu ihm. "Shhh. Hast Du erkannt, daß es ein Heilmittel sein könnte, bis Du es analysiert hast?"

Er schüttelte seinen Kopf. "Aber ich hätte es müssen," flüsterte er mit gebrochener Stimme an ihrem Hals. Sie rieb die Muskeln in seinem Nacken mit ihren Fingerspitzen.

"Mulder, Du machst manchmal unerklärliche Sprünge, aber den Inhalt eines ungekennzeichneten Fläschchen mit einer Flüssigkeit zu erahnen? Das wäre unmöglich. Es hätte sonst etwas sein können. Es hätten die Hormone sein können, die sie den Frauen in dem Haus gegeben haben. Es hätte wirklich ALLES sein können. Also, wie kannst Du Dir die Schuld geben?"

Er schüttelte nur wieder seinen Kopf an ihrer Schulter.

"Und nebenbei, ich habe Dir gesagt, daß ich sie nicht behandelt hätte, wenn ich gekonnt hätte."

"Aber Du meintest es nicht wirklich."

Sie seufzte tief. "Mulder, sieh mich an." Er hob seinen Kopf. Sein Gesicht war trostlos. Im selben Moment streckten sie beide ihre Hand aus, um die Tränen des anderen fortzuwischen.

"Wie kannst Du mir das nur vergeben?" flüsterte er.

"Oh, Mulder. Weil ich es verstehe," flüsterte sie zurück. "Und," fuhr sie fort, "weil..." Sie verstummte. Sie sagte es immer wieder und er schien es nicht sagen zu wollen. "Ich Dich liebe."

Bevor sie den Satz beenden konnte, zog er sie an sich und schlang seine Arme eng um sie. Er legte sein Kinn auf ihren Kopf. Sie waren still und hielten einander.

Grüne amniotische Flüssigkeit. Stammzellen. Sie versuchte darüber nachzudenken, was er gesagt hatte, aber plötzlich war sie erschöpft. Sie würde dies alles morgen begreifen. In der Zwischenzeit... sie kuschelte ihre Wange an sein Hemd und hielt ihn fest. Er ist hier, dachte sie.  Endlich. Sie zog ihn enger an sich und lauschte auf seinen Atem und fühlte sein Herz an ihrem schlagen.

Scully wollte, daß es so blieb. Nur sie, allein in der Nacht. Nichts, daß sie störte außer der Möglichkeit eines hungrigen Babys. Keine Wanzen, keine Bombenanschläge oder Krankheiten, keine Zukunft voller Angst... nicht die Angst um eine Baby, dessen Fruchtwasserflüssigkeit grün gewesen war...  oh... sie konnte nicht darüber nachdenken. Die ganze Nacht würde sie wach sein und sich darüber Sorgen machen. Gleich als erstes morgen früh mußte sie sich eine Probe dieser Flüssigkeit schicken lassen. Sie konnte sie zu einer Frau bringen, die sie kannte im...

Hör auf, sagte sie sich. Morgen ist früh genug.

"Ich hasse sie," flüsterte sie.

Seine Finger fanden ihren Kopf und begannen sie sanft zu streicheln. So sanft, wie sie ihn einen Moment vorher gestreichelt hatte.

"Wenn sie es nur nicht herausgefunden hätten." Der Klang von Verzweiflung in ihrer Stimme ließ sie erkennen, wie nahe sie einem Zusammenbruch war. Er mußte es auch gehört haben, weil seine Arme sich fester um sie schlossen.  "Ich möchte nur, daß er mit all dem nichts zu tun hat. Ich will ihn da raus haben. Ich will, daß er in Sicherheit ist."

Er rieb seine Wange an ihrem Haar.

"Scuh-leee," sagte er weich. Sie hob ihren Kopf und sah ihn an. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war sehr, sehr traurig. Immer noch? Ihr stockte der Atem, sie glaubte nicht, daß sie es hören wollte, was immer er auch sagen wollte. "Wir können es tun," sagte er endlich.

Sie zog die Augenbrauen hoch.

"Ihn in Sicherheit bringen."

Nun sah sie ihn sogar noch fragender an.

"Ich habe versucht, nicht daran zu denken, aber..." Er starrte sie an, dann zog er kurz seine Lippen in den Mund, um sie anzufeuchten. "Wir können ihn nehmen und gehen," sagte er leise und sah wieder zu Liam hinüber. "Irgendwo hingehen, wo es sicher ist. Es ist das Gegenteil von dem, wie es mit George und Isobel passieren sollte, aber..."

"Irgendwohin, wo es sicher ist? Wo?"

Er schaute sie nur an.

Verschwinden.

Oh, Mist.

"Sei nicht albern, Mulder."

Er sah sie immer noch an. Meinte er es ernst?

"Oh Gott... Mulder..."

"Denk darüber nach."

Es machte vollkommen Sinn, aber...

Er hatte recht. Der beste Weg, ihn in Sicherheit zu bringen. Der einzige Weg... ihn vollkommen in Sicherheit zu haben.

Aber verschwinden?

Sie konnte es nicht.

Konnte sie es?

Sogar, als sie sich das fragte, spürte sie, wie sie eine traurige Verzweiflung überkam. Ihr Job, ihre Mutter, ihre Familie...

"Wo?"

"Irgendwo. Normal. Sicher."

"Mulder..." Sie legte ihren Kopf schief und sah ihm in die Augen.

Er grub seine Zähne in seine Unterlippe. "Wir müssen zuerst das tun, was für ihn das Richtige ist."

Oh Gott, er meinte es vollkommen ernst.

Sie versuchte, den großen Klumpen, der in ihrem Hals steckte, herunterzuschlucken.

Oh Gott.

"Wir können nicht einfach verschwinden. Wohin sollen wir gehen? Was sollen wir tun?"

"Leben," sagte er einfach.

"Wir können uns einen Job suchen, aber in einem Jahr oder zwei, was werden wir dann tun? Wir haben einen Beruf, Mulder. Wir werden keine Papiere haben, keinen Lebenslauf. Oder eine Familie oder..."

"Frohike kann uns leicht einen gefälschten Lebenslauf besorgen. Er hat es die ganze Zeit getan."

"Aber nicht in meinem Fachgebiet, Mulder. Ich mag keine Berühmtheit sein, aber ich bin in meinem Fachgebiet bekannt. Ich kann nicht als irgend jemand anderer auftauchen. Und Du, Du könntest niemals damit davonkommen."

"Nun... gab es da niemals etwas anderes, was Du tun wolltest?" fragte er.

"Vielleicht könntest Du wieder zur Schule gehen?"

Sie sah ihn bestürzt an.

"Wieder in die Schule?" fragte sie schockiert. "Meinen Beruf aufgeben?"

"Wir sprechen über sein Leben, Scully"

Und über ihres... Ihr Leben gegen Liams. Sobald sie es gedacht hatte, drehte sich ihr der Magen um und sie war über sich selbst empört. Es ging nicht um sie gegen Liam. Es ging darum, ihn zu retten...

Aber... aber.

"Warte. Warte. Warte," widersprach sie. "Du hast offensichtlich darüber nachgedacht, ich nicht. Ich kann nicht glauben, daß Du es ernsthaft in Betracht ziehst. Es ist unmöglich."

"Betrachte es als Chance für einen Neubeginn. Du könntest wieder zur Schule gehen, einem besseren, glücklicheren Weg folgen. Würdest Du nicht lieber ohne das FBI leben und ohne Autopsien und..." er schluckte, "... ohne all dem, was uns passiert ist?"

Scully starrte ihn an. Sein Ausdruck war besorgt. Er meinte es tatsächlich.

Wie konnte er es wirklich für möglich halten?

"Ich kann es tun," sagte er schließlich.

Ungläubig starrte sie ihn an.

Dies war entsetzlich.

"Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht," sagte sie verzweifelt.

"Deine Familie?" fragte er traurig. Der Ausdruck in seinen Augen brach ihr das Herz. Es war, als hätte er gesagt, daß ihre Familie natürlich wichtiger war als er. Es war einfach nicht wahr.

Ein letztes Mal sah er sie flehend an. Sie schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht gehen," sagte sie verzweifelt angesichts seines Ausdruckes.

"Möchtest Du, daß ich es tue?"

"Du? Was tun? Wovon sprichst Du?"

Oh Gott, sie wußte genau, was er meinte. Dies war schlimmer.

"Ich meine, ich tue es für Dich, wenn es das ist, was Du willst."

"Du nimmst ihn mit? Und verschwindest?"

Nun war sie wirklich schockiert.

Nein. Ihre Finger drückten sich fest in die Haut unter seinem Hemd, als könnte sie ihn auf diese Art festhalten.

"Mulder, nein, ich will das nicht. Bitte, denk nicht einmal darüber nach."

Er sah sehr müde aus. "Wir müssen es erwägen."

"Denkst Du, die Bedrohung ist so unmittelbar?"

"Scully," sagte er leise. Er lehnte sich von ihr weg und griff nach ihren Händen. Er hielt sie und ihre Finger verschränkten sich fest. "Da war eine Bombe in meinem Auto. Ich wäre nach Hause gekommen und hätte mein Auto genommen, um zum Getränkeladen zu fahren und eine Flasche Scotch zu kaufen.  Aber ich hätte sie nicht bekommen. Ich wäre tot."

Sie starrten auf ihre verbundenen Hände. Der Bluterguß an ihrem Handgelenk sah in diesem Licht wie ein Schatten aus.

"Tue ich es schon wieder? Bin ich dumm genug, nicht zu sehen in welch großer Gefahr Ihr Euch befindet?"

Er sah sie an. "Ja."

Scully schloß ihre Augen. "Mulder, wenn Du zurück nach D.C. gekommen wärst und..." Sie schluckte schwer. "... es hätte mich umgebracht."

Sie spürte seine Hand an ihrem Gesicht, seine Finger glitten in ihr Haar, seine Fingerspitzen so weich... und sie drehte ihr Gesicht in seine Handfläche.

"Scully, wenn Du willst, daß ich es tue, frag mich und ich werde es tun. Ja oder nein."

Sie öffnete ihre Augen und starrte in seine. Der Ausdruck darin ließ ihr Herz noch tiefer sinken.

Einen Augenblick vorher sah es so aus, als wäre ihre Zukunft als Familie eine klare Möglichkeit, im nächsten sprach er davon, ihn ihr wieder wegzunehmen. Sie mußte sich zwischen ihrer Mutter und Mulder und Liam entscheiden.

Das war Wahnsinn. Mulder war wahnsinnig, diese Entscheidung von ihr zu fordern.

Mulder und Liam in Sicherheit? Wie konnte das wahnsinnig sein, fragte sie sich wütend. Es würde die beste Sache der Welt sein. Es würde das Richtige sein. Es würde sie beide in Sicherheit bringen.

Scully versuchte, ihren Mund zu öffnen und ihm zu antworten.

Sie schluckte schwer. Es war das schwierigste, was sie je in ihrem Leben sagen mußte.

Sagen konnte sie es nicht. Sie nickte nur, flehte ihn mit ihren Augen an, daß er ihr sagte, sie solle es vergessen.

Er blinzelte ein wenig, seine Wimpern zuckten und dann nickte er. Plötzlich nahm er seine Hand aus ihrem Haar und zog sich von ihr zurück. Ein letztes Mal liebkoste er ihre Wange, dann ließ er seine Hand sinken.

Mulder stand auf und ging ein wenig von ihr weg. Er drehte sich um und sah auf sie herab.

"Sieh, äh... ich bin bald zurück. Ich muß darüber nachdenken. Ich...  glaube..." Seine Augen waren voll ungeweinter Tränen, sein Herz zog sich zusammen. "Ich weiß, daß ich es angeboten habe... aber, ich glaube nicht, daß ich es tun kann."

Er bückte sich und legte seine Hand für einen Moment auf Liams Decke und betrachtete das Baby, dann streckte er sich und ging durch ihr Apartment zur Wohnungstür. Mit einem leisen Schlag hörte sie sie hinter ihm schließen.

Schockiert saß sie da. Was zur Hölle hatten sie gerade getan? Langsam stand sie auf und ging zur Balkonbrüstung. Sie beobachtete ihn, als er die Straße herunterging. Innehaltend drehte er sich um und sah zurück zu ihr, seine Augen geschlagen und sich in ihre bohrend, als wenn sie nur Zentimeter voneinander entfernt wären und nicht 200 Meter. Da stand sie und beobachtete seine einsame Gestalt, als er seine Hände in die Taschen stopfte, die Schultern ein wenig wegen der Nachtluft hochzog, sich dann umdrehte und ihrem Blick entschwand.

Verschwand.

Es gab irgend etwas anderes, worüber er offensichtlich eine Weile nachgedacht hatte, und sich nicht die Mühe machte, es mit ihr zu teilen.  Wenn er es getan hätte, wäre es vielleicht nicht so ein Schock gewesen.

Scully legte ihren Kopf auf ihre Arme auf dem Geländer und bemerkte, daß sie ein wenig zitterte. Sie fror und sie hatte eine Gänsehaut.

Auf einmal begriff sie, was sie da gefordert hatte.

Und er würde tatsächlich alles für sie tun.

Sie ging zurück in ihr Apartment, nahm Liams Steppdecke und brachte sie nach draußen. Sorgfältig legte sie sie über ihn. Danach räumte sie die Teller ab, zog sie die Liege dichter an den Kamin heran und ließ sich in seiner Wärme nieder, ihre Arme gegen die Brust gedrückt.

Sie dachte nichts und sie tat nichts, sie sah einfach nur zu, wie die Flammen die letzten Stückchen Holz auffraßen, sie zu Asche verwandelten und dann starben.

 

 

 

 

Teil 24

 

Ihre Knie krachten, als sie sich von der Liege erhob. Vom langen Sitzen in der feuchten Luft war sie ganz steif und sie rieb sich den Nacken, um die verspannten Muskeln zu locken, als sie den Strand prüfte. Immer noch nichts von ihm zu sehen.

Es waren schon zwei Stunden.

Der Mond war aufgegangen. Es war fast Vollmond und er hing groß, leuchtend und schwer im Südosten. Sie atmete tief ein und umfaßte das Geländer, die kühle Nachtluft füllte ihre Lungen und machte ihr den Kopf klar. Sie konnte nicht einfach in gefühlloser Erstarrung dasitzen, sie mußte es durchdenken.

Noch einmal prüfte sie den Strand. Keine einsamen Gestalten. Überhaupt keine Bewegung. Sie drehte sich um und schaute Liam an. Er schlief friedlich, eingepackt bis an die Nase. Scully bückte sich und steckte eine Ecke seiner Decke fest, dann befühlte sie seine Schläfe mit der Rückseite ihrer Finger. Seine Haut war warm, aber sie sollte ihn aus der Feuchtigkeit herausbringen. Eine seiner Augenbrauen zuckte leicht, als sie den Kindersitz anhob und ihn durch die französischen Türen trug. Sanft setzte sie ihn ab, so daß er nicht der Zugluft ausgesetzt war.

Das Geräusch der Party unten war in ihrem Apartment stark und ertränkte die Musik ihres Radios. Sie schaltete die Stereoanlage aus und ging zur Wohnungstür, öffnete sie und sah hinunter in den Hof. Dort ging es lautstark zu. Noch mehr Leute waren gekommen, die um den Pool wanderten, sich unterhielten und lachten. Elvis und ein paar andere waren steckengeblieben, und ein paar Leute, die sie nicht erkennen konnte, schwammen in ihren Sachen in dem dampfenden Pool.

Scully ging zurück zu Liam und ließ sich mit gekreuzten Beinen neben ihm nieder. Sie stützte ihre Ellbogen auf die Knie und ihr Kinn auf ihre Hände, saß da und bewachte seinen Schlaf.

Sollte sie ihn auf seine Steppdecke legen? Es schien verkehrt zu sein, ihn in seinem Sitz zu lassen, aber er sah so zufrieden aus...

Ihr Gesicht fiel ein wenig zusammen, als sie seinen sorglosen Ausdruck sah.

Liam...

Das Baby gähnte nur im Schlaf, dann gab es ein kleines Geräusch von sich und paßte seinen Kopf dem Kissen an. Seine Haut war so rosa, so gesund...

So normal...

Er war nicht normal.

Er war nicht in Ordnung.

Grünes Fruchtwasser.

In dem Moment, als sie es hörte, wußte sie es. Er war ein Teil ihres abscheulichen Planes. Was immer es war. Und sie würden ihn nicht in Ruhe oder ihn ein normales Leben führen lassen.

Niemals.

Wie richtig es schien, daß er verschwinden würde, war so schockierend.

Sie wollte ihn aus seinem Sitz hochheben, ihn in die Arme nehmen und ihn niemals loslassen.

Geh mit ihm, sagte sie sich.

Ich kann nicht.

Geh.

Ich kann nicht.

Warum nicht? Deine Mutter? Dein Beruf? Dein Leben? Was für ein Leben?

Menschen können nicht einfach verschwinden, argumentierte sie mit sich selbst.

Ihr seid nicht einfach nur Menschen. Nicht mehr.

Scully versuchte mehr Argumente zu sammeln, warum sie nicht mit ihnen gehen konnte und sie fand keine.

Tatsache war, daß sie Mulder finden wollte und mit ihm und Liam sofort so weit und so schnell sie konnten, weglaufen wollte.

Wo war er?

Vielleicht hatte sie unrecht, wenn sie dachte, er würde alles für sie tun.  Vielleicht war er nicht in der Lage dazu? Er würde sie nicht einfach so verlassen, nicht wahr? Er konnte nicht. Er brauchte einfach nur ein bißchen Zeit. Oder?

Er könnte, gab sie zu. Wenn er entschieden hatte, daß er es nicht tun könnte, könnte er einfach gegangen sein.

Komm zurück, wollte sie. Bitte, Mulder. Bitte.

Bitte, lieber Gott.

Was, wenn er nicht zurückkam?

Sie war nicht überrascht, wie schnell ihr Verstand die Antwort fand. Dann würde sie Liam nehmen und gehen.

Schließlich sah sie auf ihre Uhr. Es war eine weitere Stunde vergangen.

Es wurde so spät...

Die Party unten war wieder ruhig geworden... und nun konnte sie Elvis allein singen hören, eine traurige Ballade und er begleitete sich selbst auf der Gitarre. Sie hatte ihn dieses Lied hunderte von Malen singen hören und konnte es auswendig.

... halt mich Baby, in der Hitze deiner Arme...  liebe mich bis wir eins sind...  umhülle mich Baby, mit der Glut deiner Liebe...  streichel mich, bis ich komme...  halt mich Baby, mit der Glut deiner Augen...  küß mich bis ich schreie...

... halt mich fest

... halt mich sicher

... liebe mich... bis ich sterbe...

 

Die Musik verklang und sie hob Liam aus seinem Sitz und legte ihn in ihren Schoß. Sie deckte ihn mit seiner Decke zu. Er gab ein kleines piepsendes Geräusch im Schlaf von sich und sie schaukelte ihn sanft.

Nach einer Weile schliefen ihr die Beine ein, aber sie bewegte sich nicht.

Ihre Arme und Schultern wurden steif, als sie so über ihn gebeugt saß.  Schließlich neigte sie ihren Kopf ein wenig, so daß sie die Uhr an ihrem Videorecorder lesen konnte.

Es war fast ein Uhr.

Es war zuviel, darüber nachzudenken und sie hatte aufgegeben. Sie erkannte die Zeichen und kämpfte nicht dagegen an. Taubheit machte sich auch in ihrem Gehirn breit, die sie begrüßte. Den warmen Babyduft einatmend barg ihr Gesicht am Hals des Babys. Der Tag heute war zu lang gewesen. Zu viel.  Die letzten paar Tage waren zuviel gewesen. Sie hatte zuviel empfunden.

Wenn alle Zellen eines Körpers alle sieben Jahre vollständig durch brandneue Zellen ersetzt werden, überlegte sie losgelöst, hatte sie das Empfinden, daß dieser Prozeß bei ihr innerhalb von fünf Tagen abgelaufen war. Sie fühlte sich wie ein anderer Mensch auf der Zellebene. Vielleicht war sie ein anderer Mensch.

Sie würde niemals mehr dieselbe sein.

Müde rieb sie sich den Nacken. Ihre Finger berührten die Narbe und sie ließ lustlos die Hand fallen. Natürlich würde sie nie mehr dieselbe sein. Sie hatte diesen verdammten Chip in ihrem Nacken, der sonst etwas auf Zellebene mit ihr tat, und möglicherweise andere Dinge, die sie sich nicht einmal vorzustellen wagte. Wie konnte sie bloß glauben, ihr Leben könnte auch nur den Anschein von Normalität haben mit einem elektronischen Gerät in ihrem Nacken wie eine verdammte...

Sie klatschte ihre Hand gegen ihren Nacken und saß absolut still.

Oh Gott.

Die Tür knarrte ein wenig und sie drehte sich um.

Mulder hielt an der Tür inne. Seine Augen waren müde und rot gerändert. Er sah um fünf Jahre gealtert aus. Sie hatte das Gefühl, sie ebenfalls.

Sanft legte sie Liam nieder und deckte ihn zu, dann stand sie langsam auf.  Ihre Beine waren eingeschlafen, sie zuckte zusammen, als die Nadeln sie stachen. Sie beugte sich herab und rieb sie und versuchte, das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen.

Mulder kam zu ihr herüber und stand da und schaute auf das schlafende Baby herab. Auf einmal drehte er sich um und nahm eines von Liams Spielzeugen in die Hand. Unsicher, was sie sagen sollte, beobachtete ihn, als er so still dastand, den Kopf über das Spielzeug gebeugt.

"Sag ihm Auf Wiedersehen," sagte er leise.

Ihr Herz begann in ihrer Brust zu hämmern.

Sie ging zur Wohnungstür, schloß sie und legte die Kette vor. Dann drehte sie sich um und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Ihre Hände zitterten, sie drückte sie flach gegen die Tür hinter sich, damit sie aufhörten zu zittern.

Die Kette mußte er gehört haben, aber er sah nicht auf. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen.

Scully schaltete das Licht aus.

Er sah sie immer noch nicht an.

Scully ging hinüber zu dem Baby, kniete neben ihm nieder und steckte die Decke und den weichen Überwurf dichter um ihn fest. "Gute Nacht, mein Kleiner. Schlaf gut," flüsterte sie ihm zu. "Ich liebe Dich." Dann beugte sie sich herunter und drückte ihre Lippen in sein Haar. Scully sah zu Mulder auf, der sie beobachte, seine Augen undeutbar in der Dunkelheit.

Nachdem sie dem Baby noch einen sanften Kuß gegeben hatte, stand sie auf und nahm das Spielzeug aus Mulders ruhelosen Fingern und legte es auf die Couch. Seine Finger waren wie Eis und er bewegte sich nicht, als sie seine Hand nahm und daran zog.

Noch einmal zog sie daran.

Nach einem Moment des Zögerns ließ er sich von ihr ziehen. Erleichterung durchlief sie und sie führte ihn ins Schlafzimmer und setzte ihn auf die Bettkante. Er beobachtete sie, als sie begann, ihr T-Shirt über den Kopf zu ziehen.

"Scuh-leee..." flüsterte er, gequälten Protest in seiner Stimme.

Eine Sekunde hielt sie inne, dann zog sie es trotzdem aus. Plötzlich hörte sie ihn hastig einatmen.

Mulder starrte auf ihre Rippen.

Scully sah herab. Die verletzte Haut schillerte häßlich violett-grün. "Du hast es nicht gesehen, als ich in der Wanne war?"

Langsam schüttelte er den Kopf.

"Es ist schon besser," sagte sie leise, dann gingen ihre Hände zum Bund ihrer Shorts, um sie auszuziehen.

Dabei beobachtete sie, wie seine Augen zu ihren Brüsten gingen. Er schloß sie fest.

"Ich kann das nicht tun," flüsterte er. Sie ließ ihre Shorts für den Moment an und nahm sein Gesicht in ihre Hände und küßte ihn auf den Kopf. Seine Haare waren kühl und rochen nach Salz und Nachtluft. Sein kühles Gesicht gegen ihre Brüste drückend hielt sie ihn dort fest.

"Bitte," flüsterte sie.

Ein bißchen zuckte sie zusammen, als sie seine kalten Hände an ihrer warmen Taille spürte. Dann schlang er seine Arme um sie und preßte sein Gesicht gegen ihren Bauch. Sie hielt ihn fest und streichelte sein Haar.

Endlich fühlte sie seine Lippen, die zart ihre verletzten Rippen berührten.

Sanft schob er sie zurück, stand auf und griff nach dem Lichtschalter, aber sie stoppte ihn mit einer Hand an seinem Handgelenk. "Ich möchte Dich sehen," flüsterte sie.

Mulder drehte sich um und sah sie an, sein Blick glitt über ihr Gesicht, blieb einen Moment an dem Bluterguß auf ihrer Wange hängen, wanderte weiter zu ihrem Mund und dann zurück zu ihren Augen. Sein Gesicht war sorgfältig dressiert, aber der Ausdruck in seinen Augen war elend. Er schloß die Augen, zog sie in seine Arme und atmete warm in ihr Haar aus. Ihre Arme um seinen Rücken schlingend legte sie ihr Ohr an seine Brust. Sein Herz schlug heftig.

Ihre Hände glitten über seinen Rücken unter sein feuchtes Hemd. Ihre Fingerspitzen registrierten die kühle, klebrige Haut an seinem Rücken und seine mageren Rippen.

Scully schmiegte sich enger an ihn.

Mulder ließ die Finger einer Hand in ihr Haar gleiten und rieb über ihre Kopfhaut. Sie drückte ihren Kopf zurück in seine Handfläche und sah ihn an.

Seine Augen waren ein wenig geschlossen, als er sie betrachtete.

Einen langen Augenblick sah sie ihn an, streckte sie ihre Hand aus und schob ihre Finger in sein Haar. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und packte sein Haar fest an der Wurzel. Sie zog seine Kopf herab und drückte ihre Lippen an seine. Er reagierte augenblicklich, seine Lippen, heiß, brennend und elektrisierend, bewegten sich hart auf ihren. Alles was sie unter Kontrolle gehalten hatte, löste sich in diesem Kuß, aber sie konnte ihm nicht nahe genug kommen. Ein kleines frustriertes Geräusch an seinem Mund kam von ihr.

Mulder stöhnte ebenfalls und seine Finger griffen ihr Haar fester, hielten ihren Kopf still, als er sie küßte.

Wie auch immer sie sich vorher geküßt hatten, dieser hier war anders.

Verzweifelt, sehnsüchtig, liebevoll.

Sie wollte seine Haut an ihrer. Ihre Hände glitten zum Saum seines Hemdes und schoben ihn hoch. Nur für einen Moment löste sie ihre Lippen von seinen, um es ihm über den Kopf zu ziehen.

Da zuckte er zusammen.

Scully zog sich ein wenig von ihm zurück und gab ein winziges Keuchen von sich. Die Haut an seiner Schulter war genauso häßlich violett und grün wie die an ihren Rippen. Oh Gott. Er mußte den Stoß des Baumes mit seiner Schulter abgefangen haben. "Oh, Mulder," sagte sie leise, drehte ihn herum und untersuchte die Knochen unter der geschwollenen Haut so zart, wie sie konnte.

Er reckte seinen Hals, um es sich anzusehen. "Es ist schon besser," sagte er, trotzdem konnte sie sehen, daß er versuchte, nicht zurückzuweichen, während sie an seinem Schlüsselbein entlang drückte. Sie sollten möglicherweise beide zum Röntgen gehen.

Mit plötzlicher Sicherheit erkannte sie, daß der Baum sie umgebracht hätte.  Sie hob ihre Augen zu seinen, aber er gab keinen Kommentar von sich, er sah sie nur an.

Ihr Blick fiel wieder auf die verletzte Haut an seiner Schulter, dann wanderte er tiefer. Sie untersuchte die Haut an seinem Rücken und drehte ihn herum, um seine Rippen und seinen Bauch zu untersuchen. Dann griff sie nach dem Bund seiner Shorts, schob sie herunter und zog sie ihm aus, um seinen Rücken noch einmal zu untersuchen. Es schien die einzige Verletzung zu sein, dem Himmel sei Dank.

Und dann waren seine Hände auf ihren Unterarmen, zogen sie zu sich herum und sein Mund war auf ihrem.

"Warum hast Du es mir nicht erzählt?" flüsterte sie an seinem Mund.

"Warum hast Du es mir nicht erzählt," flüsterte er zurück. Seine Hände waren am Bund ihrer Shorts und zogen sie ihr aus.

Plötzlich lagen sie auf dem Bett, er über ihr, sein ganzes Gewicht lag auf ihr.

Mit den Fingerspitzen zeichnete er ihr Gesicht nach, dann folgte er ihrer Spur mit seinen Lippen, langsam und gründlich. Er schob ihr das Haar aus dem Gesicht und küßte ihren Haaransatz, ihre Stirn, ihre Augenbrauen, ihre Ohren, ihren Kiefer, den Bluterguß auf ihrer Wange, ihr Kinn, ihren Hals und schließlich wieder ihren Mund.

Scully öffnete ihre Lippen und knabberte an seinen Fingern, nahm einen nach dem anderen in ihren Mund. Er ließ seine Fingerspitzen leicht über ihre Zähne und die Innenseite ihrer Lippen gleiten, als sie erst an jedem Finger, dann an seinem Daumen saugte. Sie biß zart hinein, leckte das Salz zwischen ihnen ab, dann saugte sie fest an dem fleischigen Ballen an der Wurzel seines Daumens.

Mulder zog seine Finger aus ihrem Mund und schob sie in ihr Haar. Er küßte sie hart, leckte über ihre Lippen, ihre Zähne und ihre Zunge.

"Zu schwer?" flüsterte er.

Er war zu schwer und sein Gewicht preßte sie fest auf das Bett, aber es fühlte sich wunderbar an.

Sie schüttelte den Kopf und biß in seine Unterlippe, zog sie in ihren Mund.

Mulder bewegte sich ein wenig und verlagerte sein Gewicht ein bißchen auf seine Unterarme, als er seinen Mund von ihrem löste, seinen Kopf duckte und Küsse über ihren Hals an ihrem Brustbein entlang zu ihren Brüsten placierte.

Scully stütze sich ein wenig auf ihre Ellbogen und beobachtete ihn, als er sie zwischen ihren Brüsten leckte. "Ptuth," machte er, ein kleines spuckendes Geräusch, und sie zog ihre Augenbrauen hoch.

"Sand."

Mulder hob seinen Kopf und erwischte ihren Blick. Sie sah ihn ein wenig verlegen an.

"Ich sollte duschen gehen."

Er legte seinen Kopf auf die Seite und betrachtete sie. "Ich liebe die Art, wie Du schmeckst," sagte er, senkte den Kopf und drückte seine Nase an ihre Brust. "Ich liebe die Art, wie Du riechst."

Aber Du sagst nicht, daß Du mich liebst, nicht wahr Mulder? Ich frage mich, warum nicht.

Mulder nahm eine Brustwarze in den Mund und saugte daran. Er schloß seine Augen, sein Gesicht an ihre Brust gekuschelt. Mit seinen geschlossenen Lidern und diesem Ausdruck von Konzentration erinnerte er sie sehr an Liam.

"Fester," flüsterte sie. "Es war fester."

Er steigerte den Druck und sie fühlte die plötzliche Antwort zwischen ihren Beinen. Das Gefühl, ihn zu bemuttern und ihn zu lieben war seltsam verwirrend. Sanft streichelte sie seine Wange. Er war so unglaublich lieb zu ihr. Er ließ von ihrer Brust ab, sein Gesicht war plötzlich sehr traurig.

Scully senkte den Kopf und nahm eine seiner Brustwarzen in den Mund. Sie hatte den scharfen salzigen Geschmack einer männlichen Brustwarze. Hart saugte sie daran. Er atmete aus. Sie blickte hoch, um zu sehen, wie er die Augen schloß und den Kopf nach hinten legte. Mit ihren Handflächen strich sie beruhigend über seine Brust, während sie mit ihrer Zunge seine andere Warze erreichte. Ihre Hand bahnte sich ihren Weg durch die Haare auf seiner Brust und über seinen Bauch. Ihr Mund wanderte tiefer und sie tauchte ihre Zunge in seinen Bauchnabel, ehe sie sie bis an den Rand seiner Schambehaarung gleiten ließ.

Ihre Hände glitten herum, um seine Pobacken zu umfassen.Sie drückte sie leicht, als sie ihre Nase in den Haaren über seinem Penis verbarg. Erst rieb sie die eine, dann die andere Wange an seiner Erektion, berührte sie kurz mit ihrer Nase, bevor sie ihren Mund näher an seine Hoden gleiten ließ. Nacheinander nahm sie sie in den Mund, um sie zu schmecken.

"Ich liebe die Art, wie Du schmeckst, auch," murmelte sie.

"Scuh-lee." Ihr Name war eine Stöhnen. Er faßte sie an der Taille und drehte sie herum, so daß er sie auch mit seinem Mund erreichen konnte. Sein Gesicht in ihren Locken konnte sie seine Zunge spüren, die ihre weichen Falten erforschte.

Ihre Zunge glitt über die Unterseite seiner Erektion und zeichnete die geschwollenen Adern bis zu seiner Spitze nach. Sie nahm seine Spitze in den Mund und saugte sie leicht, schmeckte ihn auch da. "Scuh-lee," stöhnte er wieder, sein Atem heiß an ihrer Feuchte. Seine Zunge fand ihre Klitoris. Er ließ sie leicht darüber gleiten, dann nahm er sie in den Mund und saugte daran.

"Mmmmmmphhh," keuchte sie leise, den Mund voll.

Seine Hand umschloß ihre Schulter und zog zart daran. Sie küßte seine Spitze, dann ließ sie sich von ihm herum und neben sich ziehen. Sein Gesicht war traurig, als er sie in die Arme nahm. "Wir wollten die ganze Nacht reden," flüsterte er.

"Wir reden doch." Sie drückte ihren Mund auf seinen und küßte ihn. Er küßte sie zurück, ihr Geschmack mischte sich mit seinem.

"Ich möchte jeden Zentimeter Deiner Haut schmecken."

Er rollte sie auf ihren Bauch und schob das Haar aus ihrem Nacken. Sein Gewicht von ihr abhaltend, kniete er über ihr und küßte ihren Hals entlang bis unter ihr Ohr. Sie konnte nichts dagegen tun, daß sie zurückwich, als seine Lippen sanft über die Narbe in ihrem Nacken glitten, um ihr Genick zu erreichen. Er hielt inne. "Tut es weh?" Sie schüttelte den Kopf.

Sie konnte das schwere und drängende Gewicht seiner Erektion an ihrem Gesäß spüren, als er die Linien ihres Rückens nachzeichnete.

Er küßte ihren Rücken und ihre Schulterblätter und ihre Rippen. Der Schatten seines Bartes kitzelte und ihr stockte der Atem mit jedem Kuß, den er ihr auf seinem Weg nach unten schenkte.

Mulder machte eine unerträgliche Pause. Scully drehte ihren Kopf zur Seite und beobachtete sein Bild im Spiegel an der Wand. Er schaute ihr Tattoo an.  Mit seiner Zunge zeichnete er es nach, saugte daran, dann verließ er es ohne Kommentar. Sein Mund bewegte sich in die Mitte ihres Rückens, glitt tiefer und über die Rundung ihres Gesäßes. Er war so auf ihre Haut konzentriert, als hätte er nie zuvor Haut gesehen. Sie konnte nicht anders, sie mußte lächeln, als sie ihn beobachtete.

Schließlich bewegte er sich an ihrem Rücken nach oben und drückte ihre Gesäß an sich. Nach vorn gebeugt preßte er seinen Mund hinter ihr Ohr.

"Warum dort?" flüsterte er. Seine Hüften bewegten sich an ihren. Sie wollte ihn ansehen, wenn sie mit ihm schlief, aber sie wollte dies hier auch. So bewegte sie sich unter ihm, öffnete sich für ihn.

"Warum was?"

Die Spitze seines Penis drückte gegen sie.

"Noch nicht," flüsterte er.

"Doch, ein bißchen," murmelte sie. Sie drehte sich ein wenig zur Seite und beugte ein Bein, um ihm mehr Zugang zu verschaffen.

Mulder stieß zu und sie spürte, wie er in sie glitt. Auf diese Art fühlte er sich anders an. Härter, länger. Sie stieß ihren Po gegen ihn.

"Warum wo?" fragte sie atemlos.

Hart stießen seine Hüften gegen sie. Er schob eine Hand unter sie, spreizte die Finger über ihrem Bauch, um sie kräftig an sich zu drücken. Nun bewegte er sich schneller. Einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Fünfmal stieß er in sie hinein. Hart. Sie keuchte laut. Plötzlich glitt er heraus und drehte sie auf den Rücken.

Schwer atmend nahm er sie in die Arme.

"Das fühlt sich zu gut an. Ich war dabei zu kommen. Einfach so." Er grinste und plötzlich wurde ihre Stimmung ein wenig leichter.

Sie lächelte. "Ich auch."

"Das ist in Ordnung." Seine Hand glitt zwischen sie und fand ihre Locken, bahnte sich ihren Weg hindurch, dann teilte er sie. Seine Finger begannen eine gemächliche Erkundung. "Aber noch nicht für mich."

Seine andere Hand glitt herab, um ihren Rücken zu liebkosen.

Ihre Hände legten sich um seinen Po und zogen ihn enger an sich.

Er atmete schwer. Sie konnte seinen Puls in seinem Penis fühlen, der an ihren Schenkel gepreßt war.

Ihre Hüften stießen ein wenig fester gegen seine Hand und ihre Brüste rieben sich an seiner Brust. "Nein? Du hast es in Singapore gut gemacht."

"Das war nicht ich, das war..."

"Das war was?"

"Das war ich."

"Das dachte ich."

Sie lächelten sich an, sein Lächeln war spitz und traurig. Er schloß die Augen und senkte seinen Kopf auf das Kissen.

Sie beobachtete ihn, als ihm allmählich der Atem stockte.

"Dein Tattoo."

"Mein Tattoo?"

"Warum dort?"

"Warum nicht dort?"

Seine Finger rieben sie immer noch leicht. Sie bewegte sich ein wenig mehr, um den Druck zu erhöhen und sie wurde so atemlos wie er.

"Da ist Platz in der Mitte der Schlange für meine Initialen, Scully."

Sie lachte leise. "Das Tattoo war nicht wegen Dir."

"Nein?"

"Nein."

Seine Handfläche glitt zwischen ihren Beinen hervor und sie unterdrückte ein Geräusch des Bedauerns. Seine Hand wanderte über ihre Hüfte und bedeckte das Tattoo. Er drückte es zart.

"Nein?" fragte er noch einmal.

Sie antwortete nicht.

Sein Atem beruhigte sich ein wenig. "In Ordnung, in Ordnung," sagte er, immer noch atemlos. "Ich glaube, ich kann es jetzt tun. Was ist mit Dir?"

"Jetzt," sagte sie.

Er bewegte sich über sie, beobachtete aufmerksam ihr Gesicht, dann stieß er in sie mit einer langen, glatten Bewegung.

Die Erregung, als er sie ausfüllte, ließ sie keuchen. Alle Luft wich aus ihren Lungen. Sie schlang ihre Beine um ihn und stieß ihre Hüften gegen seine. Ihr Rhythmus verstärkte sich und nun konnte sie kaum noch atmen.  Seine Finger hatten sie nahe an den Orgasmus gebracht und es würde nur noch einen Moment dauern, bis sie kam.

"Du läßt es mich wissen," flüsterte sie atemlos. "Nicht wahr? Wenn Ihr irgendwo seid. Wenn Ihr Euch niedergelassen habt."

Sein Ausdruck brach. Augenblicklich wünschte sie, sie könnte die Worte zurück nehmen. Sie erkannte, daß er darauf gewartet hatte, daß sie ihm sagte, er solle nicht gehen. Seine Stirn legte sich in Falten vor Verzweiflung und sein Kopf sank auf ihre Schulter.

"Ich kann nicht, ich kann nicht," flüsterte er, sein Gesicht an ihrem Hals.

"Mulder?" Sie hauchte seinen Namen und zog sich ein wenig von ihm zurück, versuchte sein Gesicht zu sehen.

"Ich kann Dich nicht verlassen. Ich kann nicht. Wenn ich in Dir bin, kann ich nicht einmal darüber nachdenken, Dich zu verlassen." Er stieß härter in sie.

"Shhh. Shhh." Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und hob ihre Hüften an, um seine zu treffen.

"Sie werden Dich beobachten. Du wirst nicht in der Lage sein, uns zu sehen."

"Ich weiß. Aber ich muß wissen, daß es Euch gut geht."

Er antwortete nicht.

Sie beruhigte ihre Hüften und schluckte schwer. "Mulder, bleib."

Er hob seinen Kopf und sah sie an.

"Nur eine Weile. Noch ein paar Tage. Eine Woche."

Er seufzte frustriert. "Ich möchte es, aber..." Sein Mund senkte sich, um ihren wieder zu fassen und rieb leicht über ihre Lippen. "Wenn ich es tue, werde ich nicht in der Lage sein, Dich zu verlassen." Wie um seine Worte zu betonen, stieß er hart in sie hinein. Ihre Lippen öffneten sich und sie keuchte in seinen Mund.

"Bitte," flüsterte sie.

"Er muß verschwinden, Scully," sagte er, seine Stimme plötzlich wild. "Du weißt es und ich weiß es."

Er griff zwischen sie und preßte das hämmernde Bündel Nervenenden, das ihre Klitoris geworden war und sie kam unerwartet und hart. Alles um sie herum wurde für einen Moment schwarz und ließ sie zitternd atmen, ihr Herz schlug in ihren Ohren. Er sagte ihren Namen und sie konnte ihn kaum hören.

"Scuhlee," flüsterte er noch einmal leise, dann war es still. Er glitt aus ihr heraus, rollte sich von ihr herunter und drehte sich weg von ihr.  "Versuch nicht jemand anderen aus mir zu machen, der ich nicht bin, Scully," glaubte sie zu hören.

"Was?"

Er war nicht gekommen. Sie war sich sicher.

"Mulder?" Sie streckte eine vorsichtige Hand aus.

"Ich sagte, ich kann das nicht tun. Ich meinte es."

Sie legte eine Hand auf seinen Arm und zog daran. Er würde sich nicht umdrehen, um sie anzusehen.

Sie kroch zu ihm hinüber und setzte sich rittlings auf ihn, drückte ihn so in die Matratze. "Nein," sagte sie wieder. "Du kannst was nicht? Du kannst mich nicht verlassen? Kannst nicht mit mir schlafen? Kannst mir nicht sagen, daß Du mich liebst?" Sie suchte ihn mit ihren Hüften und er glitt wieder in sie hinein. Sie sank auf ihn nieder und küßte ihn. "Ich versuche nicht, Dich zu jemand anderem zu machen. Dich," sagte sie. "Dich liebe ich."

Er kniff die Augen zu und stöhnte und preßte sich in sie. Er rammte sich wieder und wieder in sie hinein. Dann war er soweit. Sie fiel auf ihn und er biß die Zähne an ihrer Schulter zusammen. Sie hatte gerade noch genug Energie, eine Hand in sein Haar zu stecken und sein Gesicht an ihres zu ziehen, als er kam und dann lag sie still.

Nach einer Weile legten sich ihre Arme umeinander und hielten sich gegenseitig eng umschlungen. Er würde ihr nicht antworten, entschied sie.  Sie hatte nicht geglaubt, daß es möglich war, daß sie schlafen könnte, aber sie tat es, beinahe augenblicklich, ihn immer noch in sich, ein Bein immer noch um ihn geschlungen.

Scully war sich nicht sicher, was sie aufgeweckt hatte. Es war dunkel, er mußte das Licht ausgemacht haben. Er war noch hier, erkannte sie ängstlich, aber er war wieder von ihr weggerollt und war auf der anderen Seite des Bettes, mit dem Rücken zu ihr. Sie wußte nicht, ob er eingeschlafen war.  Das Bett bewegte sich ein wenig. Sie drehte sich um, um ihn anzusehen.

Zitterte er?

Er weinte, lautlos und heftig.

Still lag sie da und wußte nicht, was sie tun sollte. Endlich streckte sie ihre Hand aus und streichelte seine Schulter.

"Aber Du liebst mich nicht genug, um mit mir zu kommen, nicht wahr?" Seine Stimme war sehr leise und beinahe nicht erkennbar. "Sag, daß Du mit mir kommst... oder faß mich nicht an."

Er wartete.

Sie sagte nichts, aber sie nahm ihre Hand auch nicht weg.

"Wie kannst Du mich ihn mitnehmen lassen?" verlangte er leise. "Noch heute morgen hast Du mich wegen ihm angefleht."

"Mulder, weil," sagte sie leise, plötzlich Tränen in ihrem Hals. "Ich glaube, ich habe eine Wanze in mir."

Sie starrte auf seinen Hinterkopf bis sich schockiertes Verstehen in der Haltung seiner Schultern zeigte. Er drehte sich herum, um sie anzusehen, sein Gesicht voll bitterem Unglauben. Ihre Finger griffen unbewußt in ihren Nacken. Plötzlich sprang sie aus dem Bett und lief ins Badezimmer.

"Scully, warte!"

Scully riß so heftig an einer kleinen Schublade, daß sie herausflog und ihren Inhalt überall verstreute. Sie ließ die Schublade fallen und schnappte sich ein schmales Lederetui, das auf den Boden gefallen war.  Rasch öffnete sie es und zog ein rasiermesserscharfes Skalpell heraus. Sie senkte ihren Kopf, schob die Haare zur Seite und lehnte sich nach vorn. Im Spiegel versuchte sie, die kleine Narbe zu sehen.

"Scully, nein!" Mulder war plötzlich hinter ihr, er griff ihr erhobenes Handgelenk und sie riß ihre Hand weg. Von hinten legte er einen Arm um sie und versuchte, ihre rechte Hand festzuhalten. Sie entwand sich seinem Griff.

"Laß mich los, Mulder. Ich werde es herausschneiden."

"Nein, Scully! Das kannst du nicht! Das kannst Du nicht! Es hat Dich gerettet. Bitte, bitte, nicht."

"Wir wissen nicht, ob es mich gerettet hat. Vielleicht tötet es mich."

Sie schubste ihn wieder weg und hob die Hand mit dem Skalpell. Die Narbe konnte sie nicht richtig sehen und ihre Hände zitterten. Als sie das Skalpell an ihre Haut drückte, floß plötzlich ein leuchtender Streifen Blut über ihre Schulter.

"Nein! Verdammt noch mal!"

Er stürzte sich auf sie, ergriff ihr Handgelenk und drehte es herum. Sie ließ das Skalpell nicht los und er riß sie an sich.

Sie befreite sich.

Wieder griff er nach ihr, um sie aufzuhalten und sie trat auf eine Flasche mit irgendwas, verlor ihren Halt und stolperte gegen ihn. Sie fielen beide nach hinten auf den Boden und sie landete auf ihm. Schwer atmend hielt er sie fest. "Schneid es nicht heraus," keuchte er in ihr Haar. "Tu es nicht."

Sie kämpfte gegen seine Arme, versuchte sich zu befreien. "Mist," fluchte er und steckte seine Hand in den Mund. Versehentlich hatte sie ihn geschnitten.

Mulder hielt sie mit dem anderen Arm fest.

"Laß das Skalpell fallen."

"Nein! Ich werde es herausschneiden."

"Nein. Das kannst Du nicht."

"Ich kann."

"Versprich mir, daß Du es nicht herausschneiden wirst." Seine Stimme klang heiser.

Er drehte ihr Handgelenk um. Heftig. Es tat verdammt weh.

"Versprich es mir."

"Mulder, laß mich los. Du tust mir weh. Ich werde es tun."

"Nein! Warum, Scully? Warum? Warum glaubst Du, es ist eine Wanze?"

Er zog ein bißchen an ihr und hielt sie halb unter sich fest. Die Fliesen waren kalt an ihrer nackten Haut und eine Haarbürste drückte in ihre Hüfte.  Sie schnappte nach Luft. "All diese Wanzen. Alle an den Stellen, wo ich sitze, keine mehr als ein paar Zentimeter von dem Ding in meinem Nacken entfernt. Vielleicht belauscht es mich, wenn ich denke. Vielleicht läßt es mich denken." Sie brach ab. Nur eine Haaresbreite war sie davon entfernt, in Tränen auszubrechen. "Ich bin zu Plätzen gegangen und ich weiß nicht, wie ich sie gefunden habe."

"Warum hast Du mich nicht angerufen? Warum hast Du es mir nicht erzählt?"

Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen und sie öffnete ihre Hand. Das Skalpell fiel auf den Boden. Er ließ ihr Handgelenk los, hob das Skalpell auf und schleuderte es in die Ecke.

Sie legte ihre Stirn auf die kalten Fliesen. "Ich weiß es nicht," schluchzte sie. "Ich weiß es nicht."

"Oh, Scully," flüsterte er und setzte sich halb auf. Er zog sie mit sich und in seinen Schoß.

"Im Frühjahr. Ich wachte auf in meinem Auto im Staatsforst von Los Angeles mit rasenden Kopfschmerzen."

Mulder legte seine Lippen an ihren Hals und schaukelte sie schweigend. Sie mußte ihn nicht ansehen, um zu spüren, daß er nachdachte.

Scully drehte ihren Kopf herum. Seine Schläfe war an ihrem Mund und sie küßte die grauen Strähnen.

"Warum ich?" fragte sie. "Warum meine Eizellen? Warum das alles?"

Sein Gesicht spiegelte ihre innere Trostlosigkeit wider.

Er hob eine Hand und strich ihr sanft den Schweiß von der Stirn.

"Früher habe ich immer gedacht, daß ich es war," sagte er leise. "Alles wegen mir. Daß sie Dir diese Dinge angetan haben, um mich zu treffen. Aber nun... ich bin mir nicht so sicher."

"Was dann?"

Mit den Fingerspitzen klopfte er leicht gegen ihre Stirn.

Einen Moment war er still.

"Wenn der Chip nicht wäre, würdest Du dann mit uns gehen?"

Sie nickte.

Seine Arme schlossen sich plötzlich fest und schmerzhaft um sie.

"Versprich es mir," sagte er schließlich, sehr leise. "Du wirst ihn nicht rausschneiden."

Sie nickte wieder. Er hob seine verletzte Hand, dann preßte er die blutende Schnittwunde absichtlich gegen die blutende Schnittwunde an ihrer Schulter.

Heftig riß sie ihren Kopf herum. "Mulder, wer weiß, was in meinem Blut ist!"

"Shh," war alles, was er sagte und sie sahen beide zu, wie sich ihr Blut mischte. Sie sah auf und er starrte auf sie herab. Mit geschlossenen Augen preßte sie ihr Gesicht an seine Brust.

Einen Moment später zog er sich von ihr zurück. Unbeholfen stand er auf, half ihr hoch und brachte sie zurück ins Schlafzimmer.

Sein Gesicht verschwommen in der Dunkelheit, sah er auf sie herab.

Schließlich ließ er seine Hand sinken und ging aus dem Schlafzimmer.

Abrupt setzte sie sich auf die Bettkante und lauschte auf das Klicken der Wohnungstür. Für eine sehr lange Zeit herrschte absolutes Schweigen.

Das war kein Abschied, oder?

Dann hörte sie ihn sehr leise reden. Sie strengte ihre Ohren an. Er telefonierte mit der Fluggesellschaft.

Nach einer Weile wurde Liam unruhig. Sie hörte Mulders Stimme, die ihn beruhigte, dann eine Tür. Für einen Moment erstarrte sie, dann entspannte sie sich. Es war die Tür zu ihrem Balkon.

Scully stand auf und zog das am nächsten liegende Kleidungsstück an. Sein T-Shirt. Auf Zehenspitzen ging sie zur Tür, zog dabei das Hemd eng um sich in der kalten Luft. Sie hielt inne, der Geruch von feuchtem Sand und Salz... das Geräusch der Wellen... der Nebel war vollkommen weg... und der Mond... beinahe voll. Aber auch wenn ihre Sinne die Nacht aufnahmen, alles, worauf sie sich konzentrierte, war Mulder. Er stand am Geländer, schaukelte Liam und sah hinaus in die Nacht.

Er war angezogen.

Gott, er hatte sogar seine Schuhe an.

Schmerz schoß durch ihren Körper. So leise summte er dem Baby etwas vor, daß sie kaum die Melodie ausmachen konnte, aber... Er summte das Lied, das ihr Vater und ihre Mutter gesungen hatten, als sie ein kleines Mädchen war.

Scully konnte nichts dagegen tun, sie fühlte sich von ihm angezogen, wie von einem Magneten. Langsam trat sie hinter die beiden und legte ihre Hand auf seinen Arm. Er wich nicht zurück. Liams Augen waren geschlossen, sein Kopf lag an Mulders Brust, sein Mund war offen im Schlaf und er schnarchte leise. Scully legte ihre Arme um beide und drückte ihre Nase an das Baby.  Mit geschlossenen ließ sie Mulder beide schaukeln.

Glaubte er an so etwas wie Aura? In ihrer Aura zu sein, nährte das seine Seele genauso, wie es ihre nährte, in seiner Aura zu sein? Und nun war Liam auch hier. Sie konzentrierte sich und glaubte, sie spüren zu können. Ein bißchen mehr als die Wärme, die von dem Baby gegen ihr Gesicht strömte. Sie drückte sich ein bißchen enger heran und saugte sie auf. Und hoffte, daß er im Schlaf irgendwie ein bißchen von ihrer aufnahm.

Endlich hatte sie genug Kraft gesammelt, um sich zurückzuziehen. Sie löste ihre Kette mit dem Kreuz von ihrem Hals und legte sie Mulder um den Hals.  "Wenn er groß genug ist," flüsterte sie.

Sie preßte ihr Gesicht an Liam, "ich liebe Dich," dann zart nur für einen Moment an Mulder. "Ich liebe dich," flüsterte sie, ohne ihn anzusehen. Dann drehte sie sich um und ging zurück in ihr Schlafzimmer.

Scully lehnte sich gegen die Kissen und starrte in das Mondlicht, das über den Fußboden ihres Schlafzimmers wanderte, lauschte und hörte nichts. Und dann mußte sie im Sitzen eingeschlafen sein.

Als sie wieder erwachte, waren sie gegangen.

 

 

 

 

Teil 25

 

Scully konnte sich nicht erinnern, wie sie dahin gekommen war, aber sie war auf dem Balkon und preßte Liams Steppdecke an sich.

Sie war leer. Hohl. Zerbrechlich wie ein ausgeblasenes Osterei. Ihre Brust hohl, ihr Kopf hohl.

Leere.

Nichts.

Sie fiel zu einem Haufen auf der Liege zusammen, ihre Nase in der Steppdecke, als sie sie an ihre Brust drückte und rollte sich um die Decke zusammen. Lag da, fühlte nichts, hörte nichts, weinte nicht.

Schließlich bemerkte sie, daß die frühe Morgensonne auf die nackte Haut ihrer Waden brannte. Langsam hob sie ihren Kopf, sie fühlte sich so empfindlich, daß wenn sie sich bewegte, sie zerbrechen würde. Mühsam schob sie sich von den Kissen hoch und ging hinein. An der Tür blieb sie stehen.

Leer.

Weiß. Hohl.

Immer noch hielt sie die Steppdecke fest. Sie rieb die glatte Baumwolle zwischen ihren Fingern, dann legte sie sie sorgfältig zusammen, trug sie zum Schrank und legte sie weg.

Scully ging ins Badezimmer und mußte über die Toilettenartikel hinweg steigen, die noch immer über den Boden verstreut waren. Blutstropfen waren auf den weißen Fließen verspritzt. Ihr Blick fiel auf das Skalpell in der Ecke und sie bückte sich, um es aufzuheben. Ihr Finger glitt über das getrocknete Purpurrot auf der Schneide und im Spiegel traf sie ihre Augen.  Ihre Haut war kreidebleich. Ihre Augen waren groß, ihre Pupillen riesig, um die Augen lagen dunkle Ringe und der Bluterguß schien schlimmer zu werden anstatt besser.

Sie war sich des Chips in ihrem Nacken so bewußt, daß sie glaubte, sie könnte in schmerzen fühlen.

Das Metall des Skalpells fühlte sich kalt an ihrer Haut an. Die Schneide war so scharf, es würde nicht wehtun. Nur ein bißchen mehr Druck und das Blut würde herunterlaufen... rot... warm... in das Waschbecken.

Scully blickte herunter.

Im Waschbecken lag, in einem feuchten Haufen, Liams roter Strampler.

Nein.

Ihre tauben Finger entkrampften sich und das Skalpell fiel mit einem dumpfen Klang auf das Waschbecken.

Sie beugte sich nach vorn und drückte ihre Finger in den Strampler, lehnte sich hinein, nahm das Gefühl des feuchten krausen Materials in sich auf.

Schließlich drehte sie den Wasserhahn auf und spülte ihn langsam und methodisch aus, dann drehte sie sich um und breitete ihn zum Trocknen auf einem Handtuch aus. Sich abwendend ging sie zurück zum Schrank, nahm die Decke heraus und brachte sie ins Schlafzimmer. Sie ließ sich auf das Bett fallen, griff nach Mulders Kissen und drückte beides an ihr Gesicht, das Kissen und die Decke. Das Kissen war noch feucht von seinen Tränen, es roch nach ihm. Die Decke roch nach Liam.

Lange Zeit saß sie einfach nur mit geschlossenen Augen da.

‚Was zur Hölle machst Du da, Dana?'

Heftig drehte sie ihren Kopf herum. Das Foto von Melissa sah sie von der Kommode her an. Ihr Blick glitt vom anklagenden Ausdruck ihrer Schwester weg und automatisch suchten ihre Augen das Bild von Mulder, dann das von Emily.

Sie atmete schnell ein. Noch nicht einmal ein Foto hatte sie von Liam. Der Umschlag mit allem war in Mulders Tasche gewesen. Die medizinischen Berichte. Das Neugeborenenfoto. Die Kamera. Alles.

Die Trauer, die sie so gut aus ihren Gefühlen verdrängt hatte, verbrannte sie.

Was zur Hölle machte sie da? Sie saß hier, unfähig zu glauben, daß er gegangen war.

Hatte er so empfunden, als sie im Januar gegangen war?

Kein Wunder, daß er ihr niemals vergeben hatte.

Sie preßte ihr Gesicht zurück in sein Kissen.

Was zur Hölle machte sie? Sie würde... sie würde hier sitzen bis sie es fertigbrachte, Skinner anzurufen und irgendwie zu erklären, was mit Mulder geschehen war. Dann würde sie ihn nach den X-Akten fragen. Zurückgehen.  Diese Teufel jagen und sie alle wegpusten.

Es sei denn...

Scully wollte nicht nach D.C. zurückgehen. Sie wollte Mulder und Liam folgen.

‚Dann folge ihnen.'

Ich kann nicht. Der Chip.

‚Schneide ihn heraus.'

Ich kann nicht. Wenn der Krebs zurückkommt... und Mulder... ich kann den Chip nicht herausschneiden.

"Dann hör auf zu sagen, Du kannst nicht und beweg Deinen Hintern, um herauszufinden, wie Du ihn stillegen kannst. Du weißt, was Du willst.  ENDLICH. Tue etwas dafür.'

Scully sah zurück zu Melissas Foto. "Gott, Missy, ich vermisse Dich," sagte sie laut.

Gott.

Wie weit war sie in fünf Tagen gekommen?

Fünf kurze Tage und sie war bereit, alles fallen zu lassen und ihnen zu folgen. Sie wollte alles fallen lassen und ihnen folgen...

Ihm.

Ihr Blick fiel auf das Foto von ihrer Familie. Ihre Mutter und ihr Vater lächelten einander über die Köpfe ihrer vier Kinder hinweg zu.

Ist es das, Mom? Ist es das, warum Du Dad durch die ganze Welt gefolgt bist?

Ihrer Mutter gegenüber hatte sie es nie geäußert, aber sie hatte diese Art von Liebe im Stillen immer gleichgestellt mit Schwäche. Zuviel Gefühl bedeutete Schwäche. Starke, unabhängige, erfolgreiche Frauen geben sich nicht der Liebe hin. Immer hatte sie geglaubt, jemanden so sehr zu lieben war eine Schwäche.

Ihn so sehr zu lieben aber gab ihr Kraft.

Ja, da war Liam, und ja, sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Körpers, und ja, die wichtigste Sache für sie beide war, ihn in Sicherheit zu haben, aber die Wahrheit war... sie wollte Mulder. Sich auch nur eine Sekunde lang einzubilden, sie könnte einfach ihr Leben weiterleben ohne ihn, war Wahnsinn. Er war ihr Leben und Liam war ihr Leben und sie gehörten alle zusammen.

Sie konnten jedoch nicht zusammensein, außer ihr fiel etwas gegen diesen verdammten Chip ein.

Scully ging in die Küche und stand vor der Tür des Kühlschranks. Es dauerte einen Moment, bis sie es fertigbrachte, die Tür aufzureißen.

Die Wanzen waren fort.

Sie zitterte leicht und spürte, wie sich die Haare in ihrem Nacken aufrichteten. Plötzlich hatte sie das Empfinden, daß wenn sie sich schnell herumdrehen würde, Missy hinter ihr stehen würde. Sie wirbelte ihren Kopf herum, dann seufzte sie. Nichts. Aber...

Sie keuchte flach.

Auf ihrem Schreibtisch lag die Einwegkamera und obenauf der Ring, darunter der Umschlag, der die medizinischen Berichte enthielt.

Scully schüttelte die Papiere auf den Schreibtisch. Griff nach dem Ring, als er begann wegzurollen und schob ihn auf ihren Finger. Da war das Neugeborenenfoto von Liam, sie küßte es und lehnte es dann gegen ihre Lampe.

Die beiden transparenten PCR-Blätter von ihr und Liam lagen obenauf.

Automatisch legte sie sie übereinander und hielt sie gegen das Licht.  Natürlich hatte Mulder gewußt, daß sie sie haben wollte. Natürlich hatte er sie dagelassen. Er dachte sich, daß sie hierbleiben würde, die effiziente kleine Wissenschaftlerin, die sie immer war, und Nachforschungen anstellen.  Die Stammzellenprobe überprüfen. Das alles begreifen. All die Antworten haben, wenn er sie an irgendeinem Punkt kontaktieren müßte.

Nicht dieses Mal. Das letzte, was sie tun wollte, war im Labor zu sitzen, während er mit Liam ans Ende der Welt lief.

Zum Teufel mit dem Chip. Sie würde auch gehen.

Zwischen den beiden wäre sie in der Lage, zu begreifen, was zur Hölle zu tun war. Sie würden beide ihren Verstand gebrauchen und sich etwas überlegen. In der Zwischenzeit mußte sie die beiden schnell erwischen. Wie lange waren sie weg? Eine Stunde? Zwei? Sie stopfte die Papiere zurück in den Umschlag.

Schließlich nahm sie das Telefon, wählte seine Handynummer und betete, daß sich die Nummer nicht geändert hatte.

Ihre Finger verweilten auf den Transparentblättern. Mulder hatte sie nicht einfach dagelassen, damit sie sie studieren konnte. Er wußte, daß sie ihr soviel wie eine Fotografie bedeuteten. Tatsache war, daß sie einen Kloß im Hals fühlte, als sie sie nun einfach ansah, die zueinander passenden DNA-Strukturen, die ihre Augen nun rasch überprüften...

Mist. Warum hatte sie das nicht vorher gesehen?? Das paßte definitiv nicht zusammen... Was?

Ihr Blick flog zum oberen Rand des zweiten Blattes. Fox William Mulder.

Männlich. Kaukasier. Alter 36.

Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte sie sich schwindelig.

Aber dann glitten ihre Augen über die Seite...

Einiges paßte.

Einiges nicht.

Eine Bandansage der Mobilfunkgesellschaft drang an ihr Ohr und sie warf den Hörer auf die Gabel.

Dann schüttete sie den Rest der Papiere aus dem Umschlag und wühlte durch die Seiten vor ihr, bis ihr sein Name wieder ins Auge fiel. Es waren die Schlußfolgerungen des Labors aus dem Vaterschaftstest:

"Der vermutliche Vater, Fox William Mulder," las sie mit ihrem Herz in der Kehle, "wird als biologischer Vater des Kindes Liam Scully ausgeschlossen.  Dem vermutlichen Vater fehlen die genetischen Merkmale, die das Kind von seinem biologischen Vater übernimmt. Auf der Grundlage einer ungenügenden Anzahl von Übereinstimmungen in den Testergebnissen, die aus 21 verschiedenen DNA-Proben stammen, kann eine Beteiligung nicht positiv bestimmt werden, deshalb liegt die Wahrscheinlichkeit einer Vaterschaft bei 0,0%. Der hohe Prozentsatz übereinstimmender Merkmale weist auf ein Familienmitglied als biologischem Vater hin. Genetische Tests am Vater oder Bruder des vermutlichen Vaters werden empfohlen."

Die Seiten glitten ihr aus den Fingern. Sie fühlte alles Blut aus ihrem Kopf weichen und packte die Schreibtischkante fest, um stehen zu bleiben.

Oh Gott.

Oh, lieber Gott.

Sie machte einen langen zitternden Atemzug.

Oh Gott, armer Mulder... er wußte das die ganze Zeit. Warum um alles in der Welt hatte er nur daran gedacht, das zu prüfen?

Schock, Unglauben und Enttäuschung trafen sie hart. Sie würde alles dafür geben - ALLES - wenn die Papiere vor ihr etwas anderes sagen würden.

Irgendeine Verbindung zu Sam...? In Ordnung. Aber daß Liam Mulders Bruder sein könnte? Sie sollte denken, daß es wunderbar wäre, wenn sie miteinander verwandt wären, statt dessen war sie entsetzt.

Gott sei Dank war Mulder nicht da und konnte ihr Gesicht nicht sehen.  Deswegen hatte er es ihr nicht persönlich gezeigt, begriff sie. Ihre Reaktion würde ihm wehgetan haben. Sehr weh. Er hatte geahnt, was sie empfand.

Wieder schaute sie auf die Papiere und versuchte, ihren Kummer unter Kontrolle zu bekommen.

Siebzehn Übereinstimmungen bei 21 Proben? Es waren die vier, die nicht übereinstimmten, die seine Vaterschaft ausschlossen. Diese vier waren es, auf denen die Ergebnisse des Labors basierten.

Sie könnte seine Mutter anrufen und unter irgendeinem Vorwand eine Blutprobe bekommen. Wenn irgendeine der DNA-Proben mit ihrer übereinstimmte, konnte Mulder nicht sein Bruder sein. Und vielleicht könnte sie nach Marthas Vineyard fahren. Sicherlich gab es da irgendwelche Spuren von seinem Vater, ein paar Haare, die im Bad zurückgeblieben waren oder so etwas. Sie könnte es herausfinden. Genau herausfinden, wessen...

Plötzlich verschwamm die Information vor ihr, als sie ihre Tränen fortblinzelte.

Verdammt. Warum um alles in der Welt würden sie so etwas tun? Mulder ein Baby in Aussicht stellen, das ihres war und beinahe - aber nicht ganz - seines.

Ihre Augen hielten wieder an den Vaterschaftsmerkmalen fest, an denen, die nicht übereinstimmten. Dann überprüfte sie noch einmal rasch das andere Blatt.

Was zur Hölle?

Hastig nahm sie den Hörer ab und wählte die Nummer des Labors.

"Hier ist Dr. Dana Scully. Ich brauche einige weiterreichende Informationen zu den Ergebnissen eines Vaterschaftstests, der von Ihrem Labor durchgeführt wurde. Ich muß diese Informationen sofort haben." Es dauerte nur eine Minute und sie hatte jemanden am Hörer, der ihr helfen konnte. Und dankbarerweise hatte Mulder ihren Namen angegeben, damit sie Zugang zu den Berichten bekam.

"Ich verstehe, ja," sagte sie, nachdem sie der Erklärung gelauscht hatte.  "Ich dachte, es wäre seltsam, daß die vier nicht übereinstimmenden Merkmale identisch schienen. Wie groß ist die Chance eines zufälligen Auftretens?" Sie hörte zu, dann schluckte sie schwer. "Danke." Ihre Stimme weigerte sich, korrekt zu arbeiten und sie schluckte noch einmal. "Danke für die Prüfung der numerischen Längen," brachte sie heraus. "Nein, im Moment nicht. Ich bleibe in Kontakt. Danke."

Vorsichtig legte sie den Hörer wieder auf die Gabel.

Sie atmete so flach, daß sie befürchtete, sie würde hyperventilieren.  Plötzlich überschlugen sich ihre Gedanken so rasant, daß sie schließlich kaum atmen konnte.

Oh Gott.

Oh mein Gott.

Ist es sicher, daß die beiden Emotionen freudige Erregung und Entsetzen nicht gleichzeitig in einer Person existieren können? Aber beide rasten gerade jetzt durch ihre Adern.

Scully rannte in ihr Schlafzimmer und zog sich die Shorts an, die auf einem Haufen neben dem Bett lagen. Sie schob ihre Füße in ihre Sandalen, rannte zurück in ihr Arbeitszimmer und stopfte die Papiere wieder in den Umschlag.  Den Umschlag und die Kamera an sich nehmend, griff sie nach ihrer Tasche und war schon aus der Tür.

Ein leuchtend buntes Ding auf der Fußmatte vor der Tür fiel ihr ins Auge.

Liams Binky. Sie schnappte ihn und rannte hinaus zu ihrem Auto.

Auf der Fahrerseite blieb sie plötzlich stehen, ihre Hand einen Zentimeter vom Türgriff entfernt. Sie flog herum. Mit Mulder und Liam irgendwo in dieser Welt würde sie es nicht riskieren, in Stücke gerissen zu werden. Das einzige andere Auto auf dem Parkplatz war das erlesene türkisfarbene Caddy Cabrio vom King. Eine Sekunde später hämmerte sie an seine Tür.

Er sah ernsthaft aus, als hätte er einen Kater.

"Ich brauche Dein Auto. Ich bringe es bald zurück," befahl sie ihm atemlos.  Ihr verschlafener Nachbar zog nur seinen zebrafarbenen Morgenmantel fester um sich und nickte in Richtung Schlüssel auf dem Tisch neben der Tür. Sie schnappte sie sich und rannte davon.

Als sie die Gasse hinunterraste, sah sie auf die Autouhr. Um sechs Autos, die an der Ampel warteten, fuhr sie herum, dann raste sie um die Ecke, wobei sie auf dem glatten weißen Ledersitz umherrutschte. Sie hing über dem Lenkrad und jagte in Richtung Flughafen, der V*8 rasierte den Bordstein ab.  Welche Fluglinie hatte er genannt? Delta. Acht Minuten später traf sie am Flughafen von L.A. ein. Mit quietschenden Bremsen hielt sie in der Halteverbotszone, zeigte einem überraschten Cop ihren Ausweis, rannte in die Abflughalle und überprüfte die Menge. Vor einem Monitor hielt sie an.

Flug 1025. Der einzige Flug so früh nach Dulles. Abfertigung. Ausgang 42A.

Sie raste den Terminal entlang, hielt ihren Ausweis hoch. Augenblicklich war sie augenblicklich beim Sicherheitsdienst. "Ein Mann mit einem Baby?" forderte sie atemlos. Der Sicherheitsbeamte zuckte mit den Schultern.

Es schien eine Meile bis zum Ende des Terminals zu sein und als sie den Ausgang erreichte, war er geschlossen.

Das Flugzeug verließ gerade seine Position.

Verdammt.

Verdammt. Verdammt. Verdammt.

Sie preßte ihr Gesicht gegen die Glasscheibe und sah zu, wie das mächtige Flugzeug durch den winzigen Jeep herumgedreht wurde, dann sah sie ihm nach, bis es außer Sichtweite war.

Langsam ging sie zu den Telefonzellen. Sie drückte seine Nummer ein. Diese Nummer hatte sie seit sechs Monaten nicht mehr gewählt, aber sie tat es ohne nachzudenken.

"Ruf mich an." Ihre Stimme war atemlos. Sie atmete tief ein, um sie zu festigen. "Ruf mich an... ruf mich an." Dann hängte sie ein.

Tatsache war, daß er wahrscheinlich nicht zurück nach Washington gehen würde. Er würde vermutlich direkt von hier aus untertauchen. Sein Telefon war sicherlich verwanzt und ihres ebenfalls. Er hatte es geahnt.  Wahrscheinlich war er nicht einmal in diesem Flugzeug.

Sie waren fort.

Auf dem Parkplatz wartete sie, bis das 30-Minuten-Fotolabor öffnete. Wie ein Falke beobachtete sie jede Bewegung des Technikers. Eine einzelne Träne lief ihr über das Gesicht. Die Frau an der Kasse sah sie mitfühlend an, als sie bezahlte.

Im Auto schaute sie schnell die Fotos durch. Sie fühlte sich beinahe krank vor Erleichterung. Zwei perfekte von Liam. Und - wenn es gut geworden wäre - eines mit allen drei, als sie vor der steinernen Statue des Merlion-Brunnens am Flußufer in Singapore standen. Sie hatten es beide irgendwie geschafft, den Touristen anzulächeln, der das Foto von ihnen gemacht hatte. Und sie sahen aus - sie unterdrückte ein kleines Schluchzen - wie eine Familie.

Langsam sah sie sie noch einmal durch. Die meisten waren von ihr und Liam oder von ihr allein. Daß er all diese Fotos gemacht hatte, hatte sie nicht gewußt.

Diese Fotos hatte er für sich gemacht.

Scully startete das Auto und fuhr langsam zurück zu ihrem Apartment.

Adrianna war auf dem Parkplatz und werkelte am Motor ihrer Harley herum.  Sie trug schwarze Gummisachen und passende Plateausandalen. Ihre langen Haare waren mit einem glitzernden "Ich träum von Jeannie"-Band auf ihrem Kopf zusammengebunden.

"Hey Dane." Sie sah von dem makellosen Chrom auf.

Scully stieg langsam aus dem Auto. "Hey."

"Du hast all die Aufregung verpaßt." Ihr Lächeln verschwand, als sie in Scullys Gesicht sah.

"Welche Aufregung?"

"Das FBI-Bombenkommando war hier und hat Dein Auto kontrolliert. Sie haben den ganzen Block evakuiert.

Scully wirbelte herum und sah nach ihrem Auto.

Es war weg.

"Es war sauber, aber sie haben es mitgenommen."

Scully schluckte ein Schluchzen herunter und preßte ihren Handrücken an ihren Mund.

"Oh, nein. Der letzte Strohhalm?" fragte Adrianna mitfühlend. "Noch mehr Ärger mit dem Fuchs?"

Scully nickte.

"Ihr zwei geht zusammen zurück?"

Scully zog nur die Schultern hoch.

"Wer schiebt hier wen ab?" Adrianna sah sie mitfühlend an.

Scully schüttelte wieder den Kopf.

"Ohne ihn bist Du besser dran."

Scully schüttelte den Kopf heftiger.

Adrianna seufzte. "Gut, wenn Du ihn wirklich behalten willst. Mein Angebot steht. Ich halte ihn für Dich fest..."

Scullys Lippen verzogen sich traurig. "Sie sind gegangen - für immer - vor ein paar Stunden."

Adrianna zog eine dramatisch nachgezogene Augenbraue hoch. "Er war einer von denen, die das Bombenkommando beaufsichtigt haben. Er sitzt vor Deiner Wohnungstür... Dane? Dane!"

Scully nahm immer drei Stufen auf einmal auf dem Weg nach oben.

Auf dem Treppenabsatz stoppte sie plötzlich. Ganz sicher. Er war da. Liam zappelnd und unruhig in seinem Schoß. Abrupt stand er auf.

"Hey," sagte sie atemlos. Tränen begannen in ihren Augen zu brennen und sie biß sich auf die Lippe. Gott, hatte sie nicht bereits genug geweint?

"Hey," erwiderte Mulder leise, seine Augen auf ihrem Gesicht, sein Ausdruck vorsichtig, als er ihr das Baby übergab. Liam seufzte befriedigt und kuschelte sich an sie. Sie senkte den Kopf und ließ ihr Haar nach vorn fallen, um ihr Gesicht zu verdecken.

"Hey, Liams," murmelte sie und umarmte ihn fest.

Das Baby sah sie mit gekräuselten Augen an. "Da-da da-da-da," machte es zufrieden und lächelte. Ein großes schönes Lächeln. Oh mein Gott, dachte sie, ihr Blick wanderte schnell über die Form seiner Augen, seiner Augenbrauen, die Linie seiner Wangen. Die Wahrheit hatte sie die ganze Zeit angestarrt und sie hatte sie ignoriert. Sie umarmte Liam ein wenig fester und wagte einen Blick zu Mulder. Er sah sie von oben bis unten an, immer noch vorsichtig. Sie bemerkte, daß er sein T-Shirt an ihr und den Packen Fotos in ihrer Hand in sich aufnahm. Sein Blick verweilte auf dem Umschlag mit den medizinischen Berichten, dann wanderte er hoch, um ihre Augen zu treffen.

Sie sagten gar nichts für ein paar unbequeme Momente und forschten nur in den Augen des anderen.

"Wir haben den Binky vergessen," sagte er schließlich verlegen.

Sie nickte. Liam jonglierend, holte sie ihn aus ihrer Tasche und hielt ihn Mulder hin.

"Keine Chance, daß ich dumm genug bin, ohne Binky in ein Flugzeug zu steigen," sagte er und nahm ihn, seine Finger berührten ihre für den elektrisierenden Bruchteil einer Sekunde. Sie legte ihre Finger wieder um Liam, um die Tatsache zu verbergen, daß sie nicht gerade ruhig waren.

"Ich muß ihn saubermachen," sagte er.

Wieder nickte er.

Er nahm ihr die Schlüssel aus der Hand, die schnelle Berührung versetzte ihrer Haut einen weiteren Schlag und seine Augen hielten ihre für eine kurze strahlende Sekunde fest. Dann drehte er sich rasch von ihr weg, um die Wohnungstür aufzuschließen.

 

 

 

 

Teil 26

 

Mulder verschwand in der Küche und sie ließ sich mit einem Plumps auf der Couch nieder, Liam in ihrem Schoß. Sie steckte ihre Nase in Liams Haar und atmete den Babyduft tief ein. Starke Erleichterung schien das Blut in ihren Adern ersetzt zu haben.

"Hey, Tweety," flüsterte sie ihm zu. "Hast Du mich vermißt?" Liam griff nach ihrem Haar und versuchte, es in den Mund zu stecken.

"Da-da-da," sagte er, glücklich mit ihrem Haar.

Scully lachte leise. "Ich bin Mami," sagte sie. "Ma-ma-ma. Du wirst es früher oder später lernen müssen zu sagen. Ma-ma-ma."

Mulder hockte sich neben die beiden und hielt den sauberen Schnuller hin.

"Hier, Buddy," sagte er zu dem Baby und legte seine andere Hand warm auf ihr Knie, nur ganz leicht, aber sie hatte das Gefühl, das er sich selbst damit beruhigte, daß sie auch wirklich da war.

Liam lachte glücklich, als er seinen Nuckel sah, nahm ihn geschickt aus Mulders Hand und versuchte, ihn in den Mund zu stecken. Der Nuckel fiel herunter und Liams Gesicht fiel zusammen, fertig zum Schreien.

Scully hob ihn auf und steckte ihn in seinen Mund. "Hier ist er."

Er begann, kräftig zu nuckeln, seine Augen schlossen sich ein wenig in offensichtlichem Genuß und er entspannte sich in ihren Armen. Sie drehte sich zu Mulder.

Er beobachtete sie, nicht das Baby.

"Sieh ihn an, Mulder. Er ist süchtig nach diesem Ding."

Mulder nickte, immer noch ohne das Baby anzusehen.

"Verkaufen sie keine Binkies am Flughafen?"

"Nicht den, den wir brauchten." Er neigte seinen Kopf ein wenig und atmete tief ein. "Scully... ich bin zurückgekommen, um Dich anzuflehen."

Sie wartete.

"Liam nehmen und irgendwo hingehen ohne Dich? Das wird einfach nicht passieren. Ich wünschte, ich könnte sagen, daß ich weiß, was wir wegen dem Chip machen können. Ich weiß es nicht. Es ist möglich, daß die Wanzen irgend etwas damit zu tun haben, daß sie Sender oder Empfänger oder irgend etwas sind und daß sie ein paar Zentimeter von Deinem Nacken entfernt sein müssen. Deshalb habe ich sie hier herausgebracht. Ich habe sie per Expreß in ein Labor nach D.C. bringen lassen und wir werden sie analysieren und genau herausfinden, was sie sind. Frohike hätte es schneller machen können, aber Langly war zu paranoid, er wollte sie nicht bei ihnen haben."

Sie tauschten ein kurzes Grinsen und er streichelte die nackte Haut an der Innenseite ihres Knies ein wenig mit seinen Fingerspitzen, was sie erschauern ließ. Sie mußte ihn auch berühren. Ihre Finger wanderten zu seinem Kiefer. Dort spürte sie die Stoppeln seines Bartes, dann begann sie langsam die Linie seiner unrasierten Wange nachzuzeichnen. Er drückte sein Gesicht ganz leicht gegen ihre Finger.

"Wenn es sich um Radiowellentechnologie handelt, können wir ihnen entkommen. Aber es sieht mehr danach aus, daß der Chip per Satellit kontrolliert wird. In dem Falle sind wird wir festgenagelt. Aber ich kann nicht weggehen... ich kann nicht untertauchen... ihn mitnehmen...  irgendwohin... ohne Dich. Du mußt mit uns mitkommen. Trotz des Chips." Er hielt inne. "Sag, daß Du mit uns gehst. Andernfalls habe ich bereits mit Deiner hochgewachsenen Nachbarin von unten abgemacht, daß sie mir hilft, Dich zu fesseln."

Ihre Finger beendeten die Verfolgung seiner Kinnlinie, dann strichen sie über seine Oberlippe. "Du hast das gehört?"

Seine Lippen bewegten sich ein wenig und ihr Finger zeichnete die Rundung nach. Er preßte seine Lippen an ihren Finger. "Super-Gehör. Entweder Du kommst mit uns oder wir bleiben hier." Sie liebkoste seine Lippe ein letztes Mal sehnsüchtig, dann ließ sie ihre Hand sinken und legte ihre Finger um seine Hand auf ihrem Bein.

"Ich komme mit," sagte sie leise.

Er atmete heftig aus. Der angespannte Ausdruck auf seinem Gesicht wich einem Ausdruck von Erleichterung und Hoffnung. Er lehnte sich zu ihr. "Hast Du etwas über den Chip herausgefunden?"

Natürlich glaubte er, daß sie irgendeinen Beweis hatte, der nachwies, daß es sicher sein würde.

Ganz leicht schüttelte sie den Kopf und ihre Finger bedeckten die Narbe in ihrem Nacken.

Seine Augen bewegten sich rasch, um ihrer Hand zu folgen. Er stand auf und schob ihr Haar von ihrer Schulter, dann nahm er ihre Hand beiseite. Er machte ein ungläubiges Geräusch.

Scully reckte ihren Hals, um etwas zu sehen. Da war Blut auf dem T-Shirt.  "Scuh-leee," hauchte er kaum wahrnehmbar ihren Namen, seine Stimme voller Angst. Er schob den Halsausschnitt des T-Shirts weg und entdeckte nur die kleine Wunde, die sie sich in der Nacht zuvor zugefügt hatte.

"Ich habe darüber nachgedacht," sagte sie, ihre Stimme schwach.

Er runzelte die Stirn, sein Daumen strich zart über den Schorf an der Wunde.

Scully rieb ihre Wange an seinem Handrücken. "Ich habe es Dir versprochen," erinnerte sie ihn.

Mulder sah so aus, als wollte er etwas sagen, aber dann zuckten seine Wimpern und er gebot sich selbst Einhalt. Er sah erleichtert aus, aber er war noch durcheinander, als er sich auf den Rand der Couch neben sie setzte. "Scully... Du wußtest, daß ich nicht von Dir weggehen konnte, nachdem was Du mir gesagt hast, nicht wahr?"

Sie drückte ihre Zähne in ihre Lippe. Seine Augen verweilten auf ihrem Mund, dann bewegten sie sich nach oben zu ihren Augen. Fragend zog er die Augenbrauen hoch, als sie nicht antwortete.

Erst schüttelte sie den Kopf, dann nickte sie.

In einer Sekunde saßen sie noch dreißig Zentimeter voneinander entfernt und in der nächsten drückten sie sich eng aneinander. Das ist es, dachte sie.  Ich werde keinen von Euch jemals wieder gehen lassen.

"Zerdrück ihn nicht, Scully."

"Das tue ich nicht."

"Wir haben es nicht einmal bis zum Flughafen geschafft, nicht wahr Liam?" Das Baby machte ein fröhliches blubberndes Geräusch, als Mulder sie alle drei bequemer hinsetzte. "Hörst Du das? Er sagt nein," sagte er stolz. "Wir sind einfach hier herumgelaufen und haben versucht herauszufinden, was zur Hölle wir tun sollen." Er war einen Moment still, als er in ihren Augen forschte, dann lächelte er sie ein wenig an. "Wußtest Du, daß es einen 24-h-Tattoo-Shop unten am Strand gibt?"

"Mulder, Du hast doch nicht etwa," protestierte sie ahnungsvoll. Typisch Mulder, zu versuchen, sie aufzumuntern. Sie wußten beide, die Chancen für sie, vollkommen zu entkommen mit dem Chip in ihrem Nacken waren eine Vermutung. Eine extreme Vermutung.

"Liam und ich haben darüber nachgedacht. Er wollte ein großes ‚Ich liebe Mama' direkt auf seinem Po. Und ich war in einer wirklich sentimentalen Stimmung... da gab es eins mit Herzen und Liebespfeilen..." Er verstummte und sein Ausdruck wurde ernst. "Scully. Ich war nicht in der Lage, an etwas anderes zu denken, seit Du es mir erzählt hast." Und sie wußte, er meinte nicht das Tattoo. "Ich habe nachgedacht," fuhr er langsam fort, sein Ausdruck wurde plötzlich unglaublich ernst. "Wenn Du es wirklich entfernen willst - wenn Du glaubst, Du mußt es tun - wir haben Liams Stammzellen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß Du sie verträgst, wenn Du sie bekommst.  Wenn Du es tust und Dein Krebs kommt zurück, ist es möglich, daß wir ihn bekämpfen können, wenn wir die Stammzellen benutzen?"

Die Besorgnis in seiner Stimme machte sie so flach und rauh, daß sie schwer schluckte, um sich zu räuspern. Sie fand seine Hand. Seine Finger legten sich um ihre und drückten sie fest. Das würde sie ihm nicht antun.  "Mulder," sagte sie leise und schüttelte den Kopf. "Im Moment lassen wir ihn drin."

Mulder nickte. Die absolute Erleichterung auf seinem Gesicht ließ sie erkennen, daß sie immer noch den Tränen nahe war. Plötzlich senkte er plötzlich den Kopf und preßte sein Gesicht an ihren Hals.

"Ich bin froh, daß du zurückgekommen bist," flüsterte sie ihm ins Ohr und schloß für einen Moment ihre Augen, atmete den Duft seiner Haut ein. Ihr Herz begann ein wenig zu schnell zu schlagen. Es fiel ihr sehr schwer, diese Sache zur Sprache zu bringen...

"Ich äh... ich habe den Test gelesen," sagte sie leise.

Er drehte seinen Kopf herum und sah ihr in die Augen.

"Ich dachte mir, daß du das hast." Er nickte, sein Ausdruck wehmütig.

"Dicht dran. Hmm?"

Danke, lieber Gott, schickte sie ein kleines Gebet gen Himmel, daß Du mich die Berichte hast sehen lassen, ohne daß er da war, um mich zu sehen...  aber irgend etwas mußte in ihrem Ausdruck gewesen sein, denn plötzlich entzog er ihr seine Hand, schloß seine Augen und rieb sie sich hart.

"Wir haben nichts von Samantha für einen genetischen Test. Oder von meinem Vater." Sie hörte ihn schwer schlucken.

"Da muß irgendeine Spur in seinem Haus sein," sagte sie ihm. "Und ich wette, Deine Mutter hat einiges von Samantha, woran Du nicht gedacht hast."

"Vielleicht," gab er zu und rückte von ihr weg. Abrupt stand er auf, ging hinüber zum Kamin und stützte eine Hand auf die Umrandung, sein Gesicht abgewandt. Sie sah auf Liam hinab wegen einer Eingebung. Seine Augen schlossen sich langsam, während er glücklich an seinem Binky nuckelte.  Bequem in ihre Armbeuge gekuschelt würde er in einer Minute eingeschlafen sein.

"Vielleicht einen Milchzahn in ihrem Schmuckkasten?" Sie sah zurück zu Mulder. Er beobachtete sie von der Seite mit elenden Augen. Der Ausdruck darin zog ihr das Herz zusammen. Mulder wollte noch weniger Liams Bruder sein als sie es wollte, erkannte sie. "Mulder," sagte sie sanft. "Ich glaube nicht, daß wir ihre DNA brauchen."

"Warum nicht?"

Sie antwortete nicht direkt. "War das die dritte Sache, die Du mir nicht erzählt hast?"

"Ich hatte gehofft, Du hättest nicht mitgezählt." Er sah sie an, dann seufzte er. "Warum nicht ihre DNA? Willst Du es nicht wissen? Ich will es auch nicht wissen."

"War es das, weswegen der DNA-Test einen ganzen Monat gedauert hat, obwohl er auch in zehn Tagen hätte gemacht werden können?"

Noch einmal sah er sie an.

"Nur weil ich Dich nicht darauf anspreche, bedeutet das nicht, daß ich nicht genau weiß, wenn Du mir etwas verschweigst, Mulder."

Er nickte, sein Ausdruck bitter. "Es hat so lange gedauert, weil sie nicht herausfinden konnten, warum die Ergebnisse nicht schlüssig waren. Bei den ersten vier Vergleichen bin ich zweimal ausgeschieden und zweimal gab es eine Übereinstimmung. Fünfzig zu fünfzig. Also haben sie einen neuen Test gemacht und es gab Übereinstimmung in allen Bereichen. Und dann noch einen und ich schied aus. Glaube mir, Scully, ich bin alle Möglichkeiten durchgegangen. Sam konnte zweifelsohne genug männliche Kinder haben, um etwas... beizutragen. Und dann sind da noch Cousinen, Onkel, sogar der Große Onkel Moe von Staten Island, er war ein richtiger Ladykiller." Er zuckte mit den Schultern. "Also... er ist nicht von mir. Ich bedaure das," sagte er ruhig, aber er blinzelte und senkte seine Lider, verbarg seine Augen vor ihr. "Aber er ist mit mir verwandt. Und ich liebe ihn, als wäre er mein eigenes Kind. Das wäre auch so, wenn wir nicht verwandt wären. Er ist Dein Kind. Und ich habe ihn dafür geliebt von dem Moment an... von dem Moment, als ich erkannte, daß ich ihn liebe," schloß er ein bißchen lahm, seine Augen immer noch auf dem Baby.

Warum war es so verdammt schwer? Sie wollte einfach herausstoßen, was sie herausgefunden hatte, aber... auf einmal schien es keine gute Idee mehr zu sein. Die Theorie, die Sinn machte, als sie daran gearbeitet hatte auf ihrer wilden Fahrt zum Flughafen, schien nun bestenfalls ein Sprung. Und Sprünge waren nicht ihre normale Theorie. Aber... sie beobachtete, wie Elend in den Tiefen seiner Augen aufflackerte... sie würde alles tun, um diesen Ausdruck aus seinem Gesicht auszulöschen.

Sie placierte Liam in ihrem Schoß. "Mulder, laß uns miteinander schlafen."

Überrascht sah er sie an, dann zog er seine Augen ein wenig zusammen und lächelte ein trauriges Lächeln.

"Scully. Warum habe ich plötzlich den Verdacht, Du hast mir etwas zu sagen und kannst es nicht herauslassen." Sie nickte halb. "Fang an. Sag es mir."

Scully öffnete ihren Mund und schloß ihn wieder. "Hier. Gib mir seinen Sitz. Er ist am Einschlafen. Ich werde ihn hineinlegen."

Mulder brachte ihr den Sitz, half ihr Liam hineinzulegen, dann forschte er in ihren Augen. "Du hast es herausgefunden, nicht wahr? Aus dem, was wir hier haben, hast Du herausgefunden, wer sein Vater ist." Seine Stimme war voller widerwilligem Erstaunen. Er leckte seine Unterlippe und auf einmal sah er ganz unsicher aus. "Wo? Im Schlafzimmer oder gleich hier?" Sie lächelte ihn ein wenig an und klopfte auf die Couch neben sich.

Seufzend ließ er sich neben ihr auf dem Rand der Couch nieder. "Ich bin bereit. Erzähl es mir einfach. Was hast Du in den Berichten gefunden?"

Die Berichte. Sie sicherten sie ab.

"Mulder," sagte sie und zog die Transparentblätter aus dem Umschlag. Sie lächelte ein bißchen nervös und atmete tief ein. "Dies war ausdrücklich ein Vaterschaftstest. Das Labor prüfte nur eine Sache. Die Übereinstimmung Deiner DNA mit Liams in allen Proben. Vier von einundzwanzig hatten keine Übereinstimmung."

"Richtig... und das bedeutet..."

Sie hob eine Hand. "Richtig. Laß mich ausreden."

Er nickte langsam.

Scully sah auf das Blatt herab und fühlte sich auf einmal ein bißchen sicherer.

"Was, wenn..." Sie hielt inne. "Was, wenn ihre ersten Experimente - die des Konsortiums - mit..." Sie stotterte ein wenig bei dem Wort, "... Hybriden katastrophale Ergebnisse hatten? Was, wenn fünfzig Prozent menschliches Zellgewebe und fünfzig Prozent..." Sie schwenkte ihre Hand vage in den Himmel, "... nicht funktionierten?"

Er nickte, seine Stirn gekraust.

"Erinnerst Du Dich an die Männer, von denen ich Dir erzählte, daß ich sie in der Hansen Forschungseinrichtung gesehen habe?"

Er nickte wieder, ein wenig Mißbilligung bedeckte sein Gesicht.

"Mulder, was wenn... es keine halb und halb Hybriden sein können, was wenn... der prozentuale Anteil menschlichen genetischen Materials höher sein muß? Sagen wir... achtzig zu zwanzig? Oder sogar neunzig zu zehn Prozent - oder höher - um normale menschliche Eigenschaften zu bewahren?"

Er runzelte immer noch die Stirn, aber nun war ein Hauch von Erwartung in seinem Ausdruck.

Sie hielt die Seite hoch. "Sieh Dir diese DNA-Fragmente an, die nicht mit Deinen übereinstimmen. Sehen sie nicht alle gleich aus? Ich habe das Labor angerufen. Diese Zahl zeigt ihre exakte Länge. Sie sind alle 8,05 cm lang.  Ihr Finger glitt die Seite herunter. "Alle 8,05 cm." Sie sah ihn an. "Ich kann nicht glauben, daß das Labor das nicht bemerkt hat. Sie konnten es auch nicht."

"Aber..."

"Diskutiere nicht mit mir, Mulder. Das macht vollkommen Sinn."

"Ich diskutiere nicht mit Dir. Ich denke, ich sehe... einfach nicht...

Was?"

"Wenn das normale DNA wäre, hätten diese vier Genfragmente alle unterschiedliche Längen. Statt dessen haben sie alle die gleiche Länge. Sie sind identisch. Die Wahrscheinlichkeit, daß das in der Natur vorkommt ist gleich Null. Und sieh..." Sie tippte auf die Tabelle. "Wir haben mehr Informationen von Liam als von Dir. Hier," zeigte sie. "Und hier, Und hier?  Siehst Du? Alle die gleiche Stranglänge."

Er sah auf die Markierungen, auf die sie zeigte und konzentrierte sich fest.

"Was wenn..." fuhr sie fort, "diese Markierungen nicht nur nicht Deine DNA

sind. Wenn es keine menschliche DNA ist? Und vielleicht..." Sie zuckte die Schultern und begann zu zittern. "...vielleicht ist es überhaupt keine DNA."

Mulder kniff die Augen ein wenig zusammen, als er das in sich aufnahm.  "Also...?" Er beugte sich plötzlich nach vorn und nahm ihr die Blätter aus der Hand. "Du kannst beweisen, daß Liam ein Hybrid ist? Ich war wegen der DNA-Ergebnisse der Mulderfamilie so sicher, daß er keiner ist. Ist er einer? Sehe ich das hier? Außerirdische DNA?"

"Das habe ich nicht gesagt. Ich glaube, es muß irgendeine künstlich geschaffene DNA sein - ein Material, das in die Kette eingefügt werden kann und wie menschliche DNA arbeitet."

"Ist das möglich?"

"Nun... theoretisch."

"Und die Zellen müssen im menschlichen Körper wachsen?"

Ihre Augen wanderten zu Liam. Er war ein Wunder. Vielleicht ein Teil... sie wußte so gut wie Mulder, was für ein Teil möglicherweise. Tief einatmend schloß sie ihre Augen, sie mußte diesen Teil noch nicht völlig begreifen.

"Du weißt, was das ist, Scully. Du willst es nur nicht zugeben. Welche Zelle? In Deiner Eizelle? Oh, Scully." Er nahm ihre Hand und rieb sie.  "Kommst Du klar damit?"

Das Gefühl irritierte sie mehr als daß es sie tröstete und sie zog ihre Hand weg. Er ergriff sie wieder und hielt sie fest. "Antworte mir, Scully.  Geht es Dir gut?"

Scully atmete noch einmal tief ein und dann langsam wieder aus, bevor sie die Augen öffnete und ihn ansah.

Mulder starrte sie an, sein Gesichtsausdruck war erregt, voller Sorge und noch ein bißchen verwirrt. Er war ihren Gedanken nicht gefolgt.

"Ehrlich, Mulder? Ich habe es noch nicht ganz verarbeitet. DNA? Sie bildet Blöcke. Aber sie ist nicht für uns bestimmt."

Er nickte und verstand.

Ihre Augen glitten zu Liam. Sie konnte das nicht tun. Ihren Kopf neigend zeigte sie mit den Augen in Richtung Schlafzimmer. "Letzte Chance."

Mulder lächelte nicht einmal. "Da ist noch mehr?"

Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest.

Sie nickte.

"Verstehst Du es?" fragte er leise. Sie starrten einander an und schließlich nickte sie wieder. "Sag es mir jetzt," forderte er sie auf.

"Dem entsprechend," fuhr sie langsam fort, ohne ihre Augen von seinen zu nehmen, "wurde nur das genetische Material der Elternzellen beeinflußt.  Wahrscheinlich Samenzellen, das wäre am einfachsten. Weil die Chromosomen bereits geteilt wären." Er nickte, seine Augen immer noch fragend. "Und weil der Rest der Markierungen exakt mit Deinen übereinstimmt... muß es Deins sein. Deins," wiederholte sie sanft. "Deine Samenzellen. Das ist nur eine kleine Probe, aber..."

Er sagte gar nichts, starrte sie nur an, seine Brauen gerunzelt, sein Gesicht wurde mit jeder Sekunde blasser. Als sie in sein Gesicht sah, verstummte sie.

"Also," sagte er, seine Augen hielten ihre fest, als wären sie so etwas wie eine Rettungsleine. "Laß mich sehen, ob ich das richtig verstanden habe:

Die DNA in meinem Sperma..." - sie nickte - "... hat sich mit irgendeiner Sorte anderen Materials, die Du ablehnst als außerirdisch zu bezeichnen..."

sie nickte wieder - "... künstlich verbunden. Und weiter mit einer Eizelle von Dir... Liam erschaffen. Bist Du Dir sicher?"

 

War sie sich absolut, ausdrücklich sicher?

Sie atmete tief ein. Vielleicht...

"Ja," sagte sie.

Mulder gab ein heftiges Geräusch des Unglaubens von sich.

Scully nickte nur zitternd und blinzelte, beim Anblick seines Gesichtes, das dringende Verlangen zu weinen zurück, atmete tief ein und fuhr fort mit ihrer Erklärung. "Ich kann nicht sagen, daß ich weiß, um welches Material es sich handelt. Ich weiß, was Du glaubst, was es ist. Das muß erst bewiesen werden." Sie hielt inne und atmete noch einmal tief ein. Mulder beugte sich zu ihr, hörte mit seinem ganzen Körper zu, seine Finger drückten ihre heftig zusammen. "Und obwohl man durch diesen Test nicht juristisch beweisen kann, wer der Vater ist - und sie haben nur eine relativ kleine Anzahl von Merkmalen getestet - wenn ich darüber nachdenke, brauchen wir einen vollständigen Test von Dir und Deiner Mutter und von allem, was wir von Deinem Vater und von Sam bekommen können. Ich glaube, ich könnte es beweisen - gut - die Wahrscheinlichkeit auf 80%...  möglicherweise 90% erhöhen..."

Mulder sah erstaunt aus.

"Ich weiß nicht, wofür es diese spezifischen Gene gibt, woran sie sich zu schaffen machen. Wegnehmen und hinzufügen von Genen ist..." Sie schüttelte den Kopf.

Extrem zerstörerisch, dachte sie, sagte es aber nicht laut. Oh Gott.  Genetische Schäden. Emily. Ihre Augen wurden von Liam angezogen. Er döste süß vor sich hin, ungeachtet der Wahrheit, die sie gerade über ihn erfahren hatten. Sie hielt ihre Augen fest geschlossen. Bitte lieber Gott... laß ihn in Ordnung sein. Und wenn irgend etwas nicht in Ordnung ist, laß mich wissen, was es ist. Bitte.

Ihre Augen flogen auf.

"Mulder, wir müssen exakt herausfinden, wofür diese Gene da sind.  Natürlich, nicht alle Gene sind identifiziert worden, aber eine Menge, und wir können es herausfinden..." Sie brach ab, ihre Gedanken überschlugen sich, als sie durch ihren Kopf rasten.

Er sah auf den Ring an ihrer Hand, drehte ihn um ihren Finger.

"Und alle männlich bestimmten Eigenschaften," fuhr sie fort. "Ich frage mich, was um alles in der Welt..."

Er sah auf und ihre Blicke trafen sich.

Ihre überstürzt dahineilenden Gedanken hielten plötzlich an angesichts des Ausdrucks in seinen Augen.

Ohne darüber nachzudenken, hatte sie den Ring auf denselben Finger ihrer linken Hand geschoben. Aber nun war er da. Schweigend ihre Bindung an ihn proklamierend. Sie hatte vermutet, daß er ihn deshalb dagelassen hatte, aber als sie sein Gesicht beobachtete, hatte sie keine Ahnung, worüber er nachdachte, als er auf ihren Finger sah. Hatte er erkannt, daß ihre Bindung an ihn schon lange vorher dagewesen war? Sich still und stetig aufgebaut hatte über die letzten fünf Jahre, als sie nach dem gesucht hatten, was sie nun in ihrer Hand hielten. Seine Augen stellten ihr eine Frage. Sie nickte und wartete, aber er sagte nichts. Dann drehte sie ihre Hand herum und nahm sanft seine Finger.

"Mulder, es ist ein Beweis," sagte sie leise.

"Ist es das?" fragte er ein bißchen abgelenkt.

"Er ist es. Das." Sie hob die Ergebnisse hoch und schwenkte sie.

"Oh. Das hier auch," sagte er leise und sah zurück auf den Ring. "'Mo Ghradh. Meine Liebe'."

"Was?" fragte sie spitz.

"Die Inschrift. Das ist gälisch."

"Oh-hh." Sie wußte, daß es irgend etwas einfaches und schönes und wundervolles sein mußte. Und es hatte die wirklichen Isobel und Liam für immer miteinander verbunden. "So spricht man es also aus."

Mittlerweile hatten sie die DNA-Ergebnisse vor sich, die dasselbe taten.

"Der Ring ist wunderschön, Mulder. Ich liebe ihn. Ich habe es vermißt, ihn zu tragen. Danke."

Mulder sah auf und traf ihre Augen und sie war ein bißchen erschrocken über den Ausdruck in seinen. Ein sehr starkes Gefühl hatte ihn ergriffen.  Staunen, Erregung, Liebe... Sie nickte ein wenig, unsicher darüber, ob sie mit dem, was sie in seinen Augen sah in diesem Moment umgehen konnte. Ihr Adrenalinspiegel stieg plötzlich an.

"Ich weiß, Scully. Ich weiß, er ist wahrscheinlich die Antwort auf all die Fragen, denen ich in den letzten ich weiß nicht wieviel Jahren nachgejagt bin. Ich habe es gewußt, seit ich vor langer Zeit seinen Inkubator in San Diego in der Hand hielt."

"Die Antworten, nach denen wir gesucht haben, Mulder."

Er forschte einen sehr langen Augenblick in ihren Augen. "Nicht in den letzten sechs Monaten," sagte er.

"Nein, und wie es sich anhört, Du auch nicht," sagte sie, verärgert darüber, daß sich ein winziger Hauch von Verteidigung in ihre Stimme geschlichen hatte.

"Ich meinte mich," sagte er.

Sie starrten einander an.

"Mulder," sagte sie ein wenig atemlos. "Du lebtest und atmetest so lange für diese Suche... haßtest diese Männer, warst entschlossen zu gewinnen.  Und nun haben wir etwas, ich bin mir nicht sicher was, aber etwas haben wir. Was sagst Du dazu?"

"Es geht nicht um den Beweis, es geht um uns." Er hob ihre verschränkten Hände, er trug seinen Ring auch noch.

"Nein," sagte sie leise, immer noch gefesselt von dem Ausdruck in seinen Augen. Er zog ein wenig an ihrer Hand und zog sie enger an sich heran. Sie kämpfte das Verlangen nieder, aufzustehen und loszurennen.

"Was meinst Du mit nein, Scully?" fragte er leise, einen warnenden Ton in seiner Stimme.

"Ich meinte nicht nein."

"Du hast gesagt nein."

"Ich meinte nicht nein. Ich meinte, es geht nicht um diesen Teil von uns...  Ich meine, wenn wir diese Gene studieren, uns darauf konzentrieren, können wir vielleicht den letzten Beweis für das finden, wonach wir so lange gesucht haben. Das ist es, Mulder, wir haben es gefunden."

"Nur weil ich den physischen DNA-Beweis in meinen Händen halte, bedeutet das nicht, daß ich mehr damit anfangen kann als vorher."

"Warum? Wir können diese Information zurückverfolgen, wir können es herausfinden. Exakt herausfinden, was sie tun. Exakt herausfinden, welche Eigenschaften sie manipulieren..."

"Warum, Scully? Damit Liam auf den Titelseiten des Enquirer oder der Weekly World News ist. ‚FBI-Agenten haben Retorten-Alien-Baby'. Ist es das, was Du willst? Es würde ihn sein ganzes Leben verfolgen. Und niemand würde es glauben. Und Du hast selbst gesagt, daß es alles nach künstlich hergestellter DNA aussieht. Es ist ein Beweis für mich, Scully. Für mich allein. Nicht für die Welt. Und nicht einmal für Dich. Ich kann nicht glauben, daß Du es einen Beweis nennst, weil Du es eine Minute vorher nicht einmal zugeben wolltest."

"Mulder, es ist ein Beweis."

Er sah sie ärgerlich an. "Hör auf, mich so mißbilligend anzusehen und komm her." Er zog sie an sich und sie legte ihre Kopf mit einem kleinen Seufzer an seine Brust. "Scuh-lee," sagte er leise. Sein Atem wärmte ihre Stirn.  "Er ist kein Beweis. Er ist ein Baby. Deins und meins. Ist das nicht wunderbar? Ist das nicht wunderbar, was du mir gerade erzählt hast? Unser.  Laß ihn uns so sehen. Als ein Baby. Als unser Baby." Er streichelte ihre Schulter. "Scully, überleg doch mal. Warum hätten sie uns das Baby geben sollen, wenn es ein Beweis wäre, den wir gegen sie benutzen könnten. Ich habe eine Menge darüber nachgedacht, seit wir mit ihm von dort weg sind."

Sie schob ihre Finger unter sein T-Shirt und streichelte seinen Rücken.

"Ich habe auch eine Menge darüber nachgedacht, Mulder."

"Was ist, wenn sie ihn uns gegeben haben, weil er ein Beweis ist?"

Sie neigte ihren Kopf, so daß sie ihn sehen konnte. Er saß nicht still, seine Hände streichelten ihre Arme in langen Zügen. Er war voller nervöser Energie.

Seine Augen fielen auf ihren Mund. "Hey, Scully," hauchte er. "Ich habe

Dich vermißt"

Sie keuchte ein wenig, als seine Hände plötzlich über ihre Schultern und in ihr Haar glitten. Er beugte ihre Kopf nach hinten, lehnte sich herab und gab ihr einen langen langsamen tiefen Kuß.

"Mulder," sagte sie ein wenig atemlos, als sein Mund ihren losließ und sich langsam über ihre Wange zu ihrem Ohr bewegte, "was tust Du?" Er antwortete nicht, knabberte nur an ihrem Ohrläppchen, dann senkte er seinen Kopf und küßte die Kerbe an ihrem Hals. Sie versuchte, das Gefühl seines Mundes, der ihren Hals schmeckte, auszublenden und sich auf seine letzten Worte zu konzentrieren.

"Zuerst," sagte er zwischen den Küssen, "glaubte ich, es war, weil er ein Hindernis auf unserem Weg sein könnte. Eine Drohung, um uns in Schach zu halten, wenn wir ihnen zu nahe kommen. Um uns zusammenzuhalten. Um uns niederzuhalten."

"Mmmph." Sie neigte ihren Kopf noch mehr, um ihm mehr Zugang zu ermöglichen. Aber er hörte auf und hob seinen Kopf, um ihr in die Augen zu sehen.

"Aber dann erkannte ich, daß sie ihn uns gaben, um unsere ganze Suche mit einem Kreischen zum Halten zu bringen. Scully, siehst Du das nicht? Sie gewinnen. Sie haben es mir schließlich bewiesen. Sie sind schlauer. Sie können außerirdische DNA in ein Kind hineinkonstruieren. Mein Kind. Unser Kind. Und sagen ‚Hier ist es. Genau das, was Du wolltest: Der Beweis. Der Beweis auf einem silbernen Tablett.' Der Beweis für außerirdische Existenz.  Der Beweis für die Beteiligung dieser Männer. Aber eingehüllt in ein Bündel, das dazu bestimmt ist, unser Leben - unser beider Leben - für immer zu verändern. Ich dachte mir, daß sie schlau genug sind, zu erkennen, daß ich Dein Kind so lieben würde wie mein eigenes. Sie wissen, daß wir ihn nicht gefährden werden. Sie wissen, daß wir aufhören werden. Nun?" fragte er. "Habe ich recht?"

"Du glaubst, sie haben gewonnen? Und wir nehmen ihn als eine Art Bestechung, um aufzuhören?" Ihre Stimme klang ungläubig.

"Eine Bestechung oder ein Trostpreis oder etwas... was auch immer. Ich nehme es an."

"Und nun nehmen wir ihn und tauchen unter? Dann tun wir genau das, was sie wollen, Mulder. Der Krebskandidat und seine Kumpane werden sich schief lachen über uns."

"Eine Sache zählt hier. Eine Sache. Und wir kriegen ihn, Scully."

"Ich weiß... aber was ist...?" Seine Hand glitt unter ihr T-Shirt und knetete das weiche Fleisch ihrer Brust. Sein Mund wanderte über das T-Shirt und erfaßte ihre Brustwarze durch den Stoff. Sie hatte keine Ahnung, was sie gerade sagen wollte. "Mulder," murmelte sie. "Halt an. Wie kannst Du von mir erwarten, daß ich nachdenke, wenn Du das tust? Ich war dabei, es zu begreifen. Die Teile fügen sich zusammen. Ich werde es vergessen... und..."

Er hob seinen Kopf, um ihr eine Kuß auf die Lippen zu drücken, seine Augen waren ein wenig geschlossen, als er an ihren Lippen murmelte, "Du?  Vergessen? Niemals. Laß Dein Unterbewußtsein eine Minute daran arbeiten."

Dann senkte sich sein Mund wieder zu ihren Rippen.

Scully ließ ihre Fingerspitzen über seinen Rücken gleiten, spürte seine mageren Rippen und versuchte, sich zu konzentrieren. "Mulder, ich kaufe Dir diese Theorie nicht ab. Ich glaube, Du hast unrecht. Eine Drohung?  Vielleicht. Aber ein Trostpreis?? Er ist ein Geschenk. Ein Wunder. Ich glaube..." Seine Lippen glitten über ihre Rippen und sie unterdrückte ein Stöhnen. "Hör auf damit," sagte sie und packte ihn bei den Haaren und sein Mund hielt an. "Hör mir zu. Ich glaube, daß irgend jemand im Konsortium auf unserer Seite ist. Oder wenigstens will, daß wir wieder zusammen sind. Wir sind ein beeindruckendes Team gegen sie zusammen - aber nicht getrennt.  Getrennt kann keiner von uns etwas tun. Ja, irgend jemand möchte, daß wir einen Beweis haben. Irgend jemand möchte, daß wir begreifen, was vor sich geht. Irgend jemand von denen will, daß wir sie bloßstellen. Sie haben das Baby herausgegeben, damit wir es finden, damit Du es findest. Und es zu mir bringst, damit ich zu Dir zurückkomme."

Sein Mund begann sich wieder zu bewegen. "Vielleicht," murmelte er. Sein Ton klang, als wäre er leicht interessiert und schließlich gewillt, sich ihrer Theorie anzuschließen, aber er war mehr daran interessiert, das empfindliche Fleisch an ihrem Bäuchlein zu necken. Auf einmal schien er zu registrieren, was sie sagte und seine Hände und sein Mund machten eine Pause. "Scully," sagte er leise. "Willst Du damit sagen, wir würden ohne Liam nicht wieder zusammen sein?"

Sie antwortete nicht.

Er hörte auf und hob seinen Kopf.

Eine Hand war auf ihrer Brust unter ihrem T-Shirt, die Finger der anderen Hand steckten in dem Bund ihrer Shorts. Sein Mund stand offen, als er den Atem einzog. Der Ausdruck in seinen Augen hätte genauso benommen sein können, wie der Ausdruck, der, wie sie sich sicher war, auch in ihren war.  Statt dessen waren seine Augen so klar, wie sie sie nie gesehen hatte. Er sah sie fragend an.

Sie hatte keine Antwort.

"Will ich die Antwort darauf wirklich wissen?" Er senkte seinen Blick auf ihren Mund und leckte sich die Lippen. Sie tat es ihm nach.

"Mulder... warum hast Du überhaupt daran gedacht, Deine DNA zu testen?"

Er sah sie nicht an, starrte nur auf ihren Mund. "Wunschdenken," sagte er leise, dann hob er seine Augen und hielt ihre fest. "Und als ich ihn das erste Mal sah, sah mir Charlotta in die Augen und sagte, er sieht aus wie ich. Und ich dachte: warum nicht?"

Sie zog die Augenbrauen hoch. Charlotta hatte ihm einen wichtigen Hinweis gegeben. Hatte er es überhaupt bemerkt?

"Das war, bevor Du kamst, um mich zu sehen?" erkannte sie plötzlich und seufzte erleichtert auf. "Das bedeutet, daß es nicht die Wanzen waren, die uns verraten haben."

"Mach Dir deshalb keine Vorwürfe, Scully. Sie wußten es."

"Ich weiß."

"Du warst zu lange mit mir zusammen." Und seine Stimme klang so, als würde er es vielleicht meinen.

Plötzlich waren seine Hände beide in ihren Haaren und er küßte sie wie wild.

Scully stöhnte ein wenig an seinen Lippen und drückte ihn auf die Couch nieder. Ein Knie schob sie über ihn, so daß sie über ihm kniete und ihn auf die Couch nagelte. Als sie sich schließlich von seinem Mund löste und ihm in die Augen sah, atmete sie schwer. Sie hielt seinen Kopf fest, ihre Finger verfingen sich in seinem Haar. Ihre Brüste waren gegen seine Brust gepreßt, die Brustwarzen waren hart. Ein Bein hatte sie zwischen seinen, ihr Schenkel paßte sich bequem an die drängende Wölbung seiner Erektion an.  Ihre Haut brannte heiß, wo sie seine berührte und sie wollte all ihre Sachen verschwinden lassen und das Gefühl seiner Haut an ihrer genießen.  Aber...

"Erkennst Du nicht, daß das herauszufinden, auch sehr wichtig für mich ist?" fragte sie ein wenig verzweifelt. "Es ist unmöglich, es davon zu trennen, daß es in unserem Baby ist, aber wir müssen es. Wir können es als Geheimnis bewahren. Aber wir müssen daran arbeiten. Nicht einfach herausfinden, was immer wir tun können, um diese Männer bloßzustellen, wir müssen es für Liam tun. Wir müssen alles über ihn herausfinden, damit wir ihn retten können, wenn irgend etwas passiert."

"Scully, ich sage nicht, daß Du nicht herausfinden sollst, was zur Hölle mit seiner genetischen Beschaffenheit los ist, aber es gibt andere Labors, andere Hilfsmittel außerhalb des Büros, wo Du das erforschen kannst."

"Ich verstehe Dich nicht, Mulder. Ich kann nicht glauben, daß ich das höre.  Willst Du sagen, Du willst sie nicht verfolgen, jetzt wo wir den Beweis haben? Wie kannst Du das aufgeben?" Sie forschte in seinen Augen. So nahe konnte sie die Farbschatten in ihrem Grün sehen. Braun und golden und grau.  Sie beobachtete, wie sich seine Pupillen zusammenzogen und sich dann ein ganz klein wenig erweiterten, als er sie vorsichtig anstarrte.

Auf einmal glaubte sie zu verstehen.

"Du tust es doch nicht für mich, oder?"

Er antwortete nicht, beobachtete sie nur.

"Du denkst, es ist das, was ich will," sagte sie überzeugt. "Du gibst wegen mir auf." Als er nichts sagte, fuhr sie fort. "Du denkst, ich war glücklich, da raus zu sein. Und ich würde nicht zurückgehen wollen." Einen langen Augenblick starrte sie ihn an und er antwortete immer noch nicht.  "Hast Du nichts von dem gehört, was ich gesagt habe?"

Er nickte ein wenig.

"Und nun bist Du überzeugt, daß ich nicht mit Dir zurückgehen würde, wenn es nicht wegen Liam wäre. Du glaubst, wenn Du ohne ihn bei mir aufgetaucht wärst, würde ich in diesem Moment nicht auf Dir liegen."

Seine Finger, die zart über ihre Kopfhaut gestrichen waren, hielten vollkommen still.

"Ehrlich? Ich habe keine Antwort darauf, Mulder. Vielleicht werden wir es niemals wissen. Aber ich kann Dir eines sagen. In diesem Frühjahr, während es mir gut ging und ich irgendwie glücklich war und meine Angelegenheiten regelte und meine Gesundheit wiederherstellte, war ich verdammt einsam ohne Dich. Weil es niemanden gibt, der auch nur annähernd diesen leeren Platz in mir ausfüllen kann, den Du mit einem Lächeln, einer vorlauten Bemerkung, einer überschwenglich abgegebenen sinnlosen Theorie ausfüllen kannst. Und ich habe unsere Arbeit vermißt, auch wenn sie frustrierend und gefährlich und manchmal geradezu lächerlich ist, sie ist herausfordernd und sie ist niemals langweilig und ich liebe sie. Ich liebe es, mit Dir zusammenzuarbeiten. Ich liebe es, Dein Partner zu sein. Also, vielleicht solltest Du, anstatt sie für mich aufzugeben, lieber fragen, ob ich sie für Dich aufgeben würde."

Mulder brauchte eine lange Zeit, um zu antworten. Schließlich leckte er sich die Lippen und fragte ein wenig heiser. "Würdest Du?"

"Ich werde alles hinter mir lassen, einfach so, wenn es das ist, wovon Du wirklich glaubst, daß wir es tun sollten... weil... wir haben hier etwas, das ebenso wichtig ist, wie diese Männer zur Strecke zu bringen. Und wir könnten wahrscheinlich eine Menge Zeit - Jahre - damit verschwenden, die wir mit ihm verbringen könnten." Tränen traten ihr plötzlich in die Augen.  "Besonders wenn... und ich möchte nicht einmal daran denken... besonders, wenn wir nur vier oder fünf Jahre mit ihm haben... wie Emily." Seine Augen waren plötzlich auch feucht. "Oh Gott, Mulder. Emily." Er nickte ein ganz klein wenig. Er hatte bereits daran gedacht, sie konnte es in seinen Augen sehen. "Ich habe ihre Berichte hier..." Sie sah, wie sich die Muskeln an seinem Hals zusammenzogen, als er schluckte. "Oh, Mulder." Einen Augenblick war sie still, als sie sanft sein Ohr mit ihren Fingerspitzen streichelte und in seine Augen starrte. "Noch etwas," sagte sie sehr leise. "Weil es niemand anderen auf der Welt gibt, der mich so ansieht... die Art, wie Du mich gerade ansiehst."

Seine Augen... die Farben hatten gewechselt, als er ihr zuhörte und nun waren sie von einem klaren kupferartigen Grün, seine Pupillen waren groß und dunkel, eine einzelne Träne löste sich und lief an der Seite seines Gesichtes herab. Gefesselt beobachtete sie sie.

"Ich liebe Dich," sagte er. Seine Stimme war rauh vor Gefühlen und sein Gesicht war so ernst... und dann lächelte er sie an, plötzlich, leuchtend, hoffnungsvoll.

Er räusperte sich ein wenig. "Ich liebe Dich, Scully," wiederholte er, seine Stimme immer noch rauh, seine Augen ein winziges bißchen scheu.

Scully beugte sich nach vorn und küßte ihn wild. Seine Arme legten sich um sie und sie schob ihre Hände unter seinen Rücken und küßte ihn wilder.

"Es ist nicht fair, zu versuchen, mich verwirren," hauchte sie an seinem Mund.

"Da bin ich mir sicher," murmelte er zurück.

Gott, er war frustrierend.

"Autsch!" stieß er hervor. Sie hatte ihre Fingernägel in seinen Rücken gedrückt.

"Du mußt mir all diese Dinge erzählen," sagte sie ihm grimmig, ihre Gesichter nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt. "Anderenfalls werde ich wirklich sauer werden."

Er sah sie feierlich an.

"Dinge, wie ich sie Dir gesagt habe... und diese." Sie gestikulierte wild mit dem Kopf in Richtung der medizinischen Berichte, die auf den Boden neben der Couch gefallen waren. "Und Liam. Und daß Du mich liebst. Und alles! Verdammt Mulder! Wenn Du mir diese Ergebnisse im Flugzeug auf dem Weg nach Hause gezeigt hättest, hätte ich dieselbe Schlußfolgerung ziehen können. Du warst Dir offensichtlich bereits sicher, daß Liam ein Teil von ..." Sie konnte es nicht einmal zu sich selbst sagen, "... irgend etwas anderem war. Verdammt, Du hast soviel mehr gesehen als ich. Wenn Du mir diese Dinge nur erzählt hättest, oder ich sie auch gesehen hätte... ich hätte helfen können, es herauszufinden. Wir könnten das ganze Konsortium wahrscheinlich schon seit Jahren hinter Gittern haben, wenn Du mir all diese Fakten von Anfang an erzählt hättest."

Die letzten Worte waren an seinem Hals gemurmelt, als er sie fest umarmte.

"Wenn Du bleiben willst, Scully, bleiben wir. Wir werden alles herausfinden. Wir werden tun, was immer Du willst."

"Ist es sicher?"

"Ich weiß nicht, ob es sicher ist. Ist es sicher, mit dem Ding in Deinem Nacken wegzugehen? Ich habe über die Bombe nachgedacht. Es scheint, daß es zu einfach war, sie zu finden. Wenn sie mich aus dem Weg räumen wollten, hätten sie tausend Möglichkeiten gehabt."

"Der Faden, der sich durch all das zieht ist, daß sie Dich niemals tatsächlich umbringen, Mulder."

"Uns. Sie bringen uns niemals tatsächlich um."

Sie zappelte ein bißchen, als sein Mund jedes Nervenende berührte, als er den Bluterguß an ihren Rippen umkreiste.

"Also, wozu sollte die Bombe gut sein? Uns zu erschrecken, so daß wir verschwinden?"

Er nickte. ""Ich denke ja. Wir haben uns nicht so benommen, wie sie es erwartet haben und sie haben uns etwas zur Erinnerung geschickt."

"Wir waren wieder getrennt," sagte sie langsam. "Verstehst Du? Und die Bombe hat uns wieder zusammengebracht. Sie manipulieren jeden unserer Schritte."

"Nein! Du hast uns wieder zusammengebracht. Du hast mich dazu gebracht, die Wahrheit zu sagen. Ich glaube," fuhr er langsam fort, "sie wollen, daß wir weggehen. Also hast Du recht. Wir sollten es nicht tun."

"Nein," widersprach sie. "Wir werden gehen. Wir werden ihn nehmen und wir werden so weit weg von ihnen gehen, wie wir können."

Er zog sich ein wenig zurück, so daß er ihre Augen sehen konnte. "Ist das Umkehrpsychologie, Scully?"

Ein bißchen lächelte er über ihren Gesichtsausdruck.

"Autsch!" sagte er. "Was ist das mit diesen Fingernägeln?"

"Was ist das mit diesen Rippen?" Sie stubste ihn wieder, um ihren Punkt zu machen. "Ich bin mir nicht sicher, ob Du mich nicht manipuliert hast zu sagen, daß wir gehen."

"Ich? Ich habe kein Wort gesagt."

Frustrierend oder nicht, sie liebte ihn. "Ich war hinter Dir her, das weißt Du," erzählte sie ihm und bog sich ihm ein wenig entgegen. Eine seiner Hände bewegte sich in langen Zügen über die Haut auf ihrem Rücken unter ihrem T-Shirt. Es war verblüffend.

"Ich glaube, Du hättest uns gefunden," sagte er.

"Natürlich hätte ich das. Der schwierigste Teil wäre gewesen, Frohikes Telefonnummer herauszubekommen. Du erzählst ihm alles."

"Alles was Du zu tun hattest, war herauszukommen und wir hätten auf Deinem Fußabtreter gesessen," sagte er trocken.

Nun waren seine beiden Hände unter ihrem T-Shirt. Er zog ihr den weichen Stoff über den Kopf, dann legte er seinen Mund auf ihre Brust. Einen Moment saugte er, dann sah er zu ihr auf.

"Du wirst die Chance haben, es zu versuchen, Scully."

"Ich weiß," sagte sie und keuchte ein bißchen, als er ihre Brustwarze hart in seinen Mund saugte.

Scully gab es auf, sich daran zu erinnern, was sie ihm über Liam und seine DNA sagen wollte. Er hatte recht, sie würde sich später daran erinnern. Sie sah zu Liam hinüber.

Liam schlief immer noch fest.

Mulder glitt plötzlich unter ihr hervor und rollte sie unter sich, er preßte sie mit seinem Gewicht auf die Couch. Mit ihm obenauf war es leichter für sie, ihm seine Jeans auszuziehen. Als nächstes folgte sein Hemd. Ihre Sachen kamen danach dran.

"Was machen wir?"

"Wir gehen."

"Es sieht nicht so aus, als wenn wir gehen."

"Ich meine, wenn wir das hier getan haben."

"Wohin?"

"Ich weiß es nicht."

"Was ist das beste? Was ist das sicherste?"

"Ich weiß es nicht."

Alle ihre Sachen lagen nun auf dem Boden. Er paßte sich ein wenig an und war in ihr.

Sie keuchte und wölbte sich ihm entgegen.

"Was brauchst Du von hier?"

"Nichts," sagte sie atemlos.

"Nichts?"

"Okay, vielleicht ein paar Dinge."

"Dachte ich mir."

"Muß ich sie jetzt nehmen? Ich habe sie in einer Sekunde zusammen."

"In Ordnung," antwortete er ebenso atemlos, als ihre Finger über seinen Bauch, seine Brust, seinen Rücken, seine Pobacken glitten.

"Fotos. Laptop. Schmuck. Irgend etwas anders, was Dir einfällt?"

"Liam und ich haben schon, weswegen wir zurückgekommen sind."

Sie küßte ihn. "Ich weiß."

"Ich mag das Strandgemälde."

"Tust Du das? Ich auch. Ich liebe es. In Ordnung. Noch etwas?"

"Der Kamin von Deinem Balkon."

"Mulder und Scully verschwinden mit ihrem Baby und ihrem Kamin." Sie grinste. "Ich werde Mom sagen, daß sie Bill herschicken soll, den Rest meiner Sachen einzupacken. Wir werden sie irgendwann holen. Wir müssen Mom sehen, bevor wir irgendwohin gehen. Ihr Liam zeigen. Ihr ein paar Fotos geben."

"In Ordnung." Er hielt einen Moment inne, ohne sie anzusehen. "Und Emilys Berichte."

Scully nahm sein Kinn und neigte sein Gesicht, so daß sie ihm einen kurzen sanften Kuß geben konnte.

"Oh, Mulder," sagte sie weich und küßte ihn wieder. Sie seufzte tief.

"Glaubst Du wirklich, da ist jemand auf unserer Seite, Scully? Jemand, der versucht hat, uns wieder zusammenzubringen?"

Er begann ihre Brustwarze mit seinen Zähnen zu necken, dann schloß er seine Zähne darum und zog daran.

"Es scheint, daß es so sein muß." Sie keuchte ein wenig bei dem Gefühl.

"Aber wer?"

"Ich weiß nicht."

"Vielleicht hast Du recht."

"Mulder?"

Es dauerte einen Moment, aber schließlich ließ er ihre Brustwarze los und sah sie an.

"Was ist, wenn es beides ist?"

"Was?"

"Was ist, wenn wir beide recht haben?"

Er nickte langsam. "Du meinst, es gibt Gruppen? Sie sind geteilt? Ein paar auf unserer Seite? Ein paar gegen uns?" - sie nickte - "Geteilt," wiederholte er leise. "Aber nicht wir. Wir sind zusammen." Er hielt ihre Augen für einen Moment fest, dann grinste er. "Dann zum Teufel mit ihnen.  Laß uns tun, was wir wollen." Sein Grinsen war ansteckend. Sie grinste zurück und er nickte.

"Es scheint so, daß sie geteilt sehr viel einfacher zu kriegen sind, Mulder." sagte sie verlockend.

"Zum Teufel mit ihnen," sagte er wieder. Seine Augen glitten von ihr zu Liam. "Entschuldige, Liam." Mulder drückte sie ein wenig. "Liam ist wach.  Hey, Buddy."

Sie erstarrte unter ihm und drehte ihren Kopf. Liam beobachtete sie aus großen Augen, ein ernstes blaues Starren.

"Ups, Mulder!"

"Meinst Du, er wird es seinem Psychologen erzählen, wenn er sechzehn ist, Scully?" fragte er sie im Flüsterton.

"Ich weiß nicht. Ich hoffe, er wird deswegen keinen Psychologen brauchen, wenn er sechzehn ist."

"Ich kann immer noch nicht glauben, daß er unser ist, Scully."

"Ich weiß," sagte sie sanft. "Ich auch nicht."

Sie sahen ihn erstarrt an und er sah zurück, ohne zu blinzeln.

"Hey Liams," sagte er weich. "Ich habe eine Frage an Dich. Willst Du mehr wie Deine Mom werden? Oder mehr wie ich? Wenn Du sagst, wie sie, dann seid Ihr in der Mehrheit und wir werden tun, was Ihr wollt. Wenn Du sagst, wie ich, dann entscheiden wir. Also, was sagst Du, Buddy?"

Liam starrte sie weitere fünf Sekunden an, dann senkten sich seine Lider und seine Augen fielen zu. Sie beobachtete, wie seine Lippen rhythmisch an seinem Binky zu saugen begannen, als er wieder einschlief. Seine goldenen Wimpern flatterten kurz, dann lagen sie still auf seinen Wangen. Sie sah auf und traf Mulders Augen.

"Ich glaube, er sagte, wie ich."

"Nein, er hat definitiv gesagt, wie ich."

"Vielleicht hat er gesagt, er wird wie wir beide werden."

"Dann braucht er wirklich einen Psychologen."

Er streckte seine Hand aus und drehte den Sitz mit dem Baby vorsichtig herum, so daß er in die andere Richtung sah.

Dann zog er sie zurück in seine Arme. "Scully, das nächste Mal, wenn Du mich verführst, sorg dafür, daß Liam im anderen Zimmer ist."

"Ich dachte, das war Deine Idee."

"Du hast es zuerst vorgeschlagen."

"Ich habe Dir die Wahl gelassen. Und Du hast die Wahrheit gewählt, Mulder."

Er grinste. "Vielleicht war das die ganze Zeit unser Problem."

 

ENDE