ALUNAKANULA
(Originaltitel:
Alunakanula)
von
Dasha K.
(
dashak@aol.com )
aus
dem Englischen übersetzt von Sylvia < aktex_sm@hotmail.com
>
Diese
Story kann auf der Spooky-Seite archiviert werden.
Wenn ihr sie irgendwo anders archivieren wollt, bitte fragt mich erst.
Zusammenfassung:
Der Mond ist verschwunden.
Rating:
NC-17 für Erwachsenenthemen. Wenn ihr jünger als 18 Jahre seid, bitte lest etwas anderes.
Klassifikation:
SRA
Schlüsselwörter:
Mulder/Scully Romanze
Spoiler:
Ein großer, dicker für Requiem. Wenn ihr das hier lest, werdet ihr verdorben
sein wie ein Viertel alter Milch.
Disclaimer:
Sie gehören so nicht mir!
Email:
Feedback wäre wundervoll, an dashak@visi.com
Alunakanula
Der
Mond ist hinter den Wolken verschwunden.
Der
Himmel über ihrem Kopf ist tiefblauer Samt. Nicht ein einziger Stern ist am
Himmel. Scully hatte in ihrem ganzen Leben keine dunklere Nacht gesehen.
Sie
legt sich auf der Liege im Garten ihrer Mutter zurück und starrt in den
Nachthimmel.
Wo
bist du jetzt?
Was
sie am meisten ängstigt, ihr den Atem im Hals stocken läßt
ist, daß sie vielleicht niemals die Antwort auf diese
Frage kennen wird. Wird sie den Rest ihres Lebens damit verbringen, den Himmel
abzusuchen?
Nein.
Sie schüttelt den Kopf. Sie wird nicht so wenig Glauben haben.
Sie
untersucht den Himmel nach etwas, irgendetwas.
Scully
war in die Sicherheit des Hauses ihrer Mutter geflohen. Sie muß
nachdenken, berechnen und einen Handlungsplan entwickeln. Wirklich, sie sollte
bereits da draußen sein und Marita und Krycek jagen
und die Antworten aus ihnen herausschütteln, wenn sie sie findet. Aber sie muß einen Moment anhalten, um ihren Atem zu beruhigen und
ihre Kräfte zu arrangieren. Sie muß das richtig
machen.
Ich
werde, denkt sie und beißt die Zähne zusammen. Ich muß.
Sie
war überrascht, daß ihre Mutter nicht zu Hause war,
bis ihr einfiel, daß sie an diesem Abend ihr Treffen
mit der St. John's Gilde hatte. Scully schloß sich
selbst auf mit dem Schlüssel, den ihre Mutter unschuldig unter dem Blumentopf
links neben der Eingangstür aufbewahrte und lief schnurstracks zum Kühlschrank.
So lange sich Scully erinnern konnte, hatte ihre Mutter immer einen Krug mit
Limonade im Kühlschrank und eine Topf voller Kekse. Sie goß
sich ein großes Glas Limonade ein und griff nach einem Keks wie ein kleines
Mädchen, das eine Überraschung brauchte. Diesmal waren es dünne
Schokoladenkekse, die an den knusprigen Ecken leicht gebräunt waren.
Egal
wie verrückt ihr Leben auch ist, Scully kann immer auf Limonade und Kekse
zählen. Es ist keine große Sache, aber tröstend.
Sie
versucht, das alles zu begreifen, den Doppelwhammy
der Ereignisse anzunehmen und ihn in etwas zu formen, das sie verstehen kann,
aber es ist zu viel. Es ist riesig.
Ihre
Arme fühlen sich leer und schwerelos an. Wenn sie sie nur um die vertraute
Figur legen könnte und ihm die überraschenden Neuigkeiten ins Ohr flüstern
könnte. Scully stellt sich vor, wie er die Augenbrauen hochzieht und sein Mund
offensteht, der Gläubige unfähig zu glauben. "Das ist unmöglich," würde er sagen und sie würde zustimmend nicken.
Unmöglich
ist eine Untertreibung.
Das
erste Mal, als sie sich liebten, langte Mulder in die Schublade seines
Nachttisches nach einem Kondom. "Wir brauchen keines,"
flüsterte sie ihm ins Ohr. Sie kannte ihre Blutproben und sie waren sauber.
Eine Schwangerschaft war nicht einmal im Bereich des Möglichen.
Seit
sie mit achtzehn angefangen hatte, Sex zu haben, hatte Scully gewissenhaft eine
Schwangerschaft vermieden. Jahrelang nahm sie jeden Morgen zusammen mit dem
Orangensaft die Antibabypille. Später, als Sex mit einem größeren Risiko
behaftet war, schleppte sie Kondome und Schaum in ihrer Handtasche mit sich
herum. Und dann hatte sie lange Zeit nichts, weil da niemand war. Die Kondome
in ihrem Wäscheschrank waren überlagert und sie warf sie fort. Sie begriff, daß sie jederzeit neue kaufen konnte, wenn es so aussehen
sollte, daß sie demnächst Sex haben würde.
Dann
kam der Nachmittag, an dem sie erstarrt in dem Sessel im Zimmer des Doktors saß
und zuhörte, wie ihr Dr. Bailey sanft erklärte, daß
sie niemals eigene Kinder haben würde. Sie erinnert sich daran, daß sie wie benommen nach Hause gefahren war, zu
schockiert, um darüber zu weinen, daß ihr auch das
genommen worden war.
Sie
begann, die Tatsache ihrer Unfruchtbarkeit zu akzeptieren, wenn auch nicht zu
mögen. Ja, sie war wütend. Ja, sie empfand den schneidenden Verlust, daß ihr die Möglichkeit einer Mutterschaft genommen worden
war ohne ihre Zustimmung, aber es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Sich
in dem Schmerz und Verlust zu wälzen, würde gar nichts bringen. Sie mußte weitermachen.
Dennoch
hielt sie manchmal ein Baby in den Armen und roch seine süße, zarte Haut und
fühlte dabei, wie ihr der Schmerz wie mit einem Eispickel direkt ins Herz
stach. Scully schaukelte Theresas Baby in ihrem Schoß und spürte dabei Mulders
Blick auf sich. Sie stellte sich vor, daß sie seine
Gedanken lesen könnte - wenn doch nur, Scully. Wenn doch nur.
Wenn
sie nur gewußt hätten, was sie jetzt weiß.
Ihre
Hände gleitenn zu ihrem Bauch, der immer noch völlig
flach ist. Und sie stellt sich einen Moment lang vor, daß
sie spüren kann, wie sich ihr Kind darin bewegt. Sie schließt ihre Augen und
sieht das Bild ihres Kindes, das in seinem See aus Fruchtwasser schwimmt.
Sie
hätte es nicht geglaubt, wenn sie nicht die Ergebnisse der Urin- und Bluttests
gesehen und keine gründliche Untersuchung eines anerkannten Gynäkologen gehabt
hätte. Obwohl ihr schwindlig und ein wenig übel gewesen war, war es ihr nie in
den Sinn gekommen, daß sie schwanger war. Seit ihrer
Entführung war ihre Periode nicht mehr regelmäßig gekommen, also hatte es
überhaupt nichts für sie bedeutet, daß sie zwei
Monate ausgeblieben war. Man kann es
Leugnen nennen, aber sie nennt es einfach Logik. Es war unmöglich für sie,
schwanger zu werden, deshalb bedeuteten diese Symptome nicht Schwangerschaft.
Es
ist eine warme, angenehme Mainacht, aber Scully zittert dennoch, wenn sie daran
denkt, daß sie das alles womöglich allein durchstehen
muß. Und sie wundert sich immer wieder über das Wie
und geht in Gedanken endlos die Möglichkeiten durch. Konnten ein paar Eizellen
vergessen worden sein, als sie die Laparoskopie an ihren Eierstöcken vorgenommen
hatten? Konnten sie irgendetwas mit ihr angestellt haben, während sie in der
Antarktis war? Was ist mit der Zeit, die sie mit dem Raucher verbracht hatte?
Die
Galle kommt ihr hoch und sie spült sie mit einem großen Schluck Limonade fort.
Nein, sie hätte es gewußt, wenn ihr dieser Mann etwas
angetan hätte, während sie mit ihm zusammen war. Sie hätte es gespürt.
Im
zweiten Monat, hatte ihr der Gynäkologe mit einem breiten Lächeln im
Krankenhaus erzählt. Mehr oder weniger ist Scully im zweiten Monat schwanger.
Anfang Dezember soll sie entbinden.
Sie
versucht, sich die kalte Dezemberluft vorzustellen, wahrscheinlich wird es eine
dünne Schneedecke geben, wenn die Wehenschmerzen beginnen und sie allein ins
Krankenhaus geht, um das Baby zu bekommen.
Sie
kann nicht. Sie kann das Baby nicht ohne Mulder haben.
Ich
werde dich finden, flüstert sie in den dunklen Garten.
Scully
denkt zwei Monate zurück und versucht, näher zu bestimmen, wann ihr Baby
gezeugt wurde. März - mal sehen, was im März passiert ist.
Sie
schließt die Augen, atmet tief ein und erinnert sich an ein Wochenende im März,
als sie die ganze Zeit in ihrem Apartment verbracht hatten. Es gab keinen Fall,
keinen Papierkram und der eisige Regen hatte nie den geringsten Reiz auf sie
ausgeübt, tatsächlich irgendwo hinzugehen.
Vor
diesem Wochenende waren Mulder und sie nur wenige Male seit ihrem ersten Mal am
Neujahrsmorgen zusammengewesen. Es gab keine freie Zeit, um sie miteinander zu
verbringen. Es war nicht professionell, während sie an einem Fall arbeiteten
und es schien niemals der richtige Zeitpunkt zu sein, wenn sie zu Hause waren.
Zurückblickend
kann sie zugeben, daß die Tatsache, daß sie es einfach nicht gewöhnt waren zusammenzusein,
daß sie in ihrer neuen Rolle als Liebende scheu
waren, eine große Rolle gespielt hat. Es war nicht wie im Film, wenn aus
Freunden Verliebte werden und dann ist alles Seligkeit und ein bunter
Regenbogen. Die paar Nächte, die sie zusammen verbracht hatten, schienen immer
wie ein glücklicher Unfall zu sein. ‚Oh, ich wollte dir diesen Autopsiebericht
zeigen.' ‚Scully, hab ich mein Jackett hier liegenlassen?'
Dieses
Wochenende, das zweite im März, war es, als sie all ihre Hemmungen verloren.
Sie
erinnert sich daran, daß sie sich endlos geliebt
hatten und an die Überraschung und das Vergnügen darin. Stunden um Stunden, von
einer heißen, wilden Freitagnacht auf der Couch zu einem gemächlichen
Sonntagabend in der Badewanne, während das Wasser und der Seifenschaum auf den
Fliesenboden und die Badematte schwappten. Plötzlich waren sie unersättlich,
kamen immer wieder zueinander wie hormongesteuerte Teenager nach dem Abschlußball. Sie hätte nicht geglaubt, daß
Mulder, beinahe vierzig, so lange durchhielt, aber er tat es.
An
diesem Wochenende fühlte sie sich lebendig, umhüllt von luxuriösen Stoffen und
dem Geruch von Sex, den sie schließlich in seiner vielfarbigen,
dreidimensionalen Form erlebten. Endlich war sie frei von Schuld und Hemmung.
Sex mit Mulder war frei und natürlich; sie paßten
einfach zusammen, trotz ihrer unterschiedlichen Größe.
Es
gab eine Menge neuer Entdeckungen. Sie konnte durch seine Hände, seinen Mund,
seinen Penis kommen, wieder und wieder, bis sie fürchtete, es könnte ein
Blutgefäß in ihrem Hirn platzen, weil sie immerzu die Augen nach innen
verdrehte. Sie liebte es, wenn sich Mulder unter ihr wand, während sie ihn mit
dem Mund verwöhnte und ihn mit ganz langsamen Bewegungen neckte. Sie konnte
sich selbst berühren, während er in ihr war und er war nicht beleidigt und nahm
es nicht als irgendeine Anmerkung zu seinen Fähigkeiten. Es erregte ihn nur noch mehr.
Sie
schienen nicht aufhören zu können, während der Regen fortfuhr, gegen die
Scheiben zu klatschen. Sie bestellten Pizza und thailändisches Essen, tranken
Orangensaft und Bier, um wieder Flüssigkeit aufzunehmen, und hin und wieder
machten sie ein kurzes Nickerchen. Jedesmal wenn sie
versuchten, unschuldig auf der Couch zu sitzen und sich einen Film anzusehen,
wurden die Dialoge und die Musik zu Hintergrundgeräuschen ihres sich
steigernden Stöhnens.
An
irgendeinem Punkt blickte Mulder sie an, sein Gesicht war gerötet und
verschwitzt, seine Haare standen nach allen Seiten ab, und er keuchte,
"Was passiert mit uns?"
Sie
lachte und sagte, "Das ist pure Lust, Mulder."
Die
Liebe hatten sie seit langer Zeit, nun war es Zeit für die Lust.
Aber
nun konnten sie auch frei von Liebe sprechen.
"Ich
liebe dich ich liebe dich ich liebe liebe liebe dich," sang Mulder mit
gedehnter Stimme, während er von hinten tief in sie hineinstieß, seine Hände
auf ihren Schenkeln.
Als
ihnen bereits alles wehtat, hörten sie nicht auf, sondern machten einfach
langsam weiter, berührten sich nur noch mit zärtlichen, feuchten Fingern, ihre
Münder und Zungen verschmolzen miteinander.
Sie
küßten sich permanent - während des Vorspanns des
Films "Matrix", während sie versuchten, Eier zu braten, unter der
Dusche, während sie ihre Voicemailbox im Büro
abhörten.
Jetzt
kann sich Scully nicht erinnern, ob sie an diesem Wochenende jemals etwas
angezogen hatten.
In
der Vergangenheit brauchte sie immer die Dunkelheit beim Sex. Sie mochte den
Anblick ihres Körpers nicht und wollte nicht, daß
irgendjemand anders ihn im unversöhnlichen Licht des Tages sah. Ihre Beine
waren kurz und gedrungen. Eine Brust war ein bißchen
größer als die andere. Ihr Bauch war von der Schußwunde
vernarbt. Manchmal hatte sie einen Pickel am Po.
Aber
Mulder betete ihren Körper an diesem Wochenende an, er küßte
und leckte jeden Zentimeter und bekannte stöhnend, daß
er immer davon geträumt hatte, die sanfte Haut an der Innenseite ihrer Ellbogen
zu küssen. Er redete so lange über die Schönheit ihrer Brüste, daß sie ihm eins auf sein nacktes Hinterteil gab, damit er
aufhörte. Er verbrachte eine lange Zeit zwischen ihren Beinen, leckte sie mit
langsamer Finesse, hielt inne, um ihr zu sagen, wie gut sie schmeckte und wie
gern er das tat und daß er nichts lieber wollte, als
den ganzen Tag dort zuzubringen.
Sie
sah zu, als sie sich vor dem Spiegel ihres Wandschranks liebten. Wie schön wir
sind, dachte sie.
Sie
erwischte sich dabei, wie sie ohne ein einziges Stück Stoff an ihrem Körper
durch ihr Apartment stolzierte und dabei stolz wie eine Königin war. Scully wußte, daß sie weit davon entfernt war, perfekt zu sein, aber in
Mulders Augen war sie an diesem Wochenende makellos.
Und
sie gab zurück, was sie bekam. Sie stand in der Dusche und sah zu, wie das
Wasser über seine breite Brust und seine kräftigen Schenkel rann. Sie liebte
sogar die Narbe an seiner Schulter. Wissenschaftlerin, wie sie nun mal war,
beobachtete sie, wie sein Penis unter ihrer Berührung groß und hart wurde. Sie küßte das Mal an seiner Wange und die Spitze seiner
kräftigen Nase, die Nase, von der sie wußte, daß er sie insgeheim haßte. Niemals hatte sie sich vorgestellt, daß ein Mann so weiche Lippen haben konnte.
Sie
teilten ein paar Geheimnisse, während sie vor dem Kamin saßen und Wein tranken,
in ihre Decke gehüllt, die nach ihren Körpern duftete. Es war nicht einfach,
denn sie waren es nicht gewöhnt, über so persönliche Dinge zu sprechen, aber
die Geschichten kamen langsam und zögernd hervor. Alte Lieben, Enttäuschungen
in der Vergangenheit, Erniedrigungen im Namen der Liebe. Sie hielten sich bei
den Händen und sahen verschwommen zu, wie die Flammen im Kamin tanzten.
Scully
erwachte mitten in der Nacht und fand ihre Finger, die immer noch ineinander
verschlungen waren und zwischen ihnen auf dem Laken lagen. Seine Hand groß und
braun, ihre klein und weiß. Ihre Hände waren sogar im Schlaf vereint.
Sogar
da, als sie in den Moment versunken war, wußte sie, daß es nicht immer so glückselig, so hungrig und wild sein
würde. Sie verbrachten dieses Wochenende damit, den Handel zu besiegeln und
sich gegenseitig ihrer Liebe zu versichern. Es war der Wendepunkt, den sie so
dringend brauchten. Danach würde es nicht mehr so unbeholfen sein.
Am
Sonntagabend küßte Scully ihn an der Tür und sah zu,
wie er irgendwie o-beinig den Gang entlang zur Haustür ging. Sie schloß die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen und
lächelte.
Nun
vermutet sie mit wachsender Sicherheit, daß sie zu
der Zeit, als Mulder ihr Apartment verließ, schwanger war. Während sie grinste
und sich die mehr ekstatischen Momente des Wochenendgelages zurückrief,
vermehrten sich die Zellen rasant und das Leben begann sich zu formen.
Allein
im Garten fühlt Scully, wie ihr die Tränen kommen und sie zwingt sich, nicht zu
weinen. Sie kann es sich nicht leisten. Jetzt muß sie
stark, kontrolliert und voller Energie sein.
Wenn
Mulder gewußt hätte, daß
sie schwanger ist, ob er dann nach Oregon gegangen wäre? Sie zuckte angesichts
ihrer eigenen rhetorischen Frage mit den Schultern. Was-wäre-wenn-Situationen
taten niemals jemandem gut.
Sie
fragt sich, ob Mulder so empfunden hatte, als sie entführt worden war, diesen
dumpfen Schmerz, diese Leere in seiner Brust. Ihre Hand greift instinktiv nach
dem goldenen Kreuz an ihrem Hals und sie entdeckt, daß
es nicht da ist.
Natürlich
nicht. Sie hat es Mulder gegeben.
Ihr
Abschied war kurz gewesen, was irgendwie barmherzig war. Mulder und sie waren
nie gut in Abschiedsszenen.
Mulder
und Skinner mußten sich beeilen, um ihren Flug nach
Portland zu bekommen. Unten im Büro raffte Mulder ein paar Sachen zusammen und
stopfte sie in seinen Aktenkoffer - Akten, Bücher, einige seltsam aussehende
Dinge, die sie nie zuvor gesehen hatte und eine Waschtasche, die er in seinem
Schreibtisch aufbewahrte. Scully stand an der Tür und beobachtete ihn in
betäubter Faszination.
Er
drehte sich zu ihr um und räusperte sich.
Das
ist nicht unser Abschied, dachte sie. Er wird in ein paar Tagen zurück sein.
Sie
zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Bist du sicher, daß
ich dich nicht dazu überreden kann, mich mitzunehmen?"
Mulder
hob beschwichtigend seine Hände. "Wir können dieses Risiko nicht
eingehen."
Sie
nickte und küßte ihn zärtlich und spürte dabei, wie
etwas in ihr zerbrach. Ein kleines Flüstern in ihrem Kopf sagte ihr, daß Mulder nicht zurückkommen würde. Er fuhr einem
Schicksal entgegen, das vor sieben Jahren begonnen hatte in einer kleinen Stadt
in den Wäldern von Oregon. Der Kreis hatte sich geschlossen und hier begannen
sich ihre Wege zu trennen.
Scully
zog es vor, das Flüstern zu ignorieren. Mulder würde es gut gehen.
Schwerfällig
lösten ihre Finger den Verschluß der goldenen Kette,
an der ihr Kreuz hing, und die Glieder sammelten sich in ihrer Hand. Sie hielt
es ihm wie ein Opfer hin.
"Ich
möchte, daß du es trägst,"
flüsterte sie.
"Scully," entgegnete er mit rauher
Stimme und wandte sich von ihr ab. Sie fragte sich, ob er Tränen fortblinzelte.
Er
beugte seinen Kopf und sie befestigte die Kette um seinen Hals. Sie war ein bißchen eng, aber es würde gehen. Dann schob sie sie unter
sein Hemd.
Mulder
ergriff ihre Hände, seine Augen waren sanft und leuchteten vor Tränen.
"Ich liebe dich, Scully."
"Ich
liebe dich auch."
Es
schien nichts mehr zu sagen zu geben. Sie drehte sich um und ging zum
Schreibtisch. Hinter sich hörte sie seine Schritte auf dem Gang zum Fahrstuhl
und dann nichts mehr.
"Dana?"
Die
Stimme ihrer Mutter rüttelt sie aus ihren Erinnerungen. Ihre Augen öffnen sich.
"Ja,
Mom, ich bin hier draußen."
"Ich
dachte mir, daß das dein Wagen ist, da vor dem
Haus..."
Scully
kann das Gras rascheln hören, als ihre Mutter auf sie zukommt. Ihr Magen
schlingert und droht, sich zusammenzuziehen, ihre Nerven sind überarbeitet. Sie
hat ihrer Mutter eine Menge zu erzählen.
Eines
Nachmittags, als sie noch ein Teenager war, hörte Scully, wie ihre Mutter am
Telefon zu einer Freundin sagte, "Weißt du, Dana ist das einzige Kind,
wegen dem ich mir niemals Sorgen mache."
Aus
irgendeinem Grund war sie sehr stolz darauf gewesen. Sie machte ihrer Mutter
niemals Sorgen.
Wie
die Zeiten sich doch ändern. Jetzt ist Dana wahrscheinlich das einzige Kind,
wegen dem sie sich Sorgen macht.
Sie
haßt es, ihrer Mutter noch mehr schlechte Neuigkeiten
zu erzählen.
Sie
fürchtet es, ihrer Mutter die guten Neuigkeiten zu erzählen.
Ihr
Mund wird trocken und Scully nimmt einen tiefen Schluck Limonade. Sie wünscht
sich, sie hätte ein nettes, sicheres Leben, in dem sie ihrer Mutter beinahe alles
erzählen konnte und ihre Mutter sie verstehen würde.
All
die Dinge, die in den letzten sieben Jahren passiert waren - Entführungen,
Schüsse, Krebs, Unfruchtbarkeit, der Tod von Melissa - hatten Scully zu einem
besseren und stärkeren Menschen gemacht, aber sie hatten sie auch ihrer Mutter
entfremdet. Sie will ihrer Mutter nicht mehr Sorgen bereiten als unbedingt
nötig, was bedeutet, daß sie sich alles wohl
überlegt, wenn sie mit ihr spricht.
Aber
jetzt kann sie es nicht tun. Sie kann nur ehrlich sein.
Es
tut mir leid, denkt sie an die Adresse ihrer Mutter gerichtet. Ich wollte dir
niemals so wehtun, dich um deinen Schlaf und deinen Frieden bringen, indem du
dir Sorgen um mich machst. Sie fühlt sich wie ein Teenager, der dabei war
zuzugeben, daß ihr Freund sie geschwängert hat und
dann verschwunden ist. Verführt und verlassen, das älteste Thema in der
Literatur.
Sie
ist beschämt, stolz und verängstigt.
Scully
schwingt ihre Beine über die Kante der Liege, so daß
sich Maggie neben sie setzen kann.
"Bist
du in Ordnung?" Ihre Mutter berührt ihr Gesicht.
Ihr
Entschluß, nicht zu weinen, fällt in sich zusammen
bei dem sanften Ton in der Stimme ihrer Mutter. Die Tränen beginnen bereits
warm und klebrig über ihr Gesicht zu laufen.
"Nein," antwortet sie, verschränkt die Arme vor der Brust
und blickt in ihren Schoß. "Ich bin nicht in Ordnung."
Als
ihre Mutter sie in die Arme nimmt, bricht alles aus Scully heraus in einem
Durcheinander von Tränen und Worten.
Maggie
sagt gar nichts, schaukelt nur ihre Tochter und summt irgendetwas wortloses und tröstendes. In ihrem Hinterkopf fragt sich
Scully, ob es eines Tages mit ihrem eigenen Kind auch so sein wird. Wird sie
ihrem Kind Trost und Sicherheit bieten müssen, während ihr das Herz bricht?
Als
sie ihrer Mutter alles erzählt hat, wischt Maggie ihre eigenen Tränen fort und
sagt, "Dana, warum bleibst du heute Nacht nicht hier? Wir haben immer noch
über so vieles zu reden."
Scully
nickt.
"Morgen
früh können wir zur Messe gehen."
Sie
kann Gott danken für ein Wunder und für ein weiteres beten.
Maggie
steht auf und nimmt Danas Hand und versucht, sie hochzuziehen. "Laß uns hinein gehen. Es wird kühl."
"Ich
komme gleich nach," sagt Scully. "Ich muß nur einen Moment allein sein."
Ihre
Mutter geht auf das Haus zu und selbst in der Dunkelheit kann Scully sehen, daß ihre Körperhaltung zusammengefallen ist.
Ein
weiteres Mal blickt sie in den Himmel und sieht nichts. Der Mond ist immer noch
versteckt.
Scully
braucht lange, um einzuschlafen. Sie ist nicht daran gewöhnt, die Nacht in dem
fröhlichen Gästezimmer ihrer Mutter mit den rosengeschmückten Tapeten zu
verbringen. Die Matratze ist für ihren Geschmack zu weich und das Fehlen der
Geräusche von der Straße und die dadurch verursachte Stille machen sie nervös.
Eine
Weile blättert sie in einem Magazin, um sich zu entspannen, aber sie erwischt
sich dabei, daß sie die Hochglanzbilder anschaut,
ohne sie wirklich zu sehen. Sie denkt daran, als ihre Mutter mit ihr schwanger
war und ihr Vater auf See war und in Vietnam kämpfte. Maggie hatte keine Ahnung,
ob ihr Mann jemals zurückkehren würde, ob er sie mit drei kleinen Kindern
allein ließ, die aufwachsen würden, ohne jemals den außergewöhnlichen Mann
kennenzulernen, der ihr Vater war.
Am
Morgen würde sie ihre Mutter über diese Zeit in ihrem Leben befragen müssen.
Während
es bereits sehr spät geworden war, erkennt sie, daß
sie Angst hat, das Licht auszuschalten und zu versuchen, zu schlafen.
Als
sie schließlich die Lampe ausknipst, hat sie all ihre Ängste erkannt. Sie versucht, die Augen zu schließen und zu
beten, aber sie findet die Worte nicht. In dieser Nacht fühlt sie keine
Verbindung zu Gott. Stattdessen kommen
ihr schreckliche Gedanken - Babys mit grünem Hybridenblut, Babys krank wie
Emily, Mulder niemals wiedersehen, ihr Kind allein aufziehen, Mulder auf einem
Tisch ausgestreckt und schreckliche Qualen erleidend, Wehenschmerzen, blutige
Fehlgeburten, Mulder tot, Babys mit grauenvollen Mißbildungen,
Babys, die weinen und weinen und weinen...
Sie
weint nicht allein in dem dunklen Schlafzimmer. Es sind keine Tränen mehr da,
um sie zu vergießen.
Nach
langer Zeit fällt sie in einen unruhigen Schlaf.
Es
ist mitten in der Nacht und klagendes Geräusch weckt sie. In einer Bewegung,
die für sie nun automatisch ist, steigt sie aus dem Bett, schaltet das Licht
ein und geht quer durch den Raum zu der Wiege.
Sie
nimmt ihr Baby hoch auf den Arm, wie immer erstaunt darüber, daß es so klein, so leicht ist, daß
es ihres ist. Sie atmet den süßen, milchigen Geruch seines Köpfchens tief ein.
Sie
legt es auf den Wickeltisch und faßt in die Windel.
Er ist trocken.
"Hast
du Hunger?" fragt sie mit einem Grinsen.
Auf
eine gewisse Art ist das ihre Lieblingszeit, wenn es draußen dunkel und still
ist, wenn nichts auf der Welt existiert außer ihnen beiden. Aber es ist auch
die einsamste Zeit, wenn sie schneidend fühlt, wie allein sie mit diesem Kind
ist.
Sie
setzt sich in den Schaukelstuhl am Fenster und knöpft ihr Nachthemd auf. Das
Baby schnappt nach ihrer Brust und beginnt gierig zu saugen. Während sie auf sein kleines Köpfchen
herabblickt, bemerkt sie, wie sein Haar mit jedem Tag dichter und dunkler wird.
Seine Augen, bei der Geburt blau, fangen an, sich in grau zu verwandeln und sie
fragt sich, ob sie eines Tages dieselbe Farbe haben werden wie die seines
Vaters.
Während
sie die flaumige Wange ihres Babys streichelt, beißt sie sich auf die Lippe.
Sie
schaltet die Lampe aus und zieht eine Decke der Dunkelheit im Schlafzimmer vor.
Aber es ist nicht vollkommen dunkel. Ein silbriges Licht überflutet das Zimmer
und wirft dunkle Schatten. Sie blickt zum Fenster hinaus und sieht einen
mächtigen vollen Mond, der übernatürlich hell am Himmel leuchtet. Aus
irgendeinem Grund bringt der Anblick sie zum Lächeln.
Nachdem
er ihre Milch getrunken hat, gibt ihr Sohn ihr ein lautes Bäuerchen und schläft
wieder ein. Anstatt ihn ins Bett zurückzulegen, hält ihn Scully im Arm,
schaukelt ihn sanft und summt ein Lied ohne Worte.
Sie
hatte niemals gewußt, daß
sie so etwas lieben konnte, ihr Baby mitten in der Nacht halten und ihm etwas
vorsingen.
Scully
erstarrt, als sie hört, daß die Schlafzimmertür
geöffnet wird. Ihr ganzer Körper versteift sich und sie fragt sich, wie sie so
schnell wie möglich an die Waffe kommt, die in der Schublade ihres Nachttisches
liegt. Aber trotz ihrer Ausbildung
findet sie sich außerstande, sich zu bewegen oder zu atmen.
Ein
Mann kommt durch die Tür. Im Mondlicht sieht sie eine hohe magere Gestalt, mit
zerzaustem Haar und Bart.
Die
Zeit steht still...
"Scully," sagt er mit rauher und
kratziger Stimme.
Nein.
Sie träumt, sie schläft immer noch, sie wird jeden Moment aufwachen und sich
allein mit ihrem Baby im Schaukelstuhl wiederfinden.
Aber
sie wacht nicht auf.
Ihre
Lippen formen ein Wort, aber es kommt kein Ton aus ihrem Mund.
Mulder.
Nein,
er ist fort, er kommt nicht wieder, es ist ein Traum, ein Traum.
Nie
zuvor hat ihr Herz so wild gehämmert.
Er
durchquert den Raum und kniet neben dem Stuhl nieder, seine Augen sind groß in
seinem mageren Gesicht.
Diesmal
kommt das Wort heraus. "Mulder," keucht sie
und streckt die Hand aus, um sein Haar zu berühren.
Er
berührt den Kopf des schlafenden Babys. "Ist es?" flüstert er
zögernd.
Sie
nickt. "Ja," antwortet sie. "Es ist
deines."
Mulders
Kopf sinkt. "Oh Gott, ich wußte es nicht."
Das
Baby bewegt sich in ihrem Arm und ist nun wach. Sie nimmt es mit zitternden
Händen von ihrer Schulter und legt es in ihren Schoß.
"Ich
wußte es nicht,"
wiederholt Mulder. "Wenn ich es gewußt hätte,
wäre ich nicht..."
Sie
unterbricht ihn. "Es ist in Ordnung, Mulder, du bist zurück." Tränen
verschleiern ihren Blick und laufen über ihr Gesicht.
Mulder
beugt sich nach vorn und legt seine Arme um sie. Sie berührt sein Gesicht,
seine Haare und seinen Rücken, um sicherzugehen, daß er es wirklich ist und nicht nur ein Traum.
Er
ist zurück. Er ist am Leben und in einem Stück. Er ist wirklich. Es ist Mulder.
Lange
Zeit verharren sie erstarrt in ihrer Umarmung, alle drei, während der Mond ins
Fenster scheint.
Und
Scullys Augen öffnen sich und sie findet sich immer noch im Gästezimmer ihrer Mutter
wieder, immer noch allein. Ihre Wangen sind feucht von ihren Tränen.
Sie
fragt sich, wie viele Träume wie diesen sie noch haben wird.
Sie
steigt aus dem Bett und geht zum Fenster. Es ist immer noch dunkel draußen und
an dem dunklen Himmel gibt es keinen Mond und keine Sterne.
Ihren
Bauch mit einer Hand berührend, beugt sie sich nach vorn und drückt ihre Stirn
gegen das kühle Glas.
Sie
blickt hinauf zum Himmel und wünscht sich den Mond.
ENDE
Anmerkung:
Alunakanula ist ein russisches Palindrom,
geschaffen von dem Dichter Andrej Voznesensky, das
bedeutet ‚der Mond ist verschwunden'. Ich mochte ein gutes Palindrom
schon immer (Mein Bruder hatte dieses ‚abartige' Talent, so etwas zu schaffen,
als wir Kinder waren.) und ich habe diesen hier an dem Tag gelesen, als ich
‚Requiem' gesehen habe. Aus irgendeinem Grunde schien es zum Thema der Episode
ganz gut zu passen.
Große
Anerkennung für Plausible Deniability, weil sie die
Meisterin meiner Beta-Domain ist. Er ist wirklich der Gott der Grammatik und
der Wortnutzung und auch ein guter Freund. Danke auch an Jerry dafür, daß er ein wunderbarer Freund ist und mir in verwirrenden
und verrückten Zeiten zur Seite steht.
Und
sehr viel Liebe für L., der mir das Schöne in allen Dingen zeigt...