GEBLENDET
VON WEISSEM LICHT
(Originaltitel:
Blinded By White Light)
von
Dasha K.
aus
dem Englischen übersetzt von Sylvie < aktex_sm@hotmail.com
>
Summary:
Was sind wir anderes, als die Summe unserer Erinnerungen?
Classification:
SRA
Rating:
NC-17 für Erwachsenenthemen, wenn du unter 18 bist, bitte lies etwas anderes.
Keywords:
Ah, aber damit würde man aus der Schule plaudern, nicht wahr?
Bleibt
gelassen, niemand wird vergewaltigt, stirbt oder wird verletzt.
Spoiler:
keine
Feedback:
Bitte dashak@aol.com
Disclaimer:
Die Charaktere sind Schöpfungen von CC und Company. Ich habe mir einige Elemente
aus dem Hintergrund von Marge Piercys hübscher Geschichte "Er, sie und
es" geborgt. Sie hat großzügig zugegeben, daß sie bei William Gibson
geborgt hat, also gehe ich davon aus, daß alles frei zugänglich ist.
Vielen
Dank an meine Editoren und lieben Freunde Gwen und Plausible Deniability.
Mehr
Anmerkungen und Danksagungen am Ende der Geschichte.
Ein
anderes Lied
Ich
will nicht länger wiederholen
unausgesprochene
Worte.
Aber
in Erinnerung an dieses Nicht-Treffen
werde
ich eine wilde Rose pflanzen.
Da
das Wunder unseres Treffens
leuchtete
und summte,
wollte
ich nicht zurückgehen
nach
irgendwo von hier.
Glück
vor die Pflicht zu stellen
war
meine bittere Freude.
Ich
sprach mit jemandem, mit dem ich nicht sollte ich sprach lange Zeit.
Laß
Begierden, die eine Antwort fordern
die
ersticken, die verliebt sind,
aber
wir, mein Darling, sind nur Seelen
am
Rande der Welt.
Anna
Akhmatova
GEBLENDET VON
WEISSEM LICHT -- TEIL 1
Eines
Nachts, kurz nachdem ihre Tochter Julia geboren wurde, konnte sie nicht schlafen.
In der Dunkelheit hörte sie John sich umdrehen und sie wußte, daß er auch noch
wach war.
"Honey?"
fragte sie seinen stillen Rücken.
"Ja?"
murmelte er mit belegter Stimme.
Sie
wußte nicht, warum sie es gefragt hatte. Es war etwas, worüber nicht gesprochen
wurde. Man erwähnte es einfach nicht.
Sie
drehte sich auf den Rücken und blinzelte in die Dunkelheit.
"Woran
erinnerst du dich?" flüsterte sie. "Woran erinnerst du dich aus dem
Vorher?"
John
atmete in einem langen Zug aus, aber er sagte nichts. Sie berührte seine
Schulter und er zuckte zusammen.
"Woran
erinnerst du dich?" wiederholte sie.
"Ich
erinnere mich an gar nichts."
In
dem Moment hörte sie Julias Weinen aus dem Babymonitor und setzte sich auf.
"Ich gehe," sagte sie und verließ das
Zimmer.
Sie
erwähnte das Thema nie wieder.
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Sie
lief über den verlassenen Heldenplatz, ihre Absätze klapperten über die
makellosen Vierecke aus Beton. Es war noch früh und der Platz war noch nicht
von Menschen bevölkert, die unterwegs zur Arbeit waren.
An
ihrer heißen Tasse Tee nippend überdachte sie die Frage, die sie John vor zwei
Jahren gestellt hatte.
Woran
erinnerst du dich?
Woran
erinnere ich mich?
Sie
erinnerte sich an die Gerüche der Straße, an die Abgase der vorbeifahrenden
Autos, an einen Stand, an dem fettige Hot Dogs verkauft wurden, an den Gestank
überlaufender Müllbehälter.
Sie
erinnerte sich an den Lärm, an das Geplapper auf den Straßen in vielen
verschiedenen Sprachen, an Fetzen von Rockmusik aus den offenen Fenstern eines
Wohnhauses, an die Sirenen von Polizeiautos.
Sie
erinnerte sich an sich selbst, sehr jung, ein Kostüm tragend, sich selbst im
Spiegel anstarrend und sich fragend, ob sie ein professionelles Bild abgab.
Stücke
und Teile, Ausschnitte und Fetzen der Erinnerung. Nichts paßte.
Es
war für jeden anderen das gleiche, das wußte sie. Aber das machte es nicht
leichter.
Sie
seufzte und trat durch die Glastüren des East Side Health Buildings, strebte
entschlossen ihrem Ziel entgegen.
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Dr.
Hanley goß eine Tasse Kaffee ein und bot ihr eine an. Sie setzte sich in den
Ledersessel am Fenster und schüttelte auf ihre Teetasse deutend den Kopf.
Die
Ärztin saß hinter ihrem Schreibtisch und schob sich ein paar umherflatternde
Strähnen ihres blonden Haares aus dem Gesicht. "Wie war die Woche,
Dana?"
Sie
seufzte. "Sie war okay. Die Arbeit war stressig gewesen. Wir sind im Labor
auf ein paar Probleme mit unseren Proteinproben gestoßen, aber es scheint sich
von selbst zu ordnen."
"Und
das Leben zu Hause?" Dr. Hanley tippte etwas in ihr Notebook.
"Gut," sagte Dana. "Ich habe John nicht sehr oft
gesehen durch die späten Stunden im Labor, aber es geht uns gut. Julia hatte
wieder eine Menge kleiner Wutanfälle und es ist wahrscheinlich deswegen, weil
ich nicht genug Zeit mit ihr verbracht habe."
"Haben
Sie vor, das zu ändern?"
"Heute
abend gehe ich mit ihr nach der Arbeit in den Park.
John wird etwas zum Abendessen besorgen und dann werden wir wie eine normale
Familie zusammen essen. Ich habe Harold gesagt, daß ich in dieser Woche ein
paar Nachmittage freinehmen werde, damit sie nicht den ganzen Tag in der
Primary Care bleiben muß. Obwohl ich weiß, daß es eine großartige Einrichtung
ist, mag ich es nicht, wenn sie die ganze Zeit dort ist. Sie ist noch nicht
einmal drei."
Ihre
Therapeutin lächelte. "Es ist schwierig, Beruf und Familie miteinander zu
vereinbaren. Es klingt so, als würden Sie ein paar richtige Schritte tun, um es
hinzubekommen."
Dana
nickte. "Ich versuche es, aber es ist schwer. Manchmal habe ich das
Gefühl, daß John mehr Zeit mit Julia verbringt, wegen seines Berufs und auf
Grund der Tatsache, daß er einen Teil seiner Arbeit zu Hause erledigen kann.
Und manchmal wünsche ich mir, meine Mutter wäre da, um mir einen Rat zu
geben."
"Ich
glaube, wir alle wünschen uns, daß unsere Mütter da wären." Dana wußte,
daß Dr. Hanley selbst zwei kleine Söhne hatte. Ihr Bild stand auf ihrem
Schreibtisch, zwei engelhafte Jungen, die grinsten und ihre Fußbälle
festhielten.
Sich
in das Leder des Sessels zurücklehnend schloß Dana die Augen. "Ich hatte
letzte Nacht einen von diesen Träumen."
Die
Stimme der Ärztin war sanft. "Erzählen Sie mir davon, Dana."
"Ich
bin mehr und mehr davon überzeugt, daß es nicht nur ein Traumbild ist, sondern
etwas aus dem Vorher durchsickert. Es war eine Woche lang jede Nacht beinahe
derselbe Traum."
"Was
passiert?"
"Ich
stehe auf einem Flur. Es ist eine Art Krankenhaus oder Klinik, glaube ich. Ich
meine, es sieht anders aus als die Krankenhäuser, die ich kenne, aber es hat
diese Atmosphäre, wissen Sie? Ich kann das Antiseptische riechen. In meinem
Traum habe ich einen Bademantel an und mir ist so kalt und ich zittere vor
Angst und Trauer."
"Worüber
sind Sie traurig?"
Sie
schüttelte den Kopf. "Genau das ist es - ich habe keine Ahnung. Ich bin
erschrocken und mein Mund ist trocken, aber dann kommt er und er hält mich
fest, streichelt mir über das Haar und irgendwie fühle ich mich besser. Ich
sage etwas zu ihm, aber ich kann mich nie daran erinnern, was und dann erwidert
er irgend etwas. Und dann küßt er mich auf die Stirn,
sehr sanft, und an diesem Punkt wache ich immer auf."
"Wer
ist der Mann, Dana?"
"Ich
habe keine Ahnung." Sie biß sich frustriert auf die Lippen. "Ich kann
sein Gesicht nicht wirklich sehen. Er ist groß und hat dunkles Haar, aber das
könnte jeder sein. Alles was ich weiß ist, daß ich ihm vertraue und seine
Gegenwart mich tröstet."
Letzte
Nacht, nachdem sie den Traum hatte, war sie aus dem Bett geklettert und ins
Wohnzimmer gegangen. Sie wanderte wieder und wieder durch den kleinen Raum,
versuchte nachzudenken, ihr Gehirn dazu zu zwingen, sich an sein Gesicht zu
erinnern. Es klappte nicht und schließlich schlief sie auf der Couch ein, eine
von Julias Babydecken über ihrem Körper.
Niemand
sprach darüber und sie hatte keine Ahnung, ob andere dieselben Träume aus der
Vergangenheit hatten, denselben Kampf um ihre Erinnerungen führten.
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Offiziell
war es so - die Behandlung der Seuche hatte den Nebeneffekt, daß die meisten
der Erinnerungen aus der Vergangenheit verloren gingen. Die Überlebenden
konnten nicht um die Vergangenheit trauern. Ehefrauen, Ehemänner, Kinder, für
immer gegangen.
Während
sie nach der Arbeit in die U-Bahn einstieg, dachte sie zum achttausendsten Mal in
dieser Woche darüber nach. Beinahe zehn Prozent der Welt hatten überlebt, aber
sie taten es nur mit Fragmenten ihrer Erinnerung.
Sie
hatte eine Mutter, einen Vater, womöglich Schwestern und Brüder.
Vielleicht
einen Ehemann. Kein Kind, ihre gynäkologischen Untersuchungen bevor sie
schwanger geworden war, hatten ergeben, daß sie nie zuvor ein Kind geboren
hatte.
Sie
war Ärztin gewesen, das wußte sie, Pathologin. Ihre Ausbildung und ihre
Fähigkeiten funktionierten noch, als sie nach ihrer Behandlung in der Klinik
erwachte.
Sie
wußte, daß sie vierzig Jahre alt war und daß ihr Geburtstag der 23.
Februar
1964 war.
Früher
lebte sie an der Ostküste, einer Stadt, die Washington D.C. hieß. Es war die
Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie konnte sich noch an die
stattlichen Gebäude und Denkmäler erinnern, die sie durch die Fenster eines
Autos gesehen hatte.
Und
ihr Name war Dana Katherine Scully.
Diese
Fetzen der Erinnerung hatten unbeschädigt überlebt. Natürlich gab es nur sehr
wenige offizielle Akten, die übriggeblieben waren. Sie waren in Flammen
aufgegangen.
Das
war es, dachte sie mit einem Seufzer, als sie sich auf einen der blauen
Plastiksitze des U-Bahn-Wagens setzte und dieser sich mit einem Windzug in
Bewegung setzte. Das war die Summe von fünfunddreißig Jahren.
Es
hatte einen Krieg gegeben zwischen der Erde und den Feinden. Eine schnelle
Sache, die das meiste der Erde in ein paar Tagen Feuer zerstörte. Krankheit breitete sich aus wie ein Waldbrand
und tötete noch mehr der Überlebenden des Kampfes. Und
dann kamen die Anderen und retteten sie alle.
Sie
konnte sich an nichts davon erinnern. Ihr Leben begann an dem Morgen, als sie
in der Klinik erwachte, im künstlichen Sonnenlicht blinzelnd.
In
Wahrheit war sie erst fünf Jahre alt.
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Sie
stieg an der Station Morningside aus der U-Bahn und schob sich durch die Menge,
die sich auf ihrem Weg nach Hause befand. Außerhalb der Station war die Straße
hell wie am Tage, aber als sie nach oben sah, konnte sie den sternenklaren
Himmel außerhalb der Kuppel über der Stadt ausmachen.
Es
war Februar, also Winter. Manchmal konnte sie sich daran erinnern, als Kind im
Schnee gespielt zu haben, eine Handvoll dieses weißen, weichen Zeugs zu etwas
zusammengedrückt zu haben, das man Schneeball nannte, und es dann auf andere
Kinder geworfen zu haben. Natürlich war die Stadt klimakontrolliert. In einer
Kuppel gab es keinen Winter.
Dana
konnte sich nicht daran erinnern, wie sich Kälte anfühlte.
Die
Straße war voll mit Fußgängern, die noch Anzüge oder einheitliche
Arbeitsuniformen trugen, sich unterhielten und lachten und das Abendessen
planten. Vor dem Geschäft für Fertiggerichte gab es eine Schlange, was
bedeutete, daß heute abend nur wenige Leute Lust zum
Kochen hatten. Sie wußte, sie hatte keine. Dana war müde und ihre Füße
schmerzten, weil sie die meiste Zeit des Tages an den Versuchsröhren gestanden
hatte.
An
der Primary Care Nr. 32 stand eine Menge von Müttern und Vätern mit ihrer
Nachkommenschaft an der Hand, plaudernd und kleine Hände tätschelnd. Sie hielt für einen kurzen Schwatz mit Joanne
Ling über Schuhe an und ging dann hinein, um Julia abzuholen.
Ihre
Tochter spielte mit einem gelben Müllauto, schob es auf dem leuchtend roten
Teppich hin und her und machte dabei wrumm-wrumm. Leilah, die Lehrerin der
Zweijährigen, kam nach vorn und lächelte. "Sie hatte einen guten Tag,
Dana. Wir habe ein bißchen getanzt und sie hat
vorgegeben, ein Frosch zu sein."
Dana
lächelte die junge Frau mit dem langen dunklen Haar an. "Sie hat letztes Wochenende im Park einen Frosch gesehen und
konnte gar nicht mehr aufhören, davon zu erzählen."
Julia
sah auf und lächelte, winzige weiße Zähne zeigten sich in ihrem rosigen Mund.
"Mami!" rief sie, kam angelaufen und schlang ihre Arme um Danas graue
Hosen.
Sie
streichelte das hellbraune Haar ihrer Tochter und dachte, wenigstens wird sie
aufwachsen mit der Erinnerung an ihre Mutter.
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Der
Park war klein, eingebettet zwischen zwei hohen Apartmentkomplexen. Es gab andere,
größere Parks in der Stadt, aber sie mochte das persönliche Gefühl dieses
kleinen Parks und die Tatsache, daß er nur zwei Blocks von ihrer eigenen
Wohnung entfernt war, machten Julia und sie zu häufigen Besuchern.
Dana
verbrachte eine Weile damit, Julia auf der Schaukel anzustoßen und dann ließ
sie ihre Tochter mit einem kleinen Jungen in ihrem Alter in den Sandkasten
laufen und sich gründlich schmutzig machen. Das bedeutete, daß John oder sie
heute abend den Sand aus der Wanne kratzen würden,
aber Julia liebte es, im Sand zu buddeln.
Sie
ließ sich auf einer leuchtend orangefarbenen Bank nieder und genoß das Gefühl,
einfach nur dazusitzen und nachzudenken. In der letzten Zeit war es so hektisch
gewesen, mit den Forderungen ihres heranwachsenden Kindes und dem immer
hektischen Betrieb im Labor. Es war so friedlich, das Grün der Parkbäume zu
riechen und zuzusehen, wie Julia mit ihrem neuen Freund lachte.
Im
Park waren nur ein paar Menschen. Oftmals begegnete sie hier ihren Nachbarn und
sie verbrachte eine gesellige Zeit damit, über Kindererziehung zu diskutieren.
Heute abend waren nur eine einsame Frau auf der
anderen Seite des Parks, die in einem Magazin las, und zwei Männer, die ihre
Babys im Kinderwagen schoben, da. Sie konnte das Krachen eines Baseballs gegen
einen Schläger und das jungenhafte Lachen vom Feld hinter ihr hören.
Sie
sah überrascht auf, als sie den Klang einer männlichen Stimme vernahm.
"Haben
Sie etwas dagegen, wenn ich mich hierher setze?"
Er
war ein großer Mann, schlank und mit einem schlichten grauen Anzug bekleidet.
"Natürlich nicht," sagte sie.
"Es
ist der beste Platz, ein Auge auf Adam zu haben. Er ist der im
Sandkasten."
Sie
lachte. "Also werde ich nicht die einzige sein, die heute abend Sand unter den Fingernägeln hervorkratzt. Er spielt
mit meiner Tochter Julia."
Der
Mann lächelte, ein warmes schiefes Lächeln, das seine ansehnlichen Gesichtszüge
erleuchtete. Dana vermutete, daß er etwa in ihrem Alter war, vielleicht einige
Jahre älter. Er hatte Lachfältchen um seine grau-grünen Augen und ein paar
graue Strähnen in seinem dunklen Haar. Sie hatte selbst ein paar graue Haare,
aber ihre Friseurin deckte sie einmal im Monat mit warmem Kastanienbraun ab.
"Ich
bin froh zu sehen, daß Adam eine neue Freundin gefunden hat. Wir sind erst vor
einem Monat hierher gezogen und er hatte eine schwere Zeit, sich in seiner
neuen Primary Care anzupassen. Er liebte seine alte Lehrerin und der Wechsel
hat ihn wirklich umgeworfen."
"Von
wo sind Sie hergezogen?" Aus irgendeinem Grunde machte sie der Mann neugierig.
Sie war niemand, der einem Fremden eine Menge persönlicher Fragen stellte, aber
die Frage kam aus ihrem Mund, bevor sie darüber nachgedacht hatte.
"Boston," sagte er und rückte an seiner metallgefaßten Brille.
"Meine Frau ist der neue Dekan an der Schule für Bildung an der
Universität. Wir haßten es, umzuziehen, aber schließlich, die Städte sind doch
alle ziemlich gleich, nicht wahr?"
"Ja,
ich vermute es," sagte Dana. Sie hatte die Stadt
nur wenige Male verlassen, einmal für ihre Hochzeitsreise nach Miracle Beach
und zweimal zu Konferenzen in Chicago. Aber er hatte recht - eine Stadt unter
der Kuppel war wie die andere. Leise, sauber, friedlich. "Was arbeiten
Sie?"
"Ich
bin Entwicklungspsychologe. Ich arbeite mit Kindern im Schulalter und ich
konnte in das Schulsystem hier wechseln, als Sarah ihren neuen Job bekam. Und
Sie?"
Sie
drehte sich zu ihm um und studierte verstohlen sein Gesicht. Etwas darin
erinnerte sie an ihren Mann, vielleicht die Intensität seiner Augen oder die
Linie seiner Unterlippe. Interessant, dachte Dana. "Ich arbeite in der
medizinischen Forschung. In einem Labor, das angeborene genetische Schäden
untersucht, ein Erbe der Seuche."
"Das
muß faszinierend sein," sagte er und nickte
dabei.
"Das
ist es." Und dann erklang ein Heulen aus dem Sandkasten, als Julia dem
kleinen Jungen mit dem lockigen Haar ihre Plastikschaufel auf den Kopf
klatschte.
"Julia!"
rief sie.
"Ich
nehme an, das ist unser Zeichen," sagte der Mann
und stand auf, um seinen Sohn zu beruhigen.
Sie
seufzte und ging zu ihrer anscheinend gemeingefährlichen Tochter. Die Schrecklichen Zwei, dachte sie reumütig.
Als
sie den Park mit Julia im Schlepptau verließ, kam ihr in den Sinn, daß sie den
Namen des Mannes gar nicht kannte.
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Nachdem
Julia gebadet hatte und im Bett lag, rollte sich Dana auf der Couch zusammen
und begann, sich durch das Fotoalbum auf dem Telebildschirm zu klicken. Heute abend schien die Wohnung aus irgendeinem Grund besonders
gemütlich zu sein. Die Vorhänge waren geschlossen, die funkelnden Nachtlichter
der Stadt blieben draußen und das Wohnzimmer wurde durch das Licht der Lampe
erhellt. Durch die offene Badezimmertür konnte sie John hören, der die
Badewanne sauber machte. Er hatte den kurzen Strohhalm gezogen.
Die
Fotos begannen, gleich nachdem sie John getroffen hatte. Es gab Fotos von ihren
Verabredungen, sie beide auf Parties, auf Konzerten, einander anlächelnd im
öffentlichen Schwimmbad.
Die
Zeit ihrer Umwerbung war kurz gewesen. In diesen frühen Tagen, als jedermann in
der Stadt so verzweifelt versuchte, sich zu binden, eine Familie zu haben, gab
es eine dreimonatige Warteliste für die Hochzeitszeremonie im Saal des
Friedensrichters. Sie hatte John im August auf einer Party kennengelernt und im
Dezember waren sie verheiratet. Auf den Fotos sah sie strahlend und ein wenig
verlegen aus ihrem langen weißen Kleid, sich vor dem Hochzeitszimmer an Johns
Hand klammernd. Sie sahen beide trunken und erhitzt aus auf ihrer
Hochzeitsparty, umgeben von ihren Freunden von der Arbeit.
Ihr
Gesicht war ernst auf dem Foto, auf dem sie ihre Heiratsurkunde unterschrieben.
Obwohl John und sie nur einen Monat, nachdem sie sich kennengelernt hatten,
beschlossen zu heiraten, nahm sie die Bindung ernst. Als sie vor Friedensrichter McLean geschworen
hatte, John Rosen zu lieben, zu ehren und zu beschützen, hatte sie es so
gemeint.
Letztendlich
war er alles, was sie hatte.
Dana
klickte weiter zu den Fotos von ihr selbst im Park sitzend und hochschwanger.
Während dieser Monate sehnte sie sich nach der Mutter, an die sie sich nicht
erinnern konnte. Es war unheimlich, für ihr ungeborenes Kind verantwortlich zu
sein, zu wissen, daß sie bald die schreckliche Verantwortung hatte, Mutter zu
sein. Wie konnte sie ihrem Baby eine Mutter sein, wenn sie sich nicht einmal
daran erinnern konnte, wie es war, eine Mutter zu haben?
Und
dann gab es buchstäblich hunderte von Fotos von Julia. Sie zeigten sie, wie sie
von einem blutverschmierten schreienden kleinen Geschöpf in der
Entbindungsklinik zu einem kleinen Mädchen mit glatten braunen kinnlangen
Haaren heranwuchs, das seine Zunge in die Kamera streckte.
John
tappte ins Zimmer und setzte sich neben Dana. "Gott, sie ist schön, nicht
wahr?" sagte er in einem Ton voller Ehrfurcht.
Sie
drehte sich zu John um und zeichnete mit ihrem Zeigefinger die Linie seines
Wangenknochens nach. "Was glaubst du, nach wem sie kommt? Nach dir oder
nach mir?"
Er
grinste. "Sie hat dein Lächeln, aber meine Nase."
"Gott
sei dank," lachte sie. Sie haßte ihre Nase und
hatte überlegt, sie in einer der chirurgischen Boutiquen, die wie Pilze aus dem
Boden geschossen waren, richten zu lassen. Es schien eitel zu sein, also war es
nur eine Phantasterei.
"Ich
liebe deine Nase, Dana." John küßte sie auf den Nasenrücken und sie
seufzte vor Vergnügen. Es war Wochen her, seit sie sich geliebt hatten. Ihre Terminkalender waren so voll gewesen,
daß sie zu müde für etwas anderes als halbherziges Streicheln in der Nacht
waren.
Sie
schaltete den Telebildschirm aus und wandte sich ihrem Mann zu, über die Art
lächelnd, wie seine Augen gleichzeitig müde und erregt blickten.
"Laß
uns ins Bett gehen," sagte sie.
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In
dieser Nacht hatte sie einen neuen Traum.
Sie
schlief mit jemandem, aber es war nicht John. Es war ein anderer Mann.
Der
gesichtslose Mann mit den dunklen Haaren und den sanften Händen.
Es
war am Morgen und sie lagen in einem Bett, das Dana nicht vertraut war, aber es
roch für sie nach Zuhause, nach ihrem eigenen Körper, ihrem Parfüm und dem
Geruch seiner Haut. Er roch nach Schlaf. Gott, er fühlte sich so gut an, wie er
sie langsam in der frühen Morgensonne berührte und sie mit üppigen Lippen
küßte. Sie liebte ihn. Oh, wie sie ihn liebte. Nur ihn.
Der
Mann hielt sie fest und küßte sie, nachdem sie zusammen gekommen waren und
sagte, "Ich werde das niemals vergessen, Scully."
Seltsam,
er nannte sie bei ihrem Nachnamen.
Dann
erwachte sie, kerzengerade sitzend und mit klopfendem Herzen. Nach ein paar
Minuten der Verwirrung kletterte sie aus dem Bett. John, der immer schlafen
konnte, bewegte sich nicht, nicht einmal nachdem sie über ihre Laufschuhe auf
dem Boden gestolpert war.
Im
Badezimmer putzte sie sich die Zähne, trank ein Glas Wasser und starrte ihr
Spiegelbild an.
Ich
frage mich, wieviele Liebhaber ich gehabt habe, dachte sie.
In
jeder Hinsicht war John ihr erster gewesen und sie seine erste. Aber es hatte
sich augenblicklich vertraut angefühlt, als John in ihrer ersten gemeinsamen
Nacht in sie eingedrungen war. Der Rhythmus fühlte sich an, wie etwas, das sie
von früher kannte. Und als sie sich seinem Körper entgegenbäumte und bei ihrem
Orgasmus aufschrie, hatte sie das Gefühl eines deja vu, das sie häufig
heimgesucht hatte in den Monaten, seit sie in der Klinik aufgewacht war.
Dana
schüttelte den Kopf und gelobte damit aufzuhören, von der Vergangenheit
besessen zu sein. Es war nicht gesund, es war nicht fair gegenüber John und
Julia und dem neuen Leben, daß sie sich in den letzten fünf Jahren aufgebaut
hatte. Andere Menschen lebten ihr Leben und schufen sich einfach ihre neuen
Erinnerungen. Sie mußte dasselbe tun.
Ich
möchte mich nicht an dich erinnern, sagte sie schweigend zu dem Mann aus ihren
Träumen.
Sie
kletterte wieder ins Bett und drückte sich an Johns warmen, nackten Rücken. Sie
klammerte sich an ihn, wie an eine Sicherheitsdecke.
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Am
Sonntagmorgen erwachte Dana bei strahlendem, künstlichem Sonnenschein, der
durch die Fenster fiel. Johns Arm lag um sie und er summte leise ein Lied, das
sie vertraut fand, aber nicht benennen konnte.
"Was
singst du?" murmelte sie und barg ihr Gesicht in seinem sandfarbenen Haar,
das nach Kamillenschampoo roch.
John
schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht," sagte
er einfach.
Es
war lustig, wie Dinge wie dieses einfach kamen. Eines Nachts, ein paar Monate,
nachdem sie die Klinik verlassen hatte, war sie auf einer Party in der
Fellowship Hall gewesen. Dort gab es ein Klavier und die elfenbeinfarbenen und
ebenholzfarbenen Tasten faszinierten sie. Sie setzte sich nieder und ließ ihre
Finger über die kühlen Klaviertasten gleiten.
Plötzlich begannen sich ihre Finger zu bewegen und ein Lied zu formen.
Sie konnte Klavier spielen. Irgendwo in ihrer Vergangenheit hatte sie
Klavierunterricht gehabt.
Dana
streckte sich und gähnte und genoß das Gefühl, nicht aufstehen zu müssen, um
zur Arbeit zu gehen. Sie waren mit Julia bei einem Barbecue gewesen, das
Deborah, die Leiterin von Johns Büro veranstaltet hatte und sie war nicht vor
Mitternacht ins Bett gekommen. Normalerweise wäre ihre Tochter schon wach und
würde schreien, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber sie konnte Julias gleichmäßigen Atem
durch den Monitor hören.
John
kuschelte sein stachliges Gesicht an ihren Hals und sie brummte und spürte, wie
ihre Nerven zum Leben erwachten.
Seine
Stimme war so leise, daß sie ihn beinahe nicht hörte. "Bist du glücklich,
Dana?"
Ihre
Augen wurden größer. "Was meinst du?"
John
rückte von ihr ab, setzte sich hin und starrte aus dem Fenster. "Bist du
glücklich? Mit mir, mit uns?"
Sie
setzte sich auch auf. "Wovon sprichst du? Du weißt, daß ich glücklich bin
mit dir."
"Es
ist nur..." Er verstummte und drehte sich mit zusammengezogenen
Augenbrauen zu ihr um. "Du hast so viele schlechte Träume gehabt, du
schienst so in Gedanken in den letzten paar Monaten. Ich habe Angst, daß du
nicht länger glücklich bist."
Sie
war keine so gute Schauspielerin, wie sie glauben wollte.
Dana
hüllte sich in die Decke und berührte leicht seinen nackten Arm. "Ich bin
sehr glücklich mit dir, John. Daran hat sich nichts geändert. Aber ich habe
diese Träume und ich denke, sie sind über das Vorher."
Er
nickte. "Ich wünschte, du könntest sie loslassen."
"Die
Vergangenheit?"
"Ja.
Dana, es tut dir nicht gut, darüber nachzudenken, zu versuchen, dich zu
erinnern."
Ihre
Augen schließend, wünschte sie, sie könnte es einfach beenden. Aber sie konnte
nicht. Es war außerhalb ihrer Kontrolle.
Sie
brauchte eine Weile, um die Worte zu finden. "John, möchtest du dich
niemals erinnern?"
Ihr
Ehemann zögerte nicht einmal mit der Antwort. "Ich möchte nicht um etwas
trauern, das ich niemals wieder haben kann."
Nicht
zum ersten Mal fragte sie sich, ob John eine Frau gehabt hatte, eine Familie.
Sie wollte wissen, wie er als Junge gewesen war, wer das erste Mädchen war, das
er geküßt hatte.
John
beugte sich zu ihr und küßte sie auf die Wange. "Du mußt sie loslassen,
Dana. Du hast jetzt ein neues Leben. Die Vergangenheit sollte in der
Vergangenheit bleiben."
Sie
nickte und lächelte ihn an. Seine Gesichtszüge waren ihr vertraut geworden und
sie liebte sie.
Dennoch,
als sie sich zurücklegten und unter der Decke aneinander kuschelten, gingen ihr
dieselben Fragen weiter durch den Kopf.
Wen
habe ich geliebt - vorher?
Wer
bist du?
xxxxxxxx
Julia
hörte aufmerksam zu, während Dana ihr "Jerry, das blaue Raumschiff"
vorlas.
Mit molligen Fingern zeigte sie auf die richtigen Bilder, wenn Dana
sie
fragte, welches der Satellit war, welches die Startbahn und welches der
Mond.
Zu beobachten, wie die Intelligenz ihrer Tochter von Tag zu Tag
wuchs,
war erstaunlich. Es war schwer zu glauben, daß das stramme kleine Mädchen an
ihrer Seite, das einen roten Kordsamtoverall trug, als einzelne Zelle in Danas
Körper begonnen hatte.
Gegenüber
im Zimmer saß John in seinem schwarzen Schreibtischsessel aus Leder, seine
Augen waren geschlossen und das Verbindungskabel klemmte hinter seinem Ohr. Er
war tief versunken im Netz. Nichts anderes als ein Ellbogen in seinen Rippen
würde ihn aufscheuchen, solange er in tiefer Versunkenheit war.
Dana
kam zur letzten Seite. "Und dann flog Jerry hoch in den Himmel und der
Mond begann, für ihn zu klatschen." Julia applaudierte anstelle des
Mondes. Es war ihre Lieblingsgeschichte.
Mit
einem verärgerten Geräusch in seiner Kehle drückte John die Taste am Computer,
mit der die Verbindung aufgehoben wurde und klemmte das Kabel ab.
"Irgend
etwas nicht in Ordnung?" fragte sie von ihrem Platz auf dem Teppich.
Er
richtete sich zu seiner vollen, schlaksigen Größe auf und begann, durch das
Wohnzimmer zu wandern. "Es ist das Team in Sao Paolo. Sie haben alles
versaut."
"John!"
Sie zeigte auf Julia, die fasziniert schien von dem neuen Vokabular ihres
Vaters.
"Entschuldigung."
Er setzte sich auf den Boden zu ihnen und zog an Julias mit einem roten
Gummiband zusammengehaltenen Pferdeschwanz. "Dana, es gibt gewaltige
Probleme auf der Baustelle. Ich muß morgen dort hinfliegen."
Während
Johns Beruf als Bauingenieur bedeutete, daß er einen großen Teil seiner Arbeit
von zu Hause aus über das Netz erledigen konnte, so mußte er dennoch Zeit auf
seinen Baustellen verbringen. Dana akzeptierte das als Tatsache, aber dennoch
stöhnte sie. "Für wie lange?"
Er
schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht. Eine Woche, vielleicht zwei
Wochen."
"Und
da führt kein Weg dran vorbei?"
"Kein
Weg." Er küßte sie auf die Wange. "Ich mache es wieder gut, wenn ich
zurück bin. Vielleicht können wir beide ein paar Tage frei nehmen und sie
zusammen verbringen."
Dana
zwang sich zu einem Lächeln. "Du machst es besser wieder gut..."
"Ein
Grund mehr, mich mit dem Nachhausekommen zu beeilen,"
lachte er und schaukelte Julia in seinem Schoß.
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Später
am Nachmittag, nachdem John Julia mitgenommen hatte, um mit ihr Zutaten für das
Abendessen zu kaufen, stieg Dana in die U-Bahn und fuhr zum Fluß, um ein
bißchen zu laufen. Am fernen östlichen Ende der Stadt gelegen, war der Fluß ihr
Lieblingsplatz für einen einsamen Lauf.
Sie
hatte nicht oft die Möglichkeit zu trainieren, nicht seit Julia da war, aber
sie liebte es, sich selbst anzutreiben und sich vollkommen lebendig zu fühlen,
während ihr Körper sich auf der Laufstrecke bewegte.
Das
Flußufer war voll mit Läufern, Familien auf Fahrrädern und Paaren, die
Kinderwagen in der Sonntagsnachmittagssonne schoben. Dana dachte über die
Tatsache nach, daß die meisten Kinder unter fünf Jahre alt waren, Produkte der
neuen Familien, die entstanden waren, nachdem die Anderen gekommen waren. Nur
sehr wenige Kinder, die jünger als sechzehn, siebzehn Jahre waren, hatten den
Krieg und die Seuche überlebt.
Nun
war die Stadt voll im Familienfieber. Jeder wollte ein Baby. In ihrem Labor
drehten sich die Pausengespräche um das Stillen, die Behandlung von
Unfruchtbarkeit und das Üben, aufs Töpfchen zu gehen. Neuerdings schien sich
Danas gesamtes gesellschaftliches Leben um Babypartys und Namensgebungen zu
drehen.
Dana
lief zu der baumbegrenzten Böschung des Flusses und sah dem trägen Fließen
unter sich zu. Der Fluß kam von Draußen, aber zuerst ging er durch eine
Kläranlage, um Krankheitserreger und Verunreinigungen herauszufiltern.
Während
sie ihre Oberschenkelmuskulatur dehnte, sah sie nach links hinüber und
entdeckte eine vertraut aussehende Figur, die ebenfalls Dehnübungen machte. Es
war der Mann, den sie in der Woche zuvor im Park getroffen hatte.
Sie
ging hinüber und tippte ihn an die Schulter. Er drehte sich um und grinste sie
an, glücklich überrascht, sie zu sehen. Er trug ein ziemlich verschlissenes
blaues T-Shirt und Jogginghosen, die aussahen, als hätten sie schon bessere
Tage gesehen. Dana mochte es, daß er nicht das Gefühl hatte, er müßte eine
perfekt zusammenpassende Trainingskleidung tragen, wie so viele andere Läufer
am Fluß.
"Ich
erkenne Sie," sagte er und hielt ihr seine Hand
hin. "Aber ich habe nie Ihren Namen erfahren."
"Dana
Scully," sagte sie und schüttelte seine Hand.
"Und Sie?"
Der
Mann ließ ihre Hand los und beugte sich stark nach vorn, um sich zu dehnen.
"Fox Mulder, aber Sie können mich Mulder nennen. Ich mag meinen Vornamen
nicht besonders."
Sie
grinste. "Fox," wiederholte sie. "Sie
haben recht, aus irgendeinem Grunde paßt er wirklich nicht zu Ihnen. Haben Sie
darüber nachgedacht, ihn zu ändern? Ich meine, es ist nicht so, daß es irgend jemanden durcheinander bringen würde."
Er
sah sie aus erstaunten Augen an und ihr Gesicht begann, rot zu werden. Mist, sie wußte besseres als ihn ausgerechnet
an das Vorher zu erinnern. Es war äußerst unhöflich. Aber Mulder lächelte
schief und kam aus seiner Dehnübung hoch. "Nein, ich bin zu faul, um mich
an einen neuen Namen zu gewöhnen."
"Wie
weit haben Sie vor, zu laufen?" fragte sie.
"Ich
bin ein bißchen aus der Form. Seit wir umgezogen sind, hatte ich keine
Möglichkeit zu laufen, also denke ich an drei Meilen oder so. Warum? Wollen wir
zusammen laufen?"
"Warum
nicht?"
"Ich
persönlich kann mir keinen Grund denken, also los."
Sie
machten noch ein paar Minuten Dehnübungen und machten sich dann auf zu einem
leichten Lauf über den gewundenen Weg. Sie hatte das Gefühl, daß er langsamer
lief, als es für ihn üblich war, aber sie war froh, daß es ihnen die
Möglichkeit gab, miteinander zu reden ohne zu sehr außer Atem zu geraten.
"Ich
hatte gehofft, Ihnen wieder über den Weg zu laufen, Dana,"
sagte er, geschickt einer schwangeren Frau mit einem kleinen Jungen im
Kinderwagen ausweichend. "Ich wollte Sie um eine Verabredung bitten."
Sie
blieb beinahe stehen und spürte, wie sich ihre linke Augenbraue von sich aus
nach oben bewegte. "Eine Verabredung?" Sie hatte doch erwähnt, daß
sie verheiratet war, richtig?
Er
schnaubte lachend. "Ja, eine Verabredung zum Spielen. Adam und Julia
schienen ganz gut miteinander auszukommen."
"Bis
sie ihm mit ihrer Schaufel auf den Kopf klopfte."
"Adam
mag angriffslustige Ladies."
"Dann
wird er Julia lieben. Sie kann manchmal ein Scheusal sein."
"Nein," sagte Mulder. "Sie erkundet im Moment nur ihre
Selbständigkeit. Das typische Verhalten Zweijähriger."
Sie
folgten dem Weg eine weitere Meile und dann machten sie eine Schleife zurück
zum Denkmal für die verlorenen Seelen. Sie war froh darüber, daß sie sich dort
nicht aufhielten. Aus irgendeinem Grund ließ sie die gigantische Statue aus
Granit, die einen Mann und einen Frau zeigte, die in den Himmel sahen und
augenscheinlich um ihre verlorenen Angehörigen trauerten, zittern.
Als
sie ihren Ausgangspunkt erreichten, kauften sie sich eine Flasche Wasser an
einem Erfrischungskiosk und setzten sich auf eine niedrige Steinmauer, von der
aus man über den Fluß sehen konnte.
"Ich
mag es hier," sagte Mulder und wischte sich den
Schweiß von der Stirn.
"Es
ist einer der wenigen Plätze, die sich real anfühlen."
"Was
meinen Sie mit real?" Dana hatte das unbehagliche Gefühl, daß sie wußte,
worüber er sprach.
"Nun,
real wie die Welt einmal gewesen sein muß. Es fühlt sich an wie Erinnerungen
daran, daß ich im Vorher gelaufen bin."
Ihr
Atem kam in einem heftigen Zug heraus. "Niemand spricht jemals über das
Vorher."
Er
nickte. "Ich weiß. Da funktionieren klassische
Verleugnungsmechanismen. Es ängstigt die
Menschen, ihre Vergangenheit zu erforschen, sich hinzusetzen und über die
Tatsache nachzudenken, daß sie ein Leben vor diesem hier hatten. Es scheint
einfach so mächtig."
Sie
nickte.
"Es
tut mir leid," sagte er. "Wir müssen nicht
darüber reden, wenn es Sie ärgert. Ich meine, wir kennen einander nicht
besonders und da komme ich und gehe auf empfindliche Themen los."
Ein
kleines Lächeln begann sich auf ihren Lippen zu formen. "Nein, es ärgert
mich nicht, wirklich nicht. Ich habe nur niemals mit jemandem darüber geredet.
Mein eigener Mann will es nicht einmal mit mir diskutieren."
"Sarah
will es auch nicht. Ich bekomme nur diesen steinernen Blick von ihr, wenn ich
auf dieses Thema komme. Manchmal sehe ich sie an und frage mich, woran, wenn
überhaupt, sie sich erinnert."
Dana
beobachtete eine kleine Gruppe von Teenagern aus einem der
Jugendhäuser,
die Wandersachen anhatten und von einer athletischen jungen
Frau
angeführt wurden, die ziemlich beunruhigt aussah, angesichts ihrer
Verantwortung.
"Gott, ist jede Beziehung so?" fragte sie. "Einer sieht den
anderen an und fragt sich, wer warst du, bevor ich dich kannte?"
"Ich
wünschte, ich wüßte, wer ich gewesen bin," sagte
Mulder und trank sein Wasser aus.
"Ich
auch."
Sie
starrten einander einen langen unbehaglichen Augenblick an, als wären sie sich
dessen bewußt, daß sie gerade Geheimnisse geteilt hatten, die nicht gerade
angemessen waren für neue Bekanntschaften.
Mulder
sprang von der Mauer und sah auf seine Uhr. "Ich sollte wirklich
zurückgehen. Wie ist Ihre Nummer? Wir können die Verabredung zum Spielen
treffen."
"Ich
habe nichts, um sie aufzuschreiben."
Er
schenkte ihr ein schiefes Lächeln, das ihn um Jahre jünger aussehen ließ.
"Ich habe ein gutes Gedächtnis, ich werde sie mir merken."
Sie
nannte ihm ihre Nummer und er machte sich auf den Weg in Richtung U-Bahn mit
einem lebhaften Winken.
Lange
Zeit saß sie auf der Mauer, beinahe gelähmt vor Erstaunen.
Vorher,
dachte sie. Er wollte über das Vorher reden.
Sie
war sich nicht sicher, ob es Angst oder Hoffnung war, was sie fühlte.
xxxxxxxx
In
dieser Nacht setzte sie sich, nachdem John und Julia ins Bett gegangen waren,
an den Schreibtisch und begann eine Liste.
Dinge,
die ich kenne:
-
mein Name
mein
Geburtsdatum
die
Stadt, in der ich einmal gelebt habe
meine
medizinischen Fähigkeiten und Kenntnisse, aber nicht, wo ich sie erworben habe
Ich
hatte einmal eine schwere Verletzung im Bauchbereich. Ich habe eine Narbe und
es scheint, daß es sich um eine Schußwunde handelte.
An
meinem unteren Rücken habe ich ein kleines Tattoo, eine Schlange, die sich in
den Schwanz beißt.
Ich
war niemals schwanger vor Julia.
Ich
kann Klavier spielen, aber nicht sehr gut.
Ich
bin keine gute Tänzerin
Ich
bin Rechtshänderin.
Ich
muß einmal Deutsch gelernt haben, weil ich eine Menge von dem Tele-Programm
verstehe, das aus der Gegend kommt, die einmal Deutschland war.
Ich
habe einmal im Schnee gespielt.
Ich
glaube, ich hatte einmal einen Geliebten mit dunklem Haar. Er nannte mich bei
meinem Nachnamen.
Ich
lese gern, besonders Romane und medizinische Journale.
Ich
habe meinen Kaffee schon immer mit Milch gemocht, keinen Zucker. Es gab einmal
eine bestimmte Art, Kaffee zu machen und ich habe sie wirklich gemocht, aber
ich kann mich nicht erinnern, was drin war.
Ich
mag würzige Speisen, besonders chinesisches Essen.
Ich
genieße es, zu laufen und es scheint etwas zu sein, das ich gewohnt war, häufig
zu tun.
Am
Wasser empfinde ich es am friedvollsten, besonders am Fluß.
Ich
weiß, wie man kocht und kann mich noch an Rezepte erinnern.
Ich
war vielleicht einmal religiös. Manchmal kommen mir ein oder zwei Zeilen eines
Gebetes in den Sinn.
Ich
habe zur Arbeit Kostüme getragen im Vorher.
Sie
starrte auf ihre Liste und bemühte sich sehr, sich an mehr zu erinnern. Es gab andere Dinge, an die sie sich hin und
wieder erinnerte, aber sie waren ein kurzes Aufblitzen, das nur einen Moment
dauerte.
Das
ist es also, dachte sie. Die Summe von fünfunddreißig Jahren?
xxxxxxxx
Am
Morgen duschte sie und begann, sich für die Arbeit anzuziehen. Sie hatte ihre
Routine, einen morgendlichen Rhythmus, der so eingefleischt war, daß sie nicht
darüber nachdenken mußte - sie stand einfach auf und tat es.
Bevor
sie duschen gegangen war, hatte sie eine Kanne Kaffee gekocht. Nun nippte sie
an der blau und goldenen mexikanischen Kaffeetasse,
während sie ein schwarzes Kostüm und eine cremefarbene Seidenbluse zum Anziehen
auswählte. Im Hintergrund erklang Geplapper aus dem Radio, als sie schwarze
Nylonstrümpfe anzog und ihre Jacke zuknöpfte.
Ihr
Haar war ein bißchen länger. Es hatte die ärgerliche Angewohnheit, sich zu
wellen und sie mußte Styling lotion hineinkämmen und es über einer Rundbürste
fönen, um es in dem ordentlichen Bubikopf zu halten, den sie bevorzugte.
Schließlich deckte sie ihr Gesicht mit einem matten Puder ab, benutzte ein
wenig braunen Mascara und bemalte ihre Lippen mit
einem natürlichen beige-pinkfarbenen Lippenstift. Ohrringe, Uhr und sie war
fertig zum Gehen.
Plötzlich
wurde ihr etwas bewußt und ihre Hand griff an ihren Hals. Ihre Halskette, ihr
kleines goldenes Kreuz an einer Kette - wo war es? Sie legte ihre Kette niemals
ab, nicht einmal zum Schlafen oder Duschen.
Nur
zweimal in ihrem Erwachsenenleben hatte sie ihre Kette verloren. Beide Male
hatte er sie gefunden und für sie aufbewahrt.
Panik
machte sich in ihrer Kehle breit, als sie auf der Frisierkommode, den
Bettdecken und im Badezimmer suchte. Die Kette und das Kreuz waren nirgendwo zu
finden.
Das
kann nicht sein, dachte sie. Meine Mutter hat mir das Kreuz zu meinem
fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Es ist der einzige materielle Gegenstand, der
mir wirklich etwas bedeutet.
Sie
konnte sich daran erinnern, im Krankenhausbett in den Kissen gelegen, die
vertraute Kühle des Kreuzes an ihrem Hals gespürt und gedacht zu haben, er hat
es die ganze Zeit für mich aufbewahrt...
Und
nun war es weg.
xxxxxxxx
Die
Welt veränderte sich und löste sich auf und Dana fand sich in einem Bett
wieder, in ihrem eigenen Bett und ihr Mann tätschelte ihr ängstlich die
Schulter.
"Bist
du nun wach?" fragte er, seine Augen groß und erschrocken.
Sie
blinzelte unter matten Augenlidern, völlig verwirrt. Was war real und was war
Traum?
Ja,
es war ein Traum gewesen, dachte sie, eine weitere mögliche Erinnerung, die
sich als Traum verkleidete.
John
schaltete die Nachttischlampe an. "Du hast wieder im Schlaf gesprochen und
etwas über eine verlorene Halskette gemurmelt." Er küßte ihr Haar, das
feucht von Nachtschweiß war. "Hast du geträumt, daß du deine Korallenkette
verloren hast?"
Sie
schüttelte den Kopf. "Nein. Es war ein kleines goldenes Kreuz an einer
Kette. Meine Mutter hatte es mir geschenkt."
"Deine
Mutter?" Seine dunklen Augenbrauen gingen in die Höhe.
"Ich
glaube, daß mein Traum eine weitere Erinnerung an das Vorher war."
"Oh,
Dana," seufzte John und zog sie fester in seine
kräftigen Arme. "Ich hasse es, zu sehen, wie du dich quälst."
"Es
ist in Ordnung." Sie atmete seinen vertrauten Geruch tief ein und ihr
Herzschlag begann, ruhiger zu werden. "Ich denke, ich will mich
erinnern."
Ich
hasse es, ein weißes Blatt Papier zu sein, dachte sie.
John
nickte. "Ich verstehe nicht, warum du dich erinnern willst. Ich will es
verstehen, aber ich kann es nicht."
"Ich
weiß, daß du es nicht kannst," flüsterte sie.
"Ich weiß, daß es dich ängstigt. Es ängstigt mich ebenso."
"Warum
tust du es dann? Es ist nicht gesund. Und es ist irgendwie nicht fair Julia und
mir gegenüber oder dir selbst gegenüber. Das hier ist jetzt dein Leben."
Ein
kurzer Anflug von Ärger überkam Dana. Sie erinnerte sich daran, was Mulder nach
ihrem Lauf gesagt hatte - es ist einfach zu mächtig. Ja, es war gewaltig,
darüber nachzudenken, daß ein ganzes Leben ausradiert worden war, aber warum
konnte John ihr Verlangen zu wissen nicht verstehen?
Sie
fragte sich, ob ihr Mann sie letztendlich wirklich kannte.
Jedoch
war 3.00 Uhr früh nicht die Zeit, diesen Punkt zu diskutieren, besonders wenn
John am Morgen nach Sao Paolo flog. Das Adrenalin war aus ihrem Körper
verschwunden und sie fühlte sich plötzlich erschöpft. Alles was sie wollte war,
unter die Decke zurückzuschlüpfen und in einen traumlosen Schlaf zu versinken.
Dana
rutschte auf der Matratze herunter und schloß die Augen. "Laß uns
weiterschlafen, John."
Sie
betete darum, daß sie nicht träumen würde.
xxxxxxxx
Mit
einem Leuchten in ihren goldbraunen Augen schoß Julia gekonnt ein Stückchen
Käseomelett von den Zinken ihrer Kindergabel aus Plastik quer durch den Raum.
"Julia," ermahnte John sie mit
zusammengezogenen Augenbrauen. Aber Dana lehnte sich einfach zurück, nippte an ihrem Kaffee und lächelte.
Nachdem
sie aufgewacht waren, hatte John sich über das Netz mit dem Flughafen in
Verbindung gesetzt und herausgefunden, daß sein Flug um drei Stunden verschoben
worden war, wegen schlechten Wetters. Außerhalb der Kuppel zogen bedrohlich
aussehende Sturmwolken am Himmel dahin und sie sahen so aus, als wären sie
bereit, Schnee auf die klare, abgerundete Oberfläche fallen zu lassen, der
schmelzen und heruntergleiten würde.
Da
sie ein bißchen Zeit totzuschlagen hatten, liefen sie sieben Blocks zu Fuß zum
Greenlawn Corners Café. Es war ein gemütliches Plätzchen mit kaum zwanzig
Tischen. Sie hatten selten die Gelegenheit, als Familie auswärts zu essen, aber
dies war ein Platz, der zwanglos genug war, ein geräuschvolles, chaotisches,
tapsiges Kleinkind zu beherbergen und die Küche servierte eine
durchschnittliche Portion Huevos Rancheros. Und Dana mochte die im Hintergrund
plappernden Kellnerinnen und das wertlose Hologramm von Affen, die auf Reben
herumsprangen - es gab dem Restaurant so ein karikaturhaftes Dschungelgefühl.
Sie
blickte durch den Raum auf ein junges Paar, das zerzaust und erhitzt aussah,
als hätten sie letzte Nacht nicht besonders viel Schlaf gehabt. Die Frau, die
mit dem Gesicht zu ihr dasaß, war groß und prächtig mit einer langen schwarzen
Mähne, die über ihren schlanken Rücken fiel. Sie lächelte ihre Geliebte, eine
kleinere Frau mit kurzem blondem Haar, mit bezaubernder Sinnlichkeit an.
Ich
erinnere mich an diese hitzigen Tage der ersten Liebe, dachte Dana, stocherte
in dem Dotter ihrer Eier herum und sah zu, wie es sich mit dem leuchtenden Rot
der Salsa vermischte.
Sie
berührte Johns Hand. "Erinnerst du dich an das erste Mal, als wir hierher
kamen?"
Er
setzte seine Kaffeetasse ab und blinzelte sie an. "Das erste Mal?"
Gegen
den Drang ankämpfend, die Augen zu verdrehen, sagte Dana, "Du weißt schon,
das erste Mal..."
Ein
Ausdruck von Panik erschien auf seinem Gesicht, als wüßte er, daß er in
Schwierigkeiten geraten würde. John zuckte mit seinen breiten Schultern. "Das erste Mal?"
Sie
klopfte ihm auf die Hand, was Julia auf ihrem Hochstuhl dazu brachte, zu
kichern.
"Dana,
du mußt mir weiterhelfen," sagte John, seine
Niederlage eingestehend. "Du weißt, daß ich in solchen Sachen nicht gut
bin."
"Das
erste Mal," wiederholte sie und senkte ihre
Stimme, als wenn Julia sie tatsächlich verstehen könnte. "Denk darüber
nach, John. Erinnerst du dich an dein altes Apartment, bevor wir geheiratet
haben? Erinnerst du dich, daß es gleich hier um die Ecke war? Komm schon -
Chris, Mike und du und eine ganze Menge schmutziger Wäsche auf dem Boden?"
Johns
Augen wurden größer und er begann zu kichern. Sie nahm eine Gabel voll Ei und
Tortillas in den Mund und lächelte triumphierend.
"Jetzt
erinnere ich mich," flüsterte er. "Das erste
Mal kamen wir hierher nach unserer ersten gemeinsamen Nacht."
Sie
waren wie die beiden Liebenden dort drüben im Raum gewesen. Schwindelig davon,
herauszufinden, daß das Vergnügen ihres sein könnte. Und überrascht, daß
ungeachtet der Leere, die ihre Geschichte war, sie Liebe finden konnten und
fanden.
"Und
dann kamen wir gleich her, nachdem wir erfahren hatten, daß ich schwanger war," sagte Dana.
John
legte mehr Eistückchen auf Julias Teller. "Für eine kleine Eckkneipe ganz
schön viele Erinnerungen."
Dana
nickte und goß ihnen Kaffee aus der Kanne auf dem Tisch nach.
"Da
wir von schwanger reden," meinte John und schob
seinen Teller weg.
"Hast
du noch einmal darüber nachgedacht, ein zweites Kind zu haben?"
Jeder
verbliebene Hunger flüchtete bei Johns Worten.
Obwohl
er mit ihr zusammen bei den Tests war, die endlosen Runden von Arztbesuchen
mitgemacht und ihre Hand gehalten hatte während der laparoskopischen
Behandlungen und Zelltherapien, fragte sie sich manchmal, ob ihr Mann wirklich
verstand, wie schmerzhaft der ganze Prozeß gewesen war, zu versuchen schwanger
zu werden. So viel schien auf dem Spiel zu stehen. Sie hatte es gehaßt, ihn zu
enttäuschen mit ihrer Unfähigkeit, Kinder zu bekommen.
Sie
konnte sich noch mit vollkommener Klarheit erinnern, wie sie auf dem Tisch
gelegen hatte nach dem dritten Versuch einer Invitro-Befruchtung, ihre Zähne
zusammengebissen und stumm geleiert hatte ichwillichwillichwillichwill...
Es
tut weh, etwas so sehr zu wollen.
Und
es ist möglicherweise noch schmerzvoller, zu erkennen, wieviel von ihr selbst
und ihrer Ehe durch den Aufwand in Anspruch genommen worden war.
Dana
legte ihre Gabel nieder und berührte Johns Hand, die auf dem glänzenden
schwarzen Tisch ruhte. "Ich denke viel darüber nach,"
sagte sie, ihre Stimme ruhig haltend.
Sein
Gesichtsausdruck war erwartungsvoll. "Irgendein Ergebnis?"
Ich
wünschte, ich könnte sein wie du, John, dachte sie. Dein Verstand geht
sorgfältig von Punkt A nach Punkt B und kommt bei Punkt C an, vollkommen klar.
Im Grunde deines Herzens bist du Mathematiker. Während ich Logik und Sinn
brauche, um mich über den Tag zu bringen, das Leben ist komplizierter für mich.
Sie
sah auf die Reste ihres Frühstücks herab. "Nein,"
sagte sie. "Kein Ergebnis. Ich weiß nicht, ob ich das alles noch einmal
durchmachen will. Ich weiß nicht, ob ich
es kann."
Ich
weiß nicht, ob ich das durchstehen kann, mich wie eine Versagerin zu fühlen,
wenn meine Periode kommt, dachte sie. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann,
in die Notaufnahme gebracht zu werden wegen einer weiteren Fehlgeburt. Ich weiß
nicht, ob ich meine ganze Zeit damit verbringen kann, meinen Körper dafür zu
schelten, weil er mich verraten hat.
Dana
sah Julia an, die in den Grenzen ihres Hochstuhls mit den Füßen trat in dem
verzweifelten Versuch, zu entkommen und sich mit eiverschmierten Fingern durch
die Haare fuhr.
Sie
sah ihren Mann an und ergriff seine Hand. "Ich weiß nicht, ob ich es kann," wiederholte sie.
xxxxxxxx
Den
ganzen langen Flur entlang hopste Julia wie ein Frosch. Es verlangsamte ihr
Fortkommen ein wenig, aber es störte Dana nicht. Das Gehopse ihrer Tochter
sorgte für lustige Abwechslung.
Am
Ende des Flures hielten sie an und klingelten an der Tür zu Nr. 1582. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet
und zeigte eine hochgewachsene Frau mit einem athletischen Körper und kurzem
lockigem, braunem Haar. Die Frau trug einen blaß cremefarbenen Hosenanzug, der
ihre olivenfarbene Haut und ihre dunklen Augen unterstrich. Sie lächelte.
"Sie müssen Dana sein," sagte sie mit einer
leisen, melodischen Stimme. "Ich bin Sarah Morelli."
"Es
ist nett, Sie kennenzulernen," sagte Dana und sie
schüttelten sich die Hände. Sarah hockte sich hin, so daß sie mit Julia auf
Augenhöhe war. "Und das ist Julia, vermute ich?"
Julia
machte ein gequältes Gesicht und versteckte ihren Kopf in den Falten von Danas
Rock.
"Sie
ist scheu bei Fremden," sagte Dana
entschuldigend.
"Ich
kann das verstehen. Ich bin genauso." Sarah erhob sich und öffnete die Tür
weiter. "Kommen Sie herein. Die Wohnung ist noch nicht ganz eingerichtet.
Wir waren so beschäftigt, seit wir eingezogen sind."
Das
Wohnzimmer war fast so wie Danas eigenes - ein mittelgroßes Zimmer mit einer
kleinen Ecke für den Computerschreibtisch, beigefarbenem Teppich und einem die
ganze Wand einnehmenden Fenster, das die glitzernden Lichter der Stadt bei
Nacht zeigte. An einer Wand standen ein paar Umzugskartons übereinander und das
Zimmer machte noch einen leeren Eindruck. Es gab keine Bilder an der Wand und
nur sehr wenige dekorative Gegenstände, die auf eine lange Anwesenheit in der
Wohnung hinwiesen.
"Honey," rief Sarah. "Dana und Julia sind hier."
Mulder
trottete aus der Küche, er trug ein Paar abgetragene Jeans und ein graues
T-Shirt mit Farbflecken. Sein kurzes Haar stand in alle Richtungen ab.
"Hey," begrüßte er sie.
"Entschuldigung, daß die Wohnung so chaotisch ist. Ich war heute den
ganzen Tag häuslich. Aus irgendeinem Grunde hatte ich die geniale Idee, daß ich
Küchenschränke anbauen könnte."
Julia
hing weiter an ihrem Bein wie eine Klette und starrte die seltsamen Leute um
sie herum an.
"Ist
es ein schlechter Zeitpunkt? Wir können an einem anderen Abend
wiederkommen..."
Er
schüttelte den Kopf. "Ich habe gerade aufgehört. Adam ist schon ganz
aufgeregt, mit Julia zu spielen."
Wie
auf ein Stichwort erschien der kleine Junge aus dem Flur und rannte auf Julia
zu. Er starrte seinen neue Freundin aus schokoladenbraunen Augen, die wie die
seiner Mutter aussahen, an.
"Adam,
erinnerst du dich an Julia?" fragte Sarah und ließ ihre Finger durch die
Locken ihres Sohnes gleiten. "Sie ist hier, um mit dir zu spielen."
"Ich
habe Werkzeug," kündigte Adam Julia an, die
begann, auf den Ballen ihrer kleinen in Turnschuhen steckenden Füße zu wippen.
"Geh
und zeige es Julia," sagte Mulder und gab ihm
einen kleinen Schubs.
Die
beiden Kinder liefen aus dem Zimmer.
"Er
ist neuerdings besessen von seinem Werkzeug,"
lachte Sarah. "Wir haben all die Arbeit in der Wohnung gemacht und er
verschwand mit dem Werkzeug, egal wie gut wir es vor ihm versteckten. Wir haben
es in seinem Bett gefunden. Als Kompromiß haben wir ihm einen Satz Werkzeuge
aus Plastik zum spielen gekauft und das scheint ein akzeptabler Ersatz zu
sein."
"Adam
schläft sogar mit seinem Werkzeug," sagte Mulder
und zog eine Grimasse.
Sarah
ergriff eine braune Lederaktentasche vom Tisch. "Ich muß gehen," sagte sie. "Dana, ich wünschte, ich könnte
bleiben, aber die Treuhänder treffen sich heute abend
in der Universität."
"Wir
müssen das wiederholen, wenn John von seiner Dienstreise zurück ist," sagte Dana.
"Hört
sich gut an." Sarah küßte ihren Mann flüchtig auf die mit abendlichen
Bartstoppeln bedeckte Wange. "Ich habe das Gefühl, daß es spät werden
wird. Also warte nicht auf mich."
Mulder
grinste. "Meine Frau ist einfach unsagbar wichtig..."
"Und
vergiß das nicht eine Minute," warnte ihn Sarah,
als sie zur Tür hinaus ging.
Die
Tür schloß sich mit einem sanften Geräusch und Mulder sagte, "Lassen Sie
uns gehen und nachsehen, was unsere schrecklichen Kinder angestellt
haben."
Adams
kleines Schlafzimmer war hellblau gestrichen und es befand sich ein Kinderbett
darin, auf dem eine Decke mit einer knallbunten lustigen Maus darauf lag. Auf
dem Boden attackierten die beiden Kinder bunte Plastikbausteine mit ihrem
Werkzeug, das ganze begleitet von viel Geschrei. Sie waren so beschäftigt, daß sie nicht
einmal zu ihren Eltern aufsahen.
"Sie
haben sich noch nicht gegenseitig umgebracht,"
sagte Mulder in einem Martini-dry-Ton. "Ich vermute, das ist ein gutes
Zeichen. Warum nehmen wir uns nicht ein bißchen Elternauszeit? Wenn wir Schreie
der Agonie hören, können wir jederzeit reingehen."
In
der kleinen Küche zeigte Mulder mit verlegenem Stolz die neuen weißen
Küchenmöbel und setzte den Wasserkessel für Kaffee auf. "Ich freue mich,
daß Sie kommen konnten," sagte Mulder und suchte
im Kühlschrank nach Milch. "Sarah
und ich haben noch nicht so viele Freunde gefunden. Es war schwer, unseren
Freundeskreis in Boston zurückzulassen."
"Ich
kann mir nicht einmal im Ansatz vorstellen, hier herausgerissen zu
werden." Sie machte eine unbehagliche Geste mit der Hand. "Das hier
ist... das ist alles, was ich jetzt
kenne."
Der
glänzende schwarze Kessel begann zu pfeifen. Mulder schaltete die Wärmezufuhr
ab und goß das heiße Wasser in eine Glaskanne, die mit drei Zentimetern Kaffee
gefüllt war. Der würzige Geruch des Kaffees zog durch den Raum, als Dampf aus
der Kanne stieg.
"Es
ist schön, endlich wieder richtigen Kaffee zu haben,"
sagte er und drückte auf den Kolben, um den Kaffee zu filtern. "Dieses
Ersatzzeug, das wir von den Anderen bekommen haben, hat niemals richtig
geschmeckt."
Dana
nickte zustimmend und folgte ihm ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die braun und
weiß gestreifte Couch setzten.
Mit
einem kleinen Seufzer, den Dana nicht recht einordnen konnte, goß ihr Mulder
eine Tasse Kaffee ein, reichte sie ihr und erlaubte ihr, sich selbst die Milch
dazuzugeben. Er sah sich im Zimmer um und sagte, "Ah, häusliches
Glück."
Dana
pustete in ihren Kaffee und genehmigte sich ein anerkennendes Schnüffeln.
Kaffee war erst seit dem letzten Jahr wieder zu bekommen und sie betrachtete
ihn immer noch als Genuß.
"Ist
es das?" fragte sie. "Ist das häusliches
Glück?"
Sie
konnte nicht genau begreifen warum, aber Fox Mulder brachte sie dazu, daß sie
persönliche Fragen stellen wollte.
Er
lehnte sich in die Kissen zurück. Undeutlich konnte Dana ihre Kinder hören, die
immer noch die Bausteine mit dem Werkzeug bearbeiteten und lachten.
"Ich
nehme an, daß es auf eine Art häusliches Glück ist,"
sagte Mulder.
"Auf
eine Art? Wie ist das zu verstehen?"
Mulder
grinste und setzte seine Tasse auf den Couchtisch. "Ich habe eine Frau,
die ich liebe, einen hübschen Sohn, Arbeit, die ich interessant und
herausfordernd finde, aber..." Er verstummte.
"Aber?"
"Stört
es Sie, wenn ich für einen Moment persönlich werde, Dana?" fragte er und
beugte sich etwas näher zu ihr. Sie stellte sich für einen Moment vor, daß sie
seine Haut riechen könnte.
"Nein,
ich habe nichts dagegen."
"Sehen
Sie, ich habe so eine Art, die Leute abzuschrecken. Ich ängstige sie, indem ich
die falschen Fragen stelle und die falschen Sachen sage." Seine Lippen
verzogen sich zu einer Grimasse. "Ich will Ihnen das nicht antun."
"Sie
schrecken mich nicht ab," sagte sie. "Ich
neige dazu, das entgegengesetzte Problem zu haben. Es ist schwer für mich, mich
jemandem zu öffnen."
Mulder
sah sie leicht ungläubig an. "Wirklich? Sie schienen mir nie so zu
sein."
Dana
wand sich unbehaglich auf ihrem Sitz. Es gab keine logische Erklärung dafür,
warum sie sich bei diesem Mann so ungewöhnlich wohl fühlte und so willig war,
mit ihm zu reden. Es gab Menschen in ihrem Leben, bei denen es sofort Klick
machte. Meghan, ihre Partnerin im Labor, war so einer. John war ein weiterer.
Vielleicht war es eine Sache von geheimnisvoller zwischenmenschlicher Chemie.
Sie
beschloß, die Unterhaltung zum Ausgangspunkt zurückzubringen. "Also, Sie
haben von häuslichem Glück gesprochen..."
Mulder
sah auf seine Hände, die mit gespreizten Fingern auf seinen Knien lagen. Es
waren große Hände und es sah aus, als ob sie stark wären, von blaßgoldener
Farbe und durchzogen von auffälligen Adern.
"Ich
sollte glücklich sein," sagte er schließlich.
"Ich bin glücklich, meistens. Aber neuerdings befallen mich diese - Ängste.
Ich kann Ihnen nicht sagen warum. Ich sehe mich in meinem Leben um und alles
ist einfach gut, aber innen drin, es ist, als ob ich in tiefer Trauer um etwas
bin."
Sie
atmete hastig aus und erkannte, daß sie ihn angehalten hatte. "Oder um
jemanden."
"Oder
um jemanden," wiederholte Mulder. "Es ist
frustrierend, nicht in der Lage zu sein, sich zu erinnern. Ein Teil von mir
möchte verzweifelt wissen und der andere Teil..."
"Muß
vorwärts gehen," fiel Dana ein.
Mulder
sah sie aus erstaunten Augen an. Sie bemerkte, daß der Ring um seine Iris von
dunklem Grün war, aber winzigste Flecken von Grau und Gold enthielt, wie die
bunten Plastikscherben in Julias Kaleidoskop.
"Genau
so ist es," sagte er.
Ihre
Stimme war ein Flüstern. "Ich fühle genauso, Mulder."
Er
nickte. "Wir leben in einer Welt des Verdrängens. Jedermann lebt jeden Tag
sein Leben und versucht vorzutäuschen, daß die Vergangenheit unwichtig ist. Die
Feinde niemals kamen, der Krieg und die Seuche niemals stattgefunden haben. Wir
haben immer in diesen Städten gelebt und die Anderen waren immer unsere
Verbündeten und unsere Handelspartner gewesen.
Wen interessiert es, was mit uns im Vorher passiert ist?" Seine
Stimme hatte eine Spur von Bitterkeit, wie der Kaffee, den Dana nippte.
Sie
war erstaunt, die Gedanken, die ihr so viele Jahre durch den Kopf gegangen
waren, von einem anderen Menschen ausgesprochen zu hören.
"Hey," sagte er und berührte leicht ihren Arm. Dana konnte
die Hitze seiner Handfläche durch ihren Pullover fühlen. "Es tut mir leid.
Ich neige zu solchen Tiraden. Normalerweise ist Sarah da, um mich zum Schweigen
zu bringen."
"Es
ist in Ordnung. Wirklich. Das hätte ich sein können, die genau das gleiche
sagt."
Dana
beobachtete, wie er nervös seine Zunge über seine Unterlippe gleiten ließ.
Mulder sah wieder auf seine Hände. "Ich muß einfach die Wahrheit wissen.
Es wird wahrscheinlich nichts ändern oder mich glücklicher machen, aber
wenigstens wüßte ich es."
Ein
empörter Schrei kam aus dem Schlafzimmer und Julia kam heraus gerannt, ihre
Zöpfe flogen hinter ihr her und sie barg ihren Kopf in Danas Schoß.
"Was
ist los?" fragte sie und rieb ihrer Tochter über den Rücken, einen Seufzer
unterdrückend. Es war schwer vom Reden über das Vorher in den vollen Mami-Modus
überzugehen.
Julia
sah mit tränenschimmernden Augen zu ihr auf. "Er hat meine Bausteine
genommen!"
Mulder
schüttelte den Kopf und stand auf. "Es sieht so aus, als wäre die
Erwachsenenauszeit vorbei - alle zehn Minuten davon."
Scully
grinste, sie wußte, wie selten diese Zeiten waren.
Er
ging in die Küche. "Das einzige, was diese Kabbelei beenden wird, sind
Kekse," sagte er über seine Schulter.
Dana
lächelte enttäuscht und sah in das runde Gesicht ihrer Tochter.
Ja,
wirklich häusliches Glück.
xxxxxxxx
Es
war zwei Uhr und sie konnte nicht schlafen. Nachdem sie sich ein weiteres Mal
sinnlos im Bett umgedreht hatte, setzte sich Dana auf und knipste die
Nachttischlampe an.
Das
Apartment war zu still ohne John. Es war schwer für sie zu schlafen ohne die
Wärme seines Körpers neben ihr. Oder vielleicht war es der Kaffee, den sie bei
Mulder getrunken hatte. Wie auch immer, ihr Geist würde nicht ruhig genug
werden, um ihr zu erlauben, in den Schlaf zu gleiten.
Einen
Augenblick überlegte Dana, ob sie eins von den Schlafpflastern nehmen sollte,
die ihr Dr. Hanley verschrieben hatte. Sie machten nicht abhängig, aber sie
hatten dennoch den unangenehmen Effekt, daß sie sich am Morgen wie betäubt
fühlte. Sie hatte für morgen den ganzen Tag schwierige Laborarbeiten auf dem
Plan und sie würden sich nicht machen lassen, wenn sie gähnte und durcheinander
war.
Sie
fragte sich, ob John verärgert wäre, wenn sie ihn mitten in der Nacht in seinem
Hotel in Sao Paolo anrufen würde. Mit einem Seufzer entschied sie, daß es so
wäre.
Ihre
Ärztin hatte ihr einige mentale Übungen beigebracht, die sie versuchen sollte,
wenn sie einen ihrer Anfälle von Schlaflosigkeit hatte und Dana meinte, daß es
nicht schaden würde, wenn sie eine davon ausprobierte.
Sie
schaltete das Licht aus, drehte sich auf die rechte Seite und rollte sich in Fötusposition
zusammen.
Sie
gönnte es sich, langsam und gleichmäßig zu atmen und versuchte, sich an eine
Zeit zu erinnern, in der sie sich absolut ruhig und in Frieden fühlte. An eine Zeit, in der sie nichts anderes als
glücklich war.
Einatmen.
Ein glücklicher Ort.
Ausatmen.
Genau in diesem Bett.
...
daliegend, halb im Schlaf, betäubt von den Nachwirkungen von Lust und
Erschöpfung. Johns warmer Körper neben ihr, noch glänzend von Schweiß, seine
Brust an ihrem Rücken, ein Arm über ihren Körper gelegt und seine Hand, die auf
der kleinen anschwellenden Kugel ihres Bauches ruhte.
Und
ihre Augen kämpften darum, offen zu bleiben, sich zu erinnern und die süße
Zufriedenheit dieses Momentes zu schmecken, seinen warmen Atem, der an ihrem
Ohr kitzelte und ihren Körper, der noch glühte von ihrem Orgasmus. Schließlich, endlich nach fast einem Jahr
Versuche, schwanger zu werden, nach oft schmerzhaften Tests und Prozeduren,
experimenteller Eizellenregenerierungstherapie wuchs und gedieh ihr Baby nun in
ihrem Körper, beinahe fünf Monate alt. Und sich zu lieben kann wieder das
Teilen von Zuneigung, das Geben und Nehmen von Lust sein und nicht mehr die
Beschäftigung mit der Fortpflanzung.
Sie
hörte zu, wie Johns Atem in das Schlafmuster glitt - langes Einatmen von
Sauerstoff, langsames Ausatmen von Kohlendioxyd.
Schließlich,
endlich...
Dana
spürte, wie der Schlaf nach ihr griff wie in dieser wunderbaren Nacht Jahre
zuvor und ein schwaches Lächeln formte ihre Lippen, als sie begann, in den
Schlaf zu sinken. Tiefer und tiefer, dunkler und dunkler, schließlich kam der
Schlaf.
...
nicht heute Nacht, Scully, es ist noch nicht die Zeit dafür, laß uns einfach
einander warm halten, bitte, mir zuliebe, noch eine Nacht, ich möchte noch
einen neuen Morgen mit dir erleben...
Ihre
Augen flogen auf in der Dunkelheit des Schlafzimmers und sie kämpfte darum, zu
atmen. Was, was, was verdammt war das? Es war ein tiefes kratzendes männliches
Flüstern gewesen, als ob jemand mit ihr im Bett gewesen wäre.
Ihr
Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie kletterte mit zitternden Beinen aus
dem Bett und schaffte es gerade bis zur Toilette, bis sie sich übergab.
Sie
legte ihre Wange gegen die Kühle der weißen Schüssel, schloß ihre Augen und
kämpfte gegen die schleichende Welle der Übelkeit.
Ich
will das nicht, nicht heute Nacht, dachte sie. Alles was ich will, ist
schlafen.
Schließlich
stand sie auf, putzte sich die Zähne und trank ein Glas kaltes Wasser.
Sie
wollte nicht mehr nachdenken.
Ihre
Niederlage eingestehend öffnete sie den Medizinschrank über dem Waschbecken und
holte die Schachtel mit dem Schlafpflaster heraus.
Zehn
Minuten später erreichte die Droge ihren Blutkreislauf durch die Haut an der
Innenseite ihres Armes und sie verlor sich in einem schweren, traumlosen
Schlummer.
xxxxxxxx
"Ich
habe da diese Theorie," sagte Mulder und
platschte mit seinen nackten Füßen im Wasser herum. "Möchten Sie sie
hören?"
Sie
waren im City Center Park, dem größten Parkgelände, mehrere Quadratmeilen in
der Mitte des Geschäftsbezirks gelegen. Sarah und die Kinder waren am anderen
Ende des großen Springbrunnens aus Marmor und ließen Plastiksegelboote im
seichten Wasser schwimmen. Adam und Julia hatten sich nackt ausgezogen und
waren naß und glänzend wie kleine Seehunde.
Mulder
und Dana hatten ihre Schuhe und Socken ausgezogen und ihre Hosen aufgerollt und
genossen das Gefühl des kühlen Wassers an ihren nackten Füßen, während sie
Sandwiches aßen.
Sie
zog eine einzelne Augenbraue hoch, unfähig eine Anmerkung zu machen, weil sie
an einem Bissen ihres Truthahnsandwiches kaute. Sie schluckte und sagte,
"Sie scheinen eine Menge Theorien zu haben, Mulder."
Es
war so problemlos und nett, einfach im Park herumzuhängen, umgeben von Bäumen
und Gras und Familien, ihre Tochter, die fröhlich im Wasser herumplanschte. Die
seltsamen Ereignisse zwei Nächte zuvor schienen beinahe so, als wären sie nicht
passiert.
"Es
ist irgendwie eine seltsame Theorie," sagte
Mulder und knüllte das Papier, in das sein Sandwich eingewickelt war, zusammen.
"Ich habe sie noch nie jemandem erzählt."
Warum
erzählst du sie dann mir und nicht deiner Frau, dachte sie. Aber sie kannte die
Antwort - Sarah wollte nicht über diese Dinge diskutieren, genauso wenig wie
John.
"Schießen
Sie los," sagte sie.
"Welches
Jahr haben wir?" fragte Mulder.
Sie
sah ihn verwirrt an. "Es ist 2004," sagte
sie in einem Ton, der unausgesprochen ein ‚natürlich' hinzufügte.
"Und
Sie sind sich sicher?"
"Natürlich
bin ich sicher. Es ist das, was mir mein Kalender und mein Computer
sagen..."
Mulder
drehte den Kopf und sah sie seltsam intensiv an. "Das ist das, was sie uns
sagen, aber haben Sie Geduld mit mir, Dana. Wir wissen, daß die Anderen die
Überlebenden gerettet haben. Wir wurden in Stase gehalten, gegen die Seuche
behandelt und erwachten in einer Phase, in der wir uns in den neuen Städten
wiederfanden, die die Anderen für uns geschaffen hatten."
Dana
nickte. Das waren alte Neuigkeiten für sie.
Er
platschte ein bißchen mehr mit seinen Füßen im Wasser. "Die Zeitleiste
sagt, daß wir drei Monate in Stase waren. Was ist, wenn das nicht wahr
ist?"
Sie
spürte, wie sich ihre Brauen zusammenzogen. "Warum sollte es nicht wahr
sein?" Sie beobachtete, wie Sarah Julia durch das Wasser in ihre Arme zog
und hörte das glückliche Lachen ihrer Tochter.
"Ich
weiß nicht." Mulder schüttelte den Kopf, als wenn er ebenfalls durch seine
eigene Theorie verwirrt wäre. "Es scheint mir nur eigenartig zu sein, daß
die Anderen so gut zu uns gewesen sind und so wenig als Gegenleistung erbeten
haben. Sie retteten uns, halfen uns, etwas Ähnliches wie unsere frühere Welt
wiederzuerschaffen und gaben uns Autonomie. Ihre Motive waren gänzlich
uneigennützig gewesen, abgesehen davon, daß sie nun Handel mit uns betreiben
und Zugang zu einigen benötigten Naturressourcen der Erde haben."
"Und
Sie zweifeln an ihren guten Absichten? Glauben Sie nicht, wenn die Motive der
Anderen nicht ehrenwert wären, daß sie schon ihr wahres Gesicht gezeigt hätten?
Es sind bereits fünf Jahre."
Mulder
kicherte. "Ich mag die Art, wie Sie mich herausfordern, Dana."
Sie
lächelte darüber. "Also, was hat das zu tun mit der Zeitleiste?"
"Es
ist nur etwas, worüber ich hin und wieder nachdenke. Was, wenn wir länger als
drei Monate in Stase gewesen sind? Es hätte ein Jahrhundert sein können, sogar
noch länger, trotz allem, was wir wissen."
"Zu
welchem Zweck?" Sie nahm einen großen Schluck ihrer Limonade und sah
wieder in sein ernstes Gesicht.
"Jeder," sagte Mulder und zuckte mit den Schultern.
"Experimente, die Sammlung genetischen Materials... Ich habe sogar in
Erwägung gezogen, daß es möglicherweise gar keine Feinde gab oder einen Krieg
oder die Seuche. Vielleicht wurde der
Rest der Welt von den Anderen getötet oder mitgenommen. Welche Möglichkeit
haben wir, zu wissen, was wahr ist? Niemand kann sich erinnern."
Ein
Frösteln durchlief Dana, als sie über seine Worte nachdachte. Aber sie
schüttelte es ab. Mulder hatte recht gehabt, es war eine seltsame Theorie. "Es ist ziemlich weit hergeholt," sagte sie.
"Ja,
ich weiß. Aber so arbeitet mein Verstand."
"Es
ist eine beunruhigende Idee." Es war schwer, sich vorzustellen, daß alles,
was sie als Fakten kannte, gänzlich falsch sein könnte.
"Ich
wollte Sie nicht erschrecken. Nach allem, was wir gesehen haben, sind die
Anderen die guten Jungs. Wie ich sagte, ich entwickle einfach diese
Ideen."
"Ich
mag es," sagte sie und sah auf die blassen Formen
ihrer Füße unter Wasser. "Es ist erfrischend, über diese Dinge reden zu
können und zu wissen, Sie denken nicht, ich bin verrückt."
"Sie
sind diejenige, die denken müßte, ich bin verrückt. Aber Sie tun es
nicht."
"Sie
sind nicht verrückt," sagte sie.
Mulder
berührte ihre Hand leicht mit seiner und sie spürte, wie etwas Elektrisierendes
in ihren Arm schoß. Es war das Bewußtsein, die plötzliche Erkenntnis, daß der
Mann, der neben ihr saß, ein attraktiver Mann war. Er starrte sie mit einem
Ausdruck an, der ihr gestattete, die Sexualität in dem Mann zu sehen, die
Leidenschaft, die hinter seinem schrägen Humor und seinen komischen Ideen
existierte. Mulder sah sie an, als wäre sie in diesem Moment der einzige Mensch
auf Erden. Denk das nicht, sagte sie zu sich selbst und zwang sich, zu seiner
Frau am anderen Ende des Springbrunnens zu sehen, die bis zu den Knien ihrer
Jeans naß war und mit den Kindern spielte.
Er
schien zurückzukehren zu dem Verständnis, wo sie wirklich waren. Er schwang
seine Beine aus dem Springbrunnen und schüttelte das Wasser von seinen Füßen.
"Sie haben Handtücher mitgebracht, richtig?"
xxxxxxxx
Als
Julia und sie nach Hause kamen, war eine Notiz von John auf ihrem Mailserver,
der sie um einen Anruf in seinem Hotel bat. Sie badete Julia schnell, las ihr
eine Geschichte vor und ließ ihre Tochter im Licht ihres
Bud-die-Eidechse-Nachtlichtes schlafen.
Sie
saß vor dem Telebildschirm und drückte die Nummer von Johns Hotel in die Fernbedienung.
Nach einer Minute waren sie verbunden und das Bild ihres Mannes, der seinen
Pyjama anhatte und auf der Kante seines Hotelbettes saß, erschien auf dem
Bildschirm. Er lächelte, als er sie sah. "Hey Baby, ich vermisse dich," sagte er.
"Ich
dich auch."
"Ich
habe heute abend zweimal versucht, dich anzurufen. Wo
warst du?"
Sie
wußte, er fragte nicht aus Mißtrauen sondern aus Neugier, aber die Frage
verursachte ihr ein seltsames Gefühl. "Eine Verabredung zum Spielen. Ich habe vor ein paar Tagen ein nettes Paar,
Sarah und Mulder, getroffen.
Wir
waren heute abend mit den Kindern im City Center
Park."
"Oh,
ich vermisse sie so sehr. Ist sie im Bett?"
Dana
nickte. "Ja. Möchtest du, daß ich sie für dich aufwecke?"
"Nein.
Laß sie schlafen."
"Hast
du immer noch vor, Sonnabend zurückzukommen?" Nur sechs Tage, sagte sie
sich. Das ist nicht so lange.
John
verzog das Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durch sein braunes Haar,
welches begann, würdevoll zurückzuweichen. "Deshalb habe ich angerufen.
Das Projekt ist wirklich verdorben. Ich habe 16-Stunden-Tage auf der Baustelle
verbracht. Ich glaube nicht, daß ich schon zurückkommen kann. Es wird noch einmal zwei Wochen dauern."
"Zwei
Wochen?" Sie versuchte, nicht allzu enttäuscht zu klingen, aber es gelang
ihr nicht.
"Ich
weiß, Dana und ich fühle mich schrecklich. Ich vermisse Julia und dich so sehr.
Und ich weiß, daß ich deinen Geburtstag verpasse."
Das
war richtig. Sie hatte vollkommen vergessen, daß Sonntag ihr Geburtstag war.
"Oh
nun, wir können ihn feiern, wenn du zurück bist."
Er
lächelte sie an, ein süßes und schuldbeladenes kleines Lächeln. "Das
werden wir, Honey, darauf kannst du zählen."
Ein
paar Minuten später, nachdem sie noch ein bißchen geplaudert hatten, sagten sie
Auf Wiedersehen und trennten die Verbindung.
Ich
habe vergessen, ihm zu sagen, daß ich ihn liebe, dachte sie, als sie von der
Couch aufstand und begann, die auf dem Boden verstreuten Spielsachen
aufzusammeln. Aber er weiß, wie ich fühle.
Sie
beschloß, ihm eine Nachricht über den Mailserver zu schicken, um ihm zu sagen,
wie sie fühlte, wenn sie das Wohnzimmer aufgeräumt hatte. Es würde ihre
Verbindung festigen, so viele Meilen voneinander getrennt.
Eine
Stunde später war sie fast eingeschlafen, als ihr einfiel, daß sie vergessen
hatte, die Nachricht zu senden.
xxxxxxxx
Am
nächsten Abend, nachdem sie Julia ins Bett gebracht hatte, machte sich Dana
schließlich daran, die Nachricht an John zu schicken. Es war entspannend,
nachdem sie den Tag mit einer Präsentation auf einem Seminar in Spina Bifida
verbracht hatte, sich in dem bequemen Computersessel zurückzulehnen, die Augen
zu schließen und nur die bernsteinfarbenen Buchstaben auf dem schwarzen
Hintergrund zu sehen. Ihre Finger tippten automatisch auf der Tastatur, die sie
nicht sehen konnte. Sie war mitten in einem begeisterten Abschnitt über ihre
Flitterwochen, als eine leuchtend gelbe Seite in ihr Blickfeld eindrang.
*Zentral-Netsystem
user fwmulder2411 fragt an user dkscully8732 für
Netspace
AE3456-AT*
Seltsam,
sinnierte sie, Mulder hatte einen Netspace. Sie erwog kurz, ihre Nachricht zu
beenden, aber die Neugier siegte und sie schloß den Mailserver.
Es
war selten, daß Dana völlig ins Net eintauchte. Von Zeit zu Zeit mußte sie an
Netzwerkkonferenzen oder Meetings teilnehmen, aber sie genoß es nicht, nur zum
Spaß vollkommen einzutauchen. Viele Menschen, einschließlich ihr
eigener Mann, genossen es, in die synthetische Welt der Unterhaltung,
der Nachrichten und Spiele einzutauchen, aber sie störte es ein wenig. Die Welt
innerhalb des Net war ihr irgendwie zu real und die Grenze zwischen virtuellem
und realem Selbst schien zu verschwommen, um behaglich zu sein. Wenn sie nach dem Eintauchen einen Holztisch
in einem Konferenzraum berührte, fühlte er sich so solide und glatt unter ihren
Fingerspitzen an, wie der Tisch in ihrer Küche. Sie wußte, daß sie den Tisch
nicht wirklich fühlte, wenn sie eingetaucht war und daß ihr Gehirn einfach
durch die Software manipuliert wurde, etwas zu spüren, das nicht wirklich da
war. Jeder, den sie kannte, akzeptierte
das Eintauchen in das Net als eine Art des täglichen Lebens, aber Dana zog die
prosaische Realität der Welt außerhalb der Computer vor.
Sie
atmete tief ein, gab die Adresse zu Mulders Netspace ein und drückte den
Netverbindungsknopf. Ein leuchtender Lichtblitz ließ sie zusammenfahren, wie
immer, wenn sie eintauchte. Einmal hatte sie Evan, ihren Nachbarn von gegenüber
gefragt, warum die Verbindung mit dem Net diesen Blitz produzierte. Er war
Systemanalytiker im Zentral-Netsystem, dem öffentlichen Dienstleistungsnetz der
Stadt. Evan hatte gelacht. "Es ist alles nur psychologisch. Der Blitz muß
nicht sein, aber er führt dazu, daß die Leute glauben, sie gehen wirklich
irgendwo hin..." Er hatte ihr angeboten, in das System ihres Computers zu
gehen und den Blitz auszuschalten, aber zerstreut wie Evan war, war er niemals
vorbeigekommen.
Ihr
virtuelles Selbst tauchte in einem langen, metallenen Flur mit einer endlosen
Reihe von Türen auf, die alle mit ihrer Netspace-Nummer gekennzeichnet waren.
Sie war genau vor AE3456-AT. Die die Tür scannende Software registrierte ihre
Anwesenheit und die Tür glitt geschmeidig auf, um ein schwarzes Nichts zu
zeigen.
Sich
wie Alice im Wunderland fühlend, einem Buch, das sie für Julia gekauft hatte,
wenn sie älter war, schritt Dana in die Dunkelheit...
...
und fand sich an einem Strand wieder.
Seltsamer
und seltsamer, dachte sie. Sie stand an einem dem Wind ausgesetzten Strand, das
Meer hatte weiße Schaumkronen und krachte gegen den Sand. Es war so real, daß es
Dana den Atem nahm. Sie schwor, daß sie das Salz in der Luft riechen konnte und
sie hörte die Schreie der Seemöwen am Himmel. Der Himmel war von einem schweren
Grau. Der Wind wehte ihr das Haar ins Gesicht, als sie die Landschaft nach
irgendeinem Zeichen von Mulder absuchte.
"Zuviel
Wind für Sie?" fragte Mulder.
Sie
drehte sich um, er stand neben ihr und sah genauso aus, wie im wirklichen
Leben. Mit der richtigen Software zu Hause können Menschen sich beim Eintauchen
in jeder Art darstellen, die sie möchten und sie war erleichtert darüber, daß
er nicht als gigantisches Warzenschwein oder großer, graugesichtiger Anderer
erschienen war. Phantasie war gut und schön, aber genug war genug.
Dana
schüttelte ungläubig den Kopf. "Ich habe noch niemals so einen sorgfältig
ausgearbeiteten Netspace gesehen. Haben Sie das selbst entworfen?"
"Machen
Sie Witze?" Er begann zu lachen. "Ich bin ein ziemlicher Idiot, wenn
es um solche Sachen geht. Ich habe einem Designer eine ganze Menge für diesen
Netspace bezahlt."
"Es
ist wunderschön. Ich habe niemals ein Meer wie dieses gesehen."
Sie
begannen, den Strand zum Wasser hin entlang zu gehen. "Dann waren Sie
schon einmal am Meer?" fragte er.
"Ja,
in meinen Flitterwochen. Wir waren in Neuseeland, in Miracle Beach."
"Dies
ist der Atlantik. Bevor Sarah und ich verheiratet waren, fuhr ich mit ihr zu
einer Konferenz nach Maine. Dort gibt es einen Kurort nur für hochrangige
Beamte. Die Atmosphäre dort ist ungefährlich, so daß man draußen sein kann.
Während Sarah mit den Akademikern zusammensaß, habe ich fast meine ganze Zeit
am Strand verbracht. Ich habe mich in meinem ganzen Leben niemals so zu Hause
gefühlt."
Sie
erreichten das Ufer, gerade weit genug entfernt, um zu vermeiden, durch die
Brandung naß zu werden, aber alle paar Wellen bekam
sie etwas von dem kühlen Sprühregen in ihr Gesicht.
"Kommen
Sie oft hierher?" fragte sie.
Er
sah in den dunklen Himmel. "Nur, wenn ich nachdenken muß. Es scheint so,
daß mir die besten Gedanken an diesem Strand kommen."
"Ich
kann verstehen, warum. Es ist friedlich hier."
"Hier
erinnere ich mich."
Sie
sah ihm in die Augen, die heute so grau waren, wie die Wolken über ihnen.
"Erinnern an das Vorher?"
Mulder
zuckte befangen mit den Schultern. "Ja. Hier gibt es nichts, das mich beim
Nachdenken ablenkt."
Dana
nahm eine Handvoll braunen Sand auf und ließ die Körner durch ihre Finger
gleiten. Verblüffend, sie konnte tatsächlich jedes einzelne Körnchen fühlen.
Sie
hatte eine Frage an Mulder, aber sie wußte nicht, ob sie es wagen konnte, sie
zu stellen. Wenn es ihr eigener Mann ihr nicht erzählen wollte, warum sollte es
Mulder tun?
Aber
sie fragte ihn trotzdem. "Mulder," sagte sie
mit kaum wahrnehmbarer Stimme. "Woran erinnern Sie sich?"
Anstatt
beleidigt zu sein, wandte er sich ihr zu und lächelte. "Wollen Sie es
wirklich wissen?"
Sie
nickte.
"Es
ist nicht sehr viel," gab er zu. "Nur einige
grundlegende Eindrücke. Ich weiß, ich
hatte eine jüngere Schwester und sie hatte dunkles Haar, dunkler als meines.
Ich erinnere mich daran, als Kind mit meinem Rad gefahren zu sein und Baseball
gespielt zu haben. Und ich erinnere mich daran, an einem Strand gestanden zu
haben, der sehr viel Ähnlichkeit mit diesem hier hatte."
"Irgend
etwas aus Ihrem Erwachsenenleben?"
"Die
meisten meiner Erinnerungen stammen aus der Kindheit. Ich weiß, daß ich eine
Ausbildung als Psychologe habe, aber ich glaube nicht, daß ich mit Kindern
gearbeitet habe, wie ich es jetzt tue. Kürzlich habe ich mich daran erinnert,
daß ich in irgendeiner Art Justizbehörde gearbeitet habe."
"Justizbehörde?
Sie waren so etwas wie ein Gesetzeshüter?"
"Irgend
etwas in der Art. Da gab es eine Behörde im Vorher, die nannte sich Federal
Bureau of Investigation. Haben Sie davon gehört?"
"Sicher.
Ich habe darüber gelesen und ich habe einen Film gesehen, der den Krieg überlebt
hat, darin gab es ein paar FBI-Agenten."
"Es
mag absonderlich klingen, aber ich glaube, ich war einer dieser Agenten. Ich
habe dieses kleine Stück Erinnerung, wo ich auf meinen Ausweis blicke."
Ihre
Augenbraue ging nach oben. "Haben Sie versucht, nachzusehen, ob noch
irgendwelche Aufzeichnungen existieren?"
"Ja,
das habe ich." Der Ausdruck auf Mulders Gesicht zeigte seine Enttäuschung.
"Die Aufzeichnungen im Net sind nicht zugänglich. Sie sind fest verschlossen
und wie ich schon sagte, ich bin kein Computergenie."
Ein
Inspirationsblitz durchfuhr sie. "Mulder, ich habe einen Nachbarn, ein
Freund von mir. Er weiß alles über Computer. Ich könnte ihn bitten, für Sie
nachzusehen."
"Das
würden Sie für mich tun?" Seine Augen wurden groß und für einen Moment
konnte Dana sehen, wie Mulder als Junge ausgesehen haben muß.
"Ich
werde es tun."
Einen
Moment hielt er ihre Hand und drückte sie. Bevor sie überhaupt das Gefühl
wahrnehmen konnte, ließ er ihre Hand schon wieder los. "Das würde mir eine
Menge bedeuten, Dana."
Sie
lächelte. "Sie und ich, wir sind uns sehr ähnlich. Wir möchten wissen,
mehr als alles andere."
Für
einen langen Moment war Mulder still und starrte auf die Brandung. Schließlich sagte er, "Manchmal glaube
ich, wir sind die beiden einzigen Menschen auf der Welt, die das tun."
"Es
fühlt sich nicht mehr so einsam an," flüsterte
sie.
Dana
drehte sich zu ihm, die Brise wehte ihr nun das Haar aus dem Gesicht.
"Warum
haben Sie mich heute Nacht hierher gebeten?"
Er
grinste befangen. "Weil Sie die einzige sind, die versteht, was dieser Ort
mir bedeutet."
Mulder
legte seinen Arm um sie, sie standen zusammen im Sand und beobachteten
gemeinsam das Meer.
xxxxxxxx
Die
Party war bereits in vollem Gange, als sie die Tür zu Mulders und Sarahs
Apartment aufstieß. Menschen, die sie nicht kannte, geschniegelt und gebügelt,
standen in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich und tranken Wein. Die
Luft roch nach dem Parfüm der Frauen und im Hintergrund konnte sie das Spiel
eines Jazzpianos aus dem Soundsystem hören.
Dana
stand im Türrahmen und war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Gewöhnlich, wenn sie mit einem ganzen Raum
voller Fremder zurecht kommen mußte, hatte sie John
dabei, der sie durch die Menge navigierte und ihr half, sich mit Unterhaltungen
herumzuschlagen. Nun war sie auf sich gestellt. Das ist albern, sagte sie sich.
Du bist intelligent und unabhängig und du brauchst nicht deinen Mann, um diesen
Abend zu überstehen.
Sarah
entdeckte sie von ihrem Sitzplatz auf der Couch aus und kam herüber. Sie sah heute Nacht elegant aus in einem
schokoladenbraunen Kleid, das zu ihren Augen paßte und ihre vollen Brüste
vorteilhaft herausstellte.
"Ich
freue mich, daß Sie gekommen sind," sagte Sarah
und hakte sich bei Dana ein. Sie senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen
Flüstern. "Das war meine Idee, nicht Mulders. Ich wollte das endgültige
Auspacken feiern."
"Wo
ist er?" fragte Dana.
"Ich
glaube, er schmollt in der Küche. Mulder mag Partys wirklich nicht..." Sie
entdeckte neue Gäste, die durch die Eingangstür kamen. "Gut, ich muß gehen
und Gastgeberin spielen."
In
der Küche war Mulder dabei, Weinflaschen zu öffnen, mit dem Ausdruck intensiver
Konzentration auf seinem Gesicht. Bevor sie die Chance hatte, ihn zu begrüßen,
sah er zu ihr auf und lächelte.
In
dem Moment wünschte Dana, sie hätte etwas zum Anziehen ausgewählt, bei dem sie
sich nicht so bloß fühlen würde. Die Einladung hatte Abendkleidung erwähnt und
dies war das einzige dezente Abendkleid, das sie besaß. Sie hatte es gekauft,
nachdem ihr Körper nach der Schwangerschaft endlich wieder in Form gekommen
war. Das Kleid war ärmellos und aus feinem seidig glänzendem Material von sehr
dunklem Rot, beinahe maronfarbig. Vorn war es am Hals hoch geschnitten und der
Saum reichte bis knapp übers Knie. Aber im Rücken war es tief ausgeschnitten,
beinahe bis zu ihrem Tattoo in der Lendengegend. Nun fühlte sie sich seltsam
nackt vor dem Auf und Ab von Mulders Augen.
Was
zur Hölle geht hier vor sich, dachte sie. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich
nach dem süßen kleinen Moment, den sie in jener Nacht in Mulders Netspace
geteilt hatten. Zugegeben, wenn man es im Cyberspace machte, zählte es nicht
wirklich, aber sie hatte sich so zufrieden und ruhig gefühlt, als sie den Wellen
zusahen, sein Arm um sie.
Dana
reichte ihm ein in Papier gehülltes Paket und er wickelte eine Flasche
Australischen Cabernet aus. Australien hatte während der Invasion relativ wenig
Schaden erlitten und seine Weingärten exportierten wieder Wein.
"So
viel Wein," sagte er kopfschüttelnd. "Ich
kann bereits den Katzenjammer fühlen, den ich morgen haben werde." Er gab
ihr ein Glas Rotwein, das er eingegossen und auf ein Tablett gestellt hatte.
Sie
nippte an dem Wein. "Sarah sagt, Sie mögen keine Partys."
Mulder
zuckte mit den Schultern. "Zu viele Menschen auf einmal - es ist
Sinnesüberladung. Ich neige dazu, cholerisch zu werden, wie Adam, wenn er über
seine Schlafenszeit hinaus auf ist."
"Da
wir gerade von ihm sprechen, wo ist er heute Abend?" Es gab keine Möglichkeit,
daß ein Kind während einer Party in einem kleinen Apartment schlafen konnte.
"Es
gibt eine nette ältere Dame, sie wohnt im dritten Stock und heißt Rose. Sie vergöttert Adam und war erfreut, ihn uns
heute Abend abnehmen zu können. Wo ist Julia?"
"Sie
ist bei meiner Partnerin aus dem Labor. Ihr Mann und sie haben noch keine
Kinder und sie mögen es, mit Julia zu üben."
Er
grinste darüber und sie dachte darüber nach, wie gefährlich sein Lächeln war. Mulder
war heute Abend ganz in schwarz gekleidet - ein schwarzes Hemd, das soweit
aufgeknöpft war, daß es ein paar dunkle gelockte Haare zeigte, und schwarze
Hosen. Es tat beinahe weh, ihn anzusehen.
Krieg
dich in den Griff, sagte sie sich.
"Es
freut mich, daß Sie es möglich machen konnten, Dana. Die meisten Gäste sind
Kollegen von Sarah aus der Universität. Ich kenne kaum eine Seele."
"Es
freut mich ebenfalls." Es war ein freies Gefühl, ohne John oder Julia
auszugehen. Ein wenig unheimlich, ja, aber sie konnte sich dunkel an eine Zeit
erinnern, in der sie gänzlich allein gewesen war.
Sie
mischten sich unter die Menge und wurden bald getrennt. Sie nahm ihren Mut
zusammen und machte sich selbst mit einer Gruppe freundlich aussehender
Professoren bekannt. Bald schon diskutierten sie alle die anstehenden Wahlen.
Im November sollte es die ersten weltumspannenden Präsidentenwahlen geben, dann
würde die Amtszeit des Interimspräsidenten Lobacheva enden. Sie stritten über
die hauptsächlichen Kandidaten. Ihr Favorit war Hirako Yamaguchi, aber die
meisten anderen votierten für Stephen Michaels-St. Clair. Dana bemerkte zu ihrer Überraschung,
daß sie Spaß daran hatte, als sie über die Kandidaten debattierten wie Gelehrte
in einem politischen Tele-Programm. Die Unterhaltung in ihrem
gesellschaftlichen Umfeld schien sich vollkommen um Wissenschaft und
Elternschaft zu drehen. Es war erfrischend, die Agrarreform und die
Einsprachen-Gesetzgebung mit intelligenten Menschen zu diskutieren.
Die
Party schritt voran und Dana war überrascht, als sie auf ihre Uhr sah, daß es
Mitternacht war. Die Menge hatte sich ein wenig gelichtet und sie bemerkte, daß
Sarah auf der Couch zusammengesunken war, eingeschlafen durch die Wirkung von
zuviel Wein. Mulder war nirgendwo zu sehen. Der Raum war beinahe stickig vor
Körperhitze und obwohl ihr Kleid recht knapp war, war Dana heiß. Sie brauchte
ein wenig Luft.
Mit
ihrem vierten Glas Wein in der Hand ging sie durch die Vordertür hinaus. Gott,
ich bin beschwipst, dachte sie im Fahrstuhl, während sie ihr gerötetes Gesicht
im Spiegel betrachtete.
Draußen
war die Straße still und verlassen, das einzige Geräusch kam von einer
Reinigungsmaschine, die den Gehsteig entlang fuhr und dabei Wasser verspritzte.
Zwischen Mulders Wohnhaus und dem nächsten gab es einen kleinen grünen Bereich,
nicht groß genug, um als Park zu zählen. Es gab nur einen Flecken grünen
Grases, ein paar Schaukeln und eine Bank.
Dana
setzte sich auf die Bank und sah hinauf zu den Sternen, die hinter der Kuppel
glitzerten. Da war ein Lied, an das sie sich erinnerte und das sie jetzt
manchmal Julia vorsang. "Funkle, funkle, kleiner Stern, und ich frage
mich, was du bist." Sie dachte über die Anderen nach und wie sie die
Feinde vertrieben hatten. Wer ist noch da draußen, fragte sie sich und machte
die Sternbilder aus. Wir sind definitiv nicht allein.
"Haben
Sie sich jemals bei einem Stern etwas gewünscht?"
Sie
zuckte ein wenig zusammen, als eine unerwartete Stimme in ihre Träumereien
eindrang, aber es war nur Mulder.
Er
legte seine Hand auf ihre Schulter. "Entschuldigung, ich wollte Sie nicht
erschrecken."
"Flüchten
Sie vor Ihrer eigenen Party?" Dana zog eine Augenbraue hoch. "Sie
sind ein schlechter Gastgeber."
"Das
bin ich." Er setzte sich neben sie und sah in den Himmel hinauf.
"Nun,
es war nett von Ihnen, mir eine Geburtstagsparty zu geben."
Mulder
drehte sich um, um sie anzusehen. "Es ist Ihr Geburtstag? Das wußte ich
nicht."
Sie
grinste. "Tja, ich habe es Ihnen nicht gesagt, also machen Sie sich keine
Gedanken. Nebenbei, mein Geburtstag ist morgen." Dana sah auf ihre Uhr.
"Tatsächlich ist er nun heute."
"Wenn
Sie es mir gesagt hätten, hätte ich Ihnen einen Kuchen und ein Geschenk
besorgen können."
"Machen
Sie sich nicht lächerlich. Ich brauche nichts von all dem. Ich
werde ihn morgen Abend bei einer Freundin feiern. Sie kocht für mich."
"Also,
wie alt sind Sie?"
Sie
blickte ihn verärgert an. "Wissen Sie nicht, daß es unhöflich ist, diese
Frage zu stellen, wenn eine Dame ein bestimmtes Alter erreicht hat?"
Mulder
schnaubte. "Bitte, Dana, bei Ihnen hört sich das so an, als wären Sie
achtzig Jahre alt. Sie sehen keinen Tag älter als neunundsiebzig aus."
Dana
machte eine Bewegung, um ihm einen Klaps auf die Wange zu geben, aber er fing
ihre Hand ab und umschloß sie mit seiner. Oh, sie konnte nicht atmen.
"Kommen Sie schon, raus damit," sagte er
grinsend.
Sie
zog ihre Hand weg und sagte, "Ich bin einundvierzig."
Er
rollte mit den Augen. "Das ist alles? Im Vergleich zu Ihnen bin ich alt,
ich bin fünfundvierzig."
Sie
lehnte sich zurück und legte ihre Beine übereinander. "Wir werden alt,
Mulder."
Manchmal
fragte sie sich, wie sie aussah, als sie jung war, bevor sie diese feinen
Linien um die Augen hatte, bevor die grauen Haare begonnen hatten, sich in das
Rot zu schleichen.
Mit
einer kühlen Hand berührte Mulder ihre Wange. "Sie sind eine wunderschöne
Frau, Dana, in jedem Alter." Sie hätte über seine Worte gelacht, wenn er
sie nicht in so einem leisen, ernsten Ton gesagt hätte.
Dana
starrte ihn als, als würde sie ihm nicht glauben und dann sah sie auf ihre
zitternden Hände, die ihr Weinglas umklammerten, als wäre es ein Lebensretter.
Seine
Finger hoben ihr Kinn an, so daß sie gezwungen war, ihn wieder anzusehen.
"Glaubst du mir nicht?" flüsterte er.
Oh,
sie konnte die Erregung in seinen Augen sehen, spürte sie praktisch in Wellen
von seinem Körper kommen. Als Reaktion darauf prickelte ihre Haut und sie bekam
eine Gänsehaut.
Ich
muß weg hier, dachte sie, aber sie konnte sich nicht bewegen. Sie fühlte sich wie
hypnotisiert durch den hungrigen Ausdruck auf Mulders Gesicht.
Er
blinzelte und rückte ein wenig näher. Er wird mich küssen, dachte sie
fassungslos. Ich kann das nicht zulassen, ich kann nicht. Aber ein Teil von ihr
wollte ihn.
Dana
zog sich von Mulder zurück und sie spürte, wie ein befangenes Lächeln auf ihrem
Gesicht erschien.
Sag
etwas und entschärfe den Augenblick.
Sie
räusperte sich und fragte, "Was geht hier vor, Mulder?"
Er
machte ein Geräusch tief in seiner Kehle. "Ich weiß es nicht."
"Ich
auch nicht," sagte sie und sah auf die leere
Schaukel anstatt zu Mulder. "Aber irgend etwas geht zwischen uns
vor."
"Ich
kann nicht aufhören, an dich zu denken." Mulder seufzte. "Nicht, seit
wir uns das erste Mal trafen. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber
ich kann einfach nicht aufhören."
Ihr
Mund war trocken und sie nahm einen Schluck Wein, ihr Kopf schwirrte vor zu
vielen Gedanken und sie war nicht in der Lage, auch nur einen davon angemessen
zu artikulieren.
Sie
fühlte seine Hand an ihrem nackten Arm. "Geht es dir genauso?" fragte
er mit einer Stimme so zögern, daß sich ihr Herz zusammenzog.
Ich
möchte darauf nicht antworten müssen, dachte sie, weil ich dir die Wahrheit
sagen muß und wenn ich es tue, weiß ich nicht, was passieren wird.
Der
Druck auf ihren Arm nahm leicht zu. "Ist es so?" wiederholte er.
Immer
noch wegsehend, nickte sie.
"Ich
weiß, daß es falsch ist," sagte Mulder.
"Glaub mir, ich weiß es."
Schließlich
fand sie den Mut, den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Sie kannte Mulder erst
so kurze Zeit, doch sie liebte sein Gesicht bereits jetzt. Aber dennoch, sie
konnten das nicht tun. Jetzt nicht, niemals. "Es ist falsch," sagte sie leise.
"Ja," stimmte er zu.
Ich
möchte ihn so sehr küssen, dachte sie, nur einmal möchte ich schmecken, wie es
ist, ihn zu lieben.
Dana
spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen und sie blinzelte sie weg. Sie
weinte niemals vor anderen, nicht einmal vor John. Es ließ sie sich schwach
fühlen.
"Ich
habe einen Mann und ich liebe ihn," sagte sie.
"Du hast eine Frau und du liebst sie. Wir... wir können nicht..."
"Du
hast recht."
Aber
auch wenn sie die richtigen Dinge sagten, seine Finger hatten sich mit ihren
verschlungen und ihre Gesichter kamen sich so nahe, daß sich ihre Nasen beinahe
berührten. Sie konnte den Wein in seinem Atem riechen.
Die
Luft schien Dana dick zu werden, sie schien beinahe vor Spannung zu knistern.
Mulders freie Hand legte sich um ihren Nacken und sie spürte, wie sich die
winzigen Härchen dort aufrichteten.
"Wir
können das nicht tun," flüsterte er, aber seine
Lippen legten sich auf ihre.
Sie
vergaß zu denken, als er sie küßte, Logik und Verantwortung waren zeitweise
eingeschränkt und geknebelt. Ihre Hände legten sich um sein Gesicht, zogen ihn
enger an sich heran, um ihn tiefer in ihren Mund zu ziehen. Ihre Zungen
berührten sich das erste Mal und sie zuckte fast zusammen bei diesem Kontakt,
als eine raue Welle von Erregung durch ihren Körper lief.
Es
war fremd, jemanden anderen als John zu küssen, eine fremde Zunge zu fühlen,
die sich mit ihrer verflocht, seine weingetränkten
Lippen und seinen Mund zu schmecken. Es gab keine Ungeschicklichkeit von Nasen
und Lippen, kein Herumtasten, nur einen perfekten, explosiven Kuß, bittersüß
vor Sehnsucht und Verlangen.
Sie
lösten sich voneinander, nachdem sie sich scheinbar Stunden geküßt hatten,
atmeten schwer und starrten einander in erstauntem Schweigen an.
Schließlich
sprach Mulder. "Es tut mir leid, Dana. Wir hätten das nicht tun
sollen."
Sie
nickte, ihre Lippen pochten noch von seinen Küssen. "Vielleicht sollten
wir nicht mehr zusammen sein." Sein Gesicht sah so betroffen aus bei ihren
Worten, daß sie die Tränen wiederkommen fühlte.
Sie
wischte sich mit zitternder Hand übers Gesicht und stand von der Bank auf.
"Es ist spät. Ich muß Julia abholen."
Mulder
ergriff ihre Hand und drückte sie. "Ich weiß, daß es falsch war, was wir
getan haben. Aber ich werde es schwer haben, es zu bereuen."
Irgendwie
mußte sie lächeln. "Ich auch. Das ist das Problem, Mulder."
Sie
drehte sich um, um zur Straße zu gehen.
"Hey,
Dana?"
Sie
machte auf dem Absatz kehrt.
Mulder
fuhr sich mit den Händen durch das Haar und erreichte dadurch, daß sie in alle
Richtungen standen. "Meintest du, was du sagtest, daß wir uns nicht mehr
sehen sollten?"
Sie
hob ihre Hände in einer fragenden Geste. "Ich weiß es nicht, Mulder.
Ich
muß nachdenken."
Die
Schwierigkeit war, daß sie möglicherweise den Rest ihres Lebens darüber
nachdenken konnte und keine vernünftige Antwort finden würde.
"Ich
glaube, wir brauchen beide Zeit," sagte er.
Sie
nickte.
"Eins
noch," sagte er und erhob sich von der Bank.
"Du
bist wahnsinnig schön, wenn du geküßt worden bist..."
Dana
konnte nicht anders, sie mußte lächeln, aber sie drehte sich dennoch um und
ging davon.
xxxxxxxx
Allein
in ihrem Schlafzimmer eine Stunde später versuchte Dana an alles andere zu
denken, nur nicht an den Kuß, den sie mit Mulder geteilt hatte. Im Geiste ging sie alle Schritte durch zur
Vorbereitung von Gewebeproben für einen MCR-DNA-Test. Als nächstes glich sie
den Familienhaushalt für März aus, bezahlte die Rechnungen und legte das
restliche Geld auf dem Familienkonto zur Seite. Sie machte sogar eine
Checkliste der Reinigungsmittel, die sie für die Wohnung einkaufen mußte.
Aber
hinter ihren Gedanken war das schockierende Bewußtsein, daß sie Fox Mulder
geküßt hatte, wie der Refrain eines nervenden Popsongs, den sie nicht aus ihrem
Kopf bekommen konnte.
Sie
hatte einen Mann geküßt, der nicht ihr Mann war.
Als
sie an jenem Dezembermorgen in der Halle des Friedensrichters ihr Gelöbnis
gesprochen hatte, hatte sie es ernst genommen, aber vollkommen mühelos
bewältigt. Natürlich würde sie John Rosen lieben, ihn ehren und beschützen, für
immer. Und natürlich würde sie niemals einen anderen Mann in Betracht ziehen.
Es gab niemand anderen als John. Sie war nicht einmal in der Lage gewesen, sich
einen anderen als John vorzustellen.
Nun,
Jahre später, war da ein anderer Mann, egal ob es richtig oder falsch war.
Mulder war in ihr Leben getreten in einer Reihe von zufälligen Begegnungen und
irgendwie war er in den letzten paar Wochen wichtig für sie geworden.
Und
nun mußte sie einige Entscheidungen treffen.
Das
Problem war, daß sie verdammt noch mal nicht wußte, was sie tun sollte.
Sie
berührte ihre Lippen und sie waren immer noch geschwollen von seinem Kuß. Sie
hatte niemals einen Kuß erlebt, der sich so angefühlt hatte wie der eine, den
sie geteilt hatten. Zugegeben, sie hatte nach ihrer Erinnerung nur zwei Männer
geküßt, drei wenn man den Phantomliebhaber aus ihren Träumen mitzählte. Es war
eine Explosion unkontrollierter Gefühle gewesen, der Kuß auf der Bank, eine
gänzlich berauschende Mischung von Anziehung, Angst, Lust, Scham und
Zärtlichkeit. Es war ein einzigartiger Kuß gewesen.
Dana
bereute es, mit Julia an jenem Abend in den Park gegangen zu sein. Wenn sie nicht gegangen wäre, hätte sie
Mulder niemals getroffen und nichts wäre passiert. Ihr Leben würde weitergehen
auf dem stillen, gleichmäßigen Weg. Sie hätte ihre Forschung gemacht, ihre
Tochter erzogen und ihren Mann geliebt. Die Träume und die Erinnerungsstückchen
hätten sie weiter heimgesucht, aber sie hätte sie gemeistert. Sie war eine
Überlebende. Nebenbei, sie hatte alles
gemeistert, seit sie in der Klinik zurück ins Leben gebracht worden war.
Wenn
sie Mulder nicht getroffen hätte, hätte sie niemals begonnen, sich ein Leben
vorzustellen, in dem sie ihre Vergangenheit erforschen konnte und den Menschen
zurückzugewinnen, der sie einmal war. Mulder hatte ihr die Erlaubnis erteilt,
sich nicht zu schämen, weil sie diese Dinge wollte.
Sie
rollte sich auf die Seite und schob die Kissen unter ihrem Kopf zurecht. Schließlich gab sie sich selbst gegenüber zu, daß
sie Mulder wollte, nicht nur die ungewöhnliche Freundschaft, die sie entwickelt
hatten, sondern den Mann selbst.
Niemals
vorher hatte sie etwas so sehr gewünscht. Als sie John das erste Mal getroffen
hatte, fand sie ihn anziehend, natürlich, aber es war mehr das Verständnis
gewesen, daß er ein Mann war, der immer an ihrer Seite bleiben würde, ein Mann,
mit dem sie ihr Leben wieder aufbauen konnte.
Mit
Mulder bekam sie nun das erste Mal einen Geschmack davon, wie es war, ihn
physisch zu kennen und sich nach mehr zu
sehnen.
Dana
wollte dieses schwarze Hemd aufknöpfen, daß er getragen hatte und die Haut auf
seiner Brust berühren und ihre Finger durch die Haare dort gleiten lassen. Sie
wollte wissen, wie sein Körper unbekleidet aussah. Er war ungefähr so groß wie
ihr Mann, aber er hatte längere Arme und Beine. Sie stellte sich vor, seine
Rippen mit ihren Fingern zu zählen und sie herabgleiten zu lassen zu seinem
Nabel, während er stöhnte, weil sie dem Teil von ihm so nahe gekommen war, der
am meisten berührt werden wollte.
Ein
kleines Stöhnen kam von ihren Lippen, als sie ihre Hand zwischen ihre Beine
gleiten ließ. Sie berührte sich nicht oft selbst zum Vergnügen - sie war selten
allein und es schien so leer, wenn sie nicht in der Lage war, es mit John zu
teilen. Aber nun streichelte sie sich selbst mit drängenden Fingern und stellte
sich zum ersten Mal vor, daß sie sich mit jemand anderem als John liebte. Sie
malte sich aus, wie sie Mulders Hosen auszog und er vor ihr stand, erigiert und
sie mit diesem Blick intensiver Erregung ansah, den er vorhin auf seinem
Gesicht hatte.
Und
die Realität verwischte mit ihrer Phantasie und sie war da mit Mulder. Dana berührte sein dichtes, dunkles Schamhaar
und bewegte ihre Hand, um seine Hoden zu umfassen und zu streicheln und sie
spürte, wie er als Reaktion darauf zitterte. Sie kniete sich hin und ließ ihre
Zunge über die Länge seines harten Penis gleiten, während seine Hände in
unausgesprochener Ermutigung ihre Schultern packten.
Mit
ihrem Mund, ihrer Zunge liebte Dana ihn und zeigte das Gefühl, dem sie
schließlich seine Freiheit erlaubte. Er gab kleine Geräusche der Zustimmung von
sich, als er in ihren Mund hinein und wieder heraus glitt.
Als
Mulder mit einem leisen Schrei kam, kam sie auch, zurück in der Realität auf
ihrem Bett, krümmte ihren Rücken und erstickte ihr Stöhnen im Kissen.
Die
Uhr an ihrem Bett ging auf drei Uhr, als sie einschlief, brennend vor Scham, brennend
vor Ekstase, brennend.
In
dieser Nacht träumte sie von einem Feuer. Sie lag an einem kleinen
Campingfeuer, zitterte und hustete so heftig, daß sie Angst hatte, sie würde
sich eine Rippe brechen. Hier endet es, dachte sie in ihrem Traum, hier enden wir.
Ich habe mir niemals vorgestellt, daß das Ende so aussehen würde.
xxxxxxxx
***
ende teil 1 ***
GEBLENDET VON
WEISSEM LICHT -- TEIL 2
Autorin:
Dasha K. — dashak@aol.com
Übersetzung:
Sylvia — aktex_sm@hotmail.com
XXXXX
Ein
paar interessante Dinge passierten am Sonntag morgen.
Zuerst
wurde sie gegen sieben durch das Klingeln an der Tür geweckt. Vor der Tür stand
ein Lieferbote mit einem Strauß Gewächshausblumen für sie:
Gänseblümchen,
Schwertlilien und Maiglöckchen. Dana brachte sie ins Wohnzimmer und fand die
Karte, die hinter einem Blütenzweig steckte.
*Für
die Frau, die mich alles über die Liebe gelehrt hat. Herzlichen
Glückwunsch
zum Geburtstag John*
Der
Anflug von Schuld, den sie spürte, als sie die Karte las, war beinahe lähmend.
Dana setzte sich auf die Couch und atmete tief ein. Was für eine schreckliche
Ehefrau bin ich, dachte sie.
Sie
holte Julia aus dem Bett. Nachdem sie den quirligen Tapps
angezogen hatte, setzte Dana sie auf den Küchenboden, damit sie mit ihren
Plastiktieren spielen konnte. Julia machte Kuh- und Hühnergeräusche, während
Dana die Zutaten für Pancakes zusammenmixte.
Gerade
als sie die Butter in die Pfanne tat, klingelte es wieder an der Tür, wie auf
ein Zeichen. Diesmal war es Evan. Er war jung, erst vierundzwanzig und er
wohnte in dem Apartment auf dem Flur gegenüber, ein kleiner Raum, der wie sie
wußte mit Postern obskurer Afro-Beat-Gruppen gepflastert war und vollgestopft mit
leeren Sushibehältern.
Evan
kam öfter an den Wochenenden vorbei auf der Suche nach einem Frühstück und Dana
hatte etwas für den jungen Mann mit den ewig zerknautschten Sachen und dem Kopf
voller schwarzer und blauer Zöpfe übrig.
"Sind
das Pancakes, die ich da rieche?" fragte er und grinste verschämt.
Sie
ließ ihn mit einem nachsichtigen Klaps auf den Kopf herein.
Er
zauberte ein kleines braunes Paket aus den Falten seiner fleckigen Jacke
hervor. "Ich habe dir ein Pfund Speck zum Geburtstag mitgebracht."
Dana
lächelte vor Freude. Speck, den ganzen Weg aus Südamerika importiert, war ein
teures Vergnügen, das sie sich nur selten zu kaufen erlauben konnte. Der
Sojaspeck war ein akzeptabler Ersatz, aber nichts schmeckte so wie der
richtige.
Sie
gab den Speck in die Pfanne und begann, eine Kanne Kaffee zu kochen, während er
Julia auf seinen Knien schaukelte und unsinnige Reime über Roboter
zusammenbastelte. Ungeachtet Evans seltsamer Haare und der geschminkten Augen
konnte Dana erkennen, daß er das Zeug zu einem exzellenten Vater hatte.
Als
der Raum sich mit dem Duft von Speck füllte, hatte Dana das vage Gefühl von
Vertrautheit, das sie immer bekam, wenn sie diesen besonderen Duft roch. Er gab
ihr das Gefühl von Wärme und Sicherheit und sie mutmaßte, daß Speck ihr
bevorzugtes Frühstücksvergnügen als Mädchen gewesen sein mußte.
Evan
war bei seinem neunten Pancake, als sie den Nerv hatte, ihn das zu fragen, was
ihr schon seit sie die Tür geöffnet hatte, durch den Kopf ging. Sie kaute den Speck herunter und fragte,
"Würdest du mir einen Gefallen tun?"
Er
verteilte mehr Ahornsirupimitat auf einen frischen Stapel Pancakes.
"Welche
Art von Gefallen, Dana?"
"Ein
Gefallen, der mit Computern zu tun hat."
"Das
ist die Art von Gefallen, die ich am besten kann."
Evan
lebte praktisch im Net. Sie wußte, daß er an manchen Tagen
länger als achtzehn Stunden eintauchte und sich nur zum Essen und zur Toilette
losmachte. Seinen Job als Systemadministrator konnte er komplett von zu Hause
aus erledigen und Dana fragte sich manchmal, ob er das Gebäude jemals verließ,
außer für seine gelegentlichen Besuche in seltsamen Underground Dance Clubs.
"Es
ist eine persönliche Sache," sagte sie und wählte
ihre Worte sorgfältig. "Du mußt es für dich behalten."
"Ich
bin eine Seele von Diskretion," sagte Evan in
einem spöttisch-ernsten Flüstern.
"Ich
habe da diesen Freund und er versucht, seine Vergangenheit zu finden..."
"Du
meinst, aus dem Vorher?" unterbrach sie Evan und zog seine dunklen
Augenbrauen hoch.
"Ja.
Er scheint zu glauben, daß er Agent bei etwas, das sich Federal Bureau of
Investigation nennt, war."
"Oh
ja, die Feds. Kenne ich."
"Er
versucht, Zugang zu den erhaltenen Aufzeichnungen zu bekommen, aber er kann
nicht hinein kommen. Glaubst du, du könntest es?"
Evans
streckte stolz seine Brust heraus. "Ich kann Zugang zu allem bekommen.
Möchtest du, daß ich mich ein wenig umsehe?"
"Könntest
du das? Ich möchte dich nicht in Schwierigkeiten bringen."
Er
schnaufte. "Hör schon auf. Dies wird schrecklich einfach sein, Dana. Nebenbei, Wissen ist Macht. Wie ist der Name
des Mannes? Ich werde in den Aufzeichnungen danach suchen."
"Fox
Mulder," sagte sie und griff nach einem
Notizblock auf dem Küchenschrank, um es für ihn aufzuschreiben.
"Betrachte
es als erledigt," sagte Evan und stopfte das
Papier in seine Tasche. "Ich werde trotzdem ein paar Tage brauchen. Ich
arbeite gerade an dieser gewaltigen Interfaceerweiterung."
"Ich
danke dir tausendmal."
Evan
leckte den Sirup von seiner Gabel. "Es ist das mindeste, was ich tun kann,
wo du mich immer durchfütterst."
Sie
lehnte sich zurück und empfand Genugtuung in dem Wissen, daß sie Mulder half
zurückzugewinnen, was er verloren hatte.
Am
Nachmittag machte Julia ein Schläfchen und Dana ergriff die Möglichkeit, ihren
Mailserver zu überprüfen. Es war nur eine Nachricht da und die kam von Mulder.
Sie atmete tief ein und öffnete den Ordner.
*Ich
wünschte, ich könnte unseren Kuß letzte Nacht auf zuviel Wein
schieben,
aber ich kann es nicht. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag,
Dana.
M*
xxxxxxxx
"Erzählen
Sie mir davon, Dana."
Mit
einem kleinen Seufzer nahm Dana einen stärkenden Schluck von ihrem Kaffee und
schloß die Augen. Ich bin an einem sicheren Platz, sagte sie sich. Hier kann
ich alles erzählen und sie wird mich nicht dafür verurteilen.
Die
Dinge schienen immer klarer zu sein in den Grenzen von Dr. Hanleys Büro. Die
blaßgoldenen Wände und die hängenden Farne waren beruhigend für ihre
morgendlich trüben Augen und heute spielte die Ärztin leise Vivaldi auf ihrem
Soundsystem. Für eine Stunde alle paar Wochen oder so konnte Dana in einem
Sessel sitzen und ohne Störungen erzählen. Das Telefon würde nicht klingeln und
Julia konnte nicht nach ihr rufen.
Die
Stimme der Therapeutin war sanft. "Ist es schwierig für Sie?"
Sie
nickte. "Ich fühle mich schuldig, wenn ich nur daran denke. Ich habe
versucht, es aus meinem Kopf zu bekommen, als wäre es nie passiert, aber es
schleicht sich in meine harmlosesten Gedanken."
"Verdrängung
ist niemals ein Weg, um mit unseren Problemen klarzukommen. Wenn Sie etwas vergraben, ist es immer noch
da und schließlich wird es auftauchen."
Mit
anderen Worten, Mulder würde nicht einfach verschwinden. Und John auch nicht.
Fein,
sie würde reden. Sie hatte nichts zu verlieren.
Danas
Finger tasteten umher, als sie um ihre Worte rang. "Ich habe vorher
niemals jemanden wie Mulder getroffen. Ich kann es nicht erklären, aber wenn
ich mit ihm zusammen bin, fühle ich mich irgendwie vollkommen, als wenn ich
diese letzten fünf Jahre auf ihn gewartet hätte, es aber nie wußte."
Dr.
Hanley sah von ihrem Notebook zu Dana auf. "Sagen Sie mir, ob Sie das
Gefühl haben, irgend etwas davon hätte mit der
Tatsache zu tun, daß John seit fast zwei Wochen weg ist."
"Ich
wünschte, es wäre so einfach - daß ich verletzt wäre oder ärgerlich auf John
oder rebellieren würde, weil er gegangen ist. Dies hat nichts mit ihm zu tun.
Es hat nichts an meinen Gefühlen für John geändert."
"Welches
Gefühl gibt Ihnen Mulder im Vergleich zu Ihrem Mann?"
Sie
dachte an den Abend, den sie im Park verbracht hatten, ihre Füße im Springbrunnen
baumelnd. Wenn sie Mulder niemals wiedersehen würde, würde sie sich immer an
den intensiven Ausdruck in seinen Augen erinnern.
"Ich
kann sie nicht miteinander vergleichen," sagte
Dana. "Sie sind vollkommen verschiedene Menschen."
"Lieben
Sie Mulder?"
Achselzuckend
sagte sie, "Ich weiß nicht. Ich bin mir überhaupt nicht mehr sicher, daß
ich weiß, was Liebe ist. Ich dachte, ich würde John lieben, mehr als alles
andere auf der Welt und nun sehen Sie, was passiert ist. Womöglich bin ich nicht fähig, zu lieben."
"Glauben
Sie das wirklich?"
Dana
atmete geräuschvoll aus. "Im Moment stelle ich alles in meinem Leben in
Frage. Ich dachte, ich hätte alles, was ich wollte. Aber meine Gefühle für
Mulder haben mich die Dinge erkennen lassen, die ich niemals gewagt habe, mir
zu wünschen."
"So,
wie in der Lage zu sein, über Ihre Träume zu sprechen und mögliche auftauchende
Erinnerungen?"
"Ja.
Ich fühle mich ohne meine Vergangenheit nicht als ganzer Mensch. Aber was sind
wir anderes als die Summe unserer Lebenserfahrungen?"
Die
Ärztin lächelte. "Ein interessanter Gesichtspunkt."
Gewöhnlich,
wenn sie in Dr. Hanleys Büro saß, konnte sie ihre Probleme lösen, wie jemand
der stetig an einem schwierigen, verknoteten Seil arbeitete. Diesmal war es
irgendwie so, je mehr sie an dem Seil arbeitete, desto fester wurde der Knoten.
Dana
sah ihre Therapeutin an. "Grundsätzlich ist es so, daß ich nicht weiß, was
ich tun soll. Was denken Sie?"
"Dana."
Die Ärztin hob warnend den Finger. "Sie wissen es besser. Meine Rolle ist
es nicht, Ihnen zu sagen, was Sie tun sollen, sondern Ihnen zu helfen, Ihre
Probleme selbst zu lösen."
Sie
zog eine Grimasse. "Also bezahle ich Sie dafür, daß ich meine Probleme
selbst löse, hm? Ich sollte in die Psychologie wechseln."
Zu
ihren Gunsten lachte Dr. Hanley herzlich.
Dana
verließ das Büro der Ärztin mit dem vagen Gefühl, unbefriedigt zu sein. Während
es ein gutes Gefühl war, einfach frei zu reden in einer Art, wie sie es nicht
einmal mit Meghan tun konnte, war sie dennoch zu keinen tollen Entschlüssen in
dem schwarzen Sessel gekommen. Nichts hatte sich geändert.
Mit
einem kurzen Seufzer streckte sie ihren Rücken und hob ihr Kinn. Es war nicht
mehr die Zeit, über ihre Probleme nachzudenken. Sie hatte Laborberichte zu
schreiben, Telefonanrufe zu erledigen, an einem Abteilungsmeeting teilzunehmen.
Der Rest des Arbeitstages gehörte nicht ihr.
Dana
überquerte den Platz zu ihrem Gebäude und entschied sich, für den Rest des
Tages nicht mehr nachzudenken.
xxxxxxxx
Trotz
dessen, was Dr. Hanley an diesem Morgen in der Sitzung gesagt hatte, kam Dana
aus dem Labor nach Hause, entschlossen, Verdrängung zu üben. Mulder hatte sie niemals geküßt und sie hatte
diesen Kuß ganz bestimmt nicht erwidert. Nichts war passiert, überhaupt nichts.
Julia
war nicht gut drauf an diesem Abend. Zuerst hatte sie einen Wutanfall, weil sie
ihre Schulsachen ausziehen sollte und dann einen, weil sie ihre grünen Bohnen
zum Essen haben wollte. Sie trat mit den Beinen und schrie, als Dana versuchte,
sie in die Wanne zu setzen. John war besser darin, Julia zu beruhigen, wenn sie
in dieser Stimmung war und Dana fühlte hilflos die Wucht des übermächtigen
Willens ihrer Tochter.
Sie
rief John im Hotel an. Dankbarerweise war er zurück vom Abendessen und
verbrachte zwanzig Minuten damit, Julia "Jerry, das blaue Raumschiff"
vorzulesen, die mit runden Augen vor dem Telebildschirm saß und das Bild ihres
Vaters berührte. Er brauchte das Buch nicht, um ihr die Geschichte zu erzählen.
Dana und er hatten sich die Worte eingeprägt durch die vielen Wiederholungen.
Ruhig
und nun glücklich glitt Julia in Danas Schoß. Dana lächelte John auf dem
Bildschirm an, aber ihr Herz klopfte heftig. Konnte John ihr Schuldgefühl
irgendwie spüren?
"Nur
noch eine Woche," sagte er, immer noch alberne
Grimassen für Julia machend, die vor Freude zappelte und kicherte. "Ich
kann es nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Ich bin das Hotelessen leid und
daß es hier so heiß ist."
"Du
bist zu sehr an die Klimatisierung der Kuppel gewöhnt."
"Ja,
ich bin ein Schwächling. Ich bin Manns genug, um das zuzugeben. Ich möchte
einfach nach Hause kommen, einen großen Topf Spaghetti kochen und mit dir und
Julia zu Abend essen."
"Ich
kann es auch nicht erwarten," sagte sie.
Ja,
wenn John zurückkam, würde alles zur Normalität zurückkehren.
Sie
ließ Julia in dieser Nacht bei ihr schlafen. Als ihre Tochter eingeschlafen
war, strich sie ihr über ihr seidiges Haar und dachte, das ist es, wo ich
hingehöre, zu meiner Familie. Sie schlief ein, auf den gleichmäßigen Rhythmus
von Julias Atem lauschend.
xxxxxxxx
Eine
sehr heiße Nacht in West Virginia und sie stecken fest in einer Stadt, die so
winzig ist, daß das einzige Motel noch nicht einmal eine Klimaanlage hat, nur
einen rostigen Ventilator, der lediglich die feuchte Luft in dem kleinen Raum
herumwirbelt.
Nachdem
sie sich geliebt haben, schläft er auf den schweißdurchtränkten Laken ein und
sie geht in das schmuddelige Badezimmer, um zum dritten Mal an diesem Tag zu
duschen. Sie dreht das Wasser auf so kalt, daß ihre Haut als Reaktion darauf
prickelt und ihre Zähne klappern.
Sie
trocknet sich nicht einmal ab, sondern klettert tropfnaß ins Bett. Es bringt
ihr einen Moment Erleichterung, als der geräuschvolle Ventilator über ihren
kühlen Körper bläst.
Es
war ein langer, erschöpfender Tag gewesen und sie sehnt sich nach Schlaf, Sie
versinkt gerade in das erste Stadium, als sie es spürt.
Oh
Gott.
Siekommensiekommensiekommensiekommensiekommen
Sie
sitzt kerzengerade in dem durchhängenden Bett und unterdrückt das Verlangen, zu
schreien.
Es
ist millionenfach stärker als in der Nacht, in der sie zu der Brücke gerufen
worden war. Sie kann spüren, wie es sich in ihrem Nacken zentriert und von dort
in ihre Glieder ausstrahlt.
Sie
kommen.
Es
ist zu spät. Alles was sie getan haben, um dagegen anzukämpfen, war umsonst
gewesen. Sie sind fast hier, sie kann ihre kollektive Anwesenheit spüren, sie
kommen näher mit jeder Sekunde.
Sie
wollte niemals an diesen Tag glauben. Sie forderte Beweise, etwas greifbares,
das sie mit ihren eigenen Augen sehen konnte, etwas, woran sie glauben konnte.
Anekdoten und schattenhafte Informanten waren nicht genug. Sogar die verschwommene Erinnerung an irgend etwas am antarktischen Himmel war nicht genug. Nicht
einmal ihr Vertrauen und ihr Glauben in den Mann, der neben ihr schläft. Es war
zu gewaltig und zu erschreckend für ihre Vorstellung.
"Sie
kommen," stößt sie zwischen zitternden Lippen
hervor.
Er
rollt mit einen Stöhnen herum und knipst die Nachttischlampe an. "Was ist
los, Scully?"
Diesmal
schreit sie die Worte heraus.
Augenblicklich
erwachte Dana und blinzelte in die Dunkelheit. Nur ein Traum, dachte sie und
berührte Julias Wange. Es war nur ein Traum.
xxxxxxxx
Am
Morgen flocht Dana Julias Haar, während im Hintergrund Newsmorning die
Weltnachrichten verlaß. "Zapple nicht,"
sagte sie zu Julia, die nur dieses eine Mal gehorsam still wurde, während Dana
ihr blaue Bänder um die Enden ihrer Zöpfe band.
Weiße
und rote Funken begannen plötzlich vor Danas Augen zu tanzen.
Sie
wußte, was die Funken bedeuteten. Verdammt, sie bekam eine Migräne. Sie hatte
seit Monaten keine gehabt. Wenn sie erst einmal im Anmarsch war, gab es keine
Möglichkeit, sie aufzuhalten. Ihr Migranex-Inhalator würde gegen die Schmerzen
helfen, aber sie würde für Stunden nicht zu gebrauchen sein unter dem Einfluß
der Droge. Die Wellen der Übelkeit stiegen bereits in ihrem Bauch auf und sie
begann das Hafermehl zu bereuen, das sie zum Frühstück gegessen hatte.
Dana
eilte ins Badezimmer und brachte ihr Frühstück und einen guten Teil ihres
Essens vom Abend vorher wieder heraus. Sie blickte von der Toilettenschüssel
auf und sah Julia, die sie neugierig anstarrte.
"Mami
übergibt sich," erklärte sie.
Sie
nickte schwach, das Pochen ließ sich in ihren Schläfen nieder. Nachdem sie sich
die Zähne geputzt hatte, saugte sie an der Migranex-Tube aus Plastik und
winselte wegen des metallenen Geschmacks des Dampfes.
Sie
zog sich wieder ihren Pyjama an, stolperte zur Couch, um Meghan anzurufen und
betete darum, daß ihre Partnerin noch zu Hause war.
Meghan
antwortete in ihrem pinkfarbenen Bademantel, ihre kurzen, dunklen Haare noch
feucht vom Duschen. "Dana, bist du in Ordnung? Du siehst scheußlich
aus."
Dana
faßte sich an die Stirn, ihre Augen blinzelten im Licht des Telebildschirms.
"Eine Migräne," sagte sie. "Ich glaube
nicht, daß ich heute ins Labor kommen kann."
"Oh
nein," sagte Meghan, Besorgnis auf ihrem runden
und hübschen Gesicht. "Aber mach
dir keine Sorgen darüber. Wir arbeiten nur an unseren Vorschlägen für das
nächste Jahr, erinnerst du dich?"
Sie
nickte, der Schmerz nahm zu, glühend heiße Blitze, die im Gleichklang mit ihrem
Herzen schlugen.
"Sweety,
ich komme gleich vorbei. Ich muß mich nur schnell anziehen. Ich bringe Julia
heute in die Primary Care."
Nachdem
sie die Verbindung beendet hatte, rollte sich Dana auf der Couch zusammen und
hoffte, daß die Droge schnell helfen würde. Julia tätschelte Danas Arm.
"Mami, bist du krank?"
"Ich
bin krank," sagte sie und tastete nach der
Fernbedienung, um ein Kindercartoonprogramm einzuschalten. Der Klang
herumtollender Tiere, obwohl der Ton leise gestellt war, ließ sie winseln. Aber
die Cartoons sorgten dafür, daß Julia ruhig blieb und keinen Unfug machte.
Zwanzig
Minuten später hastete Meghan herein. Sie hatte eine zusätzliche Zugangskarte
zu Danas und Johns Wohnung für den Notfall. Dana war dankbar dafür, weil der
Gedanke daran, sich zu bewegen, unerträglich war.
"Meggie!"
schrie Julia und Dana stöhnte bei dem Ausbruch.
"Hey,
Kleines," sagte Meghan mit sanfter Stimme.
"Du mußt jetzt ganz, ganz leise sein."
Meghan
ging hinüber zur Couch. "Mach dir um nichts Gedanken,"
sagte sie zu Dana. "Ruh dich einfach aus. Ich kann Julia heute Nacht mit
zu mir nach Hause nehmen. Tom und ich würden sie liebend gern bei uns
haben."
Dana
nickte. "Danke," brachte sie fertig, zu
sagen. "Julia, möchtest du heute Nacht bei Meghan schlafen?"
Julia,
die schon einige Nächte bei Meghan verbracht hatte, um ihren Eltern ein bißchen
Zeit für sich zu geben, begann bei dem Gedanken hin und her zu springen.
Meghan
fand die Decke und breitete sie über Danas Körper aus. Mit der erfrischenden
Effizienz, die sie zu einer ausgezeichneten Wissenschaftlerin machte, packte
sie eine Tasche mit Sachen und Toilettenartikeln für Julia zusammen.
"Komm,
Jules," meinte sie. "Laß uns zur Schule
gehen." Sie drückte Danas feuchtkalte Hand. "Ruf mich an, wenn du irgend etwas brauchst."
Mit
geschlossenen Augen murmelte Dana. "Ich brauche nur Schlaf." Der
Schmerz hatte nachgelassen und langsam nahm das schwere Gewicht der
drogenbedingten Müdigkeit seinen Platz ein.
Julia
drückte einen feuchten Kuß auf die Wange ihrer Mutter und dann waren sie
gegangen. Das Apartment blieb in gesegneter Stille zurück.
Sie
wickelte sich in die Decke und schlief ein.
Sie
träumte von fallenden Blättern - purpurrot, golden und orange, vom Harken und vom
erdigen Geruch des Herbstes.
Als
Dana schließlich erwachte, sah sie aus verschwommenen Augen auf die Uhr am
Telebildschirm. Es war vier Uhr nachmittags. Beinahe ein ganzer Tag war
vergangen, während sie auf der Couch geschlafen hatte. Sie haßte es, einen
ganzen Tag so zu verschwenden, aber sie wußte auch, daß es der einzige Weg war,
die Migräne vorbeigehen zu lassen.
Der
Schmerz war nun vorbei. Sie fühlte sich ein bißchen schwindlig vom Migranex und
vor Hunger, aber der Sturm in ihrem Kopf war vorbei.
Sie
duschte und wechselte zu T-Shirt und Leggings. In der Küche trank sie eine
ganze Flasche Wasser aus, während sie eine Packung Hühnernudelsuppe erwärmte.
Dana
hatte sich gerade wieder auf die Couch gesetzt, um ihre Suppe zu essen, als der
Telebildschirm einen Anrufer ankündigte. Sie erwog, den Messenger den Anruf
entgegennehmen zu lassen, aber sie befürchtete, es könnte die Primary Care oder
Meghan sein.
Mulders
Gesicht erschien auf ihrem Bildschirm. Aus dem Hintergrund, einem Regal voller
Bücher, schloß sie, daß er aus seinem Büro bei der City Edcom anrief.
"Bist
du in Ordnung?" fragte er und seine Augen blinzelten hinter der Brille.
"Ich habe es im Labor versucht, aber dort hieß es, du wärst heute nicht
da."
Danas
Hände begannen in ihrem Schoß zu zittern beim Anblick Mulders, beim Klang
seiner Stimme. "Ich hatte eine Migräne,"
sagte sie. "Ich habe geschlafen und nun geht es mir wieder gut."
Er
lächelte, seine Unterlippe wurde größer und gab ihm einen leicht dummen, aber
entschieden sexy Ausdruck. Sie konnte sich immer noch daran erinnern, wie es
sich angefühlt hatte, diese Lippen zu küssen, diese dicke Unterlippe in ihren
Mund zu nehmen und daran zu saugen.
"Ich
habe... ich habe gehofft, wir könnten heute Abend miteinander reden," stammelte er.
Ich
habe dieselbe Wirkung auf ihn, dachte sie.
Dana
seufzte. "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Mulder."
"Bitte,
Dana, wir müssen darüber reden."
Da
geht der ganze Verdrängungsplan dahin, dachte sie. Mulder schien es nicht zu
verdrängen.
"Du
hast recht," sagte sie, ihre Niederlage
eingestehend. "Kannst du um sechs vorbeikommen?"
Eine
Minute später schaltete sie den Telebildschirm aus und ließ alle ihre Luft aus
ihren Lungen entweichen.
Das
ist eine gute Sache, sagte sie sich. Wir werden reden und alles ordnen und
diesen Kuß hinter uns bringen. Wir sind intelligente, rationale Erwachsene.
Wir
wissen beide, was das Richtige ist.
xxxxxxxx
Obwohl
Danas Türklingel präzise um sechs Uhr ertönte, zuckte sie doch bei dem Geräusch
zusammen.
Sie
atmete tief ein und durchquerte das Wohnzimmer mit vier langen Schritten. Das
Apartment erschien ihr leer und sie wünschte, sie hätte den Schutz von Julias
Anwesenheit. Es würden nur sie beide sein, allein. Das einzige andere Mal, als
sie und Mulder wirklich allein gewesen waren... sie wollte nicht einmal daran
denken, was da passiert war, nicht als sie ihre Finger um die Türklinke legte,
um zu öffnen.
Mulder
trug noch seine Arbeitssachen, einen marineblauen Anzug und eine rote Krawatte.
Aber die Krawatte hatte er gelöst und seine Haare standen zu Berge, als wenn er
mit den Fingern hindurchgefahren wäre. Er hatte seine Aktentasche in der einen
Hand und eine weiße Einkaufstasche mit Henkeln in der anderen.
"Hi," sagte er und ein halbes Lächeln formte sich auf
seinen Lippen.
Sie
ließ ihn herein. "Was hast du in der Tasche?"
Das
Lächeln wurde breiter, aber es war irgendwie verschämt. "Wie geht es
deinem Kopf?"
"Ich
fühle mich gut, aber du hast meine Frage nicht beantwortet."
Er
setzte die Tasche und die Aktentasche auf den Teppich. "Ich mußte wissen,
wie du dich fühlst, bevor ich deine Frage beantworte. Bist du bereit, um aus
dem Haus zu gehen? Das Europäische Sinfonieorchester gibt ein Freikonzert im
City Center Park. Jeanette Paderre, die Cellistin, ist die Solistin. Für den
Fall, daß du hingehen wolltest, habe ich kurz angehalten und ein paar Sachen
für ein Picknick eingekauft."
Ein
Picknick, Musik, der Park - wundervoll. Und sie würden auch nicht allein in
ihrem Apartment sein.
"Das
hört sich perfekt an," sagte Dana.
Sie
nahmen die U-Bahn zum Park und tauchten aus der Center Zone Station auf in den
funkelnden Einkaufsbezirk. Er war immer noch voller Menschen auf ihrem Weg von
der Arbeit nach Hause und anderen, die den breiten Boulevard entlang wanderten,
Eis aßen und einen Schaufensterbummel machten. Sie gingen an großen
Tafelglasfensterauslagen mit sündhaft sexy Holo-Modellen vorbei, die in
Unterwäsche herumsprangen und darüber bettelte eine Neonreklame, daß man doch
Ryoko Dai Schuhe tragen und Lion Lager trinken sollte.
Als
sie am Hochzeitsshop vorbeikamen, wandte Dana ihre Augen ab, um den Anblick von
Brautsträußen und Schleiern zu vermeiden.
Am
Ende des Boulevards befand sich der Nordeingang zum Park. "Das Konzert
findet auf der Wiese statt," sagte Mulder, als
sie den Steinweg entlang gingen.
Die
Wiese war groß, ein sich sanft neigender Hang mit dem Amphitheater auf seinem
Grund. Alle Bänke waren besetzt und der Hang war von Konzertgehern bevölkert,
die auf Decken saßen und Essen mampften, das sie entweder in den Park mitgebracht
oder an den Erfrischungsständen innerhalb des Geländes gekauft hatten.
Sie
standen oben auf dem Hang und bewunderten das Spektakel in dem schnell
nachlassenden Licht der Dämmerung.
"So
viele Menschen," sagte Dana. "Manchmal
vergesse ich, daß die Stadt so groß ist."
Mulder
nickte. "Aber denk mal daran, um wieviel größer die Welt im Vorher war.
Sechs Milliarden Menschen lebten auf der Erde und heute liegt die Bevölkerung
bei knapp unter fünfhundert Millionen."
Es
gab ein Wort für so eine Vernichtung, so einen Verlust. Dezimierung -
drastische Reduzierung der Bevölkerung. Jeder einzelne dieser fünf Milliarden
und fünfhundert Millionen Menschen hatte gelebt, gearbeitet, geliebt. Sie
hatten Familie und Freunde. Sie hatten eine Geschichte. Und doch schien niemand
um sie zu trauern, ausgenommen bedeutungslose Darstellungen wie das Denkmal am
Fluß.
Alle
Menschen um sie herum lachten und öffneten Saftflaschen, putzten die laufenden
Nasen ihrer Kinder, als wenn die Welt nicht zu Ende gegangen wäre und vor fünf
Jahren neu begonnen hätte.
Dana
schüttelte verwundert den Kopf "Es ist zu viel, um es überhaupt zu
begreifen."
"Natürlich
gibt es nun sehr wenig Armut oder Kriminalität, besonders in der nördlichen
Hemisphäre. Die Rohstoffe werden nicht länger ausgebeutet und möglicherweise
kann die Welt wieder ins Gleichgewicht kommen,"
sagte er und berührte gedankenverloren den lockeren Knoten seiner Krawatte.
"Doch war es das wert, so viele zu verlieren?"
Ihre
Stimme war ein kratzendes Flüstern. "Nein."
Sie
starrte auf die Berührung von Mulders Hand auf ihrem pulloverbedeckten Arm.
"Es tut mir leid," sagte er. "Wir sind
hier, um Spaß zu haben..."
Dana
drehte sich ihm zu und blinzelte. "Ich dachte, wir sind hier, um zu
reden."
Sein
Gesichtsausdruck wurde ernst, als würde er sich daran erinnern, warum sie hier
waren. "Das auch," sagte er leise.
Sie
untersuchte die Menge. "Wir werden uns hier niemals hineinquetschen
können."
Mulder
zeigte nach rechts. "Wie wäre es damit?"
Sie
gingen zu einer Reihe großer Eichen, die so aussahen, als wären sie in
Jahrhunderten gewachsen, obwohl Dana wußte, daß sie das Produkt genetischer
Manipulation waren und nur drei Jahre zuvor gepflanzt wurden. An diesem Ende
des Parks waren nur wenige Menschen, obwohl man einen guten, wenn auch entfernten
Blick auf das Amphitheater hatte.
Sie
breiteten die Decke, die Dana von zu Hause mitgebrachte hatte, unter den Ästen
des größten Baumes aus. Mulder holte Brot, Käse, Äpfel, geröstetes Hühnchen und
Flaschen mit Wasser aus der Tasche. "Ich wollte etwas Wein mitbringen," sagte er. "Aber ich dachte, mit deiner Migräne
wäre das womöglich keine so gute Idee."
Dana
brach ein Stück von dem Brot ab. "Wo sind Sarah und Adam heute abend?"
Sie
bemerkte, daß ihr Ton ziemlich vorwurfsvoll klang.
"Sie
sind heute morgen für ein paar Tage nach Boston
geflogen. Angela, Sarahs beste Freundin hat ihr erstes Baby bekommen."
"Oh," sagte sie und schluckte.
Keine
gute Wende der Ereignisse, überhaupt nicht gut.
"Deswegen
habe ich dich nicht angerufen," sagte Mulder.
"So berechnend bin ich nicht."
"Ich
habe nicht gesagt, daß du das bist."
"Ich
bin kein Typ, der sich mit seiner Frau langweilt und nach etwas Heißem und
Verbotenem sucht. Ich wollte niemals, daß das passiert."
"Was
passiert?" fragte sie.
Er
stieß einen Seufzer aus. "Du hast mich das Samstag gefragt und ich hatte
keine gute Antwort. Ich habe seitdem an nichts anderes gedacht und ich habe es
nicht herausgefunden. Hast du es?"
"Nein,
habe ich nicht."
Ein
befangenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Dann sollten wir besser
etwas essen. Vielleicht finden wir es mit vollem Magen heraus."
Das
Orchester begann, sich einzuspielen und Danas Haut kribbelte bei dem Klang. Sie
wußte nicht sehr viel über Musik, jedenfalls erinnerte sie sich nicht daran,
viel zu wissen. Aber da war etwas erregendes in dem
Klang der Musiker, die sich auf ihr Spiel vorbereiteten.
"Hast
du sie schon vorher gehört?" fragte Mulder und reichte ihr sein Messer,
damit sie ihren Apfel teilen konnte.
"Nein."
"Dies
ist ziemlich außergewöhnlich. Es gibt jetzt so wenige Orchester und das ESO
gibt ein Freikonzert. Sarah war enttäuscht, daß sie dieses Ereignis
verpaßt."
"Es
ist das erste Mal, daß ich ein Orchester live erlebe,"
sagte Dana.
"Das
erste Mal, an das du dich erinnerst..." erwiderte Mulder.
"Ich frage mich immer, was ich wohl im Vorher gern gehört habe. So
wenige Aufzeichnungen haben überlebt. Ich habe versucht, von jedem ein bißchen
zu kaufen, um zu sehen, was ich mag."
"Irgendeine
Erkenntnis?"
Er
grinste. "Erinnerst du dich an Elvis?"
Sie
schnaufte lachend. "Leider tue ich das. Ein fetter Typ. Goldmünzen, Las
Vegas."
"Das
ist er." Mulder senkte den Kopf vor Verlegenheit. "Ich glaube, ich
bin sogar mal zu seinem Haus gefahren, Graceland."
"Du
machst Witze..."
"Ich
wünschte, es wäre so."
"Du
bist ein eigenartiger Mann," meinte Dana lachend.
Mulders
Gesicht wurde tatsächlich rot, sie bemerkte es befriedigt.
Er
räusperte sich. "Ich werde jetzt das Thema wechseln,"
sagte er, "bevor ich noch mehr in Schwierigkeiten gerate." Mulder
griff in die Einkaufstasche und holte eine weiße Schachtel mit einem roten Band
hervor. "Ich habe dir ein
Geburtstagsgeschenk mitgebracht, Dana."
"Du
mußtest das nicht tun," protestierte sie und nun
wurde sie selbst rot.
"Es
ist nichts, wirklich." Er gab ihr das Päckchen.
Mit
tastenden Fingern löste sie das Band und öffnete die Schachtel. Darin lag ein
dickes Buch, gebunden in schwarzes Leder, die Seiten goldgerändert. Als sie das Buch öffnete, sah sie, daß die
dicken, cremefarbenen Seiten leer waren.
"Es
ist großartig," hauchte sie.
Nicht
nur großartig, sondern auch teuer. Dies war etwas altes.
Während es immer noch Magazine und Zeitungen aus Papier gab, gab es die meisten
Bücher, ausgenommen die für Kinder, nur noch in elektronischer Form.
"Es
gibt eine Fabriketage auf der Westseite der Stadt, wo sie Dinge, die aus dem
Vorher gerettet wurden, verkaufen," erzählte
Mulder und neigte seinen Kopf. "Ich gehe manchmal dahin, einfach um zu
sehen, was es gibt, um zu sehen, ob etwas irgendwelche Erinnerungen weckt. Als
ich das Buch gestern sah, wußte ich, daß ich es dir schenken mußte. Du kannst
es als Tagebuch benutzen oder um Erinnerungen, die du vielleicht hast,
aufzuschreiben."
Heiße
Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen und sie versuchte, sie
fortzuwischen, bevor Mulder sie sah. Doch es war zu spät.
"Ich
wollte dich nicht zum Weinen bringen," sagte er.
"Es
ist okay," entgegnete sie und blinzelte schnell.
"Ich bin nur überwältigt, wie wundervoll es ist. Ich weiß nicht, wie ich
dir danken soll."
Mulder
griff in die Brusttasche seines Jacketts, das auf der Decke lag und holte ein
Taschentuch hervor. Er gab es ihr und sie betupfte ihre Augen. "Du mußt mir nicht danken, Dana," meinte er.
Der
Dirigent trat unter ohrenbetäubendem Beifall des Publikums, der durch das
Parksoundsystem noch verstärkt wurde, ans Pult.
Und
dann begann die Musik, eindrucksvoll und wunderbar, schwebte sie zu ihnen unter
die Bäume. Dana und Mulder wurden still und ließen sich von der Musik
berieseln.
Dana
schloß ihre Augen und lauschte den Tönen, die sich perfekt zusammenwebten. Wie
bemerkenswert das ist, dachte sie. Vor fünf Jahren lag die Welt in Trümmern und
nun sitze ich hier unter einer Kuppel und lausche einem Orchester. Wie außergewöhnlich Musik ist, daß ein Musiker mit einem Bogen
eine Seite streichen oder ein Rohrblatt schlagen und dabei so etwas Schönes
erschaffen kann. Wissenschaft ist wunderbar, aber dies hier ist Alchimie. Musik
kann man nicht definieren. Sie ist pure Schönheit, pures Vergnügen.
Nachdem
sie mit dem Essen fertig war, legte sie sich auf die Decke zurück und
konzentrierte sich auf jeden mitreißenden Ton, den Jeanette Paderre ihrem Cello
entlockte. Irgendwo in ihrem Rausch hörte sie, daß sich Mulder ebenfalls
niederlegte und bemerkte, daß er nur Zentimeter von ihr entfernt war.
Kann
uns irgend jemand sehen, fragte sie sich, aber dann
erkannte sie, daß sie ziemlich verborgen in der Dunkelheit unter dem Baum
waren.
Nebenbei,
wir tun nichts Falsches.
Einen
Moment erlaubte sie sich den Luxus, sich vorzumachen, daß Mulder und sie nur
ein weiteres Pärchen hier draußen waren, die die Musik und den Park genossen.
John und Sarah gab es nicht, hatte es nie gegeben. Es gab nur sie beide.
Mulder
drehte sich zu ihr um und als sie ihre Augen öffnete, konnte sie kaum seine
Gesichtszüge ausmachen. In seinen Augen glitzerten Tränen.
"Ist
irgend etwas falsch?" flüsterte sie.
"Diese
Musik, dieses Stück von Dvorak. Es erinnert mich an die Klinik. Ich bin mir
sicher, daß es für dich genauso war, aber auf der Station wurde immer
klassische Musik gespielt, um uns ruhig zu halten."
Dana
nickte. "Ich erinnere mich, im Bett gelegen, die Decke angestarrt und
geweint zu haben. Ich weinte drei Tage lang. Das schlimmste war, daß ich nicht
begreifen konnte, warum ich so traurig war."
"Ich
war aggressiv, beinahe gewalttätig," erinnerte
sich Mulder.
Sie
berührte seine Schulter. "Das warst du? Du siehst nicht so aus, als
könntest du gewalttätig werden."
"Nun,
ich war ein paar Tage in der Klinik. Ich kann mich nicht an viel aus diesen
ersten Tagen erinnern, aber als ich ging, erzählte mir eine der Schwestern, daß
ich beinahe den ganzen ersten Tag, nachdem ich aufgewacht war, geschrien habe.
Ich habe geschrien, ‚Wo ist sie? Was habt Ihr mit ihr getan, Ihr
Bastarde? Ich werde Euch verdammt noch mal alle einzeln umbringen, wenn Ihr ihr
weh getan habt.'" Mulders Stimme war rauh wie Sandpapier in Erinnerung an
den Schmerz.
"Hast
du dich jemals gefragt, wer sie war?" fragte Dana, absichtlich ihre Stimme
sanft haltend.
Mulder
schloß seine Augen und sagte lange Zeit nichts und Dana hatte Angst, daß sie
das Falsche gesagt und ihn letztlich zu weit getrieben hatte. Das Schweigen
zwischen ihnen wurde durch den Klang des traurigen Cellos erfüllt.
Seine
Augen öffneten sich wieder. "Ich weiß nicht,"
überlegte er, "aber sie war alles für mich."
Sie
dachte an die, die sie selbst verloren hatte, den Mann, der nur in ihren
Träumen lebte. "Hast du jemals von ihr geträumt?"
Er
schüttelte den Kopf. "Nein, ich wünschte, ich hätte. Ich träume nicht von
ihr, ich erinnere mich nicht an sie, nichts. Überhaupt nichts. Aber ich weiß,
daß sie da war."
Dana
berührte sein weiches Haar und nickte.
"Kann
ich dir ein Geheimnis anvertrauen?" fragte er mit einer Stimme, die kaum
hörbar war unter dem Anschwellen der Musik.
"Natürlich," erwiderte sie, aber ihr Herz begann, schneller zu
schlagen.
Ich
habe neulich diesen Wachtraum gehabt..." Mulder verstummte und er bekam
einen verlegenen Gesichtsausdruck. "Nicht diese Art von Wachtraum," beeilte er sich hinzuzufügen.
"Erzähl
es mir," forderte sie ihn auf.
"Ich
stand an jenem Tag an meinem Netspace-Strand und ich begann mir einzubilden, du
wärst die Frau aus dem Vorher, die Frau, die ich liebte."
Sie
drehte sich von ihm weg, nicht gewillt, ihn die Tränen in ihren Augen sehen zu
lassen. Wie jämmerlich sie waren, dahintreibend und kleine Phantasien
übereinander beschwörend, um zu versuchen, das alles zu erklären.
"Das
ist nicht möglich," sagte sie. "Es ist
statistisch unmöglich, so wunderbar es auch klingt."
Ein
Lächeln mit geschlossenen Lippen erschien auf seinem Gesicht. "Ich weiß,
es war nur eine alberne Phantasie, die mir durch den Kopf ging. Ich glaube, sie
hilft mir, mich weniger schuldig zu fühlen."
Ah,
er fühlte es also auch.
"Bist
du unglücklich mit Sarah?" wollte sie wissen.
Er
schüttelte den Kopf. "Ich wünschte, das wäre die Wahrheit, das wäre viel
einfacher. Bist du unglücklich mit John?"
"Nein," erwiderte sie.
Wenn
sie mit Mulder zusammen war, konnte sie nicht lügen oder sich an ihre Religion
der Verdrängung halten.
Seine
Finger glitten über ihre Wange und sie zitterte. "Dana, wenn ich eine
Affäre wollte, würde ich irgendeine beliebige Frau finden und sie vögeln. Ich will das nicht, ich will Sarah nicht
betrügen, aber..."
Sie
atmete heftig ein. "Aber was?"
"Ich
habe mich in dich verliebt." Mulders Stimme war flach, aber in ihr klang
die Wahrheit.
Sie
setzte sich auf und schlang ihre Arme um ihre Knie, trotz der milden Nachtluft
unter der Kuppel zitternd. Hinter ihr raschelte es und sie hörte, wie er sich
hinkniete und seine Arme um ihre Hüften legte.
"Es
tut mir leid," flüsterte er in ihr Ohr.
"Wenn ich aufhören könnte, so zu fühlen, würde ich es tun."
Würde
es nicht wundervoll sein, sinnierte sie, während sie auf die strahlenden
Lichter des Amphitheaters unten am Hang starrte, wenn wir unsere Gefühle
einfach ein- und ausschalten könnten wie den Telebildschirm? Wäre es nicht angenehm, diese Sache einfach
zu beenden, nach Hause zu gehen und mein Leben weiterzuleben wie zuvor?
Sie
lehnte sich in die Wärme seiner Brust zurück und wünschte, sie könnten so für
immer bleiben, nicht wählen müssen und einfach die Zufriedenheit in der
Anwesenheit des anderen genießen.
Er
liebte sie. Es war zu groß, um es überhaupt zu begreifen.
Dana
löste sich aus seiner Umarmung und drehte sich zu ihm um.
"Ich
glaube nicht, daß ich aufhören möchte." Die Worte kamen, bevor sie die
Möglichkeit hatte, ihre Bedeutung zu bedenken.
Seine
Augen wurden groß. "Zuerst müssen wir beginnen,"
flüsterte er.
Du
kannst gehen, dachte sie, du kannst einfach aufstehen und es sind nur ein paar
kurze Schritte bis zum Parkausgang und dann zwei Blocks bis zur U-Bahn-Station.
In zwanzig Minuten wärst du zu Hause, deine Ehe und deine Ehre intakt.
Dana
berührte Mulders Gesicht, leichte Stoppeln wuchsen auf seiner Oberlippe und an
seinem Kinn. Mit den Fingerspitzen zeichnete sie die kräftige, unregelmäßige
Linie seiner Nase und den übertriebenen Bogen seiner Unterlippe nach. Er schloß
seine Augen und legte den Kopf ein wenig nach hinten.
"Tu
das nicht mit mir, Dana," murmelte er.
"Nicht, wenn du es nicht so meinst."
"Dies
ist die ernsthafteste Sache, die ich jemals in meinem Leben getan habe," flüsterte sie.
Als
sie John getroffen hatte, war es ganz natürlich gewesen, ein Ereignis folgte
dem anderen. Sie trafen sich, sie verabredeten sich, schließlich schliefen sie
miteinander. Nach kurzer Zeit liebten sie einander und beschlossen, zu
heiraten. Es war keine Agonie gewesen in ihrer Wahl, John zu lieben. Es brannte
nicht wie das hier. Es war warm und tröstlich, wie ein heißes Bad nach dem
Aufwachen, wund von einem langen Lauf.
Mulder
entflammte sie.
Sie
glitt in seine Arme und wollte nur das Feuer wieder entfachen. Ihre Lippen
legten sich auf seine und sein Mund öffnete sich unter ihrem. Ein Stöhnen kam
tief aus ihrer Brust, als sie wieder das absolut Elektrisierende in den Küssen
Mulders spürte.
Vielleicht
hatte sie niemals wirklich die Intimität von Küssen betrachtet. Für sie war es immer eine nette Einleitung
zum Sex gewesen. Nun erkannte sie, wie nahe sie ihm war, daß sie das Kratzen
seiner Bartstoppeln an ihrer Wange spüren konnte, die rauhe und feuchte
Struktur seiner Zunge, als sie über ihre glitt. Unter ihren Händen konnte sie
die festen Muskeln seiner Arme spüren und als sie sich in der wachsenden
Intensität ihres Kusses gegen ihn preßte, konnte sie ihn an ihrem Bauch hart
werden fühlen.
Dana
keuchte beinahe bei dem Gefühl der Erregung, das sie durchlief, dem
schwindeligen Verlangen und der Erkenntnis, daß Mulder sie wollte. Sie hatte
nie gewußt, daß Leidenschaft so stark, so heftig sein konnte, daß sie ihren
Willen ausschalten konnte, ihren klaren Verstand, für den sie bekannt war.
Eine
Woge von Applaus kam aus der Menge und sie erkannte mit betäubender
Verlegenheit, daß sie einen Mann, der ganz klar nicht ihr Ehemann war, in einem
öffentlichen Park küßte. Sie waren nicht unbedingt in der Öffentlichkeit, aber
das konnte nicht länger so weitergehen, so verführerisch es war, als Mulder
ihre Lippen verließ, um an dem Fleisch an ihrem Hals zu saugen.
"Wir
können nicht..." flüsterte sie, während sie ihren Bauch gegen seine
Erektion stieß.
"Können
nicht aufhören," murmelte Mulder, seine Händen
wanderten hoch, um sanft ihre Brüste durch das dünne Material ihres Pullovers
zu berühren.
"Nicht
hier," brachte sie hervor. "Wir können es
nicht hier tun."
Sie
erkannte, daß sie zuviel Betonung auf das Wort ‚hier' gelegt hatte, als er sie
ansah, seine Augen voll wilder Leidenschaft.
"Wohin
sollen wir dann gehen?"
Dana
neigte den Kopf. "Ich weiß nicht."
"Ich
möchte mit dir allein sein," erwiderte er mit einer
Stimme, die sie ein Stöhnen unterdrücken ließ.
Mit
zitternden Beinen stand sie auf und begann, ihre Picknicksachen
zusammenzusuchen. Sie sah auf ihn herab. Mulder kniete immer noch und starrte
sie erstaunt an.
"Ich
weiß nicht, wohin wir gehen können," meinte sie
in einer trotziger Stimme, die sie nicht wiedererkannte. "Aber wir müssen
hier weg. Jetzt."
Mit
einer Geschwindigkeit, die aus Verzweiflung geboren war, liefen sie hinaus auf
den Boulevard.
"Nicht
die U-Bahn," sagte Mulder, seine Hand hebend. "Wir
nehmen ein Taxi."
Innerhalb
von Sekunden hielt ein leuchtend gelbes Fahrzeug quietschend vor ihnen.
xxxxxxxx
"Willkommen
im Metrotaxi!" sagte das Auto fröhlich, als sie sich auf die Rückbank
setzten. "Bitte nennen Sie mir Ihr Ziel."
Mulder
wandte sich ihr zu, seine Augen lagen im Schatten durch das Dunkel der getönten
Autoscheiben. "Wohin?" flüsterte er.
Möglichkeiten
gingen ihr durch den Kopf, aber keine schien die richtige zu sein. Wo ist der
richtige Ort für Ehebruch? Nicht mein Apartment, dachte sie, und seines auch
nicht.
Sie
sagte zu dem Auto, "Cascade Falls Hotel." Sie war viele Male an dem
Hotel vorbeigekommen, wenn sie laufen war und es war das erste, das ihr in den
Sinn kam.
"Ausgezeichnet.
Das Fahrgeld beträgt achtundzwanzig Kreditpunkte."
Mulder
drückte seine Handfläche auf die Metallplatte am Armaturenbrett und es summte,
als sie sie zum Bezahlen scannte.
"Danke," sagte das Auto. "Lehnen Sie sich zurück und
genießen Sie Ihre Fahrt mit dem Metrotaxi."
Das
Auto fuhr auf die Straße und beschleunigte im leichten Abendverkehr.
Dana
saß steif da, ihre Wirbelsäule berührte nicht ganz den Autositz. Jetzt, wo sie unterwegs waren und zum Hotel
fuhren, schien alles zu real zu sein. Die Zukunft war hier und sie hatte ihre
Entscheidung im Park getroffen. Mulder und sie waren nicht ausgegangen, um zu
reden und sie hatten keine Verabredung zum Spielen mit den Kindern. Sie saßen
auf dem Rücksitz eines Taxis, das den Südost Parkway entlangglitt, fuhren
vorbei an den endlosen Blöcken der aufragenden Wohnhäuser zu einem Hotel, um
sich zu lieben.
Mulder
drückte ihre Hand und sie bemerkte das Beben in seinen Fingern. "Wir
müssen das nicht tun, Dana," flüsterte er, als
könnte das Auto sie hören und verstehen.
Sie
schüttelte den Kopf, ihre Haarspitzen berührten seine Wange. Es war nun zu
spät. Irgendwie hatten sie den entscheidenden Punkt, an dem sie noch umkehren
konnten, in dem Moment hinter sich gelassen, als er ihr sagte, daß er sich in
sie verliebt hatte.
"Ich
möchte es," flüsterte sie zurück.
Er
beugte sich näher heran, so daß sein Atem warm an ihrem Ohr war. "Ich habe
Angst."
Das
ließ sie lächeln, nur ein bißchen. Was für ein seltsames und wunderbares
Geschöpf Mulder doch war, so anders als die anderen Männer, die sie kannte. Er
war bereit, seine Gefühle zu offenbaren, sein wahres Ich vor ihr zu entblößen,
auch wenn es damit endete, daß er ein bißchen albern aussah.
"Ich
habe auch Angst," gab sie zu und streichelte
seinen Handrücken mit den Fingerspitzen.
Dana
lehnte sich an seinen Körper, um ihn wieder zu küssen. Wann immer sie ihn
küßte, waren ihre Zweifel und ihre Schuldgefühle in der Lage, taktvoll
zurückzuweichen, ersetzt nur durch den ungeheuren Sturm der Liebe, die sie für
ihn empfand.
Ja,
dachte sie, als ihre Hände in sein dichtes Haar fuhren, ich liebe ihn. Es ist eine vollkommen andere Art von Liebe,
als die, die ich für John empfinde, aber es ist Liebe. Ich weiß es.
Sie
war sich nicht sicher, ob sie sich glücklich fühlen sollte oder nicht.
Mulder
stöhnte, als sie kleine Küsse auf seine geschlossenen Lider, sein Kinn, das
dunkle Mal rechts neben seinen Lippen regnen ließ. "Gott, was machst du
mit mir, Dana, es gibt einfach keine Worte..."
"Ich
weiß," hauchte sie.
Sie
war wild vor Verlangen nach ihm, der urwüchsige Drang, sich zu vereinen,
erstaunte sie. Anstatt ihre Augen zu schließen und ruhig seine Berührung
hinzunehmen, fühlte sie sich aggressiv und wollte jeden Zentimeter seines
Körpers erforschen, ihn berühren und lecken und für sich beanspruchen.
Gott,
was machst du mit mir...
Aus
den Augenwinkeln sah Dana vage die Nachtlichter der Stadt am Taxi
vorbeigleiten, aber sie war sich nur Mulders Nähe bewußt, seines warmen Geruchs
nach Parkwiese und männlicher Haut, des Apfelgeschmacks seiner Zunge, als sie
sie mit ihrer berührte, des erstaunten Klangs seines Atems, als ihre Küsse
intensiver wurden.
Ich
wünschte, das hier wäre billig, dachte sie verschwommen, billig und falsch und
ich könnte Mulder wegschubsen und meinen rechtmäßigen Platz als loyale Ehefrau
wieder einnehmen. Aber das hier ist jenseits von Anziehung, jenseits von
verbotenem Sex und Untreue. Was Mulder und ich haben, ist etwas seltenes.
Mulder
schob ihr das Haar aus der Stirn und sah sie an.
"Was
ist?" fragte sie, unfähig in der Dunkelheit den Ausdruck auf seinem
Gesicht zu erkennen.
"Ich
kann nur nicht glauben, daß das alles wirklich ist. Ich will es beinahe nicht,
aber es ist so." Er nahm ihre Hand, legte sie über sein Herz und sie
spürte den gleichmäßigen Rhythmus durch die Baumwolle seines Hemdes. "Mit
dir zusammen zu sein, ist wie die Antwort zu finden auf eine Frage, von der ich
nie wußte, daß ich sie gestellt hatte."
"Du
kannst die Dinge so viel besser ausdrücken als ich,"
flüsterte sie und küßte ihn wieder. Wenn sie es ihm schon nicht sagen konnte,
mußte sie es ihm wenigstens zeigen.
Sie
fuhren beide auseinander und sahen auf, als das Auto an die Seite fuhr und
hielt. Dana erkannte, daß sie das kleine weiße Hotel erreicht hatten, nur einen
Block entfernt von dem Ort am Fluß, wo Mulder und sie zusammen gelaufen waren.
"Liebe
Passagiere, dies ist Ihr Ziel," sagte das Auto in
einem freundlichen Ton, als sich die Türen automatisch öffneten.
Sie
kletterte hinaus auf den Gehsteig und Mulder folgte ihr.
"Einen
schönen Abend und vielen Dank, daß Sie mit dem Metrotaxi gefahren sind," sang das Auto, bevor sich die Türen wieder schlossen
und es davonfuhr.
Seite
an Seite betraten Dana und Mulder die Lobby, in der es nur ein kleines
pflaumenfarbenes Sofa gab und eine große beleuchtete Ansichtstafel mit den
verschiedenen Raumtypen, die zu haben waren. Sie sah Mulder von der Seite an.
"Deine Entscheidung. Ich habe das noch nie zuvor gemacht."
"Hab
ich es?" Er berührte die Tafel bei einem Doppelzimmer mit Flußblick.
"Das
Cascade Falls bedankt sich für Ihre Wahl," sagte
die Ansichtstafel.
"Der
Preis für das Zimmer beträgt 325 Kreditpunkte."
Mulder
bezahlte.
"Brauchen
Sie einen Gepäckservice?" fragte die Tafel.
"Nein," antwortete Dana und fragte sich, wie sie dazu kam,
in ein Hotel einzuchecken ohne Gepäck mit einem Mann, den sie erst vor drei
Wochen kennengelernt hatte.
Die
Tafel summte und im nächsten Moment kam die Schlüsselkarte aus einem Schlitz.
"Ihr Zimmer hat die Nummer 724. Einen angenehmen Aufenthalt in unserem
Hotel. Für den Gästeservice wählen Sie bitte die 333."
Sie
schwiegen im Fahrstuhl auf ihrem Weg nach oben, standen an entgegengesetzten
Enden und starrten beide auf die Stockwerknummern, die über der Tür
aufleuchteten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, den langen, stillen Flur
entlang zu gehen.
Als
sie ihre Tür erreichten, zitterte ihre Hand so sehr, daß sie kaum die
Zugangskarte in das Schloß stecken konnte. Die Riegel klickten und die Tür ging
auf. Für eine halbe Sekunde wünschte Dana, daß sie in ihrem Apartment wäre,
wenn sie hineingingen. Einfach eine weitere Nacht zu Hause, John sitzt auf der
Couch und sieht begierig dem Spiel der Japanischen Baseballliga zu und Julia
baut auf dem Boden einen Turm mit ihren Bausteinen.
Statt dessen betraten sie
ein kleines Hotelzimmer - cremefarbene Wände, dunkelgrüner Teppich und ein
großes Bett mit einer Decke, die zu den Wänden paßte. Die grünen Vorhänge waren
offen und gaben den Blick auf die Stadtlichter am Fluß entlang frei. Das
Fenster war in Wirklichkeit eine Glasschiebetür, die auf einen schmalen Balkon
führte, auf dem zwei Sessel und dazwischen ein runder Tisch standen.
Dana
ging hinein und zog ihre Schuhe aus. Sie fand die Fernbedienung für den
Telebildschirm und schaltete den Messenger Service ein. "Ich muß meine
Nachrichten checken, um sicher zu gehen, daß mit Julia alles in Ordnung ist," erklärte sie. Dann tippte sie ihren Zugangscode ein.
"Es
sind keine Nachrichten für Dana Scully eingegangen,"
teilte der Messenger mit.
Sie
ging zur Minibar hinüber, nahm eine Flasche Wasser heraus, öffnete sie und
trank einen großen Schluck.
"Kann
ich dir etwas zu trinken bringen?" fragte sie Mulder. "Ein Glas
Wasser, etwas Wein?"
Mulder
schüttelte den Kopf, immer noch an der Tür stehend.
Er
hat fürchterliche Angst, dachte sie und irgendwie beruhigte sie das.
Sie
biß sich auf die Lippe und senkte den Kopf, ihr Haar fiel ihr ins Gesicht.
"Du kannst immer noch gehen," bot sie ihm
an.
"Nein,"
erwiderte Mulder mit kratzender Stimme.
"Komm
her," forderte sie ihn auf und sofort war er in
ihren Armen.
xxxxxxxx
Sie
standen lange Zeit in der Mitte des Raumes und taten nichts anderes, als
einander zu halten. Mulder hatte seine Arme eng um ihren Rücken geschlungen und
Dana preßte ihr Gesicht in sein Hemd und fühlte sich absolut sicher in der
Wärme seiner Umarmung.
Ein
Kribbeln lief ihre Wirbelsäule hinauf und sie dachte, hier gehöre ich hin.
Seine
Hand streichelte ihr Haar und er murmelte irgend etwas,
das sie nicht ganz erfassen konnte.
Dies
ist wie in meinem Traum, dachte sie verschwommen. Wie eigenartig.
Sie
entzog sich ihm, nur ein wenig, und sah ihm ins Gesicht. Mulder hatte einen
leicht verwirrten Gesichtsausdruck, aber sie konnte die Liebe in seinen ruhigen
grün-grauen Augen sehen.
"Ich
möchte dich kennenlernen," flüsterte sie.
Mulder
berührte ihr Gesicht und ließ seine Finger über die Wölbung ihrer Nase gleiten,
von der Wurzel bis zur Spitze bis zur Spitze. "Das hast du bereits, Dana," sagte er. "Ungeachtet der kurzen Zeit, die wir
einander kennen, du kennst mich bereits besser als irgend jemand auf dieser
Welt."
Dana
nickte. "Das ist die Tragödie, Mulder, daß wir nicht das bekommen, was wir
am meisten brauchen, von den Menschen, die wir lieben..."
"Vorher," flüsterte er. "Du gibst mir das Vorher."
"Ja,
aber das führt zu der Frage - sind wir glücklich, einander gefunden zu haben,
so daß wir nicht allein mit dem Bedürfnis nach der Vergangenheit klarkommen
müssen, oder sind wir dazu verdammt, eine Vergangenheit zu wollen, die wir
niemals wieder haben können?"
Er
schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht. Ein bißchen was von beidem, nehme
ich an."
Sie
lächelte. "Alles was ich weiß ist, daß so falsch es auch ist, was du und
ich tun, ich glücklich bin, bei dir zu sein."
Mulder
beugte sich herab und küßte ihr Haar, dann ihre Stirn und zuletzt ihre Lippen
mit tiefer Verehrung. "Ich möchte mit dir zusammen sein,"
flüsterte er so leise, daß sie seine Wort beinahe nicht hörte.
"Du
bist es," sagte Dana und zog ihn an sich, so daß
sie sich wieder küssen konnten.
Als
ihre Münder sich trafen, tastete Dana nach seiner Krawatte, schaffte es
irgendwie, den Knoten zu lösen und die Krawatte von seinem Hemd zu ziehen. Als nächstes machte sie sich an die Knöpfe
seines Hemdes. Sie hatte das verzweifelte Bedürfnis, nun alles von ihm zu
sehen, alles von Mulder kennenzulernen. Die frische Baumwolle seines Hemdes
glitt mit dem letzten Knopf unter ihren Händen auseinander, sie schob es von
seinem Körper und trat zurück, um ihn anzusehen.
Sein
Oberkörper war fast so, wie er ihr in ihren Phantasien in jener Nacht
erschienen war. Im Lampenlicht schien seine Haut golden und seine Rippen
standen mäßig an seiner Brust hervor und gerade so, wie sie es in jener Nacht
in ihrem Kopf getan hatte, zählte sie sie mit ihren Fingerspitzen. Ihre Augen wanderten zu seiner Schulter und
sie sah eine kleine, faltige Narbe genau unter seinem Schlüsselbein.
"Das
ist eine Schußwunde," sagte sie und berührte sie.
Mulder
nickte. "Exzellente Arbeit, Doktor. Ich habe noch eine an meinem
Oberschenkel."
"Im
Dienst angeschossen?"
"Ich
vermute es. Ich muß ein gefährliches Leben gehabt haben. Es ist schwer, es sich
jetzt vorzustellen, wenn man bedenkt, wie prosaisch mein Leben ist."
Das
Leben im Vorher mußte schrecklich gefährlich gewesen sein, da sie selbst eine
Schußwunde hatte. Sie erwähnte sie nicht, weil Mulder sie bald genug sehen
würde.
Wie
eine blinde Frau, die ein unbekanntes Gesicht erforschte, berührte sie langsam
jeden Zentimeter seiner Brust, von der spärlichen Behaarung seines oberen
Brustbereiches zu der zusammengezogenen kleinen Vertiefung seines Nabels.
Mulder war währenddessen passiv, er stand einfach nur da und erlaubte ihr, ihre
langsame Erforschung zu beenden.
Schließlich
erreichte sie den Knopf an seiner marineblauen Hose. "Darf ich?"
flüsterte sie, plötzlich scheu, als sie sich bewußt wurde, daß sie ihn beinahe
nackt vor sich haben würde.
Er
nickte.
Sie
öffnete den Reißverschluß und schob sie mit gemächlichen Händen nach unten und
er zog sie aus. Mulder trug nun nur noch ein Paar hellblaue Boxershorts. Dana
bedachte die Tatsache, daß sie noch mit einem Pullover und Jeans bekleidet war
und er war beinahe nackt. Es war ein starkes Gefühl, aber sie fühlte sich auch
ungleicher, als sie es wollte.
Letztendlich waren sie zusammen hier drin.
Dana
wollte ihren Pullover über den Kopf ziehen, als er sie mit seinen Händen stoppte.
"Nein," flüsterte er ihr ins Ohr. "Ich
will das tun. Ich habe es mir ausgemalt, seit ich dich getroffen habe."
Also
war ich nicht die einzige, die Phantasien gehabt hat, dachte sei mit einem
kleinen Grinsen. "Was haben wir noch getan, wenn du an uns gedacht
hast?" fragte sie.
Zu
seiner Ehre begann sein Gesicht, Farbe zu bekommen. "Wie wäre es, wenn ich
es dir zeige?"
Er
zog an ihrem dunkelbraunen Pullover und sie glitt heraus, die kühle Luft in dem
Hotelzimmer ließ sie augenblicklich zittern. Dana sah herab auf ihr von
Gänsehaut überzogenes Fleisch und wünschte, sie hätte etwas besseres
als den funktionellen weißen Baumwoll-BH und den Slip ausgewählt, die sie trug.
Natürlich hatte sie niemals erwartet, daß Mulder sie heute Nacht sehen würde.
Dana
glitt aus ihren Jeans und nun waren sie beinahe gleich, sie in BH und Slip, er
in seinen Boxershorts. Beinahe nackt, beinahe bloß. Jetzt gibt es kein Zurück
mehr, dachte sie.
Mulder
ließ seine Augen über ihren Körper wandern und sie wurde an den umfassenden
Blick erinnert, mit dem er sie auf seiner Party in der Küche angesehen hatte.
Da hatte sie gewußt, erkannte Dana, daß sie den Weg, dem sie schließlich folgen
würden, kannte.
"Du
bist schön," verkündete er mit einem Lächeln.
"Schön, aber schmal. Ich habe Angst, daß ich dir weh tun werde."
Sie
rollte mit den Augen. "In deinen Träumen. Ich bin stärker, als ich
aussehe, Mulder."
Wie
um es zu beweisen, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen, ihn
wieder an sich zu ziehen und die Wärme seines nackten Fleisches an ihrem zu
spüren. Seine Haut war so seidig, beinahe so weich wie die einer Frau oder
eines Kindes und sie schwelgte in diesem Gefühl unter ihren Handflächen, als
sie seinen Rücken streichelte.
Sie
schwankten zum Bett und ließen sich in einem Durcheinander von Gliedmaßen und
Haut darauf fallen, ohne ihren Kuß jemals zu unterbrechen. Er war nun über ihr, erschreckend groß und
fabelhaft und ihr stockte der Atem, als sie die Unvermeidlichkeit dessen
erkannte, was sie tun würden.
Mulder
rollte sie beide auf die Seite und seufzte dabei ein wenig.
Denk
nicht nach, erzählte sie ihm schweigend, denn wenn du anfängst nachzudenken,
dann werde ich anfangen nachzudenken...
Aber
er hörte nicht auf, bewegte sich nur, um ihren BH zu öffnen und ihn mit
langsamen Händen wegzunehmen und auf den Boden flattern zu lassen. Er begann
ihre Brüste sanft zu berühren, wie er es vorher im Park gemacht hatte und sie
wölbte sich seinen Händen entgegen, fühlte die verräterische Feuchtigkeit
kommen, als er ihre Brustwarzen streichelte.
Seine
Hand wanderte über ihren Bauch und fand die Narbe dort. "Wo wir von Narben
sprechen, wie bist du zu dieser gekommen?"
Dana
schüttelte den Kopf. "Es ist eine Operationsnarbe, aber sie scheint von
einem Schuß zu sein."
"Es
muß wahrhaftig eine Schießbude gewesen sein, dieses Vorher..."
Sie
konnte sich solch eine gefährliche Zeit nicht einmal vorstellen. Jetzt gab es
keine Waffen, ausgenommen die Betäubungspistolen, die die Beschützer trugen.
Aber irgendwer, irgendwo, hatte ihr direkt in den Unterleib geschossen. Sie
hatte geblutet, es war geheilt und sie hatte überlebt, und nun hatte sie eine
kleine Narbe, die sie an ein Ereignis erinnerte, daß sie sich nicht ins
Gedächtnis rufen konnte.
Mulder
bewegte sich auf dem Bett nach unten, um die Narbe zu küssen und leckte mit
feuchter Zunge darüber. Und Dana fand es überraschend erregend, obwohl die
Narbe kaum eine erogene Zone war.
"Dreh
dich herum," flüsterte er.
"Warum?"
Aus irgendeinem Grund verspannten sich ihre Muskeln.
Sein
Mund fuhr fort mit seiner feuchten Erkundung ihres Bauches und sie wollte nur,
daß er tiefer ging, um sie dort zu lecken, wo sie anfing, vor Erregung zu
pochen.
Mulder
hob den Kopf. "Ich will alles von dir sehen."
Dana
rollte sich folgsam auf die andere Seite. Als sie sein schwaches Keuchen hörte,
wußte sie, daß er das Schlangentattoo an ihrem unteren Rücken entdeckt hatte.
Er
glitt leicht mit den Fingerspitzen in endlosen Mustern darüber. "Du
scheinst nicht der Typ für ein Tattoo zu sein, Dana."
Sie
lächelte. "Ich war selbst überrascht, als ich es das erste Mal sah. Ich
nehme an, es war von meiner Seite eine jugendliche Unüberlegtheit."
"Es
ist großartig - all dieses Rot und Grün und Blau. Und verdammt sexy. Das ist ein prima Fleck für ein Tattoo,
keiner kann es sehen, es sei denn, du bist nackt. Es ist wie eine
geheimnisvolle Überraschung für einen Mann, der das Glück hat, dir so nahe zu
kommen."
Gegen
ihren Willen begann sie sich daran zu erinnern, als John und sie sich das erste
Mal geliebt hatten, in jener Nacht vor so vielen Jahren in seinem alten
Apartment. John hatte es gesehen und sie neckend "Dana, mein kleiner
Seefahrer" genannt. Sie hatte ihn ausdruckslos angestarrt, bis er
erklärte, daß Seefahrer dafür bekannt gewesen waren, daß sie mit Tattoos
überzogen waren. Es gab kein Verzeichnis, an welche Fakten sich die Menschen
erinnerten.
Ich
werde John nicht in das hier reinziehen, sagte sie sich und rollte herum, um
Mulder wieder anzusehen.
"Nun
kennst du mein schmutziges kleines Geheimnis,"
flüsterte sie.
"Ich
will alle kennenlernen."
Als
würde sie ihm antworten, zog sie ihren Slip aus und ließ ihn sich zu ihrem BH
auf dem Teppich gesellen. "Du auch," sagte
sie und streckte ihre Hand aus, um an seinen Boxershorts zu ziehen.
Und
dann waren sie schließlich beide nackt, vollkommen entblößt vor den Augen des
anderen. Dana ließ ihre Augen über seinen ganzen Körper gleiten - die flachen
Muskeln an seinem Bauch, seine kräftigen Oberschenkel, die mit dünnen braunen
Haaren bedeckt waren und, oh, sein Penis, der stolz aufrecht stand, als würde
er auf ihre Berührung warten. Er war lang und dick und sie konnte nichts
dagegen tun, sie streckte ihre Hand aus, um ihn versuchsweise zu berühren. Sie
ließ ihre Finger von der Wurzel zur Spitze und wieder zurück gleiten, was
Mulder ein leises Stöhnen entlockte.
Mulder
küßte sie, seine Zunge glitt in ihren Mund und wieder heraus in einer Art, von
der sie wünschte, daß es sein Penis tat. Sie war so feucht geworden, so bereit
für ihn, in ihr zu sein.
Während
sie seinen Penis streichelte, begann er sie ebenfalls zu berühren. Seine langen Finger fuhren durch ihre dichten
Locken und teilten ihre Lippen. Dana entzog sich seinem Mund und stöhnte, als
er sie berührte.
Mulder
streichelte sie, genau wie sie sich selbst berührte, genau wie sie es John über
die Jahre gelehrt hatte. Zwei Finger umkreisten leicht ihre geschwollene
Klitoris, ohne sie direkt zu berühren. Woher weiß er das zu tun, fragte sie
sich benommen, als die Lust begann, sich zu verstärken. Wie kann er meinen
Körper so gut lesen?
Als
sie begann, seine Hoden zu umfassen und sie zu streicheln, warf Mulder seinen
Kopf zurück und machte ein überraschtes Geräusch. "Oh, Scully, das fühlt
sich so gut an..."
Sie
erstarrte, eine Hand um seinen Penis gelegt, ihre Augen weit offen.
Er
hatte sie Scully genannt.
"Wie
hast du mich gerade genannt?" fragte sie mit leiser Stimme und ihr Herz
begann zu klopfen.
Mulder
sah sie verwirrt an. "Ich habe dich Dana genannt." Er sagte es mit
solcher Überzeugung, daß sie erkannte, daß ihr Verstand ihr einen Streich
gespielt hatte.
Ein
bißchen Wunschdenken, dachte sie.
Sie
zog sich von ihm zurück und mußte beinahe lachen über den erschrockenen
Ausdruck auf seinem Gesicht. "Ich gehe nirgendwo hin,"
erklärte sie. "Ich möchte dir nur in diesem Moment näher sein."
"Du
meinst?" Ein freudiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
"Ja.
Bitte, Mulder, ich will dich in mir."
Mulders
Lächeln wurde absolut glückselig, als er sie sanft auf den Rücken legte.
"Ist es in Ordnung, wenn wir es so machen?" flüsterte er.
Sie
hielt inne, um seine Schulter zu küssen, genau über der Narbe. "Du magst
beinahe zwanzig Zentimeter größer sein, aber du wirst mir nicht weh tun."
Letztlich
war John so groß wie Mulder und wahrscheinlich zehn Kilo schwerer und sie war
immer noch am Leben.
Nein,
nicht John, nicht jetzt.
"Und
alle anderen aufgeben..." hatte sie an diesem Dezembertag vor dem
Friedensrichter gesagt.
Nein,
dies ist anders, ich kann es nicht erklären, ich liebe ihn so sehr, ich liebe
Mulder.
Mulder
glitt zwischen ihre Beine und sie spürte ihn, hart und bereit an ihrem Bauch.
Er sah sie aus Augen mit schweren Lidern an und schien auf etwas zu warten.
Er
braucht Bestätigung, dachte sie. Ich habe ihm noch nicht gesagt, wie ich fühle,
nicht in so vielen Worten. Dann verstand sie, welch ehrenwerter Mann Mulder
war, sogar als er tatsächlich seine Frau betrog. Er würde es nur aus Liebe tun.
Dana
berührte sein rauhes Gesicht und fühlte ungewollte Tränen in ihre Augen
steigen. "Mulder," flüsterte sie und hob
ihre Beine, um sie um seinen Rücken zu schlingen. "Ich liebe dich."
Letztendlich
war es so einfach, es zu sagen.
Er
beugte seine Kopf herab, um sie mit einer sanften
Intimität zu küssen, so daß sie nur noch mehr mit ihm zusammen sein wollte.
"Dana, ich liebe dich auch," sagte er mit
kratzender Stimme in ihr Ohr und sie spürte, wie die Spitze seines Penis
begann, gegen ihre Öffnung zu stoßen.
Mulder
hielt inne, noch nicht ganz in ihr. "Äh, Dana,"
meinte er zögernd, "wir haben nicht über Verhütung gesprochen. Hast Du ein
Implantat?"
"Es
ist in Ordnung," erwiderte sie. "Ich kann
nicht schwanger werden ohne medizinischen Eingriff. Wir brauchen nichts."
Er
seufzte erleichtert und sie schlang ihre Arme um seinen Nacken. "Bitte
jetzt," bat sie. Sie waren so nahe.
Mit
einer kleinen Bewegung seiner Hüften stieß er in sie hinein und sie hörte sich
ein leises brummendes Geräusch machen bei dem Gefühl. Sie zwang sich dazu, ihre
Augen offen zu halten, um sein schönes Gesicht zu beobachten, das sich durch
die Lust veränderte, als sie sich zusammen bewegten.
Dana
war sich jeder Empfindung nur allzu bewußt, als sie sich liebten - der Schweiß,
der seinen Rücken bedeckte, die Art, wie ihm sein Haar in die Stirn fiel,
während er in sie hinein fuhr, das totale Gefühl der Vollkommenheit, als er sie
wieder und wieder ausfüllte. Das widerspricht allem, was ich kenne und woran
ich glaube, dachte sie, während sie sich ihm entgegen wölbte, um seine langsamen,
tiefen Stöße zu empfangen, aber dies hier ist absolut richtig.
Sie
überraschte sich selbst, indem sie Geräusche machte, indem sie in seinen
hungrigen Mund stöhnte. Gewöhnlich war sie niemand, der seine Lust nach außen
hin zeigte, der dramatische Stimmübungen während des
Sex machte, aber nun war sie hier und schrie mit überraschtem Keuchen und
Stöhnen auf, als die Lust in ihr wuchs. Und Mulder beteiligte sich an ihrem
Konzert, brummte vor animalischer Erlösung, erhöhte das Tempo und ließ seinen
Penis in ihre Tiefen hineingleiten und wieder heraus mit wachsendem Verlangen.
"Das
ist... das ist unglaublich," keuchte er und Dana
nickte in verblüffter Zustimmung, ihr Becken höher reckend, um ihn tiefer in
sich hineinzuziehen.
Ohne
Warnung versank der Boden unter ihr, das Gefühl, wie sich ihr Inneres dehnte
und pulsierte, ließ sie sogar noch lauter stöhnen, aber sie bemerkte es nicht,
kümmerte sich nicht darum, wer sie hörte. Ein Blitz von weißer Hitze, weißem
Licht schoß durch sie hindurch und blendete sie, als ihr Orgasmus begann und
sie in endlosen Krämpfen beinahe über dem Bett schwebte.
Dana
hatte nicht bemerkt, daß sie ihre Augen geschlossen hatte, bis die heftigen
Kontraktionen zu sanften Nachbeben abflauten. Ihre Augenlider flatterten auf
und sie sah den Ausdruck von Staunen auf Mulders Gesicht.
"Das
war das schönste, was ich jemals gesehen habe,"
sagte er mit gespannter Stimme.
"Ich
möchte dich auch sehen," flüsterte sie.
Er
schien den letzten Anschein von Kontrolle zu verlieren und stieß so tief in sie
hinein, daß es beinahe schmerzte. Aber ein bißchen Unbehagen war es wert, zu
sehen, wie seine Augen ins Leere glitten und zu spüren, wie seine Rückenmuskeln
sich unter ihren Händen zusammenzogen und schließlich zu hören, wie sich der
Schrei aus seiner Kehle löste, als er in ihr kam und sich sein Gesicht in
Erlösung verzerrte.
Und
dann war das einzige Geräusch im Raum ihr Keuchen, als sie miteinander
verschlungen dalagen, immer noch vereint.
Nach
einer langen Weile beruhigte sich ihr Atem, sie rollten auf die Seite und
Mulder glitt aus ihr heraus. Dana wollte sich schuldiger fühlen, in Tränen
ausbrechen wegen des Verrats an ihrem Mann. Aber das einzige Gefühl, das sie
hatte, war ihre enorme Liebe zu dem Mann, der ruhig bei ihr blieb, dem Mann,
der nun begann, sie zu küssen mit der Mattigkeit der Erfüllung.
Sie
lächelte und begann, seine Brust zu küssen und den reichen Duft ihres
Liebesspiels einzuatmen.
"Egal,
was passiert, Dana," sagte Mulder und zog sie
hoch, so daß er seine Arme um sie schlingen konnte. "Ich werde mich immer
an das hier erinnern."
"Das
werde ich auch."
Für
einen Moment lagen sie einfach nur zusammen und sonnten sich in der neuen
Intimität, die sie teilten. Später würde es genug Zeit geben, das Brennen der
Schuld zu spüren.
xxxxxxxx
Irgendwie
schafften sie es, sich zu trennen und zwischen die Laken zu schieben.
"Wir
haben die arme Bettdecke schmutzig gemacht,"
schmunzelte Dana, als sie die Hitze von Mulders Körper an ihrem Rücken spürte.
"Deswegen
haben sie die Wäscherei. Und nebenbei, sie haben recht daran getan,
cremefarbene Überdecken gewählt zu haben."
Sie
gab einen leisen, überraschten Ton von sich, als er ihr Haar zur Seite schob
und begann, ihren Nacken zu küssen. Oh ja, das ist genau die richtige Stelle.
Und das Gefühl steigerte sich noch, als seine Küsse in einem bedächtigen Tempo
ihre Wirbelsäule abwärts wanderten, Wirbel für Wirbel.
Schon
war sie wieder bereit. Sie war noch schweißgebadet und klebrig vom Sex nur
Minuten zuvor, aber sie sehnte sich nach dieser unmöglichen Vollständigkeit,
die sie gespürt hatte, als Mulder in ihr gewesen war. Ihre Finger ballten sich
zu Fäusten und ihr Atem ging schneller, als seine Zunge ihr Tattoo berührte.
Mulder
bewegte sich wieder nach oben und sie gab einen enttäuschten Ton von sich, als
er sich wieder gegen sie drückte.
"Shh..."
sagte er. "Wir haben die ganze Nacht. Es gibt keinen Grund zur
Eile..."
Dana
gönnte es sich, sich an seinem Körper zu entspannen und jeden Muskel zu
lockern. Schweben, sie fühlte sich, als würde sie im Wasser eines ruhigen
Teiches schweben.
"Dana," flüsterte Mulder. "Du hast es mir nie
erzählt."
Sie
hob ihren Kopf vom Kissen. "Was erzählt?"
Mulders
Finger glitten durch ihr Haar, was sie daran erinnerte, wie sie eine unruhige
Julia nach einem schlechten Traum beruhigte. "Du hast mir nie erzählt,
woran du dich erinnerst aus dem Vorher..."
Ihr
Mund öffnete sich. "Oh."
"Willst
du es mir erzählen?"
John
will nicht darüber reden, dachte sie. Ich habe es versucht und er verschließt
mir den Mund und manchmal frage ich mich, ob er mich wirklich kennenlernen will
oder will, daß ich ihn kennenlerne. Mulder möchte das hören.
Und
vielleicht war das der entscheidende Unterschied.
Ihr
Kopf fiel zurück auf das weiche Kissen. "In Ordnung,"
flüsterte sie.
"Ich
werde es dir erzählen."
Sie
begann mit den einfachsten Dingen, Bruchstücken aus der Kindheit -
Geburtstagskerzen auspusten auf einem Clownkuchen, wilde Fangespiele auf einer
stillen Straße, in der alle Häuser gleich waren, in einem Bett liegen und
zittern, wenn vor den Fenstern der Donner grollt.
Mulder
war still, während sie ihre Erinnerungen aufzählte, er streichelte ihr Haar und
ließ sie einfach reden.
Ihre
Stimme wurde zögernd, als sie zu den wenigen Erinnerungen aus ihrem
Erwachsenenleben kam und schließlich zu den Träumen, die sie gehabt hatte.
"Ich
träume von ihm," sagte sie. "Immer derselbe
Mann, aber wenn ich erwache, kann ich mich nicht daran erinnern, wie er
aussieht oder wie seine Stimme klingt. Ich kann mich nur daran erinnern, wie es
ist, von ihm gehalten und von ihm geliebt zu werden. Wenn ich in meinen Träumen
bei ihm bin, fühle ich mich so... ich fühle mich, als hätte ich alles, was ich
auf der Welt brauche."
Dana
hielt einen Moment inne und biß sich auf die Lippe. Sie war sich nicht sicher,
ob sie mit ihm den Rest ihrer Gedanken teilen sollte.
"Was
ist?" fragte er und legte seinen schweren Arm um ihre Taille.
Sie
atmete tief ein. "Wenn ich von diesem Mann träume, fühle ich mich so, wie
ich mich fühle, wenn ich mit dir zusammen bin, Mulder."
Er
kuschelte seine Nase in ihren Hals. "Dana, was ist wenn? Was wenn?"
Was
wenn?
Nein.
Sie
lächelte, obwohl sie wußte, daß er ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen
konnte. "Ich wünschte es," sagte sie,
"obwohl ich weiß, daß es keine Möglichkeit gibt, daß es wahr sein
könnte."
Dana
spürte, wie sich seine Brust mit einem Seufzer hob.
"Ich
weiß. Aber was wenn wir für eine Minute so tun würden, als ob?"
Sie
zog ihre Augenbraue hoch. "Du willst so tun, als ob? Aber es gibt keine
Möglichkeit, daß ich mich für dich als französische Jungfrau verkleide."
"Stichel
nicht," sagte er. "Nein, mal es dir aus -
ich bin der schneidige junge FBI-Agent und du die hübsche kleine Ärztin am
Tatort. Unsere Blicke treffen sich über einer kopflosen Leiche und ich bin ein
hoffnungsloser Fall..."
Ihr
ganzer Körper begann unter hilflosem Kichern zu beben und er lachte mit.
"Du
bist... du bist so ein Romantiker, Mulder,"
keuchte sie unter abflauendem Gelächter.
Seine
Finger schlichen sich zu ihrer Brust und begannen, ihre Brustwarzen zu
umkreisen. "Das bin ich," flüsterte er in
ihr Ohr und dann nahm er ihr Ohrläppchen in seinen heißen Mund und saugte
daran.
"Schon
wieder?" fragte sie, als sie seinen Penis an ihrem Rücken härter werden
fühlte. "Du bist kein Teenager mehr, Mulder."
Er
kicherte, ein dumpfes Grollen in seiner Brust. "Unterschätze niemals die
Kraft von Training, Vitaminen und der Anwesenheit einer schönen, nackten Frau
im Bett mit mir."
Die
Glut wurde heißer, sowohl in ihrem Gesicht als auch zwischen ihren Beinen.
"Jede nackte Frau?"
Die
Baumwolle seines Kissens raschelte, als er seinen Kopf schüttelte.
"Nein.
Nur du, Dana."
Was
ist mit Sarah, dachte sie verräterisch. Schläfst du mit ihr mit solch einer
überwältigenden Leidenschaft und Verehrung? Fühlt sie wie ich? Bringst du sie dazu, zu kommen, wie ich es
tue? Bringt sie dich dazu, zu kommen, wie ich es tue?
Sie
zwang ihren Verstand dazu, zu schweigen. Sie waren außerhalb jeglicher Zeit in
diesem Hotelzimmer. Sarah und John können in diesem Augenblick nicht
existieren.
Mulders
Hand forschte zwischen ihren Schenkeln und fand ihre anschwellende Klitoris.
Sie summte vor Freude, als sie ihre Pobacken gegen ihn stieß.
"Können
wir?" fragte er zögernd.
Sie
lachte beinahe. "Mußt du fragen?"
Als
sie ihre Knie an die Brust zog, begann er mit schmerzender Langsamkeit in sie
einzudringen.
Das
einzige Wort, um das zu beschreiben, ist vollkommen, dachte sie. Aber so
wundervoll es sich anfühlte, Mulder in sich zu haben, sie brauchte mehr. Dana stieß ihre Hüften nach vorn und sein
Penis glitt heraus.
"Was
tust du?" murmelte er mit belegter Stimme.
Sie
rollte herum, so daß sie ihn ansehen konnte und drückte ihre Lippen gegen
seine. "Ich muß dein Gesicht sehen, Mulder,"
flüsterte sie.
"Oh
ja," hauchte er und drehte sich auf den Rücken.
Ich
muß sichergehen, daß du es wirklich bist, dachte sie, als sie die
Nachttischlampe anknipste und sich mit gespreizten Beinen auf seinen schlanken
Körper setzte. Ich möchte in der Lage sein, mich an jedes Detail dieser Nacht
so gut ich kann zu erinnern.
Ihre
Finger schlossen sich um seine Erektion und sie drückte sie und beobachtete das
daraus resultierende Beben, das seinen ganzen Körper bis hinunter zu seinen
zuckenden Zehen durchlief.
"Bitte," sagte er, seine langen Finger zogen sich ruhelos
zusammen.
Während
es amüsant war, ihre Lust zu verlängern, sehnte sich Dana zu sehr danach, um
noch länger zu warten. Jede Zelle ihres Körpers verlangte danach, wieder von
ihm ausgefüllt zu werden. Sie erhob sich und dann sank sie wieder herab, ließ
alle Luft aus ihren Lungen, als sie auf ihm herabglitt, Zentimeter für
Zentimeter.
Sie
bewegte sich nicht mehr und beugte sich zu seinem Gesicht herab, ihre Hände
gruben sich zu beiden Seiten seines Kopfes in die Kissen. Ihre Zunge widerspiegelte
die langsamen Stöße ihrer Hüften. Welch ein Rhythmus, dachte sie, wir passen so
gut zusammen trotz unserer unterschiedlichen Größe und der Neuheit dessen.
Obwohl es das Elektrisierende dessen gab, frisch verliebt zu sein, fühlte sie
sich so behaglich, als würden sie das schon seit Jahren machen. Es gab einfach
nicht das übliche Herumtasten und die süße Unbeholfenheit der ersten
gemeinsamen Nacht, nein... "Fühlt sich das gut an?" Irgendwie fühlte
es sich an, als hätten sie ihre Bewegungen choreographiert, so glatt war die
Flut der klaren Lust.
Mulders
Hände legten sich auf ihre Schultern, um sie zu halten, während sie ihn mit
tieferen Stößen in sich aufnahm. Sein Mund öffnete und schloß sich, als wollte
er etwas sagen, aber nicht die Kraft oder die Worte finden können.
Ich
weiß, dachte sie, ich habe auch nicht die Worte, um das zu beschreiben.
Wieder
bewegte sie sich näher zu ihm und er nahm eine ihrer Brustwarzen in den Mund
und ließ seine Zunge leicht über das verhärtete Fleisch gleiten. Sie keuchte bei dem Gefühl, das dadurch
hervorgerufen wurde und stieß ihre Hüften nur noch heftiger gegen seinen
Körper.
Er
war unglaublich tief in ihr und sie wollte noch mehr, bis es keine Möglichkeit
mehr gab zu sagen, wo Mulder endete und sie begann. Wenn sie nur für immer so
bleiben könnten.
Danas
Oberschenkel begannen zu zittern von der Anstrengung und dem Anwachsen ihres
Orgasmus. Ich bin noch nie zweimal in einer Nacht gekommen, dachte sie
erstaunt, aber oh, Mulder, was machst du mit mir? Und dieses Mal war die Lust
tief und süß, ein einziger langer Strom, der ihren Rücken herauf und ihre Beine
herab lief, während sie kleine, atemlose Töne von sich gab.
Mulder
stöhnte, als er seine Hüften anhob, um ihr auf halbem Wege entgegenzukommen.
"Das ist es, Dana, oh ja, das ist es..."
Das
ist es, dachte sie, als ihr Orgasmus seinen Höhepunkt erreichte und dann
abflaute. Das ist die Art, wie ich mich die ganze Zeit fühlen wollte, lebendig
und vollkommen.
Sie
sah an der Art, wie sich seine Augenbrauen zusammenzogen, sein Mund öffnete und
er nach Luft rang, daß Mulder sich seinem Orgasmus näherte. Ihre Hände glitten unter seinen Körper,
packten seine Pobacken und zogen ihn enger an sich und er explodierte mit dem
Heulen eines Tieres in ihr, als er kam.
Seine
Augen flogen auf, lange Augenwimpern flatterten überrascht. Dana sackte auf
seiner klebrigen Brust zusammen, die beiden keuchten beinahe in Harmonie. Er
schlang seine Arme um ihren Rücken und sagte, "Was werde ich tun, wenn du
mich für den Rest meines Lebens geschwächt hast?"
"Es
wird dir gut gehen, Mulder." Sie küßte seine
verschwitzte Augenbraue und schmeckte das Salz auf ihren Lippen.
"Ich
werde zu alt dafür..." murmelte er, aber ein winziges Grinsen auf seinem
Gesicht strafte seine Worte Lügen.
"Nein,
ich glaube, du hast definitiv bewiesen, daß du nicht zu alt dafür bist."
Und sie küßte ihn wieder und sonnte sich in dem Geruch seiner und ihrer Haut,
der vom Sex herrührte.
Sie
legten sich zurück auf die Seite und sahen einander an. Dana schaltete das
Licht aus und zog die Decken über ihre Körper.
Mulders
Augen fielen beinahe zu vor Erschöpfung, aber er schaffte ein schiefes Lächeln.
Er nahm ihre Hand in seine. "Ich habe nie zuvor jemanden so geliebt," gestand er ihr.
Sie
schloss ihre Augen. "Nicht einmal Sarah?"
Ein
langer Seufzer entrang sich ihm und er schwieg für ein paar Augenblicke.
"Nicht einmal Sarah. Aber ich liebe sie, Dana. Ich habe nie aufgehört, sie
zu lieben."
Nickend
kämpfte sie gegen ihre Tränen an. "Ich weiß, Mulder,"
flüsterte sie. "Ich liebe John auch."
"Ich
will ihr nicht weh tun, ich kann ihr nicht weh tun, sie war so gut zu
mir."
Diesmal
war sie nicht in der Lage, ihre Tränen davon abzuhalten, über ihr Gesicht zu
laufen, als sie an Sarah und John dachte, die sich glücklicherweise dessen
nicht bewußt waren, daß sich ihre Ehepartner in jemand anderen verliebt hatten.
Hör auf, sagte sie sich, laß ihn dich nicht so sehen, du bist stärker als das.
Aber es war nutzlos, sie konnte ihre perfekte Fassade bei Mulder nicht
aufrechterhalten. Nicht, wenn sie mit ihm im Bett lag, nackt in seinen Armen,
immer noch erhitzt von der Lust, die er ihr gegeben hatte.
"Weine
nicht," sagte er und wischte ihre Tränen mit den
Daumen weg, als wäre sie ein Kind. "Es wird alles gut werden."
"Nein,
das wird es nicht." Sie schüttelte den Kopf.
Dana
fühlte sich wie ein verwundetes Tier in der Falle, nicht in der Lage, sich in
irgendeine Richtung zu bewegen. Ihre überwältigende Liebe für Mulder war auf
der einen Seite und ihre Verpflichtung und ihre Liebe für John war auf der
anderen. Sie konnten nirgendwo hingehen, keine Lösung würde ohne tiefen Schmerz
für alle Beteiligten sein.
"Bereue
das hier nicht," bat er mit kratzender Stimme.
"Ich werde nie mehr in der Lage sein, mit mir zu leben, wenn du es
tust..."
"Ich
tue es nicht, Mulder. Ich liebe dich auf eine Art, von der ich niemals geträumt
habe, daß ich einen anderen Menschen so lieben könnte, aber..."
"Aber?"
Mulders Stimme war leise.
"Aber
du und ich, wir wissen beide, daß wir so nicht wieder zusammen sein können.
Nach heute Nacht müssen wir nach Hause gehen und versuchen, unser normales
Leben weiterzuleben."
Er
rollte sich auf den Rücken und bedeckte sein Gesicht mit seinem Arm. Sie fragte
sich, ob er versuchte, seine eigenen Tränen zu verbergen.
"Ich
weiß," erwiderte er schließlich resigniert.
"Ich weiß, daß es das richtige ist."
"Das
ist nicht einfach für mich, das weißt du," sagte
sie und strich ihm durchs Haar. "Aber wir haben Familien. Wir haben
Versprechen gemacht, die wir respektieren müssen."
Mulder
drehte sich zu ihr um und lächelte sie traurig an. "Wir haben Versprechen
gemacht, die wir respektieren müssen,"
wiederholte er.
Danach
waren sie still, lagen nur beieinander und wußten, diese Nacht war die einzige,
in der sie sich so nahe sein konnten.
Schließlich
wurde Mulders Atem gleichmäßig und sie wußte, daß er eingeschlafen war.
Ich
will nicht schlafen, dachte sie. Ich will die ganze Nacht wach bleiben und
jeden Moment erfassen.
Aber
bald schon gab auch sie sich der Erschöpfung hin und ihr Bewußtsein schwand.
Sie
hatte in dieser Nacht keine Träume.
xxxxxxxx
Dana
erwachte, bevor es hell war. Die Uhr zeigte fünf Uhr morgens und sie erlebte
einen kleinen Schock, als sie erkannte, daß sie in einem Hotelzimmer war, mit
Mulder, der neben ihr zusammengerollt dalag.
Was
haben wir getan, dachte sie.
Sie
kletterte aus dem Bett und ging, schmerzend und klebrig, ins Bad. Das
strahlende Licht ließ sie die Augen zusammenkneifen und auch nachdem sie sich
an die Helligkeit gewöhnt hatte, sah sie sich nicht im Spiegel an, als sie sich
die Zähne mit einer der Gratiszahnbürsten putzte.
Ihre
Haut roch nach Mulder, nach dem außergewöhnlichsten Sex, den sie jemals erlebt
hatte. Sie wollte diesen Geruch an ihrem Körper für immer bewahren, aber sie
stellte dennoch die Dusche an.
Das
heiße Wasser fühlte sich erfrischend auf ihren steifen Muskeln an, aber nicht
gut genug, um das Schluchzen zurückzuhalten, das sich in ihrer Brust bildete.
Die Dusche war schon immer der Ort gewesen, an dem sie sich den Luxus erlaubte,
zu weinen. Sie erinnerte sich an jene Morgen nach ihren beiden Fehlgeburten, an
denen sie in der Dusche geweint hatte und die Wut und die Traurigkeit mit dem
Wasser und dem Shampoo in den Abfluß laufen ließ. Sie hatte den Schmerz
losgelassen, um einen neuen Tag zu ertragen, an dem sie den Part der kühlen,
rationalen Forschungswissenschaftlerin zu spielen und John eine gute Frau zu
sein hatte.
Das
einzige Mal hatte John sie wirklich weinen sehen, als er auf Zehenspitzen in
das Zimmer in der Entbindungsklinik gekommen war und das winzige, pinkfarben
verpackte Bündel gehalten hatte, das Julia war. Sie hatten dann zusammen
geweint, als sie ihren wahr gewordenen Traum festhielten.
Nun
schluchzte sie, als sie erkannte, daß sie unwiderruflich den Mann liebte, den
sie niemals haben konnte. Vor Mulder hatte sie nicht gewußt, wie tief das gehen
konnte. Nun würde alles, was John ihr bieten konnte, niemals genug sein.
Aber
sie hatte John ihre Loyalität geschworen, ihre Treue, bis der Tod sie trennte
und sie hatte niemals ihre Versprechen gebrochen. Sie würde auch das nicht
brechen. Es war mit dieser Nacht mit Mulder bis an die Grenze gegangen, aber
sie konnte nicht das Band der Ehe zerschneiden.
Zum
ersten Mal erfaßte Dana die negative Bedeutung des Wortes Band.
Dies
ist die richtige Entscheidung, sagte sie sich und wusch ihre Tränen mit der
nach Vanille duftenden Seife fort.
Sie
fühlte sich stärker durch ihren Entschluß und ihr Rücken und ihre Schultern
streckten sich.
Dana
stellte das Wasser ab und griff nach einem Handtuch auf dem Regal neben der Dusche.
Sie trocknete sich ab, wickelte sich in das Handtuch und schob den Duschvorhang
zur Seite. Mulder stand nackt am Waschbecken und putzte sich die Zähne. Er
spülte sich den Mund aus und drehte sich zu ihr um. Seine Augen waren noch
nicht ganz wach und er lächelte.
Sie
stieg aus der Dusche und er berührte ihre bloße Schulter. "Du bist früh
auf," sagte er.
"Ich
konnte nicht schlafen."
"Ich
auch nicht. Nicht ohne dich."
Dana
nickte. "Ich muß nach Hause, mich für die Arbeit umziehen." Sie
wandte ihre Augen ab. Es würde es nur noch schwerer machen, zu gehen, wenn sie
ihn ansah. Sie würde sich wieder darin verlieren.
Aber
Mulder machte einen Schritt nach vorn und nahm ihr Gesicht in seine großen
Hände. "Bleib noch ein bißchen länger, Dana. Wir haben Zeit."
Sie
sah ihm in die Augen. "Wenn ich bleibe, werde ich mich nie mehr davon
erholen."
"Es
ist zu spät," sagte er und küßte sie.
Er
hat recht, wir werden uns nie mehr davon erholen, dachte sie und sie verließen
das Badezimmer und fielen auf die zerwühlten Laken.
Mulder
nahm sich Zeit, sie zu erforschen, ihren Körper mit zärtlichen Fingern zu
berühren, seine Zunge und seine Lippen über ihre Haut streichen zu lassen -
über ihren Hals, ihre Brustwarzen, sogar über die Innenseite ihrer Ellbogen.
Ihre Haut summte lebendig und sie spürte, wie die Säfte zwischen ihren Beinen
zu fließen begannen.
Seine
Hand glitt da hin, wo sie seine Berührung am meisten wollte und Dana wimmerte
unter der sanften Fürsorge seiner Finger.
Er
erhob sich auf seine Ellbogen, küßte sie und sagte, "Zum Schluß werde ich
herausfinden, wie du schmeckst."
"Bitte,
Mulder," stöhnte sie.
Dann
war sein Mund überall, sein dunkler Kopf zwischen ihren gespreizten Beinen. Die
heiße Länge seiner Zunge erforschte sie und sie schrie auf bei dem Empfinden.
Er hob einen Moment den Kopf und leckte seine geschwollene Unterlippe. "Du
bist so süß," sagte er und fiel wieder über sie
her mit hungrigen Schlägen seiner Zunge gegen ihre Klitoris.
Es
war beinahe schmerzhaft, wie hart ihr Herz vor Erregung schlug. Mit ihren
Händen kontrollierte sie sein Tempo, aber Mulder brauchte ihre Hilfe wirklich
nicht. Es war perfekt. Genau wie vorher, schien er instinktiv genau zu wissen,
was sie brauchte und wann. Obwohl sie normalerweise die Idee abtat, erwog sie
kurz die Möglichkeit psychischer Kräfte.
Gerade
als sie den Beginn ihres Orgasmus spürte, schob er zwei lange Finger in sie
hinein und sie setzte sich beinahe auf, die Empfindungen, die er hervorrief,
waren so mächtig. "Jajajajaja," hörte sie
sich selbst unbewußt stöhnen, als der Orgasmus tief in ihr ausbrach.
Ihr
Körper bebte noch, als er sich neben sie legte und ihren zitternden Körper
hielt und ihr Gesicht mit Küssen bedeckte. "Du bist einfach so... schön," sagte
er.
"Ja,
richtig." Es war noch nicht einmal sechs Uhr morgens, ihre Haare waren
noch naß und ohne Zweifel in einem schrecklichen Durcheinander und sie hatte
noch kein Make-up aufgelegt.
Mulder
berührte sie genau über ihrer Oberlippe. "Warum deckst du das ab?"
fragte er und deutete auf das kleine Mal.
Sie
zuckte mit den Schultern. "Ich mag nicht, wie es aussieht."
"Ich
mag es." Er küßte sie und sein Mund schmeckte nach ihr.
Dana
schluchzte beinahe, als er wieder in sie eindrang. Sie wußte, daß es das letzte
Mal war, daß sie zusammen waren. Es war ein wenig
schmerzhaft, sie war wund von der Nacht vorher, aber es fühlte sich auch
unglaublich an, ihn in sich zu haben.
"Niemals," ächzte er. "Ich werde das niemals
vergessen."
Wo
habe ich das schon einmal gehört, fragte sie sich verschwommen, aber es war
keine gute Zeit, um zu versuchen, zu denken.
Ihre
Schenkel schmerzten, als sie sie hoch um seinen Rücken schlang, aber es war ein
schöner Schmerz. Sie hatte Angst, die Augen zu schließen, Angst, sie würde
etwas verpassen. Den Rest ihres Leben würde sie diese
Erinnerungen an das absolute Glück, sich mit Mulder zu lieben, ertragen müssen.
Ja,
die Erinnerungen würden sie wahrscheinlich später mit Schuldgefühlen
heimsuchen, aber sie würden sie auch an diese eine Nacht erinnern, in der sie
gelernt hatte, wie Liebe sein konnte.
Warum
liebe ich dich so sehr, fragte sie sich und küßte jeden Teil seines Gesichtes,
den sie erreichen konnte. Wer bist du?
Mulder
gab einen erstickten Ton von sich, als er kam und verbarg sein Gesicht an ihrer
Schulter. Sie rieb seinen Rücken, als er mit einer unglaublichen Wucht in sie
hineinfuhr und sie lächelte durch die Tränen, die ihren Blick verschwimmen
ließen.
"Oh," seufzte er. "Es tut mir leid, es war so...
schnell..."
"Du
mußt dich nicht entschuldigen."
"Aber
du bist nicht... ich wollte es diesmal perfekt machen."
Sie
verstand, was er nicht sagen konnte - daß sie zum letzten Mal zusammen waren.
"Shh," beruhigte sie ihn und küßte seinen Hals. "Es
war wunderbar, schön."
Er
gab einen erleichterten Ton von sich und rollte von ihr herunter. "Ich muß
dich doch erdrücken."
Tatsächlich
hatte sie das Gewicht seines Körpers geliebt, seine festen Muskeln unter ihren
Händen, der Geruch von ihm, der sie vollkommen umgab.
Dana
wollte es nicht, aber sie sah auf die Uhr. Es war fast 6.30 Uhr, beinahe Zeit
zu gehen. Bei dem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen und ihr Mund wurde
trocken.
Plötzlich
schien alles eine schreckliche Bedeutung anzunehmen. Als sie sich in seinen
Armen zusammenrollte, begriff sie, daß es das letzte Mal war. Als sie sich
küßten und ihre Zungen übereinander glitten, wußte sie, daß sie sich niemals
wieder so küssen würden. Sie würde ihn nie wieder
schmecken.
"Ich
wünschte, es könnte alternative Wirklichkeiten geben,"
sagte Mulder, seine Augenlider flatterten gegen ihre Wange.
"Warum?"
"Weil
ich dann zwei Männer sein könnte. Einer würde dieses Hotel verlassen und zu
meinem Leben mit Sarah zurückkehren, glücklich und sich dessen nicht bewußt,
daß du existierst, Dana. Und der andere würde ein neues Leben mit dir aufbauen.
Jeden Tag, wenn wir von der Arbeit kommen, würden wir uns über unseren Tag
unterhalten, während wir das Abendessen bereiten. Und jeden Abend würde ich mit
dir ins Bett gehen, dich lieben und mit dir an meiner Seite aufwachen."
Es
war eine Vorstellung, sie konnte es nicht einmal ertragen, darüber
nachzudenken. "Die Erregung wird nachlassen. Das tut sie immer. Am Anfang
ist sie heiß und frisch, nach einer Weile ist es noch schön, aber dann wird es
Routine, man kennt einander so gut, daß sich die wahre Erregung verliert."
Seine
Stimme war rauh. "Nein. Nicht mit dir. Ich weiß, wir waren nur eine Nacht
zusammen, aber irgendwie weiß ich, daß es mit dir immer wunderbar sein würde.
Ich könnte deiner nie müde werden, Dana."
Sie
blinzelte schnell. "Sag das nicht. Du bringst mich nur wieder zum
Weinen."
"Ich
weiß. Aber ich kann nichts gegen diese Gedanken tun."
Sie
setzte sich auf. "Mulder, ich muß jetzt gehen."
Seine
warme Hand berührte ihren nackten Rücken. "Ich hätte nicht gedacht, daß es
so hart werden würde."
"Ich
weiß." Sie stand auf und ging ins Badezimmer, ohne zu ihm zurückzublicken.
Fünf
Minuten später kam sie vollständig angezogen wieder heraus. Mulder saß auf dem
Bett, er hatte jetzt seine Boxershorts an und sein Gesicht war in seinen Händen
vergraben.
Unter
großer Anstrengung schaffte sie es, ihre Stimme ruhig zu halten. "Ich
glaube nicht, daß ich es durchhalten würde, wenn wir eine große Abschiedsszene
machen."
Er
sah nicht auf, aber er nickte.
Sie
ging zu ihm hinüber und legte ihre Hand auf seine. Ich liebe diese Hände,
dachte sie. Sie sind groß und stark, aber unendlich sanft.
Mulder
sah immer noch nicht auf.
"Bitte
sag mir, daß wir das richtige tun," flüsterte
sie.
Als
er sie schließlich ansah, waren seine Augen von einem ganz dunklen Grau, beinahe
schwarz und sie glänzten vor Tränen. "Wir tun das
richtige, Dana."
Sie
nickte. "Ich liebe dich," sagte sie.
Er
stand auf und küßte sie, ein langer, tiefer Kuß, der ihr den Atem nahm.
"Ich
dich auch," erwiderte er. "Das ist das
Problem."
Dana
drückte seine Hand ein letztes Mal. Sie straffte sich, als würde sie am Rande
eines Sprungbrettes stehen und wissen, daß das Wasser kalt war. Dann drehte sie sich um und ging zur Tür
hinaus.
xxxxxxxx
Irgendwie
überstand sie den Tag mit Kaffee und bloßer Willenskraft.
Sie
war einfach zu leer, um irgend etwas zu fühlen oder
über irgend etwas anderes als Zellstrukturen und DNA-Daten nachzudenken.
Sie
verließ die Arbeit ein bißchen früher und fuhr direkt zur Primary Care, um
Julia abzuholen. Ihre Tochter saß an einem der kleinen roten Tische und formte
etwas klumpiges aus Modelliermasse.
"Mamimamimami!"
schrie Julia, sauste quer durch den Raum und warf sich in Danas Arme.
Dana
atmete Julias Duft nach Apfelsaft und Vanillewaffeln tief ein.
Sie
war da, wo sie hingehörte.
xxxxxxxx
Es
war lustig, je mehr man sich vormachte, daß das Leben normal war, desto
normaler erschien es einem tatsächlich.
Zu
Hause bereitete sie Julias Lieblingsessen zu - gegrillten Käse und Tomatensuppe
- und machte sich nicht einmal etwas daraus, daß ihre Tochter es schaffte, das
meiste von ihrer Suppe auf ihrem Hochstuhl und dem weiß-blauen Linoleum zu
verteilen. Julia war aufgeregt, wieder bei ihr zu sein und konnte nicht
aufhören, Unsinniges über ihren Tag zu plappern, sogar als sie an ihrem
Sandwich kaute.
"Jerry,
das blaue Raumschiff" brachte es auf den Rekord von fünfmal Vorlesen. Jede
Wiederholung endete damit, daß Julia mit ihrer kleinen, dicken Faust auf das
Buch klopfte und freudig schrie, "Mehr Jerry!"
Dana
bemerkte, daß sie mit halbem Ohr auf das Telefon lauschte, auf einen Anruf von
John und sie war ein bißchen nervös. Aber das Telefon blieb still, die einzigen
Geräusche im Apartment waren ihre eigene Stimme, die die Geschichte vorlas, die
Reaktionen Julias und der gedämpfte Klang der Musik von einem Ballettprogramm
auf dem Telebildschirm.
Sie
dachte nicht an Mulder, nicht wirklich. Das forderte eine solche Willenskraft
von ihr, daß ihr der Kiefer vom Zusammenpressen weh tat.
Julia
marschierte zu ihrem Zeichentisch in der Ecke und kritzelte mit ihren Stiften
auf dem Lichtbildschirm herum. Dana saß zurückgelehnt auf der Couch, eine Decke
über den Beinen und beobachtete die Konzentration auf Julias kindlichem
Gesicht, als das kleine Mädchen vor sich hin summte.
Sie
hatte so hart dafür gekämpft, ihre Tochter zu bekommen. Ihre Aufregung über die
Aussicht, Mutter zu werden, hatte sich in Ärger und Entsetzen verwandelt, als
sie nach monatelangen Versuchen schwanger zu werden, herausfand, daß sie
unfruchtbar war. Sie wußte, rein intellektuell, daß die Unfähigkeit ein Baby zu
bekommen, sie nicht weniger zur Frau machte, aber das Versagen ihres eigenen
Körpers hatte sie trotzdem hart getroffen.
Julia
war sich dessen glücklicherweise nicht bewußt, welches Wunder sie war. Sie war
erst das sechzehnte Baby in der Welt gewesen, das durch die Anwendung der
Zellgenerationstherapie, die die Anderen mitgebracht hatten, geboren wurde. Die
Behandlung hatte beinahe Danas und Johns ganzes Vermögen gekostet und fast ihre
Ehe beendet, als sich ihre gesamte Partnerschaft nur noch auf die
Schwangerschaft konzentrierte. Aber das war es wert gewesen, jeden Cent und
jede Minute, die sie in ihr Streben investiert hatten. Ihre Tochter war
willensstark, neugierig, intelligent und - stell dich dem - hoffnungslos bezaubernd.
Sie hatte Danas Neugier und Johns angeborene Liebenswürdigkeit. Sie war ihrer
beider Kind, eine Mischung ihrer genetischen Materialien und ihr ultimatives
Vermächtnis an die Welt.
Sie
konnte ihre Familie nicht für Mulder verlassen, nicht einmal, wenn er bereit
war, seine eigene Familie zu verlassen. Sie würde ihre Tochter nicht einer
zerstörten Familie aussetzen und sie zwischen getrennten Apartments hin und her
pendeln lassen. Dana wußte nur zu gut, wie es war, vom Schicksal vernachlässigt
und unsicher zu sein, ohne die Wärme und das Zusammengehörigkeitsgefühl einer
Familie. Sie würde das Julia nicht antun.
Aber
eine kleine bohrende Stimme in ihrem Hinterkopf meldete sich und fragte: aber
ist es richtig für ein Kind in einer Familie zu sein, in der die Mutter
wirklich unglücklich ist?
Die
Sache war die, daß sie nicht wußte, ob sie in den Jahren, die kommen würden,
unglücklich sein würde. Ja, im Augenblick fühlte sie sich miserabel, aber
vielleicht würde es die Zeit heilen. Vielleicht würde sie in der Lage sein, die
außergewöhnliche Nacht, die sie mit Mulder verbracht hatte, zu vergessen. Im
Moment war der Schmerz so rauh, wie Julias aufgeschlagenes Knie, als sie im
Park vom Klettergerüst gefallen war, aber sicherlich würde er mit der Zeit
nachlassen. Richtig?
Dana
hoffte es inständig und von ganzem Herzen.
Sie
war in der Lage, ihre Empfindungen den ganzen Abend unter Kontrolle zu halten
und sie aus sicherem, unvoreingenommenem Abstand zu betrachten, bis sie Julia
fragte, "Was malst du da, Honey?"
Julia
sah vom Lichtbildschirm auf. Von ihrem Blickwinkel von der Couch aus konnte
Dana ein vage menschenähnliches Gekritzel in Blau und etwas rundes
und braunes sehen. "Das ist eine Dame,"
sagte Julia, so ernst, als würde sie Testergebnisse wiederholen, "und das
ist eine Kartoffel."
Aus
irgendeinem Grunde brachte das Dana dazu, in Tränen auszubrechen.
Beunruhigt
rannte Julia zu ihr herüber, kroch in ihren Schoß und berührte Danas Gesicht
mit ihren kleinen heißen Händen. "Weine nicht,"
sagte sie in einem Ton, der genauso klang, wie wenn Dana sie wegen ihrer
eigenen Tränen beruhigte. "Weine nicht, Mami."
Der
Klang ihrer Stimme ließ Dana nur noch mehr weinen.
Schließlich
riß sie sich zusammen und küßte Julia auf den Kopf. "Mir geht es gut," sagte sie, zwang sich zu einem Lächeln und wischte
ihre Tränen fort. "Manchmal müssen sogar Mamis weinen."
xxxxxxxx
Gerade
als die Sonne untergeht, beenden sie ihre Arbeit und beschließen, ans Wasser
hinunterzugehen mit ihrem abendlichen Bier. Beausoleil, der Golden Retriever vom
Nachbarn, entdeckt sie und tollt hyperaktiv voraus, bis er die Brandung
erreicht.
Die
Brise ist ziemlich steif und sie zittert, trotz des irischen Fischerpullovers,
der Schweiß vom Harken läßt ihren Körper schnell abkühlen. Sie gehen im Sand
und hinterlassen eine Spur Seite an Seite laufender Schuhe, ein Paar große Füße
und ein Paar viel kleinere.
Sie
bleiben am Rand des Wassers stehen und sehen den Wellen zu. Obwohl sie die
meiste Zeit ihres Lebens an den verschiedenen Ozeanen verbracht hatte, ist sie immer
wieder überrascht, wieviel Graustufen es im Atlantik gibt. Die Saison in Marthas Vineyard ist lange
vorbei und der Strand ist leer und scheint irgendwie verlassen.
Der
Hund kommt aus dem Wasser und versprüht überall Tropfen, als er sein struppiges
rotes Fell schüttelt.
Sie
dreht sich zu dem Mann um, der neben ihr steht um und beobachtet, wie der Wind
sein dunkles Haar zerzaust. Er hatte es im letzten Jahr kürzer getragen und es
ließ ihn verletzlicher aussehen.
"Es
ist wundervoll," sagt sie und streckt ihren
steifen Rücken.
Er
lächelt. "Das ist einer von diesen General Foods International Coffee
Augenblicken, hm?"
Sie
lächelt und hört den nervenden "Feier die Momente in deinem Leben"
Jingle in ihrem Kopf. Großartig, nun würde er für den Rest des Tages in ihrem
Kopf stecken.
Er
dreht sich zu ihr um und legt seine Hand auf ihren Arm. "Dieses Wochenende
war wie das normale Leben, das du immer wolltest, Scully."
"Es
ist immer gut, aus der Stadt heraus zu kommen."
"Nun,
ich schätze es, daß du dein ganzes Wochenende damit verbracht hast, mit mir im
Garten zu arbeiten."
Sie
lehnt sich enger an ihn und sie wird mit einer schwachen Andeutung seines
Schweißes belohnt. "Dafür sind Freunde da..."
Ein
neugieriger Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht und er drückt kurz ihre Hand,
läßt sie jedoch beinahe sofort los, als er sie berührt. Er murmelt etwas, aber
sie kann die Worte über dem Rauschen der Wellen nicht ganz verstehen.
"Was
hast du gesagt?" fragt sie.
Er
sieht ein wenig verlegen aus. "Ich sagte, daß du mein bester Freund bist,
Scully."
Sie
nickt. "Du bist auch mein bester Freund."
"Es
ist ein schwieriges Jahr für uns gewesen, aber ich hoffe, du weißt es
noch."
"Das
tue ich."
Ohne
überhaupt darüber nachzudenken oder über die möglichen Verwicklungen, stellt
sie sich auf die Zehenspitzen und drückt einen schnellen Kuß auf seine
geschlossenen Lippen. Sie sind kühl und ein wenig aufgeplatzt.
Er
macht einen halben Schritt zurück und fährt sich mit den Händen durch sein
wirres Haar. Einen Moment fürchtet sie, daß sie alles kaputt gemacht hat, die
sensible Balance, die in all ihren Jahren zusammen existiert hat.
Er
sieht sie an und fragt, "Was bedeutet das, Scully?"
Das
ist das Schwierige mit ihr, ihre Absichten sind für andere immer so kompliziert
zu erkennen, sogar für ihn.
Ein
einziges Mal beschließt sie, mutig zu sein und direkt ins Herz der
Angelegenheit zu gehen. "Ein nicht zu Ende gebrachtes Unternehmen."
"Spielst
du auf meinen Flur an?"
Der
Kuß, den es nie gab - sie erinnert sich daran, wie an einen seltsamen Traum,
den man nur halb im Gedächtnis behält.
Sie
nickt.
"Ich
habe nicht... ich dachte nicht... ich dachte, es war zu spät für uns... so
viele Jahre, so lange..." stammelt er.
"Ich
glaube nicht, daß es jemals für irgend etwas zu spät ist,"
sagt sie, sich der Tatsache bewußt, daß sie lächelt, "besonders für uns.
Wir müssen nur sicher sein, daß wir bereit sind."
Der
Ausdruck von Erstaunen auf seinem Gesicht ist unbezahlbar. Sie wünscht sich,
sie hätte eine Kamera dabei.
Und
dann scheint sein Verstand wieder einzusetzen und sein Gesicht scheint weicher
zu werden, sein Blick beinahe zärtlich. "Nicht zu spät,"
antwortet er und kommt auf sie zu.
Dieser
Kuß ist anders als der letzte, heftiger, länger, feuchter. Sie genießt seinen einzigartigen
Geschmack und das Gefühl der Erfüllung.
Sie
sind endlich hier.
Als
sie aufhören, um Atem zu holen, muss sie grinsen.
Er
berührt ihre Lippen. "Was ist so lustig?"
"Wir
sind definitiv bereit, Mulder."
xxxxxxxx
Das
Geräusch von Weinen weckte Dana, aber es waren nicht ihre eigenen Tränen,
sondern die von Julia.
Sie
setzte sich auf und schüttelte ihren Kopf, um wach zu werden, immer noch halb
in dem Traum gefangen, den sie gehabt hatte. Das Schlafzimmer war stockdunkel
und sie spürte einen leichten Schweißfilm auf ihrem Körper.
Der
Strand, der Kuß, die Wellen, Mulder.
Mulder?
Was
zur Hölle war das für ein Traum?
Sie
kletterte aus dem Bett und ging über den Flur in Julias Zimmer. Ihre Tochter
lag auf der Seite in einem Durcheinander von Laken und schluchzte. Dana setzte sich auf die Kante des kleinen
Bettes und berührte das Gesicht ihrer Tochter. "Hast du geträumt,
Sweety?"
Das
macht zwei, dachte sie.
Julia
öffnete die Augen und schniefte. "Wo ist Papi?" fragte sie mit einer
kläglichen, kleinen Stimme.
Dana
beugte sich herab, küsste Julia, und prüfte gleichzeitig, ob das Bett trocken
war. Gott sei dank war es das. "Er kommt bald nach Hause."
"Ich
brauche Papi."
"Bald,
bald," sang sie und küßte Julia wieder.
Dana
hob das kleine Mädchen hoch und wunderte sich darüber, wie schwer sie geworden
war. Es war nicht die beste Idee, Julia im Bett der Eltern schlafen zu lassen,
aber sie war im Augenblick nicht in der Stimmung für die richtige
Kinderpsychologie. Ihre Tochter war gefühlsmäßig erhitzt und hatte schlechte
Träume. Julia brauchte Trost und aus diesem Grunde tat sie es.
In
dem großen Bett schlief Julia, an den Körper ihrer Mutter gekuschelt, wieder
ein.
Gegen
den Schlaf ankämpfend, dachte Dana darüber nach, welch seltsame Sache doch das
Unterbewußtsein war. In ihren Traum gab es Elemente aus dem Vorher. Es war
derselbe Mann gewesen, der ihr in ihren anderen Träumen erschienen war, aber es
war auch Mulder gewesen. Und der Strand, an dem sie gewesen waren, hatte
schrecklich Ähnlichkeit mit Mulders
Netspace Strand.
Sie
hatte Träume wie diesen natürlich schon vorher gehabt, in denen hatte sie in
einem Labor gearbeitet, aber das Labor befand sich auf dem Dach ihres
Wohnhauses und John war ihr Partner gewesen anstatt Meghan. Im Traum
vermischten sich die Dinge immer irgendwie.
Aber...
was wenn?
Nein,
es konnte nicht sein. Ihr Unterbewußtsein suchte nach einer netten
Entschuldigung dafür, was Mulder und sie getan hatten.
Sie
konnte und sie würde den verschwommenen flüchtigen Erinnerungen eines Traumes
nicht trauen. Es war nicht die Art von Beweis, die sie brauchte.
Wunschdenken,
vermutete Dana und drehte sich auf den Bauch, um zu schlafen.
Sie
versuchte, sich daran zu erinnern, wie es sich angefühlt hatte, Mulders warmen,
festen Körper zu halten, aber sie hatte bereits die Fähigkeit verloren, ihn
sich dreidimensional vorzustellen.
Vielleicht
war es letztlich ein Segen. John würde in ein paar Tagen nach Hause kommen und
sie mußte diese Nacht vergessen, um zu überleben.
Sie
schloß die Augen und dachte an alles, nur nicht an Mulder, als sie zurück in
den Schlaf glitt.
xxxxxxxx
***
ende teil 2 ***
GEBLENDET VON
WEISSEM LICHT -- TEIL 3
Autorin:
Dasha K. — dashak@aol.com
Übersetzung:
Sylvia — aktex_sm@hotmail.com
xxxxxxxx
"Was
möchtest du heute abend essen? Wir können eine Pizza
bestellen oder möchtest du Kartoffelbrei..." Dana und Julia betraten das
Apartment, später als gewöhnlich wegen eines spontanen Kinderschuheinkaufs.
Dana blieb mitten im Satz im Türrahmen stehen. Die Lichter im Wohnzimmer
brannten und die Luft roch nach Knoblauch und Tomaten.
Julia
begriff es, bevor Dana es tat. Sie riß ihre Arme vor Freude hoch und schrie,
"Papi!"
John
war zu Hause.
xxxxxxxx
Danas
Herz begann mit übelkeitserregender Unregelmäßigkeit zu schlagen. Oh Gott, John
war zu Hause.
John
kam aus der Küche, bekleidet mit seinem ältesten Paar Jeans und einem blauen
durchgeknöpften Hemd und schwang seine kichernde Tochter in seinen Armen. Er
küßte Julia auf den Kopf und sagte, "Oh Jules, ich habe dich so
vermißt!"
Welch
eine hübsche Szene, dachte Dana und beobachtete ihre Heimkehr mit einer
seltsamen Losgelöstheit. Was für eine wunderbare Familie wir abgeben - ein
stattlicher Vater und Ehemann, eine hingebungsvolle Mutter und Ehefrau, ein
lächerlich entzückendes und frühreifes kleines Mädchen. Was ist falsch in
diesem Bild?
Ich
bin diejenige, die falsch ist in diesem Bild.
John
setzte Julia ab und kam mit einem ungeduldigen Schritt auf Dana zu, seine Augen
glänzten vor Gefühlen. "Dana," hauchte er.
"Gott, ist das schön, dich wiederzusehen."
Sie
atmete tief ein, als er seine Arme um sie legte. Es ist Zeit, neu anzufangen,
dachte sie. Das ist dein Mann und du liebst ihn.
Er
hob ihr Gesicht zu seinem, um sie mit Lippen, die angenehm nach Tomatensauce
schmeckten, zu küssen, während Julia um sie herum kreiste und in ihrem
marineblauen Primary Care Trägerkleid herumwirbelnd sang, "Papi ist zu
Hause, lalala... Papi ist zu Haaause!"
John
sah Dana fragend an, so dass sie sich einen atemlosen Moment fragte, ob er
irgendwie alles, was passiert war, in ihren Augen sehen konnte. Aber er fragte
nur, "Wie geht es dir, Dana? Du siehst müde aus."
Sie
schenkte ihm ein, wie sie hoffte, strahlendes Lächeln. "Mir geht es gut.
Ich habe nur nicht so gut geschlafen, während du nicht da warst."
Es
war nicht unbedingt eine Lüge.
"Entschuldige,
ich habe dich nicht angerufen, als ich ankam. Ich kam mittags an, hab ein
Nickerchen gemacht und beschloss, euch mit dem Abendessen zu überraschen."
"Ich
war überrascht, richtig."
Das
war definitiv keine Lüge.
Er
küßte sie wieder und zog an ihrer Hand. "Die Nudeln sind jetzt fertig.
Komm,
lass uns essen.
Nach
dem Essen blieben die drei noch eine ganze Weile am Küchentisch sitzen und aßen
Schokoladeneiscreme. John erzählte eine Menge Geschichten von seinem Aufenthalt
in Sao Paolo. Dana fand es faszinierend wie immer, über eine neue Stadt, die
entstand, zu hören. Die Anderen hatten die allerersten Städte erschaffen,
einschließlich der, in der sie lebten. Aber die Menschen bauten weitere Städte
und nutzten dabei die Technologie, die sie von ihren Wohltätern gelernt hatten.
John sprach von Hitze und Wind und Moskitos, von Dingen, an die sich Dana nicht
mehr wirklich erinnern konnte.
Es
war irgendwie traurig, daran zu denken, dass ihre Tochter aufwachsen würde,
ohne jemals Kälte oder Regen gespürt zu haben.
Dana
vermisste den Regen. Sie konnte sich daran erinnern, in grauen Morgenstunden
den Bürgersteig entlang gegangen zu sein, unter ihrem Schirm gezittert und
stechende Tropfen kalten Regens ins Gesicht bekommen zu haben.
Julia
war beinahe in Johns Schoß eingeschlafen, als er seinen Reisebericht beendete.
Ihr Kopf sackte nach unten und flog dann abrupt wieder hoch, als sie erkannte,
dass sie eingeschlafen war.
Mit
einem zärtlichen Gesichtsausdruck auf seine Tochter blickend, sagte John,
"Ich glaube, es ist Zeit, unser kleines Fräulein ins Bett zu
bringen."
Der
Kopf des Kindes zuckte wieder hoch. "Nicht ins Bett,"
sagte sie vehement und Dana und John tauschten amüsierte Blicke.
"Ich
lese dir eine Geschichte vor..." Weder John noch Dana übertrafen sich mit
Bestechungen, um Julia ins Bett zu bekommen.
Julias
Augen leuchteten auf. "Jerry?" fragte sie hoffnungsvoll.
"Wir
müssen sie nach einem neuen Buch süchtig machen,"
sagte Dana flüsternd.
John
stand auf und warf sich Julia in Feuerwehrmann-Art über die Schulter. "Wir werden Jerry vorlesen, aber zuerst
musst du baden. An dir klebt mehr Spaghetti und Eiscreme, als du tatsächlich
gegessen hast." Er stupste sie in die Seite und sie kreischte kichernd.
Deshalb
kann ich nicht mit Mulder zusammen sein, dachte Dana, erhob sich und stellte
die schmutzigen Teller in den Geschirrspüler. Die einfache Wärme und
Gemeinschaft der Familie sind selten und kostbar.
Das
ist wahre Liebe auch, ertönte ihre innere Stimme.
Ich
will nicht so selbstsüchtig sein, dachte sie, während sie Nudeln und Salat in
die Müllentsorgung schaufelte.
Julia
rannte kreischend in die Küche, splitternackt, und schlang ihre Arme um Danas
Beine. "Nicht baden, nicht baden!" schrie sie.
John
schlenderte herein und hielt eine Flasche Shampoo in der Hand. Er blickte
ärgerlich drein. "Komm schon, Jules - kein Bad, kein Jerry."
Danas
Beine loslassend, ging Julia auf ihren Vater zu und gab sich geschlagen.
"Okay, lass uns baden gehen."
"Ich
versuche, mich zu beeilen," sagte John nun
lächelnd. "Du und ich, wir haben noch etwas nachzuholen."
Es
war beinahe drei Wochen her. Sie wusste, John konnte vielleicht an nichts
anderes denken, als ins Bett zu schlüpfen und mit seiner Frau zu schlafen. Sie
wünschte, sie könnte seinen Eifer teilen, wünschte, der Gedanke würde sie nicht
mit einem bangen Gefühl erfüllen.
Sie
räumte die Küche zu Ende auf und ging ins Schlafzimmer, um ihren Pyjama
anzuziehen. Wenn die Dinge anders gewesen wären, hätte sie vielleicht ihr
schwarzes Seidennegligé angezogen oder sie wäre ohne alles ins Bett gegangen,
aber sie konnte sich nicht dazu durchringen.
Als
sie ins Bett kroch, konnte sie den sanften Bariton von Johns Stimme hören, der
Julia vorlas. Dana rollte sich auf die Seite, so dass sie die offene Tür nicht
sah und fragte sich, ob Sarah schon aus Boston zurück war. Sah sich Mulder in diesem Augenblick auch der
Aussicht gegenüber, mit seiner Frau zu schlafen? Fürchtete er sich auch?
Genug
von Mulder, warnte sie sich selbst. Du musst lernen, ihn zu vergessen.
Es
war seltsam paradox, dass sie das Gefühl hatte, sie würde Mulder betrügen.
Eigentlich müsste es anders herum sein.
Dana
hörte, wie Julias Tür geschlossen wurde und dann Johns Schritte, als er über
den Flur in ihr Schlafzimmer kam. Sie versuchte, ihr Herz dazu zu bringen,
weniger schnell zu schlagen.
Johns
Sachen raschelten, als er sich auszog und sie auf den Stuhl legte. Er öffnete
nicht die unterste Schublade der Kommode, um sein T-Shirt und seine Shorts
herauszuholen, was immer bedeutete, dass er in der Erwartung ins Bett kam, mit
ihr zu schlafen.
Und
hatte er nicht das Recht, das zu erwarten? Sie war schließlich seine Frau und
sie waren so lange getrennt gewesen.
Sie
fragte sich, ob sie sich drücken könnte, indem sie vorgab zu schlafen, aber sie
wusste, dass sie es nicht konnte.
John
kletterte ins Bett und unter die Decken und rückte an sie heran. Sein Körper
war warm und sie konnte seine Erektion durch die Baumwolle seiner Unterhosen
fühlen.
Das
ist dein Mann, sagte sie sich. Du liebst ihn.
"Dana," flüsterte er ihr ins Ohr. "Ich bin so
glücklich, zu Hause zu sein."
Sie
rollte herum, um ihn anzusehen und seine vertrauten Gesichtszüge mit den
Fingern nachzuzeichnen. Sie hatte diesem Mann ihr ganzes Leben versprochen,
sich selbst - ihren Körper und ihre Seele.
Sie
begannen, sich zu küssen und ungeachtet ihrer selbst und ihrer Bedenken, spürte
Dana, wie die Erregung in ihr wuchs. Was für eine Schlampe bin ich doch, dachte
sie, als sie ihre Zunge mit der von John verflocht. Es scheint, als könnte mich
jeder Mann jederzeit anmachen.
John
drehte sie auf den Rücken und sie sah sein strahlendes Lächeln. "Davon
habe ich die ganze Zeit geträumt, als ich weg war,"
stöhnte er und nahm ihre Brüste in seine Hände. "Ich habe dich so sehr
vermißt, dass ich beinahe der Crew gesagt hätte, sie sollten sich zum Teufel
scheren und ins nächste Flugzeug nach Hause gesprungen wäre."
Ich
wünschte, du hättest es getan, weil wir dann nicht in diesem Durcheinander
wären, dachte Dana. Sie stöhnte vor Erregung und Scham, als seine Zunge ihren
schlüpfrigen Weg um ihre Brustwarzen nahm und seine Finger in ihre Feuchtigkeit
tauchten.
Sie
setzte sich ein wenig auf, um ihm seine Unterhosen auszuziehen und umfasste
seine Erektion mit der Hand, die seidene Härte sanft drückend. Er seufzte und
stützte sich auf seine Ellbogen, um in sie einzudringen.
Dana
hörte sich mit keuchender Stimme sagen, "Nein."
"Nein?"
Er blinzelte sie verwirrt an.
Sie
kroch unter ihm hervor und stützte sich auf ihre Hände und Knie, ihren Po in
die Luft hebend.
"Oh
Gott, Dana, was ist in dich gefahren?"
Sie
wusste es selbst nicht. Sie hatten es nie zuvor so gemacht, in all ihren Jahren
zusammen. Es war ihr nicht einmal wirklich in den Sinn gekommen, vor dieser
Nacht.
"Du
bist erstaunlich," sagte er und rutschte ans
Bettende.
Sie
packte die Laken unter ihren Fingern und wartete auf ihn.
Und
dann war Johns Mund an ihr, leckte ihre Säfte, als wäre sie eine exotische
Frucht. Ihr Rücken krümmte sich, bis ihre Stirn die Laken berührte, als sie
begann, kleine schnurrende Töne, hervorgerufen durch das Gefühl seiner Zunge,
von sich zu geben. John hatte sich schwer getan mit Oralsex in ihrer ersten
Zeit, aber mit der Zeit hatte er gelernt, ihr einfach zu geben, was sie wollte.
Aber
ihr verräterischer Geist wandte sich gegen sie und stürzte sie in eine
Phantasie darüber, wie es wäre, wenn die Dinge anders wären.
...
sie kommen gleichzeitig an der Wohnungstür an, beide in ihren Anzügen und zu
Hause von der Arbeit. Sobald sie drinnen sind, ergreift Mulders Mund von ihrem
Besitz in einem drängenden Kuss voller Verlangen. "Ich habe den ganzen Tag
an dich gedacht," sagt er.
Sie
stolpern ins Schlafzimmer und sie zieht ihr Jackett aus und beginnt, ihre weiße
Bluse aufzuknöpfen.
"Keine
Zeit dafür," sagt er, schiebt ihren Rock hoch und
zieht ihr ihre Strumpfhosen aus. Während er ihren Slip auszieht, öffnet sie den
Reißverschluss seiner grauen Hosen und er atmet schwer aus, als seine Erektion
aus dem Schlitz seiner Boxershorts springt.
Mulder
drückt sie spielerisch aufs Bett und sie landet mit dem Gesicht nach unten,
ihre Beine zittern in Erwartung.
Es
gibt kein Vorspiel, keine Feinheiten zu Beginn, nur das unglaubliche Gefühl
seiner Länge, die in sie gleitet. Sie balanciert auf ihren Ellbogen und bäumt
sich nach hinten auf, um seine harten Stöße zu empfangen. Ich liebe dich, denkt
sie, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.
Seine
Finger schlängeln sich herum und finden ihre Klitoris und ein erstickter Ton
kommt aus ihrer Kehle.
"Mehr," schreit sie und presst gegen seine Finger. "Gib
mir mehr."
Als
sie kommt, ist es keine leise Sache. Die Töne, die sie von sich gibt, sind so
kräftig, wie die Explosion, die durch ihren ganzen Körper schießt...
Und
dann war sie zurück auf ihrem eigenen Bett, blinzelte überrascht und fühlte
noch die letzten Wellen ihres Orgasmus und stieß immer noch hervor, "Liebe
dich, liebe dich, liebe dich."
"Ich
dich auch," keuchte John hinter ihr und stieß
schneller in sie.
Er
verbarg sein Gesicht in ihrem Nacken, als er kam und mit kleinen manischen
Stößen gegen sie drückte, und dann war John still.
Dana
hob ihr Gesicht von der Matratze und erkannte, dass sie feucht war von ihren
Tränen. Die Scham, von Mulder zu träumen, während sie mit John schlief, drohte
sie in hilflosem Schluchzen zusammenbrechen zu lassen, aber sie schluckte
schwer und zwang sich, sich zusammenzureißen.
Sie
lagen Seite an Seite und küssten sich sanft. "Das war unglaublich," sagte John, immer noch schwer atmend. "Ich habe
dich niemals vorher so... wild gesehen.
Du musst mich wirklich vermißt haben, hmm?"
Sie
nickte. John hatte recht. Im Bett war sie gewöhnlich passiv und überließ ihm
die Führung. Er hatte sich nie beschwert, aber nun fragte sie sich, ob er sie
jemals so gewollt hatte, so vollkommen ungehemmt.
"Du
steckst immer voller Überraschungen, Dana. Gerade wenn ich denke, ich kenne
dich..."
Ich
könnte dich wirklich bis zum geht nicht mehr überraschen, dachte sie mürrisch.
Aber ich werde es nicht. Nicht jetzt, niemals.
Wie
immer schlief John fast augenblicklich ein. Sie konnte nicht, ihr Verstand
arbeitete weiter mit grausamen kleinen Schuldgefühlen.
Sie
entwand sich seinen Armen, aber John schlief weiter, erschöpft von der Reise
und von wildem Sex.
Im
Bad nahm sie eine kurze, heiße Dusche, dann wickelte sie sich in ihren
Bademantel und ging ins Wohnzimmer. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Sie machte sich eine Tasse grünen Tee,
schaltete den Computer ein und klemmte sich das Verbindungskabel hinter das
Ohr.
Sie
wusste nicht genau, warum sie ihren Mailserver kontrollierte. Es würde keine
Nachricht von Mulder da sein, soviel war sicher. Sie hatten sich an jenem
Morgen definitiv Lebewohl gesagt.
Dennoch
war sie enttäuscht, als sie nichts von ihm in ihrem Posteingang fand.
Sie
hatte das Gefühl, als stünde sie neben sich und beobachtete sich selbst, als
sie die Koordinaten für Mulders Netspace eintippte. Ihr Net Tracker sagte ihr,
dass er nicht online war, aber sie ging trotzdem hin.
Dana
stand vor der Tür zum Netspace und fragte sich, ob die Software es ihr erlauben
würde, einzutreten. Sie machte einen Schritt nach vorn, wurde von der
Dunkelheit verschlungen und dann war sie am Strand.
Diesmal
lag der Strand im Dunkeln, das einzige Licht kam vom Vollmond über dem Wasser
und dem dichten Himmelszelt darüber mit den leuchtenden Sternen. Sie sah sich verblüfft um. Es war tatsächlich
derselbe Strand, wie der, den sie in der Nacht zuvor in ihrem Traum gesehen
hatte.
Wie
merkwürdig Träume waren...
Dana
zog ihre virtuellen Schuhe und Socken aus und ging über den platschenden,
feuchten Sand, die kühlen Wellen umspielten ihre Füße.
Nach
einer Weile begann sie zu weinen.
Sie
wunderte sich, wie real Tränen im Cyberspace waren.
Als
sie die Verbindung schließlich beendete und sie sich in ihrem Wohnzimmer
wiederfand, war ihr Gesicht feucht.
xxxxxxxx
Als
der Vormittag in den Nachmittag überging, saß Dana in ihrem kleinen Büro und
brütete über einer Rede, die sie auf einem Symposium Ende März halten sollte.
Sie sprach nicht unbedingt gern öffentlich vor großem Publikum, aber
gleichzeitig freute sie sich auf die Reise mit Meghan zu der Konferenz nach London.
Teile der Stadt, einschließlich des Buckingham Palace hatten entweder die
Zerstörungen der Invasion überstanden oder waren wieder aufgebaut worden und
sie hatte bereits Seiten aus einem Londoner Stadtführer in ihren
Handflächencomputer heruntergeladen. Meghan konnte es nie lassen, sie wegen
dieser Art übertriebenem Verhalten zu necken.
Nun
versuchte sie, sich für einen Spaß als Eröffnung der Rede zu entscheiden. Sie
hob den Kopf, als es an der halb geschlossenen Tür klopfte. "Herein," rief sie.
Meghan
steckte ihren Kopf herein. "Dana - Fred, Jenny und ich gehen nach unten in
den Imbiss zum Essen. Möchtest du mitkommen?"
Sie
schüttelte den Kopf. "Das ist die einzige Chance, die ich in dieser Woche
habe, an meiner Rede zu arbeiten. Ich werde später etwas essen."
Ihre
Partnerin schmollte scheinbar. "Bist du sicher? Wir haben heute noch gar
nicht richtig miteinander gesprochen."
"Zu
viel zu tun." Dana nahm ihre Brille ab und rieb sich die Augen.
"Okay,
in Ordnung. Aber vergiss nicht, dass wir die letzten Ergebnisse um drei mit
Fred durchgehen."
"Ich
werde da sein."
Mehr
Kaffee, dachte sie, nachdem Meghan gegangen war, und goss sich noch eine Tasse
aus der Thermoskanne ein. Sie litt an chronischer Schlaflosigkeit und nur
massiver Koffeingenuss erlaubte ihr, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Dana
malte sich kurz eine Woche in einem ausgefallenen Hotel aus, allein und weit
weg von ihren Problemen und Konflikten, mit nichts anderem als Kauffilmen auf
dem Telebildschirm und Schlaf in einem bequemen Bett. Aber das würde nicht
passieren. Es war zu viel zu tun.
Es
klopfte wieder an die Tür. "Meghan," sagte
sie mit einem kurzen Lachen.
"Ich
*sagte* dir, dass ich an meiner Rede arbeiten muss."
"Ist
es ein schlechter Zeitpunkt, Dana?"
Das
Blut wich aus ihrem Gesicht und für einen scheußlichen Moment fürchtete sie,
ohnmächtig zu werden.
Oh.
Mulder. Was zur Hölle tat er hier?
Er
kam herein und schloss die Tür hinter sich. Ihre Augen tranken seinen Anblick -
der nervöse Ausdruck auf seinem Gesicht, die Art, wie seine Finger den Griff
seiner Aktentasche umklammerten.
"Es
tut mir leid, dass ich hier einfach so hereinplatze, aber ich hatte eine
Zusammenkunft über die Straße." Er legte seine Aktentasche auf ihren
Schreibtisch und öffnete sie. "Du hast dein Geburtstagsgeschenk vergessen,
als du gegangen bist."
Sie
schloss eine Sekunde die Augen und ließ den Schmerz jenes Morgens durch ihren
Körper ziehen. Dana berührte ihre Wange. "Ich kann nicht glauben, dass ich
es vergessen habe."
Dana
stand von ihrem Stuhl auf und er gab ihr das in schwarzes Leder gebundene Buch.
Für einen Moment berührten sich ihre Finger und ein Zittern durchlief sie
dabei.
"Ich
wollte, dass du es bekommst." Als Mulder sich umdrehte, um zu gehen,
streifte sein Blick das gerahmte Foto auf ihrem Bücherregal. Es war ein Foto
von John, Julia und Dana, aufgenommen an Julias zweitem Geburtstag. Dana zündete die Kerzen auf dem
Geburtstagskuchen an und John hielt Julia auf seinem Schoß, während das kleine
Mädchen kicherte und versuchte, nach den Kerzen zu greifen.
Mulder
starrte einen langen Moment auf das Foto. "Also das ist John," sagte er leise.
Sie
nickte.
Richtig,
John und Mulder hatten sich nie getroffen. Vielleicht war es gut für Mulder,
das Foto von John zu sehen, um den Mann in ihrem Leben für ihn so real zu
machen, wie es Sarah für Dana war.
Er
drehte sich zu ihr um und seine Augen waren unendlich traurig. "Wie geht
es dir, Dana?"
Sie
zuckte mit den Achseln. "Ich bin in Ordnung."
Er
trat ein paar Schritte näher, nahe genug, dass sie ihn riechen konnte oder sich
wenigstens einbildete, dass sie es könnte. "Ich nicht,"
sagte er matt. "Mir geht es nicht sehr gut."
Dana
überwand die Entfernung zwischen ihnen mit zwei Schritten. Sie sah in sein
schönes, trauriges Gesicht.
"Es
braucht Zeit, Mulder."
Er
nahm ihre Hände in seine. Seine Hände waren so warm, so warm wie sein Körper in
der Mitte der Nacht. "Ich weiß nicht, ob ich dich vergessen kann oder ob
ich es überhaupt will."
"Wir
müssen," sagte sie mit - wie sie hoffte -
Vehemenz, aber gleichzeitig erhob sich ihr rebellischer Körper, um ihn zu
küssen.
Nichts
hatte sich in den letzten paar Tagen geändert, ihn zu küssen war noch so
aufregend und erfüllend wie immer. Mulder zu küssen war alles, jeder Kuss, den
sie mit John geteilt hatte, schien dagegen flach und kalt. Ihr Mund öffnete sich für ihn und sie
wimmerten beide leise, als sich ihre Zungen trafen.
Ihre
Hände zogen seinen Körper enger an sich, seine Körperwärme strahlte in ihren,
seine Erektion schien sie zu verspotten, indem sie sich fest gegen ihren Bauch
presste. Sie wollte am liebsten die Tür verriegeln, damit sie ihn wieder haben
konnte, um sich selbst für einen kurzen Augenblick darin zu verlieren, Mulder
zu lieben. Oder besser noch, den Nachmittag im Cascade Falls verbringen, eingehüllt
in die Laken und in einander, um ihre Geheimnisse zu teilen.
Ich
liebe John nicht, dachte sie verrückt, nicht so. Ich
liebe ihn wegen der gemeinsamen Geschichte und Verantwortung und wegen seiner
angeborenen Güte, aber ich werde niemals in der Lage sein, ihn so vollständig
zu lieben. Niemals.
Mulder
wich schwer atmend zurück und wischte sich mit dem Handrücken ihren Lippenstift
von seinem Mund. "Wir können das nicht tun,"
sagte er mit heiserer Stimme. "Wir können es nicht heimlich tun. Das will
ich nicht."
Sie
senkte beschämt den Kopf. "Es tut mir leid. Es ist ganz klar, dass wir uns
wirklich nicht allein treffen können."
"Ich
weiß nicht, was wir tun sollen," sagte er.
War
das nicht der Refrain, der ihre Beziehung durchlief?
"Wir
müssen John und Sarah eine Chance geben. Das sind wir ihnen schuldig."
Er
nickte.
Wenn
sie nur weniger edel sein und einfach ihre Fesseln abschütteln und zusammen
sein könnten.
"Ich
hoffe, wir können es," sagte er und blinzelte
seine Tränen fort.
"Ich
auch."
Er
ergriff seine Aktentasche und verließ ohne ein weiteres Wort ihr Büro.
Dana
setzte sich wieder hin und beobachtete ihre zitternden Hände in ihrem Schoß.
Sie hatte nicht die Zeit, um zu weinen, sie musste eine Rede schreiben.
Sie
nahm einen weiteren Schluck heißen Kaffee und befahl sich selbst, an die Arbeit
zurück zu gehen.
xxxxxxxx
Die
U-Bahn war an diesem Abend voll, aber sie schaffte es nach zwei Haltestellen,
sich in einen harten Plastiksessel zu quetschen. "Vorsicht bitte, die
Türen schließen," erklang die melodische Stimme
aus den Lautsprechern. "Die nächste Station ist Binghamton Crossing."
Dana
beobachtete die anderen Menschen in der Bahn träge. Einige sahen entspannt und
glücklich aus, unterhielten sich oder lasen, andere schienen gestresst zu sein.
Sie fragte sich, ob sie so depressiv und abgespannt aussah, wie sie sich
fühlte.
Sie
wühlte in ihrer Tasche, bis sie dieses Buch gefunden hatte. Welch ein
großartiges Geschenk. Schmuck und Parfüm waren nett, aber sie hatte niemals
etwas so bedeutungsvolles wie das erhalten. Mulder hatte einfach die
unheimliche Fähigkeit, sie zu erkennen, zu wissen, was ihr Herz brauchte.
Dana
öffnete das Buch und berührte das dicke, ein wenig raue Papier. Papier wurde
nicht mehr so wie dieses gemacht. Es gab keinen Bedarf mehr, weil fast alle
Informationen elektronisch übermittelt wurden.
Da
stand etwas auf der zweiten Seite geschrieben. Sie unterdrückte ein kleines
Keuchen, was den Mann, der neben ihr saß, dazu brachte, sie neugierig
anzusehen.
Der
Text war in schwarzer Tinte auf die cremefarbenen Blätter geschrieben in einer
kleinen und eckigen Handschrift. Sie wusste, es war Mulders Handschrift, obwohl
sie sie nie zuvor gesehen hatte.
Furcht
mischte sich mit Aufregung, als sie die Worte lass, die dort geschrieben
standen.
Sehnsucht
Ich
sehne mich nach deinem Mund, deiner Stimme, deinem Haar.
Schweigend
und hungernd durchstreife ich die Straßen.
Brot
wird mich nicht nähren, die Dämmerung stört mich, den ganzen Tag
suche
ich nach dem hellklingenden Takt deiner Schritte.
Ich
bin hungrig nach deinem weichen Lachen,
deinen Hände in der Farbe
wilder Ernte,
hungrig
nach den weißen Kernen deiner Fingernägel, ich will deine Haut essen wie eine
ganze Mandel.
Ich
will den Sonnenstrahl essen, der in deinem wunderbaren Körper flackert,
die
souveräne Nase in deinem überheblichen Gesicht, ich will den flüchtigen
Schatten deiner Lider essen und ich wandere hungrig umher und schnüffle im
Zwielicht und suche nach dir, nach deinem heißen Herzen, wie ein Puma in der
Einöde von Quitratue.
Pablo
Neruda
Es
gibt keinen Grund, keine Entschuldigung für unsere Liebe, Dana, aber sie ist
unbestreitbar da. Wir haben unsere Entscheidung getroffen und sind
entschlossen, sie zu respektieren, aber es ändert nichts an der Art, wie ich
fühle und ich vermute, dass es dir genauso geht.
Die
Nacht, die wir zusammen verbracht haben, wird die strahlende Erinnerung meines
Lebens bleiben.
In
Liebe
M
Februar
2004
Als
sie das Gedicht zu Ende gelesen hatte, schloss sie das Buch und wandte ihren Kopf
herum, um auf die U-Bahn-Wände aus Beton zu starren, die vorbeirauschten, ohne
dass sie sie wirklich sah.
‚Die
souveräne Nase in deinem überheblichen Gesicht.' Sie berührte ihre Nase, die
sie überhaupt nicht mochte, und lächelte.
Mulder,
ich wusste nie, wie allein ich war, bis ich dich traf.
"Wir
erreichen nun Morningside Heights. Bitte Vorsicht auf der Plattform."
Die
helle und überfüllte U-Bahn-Station überfiel ihre Sinne, sobald sie den Zug
verließ. Ein stämmiger Mann in einem Trenchcoat rempelte sie an, als er an ihr
vorbeiging und sie verdrehte sich beinahe den Knöchel, als sie gegen einen
Abfalleimer fiel. Ich muss hier raus, dachte sie, biss die Zähne zusammen und
stürzte durch die Menge, vorbei an den leuchtenden Mosaikwänden, die
umhertobende Kinder zeigten.
Sie
hatte beinahe den Fahrstuhl erreicht, als sie merkte, dass eine Welle von
Übelkeit in ihr aufkam, und sie sah unzählige winzige goldene Sterne vor ihren
Augen blinken. Nicht schon wieder, dachte sie außer sich, aber ihr Magen zog
sich heftig zusammen und sie rannte zur nächstgelegenen Toilette.
Es
war trotzdem zu spät. Sie schaffte es nur bis zum Abfallbehälter vor den
Toiletten, bevor sie ihren Mageninhalt von sich gab. Scham brannte in ihr, als
sie die Blicke der vorübereilenden Passanten auf sich spürte, während sie sich
übergab.
Nachdem
sie den Kopf von dem Abfalleimer gehoben hatte, sah sie eine vertraute Gestalt
neben sich stehen.
"Heiliger
Mist," sagte Evan flüsternd. "Bist du in
Ordnung, Dana?"
Sie
schüttelte den Kopf und spürte, wie die Migräne an Stärke zunahm.
Er
fasste sie am Ellbogen und führte sie zu einer Reihe von Plastiksitzen. "Ich bin gleich zurück,"
sagte Evan und lief davon, seine Lederjacke flatterte hinter ihm her.
Dana
schloss die Augen und versuchte zu atmen, als sich der Schmerz ausweitete.
Evan
kehrte mit einem Stapel Papierservietten und einer Flasche Wasser zurück, die
er an dem kleinen Erfrischungsstand gegenüber gekauft hatte. Sie versuchte, dankbar zu lächeln und tastete
herum, um den Verschluss zu öffnen. Er wollte sich unter ihren Fingern nicht
bewegen und sie schrie beinahe auf vor Frustration.
Ihr
unwahrscheinlicher Retter drehte geschickt den Deckel auf und gab ihr die
Flasche, sie nahm einen langen Schluck und versuchte, den sauren Geschmack des
Erbrechens aus ihrem Mund zu waschen.
"Hast
du irgend etwas gegessen, das dir nicht bekommen ist?" fragte er.
Sie
schüttelte den Kopf und bemerkte, dass Evan, seit sie ihn das letzte Mal
gesehen hatte, seine Zöpfe aufgelöst hatte und nun leuchtend rote Afrolocken
trug, versetzt mit bunten Bändern und Perlen. Sie brauchte eine Liste, um mit
seinen ständig wechselnden Frisuren mitzukommen.
"Migräne," erklärte sie achselzuckend. "Die kriege ich
manchmal."
"Lass
uns dich nach Hause bringen," sagte er und half
ihr aufzustehen.
Der
Weg zu ihrem Wohnhaus, das nur zwei Blöcke entfernt war, schien eine Ewigkeit
zu dauern mit ihrem rebellierenden Magen und dem Pochen in ihrem Kopf. Evan war
rücksichtsvoll, passte sich ihrem Schritt an und hakte sie unter, um sie zu
stützen.
Im
Fahrstuhl taumelte sie gegen die Wand und wünschte, die blöde klassische
Schmusemusik würde einfach aufhören.
Evan
brachte sie an ihre Tür. "Ich hoffe, es geht dir bald besser, Dana?"
"Danke,
dass du mich gerettet hast." Sie drückte seinen Arm, küßte ihn auf die
Wange und sah seinen verlegenen Gesichtsausdruck.
"Dabei
fällt mir ein, es tut mir leid, dass ich vergessen habe, nach deinem Freund zu
sehen. Ich versuche es, so schnell es geht."
"Mach
dir darum keine Gedanken." Mulder war nun gegangen. Sie konnte ihn nie
wieder sehen. Was in ihrem Büro passiert war, hatte das vollkommen klar
gemacht.
Die
Tür ging auf und John erschien, bereits in seiner Hausbekleidung. Sein Gesicht
wurde blass, als er Dana sah. "Bist du in Ordnung?"
Die
Übelkeit kam wieder und sie rannte an ihm vorbei ins Badezimmer. Auf dem Weg
dahin hörte sie Evan, der von der U-Bahn-Station und ihrer Migräne berichtete.
Sie
stolperte aus dem Badezimmer, drückte auf ihren Migranex-Inhalator und
schleuderte gleichzeitig ihre Schuhe von den Füßen. John stand vor dem Bett mit
Julia auf dem Rücken. "Wieder eine, hä? Wann war deine letzte
Migräne?"
Sie
legte die Tube auf den Nachttisch und begann, ihre Bluse aufzuknöpfen.
"Erst
vor ein paar Tagen."
"Versprich
mir, dass du morgen früh den Doktor anrufst."
Sie
nickte und warf ihre Bluse auf den Boden. Normalerweise würde sie die Bluse
entweder in den Wäschekorb tun oder in den Kleiderschrank hängen, damit sie
nicht knitterte, aber der Schmerz war so schlimm geworden, dass es sie einfach
nicht interessierte, was damit geschah. John setzte Julia herunter und reichte
Dana einen Flanellpyjama.
Er
küßte sie auf den Kopf. "Ruh dich aus,"
murmelte er. "Ich werde versuchen, Julia ruhig zu halten."
"Ist
Mami krank?" flötete Julia.
"Nur
ein bisschen," sagte John. "Warum gehen wir
nicht und machen Quesadillas?"
Nachdem
sie sich umgezogen hatte und ins Bett gegangen war, spürte Dana, wie die
drogenbedingte Betäubung einsetzte, aber der Schmerz schien nicht weniger zu
werden. Stattdessen hatte sie das Gefühl, als würde ihr Kopf in tausend Stücke
zerspringen.
Atme,
atme einfach.
Schmerz,
Schmerz, geh weg , komm ein anderes Mal wieder.
Regen,
Regen geh weg, komm ein anderes Mal wieder. Missy und ich singen es auf dem Weg
von der Schule zur CCD und rennen durch die Pfützen, bis unsere Hosen nass
sind. Mom wird böse sein, aber es macht Spaß, in eine große Pfütze zu springen
und Missy vollzuspritzen. Sie schreit mich an und stampft ihre Schuhe auf und
spritzt mich auch voll.
Regen
läuft an den Fenstern herab, als ich mich auf der Couch zusammenrolle, im Ofen
ein Feuer, und versuche, den Schmerz auszuhalten, darauf wartend, dass die
Schmerztabletten helfen.
Kann
ich dir mein Geheimnis erzählen?
In
meiner Tasche ist eine Seitentasche mit einem Reißverschluss und darin befindet
sich eine Plastikschachtel mit fünfundsiebzig Schmerztabletten. Ich habe sie heimlich zur Seite gelegt, ich
kann niemandem davon erzählen.
Wenn
es zu schlimm wird, wenn ich nicht mehr damit umgehen kann, gehe ich mit der Tasche
in ein Hotel. Ich miete mir ein Zimmer, gieße mir ein schönes Glas Wein ein und
dann schlucke ich sie, Pille für Pille.
Ich
tue es nur, wenn ich muss. Ich muss in Würde sterben.
Ich
habe bereits meinen Brief an dich geschrieben.
Gott
wird mir vergeben, das weiß ich. Ich kann nicht glauben, dass er es will, dass
ich am Ende leide, blind werde, meine motorischen Funktionen verliere, ein
hilfloses Geschöpf werde, das ans Bett gefesselt ist und das der Eindringling
von innen auffrisst. Gott kann nicht so grausam sein.
Ich
werde bis zum Ende kämpfen, aber in dem Moment, wo der Kampf verloren ist,
werde ich loslassen.
Ist
es wie schlafen?
Bleib
heute nacht, bleib bei mir. Morgen früh kannst du in
dein Zimmer gehen und dein Bett unordentlich machen, als hättest du tatsächlich
darin geschlafen. Ich weiß, dass es gegen geheime Regeln verstößt, aber bleib
bei mir.
Hey
Scully, wusstest du, dass das Wort für ‚küssen' im Romanischen, der Sprache der
Zigeuner, wörtlich meint ‚essen'? Wenn sie sagen wollen ‚ich möchte dich
küssen', sagen sie ‚ich möchte dein Gesicht essen'.
Muss
ich diese Information wirklich haben?
Ich
will dein Gesicht essen. Ich will deine Lippen, deinen Hals, deine Brüste
essen.
Wusstest
du, dass du im Schlaf sprichst?
Dad,
du hast ihn niemals getroffen, aber ich wünschte, du hättest es getan. Ich weiß, dass du meine endgültige
Entscheidung missbilligt hast, den Weg, dem ich beschlossen hatte, zu folgen,
aber ich glaube, dass du gleichzeitig stolz auf mich warst. Und ich glaube, du
hättest ihn lieben gelernt. Natürlich
ist er nicht wie du, aber hat dieselbe Geistesstärke. Und er liebt mich. Er
liebt mich auf eine Art, wie es Jack und Ethan niemals konnten, mit absoluter
Bedingungslosigkeit. Und ich liebe ihn vollkommen, weil Mom und dich über die
Jahre zu beobachten mich gelehrt hat, das so etwas möglich ist.
Es
ist nicht möglich. Ich glaube es nicht.
Die
Welt wird nicht untergehen.
siekommensiekommensiekommen...
Steh
auf, steh auf, wir müssen laufen, es ist zu spät, wir müssen uns Vorräte nehmen
und uns verstecken und tun, was wir können, um zu überleben.
Zwei
Tage und zwei Nächte und hier endet alles.
Erinnerst
du dich an dieses eine Mal, als wir uns aus dem Staub gemacht haben? Das
Wochenende in New York, als wir glücklich in der Anonymität der Menge waren,
laufende Fälle ignorierten, in überteuerten Bistros in Choucroute aßen und
zuviel Wein tranken und jede Nacht in unser Zimmer im Plaza zurücktaumelten, um
uns zu lieben. Die Art, wie der Raum roch, nachdem wir erwachten und den
Zimmerservice bestellten, nach Rosen und heißem Kaffee und Zeitung und unserem
Schweiß und unserer Liebe in den Laken.
Erinnerst
du dich?
Ich
erinnere mich.
Vergib
mir, Vater, denn ich habe gesündigt. Es sind mehr als fünf Jahre vergangen seit
meiner letzten Beichte. Ich habe mich der Sünde des Ehebruchs hingegeben. Ich
habe mich in einen Mann verliebt, der nicht mein Ehemann ist. Ich habe
gesündigt, aber ich liebe ihn, Vater. Er will meine Geheimnisse kennenlernen
und ich möchte seine kennenlernen.
Wenn
ich versuchen würde, dir davon zu erzählen, würdest du überhaupt zuhören?
Warum
kannst du nicht verstehen, dass ich mich erinnern muss?
Sprich
das Gebet der Reue und bete zehnmal den Rosenkranz, Dana. Bitte Gott um
Vergebung.
Ich
weiß nicht, ob ich will, dass mir vergeben wird. Ich weiß nicht, ob mir
vergeben werden muss.
Wir
werden zusammensein im nächsten Leben, ich verspreche es.
Ich
möchte glauben, Scully.
Ich
sehe auf das zerstörte Land unter mir und frage mich, warum es solange gedauert
hat, bis ich glaubte.
Als
ich erwache, huste ich.
Ich
möchte, dass mich meine Mutter ins Bett bringt mit einem Löffel voll Robitussin
und einem Heizkissen. Und wenn ich aufwache, möchte ich ihre Hühnernudelsuppe
und ihre warme Hand auf meiner Stirn.
Nicht
heute Nacht, Scully, es ist noch nicht die Zeit, lass uns einfach einander warm
halten, bitte, für mich, noch eine Nacht, ich möchte noch einen Morgen mit dir
erleben.
Leg
die Waffe weg.
Leg
die Waffe weg, du bist stärker als das. Sie Bastard! Ich schlage mit der Hand
so fest auf den Tisch, dass ich befürchte, ich habe mir einen Knochen
gebrochen, aber ihre Konzentration wird nicht erschüttert, sie sind auf den Tod
konzentriert. Lass dich nicht treiben, du bist stärker als das.
Oh
Gott, kannst du es hören? Kannst du es kommen fühlen? Die Erde zittert unter
uns.
Halt
meine Hand, das ist es.
Irgendwie
wusste ich immer, dass wir zusammen sterben. So stark wir auch sind, es gibt
keinen Weg, dass einer ohne den anderen überleben kann. Kannst du dir so eine Existenz überhaupt
vorstellen?
Wir
werden zusammen sein im nächsten Leben.
Es
kommt.
Das
vorher war nur eine Kostümprobe. Es war einfach Vandalismus. Das hier ist das
wahre Ding.
Sieh,
der Himmel, wie schön. Es ist einfach... wunderbar...
Halt
meine Hand.
Das
ist es.
Wir
gehen genau hier unter.
Es
fühlt sich so intim an.
Wir
gehen zusammen unter.
Licht
auf ihrem Gesicht scheuchte Dana auf und sie fühlte Johns Hand auf ihrer Wange.
"Was?" murmelte sie, der Schmerz tobte noch heftig in ihrem Schädel.
"Steh
auf, Honey," sagte er mit sanfter Stimme.
"Wir müssen dich zum Doktor bringen."
Sie
schüttelte den Kopf wie ein störrisches Kind. "Ich brauche keinen Doktor,
ich bin..."
John
unterbrach sie. "Du blutest."
Sie
hob ihre Hand an ihr Gesicht und führte sie instinktiv an ihre Nase.
Als
sie die Hand wegnahm, sah sie, dass sie rot von Blut war.
xxxxxxxx
Später
konnte sich Dana nicht mehr an allzu viel von der Fahrt mit dem Taxi in die
Notaufnahme erinnern. Sie hatte nur eine flüchtige Vorstellung davon, wie sie
ein Bündel Taschentücher an ihre Nase presste und versuchte, gleichmäßig unter
dem pochenden Schmerz zu atmen. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern,
dass John und Julia mit ihr im Auto gewesen waren, oder welche Route sie
gefahren waren.
Die
Dinge wurden klarer, als sie die Klinik erreichten. Das Wartezimmer war fast
leer, aber der diensthabende Krankenpfleger sagte ihnen, nachdem er sie kurz
untersucht hatte, dass sie womöglich lange warten müssten. "Es tut mir
leid," sagte er und zuckte entschuldigend mit
seinen breiten Schultern. "Wir sind
unterbesetzt heute Nacht und wir haben eine Herzattacke, einen Fall von
Brandverletzung und eine Überdosis Tabletten."
Sie
ließen sich in ihren Sitzen nieder, John legte die schlafende Julia auf zwei
Stühle, ihr kleines Gesicht vergrub sich in dem Kissen, das der Pfleger ihnen
gegeben hatte. Es war erst kurz nach vier Uhr morgens und John hatte niemanden
von ihren Freunden wecken wollen, um auf Julia aufzupassen.
Dana
kam sich ziemlich albern vor, in ihrem Pyjama in der Klinik zu sitzen, nur ein
Jackett darüber. Sie formte die Taschentücher in ihrer Hand zu einem Ball. Die
Blutung hatte aufgehört. Es war kein heftiger Strom von Blut aus ihrer Nase
gewesen, nur ein kleines Rinnsal auf dem Weg zur Klinik.
Sie
wusste nicht, warum dieses Nasenbluten sie mit einem schleichenden Gefühl der
Angst erfüllte. Sie war Ärztin und daran gewöhnt, Blut zu sehen. Zugegeben, sie war Forscherin und nicht
eingebunden in die erste Hilfe für Patienten, aber sie konnte sich an eine Zeit
erinnern, in der sie als forensische Pathologin gearbeitet und die Toten
aufgeschnitten hatte, ohne darüber nachzudenken.
Der
Schmerz in ihren Schläfen hatte endlich etwas nachgelassen, genug, dass sie
wieder zusammenhängend denken konnte. Obwohl der Warteraum so gestaltet worden
war, dass er so fröhlich wie möglich wirkte, mit Aquarien in den Wänden,
bequemen Sesseln in pflaumenfarben und königsblau und einem Regal voller
Spielsachen für Kinder, fand Dana ihn deprimierend. Da war ein älteres Paar in
der Ecke, das die Köpfe zusammensteckte und in einem verzweifelten Ton
miteinander flüsterte. Ein schmerzvolles Stöhnen erklang vom Gang und der Raum
roch nach Desinfektionsmitteln.
John
entschuldigte sich und ging fort, um einen Telefonanruf zu machen, zweifelsohne
erwartete er einen langen Morgen in der Klinik und machte Pläne für Julia und
verlegte frühe Zusammenkünfte via Messenger.
Sie
fragte sich, ob es John schon in den Sinn gekommen war, dass das hier der Ort
war, wo sie nach ihren zwei Fehlgeburten hingebracht worden war. Beide Male war sie arbeiten gewesen und
plötzlich hatte sie starke Blutungen bekommen, beide Male war sie mit der
Ambulanz her und rasch in eine Kabine gebracht worden, nur um vom Arzt gesagt
zu bekommen, dass es zu spät war - das Baby konnte nicht gerettet werden. Dana
streckte die Hand aus und streichelte über Julias feines Haar, ihre
Überlebende, diejenige, die lange genug durchgehalten hatte, um leuchtend rosa
und schreiend vor Schmach darüber aufzutauchen, in die kalte, strahlende Welt
des Kreißsaales gezwungen zu werden.
Es
war vor diesen Glastüren gewesen, dass ein Krankenpfleger sie nach ihrer
zweiten Fehlgeburt zu einem wartenden Taxi gefahren hatte, John an ihrer Seite.
Blass und immer noch schwach hatte sie schweigend im Auto gesessen, aus dem
Fenster gestarrt und sich zerstört gefühlt durch ihre Unfähigkeit, dieses Baby
zu behalten.
John
hatte ihre Hand getätschelt und sie angelächelt. "Es wird gut werden,
Dana. Wir werden es einfach noch einmal versuchen."
Sie
hatte geschaudert und sich zurückhalten müssen, um ihn nicht anzuschreien. Noch
einmal versuchen? Sie konnte das nicht noch einmal tun, noch einmal auf einem
Tisch liegen für einen weiteren Eingriff, betäubt durch Sedativa, während der
Gynäkologe die Reste ihres Babys aus ihrem Uterus kratzte.
Nie
wieder.
Sechs
Monate später fuhren sie in die Fortpflanzungsklinik für eine weitere Runde
Invitro-Befruchtung.
"Dana
Scully?"
Sie
sah auf und sah Rebecca Haugen, die Notärztin, die sie schon von ihren zwei
Fehlgeburten her kannte, diejenige, die ihr die schlechten Nachrichten schonend
hatte beibringen müssen. Sie fragte sich, ob sich die Ärztin daran erinnern
würde.
Sie
tat es. "Schön, Sie wiederzusehen," grüßte
die kleine, stabile Ärztin.
"Ich
sehe, Sie haben eine schreckliche Migräne."
"Ja," bestätigte Dana und stand ein bisschen zu schnell
auf, weshalb ihr beinahe schwarz vor Augen wurde.
"Vorsichtig," mahnte Rebecca und nahm sie am Arm.
John
kam zurück, setzte sich neben Julia und winkte Dana ein kleines Mach's gut zu.
"Sie
ist ein großartiges Mädchen," meinte Rebecca
lächelnd. "Ich freue mich, dass es bei Ihnen geklappt hat."
Im
Untersuchungszimmer sah sich die Ärztin Danas Krankenakte in ihrem Computer an,
dann untersuchte sie sie schnell aber gründlich und holte ihre letzte
medizinische Geschichte ein. "Was haben Sie gestern gegessen?" fragte
sie.
Dana
bemühte sich darum, sich zu erinnern. "Morgens hatte ich einen Toast und
einen Blaubeerjoghurt. Kein Mittag, ich habe gearbeitet und vergessen, zu
essen."
"Und
was haben Sie getrunken?"
"Äh...
lassen Sie mich nachdenken... morgens eine Tasse Englischen Frühstückstee und
dann Kaffee."
Die
Ärztin zog ihre dunklen Augenbrauen hoch. "Wieviel Kaffee?"
"Ich
bin mir nicht sicher." Dana zuckte mit den Schultern, unfähig sich daran
zu erinnern, wieviel in ihre Kanne passte. "Vier, fünf Tassen, glaube
ich."
"Dana," seufzte Rebecca. "Sie sind Ärztin, Sie sollten
es besser wissen. Mit Ihrer
Migränevergangenheit können Sie nicht mehr als ein, zwei Tassen am Tag trinken,
und auch nur dann, wenn Sie ordentlich essen."
"Ich
war in der letzten Zeit sehr beschäftigt. Ich brauchte die Energie."
"Nun,
Ihre Gesundheit muss an erster Stelle stehen. Jetzt sagen Sie, Ihr
Migranex-Inhalator hat dieses Mal nicht besonders geholfen?"
Dana
schüttelte den Kopf. "Ich habe zwei Dosen genommen, aber der Schmerz blieb
nahezu konstant, auch nachdem ich sie genommen hatte. Ich wurde schläfrig, aber
mein Kopf tut immer noch weh."
"Resistenz
gegen Migranex ist in einigen Journalen beschrieben. Es gibt ein neues
Medikament, Madorex, das war sehr erfolgreich bei schweren Migräneschmerzen
gewesen. Ich werde Ihnen eine Dosis davon verabreichen, aber erst nachdem wir
Ihnen einen Tropf gegeben haben. Sie sind ganz klar dehydriert durch das
Erbrechen und den Verlust an Flüssigkeit."
Sie
fürchtete sich, die nächste Frage zu stellen, aber sie musste es wissen.
"Was ist mit dem Nasenbluten?"
"Nasenbluten
tritt im allgemeinen nicht in Zusammenhang mit Migräne
auf, aber es ist bekannt, dass es mitunter passiert. Extra Druck auf Ihre
Kapillaren... Aber ich habe in Ihrer Akte gesehen, dass Dr. Young bei Ihnen nie
einen kompletten Gehirnscan gemacht hat. Irgendeine Ahnung, warum?"
"Er
sagte, meine vorhandenen Migränebeschwerden wären so bilderbuchmäßig, dass er
mich nicht einem unnötigen Test unterziehen wollte."
Dr.
Haugen lächelte. "Ah ja, sozialisierte Medizin. Obwohl ich wahrscheinlich
dasselbe gemacht hätte. Dennoch, es ist das beste,
bestimmte Dinge auszuschließen. Ich wette einen Wochenlohn, dass Ihre Migräne
vom Kaffee, zuwenig Schlaf und vom Stress herrührt."
Stress
war ein mildes Wort für die letzte Woche in Danas Leben.
Die
Ärztin fuhr fort, "Ich werde die Krankenschwester holen, damit Sie Ihnen
den Tropf gibt und dann möchte ich, dass Sie eine Stunde oder so ruhen, während
wir Sie rehydrieren. Dann bringen wir Sie nach oben zum Scannen. Ich möchte
Ihnen das Schmerzmittel erst nach dem Test geben, weil es Sie für ein paar
Stunden außer Gefecht setzen wird." Sie drückte kameradschaftlich Danas
Schulter. "Denken Sie, dass Sie den Schmerz noch ein bisschen länger
ertragen können?"
Dana
nickte. "Es ist nicht mehr so schlimm wie vorher."
"Gut," sagte Rebecca und verließ den Raum.
Dana
lag im Bett und lauschte den Klinikgeräuschen um sie herum, aus dem Tropf lief
klare Flüssigkeit in eine Vene an ihrer linken Hand. Die Monitore piepten und
durch den Lautsprecher erklang die Ansage "Dr. Patel zur Radiologie,
bitte. Dr. Patel zur Radiologie."
Je
besorgter sie wurde, desto schlimmer wurden die Schmerzen, das Stechen in ihren
Schläfen. Fahr dieses Adrenalinsystem herunter, sagte sie sich, hübsch langsam
atmen vom Zwerchfell aus.
Sie
versuchte, sich an ihre unzusammenhängenden Träume, die sie nachts hatte, zu
erinnern, aber sie waren außerhalb ihrer Reichweite, wie alte Liedertexte, an
die man sich nur halb erinnerte.
Ich
möchte mich an etwas Schönes erinnern, dachte sie und starrte die Fliesen an
der weißen Decke an. Ich möchte eine süße Erinnerung und kein beunruhigendes
Aufflackern schmerzhafter Erlebnisse. Ich möchte es ganz und schön...
Dana
schloss ihre Augen und nötigte ihr Gehirn, ihr etwas Greifbares zu bringen.
Nur
dieses eine Mal funktionierte es.
Sie
atmete tief ein und erinnerte sich.
Das
Geschirr ist vom Tisch in den Geschirrspüler geräumt und die Reste des
Truthahns und der Beilagen sind sorgfältig in Tupperware verstaut. Tara und
Sally ziehen ihre Mäntel an und machen einen Spaziergang um den Block, um ein
bisschen Schwägerinnenklatsch auszutauschen. Die Männer nehmen ihren Kaffee und
ihren Kuchen im Wohnzimmer, um das Spiel zu sehen. Dem Geschrei nach zu
urteilen, gewinnen die Redskins.
Ihre
Mutter bringt eine Flasche Baileys und gibt einen ordentlichen Schluck davon in
ihren Kaffee. Sie sitzen an dem großen Holztisch in der Küche, dem Platz jeder
Kindheitsmahlzeit, an die sich Dana erinnern kann.
Maggie
sieht sie mit einem Blick an, der Dana sagt, dass sie ein ‚Gespräch' haben
werden.
"Erzähl
mir von ihm," sagt ihre Mutter und nippt an ihrem
Kaffee.
Dana
grinst. "Das habe ich bereits getan."
"Sweety,
mir fünf Sekunden bevor er und alle anderen eintreffen, zu sagen, dass Ihr ein
Paar seid, bedeutet nicht, mir von ihm zu erzählen."
Sie
bemerkt, wie wundervoll ihre Mutter heute aussieht in ihrem saphirblauen Kleid,
ihr Haar wallend um ihr Gesicht. Während der schrecklichen Jahre, als Melissa
und ihr Vater starben, als Dana vermißt wurde und so krank war, hatte Maggie
oft verhärmt ausgesehen. Jetzt ist ihr Gesicht gerötet und hübsch und sie ist
sichtlich zufrieden, von all ihren Lieben an Thanksgiving umgeben zu sein.
Dana
streckt die Hand aus und schneidet sich ein Stück Apfelkuchen ab. "Was
möchtest du wissen, Mom? Ich meine, du kennst ihn fast so lange wie ich."
"Sicher,
ich kenne ihn. Ich mag ihn. Aber fast immer, wenn ich mit ihm zu tun hatte, war
es eine... kritische Situation." Ein schmerzliches Zucken zeigt sich auf
Maggies Gesicht. "Was ich wissen möchte ist, was er für dich ist, nun wo
ihr zusammen seid."
Dana
bemüht sich, Zeit zu schinden, indem sie vom Kuchen abbeißt und versucht
darüber nachzudenken, was sie ihrer Mutter sagen soll.
Sie
möchte ihrer Mutter nicht davon erzählen, wie sie in dem großen Bett aufgewacht
sind in dem Haus auf Marthas Vineyard nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Sie
öffnete ihre Augen und sah, dass ihre Körper miteinander verschlungen waren wie
bei siamesischen Zwillingen. Ihr Kopf lag auf seiner Brust und sie drehte ihn,
um einen tiefen Zug seines morgendlichen Duftes einzuatmen. Dabei erkannte sie,
dass sie immer gewusst hatte, wie er riechen würde am Morgen, nachdem sie sich
geliebt hatten.
Sie
will ihrer Mutter nicht erzählen, wie überrascht sie gewesen war,
herauszufinden, wie zärtlich sie miteinander sein konnten. Das war zu
persönlich. Sie war sich so sicher gewesen, dass alles, was sie gesehen und
ertragen hatten, all die Süße in ihnen ausgelöscht hatte. Stattdessen fand Dana
heraus, dass sie hinter ihrem zynischen und erschöpften Äußeren eine tiefe
Verehrung füreinander hatten.
Sie
will ihrer Mutter nicht erzählen, wie lebendig sie sich im letzten Monat
gefühlt hat. Sie trägt leuchtendere Farben und höhere Absätze und singt im Auto
auf dem Weg zur Arbeit alte Popsongs aus den Achtzigern mit. Irgendwie hat sie mehr Energie und fühlt sich
nicht mehr so niedergeschmettert durch den Kampf.
Sie
will ihrer Mutter nicht erzählen, dass sie gelernt hat, dass seine Frau zu sein nichts daran geändert hatte, seine Partnerin zu sein.
Sie hatte sich darüber Sorgen gemacht, dass sie ihre Schärfe verlieren würden,
das Yin und Yang, das ihre Partnerschaft so erfolgreich macht.
Und
ganz besonders will sie ihrer Mutter nicht erzählen, dass sie ungeachtet ihres
neugefundenen Glücks in ihrer Verbindung immer noch fürchtet, dass alles eines
Tages über ihnen zusammenbrechen wird. Sie hatte gelernt, dass Glück oft
vergänglich ist.
"Ich
weiß nicht, was ich sagen soll, Mom," antwortet
sie schließlich und spielt mit dem winzigen silbernen Teelöffel. "Ich bin
einfach glücklich mit ihm, das ist alles."
"Nun,
als deine Mutter ist es meine Aufgabe zu fragen, ob wir bald eine Hochzeit
planen."
Dana
stöhnt. "Mom, wir haben noch nicht einmal darüber gesprochen. Ich meine,
wir haben, aber nur rein theoretisch. Wir haben noch so viel zu tun, noch so
viele Dinge zu lernen, bevor wir so weit vorausschauen können."
"Du
wirst nicht jünger, Sweety." Maggie schnalzt mit der Zunge.
Dana
rollt mit den Augen wie ein verärgerter Teenager.
"Ich
möchte dich einfach vor Vater McCue stehen sehen mit meinem Schleier.
Ich
habe davon geträumt, seit Missy und du geboren wurden."
Dana
tätschelt die Hand ihrer Mutter. "Ich weiß, dass du das tust, Mom. Aber ich weiß nicht, ob das jemals passiert.
Erst mal ist er nicht katholisch. Und in meinem Alter sehe ich irgendwie
lächerlich aus mit einem langen Hochzeitsschleier. Ich bin eine Frau in den
Dreißigern und keine Jungfrau von Zwanzig."
Ihre
Mutter hebt ihre Hand. "Ich muss das nicht hören, Dana."
Etwas
rebellisches rührt sich in Dana. "Du kannst
schwer erwarten, dass ich in meinem Alter..."
"Eine
Mutter kann immer hoffen," sagt Maggie, sittsam
ihre Hände auf dem Tisch faltend.
Dana
schnauft nur.
Aber
dann überrascht sie ihre Mutter mit einem verschmitzten Lächeln. "Obwohl, er *ist* ein gutaussehender
Mann. Wenn ich du wäre, ich würde wahrscheinlich auch nicht in der Lage sein,
seinen Annäherungen zu widerstehen."
Sie
muss lachen, als sie daran denkt, dass sie es am Ende gewesen war, die sich ihm
angenähert hatte. Sie war diejenige gewesen, die ihn am Strand geküsst hat, die
ihn an die Hand genommen, ins Haus und ins Schlafzimmer geführt hat, die ihm
ins Ohr geflüstert hat, wie sehr sie ihn wollte, hier, jetzt, in ihr, in ihr
jetzt. Dana kann noch, wenn sie genau genug hinhört, das Quietschen des
Bettrahmens hören, als sie sich zusammen bewegten.
"Du
bist furchtbar," sagt sie grinsend zu ihrer
Mutter. Zum ersten Mal fühlt sie sich, als wären sie nicht nur Mutter und
Tochter, sondern zwei erwachsene Frauen, Freundinnen letztlich.
Maggie
drückt ihre Hand und lächelt zurück.
Dana
öffnete die Augen und wischte die Tränen fort, die ihr über das Gesicht liefen.
Ihre Mutter. Sie konnte nun ihre Mutter sehen, Maggies hübsches Gesicht. Sie
konnte Maggies Augen in Julias Gesicht sehen.
Es
fühlte sich wie ein seltenes und kostbares Geschenk an.
Sie
konnte sich immer noch nicht an das Gesicht oder den Namen ihres Geliebten
erinnern, aber für einen Moment, ungeachtet des Schmerzes und der Tatsache,
dass sie in einer Klinik war mit einem Tropf in ihrer Hand, sonnte sie sich in
der Liebe, die sie einst geteilt hatten, und der Liebe, die sie immer noch für
ihre Mutter empfand.
Nun
hatte sie eine Geschichte, die sie Julia über ihre Großmutter erzählen konnte.
Eine
Krankenschwester in weinroter Kleidung kam herein. "Wir nehmen Ihnen nun
den Tropf ab und dann bringen wir Sie nach oben."
Als
sie am Wartezimmer vorbeigefahren wurde, sah sie John, der in seinem Sessel
eingeschlafen war. Julia war nicht mehr da. Meghan musste dagewesen sein, um
sie zur Primary Care zu bringen.
Dana
lag in der Scannerröhre, hielt den Atem an und versuchte, gegen die Platzangst
anzukämpfen. In den letzten Jahren hatte sie alle möglichen schmerzhaften
Behandlungen mitgemacht, aber keine hatte sie mit so heftiger Angst erfüllt,
wie diese. Mein Gehirn, mein Gehirn, dachte sie krampfhaft, dem Verlangen, da
herauszukommen widerstehend. Was zur Hölle ist los in meinem Gehirn?
Die
Maschine summte und erwachte zum Leben und ihr Herzschlag eskalierte auf ein
beinahe unerträgliches Niveau. Bitte lass es nicht Krebs sein, kein Tumor.
Warum
dachte sie an einen Gehirntumor? Sie war niemand, der sich gleich grässliche
Konsequenzen vorstellte, dafür war sie zu pragmatisch.
Der
Scan endete und sie kam, erleichtert seufzend, aus der Röhre.
Dana
wurde in denselben Raum zurückgebracht und ein Pfleger brachte ihr ein großes
Glas Apfelsaft und eine Schüssel heißen Haferschleim. "Dr. Haugen möchte,
dass Sie etwas essen," sagte er.
Sie
aß langsam, ihr Magen war immer noch ein wenig verstimmt und das Kauen ließ
ihren Kopf schmerzen.
Als
sie ihr Frühstück beendete, kam die Ärztin herein und begann, Tasten auf ihrem
Computer zu drücken. Damit brachte sie ein dreidimensionales Bild von Danas
Kopf auf den Bildschirm. Dana beugte sich nach vorn, um den Bildschirm zu
sehen, aber ohne ihre Brille oder ihre Kontaktlinsen konnte sie keine
Einzelheiten ausmachen.
Rebecca
setzte sich. "Alles sieht gut aus, Dana. Ich kann kein abnormales Wachstum
erkennen, dass das Nasenbluten oder die Migräne verursacht haben könnte."
Erleichterung
ging durch jede Zelle ihres Körpers.
"Ich
fand trotzdem etwas anderes ziemlich Interessantes." Die Ärztin drückte
ein paar Mal auf eine Taste und das Bild drehte sich, um die Rückseite von
Danas Kopf zu zeigen.
Das
Gefühl von Erleichterung verschwand abrupt.
Die
Ärztin deutete auf die Basis von Danas Schädel auf dem Bildschirm, wo ihr Kopf
und ihr Hals zusammentrafen. Dana konnte nicht erkennen, worauf Rebecca zeigte.
"Da
ist ein kleines Stück Fremdkörper, genau hier."
Dana
öffnete den Mund. "Fremdkörper?"
"Es
scheint metallisch zu sein, der Resonanz nach zu urteilen. Ich glaube trotzdem
nicht, dass es etwas ist, worüber man sich Sorgen machen muss. Es ist wahrscheinlich
eine Art Trümmer oder Schrapnell, höchstwahrscheinlich von der Invasion. Ich
habe eine Anzahl von Patienten gesehen, die alte Verletzungen hatten, ohne dass
sie sich dessen überhaupt bewusst waren, dass sie sie hatten."
Danas
Hand glitt zu ihrem Nacken. "Denken Sie, dass man es entfernen
sollte?"
"Das
ist keine schlechte Idee," sagte die Ärztin
achselzuckend. "Aber nicht heute - für heute haben Sie genug durchgemacht.
Ich schlage vor, Sie gehen in ein paar Wochen zu Ihrem Hausarzt und lassen ihn sich
darum kümmern."
Dana
seufzte. Sie wird recht haben.
"Wie
sind jetzt die Beschwerden?"
"Besser,
aber sie sind noch da."
Rebecca
wühlte in einem Schrank und holte eine kleine Schachtel hervor. "Madorex gibt es in Inhalator-Form,
genau wie Ihr Migranex. Ich möchte, dass Sie nur eine einzige Dosis nehmen, es
ist sehr stark."
Dana
nahm einen Zug. Es schmeckte genauso schlimm, wie ihr altes Medikament.
Der
Gesichtsausdruck der Ärztin wurde ernst. "Dana, ich weiß, dass Sie Ärztin
sind und all das wissen, was ich Ihnen gesagt habe, aber ich finde, dass Ärzte,
einschließlich mir selbst, oftmals die schlimmsten sind, wenn es darum geht,
allgemeinen vernünftigen Ratschlägen zu folgen."
Sie
grinste befangen, wusste sie doch, dass das, was Rebecca sagte, nur allzu wahr
war.
"Durch
eine Migräne sagt Ihnen Ihr Körper oft, dass Sie zu viel Stress haben. Sie
brauchen mehr Schlaf, müssen besser essen und Ihr Stressniveau senken. Ich habe
nichts dagegen, wenn Sie joggen oder Yoga machen oder jede Woche zur Massage
gehen, aber Sie müssen auf sich aufpassen."
"Das
werde ich," sagte Dana eingeschüchtert.
"Nun
gehen Sie nach Hause und schlafen Sie etwas und ich möchte auch nicht, dass Sie
morgen arbeiten gehen."
"Aber
ich habe..."
"Ich
will es nicht hören. Was immer Sie auf ihrem Plan haben, streichen Sie es. Sie
arbeiten unter Ärzten, die werden es verstehen. Verbringen Sie den Tag in der
Badewanne oder legen Sie sich auf die Couch und lesen."
Dana
wurde plötzlich von dem Medikament schwindlig, so dass die Ärztin einen Rollstuhl
für sie hereinholen musste.
Im
Warteraum lächelte sie John schief an, der wieder wach war und Kaffee trank.
Er
stand auf und küßte sie auf die Wange. "Geht es dir wieder gut?"
"Ja,
mir geht es gut," murmelte sie, das Kinn auf der
Brust.
Als
das Taxi auf die Straße fuhr, lehnte sie sich an Johns kräftige Seite und
lächelte.
Er
berührte ihre Wange. "Worüber lächelst du? Oder sind es die
Medikamente?"
Ihre
Augen waren bereits geschlossen. "Ich habe mich an meine Mutter erinnert,
John. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich ihr Gesicht sehen."
John
sagte nur, "Oh."
Sie
schlief im Auto ein und das nächste, woran sie sich erinnerte war, dass sie aus
einem traumlosen Schlaf in ihrem Bett zu Hause erwachte. Es war sechs Uhr
abends und schon dunkel.
Der
Schmerz war weg. Sie wollte jubeln über das Gefühl, frei von dem nagenden
Schmerz zu sein und über die Tatsache, dass sie auch keine Nachwirkungen der
Medikamente spürte. Statt dessen war ihr Kopf klar und
sie war hungrig.
Sie
nahm eine Dusche, entsetzt darüber, wie sie roch, und wechselte zu Jeans und
ihrem ältesten schwarzen Sweatshirt. Dana ging durch das dunkle Wohnzimmer in
die Küche, wo sie einen Becher Joghurt verschlang und etwas übrig gebliebene
Pasta und fast ein Viertel von Julias Fruchtbowle trank.
Im
Apartment war es still und sie fragte sich, wo John und Julia waren.
Sie
ging ins Wohnzimmer und hielt mitten im Schritt inne, als sie ein leises Husten
in der Dunkelheit hörte.
Dana
tastete nach dem Lichtschalter und keuchte, als sie John auf der Couch sitzen
sah, sein Gesicht dunkel von Bartstoppeln und seine Augen rot.
In
seinem Schoß lag ihr Tagebuch, das ihr Mulder zu ihrem Geburtstag geschenkt
hatte.
Sie
vergaß, dass sie überhaupt wusste, wie man atmet.
John
hob den Kopf und sah sie an, seine braunen Augen bohrten sich direkt in ihre.
Als
er schließlich sprach, war seine Stimme flach, aber voll von Leid und Ärger.
"Wer
ist er, Dana?"
xxxxxxxx
Es
war einmal eine Zeit, da gab es eine Frau mit Namen Dana, die an ihrem
Hochzeitstag vor dem Spiegel stand. Sie trat zurück, um sich in voller Größe
einzuschätzen. Von den Satinschuhen an ihren Füßen über das weiße taillierte
Empirekleid bis zu den Perlenohrringen war sie mit jedem Zentimeter die
strahlende Braut.
Sie
hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sie eine perfekte Hochzeit haben
würde.
An
diesem Tag hatte Dana so fest an ihre Hochzeit geglaubt, wie sie daran glaubte,
dass die Erde rund war und sich um die Sonne drehte.
Sie
glaubte an Worte, wie Liebe, Ehre, Hoffnung und für immer.
Dana
hatte an Märchen geglaubt. John Rosen war Prinz Charming und sie war seine
Prinzessin und ihre Hochzeit bedeutete, für immer glücklich zu sein.
Ja,
an diesem Tag hatte sie an all diese Dinge geglaubt. Es schien so einfach zu sein.
Sie hatten sich gefunden, sich buchstäblich gegenseitig aus einem überfüllten
Raum herausgepickt. Das erste Mal, als sie John küßte, hatte Dana gedacht, ‚Von
nun an werde ich niemals wieder allein sein.' Die gähnende Leere, die sie die
ganze Zeit, seit ihrem Erwachen in der Klinik in eine mutige neue Welt hinein,
empfunden hatte, wurde durch die Sicherheit, jemandem zu gehören, ersetzt. Sie
würde nie mehr mitten in der Nacht nach Atem ringend wach werden und sich
fragen, wer zur Hölle sie war.
Es
war einmal eine Zeit, da glaubte sie an Märchen.
xxxxxxxx
Dana
sank in den Sessel hinter sich, jeder Knochen und jeder Muskel schmolz dahin.
Nur
ein Gedanke durchdrang das geräuschvolle Summen in ihrem Hirn - oh nein, oh
nein, oh nein...
"Was
machst du damit?" fragte sie und sah auf ihre Hände herab, auf das Band
aus geflochtenem Gold an ihrem Ringfinger.
Johns
Augen hatten geglänzt, als er den Ring auf ihren Finger schob. "Mit diesem
Ring heirate ich dich," hatte er mit einer
klaren, freudigen Stimme gesagt.
Er
berührte das Buch. "Ich habe in deine Tasche gegriffen, um den
Madorex-Inhalator herauszuholen, für den Fall, dass du ihn brauchst."
Ihr
fiel nichts ein, was zu sagen wäre. Letztlich konnte sie nicht wirklich
ärgerlich darüber sein, dass er in ihre Privatsphäre eingedrungen war.
"Wer
ist er?" fragte John wieder, dieses Mal war seine Stimme nur ein Flüstern.
Dana
konnte und wollte nicht in sein Gesicht sehen, sie wollte nicht den nackten
Ausdruck von Qual und Verwirrung sehen, den es hatte. Es war John niemals in
den Sinn gekommen, dass sie fremdgehen würde.
"Bitte,
Dana. Ich muss es wissen."
Nein,
das musst du nicht, dachte sie. Wir müssen das Band zurückdrehen, die letzten
fünf Minuten löschen und weitermachen. Mit der Zeit werde ich Mulder vergessen
und wir werden unser Leben leben wie vorher. Wir können eine Schwester oder
einen Bruder für Julia haben und sie wachsen und gedeihen sehen. Aber du willst
es nicht wissen, John.
Er
musste es trotzdem wissen, Dana verstand das. Wenn die Situation anders herum gewesen
wäre, hätte sie es auch wissen wollen. John verdiente die schmerzhafte
Wahrheit.
Sie
brauchte einen Moment, um ihre Stimme wiederzufinden und als sie es tat, war
sie unsicher. "Du kennst ihn nicht. Ich habe ihn kurz, bevor du
weggefahren bist, getroffen."
"Das
ging schnell..."
Sie
nickte.
"Natürlich,
so ist das bei dir, nicht wahr? Ich meine, es hat auch nicht sehr lange bei dir
und mir gedauert."
Dana
faltete die Hände in ihrem Schoß. John meinte nicht, was er sagte, erzählte sie
sich selbst. Es war sein Ärger, der da sprach und er hatte ganz bestimmt ein
Recht, ihn herauszulassen.
Diesmal
war Johns Stimme sanfter. "Warum?"
Sie
schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht."
Dana
hörte ihn aufstehen und seine Schritte auf dem Teppich, als er umherwanderte.
"Ich weiß nicht," sagte er, ihre Worte
wiederholend. "Das ist alles, womit du herauskommst, um zu erklären, warum
du deine Ehe betrogen hast?"
Sie
blickte auf und sah auf seinen Rücken, als er am Fenster stand und auf die
Lichter der Stadt starrte.
Ihr
Mund war so trocken. "John," sagte sie,
"ich habe keinen guten Grund. Ich
traf ihn und es war so... stark. Ich habe noch niemals vorher so etwas
empfunden."
Als
er sich umdrehte und sie den Ausdruck auf seinem Gesicht mitbekam, wünschte
Dana, sie hätte ihre Worte weiser gewählt. Er fuhr sich mit den Händen durch
seine hellbraunen Haare. "Niemals, hä? Liebst du ihn oder war es nur eine
Art Versuch?"
Zu
lügen würde so leicht sein, dachte sie. Wenn sie sagte, es wäre nur eine Affäre
gewesen, eine heiße, trunkene Nacht, könnten sie das vielleicht mehr oder
weniger intakt überleben. John würde lange brauchen, um ihr zu vergeben, doch
er würde es tun. Aber einen anderen Mann zu lieben, war unverzeihlich.
Lügen
oder nicht lügen, das ist die Frage...
Dana
war der Unehrlichkeit müde, müde des bitteren Geschmacks, den die Lügen, die
sie John erzählt hatte, in ihrem Mund hinterlassen hatten.
Sie
blickte zu John auf und sah ihm in die Augen. Ich bin gewohnt, diese braunen
Augen über alle Maßen zu achten, dachte sie.
"Ja," sagte sie mit klopfendem Herzen. "Ich liebe
ihn."
Den
Ausdruck ‚er sah zerstört aus' hatte sie vorher schon gehört, aber sie hatte
tatsächlich noch niemanden gesehen, der zerstört aussah, bis sie ihrem Mann
gesagt hatte, dass sie einen anderen liebte. Sein gutaussehendes Gesicht wurde
weiß und sie beobachtete, wie seine Schultern bei ihren Worten herunterfielen.
Er setzte sich hin, so betäubt, als hätte er einen Schlag auf den Kopf
bekommen.
Nun
war es John, der auf seine Hände herabsah. "Warum, Dana? Ich habe mich so
sehr bemüht, dich glücklich zu machen, der beste Ehemann zu sein, der ich
konnte."
"Ich
weiß, dass du das getan hast," sagte sie leise.
Seine
Stimme sammelte wieder Kraft, als er sie ansah. "Warum liebst du dann
einen anderen? Was gibt er dir, was ich nicht kann?"
Ihre
Gedanken glitten zurück zu dem, was Mulder ihr gesagt hatte, als sie zum ersten
Mal das Hotelzimmer betraten.
"Vorher," sagte sie. "Er gibt mir das Vorher."
John
atmete aus. "Oh Gott, das ist es also? Weil ich nicht in die Vergangenheit
gehen möchte?"
Dana
durchdachte ihre Worte, bevor sie sie aussprach. "John, ich habe mehr als
fünfunddreißig Jahre geliebt, bevor ich dich traf. Ich hatte ein Leben - eine
Familie, Freunde, einen Beruf, einen Mann, den ich liebte. Ich möchte keine leere
Schiefertafel sein. Ich möchte wissen, wer ich war."
Er
nickte, ihre Worte verdauend.
"Vielleicht
kannst du einfach weitermachen, ich kann es nicht,"
fuhr sie fort. "Ich hatte mich daran gewöhnt, zu glauben, ich sei
selbstsüchtig, dieses Verlangen nach der Vergangenheit zu spüren, aber jetzt
glaube ich das nicht mehr. Ich glaube, dass es heilsam ist, meine Erinnerungen
zu wollen."
"Und...
dieser andere Mann empfindet genauso?"
"Ja."
"Wenn
ich darüber reden könnte, würde ich es tun, Dana. Aber ich will es nicht
wissen. Ich will einfach vorwärts gehen."
Und
das ist unser fataler Mangel, dachte sie.
"Ich
weiß, dass du es tust, aber ich kann es nicht. Gestern hatte ich eine
wundervolle Erinnerung an meine Mutter und ich war so glücklich, weil ich eines
Tages Julia etwas über ihre Großmutter erzählen kann. Sie verdient es, zu
wissen, wer sie ist und woher sie kommt."
John
sagte nichts, saß einfach nur auf der Couch wie die Hülle eines Mannes und
starrte auf einen Punkt gerade über ihrem Kopf.
Sie
tastete verzweifelt nach den Worten, die das hier festigen konnten, die die
Wunden verbinden und alles wieder in Ordnung bringen würden. Aber sie wusste,
dass es diese Worte nicht gab.
Ein
paar Tränen begannen, über ihr Gesicht zu laufen, und sie wischte sie weg.
"Ich werde ihn nicht wiedersehen," flüsterte
sie. "Ich möchte neu anfangen. Ich weiß, dass du wütend auf mich bist,
dass ich etwas Schreckliches getan habe und wofür es das wert war, es tut mir
leid. Aber ich habe beschlossen, zu bleiben und ich möchte versuchen, dass es
funktioniert."
John
sagte immer noch nichts.
"Ich
liebe dich," sagte sie. "Ich liebe dich und
ich möchte unsere Ehe nicht beenden. Wir haben ein Kind, wir haben so viele
gemeinsame Jahre und wir haben gemeinsame Erinnerungen."
Er
stand von der Couch auf. "Was ist, wenn ich nicht dein Trostpreis sein
möchte, Dana?"
Sie
seufzte. "Was immer wir tun müssen, um das wieder in Ordnung zu bringen,
ich werde es tun."
"Ich
kann im Augenblick nicht darüber nachdenken,"
sagte er, griff seine Brieftasche vom Kaffeetisch und stopfte sie in die Tasche
seiner Jeans. "Es ist zu viel, um damit klarzukommen." Er drehte sich
um und ging zur Wohnungstür.
"Wo
gehst du hin?" fragte sie beunruhigt und sprang von ihrem Sessel auf.
"Wir
müssen darüber reden."
"Ich
muss darüber nachdenken," sagte er. "Ich
werde einen Spaziergang machen, dann werde ich Julia bei Mike und Jody abholen
und mit ihr essen gehen."
Sie
stand mitten im Raum und kämpfte gegen das überwältigende Verlangen an, ihren
Mann jämmerlich anzuflehen, zu bleiben.
"Denk
einfach daran, dass ich dich liebe," sagte sie.
Er
nickte und ging aus der Tür. Sie wusste, dass er es nicht so meinte, aber er
warf die Tür hinter sich zu.
xxxxxxxx
Sie
musste hier heraus. Alles in dem Apartment war deprimierend für sie, die Fotos
ihres gemeinsamen Lebens erinnerten sie daran, welch eine Versagerin sie war,
welch schreckliche Ehefrau sie geworden war. Die Wände fühlten sich tatsächlich
so an, als würden sie zusammenrücken und sie ersticken.
Sobald
sie in den Flur hinausgetreten war, erkannte Dana, dass sie nirgendwo hingehen
konnte. Ihre Freunde, sogar Meagan, würden nicht verstehen, was sie getan
hatte. Sie konnte Mulder nicht sehen. Sie war vollkommen allein.
Dana
lehnte sich gegen ihre Tür und schloss die Augen, sie atmete schwer und
versuchte, nicht zu weinen. Aber die Tränen kamen, brachen aus ihr heraus, als
sie ihre Augen zusammenkniff und sich nach vorn beugte unter der Wucht ihres
Schluchzens.
Wenn
sie noch an Gott geglaubt hätte, hätte sie jetzt gebetet. Aber es war schwer,
an eine höhere Macht zu glauben, nachdem die Welt untergegangen war.
Dana
hörte, wie sich die Tür gegenüber öffnete und Musik herausdrang. Es hörte sich
an, als wenn eine Katze stranguliert würde, während Rowdys Aluminiummülltonnen
mit Baseballschlägern bearbeiteten.
Evans
Stimme war sanft, als er ihre Schulter berührte. "Bist du in Ordnung,
Dana?"
Mein
Ritter in strahlender Rüstung, dachte sie, als sie schniefte. Sie schüttelte
den Kopf.
"Wieder
Migräne?"
Sie
schüttelte wieder den Kopf, unfähig einen zusammenhängenden Satz zu
formulieren.
Er
nahm sie bei der Hand und führte sie über den Flur in sein Apartment.
"Was
immer auch verkehrt ist, wir können es in Ordnung bringen,"
sagte er.
Dana
wischte sich die Augen und lächelte. Sie hatte immer an Evan als einen süßen,
aber unreifen Jungen gedacht. Nun erkannte sie, dass er wahrhaftig ein starker
Mann war.
Er
schaltete seine Stereoanlage aus und das Licht an. Sein Apartment war ein
einziges Chaos, wie üblich, überall waren Papier, Fastfoodbehälter und
Sodadosen verteilt. Auf dem Futonbett in der Ecke lag eine dünne junge Frau mit
langen dunklen Haaren auf ihrem Bauch, die nur einen schwarzen Slip trug. Dana
sah, dass sie ein kompliziertes Reben-Tattoo hatte, das an ihrem linken Knöchel
begann und sich aufwärts wand bis zum Ende ihres Oberschenkels.
Evans
dunkle Haut wurde rot. "Das ist Kitty,"
sagte er. "Kümmere dich nicht um sie, sie ist irgendwie weggetreten."
Er deckte sie mit einer dunkelroten Decke zu.
"Ist
sie in Ordnung?"
Er
zuckte mit den Schultern. "Ja, wir sind letzte Nacht durch die Clubs
gezogen und sie hat zu viel Stoff genommen." Evan schnaufte. "Drogen
- fatal für Anfänger."
Dana
beugte sich herab und berührte den Rücken des Mädchens unter der Decke. Ihre
Atmung schien normal zu sein. "Du glaubst nicht, dass sie eine Überdosis
hat, nicht wahr?"
"Nein,
sie wird in Ordnung kommen, sie muss sich einfach nur ausschlafen. Sie war ein paar Mal auf, um zur Toilette zu
gehen, schrecklich übelgelaunt."
Er
führte sie in die Kochnische, wo das Spülbecken überlief vor schmutzigem
Geschirr, ebenso der Mülleimer, der daneben stand. "Entschuldige das Chaos," sagte er. "Die Putzfrau kommt nie vorbei."
Sie
fand die Kraft, darüber zu lachen.
"Kann
ich dir irgend etwas zu trinken anbieten? Ein
Bier?"
"Nein,
ich sollte keinen Alkohol trinken mit all den Migränemedikamenten in mir."
"Ich
weiß, was du brauchst," sagte er grinsend.
"Du brauchst eine heiße Schokolade."
"Heiße
Schokolade?"
"Heilt
alles, was dich krank macht. Setz dich auf die Couch und ich werde uns eine
Tasse davon zubereiten."
Dana
räumte einen Stapel Zeitschriften von der Couch, setzte sich hin und schüttelte
amüsiert den Kopf über Evans Lebensstil, der meilenweit von ihrem ordentlichen
kleinen Leben entfernt war. Oder von dem, was ihr Leben gewesen war... Sie
drückte ihren Nasenrücken, um eine neue heftige Tränenattacke abzuwenden.
Evan
kam mit zwei dampfenden Tassen zurück. "Ich habe die Tassen sogar
abgewaschen für dich, Dana, weil du ein besonderer Gast bist, und im Kakao sind
ein paar Marshmallows."
Sie
nippte an der heißen, wohlriechenden Flüssigkeit und dachte daran, dass das
Julias Lieblingsgetränk war. Sie nannte die Marshmallows ‚Maschmellas'.
Er
berührte ihren Arm. "Möchtest du darüber reden?"
"Jetzt
nicht," sagte sie und stellte ihre Tasse auf den
einzigen Platz auf dem Kaffeetisch, der nicht mit halbvollen Gläsern und
verstreuten Disketten bedeckt war.
"Okay," sagte Evan liebenswürdig. "Wie wäre es dann
damit - wir gucken einfach nach deinem Freund?"
Sie
spürte ein unruhiges kleines Flattern in ihrem Herzen. "Hast du etwas
gefunden?"
Er
grinste mit schelmischer Freude. "Oh, ich habe etwas gefunden,
richtig. Komm..." Er stand auf,
führte sie hinüber zum Computer und zog einen zusätzlichen Stuhl an den
Schreibtisch.
Während
er wie verrückt auf seine Tastatur hämmerte, setzte sich Dana neben ihn und
spürte, wie sich ihr Atem erwartungsvoll beschleunigte.
"Es
war leicht, da hineinzukommen," sagte er mit
offensichtlichem Stolz. "Nun, da
niemand wirklich auf das Gespeicherte aufpasst, sind die
FBI-Sicherheitsvorkehrungen ein Kinderspiel."
Bildschirminhalte
blitzten auf, bis er zu einem gelangte, der ‚Humandatenbank' hieß.
Er
drehte sich zu ihr um. "Also, ich habe ein paar Dinge gefunden. Ihre Akten
sind wirklich chaotisch. Eine Menge Dinge fehlen, zerstört vermute ich. Aber es
gibt immer noch Informationen."
Sie
schrie beinahe vor Ungeduld. "Hast du meinen Freund gefunden?"
Evans
Grinsen wurde breiter. "Nicht genau."
"Was
meinst du?"
"Ich
habe den Namen Fox Mulder durchgejagt und es kam nichts dabei heraus. Sogar verschiedene Varianten des Namens habe
ich probiert, aber er erschien in keiner der geretteten Akten. Ich dachte
schon, dass mein Hackerprogramm vielleicht nicht funktioniert, also habe ich
zum Spaß deinen Namen eingegeben."
Dana
griff sich an die Brust. "Meinen Namen?"
Er
tippte noch ein paar Kommandos ein und eine Akte erschien. "Du warst in
der Humandatenbank des FBI."
Fassungsloses
Schweigen war eine Untertreibung.
"Das
ist eine medizinische Forderung mit Datum vom 16. Februar 1999 an deine
Berufsversicherung. Es scheint so, dass du im Januar dieses Jahres im Dienst
angeschossen wurdest."
Das
ist nicht möglich, dachte sie außer sich, aber sie rückte näher heran, um die
Worte auf dem Bildschirm lesen zu können. Dana Katherine Scully sagte die
Forderung. Sie enthielt ihr Geburtsdatum, ihre Sozialversicherungsnummer und
eine Adresse in Georgetown. Special Agent Dana Katherine Scully. Als ihre
Notfallkontaktperson wurde Margaret Scully aufgeführt, Beziehung: Mutter.
Ihre
Hand glitt dorthin, wo wie sie wusste, die Narbe an ihrem Körper war. In der Forderung stand ‚für die Bezahlung der
Behandlung einer Schussverletzung im unteren linken Quadranten des
Bauchbereiches... Operation erfolgte im
New York University Medical Center.'
Sie
drehte sich zu Evan um, der immer noch grinste angesichts seiner Fähigkeiten.
"Das kann nicht wirklich sein," flüsterte
sie.
"Brauchst
du einen Beweis?"
Er
klickte auf eine andere Seite und sie keuchte laut.
"Das
war auf der Seite der Public Relations Abteilung,"
sagte Evan.
Die
Seite war betitelt mit ‚Washington D.C. Agentin gewinnt den Pathologie Prestige
Award'. Es gab ein Foto auf der Seite, unleugbar von ihr, auf dem sie jung und
ernst aussah in einem schwarzen Kostüm mit einer weißen Bluse und einer Brille
im Gesicht. Sie stand auf einem Podium, augenscheinlich eine Rede haltend.
Sie
las den Text. ‚Special Agent Dana Scully wurde am
2. Juni
1998 mit dem Harrington Award für hervorragende forensische Leistungen durch
die Nationale Gesellschaft Frauen in der Pathologie ausgezeichnet.'
Das
war real. Sie blinzelte auf den Bildschirm und starrte auf ihr eigenes Bild,
auf die Dana Scully von vor beinahe sieben Jahren. Viel verändert hatte sie
sich nicht in diesen Jahren. Sie trug immer noch denselben Kostümtyp, wenig
geändert durch die Mode, und ihr Haar trug sie auch jetzt noch in demselben
kurzen Schnitt.
"Ich
wollte dich nicht schocken," sagte Evan sanft.
"Ich war auch total überrascht, dich zu sehen. Hast du irgendwelche
Erinnerungen daran, eine Agentin gewesen zu sein?"
Sie
schüttelte den Kopf. Nicht eine einzige hatte sie.
"Ich
habe noch ein paar Fotos gefunden, die mit dieser Seite zusammenhängen," sagte er. "Das sind die, die nicht benutzt
wurden. Möchtest du sie sehen, ob etwas
deine Erinnerung anstößt?"
"Zeig
sie mir," sagte sie.
Es
dauerte einen Moment, bis die neue Seite geladen war. "Ihr Server ist
ziemlich unzuverlässig," murmelte Evan.
Drei
Fotos erschienen auf dem Bildschirm. Das erste war ein weiteres von ihr auf dem
Podium, als sie die Plakette von einer Frau mit kurzen grauen Haaren
entgegennahm.
Das
zweite zeigte sie händeschüttelnd mit einem großen, breitschultrigen Mann,
kahlköpfig und mit Brille. "Kommt er dir bekannt vor?" fragte Evan.
"Nein," sagte sie. "Geh runter zum letzten Bild."
Nur die obere Kante des Bildes war auf dem Bildschirm zu sehen.
Sie
gab keinen Ton von sich, als sie das ganze Foto sah, aber nun verstand sie,
warum einige Menschen bei unerwarteten Neuigkeiten in Ohnmacht fielen.
Auf
diesem Bild hielt sie ein Glas Wein in der Hand, augenscheinlich auf dem
Empfang nach der Preisverleihung. Sie trug das schwarze Jackett nicht mehr und
lächelte breit in die Kamera. Ein Mann stand an ihrer Seite, seinen Arm um sie
gelegt. Er grinste genauso breit wie sie.
Ein
großer Mann mit dunklem Haar. Volle Unterlippe, ziemlich große Nase, schläfrige
Augen.
Das
konnte nicht wirklich sein.
Das
musste ein gut geplanter Schwindel sein, ein Streich von ihrem Freund.
Aber
sie wusste, dass es nicht so war. Evan würde ihr das nicht antun. Und nebenbei
konnte er es auch nicht. Er hatte den Mann auf dem Foto niemals mit ihr
gesehen.
Sie
atmete tief ein und überdachte die Bedeutung dieses Bildes.
Der
Mann neben ihr auf dem Foto war zweifellos Fox Mulder.
xxxxxxxx
Sie
wanderte durch den kleinen Raum, ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie
wieder. Evan beobachtete sie von seinem Computerstuhl aus mit einem
beunruhigten Ausdruck auf seinem Gesicht.
Ihr
Verstand arbeitete zu schnell, als dass sie mit ihren Gedanken mithalten
konnte. Sie stürzten völlig unzusammenhängend auf sie ein.
Vorher.
Mulder.
Ich
kannte ihn.
Ich
liebte ihn.
Oh
Gott.
Er
hatte recht.
Meine
Träume hatten recht.
Wir
kannten einander.
Was
zum Teufel.
Wir
haben uns wiedergefunden.
Mulder.
Das
warst du.
Das
warst du das warst du das warst du die ganze Zeit warst du es.
Plötzlich
blieb sie stehen und wirbelte herum, um Evan anzusehen.
"Kann
ich dein Telefon benutzen?"
Er
nickte und erhob sich, um ihr die Fernbedienung von ihrem Platz auf dem Kaffeetisch
zwischen einer Schüssel mit Sobanudeln und einer Spule mit Computerkabeln zu
geben.
Ihre
Hände zitterten so sehr, dass sie kaum Mulders Nummer eingeben konnte.
Oh
bitte, sei zu Hause, dachte sie.
Sie
atmete voller Verzweiflung und Panik aus, als Sarahs Gesicht auf dem Bildschirm
erschien. Es war ihr Messenger Programm. Sarah lächelte in die Kamera und
sagte, "Sie sind mit dem Anschluss von Sarah Morelli und Fox Mulder
verbunden. Wir können Ihren Anruf im Moment nicht entgegennehmen, bitte hinterlassen
Sie eine Nachricht und wir werden Sie zurückrufen, sobald es möglich ist."
"Nein," murmelte Dana flüsternd. "Nimm ab,
Mulder."
Sie
unterbrach die Verbindung vor dem Signalton und verbarg ihr Gesicht in ihren
Händen.
Sie
musste mit Mulder reden. Jetzt.
Und
dann kam ihr eine Idee. Sie sah zu Evan auf. "Kannst du deinen Net Tracker
aufrufen und nachsehen, ob Mulder online ist?"
Evan
sah sie beinahe erleichtert darüber an, etwas tun zu können, um ihr zu helfen.
Seine Finger flogen über die schwarze Tastatur. Er drehte sich zu ihr um und
grinste. "Er ist online und eingetaucht. Weißt du, wo er sein
könnte?"
Dana
stand mit zitternden Beinen auf und ging zu Evan und seinem Computer hinüber.
"Ich weiß genau, wo er ist," sagte sie
atemlos. "Hast du etwas dagegen, wenn ich mit deinem Computer eintauche?
Er hat einen Netspace."
Sie
spürte die Wärme von Evans Hand auf ihrer. "Ich weiß, es geht mich nichts
an, Dana, aber was ist dieser Typ für dich?"
So
eine einfache Frage und so eine komplizierte Antwort.
"Er
ist alles für mich," sagte sie mit zitternder
Stimme. Sie zuckte ein wenig zurück und wartete auf Evans Worte, die sie
beschuldigen würden. Schließlich kannte
er John so lange, wie er sie kannte. Manchmal spielten sie zusammen ein bisschen
Basketball im Park.
Evan
nickte einfach verständnisvoll. "Also kennst du ihn aus dem Vorher."
Sie
tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto von ihnen. "Scheint so."
Ich
kannte dich und ich liebte dich und als ich dich endlich nach fünf Jahren
wiedersah, konnte ich mich nicht an dich erinnern.
Dana
konnte es gar nicht fassen.
Seine
Augenbrauen gingen nach oben. "Wow, das ist einfach irre..." Er gab
ihr das Verbindungskabel. "Geh schon."
Sie
lächelte. "Danke, Evan."
Nachdem
sie ein bisschen mit dem Kabel gekämpft hatte, bekam sie die Verbindung und
loggte sich in ihrem Zentralnetsystem Account ein. Dana schloss die Augen und
versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, indem sie tief einatmete, aber es
funktionierte nicht. Sie hatte die Verbindung.
Mit
ein paar kurzen Kommandos, die sie in Evans Computer eingab, war sie in dem
virtuellen Flur vor Mulders Tür.
Du
schaffst es, sagte sie sich. Sei mutig.
Der
Netspace zeigte einen sonnigen Tag, die Luft war warm und die Wellen rollten
sanft auf den Sand. Mulder saß mit dem Rücken zu ihr im Sand. Sie schlich sich
hinter ihn und berührte seine Schulter.
Den
Blick, mit dem er sie ansah, als er den Kopf umwandte, hatte sie nie zuvor bei
ihm gesehen. Er war... durchdringend.
Sie
öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus.
Oh
Gott, ich glaube, er weiß es auch irgendwie, dachte sie.
Er
stand auf und klopfte sich den virtuellen Sand von den Jeans. "Ich wollte
dich gerade anrufen," sagte er mit heiserer
Stimme.
Dana
nahm seine Hand und drückte sie. "Wir müssen reden."
Mulder
nickte.
"Nicht
hier," sagte sie. "Persönlich." Sie
deutete auf den schimmernden Ozean. "Das ist nicht wirklich genug."
"Wir
müssen reden," wiederholte er benommen.
Die
Versuchung, zu bleiben und herauszustoßen, was wie sie nun wusste, die Wahrheit
war, war zu groß. Nein, dachte sie, das ist nicht der Ort dafür. "Der Park, in dem wir uns das erste Mal
getroffen haben. Kannst du in zehn Minuten da sein?"
"Ich
werde da sein."
Ich
kannte dich und ich liebte dich und ich vergaß dich.
Sie
drehte sich um und rannte tatsächlich zur Netspace Tür hinaus.
Als
sie die Verbindung zum Computer unterbrach und ihre Augen öffnete, sah sie Evan
auf seinem Küchentisch sitzen, eine Flasche Wasser schwingend und sie
anstarrend. Sie erhob sich vom Stuhl. "Danke Evan,"
sagte sie, bereits unterwegs zur Tür. "Ich muss mich beeilen."
Er
sprang mit einem Plumps vom Tisch. "Wohin gehst du?"
Dana
blieb stehen. "Ich gehe die Wahrheit herausfinden. Ich treffe ihn."
Evan
griff seine schwarze Lederjacke von der Lehne seines Computerstuhls.
"Lass
mich dich dorthin bringen."
"Ich
gehe nur den Block hinunter zu dem kleinen Park. Mach dir keine Sorgen."
Sie lächelte über seine galante aber unnötige Geste. Die Straßen waren sicher,
ihr würde nichts passieren.
"Unsinn," sagte Evan mit einem schiefen Lächeln. "Ich
begleite dich."
Die
Straße war beinahe leer. Es war früher Abend und all die ehrbaren kleinen
Familien waren zu Hause, aßen zusammen Abendbrot und teilten die Neuigkeiten
des Tages miteinander. Und sie war auf dem Weg in den Park, um den Mann zu
treffen, der ihr Geliebter im Vorher gewesen war, mit einem lederbekleideten
Hacker im Schlepptau. Ihr Leben war in den letzten Wochen entsetzlich bizarr
geworden.
"Du
bist wirklich mutig," sagte Evan. Obwohl er größer
war als sie und längere Beine hatte, musste er sich anstrengen, um mit ihren
schnellen Schritten mithalten zu können.
"Ich
muss es einfach wissen," sagte sie.
"Ich
weiß, und ich bewundere das. Niemand scheint es wissen zu wollen. Aber ich
verrate dir ein kleines Geheimnis. Ich habe auch nach meiner Vergangenheit
gesucht. Es war schwierig gewesen. Ich bin in Chicago geboren und die
Geburtsurkunden sind komplett vernichtet worden. Aber ich suche weiter..."
Dana
blieb stehen und berührte seinen Arm. "Ich hoffe, du findest, wonach du
suchst."
Er
lächelte verlegen. "Ich auch."
Dann
gingen sie weiter. Du bist gleich da, sagte sie sich, immer noch ziemlich
fassungslos.
"Was
bedeutet das für dich und John?" fragte Evan.
Sie
schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht."
"Nun,
was immer auch passiert, du bist meine Freundin, Dana. Du bist immer so gut zu
mir gewesen. Ich fühle mich so allein, weißt du? Ich habe keine Familie und du
stehst mir vielleicht am nächsten in dieser Welt, wie eine Schwester."
Sie
hatten den kleinen Park erreicht. Sie legte ihre Arme um Evan und umarmte ihn
fest. "Familie muss nicht immer etwas mit Blut zu tun haben," sagte sie.
Zusammen
gingen sie in den Park. Der Spielplatz war leer, ebenso die Bänke, die um ihn
herum standen. Gleich hinter den Schaukeln sah man den Schein eines
Lagerfeuers. Dort war ein kleiner Feuerplatz und manchmal hielten
Gemeindegruppen dort ihre Zusammenkünfte ab. Dana konnte Gesang hören.
Sie
fühlte sich beinahe wie in Trance, als sie auf das Feuer zuging, Evan diskret
hinter ihr wie ein Privatdetektiv.
Als
sie näher kam, konnte sie die Worte des Liedes ausmachen.
"Erstaunliche
Güte, wie süß der Klang,
Das
rettet ein armes Wesen wie mich
Ich
war einmal verloren, aber nun habe ich mich gefunden, War blind, aber nun kann
ich sehen."
Sie
blieb stehen und starrte in das flackernde Licht des Feuers, ohne die Gesichter
der Menschen zu sehen, die es umgaben.
Feuer.
"Ich
war einmal verloren, aber nun habe ich mich gefunden, War blind, aber nun kann
ich sehen."
Sie
sah alles.
xxxxxxxx
Als
sie erwacht, muss sie husten.
Sie
zieht sich ihre Schuhe an und stolpert aus dem Zelt in den Wald, weil sie mal
muss. Als sie sich mit zitternden und schwachen Beinen hinhockt, denkt sie
liebevoll an ihr Badezimmer in Washington mit der großen Badewanne, dem
endlosen Vorrat an warmem Wasser und dem dreilagigen Toilettenpapier zurück.
Nein, sagt sie sich, denk nicht einmal daran, weil du es nie wieder haben
kannst.
Mit
dem Holz, das sie früher am Tage gesammelt hatte, zündete sie ein Feuer an, um
Wasser für den Tee zu kochen. Die Hustenanfälle kommen nun in immer kürzeren
Abständen mit einem tiefen rasselnden Geräusch und einer Wucht, die sie
fürchten lässt, sie würde sich eine Rippe brechen. In einem der Päckchen findet
sie ein Flasche ‚44-D' und nimmt einen wohlüberlegten Schluck.
Nachdem
sie den Tee gemacht hat, greift sie ihr Tagespäckchen und macht sich auf den
Weg hinunter zum Rand der Klippe, um die Ebene zu überblicken. Vor gar nicht langer Zeit war das ein
populärer Park für Radfahrer und Wanderer. Es würde leicht sein, sich
einzubilden, sie wären hier in den Bergen in einem improvisierten
Wochenendcamp. Es ist ein schöner sommerlicher Spätnachmittag, der Himmel ist
wolkenlos und strahlend blau. Die
Luftfeuchtigkeit ist niedrig und es ist warm genug, nur T-Shirt und Shorts zu
tragen.
Sie
trägt dennoch Jeans und Sweatshirt. Ihr leichtes Fieber lässt sie frösteln.
Der
Blick von der Klippe ist spektakulär. Sie kann meilenweit sehen. Das heißt, er
wäre spektakulär, wenn sie nicht auf die in Trümmern liegende Stadt unter sich
in der Ebene blicken würde.
Sie
blickt nicht herab, nur streng geradeaus auf mehr Berge und Hügel, die sich am
Horizont erstrecken.
Ein
Moskito beißt sie in den Nacken und sie schlägt danach, verärgert darüber, dass
sie diese Stelle mit dem Moskitoschutz ausgelassen hat. Sie berührt die Stelle,
an der, wie sie weiß, der Chip genau unter ihrer Haut liegt und lächelt über
die Ironie des ganzen. Dieses winzige Stück Metall war sowohl ein Fluch als
auch ein Segen für sie. Es mag ihren Krebs zurückgedrängt haben oder nicht,
aber es hatte sie auch zu der Brücke und dem Feuer in dieser schrecklichen
Nacht gerufen. Aber am Ende rettete es sie vor fünf Tagen, als sie mitten in
der Nacht in dem Motelzimmer aufwachte und schrie, dass ‚Sie' kommen.
Nein,
vergiss das - der Chip hatte sie nicht gerettet. Er
hatte nur das Unausweichliche hinausgeschoben.
Sie
hustet wieder und sieht hinab auf die Ruinen von Abbotsville, 2.475 Einwohner.
Im
Busch hinter ihr raschelt es und sie greift nach ihrer stets bereiten Waffe , dreht sich um und richtet sie auf die Ursache des
Geräuschs. Niemand kann sagen, was da
draußen ist.
Es
ist bloß Mulder, sie atmet erleichtert seufzend aus und legt die Waffe zurück
auf ihr Päckchen. Er sieht ausgezehrt und erschöpft aus, genau wie sie aussehen
muss, und sein Gesicht ist struppig vom Beginn seines Bartes.
Er
begrüßt sie mit einem rauen Husten und setzt sich neben sie.
"Was
machst du hier?" fragt er.
"Nur
gucken... und nachdenken..."
Er
streichelt ihre Wange mit seinen Fingern. "Oh ja? Worüber?"
Sie
deutet auf die Stadt unter ihnen. "Über all das. Es sind jetzt mehr als
drei Tage vergangen, Mulder. Warum sind sie nicht zurückgekommen, um ihren Job
zu beenden?"
Mulder
schüttelt den Kopf. Diesmal hat er nicht mehr Antworten als sie.
"Was
ist, wenn es kein gemeinsames Bemühen in Richtung Kolonisation war, sondern nur
die Alienversion von Vandalismus? Nach dem Motto ‚Hey, lass uns losziehen und
heute mal die Menschheit zerstören.'"
"Wie
auch immer, das Ergebnis ist dasselbe," sagt
Mulder und starrt in die Ferne.
Sie
sind von allem abgeschnitten, es gibt keine Möglichkeit zu sagen, was mit dem
Rest der Welt geschehen ist. Sie hatten gerade genug Zeit gehabt, ein paar Vorräte
zusammenzusammeln und ihre Mütter, die Lone Gunmen und Skinner über hastige
Telefonate zu warnen, aber ihr Schicksal war unbekannt. Es ist dieses Gefühl
des Nichtwissens, das sie verrückt macht.
Sie
beginnen beide zu husten und sie gibt ihm die Flasche mit dem roten Sirup. Er
nimmt einen kleinen Schluck und winselt bei dem Geschmack.
Es
gibt keine andere Zeit für brutale Ehrlichkeit als die Gegenwart, denkt sie.
Sie war es gewöhnt, eingehüllt in den warmen Trost des Leugnens zu leben, aber
nun kann sie es nicht mehr.
"Wir
sterben, Mulder," sagt sie.
"Nein."
Er schüttelt heftig den Kopf. "Wir waren draußen, haben zwei Nächte in
einer Höhle geschlafen, drei in einem Zelt. Wir haben uns erkältet, das ist
alles."
Ihre
Stimme klingt ärgerlicher, als sie es wirklich will. "Nein, Mulder. Wir haben diese Menschen in den Bergen
sterben sehen. Wir haben das gleiche wie sie."
Sie
hebt ihre Hand, so dass er die dunkle Schwellung sehen kann, die an ihre
Handfläche beginnt.
"Was
immer es auch ist, es ist zerstörerisch und sie haben es mitgebracht."
"Nein," sagt er, immer noch den Kopf schüttelnd. "Das
kann nicht das Ende sein."
Ich
möchte in Würde sterben, denkt sie und erinnert sich
an den heimlichen Vorrat an Schmerztabletten, den sie in ihrer Tasche
aufbewahrt hatte, als ihr Krebs so schlimm war.
Sie
hebt ihre Waffe auf und streichelt sie beinahe liebevoll. "Sie starben
einen qualvollen Tod," sagt sie mit flacher
Stimme. "Du hast ihre Krämpfe gesehen, ihre Schreie gehört."
Wenn
sie nachts ihre Augen schließt, kann sie den qualvollen Klang der
Schmerzensschreie immer noch hören.
"Es
muss nicht so sein," sagt sie.
"Wovon
sprichst du, Scully?"
Sie
bietet ihm ihre Waffe wie ein kostbares Geschenk an. "Wir können das hier
beenden. In Würde sterben."
Er
streckt seine Hand aus und legt sie sanft um ihr Handgelenk. "Nein," sagt er mit rasselnder Stimme und hustet.
Tränen
beginnen in ihren erschöpften Augen zu brennen.
"Ich...
ich kann nicht dastehen und zusehen, wie du so stirbst,"
flüstert sie mit zitternden Lippen. "Und ich kann es nicht ertragen, wenn
du mich sterben sehen musst in solch einer Agonie."
Mulders
Stimme ist leise und flehend, als er seine Arme um sie legt. "Nicht heute
Nacht, Scully. Es ist noch nicht die Zeit dafür. Lass uns einfach einander warm
halten. Bitte, für mich, nur noch eine Nacht..."
Langsam
legt sie ihre Waffe weg und sie hört ihn erleichtert ausatmen.
Er
zieht sie enger an sich und sein Atem zerzaust ihr Haar. "Ich möchte nur
einen neuen Morgen mit dir erleben."
Sie
denkt an all die Morgen im letzten Jahr. Einige waren eilig, sie hasteten beide
umher, um für die Arbeit fertig zu werden. Es gab eine Reihe von Morgen, an
denen sie mit einem Fall beschäftigt in einem Motelzimmer erwachten, den
FBI-Regeln über Agentenbeziehungen im Dienst trotzend. Und dann gab es die
erbärmlich wenigen Morgen am Wochenende, an denen sie Zeit hatten, die Zeitung
im Bett zu lesen, Kaffee zu trinken und die Laken mit Keksen vollzukrümeln und
sich zu lieben, während die Sonne zum Fenster hereinschien.
Sie
hatte niemals gedacht, dass dieser Tag kommen würde.
Sie
hatte niemals daran geglaubt, genauso wie sie nicht an Vampire, Ziegensauger
oder außerirdisches Leben geglaubt hatte.
Wie
sehr sie sich geirrt hatte.
"Komm,
lass uns zurückgehen," sagt Mulder, steht auf und
zieht sie hoch, hustend vor Anstrengung.
Sie
gehen den Pfad zum Campingplatz zurück.
Im
Zelt ziehen sie sich gegenseitig langsam aus. Sie haben sich nicht geliebt,
seit ihre Welt unterging. Angst und der Gestank des Todes sind nicht gut für
die Libido, aber nun brauchen sie die Vereinigung.
Denk
nicht daran, dass es vielleicht das letzte Mal ist, sagt sie sich.
Tatsächlich
war ihr Leben so gefährlich gewesen, jedes Mal wenn sie zusammen waren, war sie
sich dessen nur allzu bewusst gewesen, dass es das letzte Mal sein könnte.
Es
geht langsam, schmerzhaft langsam mit mehreren Pausen zum Husten. Seite an
Seite kommen sie zusammen, küssen sich überall, wo ihre Münder hinkommen
können. "Ich liebe dich," sagt Mulder und es
wird zu einem Singsang.
"Ichliebeliebeliebedich."
Sie
kommen zusammen, zitternd vor Lust und liegen umschlungen auf ihren
Schlafsäcken.
Sie
atmet tief ein und ist froh, dass sie nicht husten muss. Der Sirup hat
zeitweilig geholfen.
Er
streichelt gemächlich über ihr Haar. "Ich habe so viel zu bereuen," sagt er seufzend.
"Nein,
Mulder," flüstert sie. "Wir können nichts zu
bereuen haben. Wir haben das beste getan, was wir
konnten."
Wie
konnten zwei Menschen allein die Welt retten?
"Nein,
das nicht. Wegen dir und mir. Ich habe immer geträumt, dass wir eines Tages
unsere Antworten finden werden und sich alles zum Guten wenden wird. Und dann
könnten wir dieses normale Leben leben, nur du und ich. Wir könnten lernen,
einander zu lieben wie normale Menschen."
Sie
rollt herum und presst ihre Wange an seine fiebrige Brust. "Was wir
hatten, war genug für mich."
Gott,
sie sprechen bereits in der Vergangenheit.
Er
fährt fort. "Ich wollte dich heiraten, Scully." Mulders schwerer Arm
legt sich enger um ihren Rücken.
"Ich
weiß, Mulder." Sie versucht zu lächeln. "Aber wenn du es genau
betrachtest, sind wir bereits verheiratet. Zuerst war es eine arrangierte
Heirat, aber wir lernten, einander zu lieben."
"Arrangiert
durch Sektionschef Blevins und den Raucher,"
sagte er mit einem zynischen Lachen.
"Wie
auch immer, nach einer Weile konnte ich mir nicht mehr vorstellen, mein Leben
mit jemand anderem als dir zu verbringen," sagt
sie.
Obwohl
ihre Liebe sehr real und offensichtlich gewesen war, hatten sie nie viel über
ihre Gefühle gesprochen. Es ist einfach nicht ihre Art. Aber traurig erkennt
sie, wenn sie es jetzt nicht sagen, werden sie es nie tun.
Er
zieht sie ein bisschen nach oben, so dass sie ihm direkt in die Augen sehen
kann. Mulders Lippen teilen sich in einem kleinen Lächeln. "Scully, willst
du mich heiraten?" fragt er.
Sie
könnte lachen über die Absurdität eines Heiratsantrags unter den Nachwirkungen
der Apokalypse mit ihnen beiden, sterbend an irgendeiner Art Alienpest, aber
sie versteht den Zweck seiner Worte.
Ihre
Stirn berührt seine. "Ja, Mulder," flüstert
sie.
Sie
liegen beieinander als die Nacht über den Wäldern hereinbricht, berühren sich
einfach nur, küssen sich und teilen kleine Erinnerungen miteinander.
Schließlich
wird Mulders Stimme leise und sie weiß, dass er schläfrig wird.
Sie
zerzaust sein dunkles Haar. "Schlaf jetzt,"
sagt sie. "Ich liebe dich."
Seine
Augen fliegen auf. "Ich habe Angst, Scully. Ich will nicht sterben."
"Ich
auch nicht."
Der
Schlafsack raschelt, als er sich auf seinen Ellbogen stützt. "Ich
wünschte, ich könnte glauben, so wie du. Ich wünschte, ich könnte an ein Leben
danach glauben."
Sie
nimmt seine Hand in ihre. "Ich werde für uns beide glauben."
"Es
würde so tröstlich sein zu wissen, da ist ein Ort in einem Leben danach, an dem
wir für die Ewigkeit zusammen sein werden."
Um
ihren Hals hing immer noch die Kette mit dem Kreuz. Sie trug sie um ihren Hals,
seit sie fünfzehn war als Zeichen ihres Glaubens. Wenn es jemals eine Zeit
gegeben hat zu glauben, dann jetzt.
"Mulder," flüstert sie und hält inne, um seine Lippen zu
küssen. "Wir werden zusammen sein im nächsten Leben, ich verspreche
es."
Seine
Stimme wird wieder undeutlich vor Müdigkeit. "Ich will glauben..."
"Das
brauchst du nicht. Ich tue es."
Und
sie tut es, das ist das Wunder.
"Scully,
wirst du etwas für mich singen?"
Sie
lächelt in der Erinnerung an eine einfachere aber beängstigende Nacht, als sie
in den Wäldern Floridas verloren waren und sie über einen verletzten Mulder
wachte. Er hatte sie gebeten, etwas zu singen und sie hatte zugestimmt, mit
großer Verlegenheit. In dieser Nacht hatte sie "Joy to the world"
gesungen. Sie will das nicht wieder singen - es scheint nicht passend.
Ihn
in ihren Armen haltend, singt sie mit leiser und unmelodischer Stimme ein Lied,
das ihr immer sehr viel Trost gespendet hat.
"Erstaunliche
Güte, wie süß der Klang,
Das
rettet ein armes Wesen wie mich
Ich
war einmal verloren, aber nun habe ich mich gefunden, War blind, aber nun kann
ich sehen.
Es
war Güte, die lehrte
mein
Herz, zu fürchten.
Und
Güte, die meine Ängste nahm.
Wie
kostbar erschien die Güte...
in
der Stunde, als ich zu glauben begann.
Durch
viele Gefahren, Mühen und Versuchungen...
sind wir bereits gegangen.
Es
war Güte, die uns sicher so weit brachte...
und Güte wird uns nach Hause führen."
In
der Zeit, in der sie die dritte Strophe beendet, ist Mulder eingeschlafen.
Schon
bald schläft auch sie ein mit dem Gedanken ‚ich werde genug glauben für uns
beide'.
Das
Geräusch eines Überschallheulens weckt sie beide und Mulder und sie sitzen
kerzengerade da. "Was zur Hölle ist das?" ruft sie.
"Sie
sind zurück!"
Ihr
erster Instinkt ist weglaufen und verstecken, den Pfad hinauflaufen zu der
Höhle, in der sie die erste Invasion abgewartet hatten. Aber Mulder und sie sehen
sich an und der unausgesprochene Gedanke, den sie austauschen, ist ‚Wo liegt
der Sinn?'
Stattdessen
klettern sie beide aus dem Zelt und schauen in den Nachthimmel, der von einem
hellen, vollen Mond erleuchtet wird.
Mehrere
schwarze dreieckige Schiffe gleiten am Himmel entlang. Sie haben diese Schiffe
schon vorher gesehen.
Sie
sind zurück und dieses Mal ist es wirklich vorbei. Das ist es.
Mulder
nimmt ihre Hand in seine.
Irgendwie
habe ich immer gewusst, dass wir zusammen sterben werden, denkt sie. So stark
wir auch sind, es gibt keinen Weg, dass einer ohne den anderen überleben kann.
Kannst du dir so ein Leben überhaupt vorstellen?
Die
Erde unter ihren Füßen beginnt zu beben. Sie sieht Mulder voller Panik an. Das
passierte beim ersten Mal nicht.
"Kannst
du es kommen fühlen?" ruft sie.
"Was?"
"Ich
weiß nicht, aber es kommt..."
Wir
werden zusammen sein im nächsten Leben, Mulder.
Ich
glaube daran.
Etwas
Mächtiges bewegt sich über den Himmel, so groß, dass es sich endlos auszudehnen
scheint. Es scheint aus vielfarbigen Kristallen gemacht zu sein, die im Licht
des Mondes glitzern.
"Sieh
mal, der Himmel, wie schön," sagt Mulder und
zeigt auf das gigantische Flugzeug. Ungeachtet seiner Angst kann er seine
natürliche Neugier nicht von dem abwenden, was in seinem Blickfeld erscheint.
"Es
ist einfach... wunderbar..." keucht sie.
Halt
meine Hand, Mulder.
Das
ist es. Hier geht alles zu Ende.
Drei
der schwarzen dreieckigen Schiffe bewegen sich kreischend auf das gigantische
Kristallschiff zu und eröffnen das Feuer. Es ist irgendwie wie aus Star Wars,
nur dass das hier das richtige Leben ist. Sie kann nicht glauben, dass das, was
sie da sieht, wirklich passiert.
Das
große Schiff beginnt sich zu drehen und gibt ein leises Summen von sich und sie
beobachten voller Staunen, wie sich die schwarzen dreieckigen Schiffe auflösen
und in kleinen Stücken vom Himmel herabfallen.
Was
zur Hölle soll das?
Das
Summen des Schiffes wird lauter und sie hält den Atem an.
Mulder
und sie drehen sich zueinander um. Mit ihren Augen sagen sie sich Lebewohl.
Aber
es ist kein Lebewohl, Mulder. Wir werden zusammen sein im nächsten Leben.
Es
ist so intim, zusammen zu sterben.
Durch
einen weißen Lichtblitz von dem Schiff wird sie geblendet und alles hört
einfach auf.
xxxxxxxx
Dana
öffnete die Augen und fand sich auf einer Parkbank sitzend wieder, die
lederbekleideten Arme von Evan um sich. Sie konnte sich nicht daran erinnern,
zu der Bank gegangen zu sein.
"Dana,
bist du noch da?" fragte er. "Du warst irgendwie für eine Sekunde
weg."
Sie
konnte immer noch die Menschen um das Lagerfeuer herum singen hören.
So
also ist alles zu Ende gegangen.
Mulder,
wie konnte ich das nur vergessen?
Evan
berührte ihre Schulter. "Dana?" fragte er, seine Stimme klang jetzt
noch besorgter.
"Ich
bin in Ordnung," sagte sie "Ich hatte nur
gerade einen Flashback oder so etwas."
Und
dann sah sie auf und erblickte Mulder, der mit großen Schritten quer durch den
Park auf sie zukam.
Oh,
ich erinnere mich an dich. Ich erinnere mich.
Evan
stand auf. "Ich schätze, das ist der Moment, um zu verschwinden."
"Danke," sagte sie.
Er
beugte sich herab und drückte einen Kuss auf ihr Haar. "Jederzeit," sagte er und ging an Mulder vorbei zur Straße.
Dana
starrte Mulder in dem neuen Verständnis an, das ihre Erinnerung ihr gebracht hatte.
Er
blieb dicht vor ihr stehen, sein Gesicht war ernst.
"Ich
kenne dich," flüsterte sie.
Du
warst mein Partner, mein bester Freund, die Liebe meines Lebens.
"Ich
weiß," sagte er.
All
das bist du noch immer, Mulder.
"Nein," sagte sie kopfschüttelnd. "Ich kannte dich, im
Vorher."
Mulder
sank auf die Knie und verbarg seinen Kopf in ihrem Schoß. Instinktiv
streichelten ihre Hände über sein Haar.
Nichts
hat sich geändert. Ich liebe dich noch immer. Ich habe nie aufgehört.
Er
hob seinen Kopf und blinzelte sie aus tränengefüllten Augen an. "Ich weiß,
Scully."
Sie
erstarrte. Er hatte sich schließlich an sie erinnert.
Er
stand auf, setzte sich neben sie und sie starrten sich voller Verwunderung an.
"Heute
habe ich erkannt, dass es keine Tagträume waren, Scully,"
sagte er und umschloss ihre Hände mit seinen.
Wir
werden zusammen sein im nächsten Leben.
Solch
ein Wunder kann nicht vergeudet werden, dachte sie.
"Ich
habe dir vor fünf Jahren ein Versprechen gegeben,"
sagte sie und war sich nicht sicher, ob es sie mehr danach verlangte, zu lachen
oder zu weinen.
Sein
Kuss auf ihre Lippen war sanft und verheißungsvoll.
"Erzähl
mir davon, Scully," sagte er.
Und
sie saßen lange Zeit auf der Parkbank und erinnerten sich zusammen.
"Es
schien ihnen so, dass das Schicksal sie für einander bestimmt hatte, und sie
konnten nicht verstehen, wie sie einen Ehemann haben konnte und er eine
Ehefrau. Sie waren wie zwei umherziehende Vögel, der Mann und die Frau, die
eingefangen und in getrennte Käfige gesperrt worden waren...
Und
es schien ihnen so, dass sie kurz vor einer Entscheidung standen und dass dann
ein neues, wunderbares Leben beginnen würde. Und sie erkannten beide, dass das
Ende noch weit, weit entfernt war und dass der schwerste und schwierigste Teil
war, einfach nur zu beginnen."
Anton
Chekhov
xxxxxxxx
Epilog
Eines
Nachts kann sie nicht schlafen.
In
der Dunkelheit kann sie hören, wie sich ihr Mann herumrollt und sie weiß, dass
er auch noch wach ist.
Das
ist ihre Lieblingszeit, wenn die Arbeit des Tages getan ist, das Geschirr
gespült und die Kinder ins Bett gebracht sind und geräuschvoll schlafen.
Manchmal in der Nacht kann sie das schwache Geräusch hören, das ihre Nachbarn
unter ihnen machen, wenn sie Flöte spielen, aber mehr als alles andere kann sie
seinen gleichmäßigen Atem hören und es ist beruhigend.
Nachts
erlaubt sie ihrem Stress, ihren Schuldgefühlen und Ängsten, sich zu verlieren
und sie schwebt einfach zwischen den Decken und fühlt die Körperwärme ihres
Mannes in ihren ausstrahlen.
Nachts
gibt es keine Zweifel, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, in
jener Nacht auf der Parkbank, als sie sich schließlich daran erinnerte, wie
Mulder und sie in ihrem ersten Leben endeten.
Der
Schlaf wird kommen, sagt sie sich und dreht sich ihm entgegen, um sich an
seinen warmen, nackten Rücken zu kuscheln. Während ihr nachts oft kalt ist, ist
er immer warm, seine Haut so heiß, wie ein Sonnenstrahl.
Er
macht ein leises Geräusch in seiner Kehle bei ihrer Berührung und sie lächelt
an seinen Schultermuskeln. Heute Nacht riecht er nach Babyschaumbad und den
Zitronen, die er für das geröstete Hühnchen geschnitten hat.
So
ist häusliches Glück, denkt sie verträumt, als sie bedächtige Küsse überall auf
seinem Rücken verteilt.
"Oh,
das ist schön," seufzt er.
Während
sie sich an ihm wie eine zärtliche Katze reibt, denkt sie an ihren Hochzeitstag
und die Versprechen, die sie einander gemacht haben. Niemals hatte sie so fest
an etwas geglaubt. Sie hatte ihren kleine Strauß Frühlingsflieder an sich
gedrückt und die Worte mit leiser, aber fester Stimme gesagt. Aber unter ihrer
äußerlichen Gelassenheit wollte sie am liebsten zusammenbrechen und weinen
unter dem überwältigenden Gefühl des Augenblicks. Später tat sie es, als sie
allein zu Hause waren, ihre Hände ineinander verschlungen, ihre Finger, die
gleiche goldene Ringe trugen, fest miteinander verbunden.
Im
schwachen Licht der offenen Blenden beobachtet sie ihre Hand, wie sie über
seinen Rücken gleitet und die Art, wie der Ring beinahe zu leuchten scheint in
der Dunkelheit und sie daran erinnert, dass sie für die Ewigkeit miteinander
verbunden sind.
Schließlich
rollt er sich herum, um sie anzusehen. "Kannst du nicht schlafen?"
Sie
schüttelt den Kopf. "Ich bin nicht in der Stimmung."
Ein
Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. "Ich auch nicht."
In
einer Nacht wie dieser muss sie sich daran erinnern, dass er wirklich ist, dass
das nicht wieder nur ein Traum ist, aus dem sie bald erwachen wird. Sie muss in
seiner Körperlichkeit ertrinken, um sich selbst zu beruhigen.
Sie
nimmt sich Zeit, ihn zu küssen, seinen Körper überall zu berühren, zu spüren,
wie sich seine Haut an verschiedenen Stellen unterschiedlich anfühlt. Sie
versucht, sich seine Form mit ihren Fingern einzuprägen.
Sie
will nie wieder vergessen.
Er
stöhnt ein wenig, als sie ihre feuchte Lippen über seinen Bauch gleiten lässt
und ihn in den Mund nimmt. Das ist wirklich, sagt sie sich, als er anfängt,
seinen Körper mit seiner wachsenden Lust vom Bett zu heben.
Du
bist mein und ich bin dein. Fleisch von meinem Fleisch.
Als
er es nicht länger aushält, schiebt sie sich wieder zu ihm hoch. Er setzt sich
auf und lehnt seinen Rücken gegen das Kopfteil des Bettes mit einem Kissen
dazwischen. Mit einem Lächeln auf seinem Gesicht öffnet er seine Arme für sie
und bittet sie schweigend, zu ihm zu kommen.
Das
ist ihre Lieblingsstellung, sich mit ihm zu lieben. Sie kann das Tempo
bestimmen - kann es wild und heftig machen oder langsam und gemächlich. Ihr
Größenunterschied spielt nicht so eine Rolle, wenn er sitzt und sie auf ihm und
er ist ihr nahe genug, um ihn zu küssen und in seine außergewöhnlichen Augen zu
sehen.
Wenn
sie in seine Augen sieht, kann sie alles sehen - ihre gemeinsame Vergangenheit
und die Zukunft, die kommen wird.
"Scully," stöhnt er, als sie auf seinem Penis herabgleitet.
Sie
lächelt darüber. In der alltäglichen Welt neigt er dazu, sie Dana zu nennen,
etwa ‚Dana, wieviel Milch brauchen wir aus dem Laden?' oder ‚Dana, ich muss
jetzt Adam von Sarah abholen.'
Scully
ist sein ganz privater Name für sie, so nennt er sie im Bett. Es ist ihr
geheimer Prüfstein für das Leben, das sie einmal gelebt haben, das Leben, das
sie sich immer noch bemühen, zusammenzusetzen.
Langsam
bewegt sie sich mit ihm, leise in ihrer Kehle summend vor Glück, mit Mulder
vereint zu sein. Eine seiner starken Hände umfasst ihren Po und die andere
streichelt ihre Brüste, macht sie voll und schwer.
Sie
lehnt sich näher zu ihm, um seine Augen wieder zu sehen. Wie würde sie es
lieben, ein Kind von ihnen beiden zu sehen, mit diesen wundervollen grau-grünen
Augen und diesen dunklen Wimpern. Sie haben gerade begonnen, diese Idee zu
besprechen und zu entscheiden, ob sie die Möglichkeit eines Scheiterns
riskieren wollen.
Außerdem,
sie haben doch immer das Risiko in Kauf genommen, nicht wahr?
Ein
spitzer Schrei kommt aus ihrem Mund, als seine Finger ihre Klitoris finden und
ihre Kunst beginnen. Er lacht. "Du wirst noch die Kinder aufwecken."
Sie
lernt gerade, sich in den Nächten zu kontrollieren, in denen eines oder beide
Kinder bei ihnen sind.
"Ich
bin so... froh," keucht sie und bewegt sich
härter auf ihm.
Er
weiß, was sie meint. "Ich auch, Scully."
Ihr
Kuss ist nur ein anderer Ausdruck für das Versprechen, dass sie ihm in jener
Nacht, in der sie zusammen gestorben waren, gegeben hatte.
Wir
werden zusammen sein im nächsten Leben, Mulder.
Wir
sind es, denkt sie, als die Lust warm und süß in ihrem Körper erblüht.
Oh
Gott, wir sind es.
Sie
weiß nur zu gut, dass sie etwas Schreckliches getan haben, indem sie John und
Sarah verließen. Johns Augen beschuldigen sie immer noch schweigend, jedes Mal,
wenn sie ihn sieht. Und Sarah weigert sich standhaft, mit ihr zu reden, außer
wenn es unumgänglich ist. Sie haben die Sicherheit der Familienbande ihrer
Kinder zerstört, die wahrscheinlich aufwachsen werden, ohne sich daran erinnern
zu können, wie es war, als ihre Eltern noch miteinander verheiratet waren.
Ja,
sie weiß das. Manchmal verfolgt sie das im Tageslicht.
Aber
sie weiß auch, welch ein Wunder es war, Mulder wiederzufinden. Sie neigt nicht
dazu, an Glück und Schicksal zu glauben, aber es kann kein Zufall sein, dass
sie es irgendwie geschafft haben, wieder zueinander zu finden.
Die
Nacht, in der sie sich an Mulder erinnerte, war die Nacht, in der sie wieder zu
glauben begann. In dieser Nacht begann sie noch einmal, zu beten.
Sie
legt ihre Arme um Mulders Hals und ihre goldene Kette mit dem Kreuz baumelt vor
seinem Gesicht. Es war sein Hochzeitsgeschenk für sie, das dazu dient, sie an
ihren Glauben, ihre Mutter und ihren Vater, ihre Schwester und ihre Brüder zu
erinnern, die sie zwar verloren hat, die aber nicht länger vergessen sind.
Sie
wünschte, sie hätte etwas gleichwertiges, das sie ihm als Erinnerung an
Samantha geben kann, aber sie weiß, dass er sie nicht vergessen hat. Er will
immer noch das Schicksal seiner Schwester kennenlernen.
Als
sie, in seinen Armen bebend, kommt, ist es mehr als das heiße, verbotene
Gefühl, das sie in dem Hotelzimmer vor mehr als einem Jahr hatte. Es ist Lust und Sicherheit, die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kommen zusammen in einer überwältigenden
Woge. Es ist alles.
Als
Mulder seinen Höhepunkt erreicht, schafft er es irgendwie, gleichzeitig zu
lachen und kommt in ihr voller froher Erleichterung.
Das
ist das nächste Leben und wir sind zusammen, Mulder.
Sie
rollen, schließlich gesättigt, auf die Seite, ihr Körper ringelt sich in
seinen.
"Ich
liebe dich," flüstert er. Diese Worte haben immer
noch die Kraft, ihr Schauer über den Rücken zu jagen.
"Und
ich liebe dich," sagt sie und streckt ihre Hand nach
hinten aus, um seine Lippen mit ihren Fingern zu berühren.
Sie
fürchtet sich nicht länger vor der Nacht oder ihren Träumen. Aber da ist noch
eine Sache, die sie machen müssen, bevor sie schlafen.
Ihre
Augen schließend, sagt sie, "Erzähl mir eine Geschichte, Mulder."
Das
ist es, was sie nachts tun, zu teilen, woran sie sich erinnert haben. Am nächsten Tag schreibt sie es immer in
eines ihrer Tagebücher. Das rotgebundene Buch enthält Erinnerungen für Julia
und Adam, so dass wenn sie alt genug sind, Fragen zu stellen, sie vielleicht
lernen und verstehen werden. Das schwarze, das Mulder ihr zum Geburtstag
geschenkt hatte, ist nur für sie beide, für ihre ganz privaten Geschichten.
Er
denkt einen Moment nach und sagt dann, "Ich habe eine hübsche,
Scully."
Sie
lächelt. "Erzähl sie mir."
"Es
war an Thanksgiving im Haus deiner Mutter und ich fühlte mich unbehaglich,
umgeben von deiner ganzen Familie. Ich wusste, dass du deiner Mutter von uns
erzählt hattest, bevor ich gekommen bin. Sie waren nett zu mir, natürlich,
sogar Bill, aber ich fühlte mich fehl am Platz und unter Beobachtung. Deine
Mutter folgte mir immer mit diesen Blicken und ich stellte mir vor, wie sie
dachte ‚Du bist also derjenige, der meine jüngste Tochter geschändet
hat.'"
Sie
lacht in das Kissen.
"Nach
dem Essen haben deine Mutter und du mit diesem Baileys begonnen und ich war
gezwungen, mir das Spiel mit Charlie und Bill anzusehen. Als es vorbei war,
haben deine Mutter und du immer noch geredet, also ging ich in den Keller, um
ein Nickerchen zu machen. Es waren so viele Menschen in dem Haus, die
übernachteten, dass mir das Ersatzbett im Keller
zugeteilt worden war.
Ich
war gerade dabei, einzuschlafen, als ich die Kellertreppe knarren hörte. Als
ich aufblickte, sah ich dich, du hattest einen vollkommen verschmitzten
Ausdruck auf deinem Gesicht. Du hattest deine Bluse bereits aufgeknöpft und du
hast sie auf den Boden geworfen und bist zu mir ins Bett geklettert. Ich konnte
den Kaffee und den Likör in deinem Atem riechen, als du anfingst, mein Ohr und meinen
Hals zu küssen. Scully, ich wollte dich so sehr, aber ich hatte Angst, Bill
würde herunterkommen und mich zusammenschlagen. ‚Alle sind oben,' sagte ich, aber du hast mich weiter geküsst und du
würdest auch nicht aufhören und ich wollte es auch nicht. ‚Das ist in Ordnung,'
hast du geflüstert. ‚Wir können leise sein. Mulder, ich weiß, wir können leise
sein...'"
ENDE