TOD OHNE HERRSCHAFT
(Originaltitel: And Death Shall Have No Dominion)
von Jean Helms
aus dem Englischen
übersetzt von Sylvie < aktex_sm@hotmail.com
>
Warnung: ausdrücklich
sexuelle Gewalt/Vergewaltigung einer Figur. Figur stirbt, obwohl, wenn ihr wie
ich seid, werdet ihr deswegen keine Träne vergießen
Originalposting: 12.12.1999
Archiveintrag: And Death Shall Have No Dominion
Klassifikation: SRA, MSR
Rating: meistens PG, aber
durchweg NC-17 für die Sprache, Kapitel handeln von ausdrücklicher und
angedeuteter sexueller Gewalt und von ausdrücklich gegenseitig gewünschtem Sex
Archivierung: überall, wo
man möchte, aber bitte unter Angabe meines Namens und meiner Addy und lasst
mich wissen, wo.
Feedback: ja, bitte
Spoiler: U.S.-Staffel 6,
um sicher zu gehen, sagen wir bis ausschließlich
Two Fathers/One Son
Disclaimer: Die X-Akten
und alle darin enthaltenen Charaktere wurden von Chris Carter erschaffen und
sind sein Eigentum oder das Eigentum von 1013 Productions, Fox Television oder
20th Century Fox. Auch die Mordfälle, die Fox Mulder in dieser Geschichte
untersucht, basieren auf den Schriften von John Douglas, dem Vater des criminal
personality profiling. Die Tatsachen der Fälle und die Untersuchungen John
Douglas' sind adaptiert und ohne Erlaubnis benutzt worden - aber mit der
größten Verehrung. Verletzungen des Urheberrechts sind nicht beabsichtigt und
diese Arbeit wird frei verbreitet, ohne irgendeine Bezahlung des Autors. Weitere
Anerkenntnisse und Disclaimer am Ende des ersten Kapitels.
Widmung: Lee, meiner
treuen Betaleserin und Freundin, für all ihre Hilfe, ihre Vorschläge und vor
allem für ihren unendlichen Enthusiasmus und Ansporn und meinem Ehemann David
und meinen Kindern Mary, Emily und Karen für ihre Geduld, Liebe und
Unterstützung über die vielen Monate hinweg, die ich brauchte, um das hier zu
schreiben.
Anmerkungen der
Übersetzerin:
Diese Story hat mich von
der ersten bis zur letzten Seite - und es waren sehr viele - gefesselt. Ich
habe mit der Autorin einige Mails ausgetauscht und es war schon sehr spannend,
zu lesen, wie sie selbst ihre Story sieht und wie sehr sie sich darüber freut,
dass auch andere diese Story mögen. Wenn
Ihr sie gelesen habt, seid Ihr hoffentlich genauso hin und weg wie ich und ich
möchte Euch sehr herzlich bitten, der Autorin das dann auch mitzuteilen. Sie
ist genauso gespannt wie ich, ob diese Story bei den deutschen FF-Lesern und
FF-Leserinnen ankommt oder nicht. Allerdings möchte ich Euch auch bitten, Euer
Feedback in Englisch zu schicken. Jean hat zwar mal auf der High School Deutsch
gelernt, aber viel ist davon nicht hängen geblieben. Falls jemand gern eine
Mail an Jean schicken will, aber mit dem Englischen nicht so gut klarkommt,
dann kann er sich an mich wenden und ich werde das Feedback gern übersetzen.
In dieser Story wimmelt es
von Abkürzungen. Ein paar davon habe ich ins Deutsche übersetzt, aber die
meisten sind eingedeutscht nicht zu gebrauchen. Deshalb habe ich sie so im Text
stehen lassen, wie sie im Original erscheinen. Damit aber jeder weiß, was
gemeint ist, kommt hier eine Liste mit den verwendeten Abkürzungen. Sollte ich
eine im Text verwendete Abkürzung hier vergessen haben, so bitte ich um
Nachsicht und um eine kurze Mitteilung, damit ich sie noch hinzufügen kann.
So, jetzt hab ich Euch
lange genug vom Lesen abgehalten. Ich wünsche Euch genauso viel Spannung und
ganz viel Spaß dabei und haltet ein paar Taschentücher bereit. Ich hab sie ein
paar Mal gebraucht und vielleicht ergeht es einigen von Euch ja genauso.
Und ich möchte nicht
versäumen, mich bei Dana D. für ihre Hilfe bei schwierigen Passagen und ihre
Arbeit mit dem Posten der Ü ganz doll zu bedanken. Hey, Du bist wunderbar
*knuddeldrückganzdoll*.
Verwendete Abkürzungen:
SAC Special Agent in
Charge
verantwortlicher Special Agent
SSA Supervisory Special Agent
leitender Special Agent
BSU Behavioral Sciences Unit
Abteilung für
Verhaltenswissenschaften
BFO Birmingham Field
Office
Bezirksbüro des FBI in
Birmingham
SEAL short for Sea, Air and Land Teams
Kurzbezeichnung für See-,
Luft- und Landstreitkräfte
Navy SEAL spezielle
Kriegstruppe der Navy
COMSURFLANT Commander of the Surface Fleet in the
Kommandeur der Seeflotte
im Atlantik
VICAP Violent Crimes Apprehension Program
Programm zur Erfassung von
Gewaltverbrechen
Nationales Zentrum für die
Untersuchung von Gewaltverbrechen
HCPU Health Care Programs Unit
Abteilung für das Programm
zur Gesundheitsvorsorge
RFLP Restriction Fragment Length Polymorphism
Beschränkung des
Restlängenpolymorphismus
PCR Polymerase Chain
Reaction
Polymere Kettenreaktion
(Die beiden letztgenannten
sind DNA-Tests und sollte sich ein medizinischer Sachverständiger finden, der
damit was anfangen kann, dann lasst es mich auch wissen.)
BSC
MO modus operandi (lat.)
Art und Weise, wie der
Kriminelle seine Verbrechen durchführt
CDC
Zentrum für
Seuchenkontrolle
BID bis in diem (lat.)
beschreibt, in welcher
Dosis und wie oft ein Medikament eingenommen werden
soll
ABI
Außenstelle des FBI in
Alabama
OPR Office of Professional Responsibility
Büro für berufliche
Verantwortung
DoD Department of Defense
Verteidigungsministerium
Tod Ohne Herrschaft -
Kapitel 1-4
(Originaltitel: And Death Shall Have No Dominion)
von Jean Helms
aus dem Englischen
übersetzt von Sylvie < aktex_sm@hotmail.com
>
"Sie sollten Sterne
an Ellbogen und Füßen haben, trotzdem sie verrückt werden, sollten sie
vernünftig sein, trotzdem sie im Meer versinken, sollten sie wieder
auferstehen, trotzdem Liebende verloren gehen, sollte es die Liebe nicht; und
der Tod sollte keinen Herrschaft haben."
And Death Shall Have No Dominion
Dylan Thomas
Kapitel 1
FBI-Hauptquartier
Montag, 21. Dezember
8:11 a.m.
Hin und wieder schienen
die Leitprinzipien des Universums sich ins Gegenteil zu verkehren und das
Unmögliche passiert: Die Wirkung geht der Ursache voraus, parallele Schicksale
kreuzen sich, Energie wird erschaffen oder zerstört.
Was an diesem Morgen
geschah, war weniger katastrophal, aber nicht weniger unmöglich: Special Agent
Dana Katherine Scully, Doktor der Medizin, konnte ihre Gedanken nicht auf die
Arbeit konzentrieren. Schon als sie durch die Halle des J. Edgar Hoover
Gebäudes ging, dem Zuhause des Federal Bureau of Investigation, war Arbeit das,
worum sich ihre Gedanken am wenigsten drehten. Es geschah automatisch, dass sie
ihren Ausweis hochhielt und durch die Sicherheitskontrolle für Agenten ging.
Es war Dezember, nicht mal
mehr eine Woche bis Weihnachten. Das Wetter war lausig: matschiger, schmutziger
Schnee überall, grau und kalt. Sie hatte ihre Weihnachtseinkäufe noch nicht
erledigt. Es wäre ihr zu verzeihen gewesen, wenn sie daran gedacht hätte. Aber
sie dachte gar nicht an so etwas irdisches.
Sie betrat den Fahrstuhl,
drückte auf den Knopf für ihre Etage und ignorierte das herablassende Grinsen
der anderen Agenten. Das war sie gewöhnt. Die anderen G-men hätten genauso gut
auf einem anderen Planeten sein können bei all der Aufmerksamkeit, die sie
ihnen schenkte. Der Fahrstuhl glitt nach oben. Das war eine Veränderung, eine
große. In den letzten fünf Jahren hatte sie das einzige Büro im Keller mit
ihrem Partner geteilt, den sie seit sechs Jahren hatte: Special Agent Fox
Mulder, oder wie er sich bei ihrem ersten Treffen selbst nannte, der im FBI am
wenigsten gewollte.
Nun verrichtete sie
ätzende Arbeiten im Großraumbüro oben, als ob sie frisch von der Akademie in
Quantico kam.
Im Moment machte sie sich
darüber jedoch keine Sorgen. Sie hatte andere Dinge im Kopf. Pizza. Um genau zu
sein, die Pizza, die sie und Mulder sich zwei Abende zuvor geteilt hatten, als
sie ihren letzten Fall bei Pilzen und Peperoni besprachen, Seite an Seite in
einem kleinen, trostlosen Hotelzimmer in Podunk, Nebraska sitzend.
Okay, es hieß nicht
Podunk, dachte sie. Wie zur Hölle hieß es? Die Städte begannen, in ihren
Gedanken miteinander zu verschmelzen. Klein, dem Aberglauben verfallen,
trübsinnig, schlecht gebildet, deprimierend - das waren die meisten von ihnen.
Und alle hatten sie diese armseligen Hotels, die ihnen die schäbigen
Reisekostenvorschriften des FBI gestatteten.
Nutzlose Städte, misstrauisch gegenüber der Wissenschaft und beinahe
jeder Form von Wissen.
Mulder war der einzige
Akademiker mit Griechischkenntnissen, den die meisten dieser Städte je sehen
würden und er war das Herz des Pizzaproblems.
Es hätte nicht passieren
dürfen: sie hätten nicht einmal zusammen in einem Hotelzimmer sein dürfen, aber
keiner von beiden schenkte den Bestimmungen, die dagegen sprachen, sonderlich
viel Aufmerksamkeit. Die Regel waren dazu bestimmt, Problemen mit sexueller Belästigung
vorzubeugen, und das war nie ein Problem zwischen ihnen gewesen. Sie fühlten
sich zusammen vollkommen wohl und das schon seit ihrem ersten gemeinsamen
Einsatz.
Das war sechs Jahre her.
Mulder leitete eine Untersuchung von mysteriösen Todesfällen von einer Reihe
von Jugendlichen der Stadt, alle waren mit seltsamen Malen an ihrem unteren
Rücken gefunden worden.
Als sie in ihr Motel
zurückkamen, gab es keinen Strom. Ein Sturm hatte die Elektrizität der ganzen
Stadt lahmgelegt. Sie war todmüde, regendurchnässt und bereits halbverrückt
durch die Erkenntnis, dass sie sich von einem Mann, den sie am Tag zuvor noch
nicht einmal gekannt hatte, hatte überreden lassen, eine Exhumierung und
Autopsie einer Leiche zu leiten, die nicht einmal erkennbar menschlich war.
Scully war in Unterwäsche und bereitete im Kerzenlicht ihr Bad vor, als sie die
Male an ihrem eigenen Rücken entdeckte.
Plötzlich war sie sehr
verängstigt. Um die Wahrheit zu sagen, sie war verrückt vor Angst. Das
schlimmste daran war, dass sie wusste, dass sie sich vor albernen Dingen
fürchtete, unlogischen Dingen, an die sie nicht glaubte. Nicht glauben
*wollte*, verbesserte sie sich.
In blinder Panik war sie
in Mulders Motelzimmer gelaufen, hatte ohne nachzudenken, ihren Bademantel
fallen lassen und darauf bestanden, dass er ihren Rücken untersuchte. Die
Ärztin in ihr hatte darin nichts falsches gesehen.
Jedoch erkannte die Ärztin
in ihr zu spät, dass das keine medizinische Untersuchung war. Das war ein
Motelzimmer und er war ein männlicher Agent und sie war in Unterwäsche. Scully
sah ihren Ruf direkt vor ihren Augen zusammenbrechen. Sie konnte sich nicht
vorstellen, dass ihr neuer Partner das nicht zu seinem Vorteil ausnutzen und
überall im Büro die Geschichte herumerzählen würde, wie sie in sein Zimmer
gekommen war und ihre Sachen fallengelassen hatte, kaum einen Tag, nachdem sie
Partner geworden waren. All der Kampf um
Respekt und Gleichstellung ging genau hier zu Ende. Sie war dabei, eine
Witzfigur zu werden.
Nur dass überhaupt nichts
dergleichen geschah. Mulder hatte sich nicht über sie lustig oder anzügliche
Bemerkungen gemacht. Er hatte einfach die Male untersucht und sie beruhigt,
dass es nur Moskitostiche waren.
In dieser Nacht hatte er
ihr Herz gewonnen. Nachdem sie sich den Bademantel wieder angezogen hatte,
hatte sie sich impulsiv in seine Arme geworfen. Und er hatte sie gerade lange
genug gehalten, um sie zu trösten und sie sofort losgelassen, als sie sich
zurückzog. Er begegnete ihrem besorgten Blick mit Augen, die ruhig, freundlich
und verständnisvoll waren. Braunen Augen. Warm und tief, deren Farbe sich mit
dem Licht veränderte. Den Augen eines Freundes.
Seufzend entspannte sie
sich. Bei diesem Mann war sie sicher. Sie konnte bleiben. Den Rest der Nacht
verbrachten sie damit, sich zu unterhalten.
Scully lag auf einem der Betten. Er hatte sie mit einer Decke zugedeckt
und saß neben ihr auf dem Boden, und sie begannen damit, was ein sechs Jahre währender
Prozess des gegenseitigen Öffnens ihrer tiefsten Herzensangelegenheiten werden
sollte. Sie wurden Freunde.
Danach gab es keinen
Grund, in die politische Rechtschaffenheit eines Restaurants oder einer Bar zu
fliehen. Mulder war vollkommen in der Lage, sich auf ihre Kosten zu amüsieren
(‚Scully, was hast du da an?' ‚Oooh, wenn du so stoned wärst, was dann?' ‚Ich
denke, es ist kaum glaubwürdig, jemand könnte denken, du bist heiß.'), aber er
war genauso perfekt dazu in der Lage, sie als Partnerin und Kollegin zu
behandeln. Und das tat er. Das war etwas Seltenes in der Männermachtbastion des
FBI.
Das war es auch, warum sie
in dieser Nacht in Podunk keinerlei Bedenken hatten, auf einem der Betten zu
sitzen, ihre Körper bequem aneinander gelehnt, während sie redeten und die Pizza
verdrückten. Dieses Mal war die Pizza heiß und weich und so gut, dass Scully,
Miss ‚Grüner Salat mit Zitrone und ein Becher Joghurt mit Bienenpollen' Scully,
gierig fast die Hälfte davon verschlungen hatte, sehr zur Erheiterung ihres
Partners. Am Ende hatte sie einen großen Klecks Tomatensoße im Gesicht, obwohl
sie es nicht bemerkte, bis sie sah, wie sich seine braunen Augen auf ihre linke
Wange konzentrierten.
Ohne ein Wort hatte er
eine Serviette genommen und die Soße sanft weggewischt, wie ein Vater, der
seinem Kind das Gesicht saubermachte. Er hatte das schon vorher getan, aber das
war in einem Restaurant; diesmal waren sie allein, saßen auf einem Bett in
einem Hotelzimmer und die Berührung durch das raue weiße Papier fühlte sich so
unheimlich intim, liebevoll, besitzergreifend an.
Sie schob ihn weg, nahm
die Serviette selbst in die Hand und ging hinüber zum Spiegel. Darin sah sie
seine Augen, sah die Verletztheit darin, obwohl er sich bemühte, sie zu
verbergen. Er würde es so bald nicht wieder versuchen.
Nun, als sie im Fahrstuhl
fuhr, überdachte Scully den Zwischenfall wieder und wieder. Warum hatte sie ihn
weggeschoben, fragte sie sich? Warum hatte es ihn so sehr verletzt, dass sie es
getan hatte? Und warum hatte sie plötzlich Angst davor, ins Büro zu gehen und
ihn anzusehen? Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass es keinen Grund
gab, sich Sorgen zu machen. Alles was passiert war, war dass sie die
professionellen Grenzen zwischen ihnen wieder gesetzt hatte. Das musste von
Zeit zu Zeit in einer männlich-weiblichen Partnerschaft getan werden. Er würde
das verstehen und respektieren.
Aber in ihrem Innersten
wusste Dana Scully, dass ihr ihr Intellekt einen großen Haufen Scheiße
servierte. Weil die Wahrheit war, dass sie ihn wollte. Ganz schrecklich wollte.
Und es gab keinen einzigen Zweifel darüber, dass er im Bett gut sein würde.
Instinktiv wusste sie, dass Mulder als Liebhaber genauso sein würde, wie als
Partner: respektvoll, fürsorglich, leidenschaftlich, intuitiv, athletisch,
sogar kreativ. Und zärtlich, so wie er ihr Gesicht abgewischt hatte. Der
Gedanke machte sie leicht schwindelig und sie legte eine behandschuhte Hand auf
das Fahrstuhlgeländer, um sich zu stützen.
Sie wollte ihn so
kennenlernen. Es war lange her, seit sie das letzte Mal mit einem Mann zusammen
gewesen war, so lange, dass sie sich kaum daran erinnern konnte, was für ein
Gefühl das war. Nicht dass es da so viel zu erinnern gab, zumindest für sie
nicht. Ihr Ex-Liebhaber hatte ihr einen Spitznamen verpasst, einen, von dem sie
später lernte, dass er im ganzen FBI verbreitet worden war: die Eiskönigin.
Aber wenn es einen Mann
auf Erden gab, der dieses Eis zum Schmelzen bringen würde, dann war es ihr
Partner. Und Mulder war ein Mann, richtig; gemessen an jedem objektiven
Standard war Fox Mulder ein verdammt attraktiver Mann, groß, schlank und
muskulös, mit einem Mund, der darum bettelte, ausprobiert zu werden, und diese
Augen...
Sie hätte ihn haben
können, in diesem kleinen Hotelzimmer, aber es war nicht passiert. Dana Scully,
die Eiskönigin, hatte es nicht zugelassen. Das war es gewesen. Mulder hatte
irgendetwas darüber gesagt, dass man am Morgen früh raus musste, war in sein
eigenes Zimmer gegangen und hatte die Verbindungstür hinter sich geschlossen.
Dennoch hatte er sie nicht verschlossen, wenigstens etwas. Wenn sie es gewollt
hätte, hätte Scully diese Tür öffnen und zu ihm gehen können. Stunden später,
als sie die allzu bekannten Geräusche hörte, dass Mulder aus einem weiteren
Alptraum erwacht war, hätte sie es beinahe getan. Es wäre so einfach gewesen.
Aber sie bewegte sich
nicht. Sie lag wach da und lauschte auf die Geräusche auf der anderen Seite der
Tür: das Wasser, das er sich eingoss, die Pseudoerregung des Publikums in den
Werbespots, das klick-klick-klick seines Laptops, als er sich wieder einmal der
einsamen Welt seiner dauernden Schlaflosigkeit ergab. Es tat ihr weh, aber sie
ging nicht zu ihm. Sie, die in den Lauf einer Waffe starren konnte, ohne mit
der Wimper zu zucken, wurde zu einem vollkommenen Feigling und ließ ihn allein
gegen seine Dämonen kämpfen. Das war grausam gewesen und sie wusste es. In
diesen grausamen Zeiten war er so abhängig von ihrer Freundschaft geworden,
aber in dieser Nacht hatte sie sie ihm verwehrt.
Sei ehrlich, Dana, dachte
sie, während der Fahrstuhl langsam nach oben fuhr. Es war nicht Freundschaft,
die du ihm in dieser Nacht verwehrt hast.
Es war Liebe. Die Liebe zwischen ihnen war niemals ausgesprochen, sogar selten
darauf hingewiesen worden. Sie waren darum herumgeschlichen, aber es war wie
das Schleichen um einen Elefanten: zu groß, um ihn zu ignorieren, aber auch zu
groß, um etwas dagegen zu tun. Beinahe zu groß, verbesserte sie sich. Einmal
hatte er sie fast geküsst, obwohl er wahrscheinlich glaubte, sie würde sich
nicht daran erinnern. Seine Lippen hatten fast die ihren berührt, als diese
verdammte Biene sie gestochen und sie in eine Alptraumwelt aus Eis geschickt
hatte, aus der sie kaum lebend entkommen war.
Dass sie überlebt hatte,
hatte sie nur ihm zu verdanken. Er hatte sein Leben riskiert, um ihres zu
retten, hatte die Eiswüste der Antarktis durchquert, um sie aus ihrer
Gefangenschaft zu befreien. Sex würde ihr nicht einmal annähernd seine Liebe so
zeigen können, wie es diese Reise getan hatte. Trotzdem, sie wollte es. Sie
wollte ihn. Und sie fragte sich, ob sie jemals wirklich nackt vor Mulder stehen
könnte, stehen würde. Physische
Nacktheit war nicht die Frage, das war es nicht einmal annähernd. Die Umstände hatten es gefordert, dass ihr
Partner und sie mehr als einmal mit dem unbekleideten Körper des anderen
umgehen mussten; und sie hatten es mit professioneller Losgelöstheit getan:
erste Hilfe geleistet, die Ambulanz gerufen, Sachen oder eine Decke als Schutz
gefunden.
Auch fürchtete sie seine
Berührung nicht, kaum ein Tag verging, an dem er sie nicht berührte, manchmal
mehrere Male, er legte eine leitende Hand auf ihren Rücken oder hielt sie
vorsichtig am Oberarm fest, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Intimere
Berührungen waren selten, aber nicht ausgeschlossen: eine Umarmung, ein
flüchtiger Händedruck, ein Kuss auf ihre Hand oder auf ihr Gesicht. Seine
Berührung trug Anhaltspunkte für Gefahr in sich, Hinweise auf die Sinnlichkeit,
die in ihm brannte, auf die Leidenschaft für alle lebenden und lebendigen
Dinge, die ihn auf seiner Suche vorantrieben. Diese Leidenschaft auf sie
gerichtet zu haben - sie auf sich zu ziehen, der Brennpunkt seiner
unerbittlichen Energie zu werden - sie konnte sich kein größeres Vergnügen,
keine sicherere Erfüllung als diese vorstellen.
Nein, die Grenze hatte gar
nichts mit irgendeiner physischen Angst zu tun.
Die Hände-Hoch-Politik war ihre Rüstung gegen die vollkommene und beängstigende
Nacktheit ihres inneren Selbst vor ihm. Solange er von ihr als seine Partnerin
dachte, als Mitarbeiterin, vollkommen von ihm getrennt, war sie sicher; er war
zu gut erzogen, um seine Anfragen weiter zu treiben, als sie bereit war, es zu
erlauben.
Und so hatte sie sechs
Jahre lang Intimitäten zwischen ihnen wie Almosen ausgeteilt, wie ein Mann, der
seinen Wasservorrat in der Wüste einteilt.
Sie konnte es nie riskieren, ihn sich so viel von ihr nehmen zu lassen,
wie sie wollte; wenn sie es tat, war sie sich sicher, würde er sie mit Haut und
Haaren verschlingen. Es würde nichts in diesem sicheren Raum in ihr drin übrigbleiben,
kein Teil ihrer Seele, der nicht für seine Prüfung offen sein würde, und das
war gefährlich. Zu gefährlich, um es auch nur in Erwägung zu ziehen.
Im Großraumbüro
8:15 a.m.
Mulder war, wie üblich,
bereits bei der Arbeit, als Scully hereinkam, und saß zurückgelehnt in seinem
Stuhl, die Füße auf dem Schreibtisch. Kein Wunder, dass er früh da ist. Er war
wahrscheinlich gestern hier und ich glaube auch nicht, dass er letzte Nacht
nach Hause gegangen ist, dachte Scully, als sie ihre lustvollen Gedanken in den
verschlossenen Teil ihres Gehirns verbannte.
Nicht dass Mulder im
Moment einen Anblick bot, der Lust hervorrief, wenigstens für niemand anderen.
Er trug dasselbe blaue Hemd und die fürchterliche Krawatte in Grün und Rot,
welche er am Tag zuvor getragen hatte, aber das Hemd war zerknautscht, die
Krawatte hing lose um seinen Nacken und die Augen hinter den stahlgeränderten
Brillengläsern waren rot und müde.
"Hey Scully, sieh dir
das an," sagte er, sie wie gewöhnlich ohne Einführung begrüßend. "Wir
haben einen richtigen, todernsten FBI-Fall."
"Dir auch einen guten
Morgen, Mulder," entgegnete Scully, zog ihren Mantel aus und hängte ihn
sorgfältig an den Haken. "Was hast du da bekommen?"
Mulder schleuderte die
Akte auf Scullys Schreibtisch in der Zelle hinter seiner und grinste.
"Eine Fabrik außerhalb von Mobile, Alabama. Eine Menge mysteriöser
Verladungen hinein und heraus, eine Menge Männer in Schwarz, die herumlungern
und die Arbeiter verängstigen. Eine Quelle, die sagt, was dort
zusammengebastelt wird, ist eine biologische Waffe und dass wir Mobile einen
Besuch abstatten sollten - ich habe gehört, dass die Winter an der Golfküste
mild und wunderschön sein sollen."
"Was ist das für eine
Quelle?" fragte Scully, setzte sich auf ihren stets aufgeräumten
Schreibtisch und nahm die Akte in die Hand.
"Eine, der wir trauen
können, denke ich," meinte Mulder in einem Ton, der sie zum Streit
herausforderte. Scully war nicht in der Stimmung für dieses Spiel. "Du
vertraust deinen Quellen immer," entgegnete Scully ruhig und ignorierte
Mulders verletzten Hundeblick. "Deshalb sind sie immer noch deine Quellen.
Das legt mir aber nicht nahe, dass sie automatisch auch meine werden
sollten." Den Ordner öffnend, überflog sie rasch die Akte zur unteren
Zeile des Vordrucks 302: Verantwortlicher Agent: SA Mulder. Das habe ich
ziemlich lange nicht gesehen, dachte sie.
Scully schloss den Ordner
und sah zu Mulder auf. "Vorausgesetzt deine Quelle ist vertrauenswürdig -
und im Moment ist das nur eine Annahme - warum sollten sie uns dahin schicken?
Und warum Mobile? Ich war vor Jahren in Mobile, als mein Vater ZV auf der
Marinebasis Pensacola war."
"Was ist ein
ZV?" fragte Mulder. "Klingt wie eine Kugel gefrorener Joghurt."
"Zeitweilige
Verpflichtung, Mulder," erklärte sie und verdrehte die Augen. "Und wechsle nicht das Thema. Mobile ist
keine große Stadt. Welchen möglichen Grund könnten sie haben, dort eine höchst
geheime Fertigungsanlage zu platzieren? Warum nicht in einer größeren Stadt, wo
sie unbemerkt bleiben könnten?"
"Genau das ist
es," erklärte Mulder, der verletzte Blick war verschwunden. Scully würde ihn nicht nach all den Details
fragen, wenn sie nicht interessiert wäre, und sie war daran interessiert - das
wusste er. "Wenn du dir all die Fakten ansiehst, dann ist Mobile
perfekt," fuhr Mulder fort, sich für sein Thema erwärmend. "Denk mal
nach Scully: Tatsächlich ist es keine Kleinstadt, es ist eine Stadt mit mehr
als einer Viertelmillion Einwohner, sie ist also groß genug, um darin
unterzugehen, aber nicht groß genug, um aufzufallen. Und wie du selbst bemerkt
hast, es ist nicht der Ort, den du zuerst verdächtigen würdest."
"Ich denke, worauf
ich hinauswollte, ist, dass es der letzte Ort wäre, den du verdächtigen
würdest," entgegnete Scully. "Das heißt, du entfernst dich von deinen
Grundlagen."
"Aber er hat
Vorteile," antwortete Mulder eingeschüchtert. "Dort gibt es einen
kommerziellen Seehafen von angemessener Größe und hier kreuzen sich auch zwei
Interstate Highways, einer davon ist die berüchtigte Drogenpipeline I-10.
Rechne dazu die Tatsache, dass die Schornsteinen hinterherrennenden Stadtväter
die gesamte Umgebung mit großen, stinkenden Chemiefabriken zugebaut haben, und
schon hast du hat du Black Ops Pharmaceuticals, verborgen vor unliebsamen
Blicken."
"Mulder, sei
vorsichtig," meinte Scully trocken. "Du nennst mir Fakten und die
Logik und ich bin mir nicht sicher, dass dein Verstand es vertragen kann."
Mulder lächelte, sowohl
den Scherz als auch die Wahrheit dahinter zugebend, aber Scully konnte die
Spannung spüren, die sich in ihm aufbaute. Er nagt an dem Bissen, dachte
Scully. Warum? Wer war seine Quelle? Mr. X war tot, ebenso Deep Throat. Marita
Covarrubius von den Vereinten Nationen? Möglich. Seine alte Freundin Special Agent Diana
Fowley? Die sollte es besser nicht sein, dachte sie grimmig.
Der wahre Grund war der,
dachte sie, dass er glaubte, da steckte irgendwie eine X-Akte drin. Mulder
hatte es noch nicht verkraftet, dass man ihm die X-Akten weggenommen hatte, und
sie war sich sicher, dass er es nie tun würde.
Letzten Endes war es egal,
wer die Quelle war oder ob Mulder versuchte, sich in eine Untersuchung
paranormaler Phänomene unter dem Deckmantel der Bekämpfung von
Inlandsterrorismus einzuschleichen. Sie konnte sowieso keinem von Mulders
Informanten wirklich je trauen, aber sie konnte dem Band zwischen ihr und ihrem
Partner vertrauen, es war unbeschädigt.
Lass dieses
Beziehungszeug, befahl sie sich selbst in der Stimme ihres Vaters und
konzentrierte ihren Blick wieder auf die Akte. Bedenke das anstehende Problem,
das einen weiteren Trip nach Nirgendwo bedeutet, und die Möglichkeiten, getötet
zu werden, weil ihr etwas reales findet, gegen die Chance, durch eine weitere
sorgfältig konstruierte Lüge irregeführt zu werden. Egal, wie sie die
Möglichkeiten auch abschätzte, es kam immer auf dasselbe heraus: sie verlor.
Als sie aufblickte,
beobachtete Mulder sie mit seinem Profilerausdruck, wie sie ihn immer nannte,
im Gesicht. Er wusste immer, wenn irgendetwas falsch war, obwohl es immer noch
ein vollkommenes Geheimnis für sie war, wie er es wusste.
"Du musst nicht dabei
sein, wenn du denkst, dass es nicht richtig ist, Scully," sagte er, und
die Ernsthaftigkeit, die sie in seiner Stimme hörte, beruhigte sie. "Aber
ich könnte dabei wirklich deine Fachkenntnisse gebrauchen. Das ist ein
Krankheiten verursachender Organismus, und Krankheiten sind dein Gebiet, nicht
meins."
"Danke, aber die
Medizin hat weniger damit zu tun als Weihnachten, das vor der Tür steht und
worauf ich noch nicht vorbereitet bin," entgegnete Scully, nicht
vollkommen wahrheitsgemäß, aber auch nicht willig, ihre wahren Gedanken
offenzulegen. "Oder hast du das vergessen?"
"Nun, jetzt wo du es
erwähnst, ich glaube, ich habe ein oder zwei Weihnachtsdekorationen im Bezirk
gesehen," meinte Mulder. "Aber du weißt ja, dass ich Feiertagen nicht
sonderlich viel Aufmerksamkeit widme, nicht mal meinen eigenen. Ich könnte dir
nicht einmal ansatzweise sagen, wann die erste Hanukkahnacht in diesem Jahr
ist."
"Nun, ich schenke den
Feiertagen Aufmerksamkeit, Mulder, und besonders Weihnachten. Meine Brüder
kommen nach Hause und ich wollte ab übermorgen freinehmen. Ich will ein
bisschen Zeit mit meiner Mutter verbringen und ich muss auch noch meine
Einkäufe erledigen." Nun, wenigstens der Teil entsprach der Wahrheit,
dachte sie.
"Dann geh, wenn du
gehen musst," erwiderte Mulder, sein Blick sorgfältig neutral. Das letzte,
was er wollte, war eine Diskussion über Scullys Bruder Bill. Der große
Navykommandant machte Mulder für die meisten der Schwierigkeiten
verantwortlich, die seine Familie in den letzten Jahren hatte und Mulder konnte
es ihm nicht übel nehmen. Scullys Entführung, ihr Krebs, ihre Unfruchtbarkeit,
der Tod ihrer Schwester Melissa - nichts von alldem wäre passiert, wenn Dana
Scully nicht den X-Akten zugeteilt worden wäre.
Der Profiler in ihm konnte
nicht widerstehen, darüber nachzudenken, dass hinter der Besorgnis des großen
Bruders mehr steckte als ein Hauch Eifersucht und männliches Territorialgehabe,
der Kampf des Alphamännchens gegen den Rivalen um die Frauen, des Helden, der
die Jungfrau vor der Verführung schützte. Bill Scully war kein komplizierter
Mann.
Leider - oder vielleicht
glücklicherweise - hatte er keinen Grund zur Sorge, dachte Mulder. Ich frage
mich, was er tun würde, wenn er es hätte.
Jetzt war es an Scully,
das Gesicht ihres Partners zu studieren. Ich werde es bereuen, dachte sie.
"Ich habe noch ein paar Tage," sagte sie, sich selbst aufgebend.
"Wenn du meine Hilfe brauchst..."
"Immer,"
erwiderte Mulder automatisch und bekam dafür ein kleines Lächeln von seiner
Partnerin.
Er hat mir vergeben,
dachte sie. Er wird es mir nie vorwerfen. Er will mich nur bei sich haben. Er
braucht mich bei sich. Da gibt es nichts mehr zu sagen, nicht wahr, Dana
Katherine, dachte sie.
Scully stand auf und nahm
ihre Kaffeetasse in die Hand. "Also, wann geht es los?" fragte sie.
Ein Hauch von Triumph schlich sich in Mulders breites Lächeln, als er seine
Füße vom Schreibtisch nahm und aufstand. "Sobald du mit deinem Kaffee
fertig bist. Wovon, nebenbei bemerkt, keiner da ist. Du musst welchen
machen."
Scully stellte die Tasse
wieder hin. "Ich werde mir am Flughafen welchen holen," erwiderte sie
seufzend.
"Du willst
Flughafenkaffee trinken? Du hast wirklich den Lebenswillen verloren,"
sagte Mulder, nahm ihren Mantel vom Haken und hielt ihn für sie hin. Scully
schlüpfte in den Mantel und drehte sich zu ihm um. "Was ich verloren habe,
ist jede Hoffnung, dass ich jemals wieder mehr als eine Nacht in meinem eigenen
Bett verbringen werde, bevor es wieder losgeht."
"Wo ist dein
Abenteuersinn geblieben, Scully?" neckte Mulder sie, während er seine
Dienstwaffe vom Schreibtisch nahm und sie ins Holster steckte, dann streifte er
sich seine Anzugjacke über. Welch ein einfacher Akt, dachte Scully. Die Jacke
nehmen, den rechten Arm hineinstecken, mit der linken Hand nach hinten greifen,
um den Kragen zu fassen und sie dann über die linke Schulter schwingen. Linken
Arm hinein. Revers richten. Taschen kontrollieren, um sicher zu sein, dass der
Ausweis drin ist. Nichts besonderes. Er tut es jeden Tag, mehrmals am Tag; er
muss nicht einmal darüber nachdenken. Aber jedes einzelne Mal beobachte ich
ihn. Und ich denke darüber nach, darüber, wie er sich bewegt, wie er
aussieht... Ob er weiß, was er mir damit antut? Das kann er nicht, dachte sie.
Es ist zu dumm, um auch nur daran zu denken. Ich habe ihn nackt gesehen und es
macht mich an, zuzusehen, wie er sich anzieht? Albern.
Scully zwang ihr Gesicht
dazu, nichts zu zeigen, als sie ihre Aktentasche nahm und zur Tür ging. Mulder
hielt sie auf und geleitete sie mit seiner üblichen kurzen Berührung an ihrem
Rücken hinaus.
Auf dem Weg nach Mobile,
Alabama
1:15 p.m.
Nach Mobile zu fliegen war
Stück für Stück so schlecht, wie es sich Scully gedacht hatte. Der erste Teil
der Reise, von Washington nach Atlanta, war nicht schlecht, wenigstens nicht
nach den Standards der beruflichen Vielflieger. Scully war kein Vielflieger.
Sie hasste es, zu fliegen. Neben einem 1,82 m langen Mulder zu sitzen, machte
es nur noch schlimmer. Er hatte keine Schwierigkeiten damit, es sich in einem
Flugzeug bequem zu machen: entweder schob er seine langen Beine in ihren
Bereich oder er klappte die Armlehne zwischen ihnen hoch. Egal wie, er nickte
schnell ein und überließ sie mit einem riskanten Magen und weißen Knöcheln sich
selbst. Scully hegte niemals dunklere
Gedanken gegen ihren Partner, als an Bord eines Flugzeugs.
Der zweite Teil, in einem
winzigen, engen, geräuschvollen Pendlerflugzeug von Atlanta nach Mobile zu
fliegen, war das weitaus schlimmste. Gegen Ende des 50-minütigen Fluges begann
sich Scullys allzu aufrechte Sitzposition negativ auszuwirken. Aus diesem
Flugzeug auszusteigen, würde einige Anstrengung kosten, ihre Beine waren
eingeschlafen und das Ende ihrer Waffe drückte schmerzhaft in ihren Rücken. Sie
konnte sie nicht herausnehmen und eine Panik unter den anderen Passagieren
verursachen, und sie hatte keinen Platz, um sich zu drehen, so dass sie nicht
darauf lag. Seit Atlanta hatte sie noch keinen tiefen Atemzug getan.
Mulder schlief natürlich
fest, sein Kopf lag an ihrer Schulter und er atmete tief. Nicht einmal der Bums
der Landung weckte ihn auf. Scully gab sich einen Moment dem Gedanken hin, was
wohl ein schroffes Klopfen ihrer Knöchel diesem friedlichen Ausdruck antun
könnte, und beinahe sofort fühlte sie sich schuldig. Er schläft im Flugzeug,
dachte sie, weil er nirgendwo anders schlafen kann. Gönn ihm eine Pause.
Sanft schüttelte sie ihn
wach. "Mulder, wir sind gelandet," sagte sie leise. Mulder öffnete
blinzelnd die Augen. "Gelandet, wo?" fragte er verwirrt. Scully
lächelte ungewollt und im nächsten Moment erwiderte Mulder das Lächeln
verlegen. "Ich weiß, wo wir sind, Scully," meinte er. "Ich wollte
dich nur testen." "Bullschietski, wie die Russen sagen, Mulder."
Mobile, Alabama
1:32 p.m.
Ein paar Minuten später
hatten die Agenten einen Wagen gemietet und waren auf dem Weg, jeder in seiner
gewohnten Rolle: Mulder fuhr, Scully sah in die Karte. Freiwillig gab er
niemals das Lenkrad aus den Händen, es sei denn, er war am Einschlafen.
"Der Theodore
Industriepark ist das Zuhause verschiedener Fabriken, einige davon sind Chemiefabriken.
Er liegt im Süden der Stadt," erzählte sie ihm. "Andererseits gibt es auch verschiedene
Chemiefabriken im nördlichen Teil der Stadt. Hat dir deine Quelle irgendeinen
Hinweis darauf gegeben, wo wir es zuerst versuchen sollten?"
"Zuerst halten wir im
Distriktbüro in Mobile," sagte Mulder. "Wir werden Kontakt mit den
örtlichen Agenten brauchen und wahrscheinlich auch mit den Leuten vom Zoll, und
das ist der beste Ort, den ich kenne, um ihn zu bekommen."
"Wenn es hier eine
Biowaffenfertigungsanlage gibt, werden die Zollbehörden wahrscheinlich nichts
davon wissen," meinte Scully. "Beim aktuellen Stand der Dinge bei den
Zollbehörden bin ich mir nicht sicher, ob ich möchte, dass sie überhaupt etwas
von unserer Aufgabe wissen."
"Ich auch nicht,"
stimmte Mulder zu. "Die Zollbehörde ist in einem ziemlichen Durcheinander.
Ich will sie nur nach ein paar Sachen fragen, die sie vielleicht gesehen oder
abgehört haben, etwas, das für sie keinen Sinn machen würde, aber für
uns."
"Zum Beispiel?"
"Zum Beispiel Fässer
voll mit schwarzem Öl, ungekennzeichnete Container mit Mais, Bienen - diese Art
von Sachen," erläuterte er neckend. "Schließlich, Scully, welche
größere Biowaffe könnte es sein, als ein Alienvirus?"
"Mulder, das ist
keine X-Akte, das ist eine konventionelle Untersuchung über eine mögliche
biologische Terrorwaffe," entgegnete Scully, ließ ihren Kopf gegen die
Kopfstütze fallen und schloss die Augen. "Und wenn ich mich irre und da
gibt es Bienen, dann bist du auf dich gestellt."
Mulder sah sie vorsichtig
an. "Ich werde keine Biene näher als hundert Meter an dich heranlassen,
Scully," erwiderte er in einem Ton, der ein bisschen zu ernst war. Scully
öffnete die Augen und drehte sich zu ihm, um ihn anzusehen. "Ich weiß, das
würdest du nicht," sagte sie. "Und du weißt, dass ich es nicht ernst
meine, dich allein zu lassen."
"Ich meine es
ernst," antwortete er. "Todernst. Bei der ersten Biene, die sich
zeigt, schicke ich dich zurück nach D.C. Einmal so eine Scheiße ist genug."
Mulder, wenn du nur wüsstest, dachte sie. Hast du bemerkt, als du zu mir kamst,
dass meine Augen offen waren? Wusstest du, dass ich wach war und dafür gebetet
habe, schnell zu sterben? Nein, das hast du nicht - weil ich es dir nie erzählt
habe und auch nie tun werde. Niemals. "Du hast recht, Mulder," sagte
Scully und sah zum Fenster hinaus, weg von ihm.
"Keine Bienen mehr. Einmal ist mehr als genug."
Steve Penn, leitender
Special Agent des Distriktbüros in Mobile erwies sich als eine Goldgrube an
Informationen über die Zollbehörde und die DEA-Kontakte genauso wie über die
Polizisten der Alabama Staatsdocks. Mit seiner Hilfe brauchte es nur einen
Nachmittag und einen Teil des Abends, um zu erfahren, dass ein Cargo Container
mit einem bakteriologischen Mittel kürzlich durch die Docks bewegt wurde und
per Eisenbahn in die kleine Stadt McIntosch, außerhalb von Mobile gebracht
worden war, wo verschiedene Chemiefabriken zu Hause waren.
Die einzige Frage war,
welche. Die Dockarbeiter konnten ihnen dabei nicht helfen. "Wenn so etwas
einmal von hier fort ist, mache ich mir keine Sorgen mehr darum," brachte
es einer der Schauermänner auf den Punkt.
"Es gibt dort nicht
so viele Anlagen, Scully," erklärte Mulder, als sie zum Auto gingen.
"Alles, was wir tun müssen, ist die eine herauszufinden, die uns nicht
dort haben will, und dann haben wir sie." "Und was dann,
Mulder?" entgegnete Scully. "Wenn wir das einmal tun, dann wissen
sie, dass wir hier sind und das ganze Ding ist zusammengepackt und aus der
Stadt geschafft, sechs Stunden bevor wir einen Durchsuchungsbefehl bekommen
können."
"Wer sagt irgendetwas
von einem Durchsuchungsbefehl?" meinte Mulder, als er die Tür auf ihrer
Seite aufschloss, bevor er zur Fahrerseite herumging. "Ich will mich einfach nur umsehen.
Dafür brauchen wir keinen Durchsuchungsbefehl." Scully stieg ins Auto und
legte ihren Sicherheitsgurt an. "Ich bezweifle ernsthaft, dass alles, was
du tun willst, ist dich umzusehen. Ich bezweifle auch, dass es die örtlichen
Richter freundlich hinnehmen, wenn ein paar Bundesagenten von außerhalb einen
Einbruch begehen." Er hörte nicht zu. Wie üblich. Sechs Jahre versuchte
sie es nun schon und sie konnte immer noch nichts an Mulders ärgerlicher
Tendenz, die Regeln zu verletzen, ändern. Das war etwas, was sie selbst nicht
tun konnte. Zu viele Jahre als Navy-Balg, von einer Navystation zur nächsten ziehend,
hatten sie die Vorzüge von Zurückhaltung und das Einhalten von Regeln gelehrt.
"Du Idiot,"
hatte der Sechstklässler gespottet. "Dieser Behälter ist für Papier. Und
du tust dein Essen hier rein." Dana schreckte zurück. Die anderen Kinder
im Essenraum von St. Benedict hatten gelacht. Sie konnte sie über sie reden
hören, als sie verschämt ein halbes Erdnussbuttersandwich aus dem Eimer
herausholte. Es war Februar und es war ihr erster Tag in St. Benedict. Es war ihre siebte Schule in sechs
Jahren. Ihr Vater war bei der Navy und sie war immer die Neue in der Schule.
Und sie hasste es.
Wenn man immer die Neue in
der Schule war, lernte man schnell, sich still zu verhalten, für sich zu
bleiben und nichts zu machen, bis man sicher war, dass man die Regeln verstand.
Sie wusste das. Aber sie machte immer noch Fehler, saß in der Pause auf der
falschen Wippe, stand beim ersten Klingeln von ihrer Schulbank auf, sich dessen
nicht bewusst, dass das erste Klingeln denen galt, die mit dem Bus fuhren und
nicht denen, die von ihren Eltern abgeholt wurden. So wie sie.
Und wenn man Fehler
machte, würde es das niemand um einen herum jemals vergessen lassen. Dana war
nicht dumm, sie wusste, wie die Hackordnung funktionierte. Das Kind in der
Schule ganz unten, dasjenige, das das niedrigste am Totempfahl vor ihrer
Ankunft war, würde sich beinahe immer auf sie einschießen und ein paar billige
Lacher aufgrund ihrer Unwissenheit ernten. Sie verstand das Prinzip: Wenn du in
der Hierarchie nicht nach oben kommen kannst, dann kannst du wenigstens
versuchen, jemanden in den Rang unter dir zu bekommen. Niemand war ein
leichteres Ziel als das neue Kind.
Der einzige Ausweg daraus,
so fand Dana heraus, war Wissen, Beobachtung, Sehen und perfekte Befolgung der
Regeln. Sie beobachtete und wartete und beobachtete noch mehr, sie bewegte sich
nicht, bis sie sicher war, ohne jeden Zweifel, dass sie es begriffen hatte. Ein
Schüler, der ein halbgegessenes Brötchen in den Eimer warf, war nicht genug;
sie mussten es alle tun oder sie konnte sich nicht sicher sein. Beweise,
erkennbare, messbare, wiederholbare Ereignisse, die zusammengenommen einen
sicheren Beweis darstellten. Finde den Beweis, folge den Regeln, tu, was man
von dir erwartet - das, lernte sie bald, war der einzige Weg, um sicher zu
sein.
Sie versuchte es wieder.
"Hier weht immer noch die Fahne der Konföderierten, Mulder.
Bundesautorität ist hier nicht populär, um es milde auszudrücken. Wir haben uns
an die Regeln zu halten oder wir riskieren, in Schwierigkeiten zu kommen, aus
denen uns niemand heraushelfen wird."
"Ich glaube nicht,
dass die Einwohner von Alabama bereit sind, von der Union abzufallen wegen zwei
FBI-Agenten, die eine fragwürdige Suche nach einer Chemieanlage durchführen,
Scully," entgegnete Mulder und steuerte das Auto die Water Street in
Richtung I-10 hinunter. "Sie mögen den Bürgerkrieg nicht vergessen haben,
aber hier herrscht Recht und Gesetz."
"Ein Grund mehr, sich
an die Regeln zu halten und einen Durchsuchungsbefehl zu beantragen,"
meinte Scully. "Das Bundesgerichtsgebäude befindet sich nicht weit vom
Distriktbüro. Es würde nicht einmal fünfzehn Minuten dauern, dies einem Richter
zu erläutern und einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen."
"Ich sag dir was,
Scully," sagte Mulder. "Du fragst den Richter nach einem Durchsuchungsbefehl.
Weck ihn auf, unterbrich ihn beim Abendbrot oder beim Monopolyspiel und erzähl
ihm, dass wir vermuten, jemand züchtet tödliche Erreger in einer Fabrik in
McIntosch, wir wissen nur nicht, welche Fabrik und wir haben die Erreger nicht
gesehen, aber wir wissen, dass sie dasein müssen. Wenn - ich wiederhole, wenn -
du einen Durchsuchungsbefehl bekommst, dann will ich es so rechtmäßig wie
möglich durchführen. Aber wenn wir das tun, das verspreche ich dir, wird alles,
was wir finden werden, ein leeres Lagerhaus oder eine voll funktionierende
Fertigungsanlage sein, die umweltfreundliche Babynahrung produziert. Wie oft
müssen sie die Beweise verschinden lassen, bevor du es begreifst?"
"Ich begreife es,
Mulder," schoss sie wütend zurück. "Ich bin diejenige, die einen Sarg
voller Sand vergraben hat, nachdem sie die Leiche meiner Tochter verschwinden
ließen." "Scully, so habe ich das nicht gemeint," erwiderte
Mulder. Er begann eine Entschuldigung, aber Scully unterbrach ihn. "Ich
denke nicht, dass ich das heute Nacht noch weiter diskutieren will,
Mulder," sagte sie eisig. "Wir können das morgen entscheiden, nachdem
wir uns ausgeruht haben und die Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken."
"Ich muss darüber
nicht nachdenken, Scully," entgegnete Mulder. "Ich werde heute Nacht
dorthin gehen." "Nein." "Was meinst du mit nein?"
"Ich meine nein. Ich meine, wenn du gehst, muss ich als deine
Rückendeckung mitgehen und ich bin keine angemessene Rückendeckung, weil ich
müde bin und weil ich wütend bin, und das wäre im Moment gefährlich. Lass uns
einfach ein bisschen schlafen."
"Du musst nicht
mitgehen, Scully," meinte Mulder und Scully konnte den kontrollierten
Ärger in seiner Stimme hören. "Ich bitte dich nicht darum, mitzugehen.
Aber ich bitte dich auch nicht um deine Erlaubnis. Die brauche ich nicht."
"Nein, die brauchst
du nicht," erwiderte Scully, ebenso ärgerlich aber nach außen hin kühl.
"Ich habe nicht vergessen, wer hier der Senioragent ist. Aber ich hätte gehofft, nach sechs Jahren als
mein Partner würdest du beginnen, meinem Urteilsvermögen zu trauen, nur ein
kleines bisschen. Oder ist das zu viel verlangt?"
Lange Zeit sagte Mulder
gar nichts. Scully sah aus dem Seitenfenster und sah dem Nieselregen zu, der
über das Glas lief. Als sie wieder nach vorn blickte, sah sie, dass sie sich
auf einer Brücke befanden, die die Mobile Bay überquerte. "Das ist nicht
die Straße nach McIntosch," sagte sie.
"Nein, das ist die Straße nach Daphne, wo unser Hotel ist,"
erklärte Mulder. "Ich habe überlegt, dass wir vielleicht ein bisschen
schlafen sollten und das morgen angehen sollten. Was meinst du?"
Scully sah ihn einen
Moment lang an. Der zögernde Blick in seinen Augen sagte ihr alles, was sie
wissen musste. "Ich denke, das ist eine exzellente Idee," meinte sie,
ihr Ton war gerade warm genug, um ihn wissen zu lassen, dass sie nicht mehr
ärgerlich war. Nicht wirklich warm, nicht wenn sie auf dem Weg in ein Hotel
waren. Das wäre gegen die Regeln.
Daphne, Alabama
8:43 p.m.
Das Hotel an sich war gar
nicht so schlecht und das beste von allem war, es zeigte westwärts über die
Mobile Bay. Scully freute sich, das Schlachtschiff USS Alabama in der Ferne zu
sehen, das eine scharfe Silhouette in den Flutlichtern hinter sich warf. Vor
Jahren hatte ihr Vater sie hierher gebracht, um sich das einst mächtige Schiff
anzusehen, während er zeitweilig auf der Marinebasis Pensacola stationiert war.
Ihr Großvater, sein Vater, hatte auf einem Schiff wie diesem im Zweiten
Weltkrieg gedient, erzählte er ihr. Sie war so glücklich gewesen, als er sie
herumzeigte und sie spürte seinen Stolz auf sie und den Stolz, eine Scully zu
sein, Teil einer Navyfamilie, Erbin einer alten und großartigen Tradition des
Dienens. Für sie war an diesem Tag alles
perfekt.
Nun war sie hier mit ihrem
Dienstausweis der Bundesbehörde, die ihr Vater mehr als alles andere gehasst
hatte, ruhte sich aus, entspannte sich und brachte sich in Form, um eine
illegale Suche durchzuführen, das Gesetz zu brechen, auszuspionieren, was
amerikanische Staatsbürger taten, und das alles im Namen einer besseren Sache.
Hör einfach auf, dachte sie. Du tust, was du tun musst. Tag für Tag. Der Morgen
wird sich um sich selbst sorgen.
Sie sah auf ihre Uhr, es
war spät, aber noch nicht zu spät. Scully begann zu glauben, dass es womöglich
an diesem Abend ein richtiges Abendessen geben würde. Dieser Ort hatte
tatsächlich Restaurants in der Nähe, in denen das Essen auf Porzellantellern
serviert wurde anstatt in Pappschachteln.
Aber sie hatte kein Glück. Mulder war wie üblich in sein Zimmer
gegangen, hatte den Fernseher eingeschaltet und begonnen, durch die Kanäle zu
zappen. Vom Geräusch her hatte er einen
Sportkanal gefunden und sie wusste, das bedeutete, er war für die Nacht fertig.
Reumütig schob Scully die
Gedanken an einen Abend in Gesellschaft beiseite. Sie zog sich ihren Pyjama und den Bademantel
an und prüfte verdrießlich die in Plastik geschweißte Liste des Hotels mit den
in der Nähe befindlichen Fastfood-Ketten.
Dann hörte sie das
schwache Klingeln von Mulders Handy. Er nahm das Gespräch entgegen und drehte
sofort den Fernseher leiser. "Sind Sie sicher?" hörte sie ihn fragen.
"Wir sind gleich da." Einen Moment später klopfte er zweimal an die
Verbindungstür. Sie öffnete sie. "Scully, zieh dich an, wir müssen noch
mal raus." "Keine Chance, es sei denn, du hast einige wirklich
zwingende Gründe," entgegnete Scully und verschränkte ihre Arme vor der
Brust. "Ich habe nichts gegessen, du hast nicht geschlafen und wir waren
uns einig, dass wir morgen darüber reden."
"Scully, ich würde
dich nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre." "Es ist immer
wichtig, Mulder," antwortete sie ungerührt. "Kannst du mir wenigstens
sagen, wer dich angerufen und dich dazu gebracht hat, mich wieder in diesen
‚milden und wundervollen' Winter an der Golfküste hinauszutreiben, der sich als
kalt und regnerisch und ekelhaft erwiesen hat und noch nicht einmal die
ästhetischen Vorzüge von Schnee bietet?"
"Ich habe nie
behauptet, ein Meteorologe zu sein, Scully," meinte Mulder. "Aber es ist nicht viel Zeit und ich
möchte nicht hier darüber reden. Die Wände in diesem Hotel sind zu dünn. Ich
verspreche dir, ich erzähle es dir unterwegs. Zieh dich einfach an, okay?"
Seufzend drehte sich
Scully um. Werde ich jemals lernen, ihm zu widerstehen, dachte sie. "Gib
mir zehn Minuten, Mulder," antwortete sie.
"Und schließ die Tür, wenn du rausgehst." "Das ist meine
G-woman," meinte Mulder. Auf halbem Wege durch die Tür hielt er inne.
"Hey Scully?" fragte er. "Ja?" "Hast du eine
kugelsichere Weste mit?" "Brauche ich eine?" Mulder nickte.
"Ja, und nimm ein zusätzliches Magazin mit." Damit schloss er die Tür.
Scully starrte auf die Tür. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Mulder so eine
Bitte jemals zuvor geäußert hatte und es bereitete ihr Sorgen. Wenn er glaubte,
dass dort Gefahr lauerte, dann war das so. So einfach war das.
Nicht immer hatte sie
seinen Instinkten vertraut; als sie ihn kennenlernte, unterstützte sie die
allgemeine Meinung, dass Spooky Mulder wenigstens ein bisschen verrückt war.
Doch er war Verhaltensprofiler gewesen, die ganze Wissenschaft des Profilings,
so wie sie war, basierte auf intensiven Befragungen bekannter Serienmörder und
dem Zerpflücken ihrer Gehirne auf der Suche nach den Hintergründen für ihre
Taten. Das verlangte seinen Tribut von den Befragern, die meisten der
ursprünglichen FBI-Profiler hatten das Gebiet nach weniger als zehn Jahren
verlassen, schrieben Bücher, gaben Unterricht und wurden Privatdetektive. Mit
anderen Worten, sie machten alles, nur nicht mehr das, was sie vorher getan
hatten.
Also wäre es einfach für
Scully gewesen, als Mulder zum ersten Mal begann, ihr von Alienentführungen und
Regierungskomplotts zu erzählen, seine Theorien als Produkte eines leicht
verwirrten Geistes abzutun. Aber langsam, über die nächsten sechs Jahre, lernte
Scully die Wahrheit kennen und es war schlimmer als alles, was sie sich
vorstellen konnte.
Die Wahrheit war, dass
Mulder nicht verrückt war. Als sie ihn kennenlernte, obwohl sie es da noch
nicht wusste, war Mulder nahe am dem Wendepunkt, zu dem ihn seine Peiniger so
sorgfältig geführt hatten. Ihm den Nimbus zu nehmen, war der letzte Schritt,
ihn zurückzulassen mit nichts, das er zeigen konnte nach all den Jahren Arbeit,
all das unberücksichtigt zu lassen, was er über die Verschwörung erfahren
hatte, von der sein eigener Vater ein Teil gewesen war.
Ihre Zuteilung zu den
X-Akten war Teil dieses Plans, aber es erwies sich als Fehler, als ein großer
aus der Sicht der Verschwörer. Anstatt seine Zerstörung zu vervollständigen,
wurde sie seine Erlösung, gab sie ihm seine Vernunft wieder, gewann sein
Vertrauen und gab ihm die Kraft, weiterzumachen. Irgendwie war es einfach dadurch
geschehen, dass sie an seiner Seite war.
Als diese mächtigen Männer
einen direkteren Angriff gestartet hatten - die Generalstaatsanwältin davon zu
überzeugen, Mulder die X-Akten wegzunehmen, dann die Akten fast vollständig zu
verbrennen - war sie immer noch bei ihm geblieben. Dort gehörte sie hin. Auch
wenn sie nicht wusste, wie das passiert war. Aber sie waren Partner, sie waren
zusammen durch die Hölle gegangen und nun wusste sie, dass seine Instinkte
vernünftig waren.
Rasch zog sie sich ein
Unterhemd und Jeans an und zog ein T-Shirt über die Kevlarweste, um sie zu
verbergen. Sie zog ihre Dienstwaffe aus dem Holster, prüfte die Kammer und das
Magazin. Voll geladen. Sie lud die Waffe wieder, steckte sie zurück ins Holster
und steckte ein weiteres Zehn-Schuss-Magazin in ihre Hosentasche, zusammen mit
ihrem Dienstausweis und einem Paar Handschellen. Gott sollte ihr beistehen,
wenn einundzwanzig Schuss nicht genug waren.
Scully streifte sich eine
Windjacke über, verbarg damit geschickt die Waffe und stopfte zwei
Baumwolltupfer und zwei kleine verschlossene Teströhrchen in eine Tasche, zwei
Paar Latexhandschuhe in die andere und verließ dann, die Tür hinter sich
verschließend, das Hotelzimmer.
9:47 p.m.
"In Ordnung, Mulder,
da bin ich. Ich bin bis an die Zähne bewaffnet. Nun erzähl," verlangte
Scully, während Mulder durch den kalten Nieselregen fuhr. "Dieser Anruf
kam von Marita Covarrubius," begann Mulder. Aus den Augenwinkeln heraus
sah er, wie sich die Kiefermuskeln seiner Partnerin verspannten. Eifersucht
oder professionelle Verachtung? Er konnte nicht sicher sein. So fuhr er eilig
fort. "Die Covarrubius hat gesagt, dass sich der Zugverkehr in McIntosch in
den letzten vierundzwanzig Stunden verzehnfacht hat. Ihre Quellen sagen, es
sieht so aus, dass die alte Monsanto-Anlage in rasantem Tempo ausgeräumt
wird."
"Also liege ich
richtig, dass wir auf dem Weg zur Monsanto-Anlage sind?" fragte Scully.
"Auf den Tipp der Blondine hin?" "Ich will es nur überprüfen,"
entgegnete Mulder. "Tatsächlich traue ich ihr nicht mehr, als du es tust.
Worauf ich vertraue ist, wenn sie ihren üblichen Mustern treubleibt, wird dort
etwas sein, etwas bedeutsames. Ich will nur wissen, was dieses etwas ist. Es
würde mich nicht überraschen, wenn der alte Raucher uns an der Eingangstür
begrüßt. Meine Wachsamkeit wird nicht nachlassen, Scully, glaube mir."
"Wird sie das nicht?
Beweist du nicht, nur indem du dorthin fährst, dass deine Wachsamkeit
nachlässt? Wenn du ihr wirklich nicht vertraust, warum sind wir dann in erster
Linie hier?" Einen Moment lang antwortete Mulder nicht. In der Dunkelheit
konnte Scully sein Gesicht nicht genug sehen, um zu sagen, ob sein Schweigen
von Ärger, Zweifel oder nur von Überlegung herrührte, und das bereitete ihr
Sorgen. Sie mussten zusammen sein, wenn sie sich in Gefahr begaben; Ärger
konnte sie beide umbringen. Scully öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen,
als Mulder schließlich sprach. "Es
ist nichts, dass ich quantifizieren kann, Dana," sagte er. Wie immer, wenn
er sie beim Vornamen nannte, erhielt er ihre volle Aufmerksamkeit. Er tat es
selten und dann gewöhnlich nur, wenn sie allein waren, als Einleitung zu etwas
sehr wichtigem oder sehr persönlichem. "Es basiert auf einem inneren
geistigen Prozess, von dem ich nicht einmal weiß, wie ich ihn beschreiben
soll," fuhr er fort. "Aber ich glaube, dass es richtig ist, in diese
Fabrik zu gehen. Ich glaube, dass da etwas ist, dass wir wissen müssen, egal ob
sie dort Pockenviren züchten, graue Aliens erzeugen oder etwas weitaus
schlimmeres."
Das erschreckende daran
war, dachte Scully, dass er es wahrscheinlich wusste. Er wusste eine Menge. Im
Wagen herrschte ein leicht unbequemes Schweigen, bis Mulder wieder sprach. Ohne
seine Augen von der Straße zu nehmen, sagte er leise, "Ich wünschte, du
könntest mir vertrauen." "Mulder, ich vertraue dir," erwiderte
Scully, ebenso leise. "Ich vertraue dir mit meinem Leben. Aber irgendetwas
ist hier verkehrt. Ich glaube nicht an Intuition oder wie immer du es nennen
willst, aber ich kann das Gefühl nicht loswerden, dass da etwas weitaus
gefährlicheres ist, als du glaubst." "Das denke ich nicht,"
meinte Mulder. "Du würdest nicht glauben, für wie gefährlich ich das
halte."
In der Zwischenzeit war es
nach zehn Uhr abends geworden, als sie die verlassene Monsanto-Fabrik
erreichten, die verborgen an einer schmalen Straße zwischen den hohen Pinien
von Alabama lag. Mulder schaltete den Motor und die Scheinwerfer aus, als sie
sich annäherten, und ließ den Wagen den abschüssigen Kiesweg in Richtung
Eisenbahnzufahrt zu dem Gebiet rollen.
Scully spürte, wie sich
ihr Magen zusammenzog, als sie so geräuschlos wie möglich dem
Eisenbahnwagonentladepunkt entgegengingen. Mulders Vorahnungen in Bezug auf die
Gefahr übertrugen sich auf sie und sie hatte selbst auch welche. Es war dunkel,
zu dunkel, sogar für eine verlassene Fertigungsanlage. Ein paar Lichter hätten
an sein sollen, wenn auch nur, um Vandalen abzuhalten.
Mulder kletterte die 1,50
m hohe Betonladerampe allein hoch, dann nahm er Scullys Hände und half ihr
herauf. Langsam und geräuschlos wischte er sich die Hände an seinem T-Shirt ab
und zog seine Waffe aus dem Holster. Sie hochhaltend, den Finger leicht um den
Abzug gelegt, ging er in das stille Gebäude. Scully zog ihre Waffe und folgte
ihm, hielt sich leicht links hinter ihm und deckte so seine unbewaffnete Seite.
Ihre Fußtritte hallten
laut wider, das Geräusch ließ auf ein großes, leeres Areal schließen. Scully
konnte gar nichts sehen. Es gab kein Licht, nicht einmal Mondlicht fiel durch
die Fenster. Sie spitzte die Ohren, hörte aber nichts außer einem leichten
kratzenden Geräusch. Mäuse, dachte sie, oder Insekten. Ein saurer Geruch hing
schwer in der Luft - verdorbenes Getreide oder vielleicht Schwefel. Was immer
es war, es machte sie krank. "Was zur Hölle ist das für ein Gestank?"
flüsterte ihr Mulder ins Ohr.
"Ich weiß
nicht," flüsterte sie zurück. "Obwohl ich das vorher schon mal irgendwo
gerochen habe." "Könnte es eine Bakterienzucht sein?"
"Bestimmt, aber welcher Art? Es ist kalt hier drin, zu kalt..."
Scully schob sich vorwärts, dann legte sie eine Hand auf seinen Arm und deutete
nach vorn auf etwas, das aussah, wie eine 3,50 m hohe Kühlzelle. "Da
drinnen," flüsterte sie.
Die kühle Luft war feucht
und unbewegt, als sie sich zentimeterweise vorwärts bewegten, und Scully
spürte, wie ihr kalter Schweiß über den Rücken lief und in das Tal zwischen
ihren Brüsten, sich in den Bund ihres BH saugend. Es war kein gutes Gefühl. Die
Waffe lag schwer in ihrer Hand. "Mulder,"
flüsterte sie, ihre Stimme klang laut und hart in der Stille. "Wir brauchen Licht." Mulder
nickte, knipste eine kleine Taschenlampe an und richtete sie auf die Türklinke.
Er drückte sie nieder, es war nicht verschlossen und er schob den Riegel zurück
und öffnete die Tür. Der Geruch überfiel beide Agenten gleichzeitig - ein
ekelhafter Geruch von Fäulnis, wie der Geruch einer Leiche. Scully wurde
abgestoßen, aber wenigstens war sie es gewöhnt, Mulder wurde beinahe davon
überwältigt.
"Oh Gott," sagte
er sehr flach. "Atme durch den Mund," riet ihm Scully, immer noch
flüsternd. "Leuchte mal nach vorn." Als er es tat, sah sie, dass sie
sich in einem Raum von 30 mal 6 m befanden. Der Raum war voller Regale, in
denen Behälter mit trüber, faulriechender Flüssigkeit standen. Die Luft war
warm, beinahe heiß; ungefähr 37° Celsius, dachte sie. Körpertemperatur. Die ideale Wachstumstemperatur für
Krankheiten verursachende Organismen. "Sieht
so aus, als hätte dein Informant recht gehabt, Mulder," sagte sie sehr
leise. "Dieser Raum scheint ein gigantischer Inkubator für irgendeine Art
Bakterienkultur zu sein. Wir können hier nicht bleiben, es könnte ein durch die
Luft übertragenes Pathogen sein. Fass nichts an." Scully steckte ihre
Waffe ins Holster und holte rasch die Handschuhe heraus. Sie griff sich einen
der Behälter und hielt ihn in das Licht von Mulders Taschenlampe, um ihn zu
untersuchen.
"Was ist es?"
flüsterte Mulder. Scully schüttelte den Kopf. "Das kann ich nicht sagen
ohne eine Kultur." Sie griff in ihre Tasche nach den Teströhrchen, öffnete
sie und tauchte erst einen Tupfer, danach den zweiten in die scheußliche
Flüssigkeit. Dann setzte sie den Behälter wieder ins Regal, steckte die Tupfer
in die Röhrchen, verschloss sie wieder und steckte sie in ihre Tasche zurück.
"Wir müssen das
schnell in ein Labor schaffen, bevor was immer da drin wächst stirbt,"
flüsterte sie So schnell sie konnte, zog sie die Handschuhe aus, drehte die
Innenseite nach außen und stopfte sie wieder in ihre Tasche. Mulder nickte.
"Ich will mich nur noch kurz im Rest der Fabrik umsehen," entgegnete
er und richtete das Licht der Taschenlampe auf die Tür. "Lass uns schnell
machen," meinte Scully und zog ihre Waffe wieder hervor. "Ich will
diese Proben nicht länger als nötig mit mir herumtragen."
Gerade als sie die Tür
erreichten, schaltete Mulder das Licht aus und legte seine Hand auf den Arm
seiner Partnerin, so dass sie stehen blieb. Sie spürte seinen warmen Atem dicht
an ihrem Ohr. "Da ist jemand," flüsterte er. "Ungefähr zehn
Meter vor uns, auf der rechten Seite." "Ich sehe gar nichts."
"Hör hin." Scully lauschte. Wieder hörte sie das kratzende Geräusch
und den Klang des Regens, der von der Dachrinne tropfte. Sie hatte sich halb zu
Mulder umgedreht, bereit, ihm wieder ins Ohr zu flüstern, als sie ein
Mündungsfeuer in der Dunkelheit gerade vor ihr sah. Es gab einen ohrenbetäubenden
Knall und sie spürte den wuchtigen Aufprall der Kugel auf ihrer Brust. Ihre
Waffe flog ihr aus der Hand und schlitterte über den Zementfußboden, als sie
zusammenbrach und sich vor Schmerz krümmte, unfähig zu sprechen.
"FBI! Ich bin
bewaffnet! Lassen Sie die Waffe fallen!!" hörte sie Mulder rufen, hörte
ihn sich auf den Boden werfen. "Lassen Sie sie jetzt fallen!" "Leck
mich," erwiderte eine knurrende Stimme. Scully hörte ein klickendes Geräusch.
Ein Revolver, dachte sie von weitem. Pass auf, Mulder, er schießt. Immer noch
atemlos, mit rebellierendem Magen, tastete sie nach ihrer Waffe. Obwohl sie
wusste, dass sie jetzt nicht schießen konnte, brauchte sie sie doch, um bereit
zu sein, wenn die Chance dazu kommen sollte. Aber Mulder hatte das Geräusch
auch gehört und das war alles, was er brauchte. Auf die Quelle des Geräuschs
zielend, feuerte er los. Einmal. Zweimal.
Ein grauenvoller Schrei erklang und das Geräusch von etwas schwerem, das
hinfiel, dann nichts.
"Scully!" schrie
Mulder und obwohl sie die Panik in seiner Stimme hörte, konnte sie nicht
antworten. "Scully, bist du in Ordnung? Antworte mir, Scully!" Sie
versuchte, irgendein Geräusch zu machen, einen Weg zu finden, um ihn zu
beruhigen, doch sie schaffte nur ein Wimmern. Aber er hörte es. Er bewegte sich auf sie zu, hielt sich am
Boden, kam aber langsam näher. Er war beinahe da. Sie hörte das kranke Geräusch
von etwas schwerem, das gegen Knochen schlug. Mulder stöhnte vor Schmerz auf
und brach neben ihr auf dem Boden zusammen. Er bewegte sich nicht. Ein
strahlendes Licht schien Scully direkt in die Augen und blendete sie. "Ihr
zwei lernt es nie, nicht wahr?" sagte die Stimme hinter dem Licht. Ich
kenne diese Stimme, dachte sie, ihre Gedanken verschwammen immer mehr, je mehr
die Schmerzen zunahmen. Wer ist das? Mit der Zeit, dessen war sie sich sicher,
würde sie es herausfinden. Sie lag still
und dachte nach, bis ein Stiefel kraftvoll in ihrem Unterleib landete, sich
dann zurückzog und gegen ihren Kopf trat.
Anmerkungen:
Wenn ihr soweit gelesen
habt, verdient ihr besseres, als mit all diesem Zeug begrüßt zu werden, aber
ich nahm an, wenn ich es an den Anfang gesetzt hätte, hätte absolut niemand
über die erste Seite hinaus weitergelesen. Ich bitte um Entschuldigung.
1. Identifizierende Informationen über Verdächtige und Opfer in
den Mordfällen wurden geändert; jegliche Fehler stammen von mir und nicht von Mr.
Douglas.
2. Mulders private Gedanken über die Fälle, ausgenommen wo
anders gekennzeichnet, sind meine eigene Schöpfung, jeder Makel darin ist
komplett meine Schuld. Keines der wirklichen Opfer in den Fällen von Mr.
Douglas hat irgendeine Verbindung - ausgenommen als Opfer - zu irgendwelchen kriminellen
oder terroristischen Aktivitäten. Solche Verbindungen in diesem Roman sind die
pure Einbildung der Autorin.
3. Dylan Thomas und andere Schreiber, die zu Beginn eines jeden
Kapitels zitiert werden, werden ohne Erlaubnis zitiert, aber mit großer
Bewunderung.
4. Die Namen bestimmter Personen und Schauplätze in Mobile und
Daphne, Alabama, wurden geändert, die Geographie bleibt erhalten.
5. Die USS Nassau war in der Zeit, in der dieser Roman spielt,
in der Ägäis und half dem UN-Aufgebot in Bosnien und ich meine es überhaupt
nicht als Respektlosigkeit ihr oder ihrer tapferen Crew gegenüber, wenn ich sie
in diesem Roman als unfreiwilligen Transporteur eines Verräters benutze.
6. Dank und überschwänglichen Respekt dem Polizeigeistlichen
Hal Brown für seine verständnisvolle und mitfühlende Arbeit mit den Polizisten
der Justizbehörde und dem posttraumatischen Stress, auf die ich schwer vertraut
habe bei den Nachforschungen für diesen Roman. Danke auch für seinen humorvollen
Einblick in die Verantwortlichkeiten beim FBI, was die Doughnuts und das
Spielzeug angeht.
7. Die Charaktere sind Schöpfungen der Autorin, einschließlich
des diensthabenden Special Agent Daniel Prescott und Officer Willie Mack und somit
ihr Eigentum.
Du sahst mich an mit
Augen, groß vor Schmerz, wie ein in die Enge getriebenes Etwas. Und dann
bewegtest du deinen Kopf langsam von einer Seite zur anderen, als ob die
Anstrengung schmerzte in deiner Kehle vor Ärger und vor Furcht. Und dann drehtest du dich um und verließt
mich, und ich stand da mit einem seltsamen Gefühl der Leblosigkeit in mir, und
ich wunderte mich nur stumpfsinnig, dass du es konntest, deinen Trenchcoat so
sorgfältig zuknöpfen.
Bis du gegangen warst,
dann war all die Luft angefüllt mit meinen letzten Worten, sie schien zu
springen und zu zittern. Und in meinem
Herzen hörte ich ein kleines Klicken der Tür, als sie sich schloss - leise, für
immer.
"Trennung nach einem
Streit"
Eunice Tietjens
Kapitel 2
Ahab war da. Er war da, um
sie zu holen, und um das zu tun, musste er sie in einen Sarg legen und seine
kalten, toten Hände dazu benutzen. Aber Mulder wollte es nicht zulassen. Er
schrie ihren Vater an, wieder und wieder. "Tu ihr das nicht an, du
Hurensohn!" Er klang so, als ob er geweint hatte. Es ist in Ordnung,
Mulder, es ist mein Vater. Ich muss gehen. Sie konnte nicht sprechen, konnte
ihm nicht klarmachen, wie wichtig es für Ahab war, das zu tun. Mulder, wollte
sie ihm sagen, Ahab ist hier, um mich zu holen. Zuerst muss er mich anziehen
und er ist tot, deshalb sind seine Hände so kalt. Er hat mich niemals so
angefasst, als ich am Leben war, aber nun, da wir beide tot sind, ist es
notwendig, dass ich mit ihm gehe.
"Sie könnte jetzt
jederzeit gehen," sagte Ahab. "Alles was ich tun muss, ist ein
Knopfdruck. Das ist mein kleines Geschenk für sie." Ist es ein Weihnachtsgeschenk?
Was ist es? "Du magst es, nicht wahr? Oh ja, sie mag es." Was ist es,
Ahab? Kann ich es mitnehmen, wenn ich gehe?
"Nein, nein,
nein!" Jemand schrie sie an. Wer war das? "Ich tue, was immer Sie
wollen. Aber bitte... bitte... nicht..."
"Es tut mir leid,
Dana," sagte Mulder, als sie sich bemühte, aufzustehen. Sie musste aufstehen, sie musste mit ihrem
Vater mitgehen. "Es tut mir so leid," sagte Mulder wieder. "Ich
habe versucht, ihn aufzuhalten. Ich habe es versucht." "Es ist in
Ordnung, Mulder," entgegnete sie, letztlich in der Lage, zu sprechen.
"Jetzt ist alles in Ordnung. Du musst ihn nicht aufhalten, er ist mein
Vater. Ich gehe mit ihm. Er weiß, was das beste für mich ist."
"Nein, Dana, geh
nicht," flehte er. "Bleib noch ein bisschen länger bei mir, okay? Nur
ein bisschen länger." Wieder versuchte sie, ihm zu antworten, aber es war
zu laut. Jemand schrie im Hintergrund, und Ahab brummte laut, vielleicht weil
ihm so kalt war. Sie versuchte, es Mulder zu erklären, aber er verblasste und
dann blieb nichts als die Kälte und die Schreie... und dann war es wieder
dunkel und der Schmerz war vorbei und sie flog, flog himmelwärts, auf ihrem
Weg, um Ahab wieder zu treffen.
Bin ich wach?
Wo bin ich?
Meine Hände schmerzen.
Und mein Kopf.
Wo ist Mulder?
Ich fühle mich krank.
Scully wurde wieder
ohnmächtig, sich nur dunkel dessen bewusst, dass ihr sehr, sehr kalt war.
Der Schmerz in ihrem Bauch
weckte sie. Scully fühlte es, sie fühlte, wie sie in der Kälte zitterte. Sie
versuchte, ihre Arme zu bewegen, aber dann erinnerte sie sich: Die hatten sie
bereits für diesen Teil gefesselt, so dass sie sich nicht bewegen würde, wenn
sich die Nadeln in sie bohrten. Es tat so weh, wenn die Maschinen ihren Bauch
aufpumpten, aber sie taten es, um leichter an das heranzukommen, was sie
wollten. Das war alles, worum sie sich Sorgen machten: sie bewegungslos zu
machen. Gegenüber ihren hilflosen Schmerzensschreien waren sie gleichgültig.
Aber es ist dunkel, dachte sie. Was ist
mit dem Licht passiert? Wo ist Penny, wo sind die anderen Männer?
Wieder versuchte sie, ihre
Hände zu bewegen und Schmerz schoss wie ein Pfeil durch ihre Arme und weckte
sie vollkommen auf. Sie lag nicht ausgebreitet auf einem Untersuchungstisch,
sie lag mit dem Gesicht im kalten, dichtgepackten Alabamaton und ihre Hände
waren hinter ihrem Rücken gefesselt. Die Fesseln waren schmerzhaft eng und
schnürten das Blut in ihren Händen ab. Ihre Füße waren an den Knöcheln eng
zusammengeschnürt. Im Mund hatte sie einen faulen Geschmack und ihr Haar war
verfilzt und klebte an einer Seite ihres Gesichtes. Blut, dachte sie. Und noch
etwas anderes.
In der Ferne raschelte der
Wind und sie erschauerte wieder. Ihr war wirklich kalt, kälter als sie jemals
geglaubt hätte, dass es jemandem im tiefen Süden sein kann. Irgendjemand hatte
ihr ihre Schuhe ausgezogen und die meisten ihrer Sachen und hatte nichts weiter
zurückgelassen als ein dünnes Baumwoll-T-Shirt und den Slip. Sie konnte sich
nicht bewegen. Überhaupt nicht. Es war
ihre größte Angst und es war wieder passiert. Sie war entblößt, sie war
hilflos, und das schlimmste von allem, sie wusste, dass ihr irgendjemand etwas
angetan hatte - etwas unsagbar intimes - und sie hatte überhaupt keine
Erinnerung daran. Wieder einmal.
Zitternd atmete sie ein
und versuchte, nicht zu weinen, aber ihr Kampf verursachte einen Schmerzanfall
in ihrem Bauch und sie schrie unfreiwillig auf. "Scully?" hörte sie
Mulders Stimme hinter sich. "Mulder, wo bist du?" Es war eine
ängstliche Stimme, die Stimme eines kleinen Mädchens. "Bring mich hier
raus, bitte bring mich hier raus!" "Halt durch, Scully, du bist okay.
Ich bin genau hinter dir." "Bist du verletzt?" "Nicht
schlimm," antwortete er. "Ich kann mich nur nicht bewegen."
"Ich auch nicht," erklärte sie und kämpfte darum, ihre Stimme zu
kontrollieren. Panik wäre nicht hilfreich.
"Mulder, wo sind
wir?" "Ich weiß nicht. Ein Keller oder so etwas." Sie hörte das
flüsternde Geräusch seiner Sachen, als er sich zu ihr herüberschob. Auf seinem
Bauch, dachte sie. Er kriecht auf seinem Bauch.
"Du bist verletzt," hörte sie Mulder sagen. Wie konnte er das
wissen? "Öffne die Augen,
Scully," forderte er sie auf. Unter Schwierigkeiten zwang sie ihre Augen
auf und spürte, wie das getrocknete Blut von ihren geschwollenen Augenlidern
abbröckelte. Muss mir genau ins Gesicht getreten haben. Bastard. Es brauchte
einen Moment, damit beide Augen in dieselbe Richtung blickten; es gab kaum
genug Licht, um sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Als ihr Blick klar
wurde, sah sie Mulder neben sich liegen, sein blutiges Gesicht nur wenige
Zentimeter von ihrem entfernt. Auf seiner Stirn war eine große Schürfwunde und
auf seiner Wange war ein geröteter Bereich, der ihr sagte, dass sich dort ein
mächtiger Bluterguss bilden würde. Auch sein Hemd und seine Weste waren
verschwunden, aber er hatte seine Jeans an; dennoch zitterte er.
"Du siehst
fürchterlich aus," flüsterte sie und sah, dass sich die Sorgenfalten über
seiner Braue ein wenig glätteten. "Danke gleichfalls, Rothaarige,"
meinte er, dann bewegte er sich gerade soviel vorwärts, um ihr einen raschen
Kuss auf die Stirn zu geben. "Du hast dich lange Zeit nicht gerührt. Ich
dachte, du wärst tot, bis ich hörte, dass du dich übergeben hast."
"Hab ich das?" Scully schluckte schwer und spürte den metallischen Geschmack
in ihrem Mund wieder.
"Ja," sagte er.
"Größtenteils Blut. Ich dachte, sie hätten dich niedergeschossen."
Scully schüttelte den Kopf. "Die Weste hat es abgehalten. Aber vielleicht
sind da innere Blutungen. Ich kann nicht sagen, wo." Das Sprechen
verursachte ihr ein beklemmendes Gefühl in der Kehle und sie hustete und schrie
wieder vor Schmerz auf. Sie sah die Angst in Mulders Augen, aber sie konnte
nicht sprechen, konnte ihn nicht beruhigen, als der Hustenanfall sie packte.
Als er vorbei war, öffnete sie die Augen und sah die winzigen Spritzer ihres
Blutes auf dem Gesicht ihres Partners. Er hatte sich nicht von ihr fortbewegt.
Auf diese Weise wirst du
niemals einen Kurs in Seuchenkontrolle bestehen, Mulder, dachte sie, aber sie
war dankbar für seine hartnäckige Loyalität.
Laut sagte sie nur, "Mir geht es gut, Mulder. Aber ich muss in ein Krankenhaus."
Mulder nickte. "Ich weiß. Es hörte sich wie eine große Ladung an."
"Es fühlte sich auch so an." Das war ein schwacher Versuch von Humor,
aber Mulder lächelte trotzdem. "Du solltest es wissen, Scully. Kannst du überhaupt
deine Hände bewegen?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Die Handschellen
sind zu eng. Du?" "Nicht einen Zentimeter," erwiderte er.
"Ich könnte nicht an die Schlüssel rankommen, selbst wenn ich sie noch
habe, was ich bezweifle. Hier ist auch kein Platz, um sich hinzustellen."
"Unsere Waffen?"
"Weg. Die Telefone auch. Und höchstwahrscheinlich deine Proben."
Scully blickte nach oben und sah, dass die Decke ihres Gefängnisses nur einen
oder anderthalb Meter über ihnen war. "Das ist ein Kriechplatz,
Mulder," bemerkte sie. "In dieser Gegend gibt es keine Keller. Die ganze Stadt ist auf einem Sumpfgelände
erbaut. Wir sind unter einem Haus oder so." "Welchen Unterschied
macht das?" "Es bedeutet, wenn wir kriechen können, sind wir
vielleicht in der Lage, hier unten herauszukommen." "Ich glaube
nicht, dass wir das können, Scully." "Wir müssen," erwiderte sie
und ihre Stimme zitterte, nur ein bisschen. "Wir können hier nicht
bleiben. Was ist, wenn sie zurückkommen?"
"Scully, du kannst
dich nicht einmal bewegen." "Nein, aber du kannst es," sagte
sie. Scully wollte gerade noch etwas sagen, als sie ein weiterer Hustenanfall
packte und sie schmerzhaft schüttelte. Sie hustete und hustete, bis schließlich
ihr Magen rebellierte und sie noch mehr Blut in den Schmutz unter sich erbrach.
Dann brach sie zusammen, Tränen liefen über ihr Gesicht. Ob sie vor Schmerz,
aus Angst oder Verlegenheit weinte, konnte sie nicht sagen. Immer noch zog sich
Mulder nicht zurück, veränderte nur ein wenig seine Position. Er blieb dicht
bei ihr und wartete, bis sich ihre Atmung wieder normalisierte, bevor er erneut
sprach.
"Scully, ich lasse
dich hier nicht allein," sagte er. "Du hast recht, die Leute, die uns
hierher gebracht haben, kommen vielleicht zurück. Die, die noch am Leben sind,
zumindest." "Es sei denn, sie haben uns hier gelassen, damit wir
sterben," entgegnete sie unsicher und wieder raste dieser Schock hilfloser
Angst durch sie hindurch. Sie zwang sich dazu, sich zu konzentrieren. Sie
mussten hier verschwinden, sie musste sich unter Kontrolle halten.
"Mulder, ich habe das Gefühl, dass ich einen der Männer, die uns
angegriffen haben, kenne. Irgendwoher kannte ich seine Stimme." Mulder
lachte, aber da war kein Humor darin. "Du kennst ihn ganz sicher," sagte
er bitter. "Es war Alex Krycek."
"Was tut Krycek
hier?" fragte Scully. "Das," antwortete Mulder grimmig, "ist
eine Frage, die ich ihm nur allzu gern stellen würde. Aber das wichtigste ist
jetzt, hier herauszukommen und dich in ein Krankenhaus zu bringen."
"Dann musst du ohne mich gehen, Mulder," flüsterte Scully. "Geh und
hole Hilfe." "Nein," sagte Mulder. "Wir gehen zusammen oder
gar nicht. Ich lasse dich hier nicht
allein."
"Ich kann mich nicht
bewegen." Die Panik in ihrer Stimme nahm wieder zu. "Verstehst du nicht? Ich kann mich
überhaupt nicht bewegen!" "Kannst du dich auf die Seite rollen?"
fragte er leise. "Du musst dein Gewicht von deinem Bauch wegverlagern.
Wenn du es kannst, dann kannst du dich mit deinen Füßen abstoßen."
"Ich... vielleicht," meinte sie. "Ich werde es versuchen."
"Okay," sagte er. "Aber mach langsam. Verschlimmere nicht deine Verletzungen."
"Ich werde es versuchen."
Einen Moment brauchte sie,
um ihren Mut zusammenzunehmen und ihre verletzten Muskeln dazu zu zwingen, sich
zu bewegen und sich herumzudrehen. Sie
keuchte, als sich ihr Gewicht auf ihre Schulter legte und schmerzhafte Blitze
durch ihre geschwollenen Hände zuckten. Ihre Schulter war eine quälende Masse,
als ob jemand versucht hatte, ihren rechten Arm aus dem Gelenk zu reißen. Einen
Schrei unterdrückend zwang sie sich zum Weitermachen, bis sie schließlich ein
zitterndes Gleichgewicht auf der Seite erreichte. Mit zusammengepressten Augen
blieb sie still liegen und versuchte, normal zu atmen. "In Ordnung,
Mulder," sagte sie schließlich mit bebender Stimme. "Ich bin auf der
Seite. Was jetzt?"
"Jetzt benutzt du
deine Füße, um dich vorwärts zu schieben," erklärte Mulder. "Kannst
du das tun?" "Ich denke ja," erwiderte sie. Sie grub ihre nackten
Zehen so tief sie konnte in den Schmutz und drückte sich ab. Ihr Fuß
schlitterte über den harten Boden, die raue Oberfläche riss etwas von ihrer
Haut ab. Ihr Atem zischte in ihren Lungen, aber sie grub sich ein und versuchte
es wieder. Und bewegte sich vorwärts, ungefähr fünfzehn Zentimeter. Scully
stieß einen zitternden Seufzer aus. Sie konnte sich wieder bewegen. Aber es tat
weh. Es tat sehr weh. Gegen die Schmerzen kämpfte sie um jeden Atemzug und
schließlich begann sie wieder zu husten.
Mit jedem scharfen Atemzug schossen qualvolle Schmerzen durch sie
hindurch.
"Scully?" fragte
Mulder hinter ihr. "Scully, bist du in Ordnung?" "Ich kann das
nicht tun," flüsterte sie und ihre Stimme rang um das letzte Wort.
"Ich bin genau hinter dir, Scully," sagte Mulder. "Halt durch.
Wir werden es schaffen." Sie spürte Mulder hinter sich, spürte seinen Atem
an ihrem Nacken und sie griff blindlings nach seiner Hand, ohne nachzudenken.
Ihre geschwollenen Finger glitten über seine Brust und sie fühlte den Schmutz und
das Blut, die sie bedeckten. Schmutzige Wunden, dachte sie und ihre Angst wuchs
wieder. Er braucht medizinische Hilfe genauso sehr wie ich. Und ich kann sie
mich hier nicht finden lassen, damit sie mich wieder wegbringen und vergessen
machen. Das haben sie vor vier Jahren gemacht und sie haben es heute wieder
gemacht. Wer weiß, wessen Hände mich berührt haben und wo, oder was sie diesmal
in meinen Körper hineingetan haben?
Scully konnte fühlen, wie
ihre Selbstkontrolle immer weiter davonflog, mit jedem Moment, der verging, und
sie geistig geblendet zurückließ und sie wild auf den Wahnsinn vollkommener
Panik zurasen ließ. Mit großer Anstrengung zwang sie sich, zu sprechen.
"Mulder," flüsterte sie. "Bleibst du bitte nahe bei mir?"
"Ich bin genau hier, Scully," antwortete Mulder. "Ich werde dich nicht verlassen. Lass
uns weitermachen."
Scully verlor jeden Sinn
für Zeit, während sich der Alptraum hinzog und vertiefte. Sie schob sich weiter
vorwärts, kämpfte um Halt bis ihre Füße zerschunden waren und bluteten. Sie
konnte ihren Atem nicht kontrollieren oder den Husten, konnte den Schmerz nicht
kontrollieren oder ihre Empfindungen. Was immer auch in ihrem Bauch geblutet
hatte, es blutete immer noch und sie konnte spüren, wie ihr Fleisch kälter
wurde, ihr Puls schneller und dennoch schwächer als vorher.
Schock, dachte sie. Ich
sollte das wirklich nicht tun. Still zu liegen begann weitaus attraktiver zu
erscheinen als dieses schmerzvolle Dahinschieben auf ihren beinahe blutleeren
Händen. Die Welt schien sehr weit weg zu sein. Da war ein hämmerndes Geräusch
in ihren Ohren. "Scully?" rief Mulder genau hinter ihr. Sie wollte
ihm antworten, aber es war so schwierig. Ihr Mund bewegte sich nicht.
"Scully?" fragte er wieder, diesmal genau in ihr Ohr. "Wir
müssen weitermachen. Hast du diesen Donner gehört? Es wird wieder regnen und ich glaube nicht,
dass wir hier unten sein wollen, wenn es regnet." "Kann
nicht..." erwiderte sie. "Mulder, ich kann nicht." Ihre Stimme
war schwach. Konnte er sie überhaupt hören?
"Du kannst,
Scully," sagte er. "Du musst." Er war beinahe erschöpft, sie konnte
es in seiner Stimme hören. Was, wenn er zusammenbrach? Oder was, wenn sie
weitermachten, nur um angehalten zu werden, wenn sie die Welt da draußen
erreichten, um für noch mehr Tests, noch mehr Experimente, noch mehr
Erinnerungsauslöschung benutzt zu werden? Sie würde lieber gleich hier unten
sterben, als sich den verschwundenen Monaten zu stellen und dem Wissen, dass
sie wie eine Laborratte getestet, an den intimsten Stellen berührt und dann
abgeschrieben, wie Abfall fortgeworfen worden war, um zu sterben, wenn sie mit
ihr fertig waren. Und dann sich dem Horror der Erinnerung wieder zu stellen.
Der Tod würde im Vergleich dazu ein Segen sein, dennoch wusste sie, dass sie
doch nicht sterben wollte. Sie erschauderte, kämpfte gegen die Tränen an, aber
es war sinnlos. Sie spürte die Tränen ihre Wangen hinunter laufen und eine Spur
durch den dicken, groben Schmutz ziehen, der sie bedeckte. In ihrem ganzen
Leben hatte sie sich nie so hilflos und außer Kontrolle gefühlt.
"Scully," hörte
sie ihn hinter sich flüstern. "Scully, nicht. Du kannst jetzt nicht
aufgeben. Wir sind am Fuß einer Böschung, wir werden unter Wasser geraten, wenn
wir uns nicht bewegen." "Ich kann nicht," erwiderte sie mit
brechender Stimme. "Ich kann mich nicht mehr bewegen. Bitte zwing mich
nicht. Bitte."
Dann spürte sie Mulders
Körper an ihrem, spürte seine Lippen, die sich sanft an ihren Nacken pressten.
Er war warm, seine Muskeln waren hart und schlank und sie drückte sich gegen
ihn und wollte das bisschen Trost, das er jetzt geben konnte. "Bleib bei
mir, Scully," sagte er leise. "Wir wollen hier raus. Wir werden es
schaffen."
Mit einem Ächzen presste
Mulder seine Füße gegen den harten Schmutz und drückte sich gegen sie. Sie
bewegten sich kaum. Sich wieder vorwärtsschiebend, fester diesmal, schaffte
Mulder es, ein bisschen Boden zu gewinnen und sich vorwärts in Richtung der
zunehmenden Dämmerung kaum sechs Meter oder so vor ihnen zu schieben. "Wir
werden hier herauskommen, Scully," wiederholte Mulder, aber sie konnte
nicht länger antworten. Benommen und
verletzt und krank wie sie war, konnte sie nicht einmal die Kraft aufbringen,
ihn zu ermutigen. Seine Kraft würde sie beide retten müssen.
Aber jetzt regnete es, es
regnete heftig, zu schnell für den harten Ton unter ihnen, um das Wasser
aufzunehmen und Mulders Füße begannen, abzurutschen, als er sich vorwärts
schob, und er fiel nach vorn. Scully, die gegen ihn lehnte, verlor ihr
unsicheres Gleichgewicht und fiel, mit dem Gesicht nach unten in eine kleine,
wassergefüllte Vertiefung. Sie hob ihren Kopf, hustend und würgend, und
erinnerte sich an das Entsetzen, das sie auf den Gesichtern unzähliger
Ertrinkungsopfer eingefroren gesehen hatte. Hier war nicht viel Wasser, aber es
war genug, das wusste sie. Sie wusste, dass sie ihr Gesicht aus dem Wasser
halten musste, aber es war schwerer und schwerer, sich überhaupt zu bewegen.
In einer Minute, dachte
sie, kaum zusammenhängend, werde ich mein Gesicht in den Matsch legen und
sterben. Der Matsch wird meine Nase und meine Kehle füllen und sie werden mich
mit dem gleichen Ausdruck der Angst auf meinem Gesicht finden.
Die Außenwelt schien
verlockend nah. Sie versuchte, sich ein bisschen mehr vorwärts zu bewegen, aber
die Anstrengung war zu groß. Sie konnte Mulder hinter sich spüren, der sie so
langsam vorwärts schob und seine letzte Kraft dazu benutzte. Und dann war auch
das Gefühl von ihm gegangen.
Das summende Geräusch
wurde lauter und ihre Wahrnehmung verschwamm und wurde grau. Als sie ihre Augen
schloss und sie in dem Grau, das sie umgab, versank, legte sich ihr Gesicht
langsam in den kalten, roten Alabama-Matsch.
St. Catherine Krankenhaus
Scully erwachte inmitten
der vertrauten Geräusche und Gerüche einer Krankenhausnotaufnahme. Ein Mann in
dunkelblauer Kleidung beugte sich über sie. "Sie sind im Krankenhaus,
Ma'am," sagte er. "Ich bin Arzt und Sie müssen operiert werden. Gibt
es jemanden, den wir für Sie anrufen können?" Scully versuchte, zu
sprechen, aber es gelang ihr nicht. Kein Ton kam heraus. Sie kämpfte härter,
der Doktor beugte sich dichter heran, lauschte aufmerksam und blickte dann
erschrocken auf.
"Was hat sie
gesagt?" fragte die Krankenschwester, die neben ihm stand. "Sie sagte ‚Rufen Sie das FBI an und
sagen Sie Ahab, dass ich in Ordnung bin.'," antwortete der Doktor und
starrte auf die Patientin herab.
"Sie ist im
Delirium," entgegnete die Krankenschwester. "Sie hat den ganzen Weg
hierher sinnloses Zeug geredet, sagten sie. Hat die ganze Zeit über Moby Dick
geredet." "Das vermute ich," sagte der Doktor schulterzuckend. "Bereiten Sie sie vor."
St. Catherine Krankenhaus
3:51 a.m.
Scully erwachte wieder
einem Zimmer, das sie als postoperativen Erholungsraum erkannte. Sie war halb
betäubt und ihre Kehle schmerzte, aber jetzt konnte sie wenigstens ein wenig
klarer denken. Ich hatte eine Inhalationsnarkose, dachte sie. Ihre Handgelenke
waren verbunden und sie konnte das Ziehen des Adhesivverbandes auf ihrem
Gesicht spüren. Die Hände sahen soweit okay aus, verletzt aber nicht ernsthaft
zerstört. Sie konnte die Finger beugen, wenn auch schmerzhaft.
Ihre Hände glitten über
ihren Körper und sie fand ein kurzes Stück Schlauch, das genau unter ihrem fest
verbundenen Rippenbogen hervorkam. Eine
chirurgische Kanüle. Sie mussten eine ernsthafte Operation an ihr durchgeführt
haben. Laparoskopische Operation, kleiner Einschnitt, zu klein für eine
Laparotomie. Was ist mit mir geschehen? Sie betrachtete ihre Hände. Die Nägel
waren abgebrochen und eingerissen und fleckig von rotem Ton. Und dann erinnerte
sie sich.
"Wo ist Mulder?"
fragte sie mit kratzender Stimme, während sie verzweifelt versuchte, sich
aufzusetzen. Eine Krankenschwester mit einer Papierhaube kam zu ihr herüber.
"Sie müssen still liegen, Ma'am," sagte sie. "Können Sie mir
Ihren Namen sagen?" "Scully, Dana Scully," antwortete Scully.
"Wo ist mein Partner?" Die Krankenschwester antwortete nicht. Sie
drückte ein Stethoskop auf Scullys Arm, um den bereits eine Blutdruckmanschette
gelegt war. Scully spürte, wie sich die Manschette aufpumpte, enger wurde und dadurch
die Schmerzen in dieser Hand vergrößerte. Scully biss sich auf die Lippen, da
sie wusste, dass die Frau etwas hören musste. In dem Augenblick, als sie
spürte, dass die Manschette nachgab, sprach sie wieder.
"Sagen Sie mir, was
passiert ist," forderte sie. "Sagen Sie mir, wo mein Partner
ist." "Sie hatten eine Operation, Miss Scully," erklärte die Krankenschwester.
"Sie sind im Krankenhaus. Sie hatten innere Blutungen und sie mussten
operieren, um sie zu stoppen." "Blutungen, wo?" "In Ihren Lungen,
ein bisschen und in Ihrem Duodenum. Das ist der kleine Schlauch an Ihrem
Bauch..." "Ich weiß, wo das ist," unterbrach sie Scully, die
spürte, wie ihre Selbstkontrolle dahinschwand. "Ich bin Ärztin. Bitte,
sagen Sie mir einfach, ob mein Partner okay ist. Haben sie ihn nicht hierher gebracht?"
"Gehört er zur
Belegschaft?" fragte die Krankenschwester. Scully schüttelte den Kopf. Das
tat weh. "Er ist kein Arzt. er ist Bundesagent, FBI-Agent Mulder, Fox
Mulder. Er war auch verletzt, wahrscheinlich Schädeltrauma und mehrere
septische Abschürfungen. Er sollte hier sein."
"Hundert zu
fünfzig," murmelte die Krankenschwester mehr zu sich selbst als zu Scully,
während sie in einer Krankenakte schrieb. "Sie stehen immer noch ein
bisschen unter Schock, aber ich denke, das ist in Ordnung." Sie nahm eine
Spritze in die Hand und spritzte den Inhalt in Scullys IV-Leitung. "Was ist das?" fragte Scully.
"Etwas gegen die Schmerzen," erklärte die Krankenschwester. "Ihr
Arzt hat es Ihnen verordnet." "Ich will das nicht," rief Scully
außer sich, aber die Droge war bereits auf dem Weg in ihr Gehirn. Sie konnte
spüren, wie sich ihr Bewusstsein trübte. Und sie musste darum kämpfen, einen
weiteren Satz herauszubekommen. "Schwester," flüsterte sie.
"Bitte hören Sie mir zu. Jemand muss das FBI anrufen und bescheid sagen,
dass ich hier bin und herausfinden, ob mein Partner in Ordnung ist. Ich muss wissen..."
"Ich bin sicher, dass
bereits jemand angerufen hat," meinte die Schwester. "Schlafen Sie jetzt." Die Worte der
Krankenschwester kamen aus weiter Entfernung und ergaben für Scully keinen
Sinn. Sie versuchte, wieder zu sprechen, konnte aber nicht. Nur ein
zusammenhängender Gedanke blieb zurück, als das Narkotikum sie in einen
betäubten Schlaf schickte. Sie musste zu Mulder gehen.
Als Scully erwachte, war
sie in einem privaten Krankenzimmer und sie hatte keine Erinnerung daran, wie
sie dorthin gekommen war. Immer noch war sie an Monitore angeschlossen, sie
konnte das leise, beständige Piepen des EKG-Gerätes hören und die
Blutdruckmanschette war immer noch um ihren Arm gewickelt. Gott, was war in
dieser Spritze gewesen, fragte sie sich. Ich muss den Namen der Schwester
herausbekommen. Es war nicht ihre Aufgabe gewesen, mir Schmerzmittel zu geben,
wenn ich noch so unter Schock stand... ich
muss ewig weggewesen sein. Wie lange?
Scully sah sich um. An der
Wand hing eine Uhr. Es war beinahe vier Uhr nachmittags. Wie lange war sie
hier? Mulder. Oh Gott, wo ist er? Ihr Herz raste, sie konnte das Anschwellen
des Pieptons hören, als die Maschine ihren schnellen Puls maß, aber sie konnte
sich damit jetzt nicht aufhalten. Sie
legte ihre Hände um das Seitengitter, winselte als sich ihre verletzten Muskeln
bewegten und spannten und zog sich so ein paar Zentimeter dichter zum
Nachttisch hin.
Scully streckte sich, so
weit sie konnte, ein Wimmern kam von ihren Lippen, als die Anspannung in ihrem
verletzten Unterleib zunahm. Einen Moment hielt sie inne, ihr Atem flach und
schnell, und wartete, dass der Schmerz nachließ. Schließlich schaffte sie es,
dicht genug an den Nachttisch heranzukommen, dass sie eine Hand auf das Telefon
legen konnte. Sie nahm den Hörer hoch, fiel dabei zurück auf das Bett und
unterdrückte eine Grimasse, als der Schmerz wieder durch ihren Körper fuhr.
Wie war die Nummer des
örtlichen Polizeibüros? Sie konnte sich nicht erinnern. Skinners Büro? Nichts
fiel ihr ein. Medikamente oder Panik hatten alle Telefonnummern, die sie jemals
gekannt hatte, ausgelöscht, ausgenommen Mulders Handynummer und das war
verschwunden. Dann erinnerte sie sich an die Notfallnummer, die kostenlose
Nummer, die sie direkt mit dem FBI-Hauptquartier verbinden würde, mit einem
Operator, der dazu da war, Hilfe für Agenten im Einsatz zu finden, die in
Schwierigkeiten waren. Rasch wählte sie.
Das Telefon klingelte nur
einmal, bevor jemand abnahm. Wenn man diese Nummer wählte, musste man nie lange
warten. "FBI," sagte die Stimme.
"Assistant Director Walter Skinner, bitte," erwiderte Scully.
"Hier ist Special Agent Dana Scully, Dienstnummer..." Sie dachte
einen Augenblick nach. "Dienstnummer JTT0331613." "Warten Sie,
bitte," sagte die Stimme wieder. Ein paar Augenblicke später war die
Sekretärin von Skinner in der Leitung. "Büro von Assistant Director
Skinner?" meldete sie sich. "Kimberly,
hier ist Dana Scully," antwortete Scully. "Ich muss sofort mit Direktor
Skinner sprechen." "Es tut mir leid, Agent Scully, er ist nicht hier,"
entgegnete Kimberly in ihren gewohnt freundlichen Ton. "Kann er Sie zurückrufen?"
"Kimberly, ich weiß
nicht einmal, wo ich bin," antwortete Scully hilflos. "Ich bin in einem Krankenhaus,
wahrscheinlich in Mobile, Alabama. Mulder ist auch verletzt. Er ist hier
vielleicht irgendwo, aber ich weiß es nicht und niemand will es mir
sagen." "Warten Sie, derweil ich den Anruf zurückverfolge,"
sagte Kimberly, nun ganz professionell. Da war ein klickendes Geräusch, ein paar
Minuten später war Kimberly wieder in der Leitung. "Sie sind im St.
Catherine Krankenhaus in Mobile, wie Sie vermutet haben," erklärte sie.
"Sie sollten dort sicher sein. Ich werde das Polizeibüro von Mobile
anrufen, sie können anfangen, nach Agent Mulder zu suchen. Der Assistant
Director wird auch in Kürze zurückrufen."
"Danke,
Kimberly," sagte Scully und legte auf. Sie begann zu zittern und zog die
dünne Krankenhausdecke mit der linken Hand enger um ihren Körper. Mit der rechten umklammerte sie den Hörer,
den Finger auf dem Verbindungsknopf. Sie zitterte immer noch, als das Telefon
klingelte. Es war Special Agent in Charge Penn, der aufrichtig besorgt klang,
als sie ihm erzählte, wie sie angegriffen worden waren. Er war noch besorgter,
als er erkannte, dass Mulder, obwohl er vermutlich in besserer Verfassung als Scully
war, nicht zuerst angerufen hatte. Penn beendete das Gespräch schnell und
versprach, zurückzurufen, sobald er etwas wusste.
Nur einen Moment später
rief Penn an. Mulder war gefunden worden, er war auch im Krankenhaus, in
besserer Verfassung als sie, aber er hatte eine Gehirnerschütterung, mehrere
tiefe Schrammen und Verletzungen und wie sie litt er unter Entkräftung. Aber er
musste nicht operiert werden.
Scully atmete lange und
zitternd aus. "Gott sei Dank," murmelte sie schwach. "Ich weiß
noch nicht, wie Sie dorthin gekommen sind und auch niemand im Krankenhaus
scheint es zu wissen," sagte Penn. "Ich werde versuchen, es
herauszufinden. In der Zwischenzeit bewahren Sie die Ruhe. In kurzer Zeit
werden ein paar Agenten dort sein." "In welchem Zimmer ist Mulder?"
fragte Scully. "Er liegt auf demselben Flur wie Sie," antwortete Penn.
"Aber versuchen Sie noch nicht, dort hinzugehen. Bleiben Sie einfach , wo
Sie sind."
"Sir, ich muss ihn
sehen," meinte Scully, beinahe flüsternd. "Ich will nur wissen, ob es
ihm gut geht." "Das verstehe ich, Agent Scully, aber warten Sie, bis
meine Agenten dort sind. Es ist sowohl zu Ihrem als auch zu seinem Schutz. Sind
Sie bewaffnet?" "Nein, Sir, wer immer uns überfallen hat, der hat
auch unsere Waffen." "Verdammt, ich bin mir nicht sicher, ob ich das
an Ihrer Stelle gesagt hätte, Agent Scully," meinte Penn lachend. "So
was geht im Büro herum, sie werden anfangen, Ihnen Spitznamen zu
verpassen." Scully lächelte zaghaft. "Wir wollen nicht, dass das
passiert, oder?" fragte sie. "Zur
Hölle, nein," antwortete Penn. "Solche Spitznamen hängen einem an. Versuchen Sie, sich jetzt auszuruhen. Ihr
Partner ist in Ordnung. Wenn Sie aufwachen, wird ein Agent vor Ihrer Tür
stehen. Ich rufe Skinner an und unterrichte ihn."
Penn legte auf. Scully
legte sich in die knisternden weißen Laken zurück und fiel in einen
erschöpften, ruhelosen Schlaf.
Es war Nacht, als Scully
wieder erwachte, ihr inneres Radar warnte sie, dass jemand in ihrem Zimmer war.
Sie versuchte, sich aufzusetzen, konnte es aber nicht - sie war zu schwach und
es war zu schmerzvoll. "Shh," hörte sie eine Stimme sagen.
"Versuch jetzt nicht, dich zu bewegen." "Mulder?" fragte sie
schwach. Erleichterung durchflutete sie. Er war es, endlich. Mulder saß in dem
Sessel neben ihrem Bett, bekleidet mit Jogginghosen, T-Shirt und Krankenhaus-Bademantel,
und beugte sich zu ihr. Seine Handgelenke waren dick verbunden und sein Gesicht
war mit Blutergüssen und Abschürfungen bedeckt.
Nie in seinem Leben hatte
er so gut für sie ausgesehen. Sie streckte ihre Hand aus und er nahm sie und
hielt sie sanft zwischen seinen beiden größeren Händen. "Wie geht es dir, G-woman?"
fragte Mulder. "Sie haben gesagt, dass du beinahe tot warst, als sie dich
hierher gebracht haben." "Das wohl kaum, aber ich werde eine Weile
nichts essen können," erwiderte Scully und winselte, als sie hörte, wie
rau ihre Stimme klang. Husten und sich übergeben führen dazu, dachte sie. Und
Intubieren auch. Ebenso das Schreien aus Schmerz und Angst, dachte sie und dann
runzelte sie die Stirn. Ich hab nicht
geschrieen, dachte sie. Woher kam dieser Gedanke?
Jetzt, als sich ihre Augen
an das Licht gewöhnt hatten, konnte Scully sehen, wie blass Mulder war und dass
er Linien des Schmerzes in seinem Gesicht hatte, aber für ihre Augen als Ärztin
sah er gut aus. Er wird sich erholen - wieder. Der enge Knoten in ihrem Innern
entspannte sich en wenig. "Mulder,
wo warst du?" fragte Scully. "Ich habe mir Sorgen um dich gemacht."
"Vollkommen weggetreten," erwiderte er, sein Lächeln klein und selbstverachtend.
"Ich bin zusammengebrochen. Und erst vor einer halben Stunde
aufgewacht." "Welcher Tag ist heute?" erkundigte sich Scully.
"Es ist Dienstag," antwortete Mulder, immer noch mit einer Spur von
Lächeln. "Du hast nicht viel Zeit
verloren. Mach dir deshalb keine Sorgen."
"Gott sei Dank,"
meinte Scully und Mulder glaubte, dass sich ihr Gesichtsausdruck ein wenig
entspannte. "Wie sind wir hierher gekommen?" "Erinnerst du dich
nicht?" Sie schüttelte den Kopf. "An gar nichts?" "Ich erinnere
mich daran, dass auf mich geschossen wurde," sagte sie langsam. "Ich bin unter diesem Haus, oder was
immer es war, erwacht. Ich erinnere mich, dass wir beinahe ertrunken
sind." Scully schüttelte sich. "Wir sind da unten beinahe
gestorben." "Wir waren sehr dicht dran," sagte Mulder mit grimmiger
Stimme. "Zu unserem Glück war da ein Gentleman in den Wäldern in unserer
Nähe unterwegs. Augenscheinlich war er irgendwie illegal auf der Jagd mit
seinem Hund, der uns zweifelsohne gewittert hat, und nun sind wir hier. Dieser
Hund hat dein Leben gerettet, Scully."
"Du hast mein Leben
gerettet, Mulder," flüsterte sie. "Wir wären ertrunken, wenn du uns
nicht auf höheren Grund gebracht hättest." Mulder schnitt eine Grimasse.
"So viel Dank habe ich nicht verdient, Scully. Du wärst nicht dort
gewesen, wenn ich nicht gewesen wäre." "Fang nicht an..." begann
sie, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken und sie hustete wieder. Es tat weh,
aber es war besser. Sie räusperte sich und begann noch einmal. "Mulder, wie konnte Krycek wissen, dass
wir in dieser Fabrik sein würden?" "Wer zur Hölle weiß das?"
entgegnete Mulder achselzuckend. "Vielleicht wusste er es nicht,
vielleicht war die Chance zu bekommen, uns zu töten, nur ein glückliches
Ereignis für ihn. Oder vielleicht hat es ihm der Raucher gesagt. Vielleicht war
es die Zahnfee. Er war da, das ist alles, was ich weiß."
"Es muss die
Covarrubius gewesen sein," sagte Scully. "Sie hat uns dorthin geschickt."
"Vielleicht, aber ich bezweifle es," meinte Mulder kopfschüttelnd.
"Marita Covarrubius wurde heute morgen tot in ihrer Badewanne gefunden.
Augenscheinlich hat sie Selbstmord begangen." "Selbstmord? Wie?"
fragte Scully aufrichtig erschüttert. "Sie hat sich die Pulsadern
aufgeschnitten," erläuterte Mulder. "Und mit chirurgischer Präzision,
sollte ich hinzufügen. Keine Zögerungsschnitte." Er musste Scully nicht
erklären, was das bedeutete - der Tod der Covarrubius war alles andere als ein
Selbstmord.
"Sie war innerhalb
von Minuten tot," fuhr Mulder fort. "Sehr bequem für alle
Beteiligten." "Ausgenommen für uns." "Ausgenommen für uns.
Und vielleicht für ein paar andere Leute, aber ich weiß noch nicht wer. Sie hat
letzte Nacht unser Hotelzimmer angerufen, nicht lange nachdem wir gegangen waren.
Vielleicht hat sie versucht, uns zu warnen." "Wie hast du das herausgefunden?"
"Skinner hat vor kurzem angerufen. Er war der Grund, weswegen ich
aufgewacht bin," sagte Mulder. "Er hat nach dir gefragt." "Nett
von ihm," meinte Scully. "Was haben sie herausgefunden?"
"Die örtlichen
Agenten sagen, dass da niemand in dieser Fabrik war, tot oder lebendig, als sie
dort ankamen. Auch keine Blutspuren mit Ausnahme einer, die sich als deine
erwies. Sie haben eine leere Patronenhülse gefunden, die wahrscheinlich aus
meiner Waffe stammt und haben sie zur Schusswaffenidentifikation geschickt,
aber ich werde wahrscheinlich keinem Schießstand gegenüber stehen, wenn es
keinen Beweis gibt, der darauf hindeutet, dass ich auf jemanden geschossen
habe." "Du hast auf jemanden geschossen," erwiderte Scully.
"Ich habe es gehört." Mulder nickte. "Ich habe es auch gehört.
Und stellen wir uns dem, ich weiß, wie sich das anhört. Aber es gibt keine
Spur, soweit man feststellen kann. Zu schade, dass du den Tatort nicht
untersuchen kannst. Du würdest etwas finden."
"Vielleicht
nicht," sagte Scully. "Aber wir können uns später damit befassen."
Sie wurde müde, aber Mulder hatte ihr immer noch nicht alles gesagt, was sie
wissen wollte. Er hielt irgendetwas zurück, sie kannte diesen Blick in seinen
Augen. "Mulder, ist noch etwas passiert?" fragte sie. Mulder
schüttelte den Kopf und senkte gleichzeitig den Blick. "Nein, nichts,"
meinte er. "Nichts, woran ich mich erinnern kann."
"Warum glaube ich dir
nicht?" fragte Scully und hielt seine Hand ein bisschen fester. "Ich
weiß nicht," entgegnete Mulder aufblickend. Wieder schüttelte er den Kopf,
suchte nach seinem Mulderlächeln und war beinahe erfolgreich. "Wenn da
noch etwas anderes war, haben wir es beide verpasst. Ich habe zu der Zeit nicht allzu klar denken
können." "Ich auch nicht," stellte Scully fest und drückte seine
Hand. Lass es los, dachte sie. "Mulder,
wir haben beide einen Stiefel ins Gesicht bekommen Diese Art Trauma kann
Veränderungen im Bewusstsein hervorrufen und Störungen im Denken."
"Ich kenne eine Menge Leute, die dir sagen würden, dass mein Denken bereits
gestört ist," meinte Mulder.
"Gut, versuch
wenigstens für eine Minute klar zu denken," forderte Scully ihn zaghaft
lächelnd auf und dann wurde sie wieder ernst. "Mulder, warum sollte Krycek
an einer Inlandsterrorismusoperation beteiligt sein?" "Ich weiß
nicht, Scully," antwortete Mulder. "Aber die Antwort ist hier, irgendwo.
In der Fabrik oder im Hafen von Mobile, aber irgendwo in diesem Teil der Welt.
Ich muss sie nur finden." "Wir werden sie finden, Mulder," versprach
ihm Scully. "Sobald ich hier heraus kann. Und vielleicht finden wir auch
Krycek."
"Oh, ich werde Ratboy
finden, richtig," sagte Mulder mit einem kalten Blick in den Augen.
"Wielange es auch dauert, dieser doppelgesichtige Sohn einer Hure ist
meiner. Aber du wirst nicht dabei sein. Ich bringe dich nach Baltimore, zum
Haus deiner Mutter. Du musst dich ernsthaft erholen." "Du kannst
nicht ohne mich gehen," begann sie, aber Mulder griff durch das Gitter des
Metallbettes und legte einen Finger auf ihre Lippen und unterbrach sie mitten
im Satz. "Ich kann und ich werde, auch wenn es mich umbringt,"
stellte er klar. "Du hättest da unten sterben können und es wäre meine
Schuld gewesen. Du hast mir vorher gesagt, dass du nicht in der Form bist, zu
gehen und ich habe es ignoriert, wieder einmal meiner ausgehöhlten,
persönlichen Sache hinterherjagend. Ich werde das nicht noch einmal mit dir
machen."
Scully war auf einmal
kalt, sie hatte das Gefühl, dass ihr Herz aufhören würde, zu schlagen. Sie nahm
seine Hand von ihrem Gesicht und hielt sie ganz fest. "Mulder, das
klingt... beinahe endgültig," sagte Scully und versuchte, sachlich zu
bleiben. "Du machst mir Angst." "Vielleicht sollte es endgültig
sein," erwiderte er leise. "Die X-Akten sind weg. Meine Karriere ist
erledigt, aber es gibt keinen Grund, warum deine es auch sein sollte. Und hier
ist absolut nichts, weshalb es sich zu sterben lohnt."
"Mulder, das kannst
du nicht ernst meinen," begann sie, aber er unterbrach sie. "Ich habe
es nie ernster gemeint," sagte er und nun sah er sie an und wollte, dass
sie wusste, er sagte die Wahrheit. "Wie oft musst du verletzt werden,
bevor ich meine Lektion lerne? Und es war alles für umsonst, wie üblich haben
wir überhaupt nichts. Es ist Wahnsinn, dass du dein Leben für diese
Wildentenjagd von mir riskierst und ich werde es nicht zulassen. Nicht noch einmal. Das war das letzte
Mal."
"Habe ich gar nichts
dazu zu sagen?" fragte sie und Tränen schossen ihr in die Augen. "Es
ist auch mein Job." "Ja, es ist auch dein Job," räumte er ein.
"Ich sage dir nicht, dass du beim FBI kündigen sollst, Scully. Ich sage
nur, dass es Zeit ist, dass du dich bewegst, dass du zu richtiger FBI-Arbeit
zurückkehrst und aufhörst, dein Leben für nichts zu riskieren. Du könntest zurückgehen nach Quantico."
"Danke für den Rat," sagte sie und da war ein Anflug von Ärger in
ihren Augen. "Und wo wirst du sein?" "Ich weiß nicht,"
erwiderte er. "Und vielleicht sollten wir es dabei belassen. Wo immer ich hingehen werde, es wird nicht
die Abteilung Verhaltenswissenschaften sein und es wird nicht in der Nähe des
Hoover Buildings sein."
"Nein," sagte
sie. "Ja," entgegnete er und die Endgültigkeit in dieser einen Silbe
zerstörte sie beinahe. "Mulder, nicht," bat sie und brachte seine
Hand zurück an ihr Gesicht und hielt seine raue warme Handfläche an ihre nicht
verletzte Wange. Sie musste ihn dazu bringen, sich auf sie zu konzentrieren,
sie brauchte seine Berührung, um die Angst fortzunehmen, die er ihr
verursachte. "Denk nicht einmal daran, Mulder," flüsterte sie und lehnte
sich in seine Hand. "Ich wäre jetzt tot, wenn du nicht gewesen wärst."
"Du würdest unterwegs sein und Weihnachtsgeschenke kaufen, wenn du nicht
dahin gegangen wärst," sagte Mulder, aber seine Augen waren weicher und sein
Daumen streichelte zärtlich ihr Gesicht.
"Ich habe meinen Job
getan," antwortete sie und sie konnte die Tränen in ihren Augen aufsteigen
fühlen. "Ich war dort, wo ich sein sollte - bei dir." Das drang
beinahe zu ihm durch, stellte sie fest. Sein innerer Kampf war heftig, aber er
fuhr fort, ihre Wange zu liebkosen. "Sieh mal, wir müssen jetzt nicht
darüber reden," meinte er schließlich. "Wenn es dir besser geht,
bringe ich dich nach Baltimore und dann können wir darüber reden, was wir tun
werden." Aber er hatte nicht nachgegeben, nicht wirklich, sie konnte es so
deutlich spüren, wie sie seine Hand spürte. Er hatte sich entschieden, es war
in seiner Stimme und in seinen Augen und in der Art, wie er sie berührte. So
hatte er sie vor einem Jahr berührt, als der Krebs sie beinahe getötet hatte.
Es war ein Lebwohl.
"Verlass mich
nicht," flüsterte sie mit brechender Stimme. Sie wusste, dass sie zu
emotional war, aber das schien im Moment keine Rolle zu spielen. "Sag, dass du es nicht tun wirst. Bitte,
Mulder." Mulder verzog das Gesicht, jedes kaum wahrnehmbare Wort traf ihn
wie ein Schlag. Er atmete zu langsam und seine Augen waren geschlossen. Noch
einmal atmete er tief ein, dann blickte er sie an und als sie sein Gesicht sah,
wusste sie es. "Ich werde dich hier nicht allein lassen, Dana," sagte
er leise und streichelte immer noch ihr Gesicht. "Ich wünschte, ich könnte
dir mehr versprechen, aber ich kann es nicht. Aber ich werde nicht ohne dich
von hier fortgehen. Ich werde bleiben,
bis es dir gut genug geht und dann werde ich dich nach Hause bringen. In
Ordnung?"
Das Zögern war vorbei, er
war sich jetzt sicher. Es war nicht alles, was sie wollte, aber es war alles,
was sie bekommen konnte. Sie sah zu ihm auf und ließ ihre Augen für sich
sprechen, sie wollte, dass er verstand, was sie nicht laut sagen konnte. Ich
liebe dich, sagten ihre Augen. Ich weiß, ich habe es immer gewusst. Es tut weh.
Und ich habe Angst. Mach es besser. Bitte.
Das werde ich. Du weißt, dass ich das werde.
Sich aus dem Sessel
erhebend beugte sich Mulder zu ihr herab, zart, so zart, dass sie es beinahe
nicht spüren konnte, küßte er ihre Tränen fort und strich ihr das feuchte rote
Haar aus ihrem verwundeten Gesicht. "Schlaf jetzt," murmelte er und
küßte sie auf die Stirn und ließ seine Lippen einen Moment dort verweilen. Sie
griff nach ihm, legte eine Hand in seinen Nacken und hielt sein Gesicht an
ihres. Mulder spürte ihren warmen, unregelmäßigen Atem an seinem Ohr. Er küßte
sie auf die Wange, dann streckte er sich und stand über ihr.
"Ich sehe dich morgen
früh," sagte er. "Als erstes." Er begann, fortzugehen, aber sie
ließ seine Hand nicht los. Mulder ließ sich von ihr aufhalten, beugte sich nach
vorn und legte seine Finger für einen letzten Kuss an ihre Lippen, dann nahm er
langsam seine Hand fort. Sie fühlte seine Finger aus ihrem Griff gleiten und
dann war er gegangen.
Scully drehte sich auf die
Seite, weg von der Tür, und presste ihr Gesicht in die Kissen. Sie weinte -
heftig - und sie wollte nicht, dass der Agent vor der Tür es hörte. Niemand
beim FBI würde das jemals von ihr hören.
Ausgenommen Mulder. Und der verließ sie.
Sollte ich mutig werden
Etwas Liebes zu ihm sagen
Mein ganzes Leben ihm
geben
Mich an ihm festhalten -
Welche Buße
Ist genug für meine Sünde!
Das war der Preis für
mich,
Das war mein Gewinn -
Dass er an mich verloren
war.
Nicht als Geliebter
Letztlich, wenn er sich
von mir trennt,
Mir mein Herz entreißt,
Verletzt jenseits von
Heilung -
Ruhig und ernst
Dann muss ich mich halten
In mir selbst einhüllen,
Damit er es nicht
herausfindet;
Ihm kein Anzeichen zeigen
durch mein Aussehen für
ihn
Was er für mich gewesen
war -
Wie mein Herz sich ihm
zuwendet
Ihm folgt, sich nach ihm
sehnt,
Ihn bittet, mich zu
lieben.
Erbarme dich meiner, lehn
dich zu mir
Du Gott über mir!
"Der Gedanke einer
Frau"
Richard Watson Gilder
Kapitel 3
Maggie Scullys Haus
Donnerstag,
Weihnachtsabend
3:32 p.m.
Im Flugzeug hatte Scully
kaum gesprochen, sie hatte einfach dagesessen und aus dem Fenster gesehen. Das
Schweigen hatte im Krankenhaus begonnen.
Mulder war am nächsten Morgen entlassen worden und hatte sich sofort mit
den örtlichen Agenten zusammen an die Arbeit gemacht, versucht Krycek ausfindig
zu machen, einen Hinweis darauf zu finden, wo sie nach dem Angriff gewesen
waren. Sie fanden mehr Blutspritzer innerhalb der verlassenen Fabrikanlage,
deren Analyse erbrachte, dass sie von Scully und ihm stammten. Sie fanden auch
Scullys Waffe, zerkratzt aber immer noch voll geladen und verborgen zwischen
zwei Holzpaletten.
Daneben fanden sie nichts:
keine Fußabdrücke, Fingerabdrücke, Reifenspuren oder sonst etwas, ausgenommen
solcher, die von den Agenten selbst hinterlassen wurden. Allem Anschein nach
war nie jemand anderes dort gewesen.
Der Inkubator war leer und
kalt gewesen und roch nach Benzin. Der Geruch von was immer auch für Bakterien
dort gezüchtet worden waren, war fort, zusammen mit Scullys Proben. Die Agenten
schrubbten die Regale, die Tür und den Boden, aber das Labor konnte aus den
Proben nichts züchten, außer den üblichen Staubbakterien.
Krycek und die Leiche von
wer immer auch bei ihm gewesen war, waren verschwunden. Die Untersuchung war
ins Stocken geraten und nichts, was Mulder oder einer der anderen Agenten aus
Mobile tun konnten, würde sie voranbringen.
Als er am diesem Abend zu
Scully kam, um ihr die schlechten Nachrichten zu überbringen und den Fall zu
besprechen, war sie distanziert gewesen, nicht grausam, nur einfach nicht
wirklich da, sie unterhielt sich nicht mit ihm, nur auf einem sehr
oberflächlichen Niveau. Sie antwortete, wenn er sprach, gab aber keinen
weiteren Hinweis darauf, dass es ihr überhaupt etwas bedeutete. Er versuchte
nicht daran zu denken, was das bedeutete. Als er sie nach ihrem Wohlbefinden
fragte, bekam er ihre patentierte abweisende Antwort ‚Es geht mir gut, Mulder.'
Sie akzeptierte seine Besuche, seine Besorgnis, sogar seine Berührung, aber sie
schien nie danach zu suchen oder etwas davon zurückzugeben.
An diesem Morgen hatte er
sie aus dem Krankenhaus ausgecheckt, durch keine weitere Unterhaltung
begleitet, als nötig war, um ihm zu sagen, wo ihre Zahnbürste war und wie lange
es dauern würde, bis der Pfleger sie an die Entlassungsrampe fahren würde. Auf
dem Flughafen hatte sie nicht einmal dagegen protestiert, in einen Rollstuhl
gesetzt zu werden. Sie saß einfach darin, ließ sich von ihm schieben, gab ihm
aber kein Zeichen, dass er mehr war als ein weiterer Pfleger. Zum ersten Mal,
dachte Mulder, erhielt er einen Einblick darin, was ihr den Namen Eiskönigin
eingebracht hatte. Dann schämte er sich beinahe sofort für diesen Gedanken.
Vielleicht erinnerte sie sich...
Nein. Sie hätte etwas
gesagt, wenn sie es getan hätte. Ihr Schweigen, entschied er, war Selbstschutz,
ein Präventivschlag, um die Dinge auf ihre Weise zu Ende zu bringen. Es war die
einzige Art, die sie zurückbehalten hatte, um sich selbst zu schützen. Vor ihm.
Das tat weh. Dennoch konnte er es ihr nicht vorwerfen. Trotzdem versuchte er
weiter, zu ihr durchzudringen. Er brauchte sie noch immer, jetzt vielleicht
mehr als je zuvor. Das, so dachte er, war einfach total verrückt, dass er sie
brauchte, um ihm in dem Moment die Kraft zu geben, weil sie beide wussten,
wofür er die Kraft sammelte: um sie zu verlassen. So sicher wie die Hölle würde
sie ihm dabei nicht helfen.
Durch den ganzen
Flughafen, während der Flüge, dem unausweichlichen Aufenthalt in Atlanta
bestürmte er sie mit Fragen, fragte, ob sie etwas zu trinken wollte, bot ihr
an, ihr ein Buch zum Lesen zu holen, alles, um das Schweigen in Schach zu
halten. Nothing. Nada. Nichts. Überhaupt keine Reaktion, abgesehen von der
steten, losgelösten, wütend machenden Antwort ‚Es geht mir gut, Mulder.'
Nun, als Mulder in die
Kiesauffahrt zum Haus ihrer Mutter einbog, sah sie ihn immer noch nicht an.
Wenn ihre Augen Gefahr liefen, seinen zu begegnen, glitten sie davon und
konzentrierten sich auf sonst etwas, so wie sie jetzt auf die winterliche
Landschaft Baltimores konzentriert waren. Dies waren ihre letzten Momente
zusammen und sie war weit weg, lebte irgendwo in ihren Gedanken und überhaupt
nicht wirklich bei ihm. Er wollte sich jede Linie ihres Gesichtes einprägen,
jede Bewegung, die sie machte, den Duft ihres Haares, die anmutige Art, wie sie
ging, das tiefe Blau ihrer Augen, auf schmerzvolle Art noch schöner durch den
Kontrast zu ihren Wunden, die zwar heilten, aber immer noch hässlich waren, und
die verschwindenden Blutergüsse auf ihrer Wange.
Sie gab ihm nichts. Es
brachte ihn um.
Besser mich als sie,
dachte er, dann schaltete er die Zündung aus und stieg aus dem Wagen. Er ging
herum, um ihr die Tür zu öffnen, aber sie kam ihm zuvor. Sie war bereits halb
draußen, bevor er sie erreichen konnte. "Komm schon, Scully, lass mich dir
helfen," bat er, zu leise, als dass es jemand außer ihr hören konnte.
"Du bist gerade aus dem Krankenhaus gekommen." "Es geht mir gut,
Mulder," antwortete sie automatisch. "Würdest du mir bitte meine
Taschen geben?"
Mulder öffnete den Mund,
um zu protestieren, als er hörte, dass die Eingangstür geöffnet wurde. Es war
Margaret Scully, deren Gesicht vor Sorge abgespannt wirkte. Einen Moment hielt
sie an der Schwelle inne - die Atmosphäre testend, dachte er - bevor sie
heruntereilte, um ihre einzige lebende Tochter zu umarmen. "Oh, Dana, ich
bin so froh, dass du in Ordnung bist," murmelte Maggie und hielt ihre
Tochter fest. "Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht, als wir es hörten."
Mulder hörte das stoßweise Schluchzen in Scullys Atem, als sie sich in der
Umarmung ihrer Mutter entspannte.
"Mom, es tut mir so
leid," sagte sie. "Es tut mir so leid, dass ich dir Sorgen bereitet
habe." "Nein, Baby, weine nicht, es ist in Ordnung," beruhigte
Maggie sie und wiegte sie in ihren Armen. "Du siehst gut aus, wirklich. Es
ist nur, dass du so dünn bist und blass. Komm rein und ruh dich aus."
Mulder drehte sich um, er
fühlte sich unbehaglich, wie immer angesichts
Maggies mütterlicher
Liebe. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, er hätte
sie nie gesehen, hätte
niemals den Beweis dafür vor Augen gehabt, dass die
Liebe seiner eigenen
Mutter so wenig mit der warmen, selbstlosen Zuneigung
zu tun hatte, die Maggie
Scully ihren Kindern schenkte.
Er öffnete den Kofferraum,
nahm Scullys zwei Reisetaschen heraus, trug sie zur Schwelle und stellte sie
vorsichtig gleich hinter der Eingangstür ab.
Drinnen stand ein leuchtend dekorierter Weihnachtsbaum mit wie es aussah
Hunderten von blinkenden Lichtern. Auf der Spitze steckte ein Engel mit goldenen
Haaren, der ein leuchtendes Kreuz hielt. Das Kreuz warf seine gedämpfte Kontur
in Richtung der Tür, wo Mulder stand. Er konnte sich nicht vorstellen, was es
für die Scullyfamilie bedeutete, aber für ihn bedeutete es in diesem Moment nur
eines: Du gehörst nicht hierher.
"Komm schon,"
meinte Maggie, den Arm um die Schultern ihrer Tochter gelegt, und führte sie
zur Tür. "Es ist fürchterlich kalt hier draußen, du musst doch völlig
durchgefroren sein." "Ich bin nur müde, das ist alles, Mom," erwiderte
Scully. "Es war ein langer Flug und wir hatten einen langen Zwischenaufenthalt
in Atlanta. Feiertagsverkehr. Sind Bill und Charlie hier?" "Tara und
Matthew sind oben und machen ein Nickerchen und Bill ist auf dem Weg hierher.
Er wird jede Minute hier sein. Charlie steckt in Denver fest und wird wohl
nicht vor Mitternacht hier sein. Aber alle sind erleichtert, dich zu
sehen," antwortete Maggie, als sie die Schwelle erreichten. Erst dann schien
sie Mulder zu bemerken, der da stand, die Hände an den Seiten herabhängend,
unschlüssig.
"Hallo, Fox,"
begrüßte sie ihn, aber vielleicht nicht so warm, wie sie es in der
Vergangenheit getan hatte. Er machte ihr daraus keinen Vorwurf. Wegen ihm hatte sie ihre Tochter beinahe
verloren, zum wiederholten Mal. Zum
Teufel, was glaubte er? Wegen ihm hatte sie eine Tochter verloren, wenn auch
nicht diese. "Hallo, Mrs. Scully," erwiderte er. Und wenn es um sein Leben
gegangen wäre, ihm fiel kein weiteres Wort ein, das er sagen könnte. Da war etwas, das er sagen sollte, etwas
konventionelles. Was war das doch?
Dann erinnerte er sich.
"Fröhliche
Weihnachten," sagte er und die Worte fühlten sich noch seltsamer an als
gewöhnlich. "Fröhliche Weihnachten auch für Sie, Fox," meinte Mrs. Scully, dann lachte sie ein wenig verlegen.
"Ich meine natürlich, ein frohes Hanukkahfest. Möchten Sie nicht eine
Weile mit hineinkommen? Auf dem Herd steht heißer Apfelsaft und ich wollte
gerade ein paar Pfefferkuchen aus dem Ofen holen."
Mulder blickte seine
Partnerin an, unfähig, den Ausdruck in den eisblauen Augen zu lesen. Er
entschied sich für die männliche Auswahl Nr. 1: Erledige es, solange es gut
geht. "Danke, Mrs. Scully, aber ich fürchte, ich muss zurück nach
D.C.," antwortete er vorsichtig. "Sie fahren zu den Feiertagen nicht
nach Hause?" "Nein. Hanukkah ist nicht die Art von Feiertag, um nach Hause
zu fahren, und Mom feiert es sowieso nicht," erklärte er und versuchte so
zu klingen, als würde er es amüsant finden. "Zu jüdisch, vermute
ich."
Gott, Mulder, dachte er
und winselte angesichts seiner eigenen Leichtfertigkeit. Lass uns die Wunde
aufreißen, solange wir dabei sind. Ich bin sicher, die Scullys würden liebend
gern alles darüber hören, wie deine Mutter die Religion ihrer Vorfahren
behandelt, als ob es ein peinlicherweise wahnsinniger Verwandter war, der in
der Dachstube lebt. "Jedenfalls,"
sagte er schnell, um das unbehagliche Schweigen zu brechen, "muss ich noch
ein paar Arbeiten erledigen, Skinner wird den Bericht über all das haben
wollen."
"Nicht an
Weihnachten," bemerkte Mrs. Scully. "Ich bin mir sicher, dass er jetzt
nicht arbeitet." Mulder zuckte mit den Schultern. Noch eine Entschuldigung,
Mulder, sagte er sich selbst. Komm schon, du kannst das. Sag etwas glaubwürdiges, nur sag nichts
dummes, und dann verschwinde von hier. Jetzt. Sag etwas, verdammt noch mal. Ihm
fiel nichts ein. Er stand einfach nur da.
Warum will er nicht
bleiben, dachte Maggie. Ich habe ihn sich nie zuvor so unwohl bei Dana fühlen
sehen. Ist es Weihnachten? Sicherlich ist er daran gewöhnt. Aber er will
wirklich nicht bleiben, obwohl ihn Dana hier haben will. Ich weiß, dass sie es
will, ich kann es sehen. Warum kann er es nicht? Laut sagte sie, "Nur ein
paar Minuten, Fox, nur lange genug, um sich aufzuwärmen. Wir werden Sie nicht
lange aufhalten, das verspreche ich."
Mulder blickte seine
Partnerin wieder an, dann senkte er den Blick. Er gab nach. "Danke, Mrs.
Scully," antwortete er. "Gern." War es Einbildung oder entspannte
sich Scullys Körper ein bisschen? Er konnte es nicht sagen, ihre Mutter
geleitete sie zu rasch hinein, und er konnte ihr Gesicht nicht sehen.
"Setz dich hier hin,
Dana, ich bringe euch etwas zu trinken," meinte Mrs. Scully, nahm ihrer Tochter den Mantel und die
Handschuhe ab und führte sie zum Sofa. "Fox, kann ich Ihren Mantel
haben?" "Nein, danke," erwiderte er. "Ich kann wirklich nicht lange
bleiben." "Gut," bemerkte Mrs. Scully, dann hielt sie inne.
"Ist Apfelsaft für jeden in Ordnung?" "Tatsächlich denke ich,
Mom, würde ich gern Kaffee nehmen, wenn welcher da ist," antwortete Scully.
"Es ist welcher da, aber der ist alt," stellte Mrs. Scully fest. "Ich werde welchen machen, das dauert
nicht lange. Fox, machen Sie es sich bequem. Ich bin gleich zurück."
Scully beobachte ihre
Mutter, wie sie in der Küche verschwand. Mulder setzte sich an das
entgegengesetzte Ende der Couch, jeden Muskel angespannt, und blieb auf
Distanz. Scully konzentrierte ihren Blick sorgfältig auf die Küchentür.
Schließlich drehte sie sich um, um ihn anzusehen. Oh Gott, Scully, dachte er,
bitte tu das nicht. Er schloss seine Augen, wartete darauf, dass der Schlag
kam, wollte es hinter sich bringen und hier verschwinden, weg von dem Schmerz,
weg von der Schuld, weg von dem grenzenlosen, unauslöschbaren Verlangen nach
ihr, das drohte, seine Vernunft und seine Selbstkontrolle fortzureißen. Aber
erst war *das* durchzustehen. Er nahm an, dass er ihr diese Chance, ihn zu
verletzen, schuldete, dass sie ihm den letzten Schlag versetzen konnte, bevor
das alles endete, damit sie ihn hassen konnte und ihn schließlich gehen ließ. Und dann sprach sie.
"Mulder," sagte
sie mit zitternder Stimme. "Bitte sag mir, dass du mich nicht wirklich verlassen
wirst." Direkter Treffer, dachte Mulder. Und ich hatte recht - es tut weh.
Er legte seine Finger zusammen und studierte sie einen Moment lang. "Ich
muss, Scully," erwiderte er schließlich. "Ich habe es dir gesagt, ich
werde dein Leben nicht noch einmal riskieren. Das sind nicht die X-Akten, das
ist vorbei. Das ist nur der tägliche FBI-Mist und es gibt keine Entschuldigung
dafür, dass ich dich in eine gefährliche Situation wie diese hineingezerrt
habe. Nicht jetzt, nicht, wenn es so wenig dabei zu gewinnen gibt."
"Und wer bist du,
dass du entscheidest, was das beste für mich ist?" fragte Scully
ärgerlich. Ärger. Das hatte er nicht erwartet, nicht so schnell, aber es musste
wohl so sein. Und sie war ärgerlich, da brannte ein Feuer in diesen
unergründlichen blauen Augen, aber da war auch Liebe und tiefe Verletztheit und
- etwas anderes, etwas kraftvolles, dennoch schwer zu erfassendes. "Wenn
du nicht mit mir gearbeitet hättest..." begann Mulder, aber Scully
unterbrach ihn. "Ich habe sechs Jahre mit dir gearbeitet und ich bin immer
noch hier," sagte sie und dann liefen die Tränen. "Es ist mir egal,
ob es die X-Akten sind oder das Misthaufenkommando, es ist mein Job, es ist
das, was ich tue und ich liebe es immer noch, das zu tun, ich liebe es immer
noch, mit dir zu arbeiten, und..."
Sie legte ihre Hände über
ihr Gesicht und wurde still. Er konnte den Kampf in ihrem Innern spüren: sie
kämpfte um die Kraft, die nächsten Worte herauszubringen. Beinahe hoffte er,
dass sie versagen würde, dass sie unfähig war, es zu sagen, weil es wehtun
würde, es würde mehr als wehtun, es würde ihn verdammt noch mal umbringen. Aber
es würde auch der letzte Schlag sein und er wusste, dass, wenn er die Kraft
finden könnte, sie zu belügen, ihre Liebe zurückzuweisen, alles zuende gehen
konnte. Er konnte verschwinden und sie würde nicht wollen, dass er
zurückkehrte. Es musste auf diese Weise sein. Es musste.
Sag es, Scully, dachte er.
Sag es, bring es hinter dich und vervollständige meine Verdammnis. Als wenn er
es laut gesprochen hätte, ließ sie ihre Hände in den Schoß fallen und sah ihn
an. "Und ich liebe dich," flüsterte sie. Dann wartete sie, ihr Kinn und ihr Mund
zitterten immer noch, die Tränen waren bereit, zurückzukehren. Dies war der
Moment, auf den er vorbereitet war. Er glaubte zu wissen, was er zu tun hatte,
was er ihr zu sagen hatte: ein grausamer Scherz oder eine kühle Zurückweisung,
ein leichtfertiges Abtun, etwas, was sie ärgerlich genug machte, um ihn für
immer wegzuschicken.
Aber nun, da die Worte
schließlich ausgesprochen waren, erkannte er, dass er es nicht tun konnte.
Egal, wie sehr er es musste, er konnte sie nicht noch einmal zusammenbrechen
lassen. Nicht jetzt, nicht wenn es ein Lebwohl war. "Du weißt, was ich für
dich empfinde, Scully." sagte er. Der Schatten eines Mulderlächelns zeigte
sich flüchtig auf seinen Lippen und war schnell wieder fort. "Nein,
tatsächlich weiß ich das nicht," hielt ihm Scully entgegen und ihre
Stimme, wenn auch schwach, war fest. "Du verlässt mich, Mulder. Wenn du
mich liebst, wie kannst du mich dann verlassen?"
"Ich muss
gehen," erwiderte er. Er sah hinunter auf den Boden und schüttelte
frustriert den Kopf. "Scully, ich... ich weiß nicht, wie ich es dir besser
erklären soll als ich es bereits habe. Du weißt, dass ich jeden umbringen
würde, der auch nur versucht, dir wehzutun." Mulder drehte sich um, um sie
wieder anzusehen. "Scheiße, Scully, ich habe jemanden dafür getötet, dass
er dir wehgetan hat, gerade letzte Woche," brachte er heraus. "Und wir beide wissen, dass es nicht das
erste Mal war. Aber das ist nicht genug, Scully. Es kommt zu spät, nachdem sie
dir wehgetan haben. Es kommt, nachdem sie dich fortgenommen haben, nachdem sie
dir die Chance genommen haben, Kinder zu bekommen. Vielleicht bin ich ein
Feigling, aber ich kann das nicht noch einmal durchmachen: dich zu sehen, wie
du verletzt und blutend daliegst, vielleicht sogar tot, oder wie du dir das
Herz aus dem Leibe trauerst wegen Emily. Ich kann nicht genug Menschen
umbringen, um diese Dinge nicht passieren zu lassen."
Seine Stimme zitterte vor
hilfloser Wut, er hörte es, hielt inne und atmete tief ein, um sich zu
festigen. Er kam hier der tatsächlichen Wahrheit zu nahe und das konnte nicht
passieren. Wieder begann er und zwang sich dazu, ruhiger zu sprechen.
"Scully, ich... sorge mich um dich. Ich sorge mich sehr," sagte er,
blickte wieder herab und dann zurück zu ihr. Seine Augen bohrten sich in ihre.
"Aber wenn du mich wirklich liebst, wenn du das wirklich meinst, dann
bitte lass mich einfach gehen. Ich kann damit nicht mehr umgehen." Für
einen kurzen Moment dachte er, sie würde vielleicht nachgeben, würde ihn ohne
eine weitere Szene gehen lassen - und für Dana Scully war das bereits die Hölle
einer Szene. Aber er sah den Blick in ihren Augen und wusste, dass sie nicht so
wohlwollend fühlte.
"In Ordnung,
Mulder," meinte sie, so ruhig, dass es beinahe erschreckend war. Sie
blickte zu ihm auf. "Wirst du mich wenigstens zum Abschied küssen?"
Bring mich einfach um, Scully, es würde weniger wehtun, dachte er, aber er
beugte sich herüber, um sie auf die unverletzte Wange zu küssen. Mit erhobener Hand hielt sie ihn auf.
"Nein," flüsterte sie. "Nein, Mulder, nicht so. Ich möchte einen
richtigen Kuss, die Art von Kuss, den du einer Geliebten gibst, nicht einer
Freundin. Du schuldest mir das so sehr." "Scully..." stieß er
hervor, dann brach er ab. Er kannte diesen Blick, sie würde nicht darüber
diskutieren. Der Kuss eines Geliebten war eine nichtverhandelbare Forderung.
Bring es hinter dich,
Mulder, befahl er sich selbst. Tu es einfach und verschwinde von hier. Jesus,
es ist nur ein Kuss. Er wusste, dass es eine Lüge war. Das Bombenattentat von
Dallas war nichts im Vergleich zu der Mauer, die hier dabei war, einzustürzen.
Aber er konnte es einfach halten, dachte er, als er sich wieder zu ihr beugte,
konnte daraus ein schnelles, brüderliches Küsschen auf die Lippen machen...
... und dann war ihr Mund
auf seinem und ihre Lippen waren warm und weich und einladend und salzig von
ihren Tränen und in diesem Augenblick wusste Fox Mulder, dass er erledigt war.
All seine guten Absichten schwanden dahin wie Rauch, als seine Hände in ihr
Haar glitten, ihren Mund gegen seinen stießen, sie wild küßte, sie verzweifelt
küßte. Sie legte ihre immer noch verletzten Arme um seinen Hals und er fühlte,
wie sich ihr Mund unter seinem öffnete, ihn hereinließ, ihn vereinnahmte.
Scully, Scully, dachte er wild, was machst du mit mir?
Er stieß seine Zunge in ihren
Mund, sog ihren Atem in seine Lungen, inhalierte ihren süßen, würzigen Duft,
schmeckte die heimlichen Tiefen, von denen er so lange geträumt hatte. Sie
stöhnte leise unter seinem Mund, drehte sich, um ihn tiefer hereinzulassen und
er legte seine Arme in einer glühenden Umarmung um sie, seine Hände glitten
ruhelos auf ihrem Rücken herauf und herunter. Sie spürte, wie er hart wurde und
auch die Feuchtigkeit zwischen ihren eigenen Beinen als Antwort darauf, eine Hitzewelle
bedeckte ihren ganzen Körper. Heftig atmete sie ein, erstaunt darüber, zu
erkennen, was sie mit diesem Mann mit nur einem einzigen Kuss gemacht hatte und
was er dafür mit ihr tat.
Ihr sanftes Keuchen
erschreckte ihn und er beendete den Kuss aus Angst, dass sie ärgerlich war,
dass er es zu weit hatte gehen lassen. Jesus, alles worum sie gebeten hatte,
war ein Kuss, was sie bekommen hatte, war der unmissverständliche Druck der
heftigsten Erektion, die er seit der Junior Highschool hatte, direkt an ihrem
Bein. Eine Hand legte er leicht auf ihre Wange und suchte in ihren Augen nach
der Empörung, der Abscheu, von der er sicher war, dass sie dasein musste.
Sie war nicht da. Was da
war, war dieses schwer zu erfassende Etwas, das er schon vorher gesehen hatte,
es loderte in ihren Augen, so willkommen und so gefährlich, wie eine Flamme in
der Nacht. Leidenschaft. Sie wollte ihn, wollte das, wollte... alles. Sehe ich
das wirklich, Scully? fragte er sie mit den Augen. Ist es möglich, dass du das
von mir willst? Und sie nickte, ja. Ja. Er beugte sich wieder zu ihr, küßte sie
jetzt rauer, spürte in jeder ihrer Bewegungen die Einladung für ihn,
weiterzugehen, ihr die Angst zu nehmen, sie bereit für ihn zu machen und dann
mehr zu tun und mehr...
Zehn Sekunden zuvor,
dachte sie, habe ich geglaubt, ich würde glücklich sein mit nur einem Kuss.
Aber ich kann nicht. Es ist nicht genug. Ich will ihn. Ich will seine Hände auf
mir. Ich will ihn in mir. Ich will alles von ihm.
Sie kannte seine Berührung
so gut, kannte das Gefühl seiner Arme um sie, aber nichts, das zuvor zwischen
ihnen passiert war, hatte ihre Sinne jemals so stark geweckt. Ihr Körper
forderte mehr, nicht nur seine liebende Umarmung, sondern die beinahe
schmerzvolle Ekstase, ihn in sie hineinzuholen, ihrer Weichheit zu erlauben,
sich seiner Stärke hinzugeben, ihn vollkommen zu umhüllen.
Ihre Brüste fühlten sich
geschwollen an und schmerzten, das weiche Fleisch ihres Geschlechts war
geschwollen und schmerzte, und sie presste sich näher an ihn, musste ihn
fühlen, wollte, dass er sie fühlte. Sie schmeckte seinen Mund, seine Lippen,
zog ihn sogar noch tiefer herein, und es war berauschend, es war wundervoll,
aber es war nicht genug, nicht annähernd genug. Berühr mich, dachte sie, oh
bitte, bitte, berühr mich, ich kann es nicht aushalten, wenn du es nicht tust,
aber sie wusste, er würde es nicht tun, nicht hier im Haus ihrer Mutter,
vielleicht, es sei denn...
Kaum zu atmen wagend, nahm
Scully seine Hand in ihre und führte sie an ihre Brust und hielt sie dort,
presste seine Handfläche in ihr Fleisch und spürte die willkommene Wärme seiner
Hand sogar durch ihre Sachen. Sie fühlte die Anspannung in seinen Muskeln,
fühlte ihn beben unter der Wucht seines Verlangens, als er sie liebkoste, zart
zuerst und dann fester und sein Daumen über ihre erregte Brustwarze strich. Das
Gefühl schoss durch sie hindurch, heiß, feucht und köstlich und ihr rationales
Selbst explodierte, schmolz unter seiner Hand dahin wie nichts. Ja, dachte sie,
die Worte wirbelten in ihrem Kopf durcheinander, ja, jetzt, Mulder, jetzt, will
dich, ich will dich, will dich zu... lass uns irgendwo hingehen... ich muss bei
dir sein, ich muss nackt in deinen Armen sein.
Urplötzlich schreckte er
zurück, als ob ihr Fleisch ihn verbrannt hatte. Er setzte sich auf, lehnte sich
von ihr fort und zog seinen Mantel um sich.
Scully war durcheinander, ihre Gedanken drehten sich noch immer. Sie streckte
wieder ihre Hand nach ihm aus, aber er schüttelte ein wenig den Kopf, er würde
nicht zu ihr kommen.
Dann bemerkte sie den
eisigen Windzug von der Eingangstür und drehte sich um, um zu sehen, was los
war. Kein Wunder, dass Mulder sich verhüllte. Da stand, mit seiner massigen
Gestalt den Türrahmen ausfüllend, ihr älterer Bruder Bill, Lieutenant Commander
William Scully Jr., in voller Marinemontur, sein Gesicht eine Maske aus Wut und
Empörung.
"Was zur Hölle geht
hier vor?" forderte Bill Scully in seiner Offiziersstimme zu wissen.
"Ich sollte meinen, das war offensichtlich," antworte Mulder und
erhob sich von der Couch. Scully griff nach Mulders Hand, berührte ihn nun
nicht zum Vergnügen , nicht einmal zur Versicherung, sondern weil es ihrer
beider Art war, ihre Art war, Mulder zu sich selbst zurückzubringen, ihn auf
dem Boden der Tatsachen zu halten, wenn er dabei war, die Nerven zu verlieren.
Aber Mulder hatte Bill
Scully nie gestattet, ihn dazu zu bringen, die Kontrolle zu verlieren, und er
würde jetzt nicht damit anfangen. Er bewegte sich nicht, weder auf Bill zu noch
von ihm fort, er stand einfach da, seine Finger um Scullys geschlossen, obwohl
er wusste, dass der Anblick seiner Hand in ihrer den großen Seemann nur noch
mehr wütend machen würde. Nicht dass er irgendetwas darauf gab, was Bill Scully
von ihm dachte, aber der Mann war Scullys Bruder. Mulder hatte recht. Bills
Augen zogen sich noch mehr zusammen und er machte einen bedrohlichen Schritt
auf Mulder zu.
"Bill, nicht,"
sagte Scully und obwohl Mulder die Warnung in ihrer Stimme hören konnte, tat es
ihr Bruder augenscheinlich nicht. Mulder bewegte sich immer noch nicht.
"Ich weiß nicht, wie zur Hölle Sie es wagen können, in dieses Haus zu
kommen, ganz zu schweigen davon, meine Schwester zu befummeln vor Gott und
allen anderen," fauchte Bill und fletschte nun praktisch die Zähne.
"Sie haben ihr genug angetan und dem Rest von uns. Warum verschwinden Sie nicht einfach und
lassen sie allein?"
"Das war genau das,
was ich gerade tun wollte," antwortete Mulder. Seine Stimme war zu kontrolliert,
zu ausgeglichen, wenn man die krasse Beleidigung betrachtete, und Scullys
Besorgnis wuchs. Bill unterschätzte Mulder und das war ein Fehler. Jeder andere
Mann wäre in ernsthafter Gefahr gewesen, sie wusste, was dieser Ton bedeutete.
Scully festigte ihren Griff an seiner Hand. Sie spürte ein beruhigendes Drücken
seinerseits und wusste, dass sie die Situation richtig eingeschätzt hatte.
Mulder war wütend, richtig, und bereit, sich zu verteidigen, wenn er musste.
Aber um ihretwillen würde er es nicht so weit kommen lassen.
Absichtlich drehte Mulder
Bill Scully den Rücken zu. Immer noch die Hand seiner Partnerin halten, sprach
er leise, zu leise, als dass es Bill hören konnte. "Ich denke, es ist das
beste, wenn ich jetzt gehe," meinte er und sie spürte die Tränen
wiederkommen. "Bitte entschuldige mich bei deiner Mutter. Du ruhst dich
aus und erholst dich und dann gehst du zurück nach Quantico."
"Geh nicht, Mulder,
bitte geh nicht," bat sie und nun weinte sie wirklich. Er schüttelte sanft den Kopf, brachte ihre
Hand an seine Lippen und drückte einen Kuss auf ihre Finger. "Wir sehen
uns, Scully," sagte er und bemühte sich um einen leichten Tonfall.
Vorsichtig ihre Hand loslassend, ging er zur Tür, seitwärts an Bill vorbei, der
keine Anstalten machte, aus dem Weg zu gehen. Mulder schien es nicht einmal zu
bemerken.
Ein einzelnes Schluchzen
kam aus ihrer Kehle, laut wie ein Schuss in der Stille und genauso
durchdringend. Mulder erstarrte an der halboffenen Tür, eine Hand auf der
Klinke. Er senkte den Kopf, als würde er seine Schuhe studieren, er schien
etwas in seinem Kopf abzuwägen. Scully hielt den Atem an, hoffend, betend.
Schließlich drehte sich Mulder um und sah sie an, alle Heftigkeit war aus
seinen Augen verschwunden. "Ich liebe dich, Dana," sagte er leise.
"Ich habe dich immer geliebt und ich werde es immer tun."
Sie öffnete den Mund, um
ihm zu antworten, aber er drehte sich um. Ohne ein weiteres Wort ging er fort
und schloss die schwere Eingangstür hinter sich. Scully hörte seine Schritte, als er zum Auto
ging, hörte das Geräusch der Zündung, hörte das Knirschen von Eis unter den
Rädern, als er davonfuhr. Sie legte ihr
Gesicht in ihre Hände und weinte, ihr Gesicht verzerrt durch heftige,
gebrochene Schluchzer, die fürchterlich anzuhören waren.
Maggie Scullys Haus
Weihnachtstag
Weihnachten war ein
Desaster. Zwischen Bills schwelendem Ärger und Scullys vollkommener Absonderung
war wenig Raum für den Rest der Scullys, um sich zwischen ihnen zu bewegen.
Bill war das Sprechen vergangen und Scully war weit davon entfernt. Er starrte
vor sich hin, sie hielt ihren Blick gesenkt. Es war, als versuchten sie einen
Weihnachtstanz inmitten eines Minenfeldes, wie Charlie es beschrieb. Niemand
wagte, sich zu bewegen.
Wenn Bills Frau Tara
wusste, was geschehen war, dann sagte sie nichts dazu. Charlie, der jüngere Bruder wusste es nicht
und wollte es auch nicht wissen, das machte er klar. Maggie wusste es. Sie
wusste nur nicht, was sie tun sollte.
Es schien alles so gut zu
gehen am Heiligabend. Fox hatte ihr gestattet, ihn dazu zu überreden, eine
Weile zu bleiben, und das war gut, weil es offensichtlich das war, was Dana
wollte. Er musste es auch gewollt haben, trotz seines Protestes, weil er blieb.
Erfreut darüber, ihn
überredet zu haben, war Maggie in die Küche gegangen, um Kaffee zu machen. Der
letzte Kaffee war durchgelaufen und sie hatte die Tassen, Milch und Zucker
zusammen mit Apfelsaft und Keksen auf ein Tablett gestellt und war dabei, ins
Wohnzimmer zurückzukehren, als sie Dana sehr leise sprechen hörte.
Ihre Tochter sagte Fox
Mulder gerade, dass sie ihn liebte, dass sie nicht wollte, dass er fortging.
Schnell ging Maggie zurück und hoffte, dass sie sie nicht gehört hatten. Dana
war so eine individuelle Persönlichkeit, so unabhängig, sie würde es hassen,
wenn sie wüsste, dass irgendjemand gehört hatte, was sie sagte. Für sich selbst
konnte Maggie nicht so recht entscheiden, ob sie mehr überrascht darüber war,
was Dana gesagt hatte oder darüber, dass sie es augenscheinlich vorher noch
nicht gesagt hatte.
Da sie sie nicht
unterbrechen wollte, wartete sie ein paar Minuten, bis sie sicher war, dass sie
zuende gesprochen hatten, dann spähte sie um die Küchentür herum. Da war Dana,
in den Armen von Fox, und er sah sie mit solch einer Zärtlichkeit an, berührte
ihr Gesicht mit solch einer Ehrfurcht, dass es Maggie beinahe das Herz brach.
Er liebt sie, dachte Maggie. Das sieht man.
Danas Gesicht war erhitzt,
ihre Augen leuchteten und sie atmete schnell, sie sah Fox mit Augen voller
Liebe und Schmerz an und bewegte sich auf ihn zu, ihre Lippen kamen seinen
näher und näher. Es war offensichtlich, dass das kein guter Moment war, um
Apfelsaft zu servieren.
Maggie sah rasch fort,
solange immer noch ein wenig Raum zwischen ihnen war, aber die sanften
Geräusche und das Rascheln von Kleidung aus dem anderen Zimmer überließen nur
wenig ihrer Vorstellung. Sie fragte sich, was sie tun sollte. Ihr Instinkt
sagte ihr, dass sie da bleiben sollte, wo sie war, und ihnen ein wenig
Privatsphäre geben, aber den Geräuschen nach zu urteilen konnte sie die ganze
Nacht dort bleiben, wenn sie sie nicht unterbrach.
Dann hörte sie ein lautes
Rufen - war das Bill Jr.? - gefolgt von Fox gefährlich leiser Antwort und eine
Tür, die geschlossen wurde, und dann Dana, die weinte und schluchzte, wie sie
es nie zuvor getan hatte. Maggie stellte das Tablett ab und ging ins
Wohnzimmer. Dort stand Bill und sah seine Schwester verächtlich an. Dana
schluchzte immer noch laut in ihre Hände und sah nicht einmal auf, als sich
ihre Mutter neben sie setzte, aber sie schmiegte sich an Maggie und sie begann,
sich zu beruhigen, nur ein bisschen.
"Bill, was um Himmels
Willen ist hier los?" verlangte Maggie zu wissen. "Ich kam herein und fand Mr.
Mulder," antwortete er und spuckte den Namen förmlich aus. "Er hatte
seine Hände überall auf Dana. Ich weiß nicht, was mit euch beiden los ist. Ich
kann nicht glauben, dass ihr ihn in dieses Haus gelassen habt, nach allem, was
er ihr angetan hat." Daraufhin blickte Dana auf und ihre Augen brannten,
aber sie sagte nichts, obwohl sich ihre Hände kurz zu Fäusten ballten. Maggie
legte ihren Arm in einer schützenden Umarmung um ihre zu dünnen Schultern und
versuchte, ihre Tochter zu beruhigen.
"Bill, ich habe keine
Ahnung, was du gesehen hast oder was du glaubst, gesehen zu haben, aber Fox ist
Danas Freund und er war hier, weil ich ihn gebeten hatte, hereinzukommen,"
erklärte Maggie. "Warum zur Hölle hast du das getan, Mom?" "Weil
er Dana nach Hause gebracht hat und weil deine Schwester ihn hier haben
wollte," erwiderte Maggie. "Weil Weihnachten ist und ich wollte, dass
er sich willkommen fühlt." "Seit wann ist er in diesem Haus
willkommen?"
"Ich glaube nicht,
dass sie oder ich dir darauf eine Antwort schulden," sagte Maggie kalt.
Heilige Maria, dachte sie, konnte Bill so dumm sein? "Gut, er ist irgendein verdammter
Freund," meinte Bill. Er stolzierte in Richtung Treppe und schleuderte
praktisch seine Uniformmütze auf einen Kleiderhaken. Dann wirbelte er herum,
die Hände in die Hüften gestemmt, und sah seine Mutter an. "Ich sag dir
was, er ist immer da, wenn meine Schwester in Schwierigkeiten steckt. Verdammt,
vielleicht deswegen, weil er der Grund für all die Schwierigkeiten ist."
"Wie kannst du so was
sagen, Bill? Er hat Danas Leben gerettet!" "Das stimmt nicht. Hast du
wirklich geglaubt, dass dieser Science Fiction Voodoo Mist, den er sich da
ausgedacht hat, um ihr einen verdammten Computerchip in den Nacken zu pflanzen,
irgend etwas damit zu tun hat, dass Danas Krebs verschwunden ist?"
"Ich weiß es nicht und du weißt es auch nicht," erwiderte seine
Mutter. "Aber es ging ihr besser. Du hast es selbst gesehen."
"Das hat verdammt
noch mal überhaupt nichts mit ihm zu tun. Er bedeutet nichts als
Schwierigkeiten. Er hat Melissa umgebracht und er war verdammt nahe daran, Dana
zu töten. Was willst du, Mom - ein weiteres Grab, um dort zu weinen? Lass den
alten Fox Mulder nur weiter hierher kommen und du hast eins, weil er sie eines
Tages umbringen wird."
"Das reicht,"
sagte Dana. Bill und Maggie starrten sie an. Sie hatten beinahe vergessen, dass
sie da war. "Was immer zwischen Mulder und mir ist, das ist privat,"
stellte sie klar, ihre Stimme war fest, obwohl ihre Augen rot und geschwollen
vom Weinen waren. "Ich werde nicht darüber debattieren und ich möchte
nicht, dass darüber diskutiert wird." "Du musst nicht darüber
diskutieren," meinte Bill. "Es war ziemlich deutlich, als ich hier hereinkam.
Ich muss zugeben, Dana, ich hätte nie gedacht, dass du die Art Frau bist, die
ihr Leben für eine gute Nummer wegwerfen würde. Ist es das, was man den Frauen
auf der FBI-Akademie beibringt?"
Maggie keuchte und schlug
die Hände vor das Gesicht, zu erschrocken, um zu reden. Danas Reaktion war
schneller und entschlossener. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und schlug
ihren Bruder ins Gesicht. Hart. Der Schlag brachte Bill ins Straucheln, er
stolperte und verlor den Halt. Eine Hand griff nach dem Geländer, aber ein Fuß
verfing sich im Teppich, er rutschte aus und landete hart auf seinem stabilen
Hinterteil.
Nun, sie war eine
trainierte Agentin, natürlich konnte sie einen Mann niederstrecken, dachte
Maggie, aber ein anderer Teil ihres Gehirns schrie bereits auf vor Schmerz. Wie
sollte sie dieses Chaos beseitigen? Sie sah Bill, der auf die Beine kam, Feuer
in den Augen, er würde sich nicht wieder dabei erwischen lassen, nicht auf der
Hut zu sein und er war auf keinen Fall jemand, der eine Beleidigung durchgehen
ließ.
Dana atmete heftig, ihre
Augen waren zusammengekniffen, ihr Gesicht kreidebleich und sie war immer noch
in der Schwebe, ihren Bruder anzugreifen, der gut fünfzig Kilo mehr wog und
mehr als dreißig Zentimeter größer war als sie.
Und dann blieb Maggies
Blick am Rücken ihrer Tochter hängen, an den Umrissen des Holsters, dem Griff,
dem Lauf ihrer Waffe, kaum verborgen unter Danas dünnem Sweater. Dana ist eine
Agentin, dachte sie erschrocken. Dana
trägt eine Waffe. Oh, lieber Gott, lass es nicht so weit kommen. Aber Maggies
Ängste waren unbegründet. Dana war wütend, wütender als ihre Mutter es sich je
vorstellen konnte, aber sie hatte sich unter Kontrolle. Als sie sprach, war
ihre Stimme klar, erkennbar und eiskalt.
"Ich habe es dir
schon einmal gesagt, Bill, und bei Gott, ich meine es so," sagte sie und
sah furchtlos zu ihm auf. "Was ich mit meinem Leben tue und mit meinem
Körper, ist meine Entscheidung. Halt dich da raus." Dann hatte sie sich
umgedreht und war ohne Hilfe die Treppe hinaufgegangen, obwohl es für Maggie
und Bill klar erkennbar war, dass Dana schwach war und Schmerzen hatte. An
diesem Abend war sie nicht mehr heruntergekommen und sie und Bill hatten
seitdem kein Wort miteinander gesprochen.
Bill hatte seinen Ärger
durch die Mitternachtsmesse hindurch gehätschelt. Weder Maggie, seine Mutter, noch Tara, seine
Frau, konnten ein Wort aus ihm herausbekommen. Er lehnte es ab, danach zu
bleiben, um Father McCue zu begrüßen.
Charlie war angekommen,
beladen mit Paketen, kurz nachdem sie aus der Kirche zurückgekommen waren, und
er war zu Tode erschrocken, als seine Mutter, seine starke, wunderbare Mutter,
ihn mit einer Umarmung und einem plötzlichen Tränenfluss begrüßt hatte. Er tätschelte
ihr den Rücken und betrachtete die grimmigen Gesichter um sich herum.
"Bin ich im
Weihnachtsniemandsland angekommen?" fragte er. Niemand antwortete ihm. Am
nächsten Morgen kam Dana herunter und packte mit den anderen zusammen ihre
Geschenke aus, aber es war wie Weihnachten mit einem Geist. Sie bedankte sich
bei jedem, aber die Worte waren oberflächlich und ohne jedes Gefühl. Sobald das
letzte Geschenk ausgepackt war, sagte sie, dass sie müde wäre und ging zurück
in ihr Zimmer.
Sie kam auch nicht zum
Weihnachtsessen herunter. Maggie, Charlie und Tara versuchten, eine
Unterhaltung in Gang zu bringen, aber Bills Anwesenheit und Danas Abwesenheit
machten das bald zunichte und das Essen wurde schweigend eingenommen, nur durch
das Klirren des Bestecks und des Porzellans und das Gebrabbel des einjährigen
Matthew begleitet. Niemand wollte Nachschlag.
Es gab kein anderes Wort
dafür. Es war ein Desaster.
Maggie Scullys Haus
3:00 a.m.
Dana lag wach da. Sie
hatte unregelmäßig vor sich hingedöst, nachdem ihre Mutter sie praktisch dazu
gezwungen hatte, eine Schmerztablette zu nehmen, aber sie war aufgewacht, als
die Wirkung nachzulassen begann und seitdem war sie nicht einmal nahe daran,
einzuschlafen. Sie weinte auch nicht mehr.
Es war sowieso sinnlos, es würde ihn nicht zurückbringen, es würde nicht
ungeschehen machen, was passiert war, es würde ihr nicht wiederbringen, was sie
verloren hatte.
Warum muss das passieren,
warum können die Männer, die ich liebe, nicht Freunde sein oder wenigstens
höflich zueinander? Mulder ist immer höflich zu Bill gewesen und Bill ist nie
zu jemand anderem so. Er ist mein großer Bruder und ich liebe ihn und ich habe
ihn geschlagen, ich habe ihn so heftig geschlagen, dass ich vom Dienst
suspendiert worden wäre, wenn ich ihn verhaftet und es dann getan hätte. Es tut
mir leid, Mom, Bill, es tut mir so leid, ich liebe euch beide.
Ich liebe auch Mulder. Und
ich will ihn. Ich habe ein Recht darauf, ihn zu wollen, oder nicht? Ich weiß,
du glaubst, Mulder gehört zu der Sorte Männer, vor der du mich gewarnt hast. Er
mag es sein. Er sieht mir so aus. Er
berührt mich auf diese Art. Und weißt du was, Bill? Ich will, dass er es ist.
Gib mir nur eine kleine Chance und er wird es sein. Und ich glaube, du weißt
das. Das ist der wahre Grund, warum du ihn so hasst. Ich kenne die Regeln, die
Mom uns beigebracht hat: küssen, umarmen, berühren nur oberhalb der Taille und
den Rest bis nach der Hochzeit aufheben. Ich denke, es ist wundervoll, dass du
dich danach gerichtet hast. Aber für mich ist es so nicht gewesen.
Es tut mir leid. Es tut
mir wirklich leid. Ich weiß, dass ihr alle so enttäuscht von mir seid. Aber es
tut mir nicht leid, nicht wirklich. Ich vertraue ihm mit meinem Leben, Bill,
auch wenn du es nicht tust. Ich habe mein Leben vor langer Zeit in seine Hände
gegeben und er hat nie versagt. Sechs
Jahre, Bill, und er hat mich die ganze Zeit so behandelt, als wäre ich etwas
heiliges. Er hat mich nicht ein einziges Mal so berührt, in der Art, wie ein
Mann eine Frau berührt - bis gestern.
Ich habe so viele Fehler
gemacht. Aber welches waren Fehler? Ich lag falsch. Ich weiß einfach nicht, was
ich anderes hätte tun können. Die Zeit für Warnungen ist vorbei, Bill. Sie war
es vor langer Zeit. Du musst mich loslassen. Es tut mir leid, dass ich dich
geschlagen habe, Bill. Ich würde beinahe alles dafür geben, dass es nicht
passiert wäre. Aber ich konnte es nicht mehr ertragen. Nichts mehr. Niemand
will mir zuhören. Nicht Bill, nicht Mulder. Warum habe ich kein Mitspracherecht
dabei? Mach ein Profil von mir, Mulder. Dringe in meinen Kopf ein und finde
heraus, was ich als nächstes tun möchte. Und wenn du es getan hast, sagst du es
mir bitte?
Ich bin immer noch
Bundesagentin. Er kann nirgendwo hingehen, wo ich ihn nicht finden kann. Wenn
ich ins Büro zurückkehre, kann ich ihn verfolgen, ihn dazu bringen, mir
zuzuhören. Abgesehen davon, dass ich es nicht kann. Ich kann es einfach nicht. Es würde ihn
gefangen nehmen, da wäre kein Platz für ihn, zu entkommen. Emotionale
Vergewaltigung. So kann es nicht sein. Ich
kann ihm das nicht antun. Ich muss ihn gehen lassen.
Und dann fand Dana Scully
heraus, dass sie letztlich nicht wirklich fertig war mit Weinen.
Maggie Scully schlief auch
nicht viel. Sie konnte nicht verstehen, was geschehen war, warum Bill Jr. oder
Dana es zugelassen hatten, dass sich der Bruch zwischen ihnen formte oder wie
sie es soweit kommen lassen konnten. Es
ist Weihnachten, dachte sie und Tränen traten in ihre Augen, als sie sich an
all die lang vergangenen Weihnachtsfeste erinnerte, als Bill noch ein Junge war
und Dana ein süßer rothaariger Engel. Melissa war da bei ihnen und Bill Sr.
Unwillkürlich blickte
Maggie zu dem leeren Platz in dem großen Bett neben ihr. Seit sechs Jahren ist
er nicht mehr da, dachte sie, und es ist immer noch seine Seite des Bettes. Es
war seine Seite gewesen, wenn er auf See war. Es würde immer seine Seite sein.
Manchmal ist es, als ob er
einfach auf einer weiteren langen Seereise ist und ich warte auf den Tag, an
dem ich hinunter zu den Docks gehe und ihn wieder zu Hause begrüße. Ich
wünschte, es wäre wahr, ich wünschte, er wäre hier, um mir zu sagen, was ich
tun soll.
‚Du weißt, was du zu tun
hast, Maggie. Du hast es immer gewusst.' Maggie fuhr zusammen, als die laute
Bassstimme erklang. War das in ihrem Kopf oder war da wirklich jemand im
Zimmer? Nein. Da war niemand. Ich kann das nicht gehört haben, dachte sie. Es
klang wie Bill. Ich muss wirklich durcheinander sein, ich höre schon Stimmen.
Oder tue ich es? Weiß ich, was zu tun ist?
"Dana?"
Es war die Stimme ihrer
Mutter. Mom.
"Dana, bist du wach?
Ich dachte, ich hörte..."
"Ich bin wach,"
sagte Dana und setzte sich auf. "Komm rein."
Maggie öffnete die Tür,
trat an Danas Bett, setzte sich auf die Kante und nahm die Hand ihrer Tochter.
Im schwachen Mondlicht, das durch die Blenden der Jalousie fiel, konnte sie
Danas Gesicht deutlich sehen.
"Du hast geweint,"
meinte sie und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
Dana nickte. Sie schien
etwas sagen zu wollen, aber ihre Lippen zitterten. Sie schloss die Augen, schluckte schwer und
zwang sich wieder zur Kontrolle.
Mein armes Mädchen, dachte
Maggie und fühlte, wie ihr selbst die Tränen in die Augen stiegen. Warum kämpft
sie so hart gegen normale menschliche Gefühle an? Was habe ich getan, dass sie
das Gefühl hat, es wäre nicht in Ordnung zu weinen?
"Dana,"
flüsterte Maggie. "Dana, es ist in Ordnung, Liebling, es ist in Ordnung."
Danas Gesicht verzog sich
und sie ergab sich den liebenden Armen ihrer Mutter. "Oh, Mom, ich weiß
nicht, was ich tun soll. Es tut mir leid, dass ich Bill geschlagen habe, es tut
mir so leid. Es tut mir leid, dass ich allen das Weihnachtsfest verdorben habe.
Ich weiß nicht, was falsch mit mir ist, ich vermassele es einfach allen."
"Shh, Dana, ganz
ruhig," erwiderte Maggie und tätschelte Danas Rücken so, wie sie es vor
vielen Jahren getan hatte, als Dana noch ein Kind war. "Bill weiß, dass du
es nicht so gemeint hast."
"Oh, ich hab es aber
so gemeint, Mom," widersprach Dana, lehnte sich zurück und wischte die
Tränen mit den Händen ab. "Ich war wütend, und ich wollte ihm wehtun, also
tat ich es. So war ich nie."
"Du bist auch jetzt
nicht so," meinte Maggie und strich Dana wieder übers Haar.
"Ich bin so,"
sagte Dana. "Ich bin schlimmer. Und ich hoffe, dass du niemals verstehen
wirst, wie ich jetzt bin."
"Ich verstehe dich,
Dana," entgegnete Maggie, ein wenig verletzt. "Du bist meine
Tochter."
"Nein," sagte
Dana kopfschüttelnd. "Du willst nicht verstehen. Niemand will es."
Ich weiß nicht, was sie
mir sagen will, dachte Maggie plötzlich besorgt, aber ich glaube, dass sie
vielleicht Recht hat. Ich glaube nicht, dass ich es wissen will. Aber was immer
es ist, es ist nicht das, was Bill Jr. glaubt.
Ich werde das nicht mögen.
Aber wenn sie es mir erzählen will, werde ich ihr zuhören. Ich werde.
"Dana, was ist es,
wovon du glaubst, es ist so schlecht, dass du es mir nicht erzählen
kannst?"
Die Sekunden auf Danas
Wecker tickten dahin. Maggie wartete. Dana sah zum Fenster. Niemand sagte
etwas.
"Dana?"
Noch mehr Schweigen.
"Mom," sagte
Dana schließlich und hielt dann wieder inne. "Ich... Mom, das ist nichts,
worüber ich rede."
"Mit mir oder mit
niemandem?"
"Mit niemandem,"
antwortete Dana und schüttelte entschieden den Kopf. "Nicht einmal wirklich mit Mulder. Ich
war immer... so kalt zu ihm, manchmal so herzlos."
"Oh, Dana, du bist
nicht herzlos," meinte Maggie aufmunternd. "Du bist einfach so. Schon
als du ein kleines Mädchen warst... Missy hat stundenlang erzählt. Und du? Du
warst immer so in dich gekehrt und du hast fast nie jemanden an dich
herangelassen."
Dana nickte langsam.
"Ich weiß das. Und ich versuche es. Aber manchmal kann ich es nicht, so
sehr ich es auch will." Wieder sah sie weg und fixierte ihren Blick auf
die Schranktür. "Ich habe soviel für mich behalten. Ich habe nicht einmal
die Hälfte von dem gesagt, was ich sagen wollte. Dad ist gegangen und Missy ist
gegangen und nun ist auch Mulder gegangen, auf eine andere Art. Bei allen blieb
so vieles ungesagt und obwohl ich das weiß, kann ich immer noch nicht sagen,
was ich sagen will."
"Du fürchtest dich,
Dana," sagte Maggie sanft. "Manchmal ist es in Ordnung, sich zu
fürchten. Aber aus Gründen, die ich nicht verstehe, bringt dich das um."
Wieder schwieg Dana.
"Dana, was ist
gestern schiefgelaufen?" fragte Maggie. "Nicht mit Bill. Das kann ich
mir schon denken. Was ist mit Fox schiefgelaufen?"
"Er ist
gegangen," erwiderte Dana.
"Ich weiß. Warum ist
er gegangen?"
"Nein, ich meine, er
ist für immer gegangen," erklärte Dana, die Worte fielen ihr schwer.
"Er hat mich verlassen. Er wird um seine Versetzung bitten."
Maggies Augen weiteten
sich vor Überraschung. "Ist es wegen Bill?"
"Nein,"
antwortete Dana. "Er hat es mir gesagt, während wir im Krankenhaus waren.
Er sagte, er könnte es nicht mehr ertragen, mich wieder verletzt zu sehen. Ich
vermute, wenn du wolltest, könntest du Bill die Schuld für Mulders Entscheidung
geben. Gott weiß, er hat es hart genug versucht, dass es passiert."
"Also, was Bill
gestern getan hat..." meinte Maggie und hielt inne. Dana sah unbehaglich
aus.
"Bill hat gesehen...
er kam herein, während ich... während wir uns zum Abschied küssten. Mulder
hat... er hat... er hat mich berührt."
Oh Dana, süße Dana, dachte
Maggie und unterdrückte ein Lächeln. Du bist eine erwachsene Frau, Ärztin,
FBI-Agentin und du windest dich so, mir etwas so unschuldiges zu erzählen?
"Also, das hat Bill
gesehen," stellte Maggie fest. "Du berührt... ich kann mir
vorstellen, wo, nicht dass es eine Rolle spielt... von dem Mann, den du liebst."
Dana nickte kaum merklich.
Sie sah immer noch unbehaglich aus.
"Sag mir nicht, dass
du dich deswegen schuldig fühlst," meinte Maggie.
"Nicht unbedingt
schuldig," erwiderte Dana und suchte nach Worten. "Vielleicht ein bisschen. Mehr...
gestört, denke ich. Bill hätte... nicht hinsehen brauchen. Er hätte es nicht
sollen." Dana biss sich auf die Unterlippe. "Vielleicht, wenn Bill
uns nicht unterbrochen hätte, hätte ich Mulders Meinung ändern können. Ich
glaube wirklich, dass er gehofft hat, dass ich das tue."
"Es ist nicht so
leicht wie du denkst, die Meinung eines Mannes zu ändern, nicht wenn er glaubt,
dass er Recht hat, Dana," sagte ihre Mutter sanft. "Wenn er ein ehrenwerter Mann ist, und
ich denke, Fox ist das, dann bleibt er bei seiner Entscheidung, auch wenn das
bedeutet, dem Verlangen des eigenen Herzen entgegen zu handeln. So sind die
Männer, zumindest die guten Männer, und du kannst das nicht ändern, egal wie
sehr du es versuchst."
"Ich hätte es
können," behauptete Dana stur. "Ich brauchte nur ein bisschen mehr
Zeit."
"Du hattest sechs
Jahre, Dana," belehrte sie Maggie nicht unfreundlich.
"Warum hast du so
lange gewartet?"
Dana seufzte und
bestätigte so die Wahrheit hinter der Frage ihrer Mutter. "Das Büro," erklärte sie.
"Mein Ruf, seiner, unsere Arbeit. Unsere Partnerschaft. Und die Gefahr.
Die Menschen benutzen mich, um ihm wehzutun.
Wenn wir..." Dana zögerte bei dem Wort. "Wenn wir... ein
Liebespaar... wären, würden sie auch das
dazu benutzen, um ihm wehzutun."
"Dana, ich verstehe
nicht, was du da sagst," meinte Maggie irritiert. "Wer benutzt dich?
Und wozu?"
Dana sah ihre Mutter an
und lächelte, aber das Lächeln löschte nicht den Schmerz in ihren Augen aus.
"Ich hab es dir ja gesagt," meinte sie. "Du willst es nicht
hören."
"Ich will es
verstehen. Und im Moment tue ich das nicht," erwiderte Maggie. "Ich verstehe nicht, wie es euch beide
so erschrecken kann, euch zu lieben."
"Ich weiß nicht, wie
ich dir das sagen soll," sagte Dana. "Ich bin nicht mal sicher, ob
ich es selbst verstehe. Ich weiß, dass er gefährlich ist, dass ihn zu lieben
gefährlich ist, und noch schlimmer, ich weiß, dass ich auch gefährlich geworden
bin. Ich kenne mich selbst nicht mehr; manchmal schaue ich in den Spiegel und
wundere mich, wer mich da ansieht. Wie kann ich das sein? Ich bin Ärztin?
Welcher Arzt tötet Menschen?"
Sie hat Menschen getötet?
dachte Maggie erschrocken. Sie konnte es nicht einmal ertragen, eine Schlange
zu verletzen. Wie konnte sie da? Dann sah sie den vorsichtigen Blick in Danas
Augen.
"Es tut mir
leid," meinte Dana. "Ich hätte das nicht sagen sollen."
"Nein,"
erwiderte Maggie kopfschüttelnd. "Es ist nur... du hast niemals über
diesen Teil deines Jobs gesprochen, Dana."
Dana schüttelte den Kopf.
"Nein. Und ich wollte es auch jetzt nicht tun.
Aber es passiert."
Wieder gab es ein lange Pause, bevor Dana weitersprach. "Du willst wissen, warum ich so lange
gewartet habe und ich kann es dir nicht sagen. Ich hatte eine Menge Gründe. Und
er hatte sein. Ich vermute... zuerst
schien es unpassend, und später gab es zuviel Schmerz zwischen uns. Zuviel Entsetzliches. Zu viele Dinge zu
bereuen." Dana knautschte eine Ecke der Bettdecke in ihren Händen.
"Manchmal mag ich
mich selbst nicht mehr und dabei war ich so stolz darauf, Ärztin zu sein,
Bundesagentin zu sein. Es hat Spaß gemacht, wie damals, als ich ein kleines
Mädchen war und dein Abendkleid angezogen habe. Erinnerst du dich daran, gleich
nach meinem Abschluss in Quantico, als du und ich nach San Diego geflogen sind,
um Bill zu besuchen?"
Maggie nickte. "Du
hast die Metalldetektoren auf dem Flughafen ausgelöst und die Menschen kamen
angelaufen. Aber als du ihnen deinen Dienstausweis hingehalten hast, haben sie
uns durchgelassen."
"Das meine ich,"
entgegnete Dana. "Du warst so stolz auf mich, so beeindruckt, dass ich
eine Waffe im Flugzeug tragen konnte, und irgendwie war ich das auch. Aber das
war FBI spielen, Mom. Richtiges FBI ist es, wenn du herausfindest, warum sie
dich diese Waffe tragen lassen."
Wo führt das hin, Dana?
wunderte sich Maggie, dann empfand sie einen plötzlichen Anflug von Scham. Das
alte Sprichwort stimmte, dachte sie: Pass auf, worum du bittest, es könnte wahr
werden. Nun, sie hatte darum gebeten, dass sich Dana ihr gegenüber öffnete. Nun
war sie sich nicht sicher, ob sie es ertragen konnte, es zu hören.
"Wenn du die ganze
Wahrheit kennen würdest... aber ich will nicht, dass du alles weißt,"
sagte Dana, als hätte sie die Gedanken ihrer Mutter gelesen. Entschieden schüttelte sie den Kopf.
"Ich will nicht, dass es irgendjemand weiß. Was ich jetzt tue... es ist,
als wäre ich Teil einer Mauer zwischen der Hölle und der Menschheit. Darüber zu
reden ist so, als würde man diese Mauer einreißen." Dana blickte zum
Fenster. Blasse Streifen Morgendämmerung zeigten sich nun durch die Blenden.
"Ich bin müde, Mom," sagte sie. "Und da draußen ist niemand, dem
ich trauen kann, außer Mulder." Dann drehte sich Dana um und sah ihre
Mutter direkt an. Ihre blauen Augen waren klar und stetig. "Ich weiß nicht
warum, aber ich muss immer daran denken, was passiert, wenn ich im Dienst
getötet werde. Ich weiß, ihr werdet um mich trauern. Aber ihr würdet auch
wütend sein und ihr würdet mir nie verzeihen.
Ihr würdet nie verstehen, warum ich es zugelassen habe."
"Und du glaubst, Fox
würde es?"
"Mulder... Mulder
würde eigenhändig den Leichensack zuziehen, über meinem blutenden Körper stehen
und mir sagen, dass es das alles wert war, dass ich nicht umsonst gelebt und
gestorben bin. Und er würde es so meinen."
"Glaubst du, er
könnte deinen Tod so leicht akzeptieren, Dana?" fragte Maggie, ein
bisschen verletzt durch den Gang der Gedanken ihrer Tochter, aber entschlossen,
ihn zu verstehen. "Weil ich es nicht glaube."
"Das habe ich nicht
gemeint," erwiderte Dana. "Ich meinte, dass er wissen würde, es
verstehen würde, warum ich es zuließ. Er wäre nicht wütend auf mich. Er würde
diese Wut auf die Person übertragen, die mich getötet hat; und wenn es fünfzig
Jahre dauern würde, er würde diese Person finden und sie kaltblütig erschießen.
Dann, glaube ich, würde er nach Hause gehen, seinen Mantel aufhängen, sich auf
seine Couch setzen und sich mit seiner eigenen Waffe erschießen."
Wieder schloss sie ihre
Augen und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. "Hat er mich deshalb
verlassen? Weil ich die Dämonen nicht mehr fernhalten kann? Bringe ich sie hervor?"
Maggie spürte, wie sie
taub wurde. Dana hat Recht, dachte sie. Ich wollte das nicht hören. Ich wollte
Dana nicht so sehen. Ich wollte nie, dass sie so war. Und das ist nur der Teil,
von dem sie sprechen will? Wenn das wahr ist, dann will ich niemals von dem
anderen Teil wissen. Aber ich muss es anhören, Dana, ich muss dich reden
lassen. Vielleicht wird es weniger schmerzhaft sein, als bei dir so versagt zu
haben, dass ich wirklich nicht verstehe, wie ich dir helfen kann. Und schlimmer
noch, dass du es auch weißt. Dann hörte sie Dana lachen und der Klang ließ sie
frösteln.
"Habe ich dir jemals
erzählt, dass ich auf Mulder geschossen habe?" hörte sie Dana fragen.
"Du hast auf ihn
geschossen?" Oh, das ist wirklich mehr, als ich ertragen kann, dachte
Maggie. "Warum, Dana?"
"Um ihn davor zu
bewahren, zum Mörder zu werden," sagte Dana einfach. "Er war dabei,
einem Verdächtigen in den Kopf zu schießen, dem Mann, von dem er glaubte, er
hätte seinen Vater getötet."
"Das kann ich gar
nicht von ihm glauben, Dana," erwiderte Maggie kopfschüttelnd. "Es
hört sich einfach nicht nach dem Fox Mulder an, den ich kenne."
Dana zuckte mit den
Schultern. "In dieser Nacht war er nicht ganz er selbst, bestimmt, aber er
ist vollkommen fähig zu töten; ich hab ihn das tun sehen. Mehr als
einmal."
"Oh mein Gott, Dana,
warum erzählst du mir das?" stieß Maggie ängstlich hervor.
Dana dachte einen Moment
lang nach, dann sah sie ihre Mutter an. "Ich will dir nicht wehtun, Mom.
Ich will nur, dass du mich verstehst. Auf Menschen schießen, sie sogar töten,
riskieren, dass sie dasselbe mit mir tun - das ist jetzt Teil meiner Welt. Es ist
so sehr ein Teil davon, dass ich auf Mulder geschossen habe, weil es der
einzige Weg war, den ich hatte, um ihn zu schützen, ihn nicht zu weit gehen zu
lassen. Er würde dasselbe für mich tun."
Ich verstehe dich nicht,
Dana, dachte Maggie. Ich verstehe das alles nicht.
Ich erkenne dich nicht,
wenn du so bist.
Dana blickte zur Decke,
dann schloss sie die Augen und seufzte. Wenn ich nicht geschossen hätte, als
ich es tat, wenn ich Mulder diesen Mann hätte töten lassen, dann wäre ich
genauso schlecht, wie die Menschen, die ich versuche aufzuhalten. Aber ich
frage mich immer wieder, ob du mich nicht bereits so siehst."
"Nein, Dana,"
protestierte Maggie. "Denk das nie. Du hast getan, was du für richtig
gehalten hast, auch wenn es bedeutete, Fox umzubringen."
"Ich hätte ihn nie
umgebracht," antwortete Dana. "Und er wusste, dass ich ihn nicht
töten würde. Ich glaube nur nicht, dass er jemals darüber nachgedacht hatte,
dass ich überhaupt auf ihn schießen würde."
"Und er hat dir
verziehen?" fragte Maggie.
"Er hat mir gedankt,
dass ich auf ihn aufgepasst habe," sagte Dana. "Er vertraut... er hat
mir vertraut, dass ich ihn aufhalte, bevor sein... sein Ärger, seine Wut...
Überhand gewinnt. Er hat verstanden, was ich getan habe."
"Es freut mich, dass
es wenigstens einer tut," meinte Maggie und erkannte ihren Fehler in dem
Moment, wo die Worte aus ihrem Mund kamen. "Nein, Dana, das meine ich
nicht, wirklich..." Mitten in ihrer Entschuldigung brach sie ab,
erschreckt und irritiert durch das kalte Lächeln auf den Lippen ihrer Tochter.
"Mom," sagte
Dana. "Es ist in Ordnung. Wie ich gesagt habe: wie kannst du mich
verstehen, wenn ich mich selbst nicht verstehe?"
"Aber du sagst, Fox
kann es."
"So gut, wie es nur
irgendjemand kann. Ja."
"Liebst du ihn
wirklich, Dana?"
"Mehr als alles
andere, Mom," flüsterte Dana. "Mehr als du dir vorstellen kannst."
"Oh, ich weiß
nicht," meinte Maggie leicht. "Ich kann mir eine ganze Menge vorstellen.
Ich war nicht immer alt."
Das erzeugte ein richtiges
kleines Lächeln. Gut, dachte Maggie.
"Es tut mir leid,
Mom," sagte Dana. "Sogar in meinem Alter ist es schwierig, dich als
Frau zu sehen und nicht nur als meine Mutter."
"Es ist auch nicht
leicht, zu denken, dass mein kleines Mädchen... getan hat, was du getan hast,
verletzt worden ist, wie du es bist," erwiderte Maggie und streichelte
zärtlich Danas Hand, die auf der Bettdecke lag. "Ich weiß ehrlich nicht,
was ich von all dem halten soll. Ich habe diese Seite von Fox nie gesehen, aber
es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass du einen Mann liebst, der so
gewalttätig ist, wie du ihn gerade beschrieben hast. Das erschreckt mich."
"Er könnte mir
niemals schaden," erklärte Dana beinahe wütend. "Ich bin womöglich
der einzige Mensch auf der Erde, dem er niemals wehtun könnte."
"Dana, ich kann mir
da nicht so sicher sein, Ich wünschte, ich könnte es. Aber ich liebe dich und ich will versuchen,
darauf zu vertrauen, dass du weißt, was du tust."
"Das ist nicht
genug," sagte Dana. "Ich habe keinen Grund, Mulder zu fürchten. Ich
will auch nicht, dass du ihn fürchtest. Es ist gar keine Frage, dass er eher
sterben würde, als mich zu verletzen."
"Ich weiß nicht, was
ich dir sonst sagen kann," entgegnete Maggie und hob resigniert die Hände.
"Soviel ich weiß, sind gewalttätige Männer immer gewalttätig und niemals
mehr als zu Hause."
"Mom, du verstehst
nicht," meinte Dana leise. "Du hast nicht gehört, was ich dir gesagt
habe. Wenn du dich vor Mulder fürchtest, dann solltest du dich auch vor mir
fürchten. Wir sind nicht so verschieden."
"Dana, sag das
nicht," erwiderte Maggie.
"Es ist wahr. Ich
weiß, was seine Mutter über mich denkt. Sie sagt es nicht, aber ich kann es
sehen. Sie glaubt, dass ich gewalttätig bin, dass ich ihren Sohn zur Gewalt
treibe. Dass ich ihn nicht beschützen kann, dass ich schlecht für ihn bin und
zerstörerisch für ihre Familie. Und vielleicht hat sie Recht. Immerhin hab ich
auf ihn geschossen."
"Aber du bist nicht
so, Dana!" protestierte Maggie entrüstet. "Jeder kann das
sehen..."
"Jeder?" fragte
Dana. "Nicht Mrs. Mulder. Sie hat Angst, um ihren Sohn und um sich. Aber
sie gibt ihm nichts, nicht wirklich; er kann nicht zu ihr gehen, wie ich zu dir
kommen kann. Sie versucht es nicht zu zeigen, aber sie schämt sich für ihn und
sie verachtet mich, weil ich zu ihm halte. Ich will nicht, dass du so über mich
denkst, oder über ihn."
"Das tue ich
nicht," erwiderte Maggie ehrlich und eindringlich und hoffte,
dass das der Schlüssel
dazu war, dass ihre Liebe Dana durch die
erschreckende Stimmung
hindurch, in der sie sich befand, erreichte. "Ich
bin stolz auf dich. Und
dein Vater war es auch. Er war stolz auf dein
Engagement, stolz darauf,
dass du dich aus einem höheren Grund in Gefahr
begibst und stolz darauf,
dass du dich mutig dem Feuer stellst. Er konnte
es dir nie sagen. Aber es
war so"
"Ich hoffe es,"
sagte Dana sanft. Ihr Gesicht verzog sich; sie kämpfte gegen die Tränen an,
aber sie kamen dennoch und Maggie nahm sie zärtlich in die Arme.
"Ich bin nicht mutig,
Mom," flüsterte Dana an der Schulter ihrer Mutter. "Ich wünschte, ich könnte es sein. Wenn
ich mutig scheine, dann ist ein Teil davon Mulder. Wie schaffe ich es, dass
Bill das versteht?"
"Vielleicht kannst du
es nicht," entgegnete ihre Mutter. "Du kannst die Menschen nicht
immer ändern, so dass sie so sind, wie du glaubst, dass sie sein müssen, egal
wie sehr du sie liebst. Aber was du tun kannst, und ich denke, du hast es
bereits getan, du kannst Bill wissen lassen, dass er deine Entscheidungen nicht
mögen muss, aber dass er sie zu respektieren hat. Das schließt die Medizin ein
und das FBI und, so vermute ich, das schließt auch Fox Mulder ein."
"Immer,"
flüsterte Dana und wischte sich die neuerlichen Tränen aus den Augen. "Ich
liebe meinen Bruder. Ich will ihn nicht verletzen. Aber ich liebe meinen Job
und meinen Partner noch mehr. Und ich wollte, dass Mulder mich festhielt, dass
er mich küßte... und dass er mich berührte. Ich wollte es so sehr. Ist es so
verkehrt, das zu wollen?"
"Nein,"
antwortete Maggie. "So sollte es sein, wenn du ihn wirklich liebst, obwohl
ich immer noch glaube, dass alles, was intimer ist als eine Berührung, in die
Zeit nach der Hochzeit gehört. Aber sei nicht zu hart zu Bill, Dana; große
Brüder mögen es nicht, ihre Schwestern als sexuelle Wesen zu sehen, egal ob sie
verheiratet sind oder nicht."
Dana antwortete nicht,
aber sie löste sich von ihrer Mutter und Maggie sah, wie sich ihre Gesichtszüge
verhärteten.
Maggie seufzte.
"Dana, ich will nicht, dass Bill und du - dass ihr euch im Streit trennt.
In einer Woche muss er nach San Diego zurückfliegen und dann ist er wieder für
drei Monate auf See. Das kann eine lange Zeit sein. Versuch, vorher mit ihm zu reden. Erzähl ihm,
wie du fühlst. Vielleicht könnt ihr die Angelegenheit zwischen euch
klären."
"Das glaube ich
nicht," erwiderte Dana.
Maggie dachte einen Moment
nach. "Vielleicht soll ich mit ihm reden, ihm etwas von dem erzählen, was
du mir erzählt hast?"
"Ja, wenn du
willst," sagte Dana. "Aber ich glaube nicht, dass er bereit ist, das
zu hören."
"Das größte Geschenk,
das Oxford seinen Söhnen gibt, ist, so glaube ich wirklich, eine geniale
Respektlosigkeit gegenüber dem Lernen und aus dieser Respektlosigkeit erwächst
vielleicht Liebe."
Shakespeare über dem Hafen
Robertson Davies
Kapitel 4
FBI-Bezirksbüro
Birmingham, Alabama
Dienstag, 29. Dezember
11:15 a.m.
Was zur Hölle hab ich mir
da eingebrockt, fragte sich Mulder, während er vor dem Büro auf den
verantwortlichen Special Agent Daniel Prescott wartete.
Elf Jahre beim FBI und
niemals zuvor war er einem Bezirksbüro unterstellt gewesen, wo die meisten
Agenten eigentlich begannen. Er war sich nicht einmal völlig darüber im Klaren,
was Bezirksbüros eigentlich taten; sie waren einfach immer zur Stelle, wenn er
in die Stadt kam, bereit mit Personal, Telefonen, Labors zu dienen. Was die
Agenten den Rest ihrer Zeit taten, wenn sie ihm nicht halfen, konnte er sich
nicht vorstellen. Abhöraufgaben?
Düngemittelsonderkommando? Unbedenklichkeitsbescheinigungen für die
Nationalgarde?
Möglicherweise von allem
etwas, dachte er grimmig. Halt an dich, Mulder. Es ist nicht das erste Mal,
dass du deine FBI-Karriere hinschmeißt.
Aber die Abteilung
Verhaltenswissenschaften für die X-Akten zu verlassen hatte nur bedeutet, von
Quantico ins Hoover Building umzuziehen. Das hier war nicht das Hoover
Building; es war nicht einmal Salt Lake City, Utah. Dieses Bezirksbüro, was immer seine Aufgabe
ist, war soweit unterhalb der Sichtlinie der Offiziere in D.C., dass ein
Bezirksagent, der hier angestellt war, für den Rest seiner Karriere leicht in
Vergessenheit geraten konnte.
Das war es, was du von
Skinner wolltest, Junge, dachte er und drehte Däumchen, wie er es oft tat, wenn
er auf Vorgesetzte wartete. Du hast ihm gesagt, er soll dich von den X-Akten
fortschicken, fort von den Verhaltenswissenschaften, völlig aus dem Bezirk
fort. Und du hast bekommen, was du wolltest.
Große Mengen Düngemittel,
dachte er, und der Gedanke ließ ihn beinahe lächeln. Das war Scullys Bemerkung
gewesen, als die X-Akten zum ersten Mal anderen Agenten zugeteilt wurden und
sie beide ihr Geld von Uncle Sam bekamen, indem sie Großeinkäufe von Düngemitteln
untersuchten, die Sorte, aus der die Bombe von Oklahoma gebastelt worden war.
Große Mengen Düngemittel erwarten dich in den Baumwollfeldern von Alabama.
Es war egal. Birmingham
hatte etwas, was ihm nur wenige Bezirksbüros bieten konnten. Birmingham war nur
etwa fünf Stunden Fahrt von Mobile entfernt.
Vier, wenn man einen Dienstausweis hatte und sich nicht scheute, ihn zu zeigen.
Mulder hatte diese Scheu nicht.
Er fragte sich, wieviel
Skinner wirklich über Scullys und seinen Fang in Mobile wusste und über seine
Gründe, um eine Versetzung zu bitten. Skinner hatte eine Ader dafür, in Mulders
Einsatzberichten herauszufinden, was war und was nicht. Obwohl AD Kersh
offiziell Mulders Vorgesetzter war, war er der Meinung, dass Skinner über seine
Karriere wachte.
Deswegen hatte er auch
Kersh übergangen und war mit seiner Bitte zu Skinner gekommen. Kersh wäre zu
glücklich gewesen, ihn für den Winter in ein Bezirksbüro nach Norddakota zu
versetzen, in der Hoffnung, ihn dadurch zum Kündigen zu verleiten, aber wenn
Skinner ihn woanders hinschickte, würde das Kersh auch nicht kümmern.
Skinner musste wissen, was
los war.
Also war die Versetzung
nach Birmingham eine Ermunterung, die Suche in Mobile fortzusetzen? Eher
unwahrscheinlich. Wenn Skinner mich in Mobile haben wollte, dann hätte er mich
auch dorthin schicken können. Natürlich hätte er mich auch nach Cincinnati oder
Boise schicken können, wenn er mich von Mobile fernhalten wollte.
Birmingham, so entschied
er, war Skinners Art, ihm die Entscheidung zu überlassen. Die Suche nach Krycek
würde außerhalb des Dienstplanes erfolgen. Skinner wollte nichts darüber
wissen, jedenfalls nicht offiziell, und vielleicht überhaupt nicht.
Diese Aufgabe stellte für
Mulder eine Gelegenheit dar und für Skinner die Möglichkeit zu leugnen. Darüber
lächelte Mulder. Reine Büropolitik, so gut gespielt wie es nur ging. Skinner
war gut darin. Deshalb war er stellvertretender Direktor. Er sagte niemals zu
viel.
Sogar als Mulder Skinners
Büro zum letzten Mal verließ, gestern morgen, hatte Skinner nicht zu viel
gesagt. Er hatte den Bericht gelesen, sich Mulders Bitte angehört und ein paar
Fragen gestellt.
Nach langem Schweigen
hatte Skinner ein paar Worte auf ein Formular, das für Versetzungen benutzt
wurde, gekritzelt, die Papiere gegengezeichnet und sie über die polierte
Oberfläche seines Schreibtischs geschleudert, damit Mulder sie aufsammeln
konnte. "Birmingham Bezirksbüro, Nordbezirk von Alabama," sagte er.
"Bericht zum frühestmöglichen Zeitpunkt und nicht später als 48 Stunden
von jetzt an."
Mulder war aufgestanden
und hatte eine Schwerfälligkeit in seiner Seele gespürt, die er nicht erwartet
hatte. Dass es schwer werden würde, Scully zu verlassen, hatte er gewusst; in
Wirklichkeit war es schlimmer als schwer, es ließ ihn blutend und herumzappelnd
wie einen ausgeweideten Fisch, der langsam starb, zurück. Aber er hatte das
erwartet. Was er nicht erwartet hatte, waren seine Reuegefühle, als er von dem
Ex-Marine mit dem steinernen Kinn Abschied nahm, der ihm über die Jahre so oft
den Arsch aufgerissen hatte.
"Irgendetwas nicht in
Ordnung, Agent Mulder?" hatte Skinner in seinem Sessel zurückgelehnt
gefragt, sein Gesichtsausdruck verschlossen und unlesbar wie immer.
Mulder hatte den Kopf
geschüttelt. "Nein, Sir," entgegnete er. "Ich bin dankbar, dass
Sie sich für mich dieser Sache annehmen."
"Wenn Sie Ihre
Karriere im Klo herunterspülen wollen, dann ist das Ihre Angelegenheit, Agent
Mulder," hatte Skinner geantwortet. "Es ist nicht meine Aufgabe, Sie
davon abzuhalten, dumm zu sein, ich muss nur diese Dummheit daran hindern, den
Auftrag des Büros und meine Karriere zu vermasseln."
Mulder hatte nur genickt.
Es gab wirklich nichts mehr zu sagen. Er ging auf die Tür zum Vorzimmer zu.
"Agent Mulder,"
rief Skinner plötzlich.
Mulder drehte sich um.
"Sir?"
Skinner stand auf. Er
machte einen Schritt auf Mulder zu und hielt ihm seine Hand hin. Mulder nahm
sie.
"Ich hasse es, Sie zu
verlieren," sagte Skinner. "Viel Glück in Alabama."
"Danke Sir,"
erwiderte Mulder. Skinner löste seinen festen Griff um Mulders Hand. "Nun
scheren Sie sich raus hier," forderte er, setzte sich wieder hin und nahm
eine Akte in die Hand.
Mulder tat es. Er hatte
Skinners Büro verlassen und war sofort in das Großraumbüro gegangen, hatte sich
gezwungen, nichts anzusehen, was Scully gehörte, während er seine paar Sachen
in einen Pappkarton packte. Es gab nicht viel, was er mitnehmen wollte.
Mulder war schon auf
halbem Weg aus der Tür, als sein Gewissen (sein Herz, dachte er und
augenblicklich unterdrückte er das Wort) die Oberhand gewann. Er setzte den Karton ab, ging hinüber zu
ihrem Schreibtisch, nahm einen Stift aus der obersten Schublade und kritzelte
eine Nachricht auf einen pinkfarbenen Post-it-Zettel. Er riss den Zettel vom
Block und steckte ihn unter ihre Kaffeetasse, wo sie ihn sicher sehen würde.
Und wenn ihn irgendjemand
anders sehen würde, würde es auch nichts ausmachen. Jetzt nicht mehr.
Den Karton aufnehmend war
Mulder aus dem Großraumbüro gegangen. Als er das Hoover Building verließ, hatte
er niemandem in die Augen gesehen. Er ging zu seinem Wagen, stieg ein und fuhr
auf direktem Weg nach Birmingham mit nur wenigen Minuten Unterbrechung; er
hielt sich mit Kaffee, kalter Luft und Pink Floyd in ohrenbetäubender
Lautstärke wach.
Während er in dem Büro in
Birmingham saß, dachte Mulder darüber nach, dass es womöglich einen besseren
Eindruck gemacht hätte, wenn er wenigstens ein bisschen geschlafen hätte, bevor
er hierher gekommen war. Er litt so unter Schlafmangel, dass er beinahe
halluzinierte, aber alles was er getan hatte, war ein Motel zu finden, zu
duschen, sich zu rasieren und umzuziehen, bevor er sich über seinen ersten Tag
hier informierte.
"Agent Mulder?"
Die affektierte männliche Stimme holte ihn aus seinen Erinnerungen. Mulder
blickte auf. Da stand ein kahlköpfiger Mann mittleren Alters, mit Augen von der
Farbe gekochter Leber und einer Lederhaut, die davon zeugte, dass er zu lange
in der Sonne gewesen war, aber unter seinem glatten weißen Hemd zeichnete sich
eine muskulöse Gestalt ab und er strahlte Autorität aus.
Er hat ziemlich viel von
Skinner, dachte Mulder und erhob sich. Und doch ist er anders.
"Daniel Prescott,
leitender Spezialagent," stellte sich der Mann vor und streckte seine Hand
aus. Seine Händedruck war kurz und beinahe schmerzhaft herzlich.
Dominanzgehabe, dachte Mulder und schob den Gedanken beiseite. Was hast du erwartet?
"Fox Mulder,
Sir," erwiderte Mulder. "Es freut mich, Sie kennenzulernen."
"Hmm," machte
Prescott, aber seine Miene drückte deutlich ein anderes Wort aus: Bullshit.
"Kommen Sie rein,
Mulder, setzen Sie sich," forderte Prescott ihn auf, den Weg weisend.
Kleines Büro, dachte Mulder. Gewöhn dich dran. Er setzte sich auf einen
Lederarmsessel Prescotts Schreibtisch gegenüber, der auch schon bessere Tage
gesehen hatte.
"Sie haben eine ganz
schöne Karriere hinter sich, Agent Mulder," sagte Prescott, während er in
Mulders Personakte blätterte. "Was haben Sie angestellt, dass man Sie in
die Provinz geschickt hat?"
"Sir, ich bin nicht
sicher, ob Birmingham die Provinz ist," begann Mulder, aber Prescotts
Grinsen unterbrach ihn.
"Oh, das ist die
Provinz," erklärte Prescott. Das macht ihm Spaß, dachte Mulder. Aber da
ist nichts Sadistisches daran. "Das Birmingham Bezirksbüro ist so sehr
Provinz, sie würden uns nicht einmal Prügelknaben für die Großen sein lassen.
Aber machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Wir finden hier genug, um Sie zu
beschäftigen."
"Mir wurde nicht
gesagt, was meine Aufgabe sein würde, Sir," sagte Mulder, der Profiler in
ihm zeichnete bereits seinen ersten Eindruck von Prescott auf. Schlauer als er
aussieht oder aussehen will, dachte Mulder. Reichlich Straßenland unter sich.
Und er ist gern hier. Ich hab nicht einmal gewusst, dass es überhaupt möglich
ist, diese Art von Exil zu genießen.
Es war ein Puzzle. Und
Mulder war gut darin. Er begrüßte die Herausforderung; es würde ihn ablenken...
Andere Dinge.
"Nun, Mulder, Sie
haben sich in dem Bundesstaat niedergelassen, der sich selbst das Herz des
Dixie nennt, der Staat mit einer der niedrigsten Raten der Nation beim High
School Abschluss," erklärte Prescott. "Sie sind ein Verhaltenswissenschaften-Veteran,
ich bin sicher, Sie wissen, dass eine ungebildete Bevölkerung einhergeht mit
einer entsprechenden Rate an Gewaltkriminalität. Jetzt leistet das ABI einen
guten Teil Arbeit hier, aber meistens arbeiten sie für den Gouverneur. Es gibt
ein ganz gutes staatliches gerichtsmedizinisches Labor, aber sie sind bis
Weihnachten ausgebucht und es wird nicht besser, solange die Grundsteuer so
niedrig bleibt wie sie ist. Hören Sie mich?"
"Ja, Sir,"
erwiderte Mulder. Gewaltkriminalität, dachte er innerlich aufstöhnend. Ist das
nicht großartig? Zurück dahin, wo ich angefangen habe.
Prescott musste Mulders
Gedanken gelesen haben.
"Es gibt nichts,
worüber Sie sich Sorgen machen müssen, Mulder," meinte Prescott. "Mit
Ihrem Hintergrund wäre ich ein verdammter Narr, wenn ich Sie einsetzen würde,
um Gewaltverbrechen zu untersuchen. Aber davon gibt es nicht annähernd genug,
um Sie die ganze Zeit zu beschäftigen. Wir sind immer noch Teil des Centabom
Teams. Eric Rudolph hat eine Abtreibungsklinik hier in Birmingham in die Luft
gejagt und das ist auch nicht so weit weg vom Centennial Park in Atlanta. Wir
haben hier außerdem Banküberfälle, Unbedenklichkeitsbescheinigungen,
Abhöraufgaben und sogar diese verdammten Düngemittel, die Sie so hassen."
Darüber musste Mulder
lächeln. "Steht das in meiner Akte?"
"So deutlich wie der
Tag," sagte Prescott. "Sie haben genau einen Tag damit verbracht,
einen Ammoniumnitrateinkauf zu verfolgen und schon waren sie auf irgendeiner
Hochgeschwindigkeitsjagd quer durch die Wüste im Südwesten. Niemand hat dafür eine gute Erklärung
gehört."
Mulder sagte nichts.
Prescott musterte ihn
scharf. Spooky Mulder, dachte er. Elftausend Agenten beim FBI und ich bekomme
Spooky zugeteilt. Einfach unglaublich. Nicht dass es ihm etwas ausmachte, im
Gegenteil. Natürlich hatte er all das seltsame Zeug gehört und er hatte die
Akte des Mannes gelesen, die noch seltsamer war. Er war nicht besorgt; Prescott
war im Süden geboren und aufgewachsen und er hatte Leute getroffen, die ein
viel blinderes Vertrauen in UFOS und Regierungsverschwörungen hatten, als
Mulder jemals zu träumen wagte. Da waren Menschen nach Hause zurückgekehrt, die
beim Grabe ihrer Mutter schworen, dass sie in einem Raumschiff entführt und von
Aliens vergewaltigt worden waren. Mehrmals.
Jedenfalls, auch wenn
Mulder verrückt war, so hatte er immer noch eine Aufklärungsquote bei seinen
Fällen, dass einem die Augen herausfielen, gut genug, um jeden leitenden
Special Agent mit halb soviel Verstand glücklich zu machen, ihn zu bekommen. In
der Abteilung Verhaltenswissenschaften und seitdem in verschiedenen
Spezialaufträgen hatte Mulder gezeigt, dass er immer noch in der Lage war,
richtige Polizeiarbeit zu leisten. Terroristen, Serienmörder, sogar eine Geiselnahme,
für die er gar nicht ausgebildet war - Mulder hatte sich daran gemacht und
exzellente Arbeit geleistet, als wenn er die Abteilung Verhaltenswissenschaften
nie verlassen hätte.
Aber der Mann sagte
einfach nicht genug, so dass Prescott sich ein Bild davon machen konnte, wer
oder was er wirklich war oder warum er Washington freiwillig verlassen hatte,
wohin die Karriereleiter unweigerlich führte.
Freiwillig zu gehen war Selbstmord an der Karriere, besonders für einen Einzelgänger
wie diesen Typen. Dennoch würde er immer noch ein Gewinn sein für die Abteilung
Verhaltenswissenschaften, könnte er ein Gewinn sein, verbesserte sich Prescott,
wenn er sich an die Regeln halten würde. Und ich bin der Mann, der es tun kann,
Oxfordjunge.
"Mulder, lassen Sie
uns eine Minute offen miteinander reden," meinte Prescott, sich in seinem
Stuhl zurückdrehend, eine Hand an der Hüfte. "Was immer Sie über Alabama
denken, ist womöglich falsch. Wir haben nicht 1960 und niemand will Sie
erschießen und in eine Grube werfen. Aber wir haben hier eine Machtstruktur und
es wäre nicht zu hilfreich, wenn Sie hier hereinspazieren und sich wie Mr.
Großstadt-Bundesagent benehmen würden. Es wird hier nicht interessieren, ob Sie
einen akademischen Grad aus Oxford haben, sie werden Ihnen nicht trauen."
Prescotts Augen waren hart wie Stahl und Mulder konnte spüren, wie sie über ihn
hinwegwanderten, ihn herausforderten, ihm die Peitsche zeigten.
Aber Mulder war nicht
bereit aufzugeben - noch nicht. "Sir, es ist mir wirklich egal, ob mir
jemand traut oder nicht," erwiderte Mulder. "Ich habe auch nicht die
Absicht, ihnen zu trauen; ich habe vor langer Zeit aufgehört, den Menschen zu
trauen." Mulder lehnte sich in seinem Stuhl zurück, nur ein wenig.
"An diesem Punkt bin ich verpflichtet, Sie darauf aufmerksam zu machen,
dass ich auch keinen Grund habe, Ihnen zu trauen." (Du traust immer noch
jemandem, sagte die leise Stimme in seinem Kopf, aber er zwang sich, sie zu
ignorieren. Später, sagte er sich. Befass dich mit diesem Schmerz später, wenn
du allein bist.)
"Es interessiert mich
einen Scheiß, ob Sie mir trauen oder nicht, Mulder," entgegnete Prescott
leichthin. "Wenigsten solange, wie Sie nicht vergessen, wer hier die
Befehle gibt. Ich kenne Ihre Vergangenheit und ich kann Ihnen jetzt schon
sagen, Sie brauchen eine Haltungsanpassung. Hier sind die Regeln anders, ein
paar davon zumindest, aber es ist immer noch das FBI. Vergessen Sie das nicht; und wagen Sie sich
nicht auf irgendeine gottverdammte Gänsejagd, ohne mir davon zu erzählen. Das
funktioniert nicht."
"Sir, ich löste eine
Anzahl..." begann Mulder, aber Prescott unterbrach ihn. "Ich weiß
Bescheid über Ihre Arbeit an den X-Akten und Ihre Jagd nach kleinen grünen
Männchen," erklärte Prescott und forderte mit erhobener Hand Schweigen,
als Mulder noch einmal begann zu reden. "Ich denke, das ist Pferdescheiße,
aber was ich so gehört habe, haben Sie fachmännische Arbeit geleistet und es
ist Ihnen gelungen, nebenbei ein paar wirkliche Fälle zu lösen. Kurz gesagt,
Sie sind ein guter Agent, oder Sie waren es."
"Ich bin es immer
noch, Sir," stellte Mulder ruhig klar, seine Augen zusammengekniffen in
einer Weise, die Scully verstanden hätte, wenn sie dagewesen wäre.
Prescott gab sich einem weiteren
Lächeln hin, zufrieden darüber, dass er Mulder nicht unter die Haut gegangen
war. Das war ein gutes Zeichen. Dennoch
musste er noch einen Versuch starten; Mulder war noch nicht ganz bereit, sich
Prescotts Autorität unterzuordnen, und das war etwas, was Prescott nicht bereit
war zu tolerieren.
"Mulder, hören Sie
mit dem Mist auf, okay? Sie mögen ein guter Cop sein, aber Sie sind auch ein
unsicherer Kantonist. Die meiste Zeit Ihrer Karriere waren Sie in
Schwierigkeiten, wurden sogar zum Direktor für Entlassung und Degradierung, und
der einzige Grund, warum Sie hier sind anstatt sich mit halbwüchsigen
Ladendieben im örtlichen Wal Mart herumzuschlagen ist, dass Sie augenscheinlich
Freunde an hohen Stellen haben, die das nicht zulassen."
"Ich habe niemals
jemanden darum gebeten, meine Karriere zu retten," sagte Mulder. "Bis
heute weiß ich nicht, wer die Regeln des OPR widerrufen hat. Das ist weit über meiner Gehaltsklasse
passiert." Es war auch weit über deiner Gehaltsklasse, du Hurensohn,
dachte Mulder. Mal sehen, wie du darauf reagierst.
Prescott lehnte sich nach
vorn und sein Blick war gerade, aber Mulder spürte die Drohung hinter diesem
Blick.
"Agent Mulder,"
erklärte Prescott. "Es interessiert mich einen Dreck, wer es war, weil es
nicht zählt. Sie sind weder Rod Serlin noch der verdammte Efrem Zimbalist Jr.
Sie sind nicht mit sechstausend anderen Agenten im Hoover Building, Sie sind
nur einer von 71 Agenten in Birmingham, Alabama, in meinem gottverdammten FBI.
Menschen, die es in meinem FBI vermasseln, gehen nicht zurück in die Abteilung
Verhaltenswissenschaften, Agent Mulder, und sie gehen auch nicht zu den
verdammten X-Akten zurück. Sie fliegen auf ihrem lilienweißen Arsch aus dem
Büro, aber sie lassen ihre Eier als Souvenir an meiner Wand zurück. Denken Sie,
dass Sie damit klarkommen können?"
"Wenn ich das nicht
denken würde, wäre ich nicht hier," antwortete Mulder, immer noch seine
Stimme ruhig haltend. "Ist das alles, Sir?"
"Gehen Sie,"
erwiderte Prescott und wedelte mit der Hand in Richtung Tür. "Sie müssen ein bisschen Papierkram
erledigen und dann werde ich Cheryl in der Verwaltung bitten, Ihnen ein paar
Hinweise zu geben, damit Sie eine Wohnung finden. Seien Sie morgen um 8.15 Uhr
hier."
Mulder nickte und erhob
sich. Vor Prescotts Schreibtisch stehend, sagte er, "Sir, ich bin seit elf
Jahren beim FBI und ich habe nicht die ganze Zeit damit zugebracht, kleine
grüne Männchen zu jagen. Glauben Sie es oder nicht, ich bin ein verdammt guter
Ermittler, wenn Sie mich erst kennen."
"Oh, dessen bin ich
mir sicher, Agent Mulder," entgegnete Prescott gedehnt. "Weil, wenn ich es nicht glauben würde,
dann wären Sie nicht hier, darauf können Sie Ihren süßen Hintern
verwetten."
Mulder nickte wieder, dann
sah er Prescott an, sein Blick scharf, analysierend. "Marine?" fragte
er. "Vietnam, vielleicht?"
Prescott schüttelte den
Kopf. Profiler, dachte er. Du lieber Gott.
"Kriegsgeheimnis," sagte Prescott. "Vertraulich. Weit
über Ihrer Gehaltsklasse."
Mulder zog eine Augenbraue
hoch, nickte beinahe unmerklich und ging, die Tür hinter sich schließend.
Prescott lehnte sich befriedigt zurück. Mulder unter Kontrolle zu halten würde
eine Herausforderung sein, und Dan Prescott hatte eine verdammt lange Zeit keine
Herausforderung wie diese gehabt. Gib auf und leg deine Kehle bloß, Junge, dann
hau ab und erledige deinen Job und vielleicht kannst du deine Eier ein bisschen
länger behalten.
Maggie Scullys Haus
zwei Tage später
13:30 p.m.
"Mom, wenn wir nicht
bald losfahren, werde ich meinen Flug verpassen," rief Bill die Treppe
hinauf. Er trug seine Ausgehuniform, hatte seinen Mantel an, die Taschen in der
Hand und war fertig zum Losfahren und seine Mutter zog sich immer noch oben an.
"Nur noch eine
Minute, Bill, versprochen," rief Maggie hinunter. "Bring schon mal
deine Sachen ins Auto, ich bin gleich da."
"Mom, ich darf diesen
Flieger nicht verpassen. Sie haben meinen Urlaub gestrichen. Das bedeutet Ärger
und das bedeutet, ich sollte gestern dasein!"
"Das weiß ich,
Bill," erwiderte Maggie unbeirrt. "Ich bin gleich sofort!"
Verärgert ging Bill zur
Tür und fummelte mit drei Fingern an der Klinke herum, während er in den
anderen beiden das Handgepäck hielt. Mit einigen Schwierigkeiten schaffte er
es, die Tür zu öffnen und ging langsam zum Auto, damit er nicht auf der dünnen
Eisschicht ausrutschte, die die Treppe bedeckte. Er warf das Gepäck auf den
Rücksitz, schob sich auf den Beifahrersitz, langte hinüber, steckte den Zündschlüssel
ins Schloss und startete den Motor, um ihn warmlaufen zu lassen. Dann lehnte er
sich zurück, um auf seine Mutter zu warten. Beinahe bereute er es, dass er Tara
und das Baby zu ihrer Mutter geschickt hatte, aber sie war verärgert gewesen und
mit ihrer eigenen Familie würde sie glücklicher sein.
Aber sie hätte ihn auch
nicht seinen Flug verpassen lassen, dachte er mit wachsender Irritation. Gott,
Mom, jetzt komm schon! Er hatte gehofft, dass Dana mit zum Flughafen kommen
würde, aber er wusste, darum zu bitten, war ein bisschen zu viel. Sie hatten
beide die Beherrschung verloren, aber das war vorher auch schon passiert und
sie waren immer in der Lage gewesen, es rasch zu beenden. Diesmal war es
anders. Dad hatte früher immer gesagt, sieh im Wörterbuch unter Beherrschung
nach und gleich daneben findest du ein Foto der Scully-Familie. Er hatte
gewusst, wovon er sprach.
Gestern Abend, genau eine
Woche nach der apokalyptischen Szene zwischen Bill und seiner Schwester, hatte
Maggie ihn gefragt, ob er mit ihr einen Spaziergang machen würde. Sofort gingen
bei ihm die Alarmglocken los. Draußen
schneite es und es war eiskalt und Maggie hasste es zu frieren. Sie verließ
ihren Kamin nicht zum Vergnügen. Nur einfach um den Block, hatte sie leichthin
gemeint. Sie wollte nur ein bisschen frische Luft schnappen.
Bill hatte aufgestöhnt,
während er seine Kaltwetter-Klamotten überzog und gewusst, dass dies eine von
diesen typisch weiblichen ‚oh, wir wollen nur darüber reden'-Sachen werden
würde. Warum zur Hölle konnte niemand damit aufhören, Dana sich einfach
beruhigen lassen und ihn auch und das ganze einfach vergessen? Dad hätte das
getan. Bill und seine Mutter waren noch nicht einmal einen halben Block von zu
Hause fort, als sie ihn mit der befürchteten Bemerkung traf.
"Bill," hatte
Maggie gesagt. "Wir müssen wirklich miteinander reden."
"Oh du lieber
Gott," hatte Bill gemurmelt. Das brachte ihm einen scharfen Blick seiner
Mutter ein. "Tut mir leid, Mom. Seemannsgerede."
"Nun, dann heb dir
dein Seemannsgerede für die See auf," hatte Maggie geantwortet.
"Bill, du musst wissen, wie besorgt ich wegen des Streits zwischen dir und
Dana bin. Das kann so nicht weitergehen."
"Nichts geht so
weiter. Wir streiten gar nicht mehr. Sie braucht nur Zeit, um sich zu
beruhigen."
"Bill, ihr streitet
euch nicht, weil ihr gar nicht miteinander redet. Sie beruhigt sich nicht, sie
zieht sich zurück. Was passiert ist, war viel schlimmer als alles, was ich
bisher bei euch beiden erlebt habe. Du hast Dana noch nie so angeschrieen und
ich habe sie nie zuvor dich schlagen gesehen."
Bill schnaufte. "Sie
hat eine starke Rechte. Wenn ihre Linke auch so gut ist, sollten wir sie in den
Boxring stellen." Es klang beinahe stolz; stolz, aber überhaupt nicht
glücklich.
"Sie und ich haben
nachts miteinander geredet..." begann Maggie, aber Bill unterbrach sie.
"Also das ist es. Du überbringst Nachrichten von Dana? Ich dachte, sie
hätte soviel Schneid, selbst mit mir zu reden."
"Das ist keine Frage
von Mut, Bill," hatte Maggie erwidert. "Dana ist einer der mutigsten
Menschen, die ich kenne. Sie stand in der Schusslinie und sie hat sich ihr
gestellt und sie ist immer noch da. Bedeutet dir das gar nichts?"
"Dafür bezahlen sie
sie," meinte er barsch. "Was soll ich deiner Meinung nach tun?
Applaudieren?"
"Nein,"
entgegnete Maggie scharf. "Ich möchte, dass du sagst, dass du sie für das,
was sie tut, bewunderst. Dass es dir etwas bedeutet, dass sie sich in Gefahr
begibt, dass sie Risiken auf sich nimmt, um die zu schützen, die zu Hause
sind."
"Aliens nachzujagen
ist nicht meine Vorstellung davon, der Welt die Demokratie zu sichern. Das ist
meine Vorstellung von verrückt und Dana ist verrückt, diesem Idioten Mulder zu
folgen."
Maggie packte Bill am
Ärmel und stoppte ihn so. Sie stellte sich direkt vor ihm hin, sah zu dem
breiten, hochgewachsenen Seemann auf und wunderte sich nicht zum ersten Mal
darüber, wie sie ihn mit ihrem eigenen schmalen Körper vor so vielen Jahren
hatte zur Welt bringen können. "Bill, ich weiß nicht alles über Danas
Arbeit. Sie enthält uns eine Menge vor; so will sie es. Aber letzte Nacht hat sie mir eine Menge
Dinge erzählt, von denen sie noch nie gesprochen hat. Und das erschreckt mich -
das erschreckt mich sehr. Es ist nicht Danas Art, so offen zu reden."
Einen Moment hielt Maggie
inne. Über ihre Ängste um Dana zu sprechen machte es nur noch schlimmer. Sie
änderte die Richtung. "Dana ist... ein Rätsel. Das war sie immer gewesen. Aber jetzt ist sie
es mehr als je zuvor, denn obwohl sie möchte, dass wir sie kennen und begrüßen,
was sie tut und dass wir stolz auf sie sind, verbirgt sie so viel vor
uns," sagte Maggie. "Sie versucht, uns davor zu bewahren, sie als
jemanden zu sehen... der sich gegen die menschliche Agonie stärkt, jemand, der
verletzt und tötet."
"So ist sie nicht,
oder so war sie niemals zuvor," antwortete Bill. Maggie musste nicht
fragen, was er mit ‚zuvor' meinte.
"Sie ist am Leben und
hat einen sehr gefährlichen Beruf," erklärte Maggie. "Ich nehme an, sie hat sich dem
angepasst. Sie hat gelernt, sich selbst zu verteidigen. Sie hat sich verändert,
Bill, und das in einer Art, die mir leid tut. Aber was wirklich zählt, sie ist
immer noch unsere Dana."
"Mom, Danas Job ist
die eine Sache. Ihr Partner ist eine andere und er kostet sie beinahe das
Leben. Melissa wurde von Leuten umgebracht, die etwas wollten, was Mulder
gestohlen hat, so wie ich das verstanden habe.
Eigentum des DoD," sagte er und benutzte die militärische Abkürzung
für Verteidigungsministerium. "Ist das der Mann, mit dem du sie arbeiten
lassen möchtest? Sie war schon zwei Jahre beim FBI, bevor sie ihn getroffen
hat, hat an der Akademie unterrichtet, vollkommen sicher, und hat ihren Teil für
Gott und den Staat getan."
Bill hatte die Zähne
zusammengebissen und seine Nackenhaare standen zu Berge. "Was war verkehrt
an diesem Job, Mom? Warum bin ich der einzige in der Familie, der glaubt, dass
dieser Bastard Mulder schlecht ist, für Dana und für den Rest von uns?" Er
war wütend, obwohl Maggie hinter der Wut seine glaubhafte Besorgnis um Dana ,
seine endlose Trauer um Melissa - er war zwei Tage, nachdem sie gestorben war,
von einem Noteinsatz nach Hause gekommen - und vor allem seine Schuld hören
konnte.
Maggie kannte die Schuld
der Navyleute nur zu gut. Sie war endemisch in dem Haufen der
Blauuniformierten. Sie blieben monatelang fort, arbeiteten an ihrer Karriere,
liebten ihren Job und dann kamen sie nach Hause, um sich in der Schuld darüber
zu wälzen, was sie alles nicht getan hatten und was in ihrer Abwesenheit schief
gegangen war. Seit dem Tod seines Vaters schien Bill Jr. sich für die ganze
Familie verantwortlich zu machen, und das bedeutete, dass er mehr als genug
Navyschuld mit sich herumtrug.
Natürlich war es die
Lösung, die Navy zu verlassen, zu Hause zu bleiben und sich um die
Angelegenheiten zu kümmern. Doch keiner der Scullymänner würde diesen Gedanken
jemals hegen. Und Bill konnte die Verbindung nicht sehen? Maggie schüttelte den Kopf. "Lass uns
weitergehen, sonst schneien wir noch ein," sagte sie und nahm wieder
seinen Arm. Sie gingen einen halben Block weiter, bevor Maggie wieder sprach.
"Bill, kennst du die Selbstmordrate unter den Gesetzeshütern?"
"Nein,"
erwiderte er, nur halb hinhörend.
"Nun, sie ist
grausam," meinte Maggie. "Ich habe sie mir gestern angesehen, weil
ich denke, dass ich eine Menge über Polizeiarbeit lernen muss. Nachdem, was ich gelesen habe, bringen sich
Polizeioffiziere, und das schließt das FBI ein, viel öfter um als andere
Leute."
"Und?" schoss
Bill zurück. "Willst du mir sagen, dass sich Dana umbringen wird?"
"Nein, das will ich
nicht," erwiderte Maggie, ein wenig verärgert. "Was ich dir sagen
will ist, dass die Experten sagen, dass Menschen wie Dana, und Fox, in
ständiger Gefahr sind, zu zerbrechen und eines Tages nicht mehr in der Lage
sein werden, es zu ertragen. Deshalb bedeutet es für Dana so viel, einen
Partner zu haben. Und deswegen würden sie - oder einer von ihnen - sterben oder
töten, um den anderen zu schützen."
Bill redete noch immer
nicht, aber wenigstens hörte er jetzt zu. So wie er den Kopf geneigt hielt,
konnte Maggie erkennen, dass er anfing zu begreifen.
"Ich verstehe nicht,
was Dana tut," fuhr Maggie fort. "Ich verstehe nicht, wie sie sich
selbst dazu bringen kann, ein Kind zu untersuchen, das von einem psychotischen
Killer zu Tode gequält worden ist. Ich verstehe nicht, wie sie angeschossen,
verbannt oder geschlagen werden kann und immer noch aufsteht, bereit
hinauszugehen und es am nächsten Tag wieder zu tun. Aber das beeinflusst sie.
Als wir miteinander sprachen, redete sie immer wieder über den Tod und über das
Töten. Egal was ich gesagt habe, sie kam immer wieder darauf zurück."
Bill schauderte angesichts
dessen, aber Maggie hörte jetzt nicht auf. Wie viele Frauen musste sie ihre
Gedanken aussprechen, um sie zu verstehen, sie klärte die Dinge sowohl für sich
selbst als auch für Bill.
"Bill, ich habe Dana
letzte Nacht tatsächlich gesagt, dass ich sie nicht verstehe und deswegen fühle
ich mich schrecklich, aber es ist die Wahrheit und sie schien sie zu
akzeptieren. Für den Fall, dass es dir noch nicht aufgefallen ist, Dana schätzt
die Wahrheit," meinte Maggie und er konnte den Stolz in ihren Augen sehen.
"Ich weiß, dass sie
das tut," brummte er. "Das habe ich niemals bezweifelt."
"Dann versuche zu
verstehen, dass Dana jetzt deine Unterstützung braucht," antwortete
Maggie. "Sie hat sie verdient. Sie tut das, was sie tut, weil sie daran
glaubt, dass es richtig ist und notwendig. Da ist sie nicht viel anders als du.
Du bist in der Navy, weil die Navy ein Teil dessen ist, was uns alle vor den
Feinden im Ausland schützt. Dana hilft, dein Heim und deine Familie zu beschützen,
derweil du fort bist. Beide seid ihr darauf vorbereitet, Gewalt anzuwenden und
zu töten, wenn es nötig ist. Ihr wisst beide, dass eure Jobs euch alles kosten
können, was ihr habt. Aber ihr macht beide weiter, ungeachtet dessen, was es
euch oder die Menschen, die ihr liebt, kostet."
"Was habe ich dich
gekostet, Mom? Melissa ist nicht wegen mir gestorben," antwortete Bill,
den Blick auf den Gehsteig gerichtet.
"Ich bin froh, dass
du das erkannt hast," erklärte seine Mutter. "Ich war mir dessen
nicht sicher." Das saß. Sie konnte es sehen. Er hatte sich selbst dafür
angeklagt. Navyschuld, dachte sie wieder.
"Bill, willst du
wissen, was dein Job die Menschen, die dich lieben, wirklich kostet?"
fragte Maggie. "Weil ich es dir sagen kann: sehr viel. Ich weiß, wie Taras Leben verläuft, weil ich
es selbst erlebt habe; zu Hause zu sein mit einem kleinen Kind, auf den Ehemann
zu warten, dass er von See heimkommt, zu hoffen und zu beten, dass nichts
passiert, was ihn davon abhält, jemals wieder heimzukommen. Nein Bill, Dana und
du, ihr seid gar nicht so verschieden."
"Mom," begann
Bill, aber wieder brachte ihn seine Mutter zum Schweigen. Sie waren beinahe zu
Hause und sie musste fertig werden. "Bill, wenn du auf See bist, dann hast
du Schiffskameraden und dein Ziel und deine Traditionen, um es zu ertragen.
Danas Job stellt sie abseits des Hauptziels des FBI, alles was sie dazu bringt
weiterzumachen, ist ihr Partner und ihr Glaube an die Richtigkeit dessen, was
er tut. Ich weiß, dass du ihn nicht leiden kannst und ich weiß auch, warum. Ich
habe ihm gegenüber selbst Vorbehalte. Aber ich glaube daran, dass Fox alles
aufgeben würde, einschließlich seines eigenen Lebens, um sie in Sicherheit zu
wissen. Würdest du das als weit entfernt von deinen Schiffskameraden
einschätzen?"
"Das ist Mulder für
sie? Ihr... Schiffskamerad?" fragte Bill. Es war eine Frage, keine
Herausforderung. Zum ersten Mal in seinem Leben hörte er ihr wirklich zu und
sie belohnte ihn, indem sie ihm eine ehrliche Antwort gab, eine zu der sie all
das Reden gebraucht hatte, um sie zu finden. "Er ist ihr Partner. Ihre
Lebenslinie," sagte Maggie. "Sie braucht ihn. Sie vertraut ihm. Und
ganz abgesehen davon, sie liebt ihn, Bill, tief und aufrichtig. Aber ich glaube,
was für Dana sehr viel wichtiger ist, worauf sie sich wirklich stützt, ist zu
wissen, dass er sie genauso braucht. Und jetzt sind sie getrennt, er lässt sich
versetzen."
"Weswegen? Hat er ein
kleines grünes Männchen davonkommen lassen?"
"Nein, er tut es für
Dana," erklärte Maggie und ignorierte den Spott. "Augenscheinlich hat er das Gefühl, dass
er sie in Gefahr gebracht hat und er hat um Versetzung gebeten."
"Ich kann nicht
behaupten, dass ich deswegen verärgert wäre," brummte Bill.
"Ich weiß,"
sagte Maggie. "Aber es ärgert Dana. Es bringt sie um."
"Nicht
buchstäblich," erwiderte Bill und sah seine Mutter erstaunt an.
"Dana würde das nicht
tun."
"Ich weiß
nicht," sagte Maggie langsam. "Ich hoffe, nicht. Alles was ich weiß
ist, dass ich mir Sorgen um sie mache, Bill, so wie nie zuvor."
Nun, während Bill in dem
sich langsam erwärmenden Auto saß, wünschte er, dass er mehr Zeit hätte, mehr
Zeit, um diese Unterhaltung in sich aufzunehmen und zu versuchen, irgendeine
Art Entspannung mit seiner Schwester zu erreichen. Aber so war die Navy: die
Zeit war vorbei, wenn sie vorbei war und man ging, wenn man gerufen wurde.
Und wenn man gerufen
wurde, wie er heute Morgen, dann bedeutete das Ärger, ernsthaften Ärger irgendwo
in der Welt. Er hatte die Morgenausgabe der Washington Post von vorn bis hinten
gelesen auf der Suche nach einem Hinweis, aber er konnte keinen finden.
Was immer der Ärger war,
er wurde wahrscheinlich geheim gehalten, bis sie auf See waren. Vielleicht
würde er ihr schreiben, überlegte er, aber in seinem Herzen wusste er, dass er
es nicht tun würde. Er war ein lausiger Briefschreiber.
Bill war tief in Gedanken,
als er hörte, wie die Fahrertür geöffnet wurde und eine Gestalt im schwarzen
Mantel einstieg.
"Das hat ja ewig
gedauert," brummte er. "Nie im Leben werden wir es jetzt noch
schaffen."
"Oh, wir werden es
schaffen," erwiderte eine kühle, gleichmäßige Stimme. Bill blickte erschrocken auf. Es war Dana,
immer noch blass und schmal, die letzten Spuren ihrer Verletzungen immer noch
im Gesicht.
"Dana, geh wieder
rein. Es geht dir noch nicht gut genug, um zu fahren," stieß er hervor.
"Versuchst du immer
noch, mein Leben zu führen, Bill?"
War sie immer noch wütend?
Er konnte es nicht sagen. "Ich sage nur..."
"Du sagst nur, dass
du mein Leben besser führen kannst, als ich es kann," entgegnete Dana und
legte den Sicherheitsgurt an. "Bill, was muss ich tun? Dich wieder schlagen?"
Bill grinste, ein breites
Scullygrinsen von einem Ohr zum anderen. Einen Augenblick später bekam er ein
kleines Lächeln zurück, aber keiner von beiden redete.
Dana, Dana, dachte Bill.
Dieser Muldertyp hat dich nicht einmal zur Hälfte verdient. Aber ich schwöre
bei Gott, ich werde versuchen, den Mund zu halten. Er sann darüber nach, was er
sagen sollte. "Hör bloß auf," meinte er schließlich und sah, wie ihre
Augen aufblitzten. In einer spöttisch-abwehrenden Geste hielt er die Hände
hoch. "Bitte, hau mich nicht wieder. Ich werde genug Schwierigkeiten damit
haben, es der Crew zu erklären, dass mich meine kleine Schwester
zusammengeschlagen hat."
"Ich kann es auch
wieder tun," erklärte Dana, legte den Rückwärtsgang ein und setzte den
Wagen auf der Auffahrt zurück. "Vergiss das nicht. Und nun schnall dich
an. Du hast eine interessante Fahrt vor dir."
Auf der Fahrt zum
Baltimore-Washington International Airport 12:47 p.m.
Die Fahrt war die Hölle.
Dana, sich anscheinend der Reste von Schnee und Eis, die die Schneepflüge
übriggelassen hatten, nicht bewusst, hatte das Gaspedal durchgetreten, sobald
sie den Highway erreicht hatten, und jagte den großen Buick ihrer Mutter die
Straße entlang. Bill, der geglaubt hatte, schon alles gesehen zu haben, was ihn
jemals erschrecken konnte, klammerte sich an den Sitz als ginge es um sein
Leben.
Aber Dana schien ihr
Handwerk zu beherrschen, das musste er zugeben.
Gekonnt lenkte sie das Auto um Hindernisse herum, behielt es in den
engsten Kurven unter Kontrolle und ließ die Tachonadel nie unter 70 Meilen
sinken.
Sie würden es rechtzeitig
schaffen, oder sie würden bei dem Versuch, es zu tun, sterben, dachte Bill.
"Dana, du solltest langsamer fahren," bat er. "Es ist sauglatt da draußen."
Dana schüttelte den Kopf.
"Ich kann unter schlimmeren Bedingungen fahren.
Das ist Teil meiner
Ausbildung."
"Wer war dein Lehrer?
Mario Andretti?" brummte er.
Sie lächelte immer noch
nicht. "Nein," sagte sie. "Der Sicherheitsdienst der Vereinigten
Staaten, der, das muss ich feststellen, das FBI nicht mehr liebt als es die
Navy tut."
"Ich kann verstehen,
warum," knurrte Bill, sich immer noch festklammernd. Er bewegte seinen Kopf zur Seite, um seinen
steifen Nacken zu lösen - zu verspannt, viel zu verspannt, dachte er - und da
sah er, im selben Moment wie seine Schwester, die blinkenden Lichter eines
Maryland Highway Streifenwagens.
"Großartig,"
meinte Bill. "Jetzt schaffen wir es wirklich nicht mehr."
Dana sah ihn ruhig an.
"Lass mich nur machen, Bill. Behalt einfach deine Hände im Schoß und
bewege dich nicht, bis ich sage, es ist okay. Ich meine es todernst." Sie
fuhr an den Straßenrand, hielt den Wagen an und rollte ihr Fenster herunter.
Rasch legte sie ihre Hände zurück auf das Lenkrad, als sich der
Streifenpolizist näherte.
"Guten Tag,
Ma'am," grüßte der Officer. "Das war ein bisschen schnell oder was
würden Sie sagen?"
"Officer, ich bin
bewaffnet," erklärte Dana, ohne ihre Hände zu bewegen. "Ich bin Bundesagentin. Ich werde jetzt
in meine Jackentasche greifen und meinen Ausweis herausholen."
"In Ordnung,"
sagte der Cop, nun ganz wachsam. "Bewegen Sie sich bitte ganz langsam."
Er griff mit der Hand nach hinten zu seiner eigenen Waffe und beobachtete
sorgfältig, wie Dana ihm die Lederhülle, die ihren Ausweis und ihre ID-Karte
enthielt, herausreichte.
"Wo ist die Waffe,
Agent Scully?" fragte der Cop, sah zuerst auf den Ausweis, dann auf Bill,
der sich, wie befohlen, nicht bewegte. Jetzt verstand Bill; das war tatsächlich
gefährlich. Wenn der Cop Dana nicht glaubte, dass sie die war, für die sie sich
ausgab, wenn er glaubte, dass sie nach ihrer Waffe griff, würde er schießen.
"Sie ist hinter
meinem Rücken," sagte sie, vollkommen still sitzend.
"Ist Ihr Begleiter
bewaffnet?"
"Nein."
"Würden Sie bitte aus
dem Auto steigen, Ihre Hände so, dass ich sie sehen kann? Sie legen die Hände
auf das Armaturenbrett und bleiben sitzen, Sir," ordnete er an und sah zu
Bill, der tat, was er ihm gesagt hatte.
Scully stieg aus, drehte
dem Cop den Rücken zu und legte die Hände auf das Autodach. Der Cop schob ihren
Mantel beiseite und ergriff die Waffe. "Danke,
Agent Scully. Sie können jetzt wieder einsteigen. Ich muss wegen der
Ausweisnummer anrufen."
"Natürlich,"
antwortete Scully.
"Nur eine Minute,"
erklärte er und ging zurück zu seinem Auto. Es dauerte weniger als eine Minute.
"Danke, Agent
Scully," sagte der Officer und gab ihr ihre Waffe zurück. "Setzen Sie Ihren Weg fort. Bitte
versuchen Sie dennoch, ein wenig vorsichtiger zu sein, die Straße ist heute
sehr glatt."
"Danke,
Officer," antwortete Scully, steckte ihre Waffe zurück in das Holster und
legte den Sicherheitsgurt wieder an. "Das werde ich tun."
Der Officer tippte an
seine Mütze, ging zurück zum Streifenwagen, stieg ein und fuhr davon.
Bill sah erstaunt zu.
"Was war das?" fragte er. "Er hat dich nicht einmal nach deinem
Führerschein gefragt."
Dana zuckte mit den
Achseln. "Weil ich ihm meine Erkennungsmarke gezeigt habe," sagte
sie. "Aber Verkehrspolizisten werden bei Waffen nervös, also hat er meinen
Ausweis und meine Waffe nachgeprüft."
Bill begann zu lachen. Er
konnte nichts dagegen tun. Seine kleine Schwester saß hier so kaltblütig und
schaffte sich einen Strafzettel vom Hals. "Du hast ihm deine Marke gezeigt?
Was zur Hölle soll das denn bedeuten?" fragte er immer noch lachend.
"Du hast ihn eingesackt?"
"Nein,"
entgegnete Dana. "Hab meine Glaubwürdigkeit blinken lassen. Hab ihn vorgeführt.
Hab ihm die Marke gezeigt. Wie immer du es auch nennen willst; es bedeutet
einfach nur, dass ich ihm meinen Ausweis gezeigt habe."
"Nun, mir hast du ihn
nie gezeigt," meinte Bill. "Wie ist es - kann ich ihn sehen?"
Danas Augen weiteten sich.
"Sicher," antwortete sie. Sie händigte ihm die Lederhülle ganz zwanglos
aus, als wäre es etwas Alltägliches, aber Bill wusste, dass er irgendwie, durch
einen beinahe unerhörten Schicksalsschlag, das Richtige zu seiner Schwester
gesagt hatte, vielleicht zum ersten Mal seit Jahren.
Bill öffnete die Hülle und
studierte den Messingausweis mit dem Adler
obenauf, die ID-Karte mit
dem ‚FBI' in großen Lettern verziert, die lange,
komplizierte Ausweisnummer
und darüber das Foto seiner Schwester, ihr Name
und ihre Unterschrift.
Special Agent Dana Katherine Scully.
Das ist meine Dana. Meine
kleine Schwester. Er besah es sich lange. Dana beobachtete ihn, bewegte sich
aber nicht.
"Shit," sagte
Bill schließlich. "Ich will auch so etwas haben." Jetzt hatte er
schon zwei Punkte gemacht, noch einmal hatte er das Richtige gesagt. Er konnte
es im Gesicht seiner Schwester sehen, in ihrem stillen Stolz, als sie ihren
Ausweis zurücknahm und ihn sorgfältig in die Tasche steckte.
Dana startete den Wagen
wieder und lenkte ihn zurück auf den rutschigen Highway. "Vielleicht
solltest du das," meinte sie, das Licht wich aus ihren Augen, als sie das
Gaspedal noch einmal durchdrückte. "Es kann Spaß machen, FBI zu
spielen."
Baltimore-Washington
International Airport
1:32 p.m.
Sie schafften es zur
Abfertigungshalle und hatten weniger als fünf Minuten, bis Bills Flug
aufgerufen wurde. Dana hielt mit quietschenden Reifen vor dem Terminal von
Delta Airlines an und sprang heraus.
"Ich gehe
schon," meinte Bill. "Ich werde rennen müssen, wenn ich dieses Flugzeug
noch bekommen will." Er küßte sie flüchtig auf die Wange, griff sein
Gepäck vom Rücksitz und eilte zur Tür, wo er auf zwei Seeleute mit niedrigem
Dienstgrad traf.
"Commander Scully,
Sir," sagten die beiden Seeleute wie aus einem Munde und salutierten. Bill
wechselte das Gepäck in die linke Hand und erwiderte den Gruß.
"Sind Sie auf der
Suche nach mir," fragte er.
"Sir, wir wurden
geschickt, um Sie zu Ihrem Flugzeug zu begleiten," antwortete einer der
Seeleute. "Sie haben es für sie aufgehalten."
"Auf wessen
Befehl?"
"Sir, ich glaube, es
war der Befehl des COMSURFLANT," sagte der andere Seemann. "Darf ich
Ihr Gepäck haben, Sir?"
Bill nickte, der Seemann
nahm die Taschen und eilte auf das Gate zu. Bill drehte sich um und sah Dana
neben sich stehen. Ihr Gesicht war nachdenklich. "Sie haben das Flugzeug
aufgehalten?" fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.
"Ja," antwortete
Bill. "Anscheinend meint es die Navy ernst damit, mich so schnell wie
möglich an Bord haben zu wollen."
Dana antwortete nicht,
aber auf ihrer Stirn standen Sorgenfalten.
Der andere Seemann
räusperte sich und zog Bills Aufmerksamkeit auf sich.
"Ja?" schnappte
er.
"Sir, es tut mir
leid, Sir," sagte der Matrose. "Ich habe die Anweisung, Sie zum
schnellstmöglichen Zeitpunkt an Bord des Flugzeugs zu bringen."
"Ich bin auf dem
Weg," antwortete Bill. "Fliegen Sie ebenfalls mit?"
"Nein, Sir,"
erwiderte der Seemann.
"Dann parken Sie
bitte den Wagen meiner Schwester auf dem Kurzzeitparkplatz und treffen Sie sie
wegen der Schlüssel an meinem Abflugschalter."
"Aye, aye, Sir,"
antwortete der junge Mann. Er streckte Dana seine Hand entgegen, die - mit
einem prüfenden Blick auf ihren Bruder - ihre Schlüssel in seine Hand legte.
"Ma'am, wir treffen
uns am Schalter 5 von Delta Airlines," sagte der Seemann, dann salutierte
er noch einmal vor Bill. "Sir."
Bill erwiderte den Gruß.
"Lassen Sie sie nicht warten." Auf den Terminal zugehend, hielt er
seiner Schwester die Tür auf und begann, seinen Mantel ausziehend, flott auf
sein Abfluggate zuzugehen.
"Kammerdienerservice,"
meinte Dana. "Nicht zu heruntergekommen."
Bill knurrte, "Das
bewahrt sie vor Schwierigkeiten."
Sie erreichten den
Sicherheitsschalter. Dana zögerte.
"Ich könnte auch hier
auf ihn warten," sagte sie.
"Wo ist das
Problem?" fragte Bill.
"Die Waffe,"
antwortete sie nur.
"Kannst du damit
nicht durch? Du gehörst zum FBI, um Gottes Willen."
"Es zieht nur eine
Menge Aufmerksamkeit auf sich," erwiderte sie ,dann zuckte sie mut den
Schultern. "Ich denke, ich kann es noch einmal durchstehen." Sie ging
um den Metalldetektor herum und blieb vor einem uniformierten Wächter stehen,
der sich erhob, als sie sich näherte und ihr bedeutete, stehenzubleiben.
"Warum zeigst du ihm
nicht deine Marke?" schlug Bill augenzwinkernd vor.
Scully sah ihn von der
Seite an, aber er sah, dass sie nicht sauer war. "Du solltest glücklich
sein, Bill," meinte sie und zeigte ihren Ausweis und schob ihren Mantel
über der Waffe zur Seite. "Ich tue das nicht für jeden."
"Werden Sie an Bord
gehen, Agent Scully?" fragte der Wachmann.
Sie schüttelte den Kopf.
"Noch andere
Waffen?"
"Nein."
Bill war in der
Zwischenzeit durch den Kontrollpunkt gegangen und wartete auf der anderen Seite
auf sie, während der Wachmann ihr gestattete, durchzugehen.
"Das war nicht so
schlimm, oder?" fragte er.
"Nein,"
bestätigte Scully. "Aber nur deswegen, weil ich nicht an Bord gehe. Dann wird es schwieriger. Sie müssen es der
Fluggesellschaft melden, ihnen meine Platznummer nennen und so weiter. Du
kannst dein Flugzeug verpassen, außer du hast einen Navyausweis oder so
etwas."
"Ha, ha," meinte
Bill sarkastisch und sie beschenkte ihn mit einem schwachen
Kleine-Schwester-Lächeln, als sie gemeinsam zum Schalter gingen, wo das
Airline-Personal bereits ungeduldig wartete.
Der Seemann, der sein
Gepäck genommen hatte, trat auf ihn zu. "Ihre Buchungsbestätigung,
Sir," sagte er. "Sie können gleich an Bord gehen."
Bill knurrte nur als
Antwort. Der Seemann trat zurück, drehte sich auf dem Absatz um und ging zum
Außenbereich des Gates.
"Bill, ich glaube, er
hat Angst vor dir," sagte Dana mit einem kleinen Lächeln in den
Mundwinkeln. "Ich glaube, sie alle hier. Sie halten das Flugzeug auf, sie bringen
dein Gepäck weg, sie parken deinen Wagen? Du musst der blanke Terror
sein."
"Das bin nicht ich,
Dana," sagte Bill und klang ein wenig verärgert. "Das ist der
Rang."
"Der Rang, ja?"
Dana strich mit ihren Fingerspitzen über die Reihen Goldlitze an ihres Bruders
Ärmel, dann legte sie ihre Hand leicht auf die raue blaue Wolle.
"Shit," sagte sie und sah zu ihm auf. "Ich will auch so etwas
haben."
Bill sah sie einen Moment
lang an, dann zog er sie in eine stürmische Umarmung und ignorierte die
glotzende Flugzeugcrew. "Ich liebe dich, kleine Schwester," sagte er.
"Ich werde nie diesen Partner von dir lieben, aber ich liebe dich."
"Ich liebe dich
auch," flüsterte Dana und drückte ihn ebenfalls. "Ich werde dich in
meine Gebete einschließen."
"Und ich dich in
meine," erwiderte er sehr leise. Dann ließ er sie los. Für einen Moment
sah er sie an, dann setzte er seine Mütze wieder auf den Kopf, drehte sich um
und ging auf die Tür zu dem wartenden Flugzeug zu. Dort hielt er inne und blickte
zu ihr zurück. "Dana - hat Mom dich gebeten, mich herzufahren?" Und
sie sah die Zweifel in seinen Augen.
Nachdrücklich schüttelte
sie den Kopf. "Das war meine Idee," antwortete sie.
Bill nickte und winkte ihr
zu, dann drehte er sich um und ging an Bord, seine Haltung stark und perfekt.
Er blickte nicht noch einmal zurück.
ENDE "And Death Shall
Have No Dominion" Teil 1/6
Tod Ohne Herrschaft -
Kapitel 5-10
(Originaltitel: And Death Shall Have No Dominion)
von Jean Helms
aus dem Englischen
übersetzt von Sylvie < aktex_sm@hotmail.com
>
Es gibt Hunderte Plätze,
vor denen ich mich fürchte hinzugehen - so angefüllt mit der Erinnerung an ihn.
Und einen stillen Platz mit
Erleichterung betretend, den seine Schuhe nie berührten oder der sein Gesicht
nie sah, sage ich ‚Hier gibt es keine Erinnerung an ihn!" und so
heimgesucht der Standort, so viele Erinnerungen an ihn.
‚Zeit bringt
keine Erleichterung'
Edna St. Vincent Millay
Kapitel 5
J.
Montag, 2. Januar
8:15 a.m.
Scully konnte sich an
keine Zeit erinnern, wo sie sich so gefürchtet hatte, zur Arbeit zu kommen. Es
war alles so seltsam, weil es zuerst alles so vertraut war. Gestern Abend war sie in ihr Apartment in
Georgetown zurückgekehrt, hatte ihren überquellenden Briefkasten geleert und
ihren Anrufbeantworter abgehört - zwei Nachrichten, eine von Byers aus dem Büro
der Lone Gunmen, der ihr sein Mitgefühl wegen ihrer Verletzungen aussprach und
sie bat, anzurufen; die andere war falsch verbunden.
Nur zwei Nachrichten in
zwei Wochen, dachte sie. Ich bin wirklich von der ganzen Welt abgeschnitten.
Ich kann mich erinnern, dass ich mal soviel in zwei Stunden hatte. Das war
vorher, als es andere Menschen als Fox Mulder in meinem Leben gegeben hat,
dachte sie. Jetzt gibt es niemanden. Meine anderen Freunde waren es leid, dass
ich jede Verabredung abgesagt habe, dass sie mich nie am Telefon erreichen
konnten, dass mein Handy ständig klingelte bei den seltenen Gelegenheiten, an
denen ich es geschafft habe, so etwas wie ein Privatleben zu führen.
Und schließlich zogen sie
sich ganz zurück und die einzigen telefonischen Nachrichten, die ich hatte,
waren von ihm oder meiner Familie. Nun ist er fort. Sie packte ihren Koffer aus, sah in den
Kühlschrank und fand nichts, was sie essen könnte, bestellte sich eine Pizza
und schnitt eine Grimasse, als sie erkannte, dass ihr nächster Impuls war,
Mulder anzurufen und ihn zu fragen, ob er ihr Gesellschaft leisten wollte.
Dana dachte darüber nach,
den Anruf von Byers zu beantworten, aber sie war noch nicht bereit, darüber zu
sprechen, nicht einmal mit den drei seltsamen Junggesellen, die Mulders einzige
wirkliche Freunde waren. Sie würden das meiste sowieso herausfinden, auch ohne
ihre Hilfe.
Als die Pizza kam,
schaltete sie den Fernseher ein, suchte nach irgendetwas sicherem zum Ansehen,
etwas, das sie nicht an irgendetwas erinnerte, was sie verloren hatte.
Schließlich blieb sie bei einer Werbesendung mit dem Titel ‚Haarclub
für Männer' hängen.
Es schien sicher genug zu
sein, Mulder hatte seine Haare noch, also konnte es sie nicht an ihn
erinnern... obwohl sein Haaransatz vielleicht nicht mehr da war, wo er gewesen
war, als sie Partner wurden. Aber er war 37 Jahre alt, am 13. Oktober 38, und das passierte bei Männern
seines Alters. Aber sein Haar war immer noch dicht und es ist so weich und
dunkel... okay, vielleicht ein paar graue Strähnen, aber er verdiente sie...
dennoch ist es seidig und es fühlt sich so gut an unter meinen Fingern... ich
erinnere mich daran, wie es sich angefühlt hat, als ich ihn gehalten habe und
meine Hand an seinem Nacken lag, wo die Haare kürzer sind... ich weiß, er
mochte das...
Die Erinnerungen trafen
sie wie ein körperlicher Schlag. Zitternd fuhr sie senkrecht hoch. Es lohnte
sich nicht. Sie war allein, zum ersten Mal seit Jahren wirklich allein. Die
Erinnerungen kamen. Da war weder Mom, noch Bill, noch ihr geliebter Neffe, um
sie abzulenken, noch war Arbeit zu erledigen - nichts als dieser mächtige,
beinahe unbegreifliche Verlust ihres Partners, ihres besten Freundes - ihres
Geliebten. Ja, das auch, auch wenn sie sich nie geliebt hatten. Jetzt konnte sie es zugeben.
Natürlich kannst du das,
Dana, erkannte sie. Du kannst es immer zugeben, wenn es zu spät ist, nicht
wahr? Eines Tages wirst du vielleicht jemandem erzählen, dass du ihn liebst,
wenn er noch bei dir ist. Die plötzliche Einsicht tat weh, aber sie konnte es
nicht leugnen. Mulder geht hinaus? Sag ihm, dass du ihn liebst, biete ihm
deinen Körper an. Bill eilt auf See, in irgendwelche Schwierigkeiten? Umarme ihn fest. Dad ist tot? Geh los und
finde einen psychopatischen Killer, der behauptet, er kann die Antwort auf eine
Frage kanalisieren, die du nie gestellt hast, solange Dad noch lebte.
Warte lange genug und du
kannst deine Verteidigung niederlegen, weil diese Menschen später nicht mehr
dasein werden, um mehr zu verlangen. Du fühlst dich so selbstgefällig, weil du
deine Gefühle herauslässt und sie können sie nicht dazu benutzen, in deinen
Panzer einzudringen. Du hast deinen Keks und du isst ihn auch.
Du bist ein Feigling,
sagte sie sich, und für dieses eine Mal klang das Wort wahr. Nein, das bin ich
nicht. Ich will kein Feigling sein. Sie sah ihre Waffe und ihren FBI-Ausweis
an, die vor ihr auf dem Couchtisch lagen. Das beweist nicht, dass du kein
Feigling bist, sagte sie sich. Die Waffe, der Ausweis - sie geben dir ein
Image, hinter dem du dich versteckst. Nimm sie fort - wie es jemand in Mobile
getan hat - und du bist nichts, gar nichts. Nicht ohne jemanden, der dich
beschützt.
Sie schauderte wieder, als
das Bild wiederkam, ihr Gesicht angstverzerrt und gerötet von der Anstrengung
zu atmen, als der dicke Schlamm ihre Augen und ihre Nase und ihre Lungen
füllte... es wäre auch passiert, wenn er sie nicht gerettet hätte. Aber jetzt
war Mulder gegangen und sie hatte immer noch ihren Job. Würde sie jemals wieder in den Einsatz gehen,
sogar mit einem neuen Partner? Würde sie
sich jemals wieder sicher fühlen? Nein. Niemand würde sein Leben so für sie
aufs Spiel setzen, wie er es getan hatte. Niemand. "Mulder, ich weiß nicht, ob ich das ohne
dich tun kann," hatte sie in die Dunkelheit geflüstert, als ob er es hören
konnte. "Ich weiß nicht einmal, ob ich es versuchen will..." Sie zog
ihre Beine an, legte ihre Arme darum und umarmte sich selbst fest, als ihre
Tränen kamen, bis sie schließlich einschlief. Gegen drei Uhr früh hörte sie ihr Telefon
klingeln und erwachte, sprang vom Sofa und packte den Hörer, sicher dass es
Mulder war, der sie anrief. Das war exakt die Zeit in der Nacht, zu der er am
liebsten anrief. Sie presste den Hörer
eifrig ans Ohr, aber alles was sie hörte, war das Freizeichen. Er hatte sie
nicht angerufen; sie hatte es nur geträumt. Es war nicht er. Und er würde es
nie wieder sein; niemals wieder.
~~~~~
Nun ging sie die
vertrauten Korridore des Hoover Buildings entlang und betrat das Großraumbüro,
im Geiste all die Dinge zusammentragend, die dieselben waren und die Dinge, die
sich verändert hatten. Von den letzteren gab es nicht genug, dachte sie; da
hätten ein paar äußerliche Veränderungen sein sollen, die das völlige
Durcheinander in ihrem Leben kennzeichneten. Die Dinge sollten nicht so gleich
aussehen.
Aber sie taten es. Die Nachrichtenbretter,
die Korridore, die Wände, die Telefone, ihr Schreibtisch... aber der war
anders. Da lag eine Notiz unter ihrer Kaffeetasse. Scully nahm die Tasse hoch
und sammelte die klebrige Notiz auf. Es war Mulders Handschrift. Sie hatte
gewusst, dass es so sein würde. Dana, verzeih
mir, dass ich diesen Weg ohne dich gehe, es ist nicht das, was ich vorgezogen
habe zu tun.
Aber ich muss wissen, dass
du da bist,
wenn ich das jemals
verstehen werde.
Ich liebe dich, G-woman,
Immer.
Fox
Oh Mulder, dachte sie,
ihre Augen tränenblind, wie konntest du dich nur daran erinnern, was ich in
diesem Tagebuch geschrieben habe? Und warum unterschreibst du das hier mit dem
Namen, den du mich nie hast benutzen lassen? Ich wusste immer, das du lügst,
wenn du sagtest, dass dich niemand Fox nennt. Ich mache mir keine Gedanken um
den Namen, nur um die Lüge. Warum versuchst du es nun zurückzunehmen?
Aber die Antwort war ihr
bereits klar: Er hatte seinen Vornamen aus demselben Grunde benutzt, wie er die
Nachricht offen auf dem Schreibtisch liegengelassen hatte. Die Zeit der
Täuschung war vorbei; er liebte sie und es war ihm egal, wer es wusste.
Irgendwie tat es dadurch nur noch mehr weh. Scully stand einen Augenblick da, an den
Schreibtisch als Stütze gelehnt, und wartete, bis sie glaubte, ruhig erscheinen
zu können. Als sie sich sicher war, dass ihr Gesicht sie nicht verraten würde,
nahm sie den Zettel vom Schreitisch, steckte ihn in die Jackentasche und ging
aus dem Großraumbüro fort und fort aus dem Teil ihres Lebens, der sich hier
abgespielt hatte, für immer.
~~~~~
Assistant Director Walter S. Skinners Büro
8:26 a.m.
"Kommen Sie herein,
Agent Scully," forderte Skinner sie auf und öffnete die Tür zu seinem Vorzimmer.
Scully trat ein und setzte sich auf ihren gewohnten Platz vor Skinners
Schreibtisch.
"Sir, ich weiß es zu
schätzen, dass Sie zugestimmt haben, mich zu sehen," begann sie. "Es
gibt... ein paar Dinge, die ich gern mit Ihnen bereden würde, bevor ich an die
Arbeit zurückkehre."
"Worüber wollten Sie
sprechen, Agent Scully?" fragte Skinner und setzte sich in seinen Sessel.
"Über meine
Zuteilung," antwortete Scully. "Ursprünglich war ich den X-Akten zugeteilt
worden, um Agent Mulders Untersuchungen zu unterstützen. Wir haben, wie Sie
wissen, auch nach unserer Versetzung zusammengearbeitet. Nachdem er hier nicht
länger zugeteilt ist, habe ich gehofft, nach Quantico zurückkehren zu können,
um wieder das zu tun, wofür ich ursprünglich ausgebildet wurde." "Ich
bin mir dessen nicht bewusst, dass sie im Moment in Quantico einen Ausbilder
für Gerichtsmedizin brauchen, Agent Scully," sagte Skinner. "Ich kann
keinen Vorteil für das Büro erkennen, Sie irgendwo anders hinzuschicken." Scully
atmete tief ein und sah auf ihre Hände herab. "Sir," bemerkte sie,
ohne ihn anzusehen. "Ich bin in das Großraumbüro gegangen, ohne mich zu
beschweren, weil Agent Mulder dort war und weil er mein Partner war und weil er
weiterhin mit mir arbeiten wollte. Aber das ist nicht die Arbeit, für die ich
ausgebildet wurde; ein Pathologe ist von sehr geringem Nutzen in einem
Großraumbüro." Skinner runzelte die Stirn und klopfte mit dem Bleistift
auf den Schreibtisch. "Agent
Scully, ich bin mir dessen bewusst, dass Sie und Agent Mulder eine sehr enge
Arbeitsbeziehung entwickelt haben, aber ich erwarte von Ihnen, dass Sie in der
Lage sind, Ihren Job überall dort zu tun, wo man Sie zuteilt. Ob Agent Mulder
verfügbar ist, um mit Ihnen zu arbeiten, ist dabei kein Faktor. Ist das klar?"
"Absolut, Sir,"
antwortete Scully, Gesicht und Stimme beherrscht. "Jedoch," fuhr Skinner fort,
"stimme ich Ihrer Einschätzung zu, ich kann keinen Grund sehen, Sie noch
länger in dem Großraumbüro zu lassen." Er beugte sich nach vorn und nahm
ein Papier in die Hand, das auf seiner Schreibtischunterlage lag. "Wie es manchmal so geht, Agent Scully,
in Quantico ist eine Stelle frei für jemanden mit Ihrer Qualifikation. Es ist
nicht die Akademie," fügte er rasch hinzu. "Die offene Stelle ist in
der NCAVC, einer gerichtsmedizinischen Spezialabteilung des VICAP."
"VICAP?" fragte
Scully.
Das Programm zur Erfassung
von Gewaltverbrechen war die Erfindung eines Kriminalbeamten aus Los Angeles,
der ein ganzes Jahr damit zugebracht hatte, das Land nach einem Verbrechen
abzusuchen, das dem ähnelte, das er gerade untersuchte. Der Kriminalbeamte,
Pierce Brooks, hatte die Idee gehabt, ein landesweites computergestütztes
Netzwerk zu schaffen, um die Spuren in Tausenden ungelöster Kriminalfälle zu
vergleichen und zur Verfügung zu stellen. Die VICAP-Gruppe hatte, trotz chronischer
ernsthafter Unterfinanzierung bewiesen, dass sie ein vernichtendes Werkzeug
gegen Serienkiller war, lediglich unterstützt durch das Programm zur
Erforschung der kriminellen Persönlichkeit. Beide waren Teil des NCAVC, des Nationalen
Zentrums zur Analyse von Gewaltverbrechen, einem Ableger der
Verhaltensforschung.
Es war in gewisser Weise
ein Bombenjob, beliebt bei der örtlichen Justizbehörde
und gemocht von der
Öffentlichkeit. Innerhalb des Büros jedoch wurde die
‚Psychogruppe'
oftmals nur als ein bisschen weniger seltsam als die X-Akten
angesehen.
Das zu wissen, war mehr
als genug, um Scully zögern zu lassen. "Sir, ich habe nie zuvor auf diesem
Gebiet gearbeitet. Ich weiß nichts über..." Skinner unterbrach sie.
"Agent Scully, in den letzten sechs Jahren waren Sie in eine Reihe von
Untersuchungen von Gewaltverbrechen ungewöhnlicher Natur involviert. Sie haben
Seminare zu Theorie und Methode von Beweissammlung und Analyse abgehalten. Ich
glaube, Sie sind einmalig qualifiziert, diesen Posten auszufüllen."
Scully atmete langsam aus.
Sie wollte anfangen zu sprechen, aber stattdessen schloss sie den Mund wieder
und richtete ihren Blick voller Zweifel auf den stellvertretenden Direktor.
"Wenn Sie an dieser
Aufgabe nicht interessiert sind, ist da immer noch das HCPU," meinte
Skinner. "Sie sind knapp mit Ärzten." Die Abteilung für das
Gesundheitsvorsorgeprogramm? Er musste Witze machen. Sollte sie ihre Tage damit verbringen, den
Rest des Büros zu impfen und Cholesterinproben von ihnen zu nehmen oder ihre
Schnittverletzungen zu bandagieren?
"Sir, wenn ich mich
nicht täusche, ist VICAP-Arzt keine Sache für einen Spezialagenten," sagte
sie vorsichtig. "Wollen Sie mir vorschlagen, dass ich meinen Ausweis
zurückgeben sollte?"
"Nein, das will ich
nicht. Aber ich habe irgendwie den deutlichen Eindruck, dass Sie vielleicht im
Moment gar keine Agentin mehr sein wollen. Möglicherweise fühlen Sie sich nicht
in der Lage dazu."
"Es geht mir gut,
Sir," antwortete sie. "Aber ich bin im Moment wirklich nicht daran
interessiert, als Medizinerin zu arbeiten, weder innerhalb noch außerhalb des
FBI. Ich bin Agentin und ich beabsichtige, das zu bleiben. Ich stehe auf dem Standpunkt,
dass das immer noch eine Option ist." "An diesem Punkt liegt es
vollkommen an Ihnen, Agent Scully," meinte Skinner und sie spürte seine
Besorgnis über sie, tiefe Besorgnis. "Aber Sie haben erst kürzlich
ziemliche Qualen durchgemacht und haben eine Partnerschaft beendet, die wahrscheinlich
die engste war, die ich jemals in all meinen Jahren beim FBI erlebt habe. Ich
bin nicht unglücklich über Ihre Ausführung und ich verstehe Ihre Gründe für
eine Versetzung, aber Sie müssen das nicht sofort entscheiden. Die Stelle beim VICAP wird auch noch in ein
oder zwei Tagen zu haben sein." Scully schüttelte den Kopf. "Danke
Sir, aber ich muss nicht mehr darüber nachdenken. Ich würde es als eine Ehre
ansehen, wenn Sie mich dem NCAVC zuteilen würden. Ich bin jederzeit bereit,
mich dort zu melden." Skinner lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück
und betrachtete sie einen langen Augenblick. "Sehr gut, Agent
Scully," meinte er. "Holen Sie Ihre persönlichen Dinge aus Ihrem
derzeitigen Büro und melden Sie sich heute Nachmittag bei SAC Michael Rolfe vom
VICAP."
"Jawohl, Sir. Danke,
Sir," erwiderte Scully und erhob sich von ihrem Stuhl.
"Kann ich jetzt
gehen?"
"Eins noch,"
sagte Skinner.
"Sir?"
Skinner zögerte; Scully
wusste, warum. Er hatte diesen Ausdruck im Gesicht, der besagte, dass er etwas
fragen wollte, was technisch gesehen nicht sein Job war. Sie straffte sich.
"Agent Scully,"
sagte er langsam, als würde er seine Worte mit großem Bedacht wählen. "Als
Sie heute Morgen um ein Treffen baten, war ich darauf vorbereitet, dass Sie
mich danach fragen würden, wohin Agent Mulder versetzt wurde. Sie haben es
nicht getan."
"Nein, Sir,"
antwortete Scully. Bleib ruhig, sagte sie sich.
"Darf ich fragen,
warum nicht?"
Sie begann zu sprechen,
spürte aber wieder den Kloß in ihrem Hals und hielt inne, schloss die Augen und
kämpfte um Kontrolle. Atme, Dana, dachte sie. Du wirst nicht im Büro des
stellvertretenden Direktors weinen. Als sie ihre Augen öffnete, sah Skinner sie
immer noch an, wartete auf ihre Antwort und sie segnete ihn dafür, dass er sie
nicht bedrängte, dass er ihr die Zeit gab, die sie brauchte.
"Er bat mich, es
nicht zu tun, Sir" erklärte sie mit einiger Anstrengung.
"Und Sie haben ihm
gegenüber immer Ihr Wort gehalten." Es war keine Frage.
Scully nickte, unfähig
ihrer Stimme zu trauen.
Skinner verlängerte ihre
Agonie nicht. "Das wäre alles, Agent Scully," sagte er.
"Schließen Sie die
Tür hinter sich."
~~~~~
Nationales Zentrum für die
Analyse von Gewaltverbrechen Marinekasernen, Quantico, Virginia 1:10 p.m.
SSA Rolfe war nicht da,
als sich Scully im VICAP-Büro meldete, und seinem Assistenten, SSA Andrew
Kennedy, einem Schwarzen mittleren Alters zufolge, wurde Rolfe auch nicht vor
zwei Uhr nachmittags zurück erwartet. "Sehen
Sie sich um, nehmen Sie die Atmosphäre in sich auf," sagte Kennedy.
"Ist schon eine Weile her, seit Sie hier waren, oder?" "Nicht so
lange, Sir," erwiderte Scully. "Ich war einige Jahre als Lehrerin für
Gerichtsmedizin hier."
"Mmm," machte
Kennedy. Er schien beeindruckt. "Wo waren Sie danach?" "AD
Skinners Mitarbeiterin," antwortete sie rasch und fühlte sich augenblicklich
schuldig. Es ist nicht so, dass ich mich wegen der X-Akten oder wegen Mulder schäme,
sagte sie sich. Ihr war nur nicht danach, jetzt darauf einzugehen, das war
alles. Ihre neuen Kollegen würden es früh genug herausfinden. Kennedy jedoch stellte entweder keine
Verbindung her oder zog es vor, sie zu ignorieren. "Skinner ist ein guter
Mann," meinte er. "Kommen Sie in einer Stunde wieder, der Boss wird
mit Ihnen reden wollen.
"Ja Sir,"
entgegnete Scully und verließ rasch das Büro. In den nächsten 45 Minuten wanderte Scully in
Quantico umher, beobachtete aus der Distanz die Auszubildenden, die ihre Runden
durch die Hogangasse drehten, der Attrappenstadt, wo die Trainingssimulationen
stattfanden. Sie erinnerte sich an eine besonders teuflische Situation, die
sich ihre Ausbilder für ihre Akademieklasse ausgedacht hatten, in der einer der
Ausbilder den Part des Bankräubers spielte, der Geiseln genommen hatte. Die Augen des Ausbilders hatten teuflisch
geglänzt, als ein Auszubildender nach dem anderen bei der Übung durchfiel,
entweder sich selbst oder die angeblichen Geiseln umbrachte, und Scully hatte
ängstlich darauf gewartet, dass sie dran war und darum gebetet, dass sie nicht
dieselben Fehler machen würde - oder noch schlimmere.
Und dann war sie dran. Sie
war hoch erhobenen Hauptes in das Gebäude gegangen, als ob sie vollkommen
zuversichtlich wäre. Kühl und effizient hatte sie all die richtigen Schritte
getan, genau wie sie im Buch standen, und sie löste die Situation exakt wie es
von ihr erwartet wurde, ohne einen einzigen Fehltritt. An diesem Tag hatte sie
die höchste Punktzahl in der Klasse. Natürlich
erinnerte sich niemand daran. Keiner erzählte Geschichten von Dana Scullys
brillanter Lösung der Geiselsituation in der Hogangasse, während Mulders Reaktion
auf dieselbe Situation eine Akademielegende geworden war. Sie hatte die Geschichte selbst gehört, kurz
vor dem Ende ihrer Ausbildung.
‚Spooky' Mulder,
hatten sie ihr erzählt, hatte begonnen, mit absolut normaler
Stimme auf den
Ausbilder/Geiselnehmer einzureden, all die empfohlenen Fragen zu stellen und
all die richtigen Äußerungen zu machen, um eine Beziehung zu dem Mann
herzustellen.
Irgendwie waren Mulders
Fragen Stück für Stück vom Manuskript abgewichen,
anstatt die fiktive
Biographie tiefer zu erforschen, mit der ihn der
‚Geiselnehmer'
fütterte, drang er in das Privatleben der realen Person ein und
bohrte sich mit jeder
Frage weiter in die tiefsten Geheimnisse des Ausbilders. In sehr kurzer Zeit wurden die Fragen so
persönlich und peinlich - tödlich genau - dass der Ausbilder augenscheinlich
vergaß, dass er spielerisch agieren sollte; mit einem Wutschrei war er von
seinem Stuhl gesprungen und Mulder an die Kehle gegangen. Auf diesen Moment
hatte Mulder gewartet; wie der Blitz, sagten sie, lag der Ausbilder mit dem
Gesicht auf dem Boden, entwaffnet und in Handschellen. Dies war das erste Mal, dass jemand vom FBI
Zeuge von Mulders unheimlichem Instinkt geworden war. Angeblich war es dieser
Zwischenfall gewesen, der ihm den Spitznamen ‚Spooky' eingebracht
hatte.
Während ihrer Zeit als
Mulders Partnerin hatte Scully ein Dutzend verschiedener Versionen dieser
Geschichte gehört, und verschiedene andere, die alle behaupteten, das wahre
Original des Spitznamens zu sein. Dennoch wusste sie nicht, welche davon die
Wahrheit war, und sie hatte ihn gefragt, kurz nachdem sie den X-Akten zugeteilt
worden war. "Beten Sie darum, dass Sie es nie herausfinden, Scully,"
hatte er geantwortet und boshaft mit den Augenbrauen gewackelt. Darüber hatte
sie gelacht und er hatte ihr mit der Hand auf die Schulter geklopft und sich
über den Scherz genauso amüsiert wie sie. Nun zurückblickend konnte sie es als ein
frühes Zeichen dafür erkennen, wie sie sich für ihren Partner erwärmte, lernte
seine Gesellschaft in einer Weise zu genießen, wie sie es nie erwartet hatte.
Ein Schrei aus der Hogangasse brachte ihre Gedanken zurück in die Gegenwart und
sie erkannte, dass sie es wieder getan hatte. Sie war noch nicht einmal eine
Stunde hier und alles was sie tat, war an Mulder zu denken.
Gut, Dana, dachte sie. Du
lebst dein Leben wirklich weiter. Sehr gut. Aber das war das Problem; es tat wirklich gut,
so an ihn zu denken, sich an das Lachen und die Wärme ihrer Freundschaft zu
erinnern. Die Nähe, die sie später entwickelt hatten, nach ihrer Entführung,
war auf ihre eigene Art wunderbar gewesen, aber irgendwo auf ihrem Weg hatten
sie vergessen, wie man gemeinsam lacht. War es vorher einfacher gewesen, mit
ihm zusammenzuarbeiten, als er sich noch nicht so sorgte? fragte sie sich
verwirrt. Ich glaube, das war es vielleicht, aber ich kann mich einfach nicht
erinnern. Vielleicht auch nicht. Wie
seltsam, man sollte meinen, ich würde mich daran auf ewig erinnern. Sie sah auf ihre Uhr. Es wurde Zeit. Zeit
zurückzugehen und SSA Rolfe zu treffen.
~~~~~
Büro von SSA Michael Rolfe
2:03 p.m.
Michael Rolfe war, das
fand Scully schnell heraus, ein Muskeltyp, aber ein ziemlich verheirateter
Muskeltyp, dem Ring an seiner linken Hand nach zu urteilen. Dunkelbraunes Haar,
blaue Augen, nicht groß aber sehr muskulös. Gepflegter dunkelblauer Anzug, weißes Hemd,
marineblaue Krawatte mit einem Goldstreifen. Er sah aus wie um die vierzig,
obwohl das jung war, um die Verantwortung für eine Abteilung wie diese zu
haben. Er saß kerzengerade auf seinem Stuhl in exakter Haltung.
Der klassische
Karriereagent, dachte sie. Er dekoriert sogar die Pflicht. Stetig, gehorchend, den Regeln folgend. Aber
ich denke, diese alte weibliche Einschätzung trifft hier zu: er sieht gut aus,
sicher, aber er weiß es auch. "Nun,
Agent Scully," sagte Rolfe und nahm seine Lesebrille ab. "Sie haben
ohne Frage die akademischen Zeugnisse für diesen Job. Tatsächlich muss ich
sagen, Sie sind überqualifiziert; ein gerichtsmedizinischer Forscher kann
diesen Job erledigen. Man braucht dazu keinen Gerichtsmediziner." "Ich
habe nicht als Pathologin am Tisch gearbeitet, Sir," antwortete sie.
"Ich kann Autopsien durchführen als Teil der Untersuchungen, und ich habe
ein paar gemacht, aber ich glaube nicht, dass ich deshalb überqualifiziert bin,
nicht nach dem, was AD Skinner mir sagte."
"Ja, es ist mir
bekannt, dass Sie einige Jahre unter Skinner gearbeitet haben, aber Ihre Akte
sagt aus, dass diese Aufgabe geheim war," entgegnete Rolfe und betrachtete
sie mit einigen Interesse. "Welche Art von Arbeit haben Sie gemacht - ohne
zu sehr ins Detail zu gehen."
"Geheim?" fragte
sie mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen. "Mir wurde nie gesagt,
dass ich diese Aufgabe als geheim anzusehen habe, Sir." Und dann erkannte
sie ihren Fehler. Skinner hatte das in ihre Akte geschrieben, um ihr die
Möglichkeit eines Neuanfangs zu geben, ohne den Schatten der X-Akten auf ihrer
Karriere. Idiotisch, beschimpfte sie sich selbst. Das war idiotisch. Aber nun
war es zu spät.
"Wenn es keine
geheime Untersuchung ist, Agent Scully, dann würde ich gern wissen, was es
war," forderte Rolfe. "Ich muss mehr über Ihre Erfahrungen wissen. Wo
haben Sie gearbeitet?"
Für einen Moment schwieg
Scully.
"Agent Scully?"
fragte Rolfe, ein wenig schärfer. "Die
meiste Zeit in den letzten fünf Jahren war ich den X-Akten zugeteilt," antwortete
sie langsam. "Ich habe mit..."
"Fox Mulder
zusammengearbeitet," ergänzte Rolf langsam, die Lippen vor Empörung gekräuselt.
"Sie haben fünf Jahre lang paranormale Phänomene untersucht?" "Ja
Sir," erwiderte sie, ebenfalls langsam. Sie hatte die Verachtung in Rolfes
Stimme erkannt.
"Ich kann nicht
behaupten, dass ich vollkommen zufrieden damit bin, das zu hören."
"Warum nicht,
Sir?" fragte Scully.
"Die Frage ist
irgendwie nicht ganz aufrichtig, nicht wahr, Agent Scully?" meinte Rolfe
mit hochgezogenen Augenbrauen. "Ich persönlich halte die X-Akten für die
größte Zeit- und Mittelverschwendung beim FBI, die es jemals gab. Und ich bin
sicher, dass ich nicht erwähnen muss, dass ich nicht der einzige bin, der so
empfindet." Rolfe lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und zog nachdenklich
an seiner Unterlippe. Dann wandte er sich wieder Scully zu. "Agent Scully," sagte er langsam.
"Sie sollten eine gute Ergänzung des VICAP sein. Sie haben die Zeugnisse
und Ihre Zeit hier in Quantico spricht für Sie, aber Ihre - sollten wir sagen,
Ihre Berufsausbildung - in kriminalistischer Untersuchung lag in den Händen des
beim FBI am wenigstens achtbaren Agenten." "Sir, Agent
Mulder..."
"Ich glaube nicht,
dass es irgendetwas gibt, das Sie mir über Spooky Mulder erzählen können, Agent
Scully," erklärte Rolfe und sein Blick war kalt. "Ich habe drei Jahre
mit ihm zusammengearbeitet."
"In der
Verhaltensforschung?" fragte Scully. Rolfe nickte. "Sir, ich weiß,
dass Agent Mulder einige Jahre in der Verhaltensforschung gearbeitet hat, als Profiler
für kriminelle Persönlichkeiten. Aber ich habe das so verstanden, dass er dort
sehr geschätzt wurde."
"Das wurde er in der
Tat," meinte Rolfe und sein Widerwille war nicht zu übersehen.
"Mulder hatte ein Talent als Profiler, ein wirkliches Talent. Es steht
außer Frage, dass er intelligent und verständnisvoll ist. Aber er war immer ein
Wilder, vollkommen unberechenbar, anfällig für das Arbeiten nach Gefühl. Dass
sein Gefühl manchmal richtig war, ist unerheblich für mich. Ich ziehe es vor,
die Dinge nach den Regeln zu tun." Rolfe beugte sich nach vorn und seine
Augen bohrten sich in Scullys. "Lassen Sie mich das ganz klar sagen, Agent
Scully," sagte er. "Ich habe keine Angst davor, den Ruf des VICAP
dadurch zu beflecken, dass ich Mrs. Spooky als gerichtsmedizinische
Analytikerin anstelle."
Das traf einen Nerv. Rolfe
konnte das an der plötzlichen Anspannung in Scullys Unterkiefer erkennen. Aber
sie reagierte nicht. "Agent
Scully," fuhr Rolfe fort. "AD Skinner hat Sie hierher zugeteilt und
das bedeutet, dass Sie sowieso eine Weile hier sein werden, egal ob es mir
passt oder nicht. Wenn Sie mir zeigen können, dass Sie nicht vergessen haben,
wie man eine rechtmäßige Untersuchung durchführt, dann okay; dann werden wir
miteinander auskommen. Aber eines verspreche ich Ihnen: das erste Mal, wenn Sie
irgendetwas tun, auch nur einen Schritt, einen Vorschlag machen, von dem ich
auch nur annehme, dass er nicht auf den höchsten Prinzipien von
Gerichtsmedizin, Verbrechensbekämpfung und FBI-Regeln beruht, werden Sie sich
nach einer anderen Stelle umsehen müssen. Ich werde über Skinners Kopf hinweg
gehen, wenn es sein muss. Habe ich irgendetwas vergessen?"
"Nein, Sir,"
antwortete Scully in einem Ton, so ruhig sie konnte. "Sie haben sich
vollkommen klar ausgedrückt." Sonst sagte sie nichts, doch sie behielt ihren
Blick ruhig und zielstrebig genau auf Rolfe gerichtet. "Möchten Sie mir sonst noch irgendetwas
sagen?" fragte Rolfe und zog eine Augenbraue hoch.
"Nur fragen, wann und
wo ich mich einfinden soll, Sir," sagte sie und erhob sich von ihrem
Stuhl.
"Meldung bei SSA
Kennedy um 8.15 Uhr morgens," erklärte Rolfe. "Sehen Sie sich als in
der Probezeit befindlich an, Agent Scully. Kennedy wird angewiesen, eine Auge
auf Sie zu haben und direkt an mich zu berichten." "Ja, Sir,"
erwiderte Scully und zwang sich dazu, den Blick nicht zu senken.
"Kann ich jetzt
gehen?"
"Gehen Sie. Und seien
Sie darauf vorbereitet, dass das Leben eine Weile sehr viel anders wird, Agent
Scully." meinte Rolfe. "Sie müssen eine Menge vergessen."
Wenn Rolfe erwartet hatte,
dass seine letzten Worte dazu beitrugen, dass Scully ihre Beherrschung verlor,
dann hatte er sich geirrt. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht einen
Mikrometer, abgesehen davon vielleicht, dass ihre blauen Augen noch kälter und
distanzierter wurden. "Sir,"
grüßte sie und verließ das Büro.
Rolfe sah ihr hinterher,
dann lächelte er. Sieht nicht schlecht aus, dachte er. Ich habe gehört, dass sich Spooky ein
wirkliches Schätzchen als Partnerin geangelt hatte; sie sagten, sie würde für
ihn die Beine breit machen. Schwer zu glauben, bei beiden. Allerdings, wenn man
die Verantwortung hatte, dachte er, gab es immer Mittel und Wege, es dazu
kommen zu lassen. Eine Menge Wege.
~~~~~
Montevallo, Alabama
zwei Wochen später
3:46 p.m.
"Das ist das blanke
Chaos," sagte der junge Agent und sah sich an dem blutverschmierten Tatort
um.
"Ich hab schon
schlimmeres gesehen," entgegnete Mulder abwesend, während er sich niederbeugte,
um einen Blutspritzer zu untersuchen. Er stand im Wohnzimmer, das ehemals von
Crystal Shaw, 25, und Bryce, seit acht Monaten ihr Ehemann, bewohnt wurde. Mrs.
Shaw war tot, vor zwei Tagen mit einem Baseballschläger erschlagen. Ihr Mann erzählte der Polizei, dass er nach
Hause gekommen war und er sie mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden des
Wohnzimmers liegend gefunden hatte, ihr Kleid bis zur Taille hochgeschoben und
ihr Slip zu den Knien herabgezogen. Die Wohnung war durchsucht worden.
Der Baseballschläger
gehörte Shaw. Die Polizei von Montevallo hatte ihn im Abwaschbecken in der
Küche gefunden, augenscheinlich war er abgewaschen worden. Der Schauplatz wies eine gewisse Ähnlichkeit
mit einem Vergewaltigungsmord zwei Tage vorher in Mississippi auf - nicht viel,
aber genug für einen begeisterten Kleinstadtpolizisten, um sich auf die
Zuständigkeit des FBI für zwischenstaatliche Verbrechen zu berufen und um Hilfe
anzurufen. Prescott hatte Mulder
geschickt, zusammen mit Agent Dan Michaels, einem neuen Agenten frisch aus
Quantico. Das Distriktbüro in Birmingham war seine erste Zuteilung und dies war
sein erster Schauplatz eines Gewaltverbrechens. Im Moment, dachte Mulder, sah
der Kleine ein bisschen grün um die Nase aus und die Leiche war nicht mal mehr
hier.
"Alles in Ordnung,
Michaels?" fragte Mulder.
"Ja," antwortete
Michaels sich rechtfertigend. "Es ist nur ein bisschen warm hier
drin."
"Ja, das habe ich
bemerkt," meinte Mulder. Draußen waren um die null Grad und es blies ein
kalter Nordwind, aber er ließ es durchgehen. Er war selber einmal Anfänger
gewesen. Vor langer Zeit.
"Also, was denken
Sie, ist hier passiert?" fragte Mulder und richtete sich auf.
"Warum glauben Sie,
er hat es getan?"
"Warum?" fragte
Michaels. "Die Regierung muss sich nicht damit belasten, ein Motiv zu
nachzuweisen. Wieso ist es wichtig, warum?" "Wenn man keinen Verdächtigen
hat, ist es sehr wichtig," erklärte Mulder. "Wenn es zum Beispiel ein
Banküberfall ist, dann ist es offensichtlich. Man sucht nach jemandem, der Geld
braucht, eine Menge davon und schnell." "Das macht Sinn,"
stimmte Michaels zu.
"Aber hier," fuhr
Mulder fort. "Hier haben wir Einbruch, Vergewaltigung, Diebstahl und Mord
- vier gesonderte Ereignisse und für jedes eine andere Motivation. Wenn man
nicht herausbekommen kann, warum der Killer hierher kam, dann versteht man ihn
nie wirklich gut genug, um ihn zu finden. Also, sagen Sie mir, was Sie hier
sehen."
"Nun," sagte
Michaels und räusperte sich. "Der Tatort weist für mich darauf hin, dass
das beabsichtigte Verbrechen Einbruch und Diebstahl war und der Mord den Überfall
erleichtern sollte. Die Vergewaltigung war nur ein Verbrechen aus Gelegenheit.
Der Ehemann berichtete, dass ein paar Schmuckstücke seiner Frau fehlen und der
Täter war nicht bewaffnet, denn er hätte nicht den Baseballschläger benutzt,
wenn er es gewesen wäre." "Das scheint der Fall zu sein,"
erwiderte Mulder. "Dennoch, dieser Raum ist ein bisschen zu sauber für
dieses Szenario."
"Was meinen Sie mit
sauber? Es ist ein Chaos," sagte Michaels und sah sich um.
"Mein Gott, das
Gehirn der Lady überall an der Wand." "Nein, ich würde es als
Unordnung beschreiben," meinte Mulder und folgte Michaels' Blick.
"Wenn sie überhaupt viel miteinander gekämpft hätten, dann würde es hier
schlimmer aussehen. Und das Zeug an der Wand ist tatsächlich zum größten Teil
Blut, obwohl man ein bisschen Gewebe finden könnte, wenn man genau genug
hinsieht. Aber es gibt hier nichts, das auf einen größeren Kampf hinweist. Das wird auch durch die Mediziner bestätigt,
die keine Abwehrverletzungen an der Leiche gefunden haben."
"Die
Abwehrverletzungen könnten unmittelbar vor dem Tod entstanden sein," entgegnete
Michaels sicher. "Sie wären nicht zu sehen, wenn das Herz aufgehört hätte
zu schlagen, bevor sich Quetschungen bilden konnten." "Ich bin mir
nicht sicher, ob die Gerichtsmediziner Ihnen zustimmen würden, Michaels, aber
das ist nicht mein Gebiet," sagte Mulder. Denk nicht daran, wessen Gebiet
das ist, Mulder. Nicht jetzt. Mach nur deinen Job. "Haben Sie den Autopsiebericht
gelesen?" fragte er, eine Spur zu schnell, um seine Gedanken davon
abzuhalten, weiterzuwandern. "Ich...
ich, äh, hab ihn überflogen," erklärte Michaels. "Viele Verletzungen verursacht
durch stumpfe Gewalt am Kopf und im Gesicht." "Hmm, ja," sagte
Mulder. "Aber wenn Sie ihn genauer gelesen hätten, dann hätten Sie
gesehen, dass das Opfer einen hohen Blutalkoholgehalt hatte und dass es keinerlei
Spermaspuren an der Leiche oder ihren Sachen gegeben hat." "Vergewaltiger
ejakulieren nicht immer," hielt Michaels entgegen. "Sie haben aufgepasst in der Schule,
Michaels," meinte Mulder zustimmend. "Nein, das tun sie nicht. In der
Tat gibt es eine bestimmte Untergruppe bei Serienvergewaltigern, die es fast
nie tut. Aber in diesem Falle, glaube ich, dass das Fehlen von Spermaspuren auf
etwas anderes hindeutet. Irgendetwas stimmt nicht."
Mulder wurde still,
beinahe unbeweglich und starrte auf die Blutspritzer auf dem Boden. "Geben
Sie mir ein paar Minuten, Michaels," bat er. Er begann, im Haus umherzuwandern,
sah in die Schubladen, in die Schränke, blieb stehen, um die Fotographien von
der Leiche der erschlagenen Frau zu studieren. "Agent Mulder?" fragte Michaels,
nach mehr als 15 Minuten. Mulder blickte
durch ihn hindurch und antwortete nicht, er schien ihn nicht einmal zu sehen.
Michaels war entnervt. Er versuchte es nicht noch einmal. Nach ungefähr 30 Minuten unbehaglichen
Schweigens, hörte Mulder auf, umherzuwandern und starrte Michaels an. "Ich
bin doch ein Idiot," sagte er leise.
"Was?" fragte
Michaels. "Was heißt das?"
"Das heißt, dass der
Mörder seit zwei Tagen unter unserer Nase herumläuft," erklärte Mulder.
"Dieser Tatort ist nichts weiter als ein Bühnenbild, geschaffen von
jemandem, der uns glauben machen wollte, dass diese Frau überfallen und vergewaltigt
wurde. Aber das wurde sie nicht, das ist ein Mord und nichts weiter."
"Wie können Sie das
wissen?" fragte Michaels verblüfft. "Was ist mit den Schmuckstücken,
die verschwunden sind und den Sachen der Frau?" "Versuchen Sie sich
in das Verbrechen hineinzuversetzen, als es passiert, Michaels," forderte
Mulder ihn auf. "Stellen Sie sich vor, ich wäre der Killer; ich sitze mit
dem Opfer zusammen in diesem Raum und trinke mit ihr und wir fangen an zu
streiten. Wir hatten diesen Streit schon vorher und ich glaube, dass ich
explodieren werde, wenn sie nicht aufhört. Sie nörgelt ständig deswegen herum
und ich kann es keine Minute länger aushalten. Ich werde dieses Weibsstück zum
Schweigen bringen."
Mulders Blick hatte eine
lähmende Art von tierischer Schläue und Wut, während er die Gedanken des
Killers aussprach. Er versetzt sich tatsächlich in den Kopf dieses Typen,
dachte Michaels nervös. Ich hoffe, er kann zurück, bevor wir ins Auto steigen
müssen. "Ich gehe zum Schrank, um vielleicht nach einer Waffe zu gucken,"
fuhr Mulder fort, seine Stimme wurde leiser. "Sie ist weg; vielleicht hat
sie sie weggebracht oder sie versteckt sie, weil ich sie schon früher damit bedroht
habe, und das macht mich noch wütender. Also greife ich mir die nächstbeste
Waffe, die sich als Baseballschläger entpuppt. Ich gehe zurück in das
Wohnzimmer und beginne, ihr damit ins Gesicht zu schlagen, in dem Versuch, sie
zum Schweigen zu bringen. Ich schlage ihr den Schädel ein und dresche weiter auf
sie ein, bis sie zusammenbricht."
Mulder Stimme wurde zum
Flüstern. Er sah schockiert aus. "Und
dann erkenne ich, was ich getan habe," sagte er. "Ich weiß, sie
werden mich verdächtigen, also wasche ich den Schläger ab und versuche, meine
Fingerabdrücke abzuwischen. Dann gehe ich zurück, ziehe ihren Slip herunter und
schiebe ihr Kleid hoch, verwüste die Schubladen, spüle vielleicht ein paar
Wertsachen im Klo herunter, um es wie einen Diebstahl aussehen zu lassen."
"Oh, mein Gott," unterbrach ihn Michaels und katapultierte Mulder
zurück in die Realität. "Agent Mulder, das bedeutet, der Ehemann hat es
getan. Wenn es das ist, was passiert ist, dann konnte es kein anderer
sein." "Nein, das konnte es nicht," erwiderte Mulder, beinahe
gleichgültig. "Nicht in einer Million Jahren konnte es jemand anderes
sein." "Was machen wir jetzt?" fragte Michaels.
"Das ist der leichte
Teil," erklärte Mulder. "Nehmen Sie ihn fest und befragen Sie ihn.
Und Michaels, wenn Sie es tun, dann erzählen Sie ihm, dass Sie wissen, dass er
seine Hände gewaschen hat."
"Warum?"
"Tun Sie es einfach,
Michaels," sagte Mulder und rieb sich die Schläfen. Sein Kopf begann zu
schmerzen. Das tat er immer, hinterher. Nachts würde er seinen Kopf gegen die
Wand knallen. "Nehmen Sie einen Polizisten mit," fügte er hinzu. "Ich fahre zurück ins Büro. Rufen Sie
mich an, wenn Sie Hilfe bei der Vernehmung brauchen. Aber ich glaube nicht,
dass das nötig ist." Zwei Stunden später saß Mulder an seinem Schreibtisch
und schrieb seinen Bericht, als das Telefon klingelte. Es war Michaels. "Agent Mulder, der Typ hat gestanden,
"erzählte er aufgeregt. "Er ist gleich, nachdem ich ihm das mit dem
Händewaschen erzählt habe, zusammengeklappt. Es war unglaublich! Woher wussten
Sie, dass das funktionieren würde?" "Unschuld kann in umschriebenem
Sinne auch heißen, dass man kein Blut an den Händen hat," erklärte Mulder.
"Gehen Sie nach Hause und denken Sie darüber nach." Er legte den
Hörer auf.
Blutige Hände, dachte er.
Ihr Blut klebt an meinen Händen.
~~~~~~~~~~~~~
Der Blitz zuckt durch
meinen Schädel;
meine Augäpfel schmerzen
und schmerzen;
mein ganzes erschöpftes
Gehirn scheint wie enthauptet, und auf irgendeinem betäubenden Platz umherzurollen.
Moby Dick
Herman Melville
Kapitel 6
VICAP
Zwei Wochen später
7:18 p.m.
"Nun, wenn das nicht
Mrs. Spooky ist, die wieder lange arbeitet. Wollen Sie bis zur Hexenstunde
bleiben und auf Ihrem Besenstiel heimreiten, Scully? Oder wollen Sie ein UFO
mit kleinen grünen Männchen erwischen?" Scully blickte von ihren
VICAP-Berichten auf. Es war Lon Glassman, ein Agent ohne Besonderheiten
mittleren Alters, ein Möchtegern-Profiler und die arroganteste Person, mit der
sie jemals arbeiten musste, ohne Ausnahme. Glassman war fleischig und roh, hässlich, um
es perfekt deutlich zu machen. Aber es war die Hässlichkeit in ihm, die sie
sich schmutzig fühlen ließ, wenn sie nur in seiner Nähe war, und seine
schweißigen Hände hatten eine Art, sie ‚aus Versehen' zu berühren,
die sie ganz sicher krank machte. Ganz zu schweigen davon, dass er sich
permanent über die X-Akten lustig machte, und über Mulder. "Was gibt es, Glassman?" fragte sie
müde.
"Oh, ich wollte nur
die Zeit totschlagen," erwiderte Glassman und machte es sich auf der Ecke
ihres Schreibtischs bequem. "Was versuchen Sie da zu tun, ein besonderes
Bewachungsgespenst?"
"Glassman, wenn es
nichts gibt, worüber Sie mit mir reden müssen, dann gehen Sie einfach, okay?"
sagte sie verärgert. "Ich habe zu arbeiten." "Mann, ich versuche
nur freundlich zu Ihnen zu sein," antwortete Glassman kopfschüttelnd.
"Das lustige ist, als ich das erste Mal von Ihnen gehört habe, hieß es,
dass Sie wirklich freundlich sind, Sie und Spooky." "Ich werde das
nicht mit einer Erwiderung beehren," entgegnete Scully. "Bitte, gehen
Sie. Mir ist nicht nach Schwatzen zumute." In Wahrheit konnte Scully sich nicht
an das letzte Mal erinnern, wo sie irgendetwas gefühlt hatte - abgesehen von
taub, losgelöst, vollkommen ohne Verbindung zu sich selbst und zu allen um sie
herum. Abgesehen von den Malen, wo sie spürte, wie sie in reinen, unverfälschten
Terror versank, einem Terror, den sie weder erfassen noch erklären konnte, weil
im Vergleich zu den X-Akten das VICAP ein Spaziergang. Ihr Job bestand in erster Linie darin, die
Berichte zu studieren, die das VICAP von den örtlichen Justizbehörden
erreichten, die forensischen Analysen in jeder Richtung zu vergleichen,
versuchen zu bestimmen, ob die RFLP-Analyse der DNA des Blutes in einem Bereich
eine solide Verbindung zur PCR-Analyse der DNA des Sperma in einem anderen
ergab. Sie las endlos Autopsieberichte durch, studierte die Fotographien, die
während der Autopsie gemacht wurden, suchte nach Allgemeinheiten, deckte die
Mängel auf, verglich Zerstörungsmuster aus dem ganzen Land. Es war eine
ermüdende, schwierige Arbeit und wurde selten durch eine Verhaftung bezahlt.
Aber ihren Job zu
erledigen wurde schwerer mit jedem Tag, der verging. Nicht dass sie sich
darüber sonderlich sorgte. Neuerdings, fand sie, sorgte sie sich nicht
sonderlich um irgendetwas. Sie war so sehr in sich gekehrt, wie sie es immer
gewesen war; nicht ihre übliche verschlossene Zurückhaltung, sondern eine hohe
Nervosität, die sie sich unbewachter und unsicherer fühlen ließ als je zuvor.
Sie zuckte bei jedem Geräusch zusammen und war unerträglich irritiert, wenn das
Telefon klingelte. Das Geräusch von jemandem, der einen Gummi schnipsen ließ
oder mit dem Bleistift klopfte, machte sie wild. Aber sie war immer noch Dana Scully und sie
war immer noch allein und so verschloss sie alles und behielt es für sich.
Der Druck von Rolfe war
konstant. Seine Verachtung für sie schien zu einem ausgewachsenen Hass geworden
zu sein und er machte ihr ihr Arbeitsleben zu einem permanenten Kampf. Nichts,
was sie tat, war jemals gut genug, nicht einmal in diesen seltenen Zeiten, in
denen eine Verbindung bewiesen werden konnte zwischen weitentfernten
Verbrechen, oder in den noch selteneren Zeiten, wenn ihre Arbeit zu einer
Verhaftung führte.
Im Gegensatz zu Rolfes
Prophezeiung schaffte sie es, beim VICAP auszuhalten, aber es war ein teurer
Sieg, erreicht um den Preis ständiger Wachsamkeit. Rolfes adleräugiger Argwohn
ihr gegenüber war nicht hilfreich. Jeder Bericht, jede Analyse musste perfekt
sein, nicht einfach nur gut, sondern so perfekt, dass niemand jemals einen
Fehler darin finden konnte, weil Rolfe es sonst tun würde. Sie begann, das zu hassen und wollte
verzweifelt einen Weg heraus aus dem Job finden, den sie früher geliebt hatte,
und von dem sie dennoch unfähig war, gänzlich loszulassen. Sie überprüfte ihre
Arbeit zwei- und dreimal, dann lag sie wach und fragte sich, was sie vermisste.
Dies war der Job, weswegen sie ihre Familie verletzt hatte, der Job, auf den
sie einmal so stolz gewesen war. Nun war alles reduziert auf einen Kampf tagein
tagaus, nicht zu versagen, nicht aufzugeben, niemanden ihre Tränen sehen zu lassen.
Sie litt unter Schlaflosigkeit, lebte
von Junkfood und Kaffee, ihre Gefühle auf einer Achterbahn zwischen Anspannung
und Wut. Ihre körperlichen Wunden heilten, aber für jeden, der sie kannte, sah
Scully schwächer und verwundeter aus als an dem Tag, an dem sie Mobile
verlassen hatte.
Nacht für Nacht, wenn sie
mit ihrer Arbeit kämpfte, versuchte sie sich vorzustellen, wie Mulder damit
umgegangen wäre. Sie wünschte, sie könnte ihn anrufen, sei es nur, um seine
fachmännische Meinung zu einer
Untersuchung zu hören. Sie hatte immer gewusst, dass er gut darin war, aber
nun, nachdem sie mit Agenten zusammenarbeitete, die das taten, was er früher
getan hatte, sah sie, klarer als je zuvor, wie gut er wirklich war. Es gab
einfach niemanden, der besser war.
Aber sie hatte ihm ein
Versprechen gegeben und sie würde dieses Versprechen nicht brechen, nicht
einmal aus rein beruflichen Gründen. Und es würde niemals wieder rein beruflich
zwischen ihnen sein, wenn es das jemals gewesen war. Und, dachte sie, ich habe
immer noch ein wenig Stolz. Ich werde ihn nicht anflehen, wieder mit mir
zusammenzuarbeiten.
Und so kämpfte sie allein.
Es gab ein paar kleine
Triumphe, die sie gelernt hatte, zu speichern als Teil ihrer Verteidigung gegen
die Antipathie Rolfes und des restlichen VICAP-Teams. Vor allem schien SSA Kennedy sie aufrichtig zu
mögen, oder wenigstens behandelte er sie nicht anders als die anderen Agenten.
Aber er war ein Schwarzer und sie war eine Frau in einem Büro, in dem 85
Prozent der rund 11.000 Agenten weiß und männlich waren. Sie hatten beide
zweimal so hart zu arbeiten, um halb so gut zu sein. Sie waren Überlebende in
demselben Rettungsboot, dachte sie, Insassen im selben Flüchtlingslager.
Und Kennedy war der einzige.
Der Rest des VICAP-Teams war über ihre Anwesenheit klar verbittert und tat
alles, um ihr das Leben schwer zu machen. Es machte ihr zu schaffen. Ihre
Versuche, sich zu wehren, hatten sie nirgendwo hingeführt. Sie war sich
vollkommen sicher, dass die VICAP-Agenten sie nicht töten lassen würden, wenn
sie es könnten - das würde zu weit führen - aber irgendetwas in der Art, und
sie würde sich auf keine Rückendeckung irgendwelcher Art verlassen. Zum Glück für sie konnte sie mit allem, was
sie ihr zuwarfen, so weit umgehen, dass sie sogar den schaurigsten Tatorten und
den scheußlichsten verstümmelten Leichen mit Gelassenheit begegnete. Daraus zog
sie eine grimmige Befriedigung und sie wusste, dass einige ihrer angeblichen
Kollegen deswegen enttäuscht waren. Besonders Glassman.
In der ersten Woche, in
der sie hier war, hatte er Dutzende von Fotographien auf ihren Schreibtisch
geschmettert, Tatortfotos von Verstümmelungen und sie hatte sie mit
antrainiertem Selbstbewusstsein durchgesehen. Sie wusste, dass er gehofft
hatte, sie zusammenbrechen, schreien, sich übergeben, ohnmächtig werden oder
weinen zu sehen.
Nicht sie. Die
Fotographien erschreckten sie, aber sie hatte schlimmere Dinge gesehen, ohne
irgendetwas nach außen hin zu zeigen. VICAP-Fälle, so schlimm sie auch waren,
waren nicht einmal ansatzweise vergleichbar mit dem, was sie bereits gesehen
hatte.
Mach eine Autopsie an
einem Mann, der von einem prähistorischen, außerirdischen Virus heimgesucht
wurde, dachte sie. Geh mit dem Plattwurmmann in die Kanalisation. Iß ein
Leberwurst-Sandwich mit Eugene Tooms. Sammle eine wurmzerfressene, kopflose
Leiche mitten im Hochsommer in einem Gefängnis in Florida ein. Beobachte, wie
die verdammten F. emasculata auf dem Gesicht eines toten Mannes kochen,
aufbrechen und eine Seuche ausspeien, die einen innerhalb von Stunden umbringen
kann. Dann komm wieder und sag mir, dass diese Leichen das schlimmste sind, was
du je gesehen hast.
Aber Glassman piesackte
sie immer noch, versuchte, ihr unter die Haut zu gehen aus Gründen, die sie
nicht ergründen konnte. Sie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich wissen
wollte. Sie wollte nur, dass er sie allein ließ, er und alle anderen, und sie
taten es nicht. Wie jetzt, als er auf ihrem Schreibtisch saß und immer näher
rückte.
"Hey, Scully,"
sagte er mit einem wissenden Lächeln. "Verraten Sie mir etwas.
Ist es wahr, dass der gute
alte Spooky ins Bett pinkelt?" "Nicht dass ich wüsste,
Glassman," antwortete sie müde. "Würden Sie bitte von meinem
Schreibtisch herunterkommen? Ich habe Arbeit zu erledigen." "Warum
haben Sie beide sich getrennt?" fuhr er fort, ihre Bitte ignorierend.
"Konflikt zwischen
Liebenden?"
"Ich werde das nicht
mir Ihnen diskutieren," erwiderte sie und spürte, wie die Wut in ihr
aufstieg. "Was immer ich auch für Gründe für meine Versetzung hatte, sie
gehen Sie nichts an."
"Ich habe gehört,
dass Sie beide eine Biowaffen-Untersuchung vermasselt haben und dass sie ihn
aufs Land versetzt haben," meinte Glassman. "Ist da was wahres dran?"
"Ich weiß nicht, wo
Mulder ist und es kümmert mich nicht," entgegnete Scully mit einer
Lässigkeit, die sie nicht empfand. "Glassman, lassen Sie mich allein. Ich meine
es ernst."
"Ich auch,"
sagte er. "Kommen Sie schon, Scully, bleiben Sie locker. Um Gottes Willen,
ich hab nur einen Spaß gemacht. Kommen Sie schon, warum gehen wir beide nicht
zusammen ein Bier trinken und lernen uns besser kennen?" "Ich will
Sie gar nicht besser kennenlernen und ich würde es nicht als Scherz betrachten,"
brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. "Ich betrachte das
als anstößig. Glassman, ich sage es Ihnen zum letzten Mal: gehen Sie von meinem
Schreibtisch runter."
"In Ordnung,"
meinte er und stand auf. "Wissen Sie was, es gibt nur zwei Arten von
Frauen beim FBI, Scully; die Art, die Männer mag und die Art, die sie nicht mag.
Vielleicht sollten Sie beim nächsten Mal darüber nachdenken, wenn Sie wieder
einmal jemanden schneiden, der nur versucht, ein Freund zu sein." "Ich
danke Ihnen sehr für Ihre Besorgnis," entgegnete sie kalt. Glassman ging schnaufend
davon und ließ sie allein zurück im Büro mit ihrem Papierkram. Sie blickte
herab auf die Berichte, aber sie übermittelten nichts mehr an ihre Gedanken.
Also Glassman wollte etwas
über die Untersuchung in Mobile wissen? Das war einfach zu schlecht; Scully
sprach nie über diesen letzten Fall, dachte nicht einmal darüber nach, wenn sie
es verhindern konnte. Aber das wurde mit jedem Tag, der verging, schwieriger.
Manchmal - tatsächlich
immer öfter - konnte sie es nicht verhindern, darüber nachzudenken. Der
kleinste Luftzug von regennasser Erde und sie war wieder zurück, mit dem
Gesicht im feuchten Ton und sie spürte wieder den zuschnürenden Schmerz in
ihren Händen und Füßen und das schmerzhafte blutige Husten und die Erschöpfung.
Die Erinnerungen drangen
mit einer Wucht von Realität in ihre Gedanken ein; manchmal war es so, als ob
sie ihren Körper verlassen hatte und auf sich herabsah, wie sie immer noch da
lag, gefesselt, hilflos, verletzt und darauf wartend, dass sie verblutete oder
im Schlamm versank. Manchmal kamen die
Gedanken, wenn sie Auto fuhr und sie kam vom Weg ab und landete irgendwo in der
Nachbarschaft, wo sich sogar bewaffnete Polizisten nicht allein hintrauten. Es
gab Zeiten, da musste sie an den Straßenrand fahren und den Wagen anhalten,
weil sie zu sehr zitterte, um weiterfahren zu können.
Ein paar Mal, während sie
auf der Arbeit war, weckte irgendein Aspekt eines
Falls ihre Erinnerungen so
lebhaft, dass sie sichtbar zusammenzuckte; einmal
hatte sie ohne
nachzudenken laut ‚Nein!' gerufen. Jeder Agent im Raum hatte sich
umgedreht und sie
angestarrt, und sie hatte ihre Gedanken beinahe hören können:
Mrs. Spooky, schienen sie
zu sagen. Spricht mit sich selbst. Was habt ihr erwartet?
Ich kann nichts dagegen
tun, wollte sie ihnen sagen. Ich weiß nicht, wie ich die Erinnerungen daran
hindern kann, zu kommen. Ich weiß nicht, wie ich aufhören kann, davon zu
träumen.
Die Träume kamen nun
beinahe jede Nacht; sie konnte nicht schlafen, selbst wenn sie die Zeit dazu
hatte, was selten war. Ihre Nachbarn begannen, sich ihr sanft zu nähern, weil
ihre nächtlichen Schreie des Terrors das ganze Haus wachhielten. Sie entschuldigte sich jedes Mal, aber es gab
nichts, was sie dagegen tun konnte, außer zu versuchen, nicht zu schlafen. So wie die Dinge liefen, das war vielleicht
eine Möglichkeit. Immer öfter lag sie wach, warf sich herum, müde aber
ängstlich zu schlafen, und dann hörte sie Schritte oder Stimmen, vertraute,
aber bedrohliche Stimmen, und sie lag da, erstarrt vor Terror, wie ein Kind,
das darauf wartete, dass das Monster unter dem Bett hervorkroch.
Aber es war niemand da
außer ihr und der Stille. Nur um sicher
zu gehen, hatte sie damit begonnen, ihre Wohnung jeden Abend zu durchsuchen; in
den letzten drei Nächten war der Terror so groß geworden, dass sie mit der
Waffe in der Hand suchte, ihren Finger - entgegen allen Sicherheitsvorschriften
- am Abzug, bereit zu schießen. Sie
wusste nicht einmal, nach wem oder wonach sie suchte. Letzte Nacht, als sie die
Schritte hörte, war sie aus dem Bett gestiegen, hatte ihre Waffe gegriffen, sich
in Schussstellung begeben und gefordert, dass wer immer da war sich zeigen sollte.
Doch wieder war niemand dagewesen. Nur sie, die den unsichtbaren Eindringling
anschrie. Ihr älterer Nachbar aus der Wohnung nebenan hatte sie heute morgen
sehr seltsam angesehen. Gestern, als sie zu einem schnellen, einsamen Essen
ausgegangen war, hatte sie das Restaurant wütend verlassen, als die Kellnerin
sie nicht an einen Tisch setzen konnte, an dem sie mit dem Rücken zur Wand
sitzen und alle Ein- und Ausgänge sehen konnte. Lustig, dachte sie abwesend, früher habe ich
gedacht, das wäre übertrieben, wenn andere Polizisten oder Agenten es taten.
Aber nun weiß ich, es macht Sinn, wenn man auf einen Angriff vorbereitet ist.
Wenn man es nicht ist, könnte man getötet werden. Wenn man jemals gegen seinen
Willen mitgenommen, verletzt, beinahe umgebracht worden war, dann hatte man das
Recht, ein bisschen wachsamer zu sein als normal, sagte sie sich. Es ist
einfach gesunder Menschenverstand: Wenn sie es einmal getan hatten, konnten sie
es wieder tun. Und da ist jetzt niemand, der mir Rückendeckung gibt, außer mir.
Plötzlich bemerkte sie,
dass das VICAP-Büro still war, alle waren gegangen außer ihr und abgesehen von
der Lampe auf ihrem Schreibtisch, war es dunkel. Sie hatte eine Stunde
dagesessen, über die Chancen in ihrem Leben gebrütet und versucht, sich selbst
zu beruhigen, dass alles logisch war, dass es in einer objektiven Art Sinn
machte.
Aber sie würde keine
Arbeit mehr erledigen, also ging sie besser nach Hause. Sie stopfte die
Berichte nachlässig in einen Aktenordner und schloss ihn in einer Schublade
ein. Bevor sie hinaus zu ihrem Wagen ging, stellte sie sicher, dass ihre Waffe
geladen und schussbereit war.
Also, was wäre, wenn sie
mitten in den Marinekasernen von Quantico wäre, wo einige der bestausgebildeten
Marines und Bundesagenten der Welt zu Hause waren? Man wusste nie, wer möglicherweise wartete.
~~~~~
Birmingham-Southern
College
Büro des Kassierers
Zwei Wochen später
4:32 p.m.
Gott, was habe ich
geglaubt, dachte Mulder, als er einen steilen Hang zum Verwaltungsgebäude
hinaufkletterte. Ich hätte mich nach Oklahoma versetzen lassen sollen, dort
gibt es wenigstens keine Berge. Sich
umschauend fand er ein Zeichen, das besagte, dies war das Büro des Kassierers.
Das war es. Er untersuchte kurz die Eingangshalle und bemerkte das Kassenfenster;
auf dem Namensschild stand der Name der Frau eingraviert, nach der er suchte.
Er ging hinüber zu dem Fenster und griff in seine Tasche nach seinem Ausweis,
als er sich ihr näherte.
"Kann ich Ihnen
helfen?" fragte die Frau hinter dem Fenster. "Ja, ich bin Special Agent Fox Mulder vom
FBI," antwortete Mulder und zeigte seine Marke. "Sind Sie Betty
Howard?"
"Ja," sagte die
Frau. Sie klang nervös. Das taten sie alle. Mulder unterdrückte ein Stöhnen.
Nur ein einziges Mal würde er gern mit jemandem reden, der glaubte, mit dem FBI
zu reden, würde Spaß machen. Niemand tat es, und er konnte es ihnen nicht einmal
übel nehmen.
"Mrs. Howard," begann er.
"Miss Howard," entgegnete Miss Howard. "Habe ich irgendetwas falsch gemacht?" "Nicht
dass ich wüsste," sagte Mulder. "Ich bin hier, um Sie nach Ihrem Nachbarn,
Robert Gentry, zu befragen. Er hat Ihren Namen als Referenz angegeben."
"Als Referenz
wofür?"
"Mr. Gentry ist, wie
Sie vielleicht wissen, Teil der Armeereserve," erklärte Mulder. "Er
hat sich um eine hochgeheime Sicherheitsbescheinigung beworben. Ich bin nur
hier, um ein paar Dinge zu dieser Bewerbung abzuklären." "Nun, ich
weiß nicht, was ich Ihnen erzählen kann," erwiderte Miss Howard. Sie blickte
hinüber zu dem anderen Fenster. "Müssen wir hier reden?" "Wir
müssen nicht, aber ich würde es wirklich gern tun," antwortete Mulder.
"Ich bin gerade eine ganze Seite des Berges hinaufgestiegen, um hierher zu
kommen, und ehrlich gesagt, Miss Howard, bin ich müde." Er schenkte ihr
sein bezauberndstes Mulderlächeln.
Es funktionierte. Miss
Howard lächelte zurück. "Deshalb nennen sie es die Bergspitze,"
meinte sie. "Versuchen Sie mal irgendwann, zum Studentenwohnheim hinaufzusteigen."
"Nein, danke,"
wehrte Mulder ab. "Diese Kletteraktion war genug. Ich vermute, dass alle
Angehörigen der Oberschicht hier gut entwickelte Wadenmuskeln haben." "Sie
sind ein BSC-Markenzeichen," erwiderte Miss Howard nickend. Sie fühlte
sich nun so wohl, wie es sich Mulder vorgestellt hatte. Es war einfach, es war
so einfach, dass es Mulder irritierte. Sein Befragungsgeschick war in diesem
Falle nicht sonderlich gefragt. Alles waren streng leicht geworfene, heimliche
Körbe. Überhaupt keine Herausforderung.
Mulder zwang seinen
Verstand auf die naheliegende Aufgabe. Er nahm einen Stift aus der Tasche und
begann, das Formblatt der Bescheinigung für Gentry auszufüllen.
"Also. Miss
Howard," sagte er. "Wielange leben Sie schon mit Mr. Gentry Tür an Tür?"
"Ungefähr zwei
Jahre," antwortete sie. "Damals bin ich von Montgomery hierher gezogen."
"Und während dieser
Zeit, haben Sie ihn da kennengelernt als jemanden, der in irgendeiner Art Ärger
mit dem Gesetz verwickelt war?" "Was für eine Art Ärger mit dem
Gesetz?"
"Haben Sie
Polizeiautos vor seinem Haus gesehen, zum Beispiel, oder haben Sie ihn oder
jemand anderen, der mit ihm zusammenlebt, darüber reden hören, dass er im
Gefängnis war, verhaftet, mit einem Verbrechen in Verbindung gebracht oder von
einer Grandjury befragt worden ist?"
"Nein, nichts von
alldem," erklärte sie. Sie begann wieder, nervös zu werden.
Zeit für eine weitere
Dosis ‚Fox Mulder, der gute Cop'. "Das ist fein, Miss Howard," meinte
er und schenkte ihr wieder ein Lächeln. "Das passt mit dem zusammen, was
er in seine Bewerbung geschrieben hat. Wie ich schon sagte, wir versuchen nur,
ein paar Informationen nachzuprüfen, die wir bereits haben."
Sie entspannte sich ein
wenig, aber noch nicht genug. Versuch eine andere Technik, dachte er.
"Miss Howard, gibt es etwas, das Sie mir nicht sagen möchten?" fragte
er.
Ihre Augen flogen auf,
aber sie schüttelte den Kopf. "Nein, natürlich nicht," antwortete
sie. "Ich vermute, das liegt daran, dass ich noch nie vom FBI verhört worden
bin."
"Es wird nicht mehr
lange dauern, Miss Howard, versprochen," meinte Mulder. "Also, haben Sie jemals gesehen, dass
Gentry illegale Drogen genommen hat, dass er illegale Drogen in Besitz hatte,
dass er Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch betrieben hat?"
"Es gab bei ihm nie
wilde Partys oder so was. Die einzigen Drogen, die ich je bei ihm gesehen habe,
waren Antibiotika."
Mulder nickte und wollte
gerade zur nächsten Frage übergehen, als Miss Howard begann, wieder zu
sprechen.
"Wissen Sie, Mr. ...
es tut mir leid, ich habe Ihren Namen vergessen. Miller?"
"Mulder," sagte
er. "Agent Mulder. War da noch etwas?" "Oh, nichts
ernsthaftes," antwortete sie. "Ich erinnere mich nur, dass ich gedacht
habe, dass seine Gesundheit nicht die beste sein musste." "Warum
sagen Sie das?" fragte Mulder, sein Blick plötzlich brennend. "Nun, eines Abends kam er nach Hause mit
einer Tüte von Brunos Apotheke und er ließ sie fallen," erzählte sie.
"Ich kam gerade selbst nach Hause und versuchte, ihm dabei zu helfen, die
Sachen aufzuheben. Es waren vier, vielleicht fünf Fläschchen irgendeiner Sorte
Antibiotika."
Antibiotika? Also war der
Mann Antibiotika-süchtig, oder was? Das, was sie ihm gerade erzählt hatte, ließ
seine Kopfhaut anfangen zu kribbeln, ein sicheres Zeichen dafür, dass gerade
etwas wichtiges passierte. Seine nächste Frage überraschte sogar ihn.
"Miss Howard, erinnern Sie sich, um welche Sorte Antibiotika es sich
handelte?"
"Nein,"
entgegnete sie. "Ist das wichtig?"
"Ich weiß
nicht," sagte Mulder gedankenvoll. "Wahrscheinlich nicht. Aber nur
für den Fall, erinnern Sie sich an irgendetwas?"
"Nun, ich erinnere
mich, dass es zwei Sorten waren," erklärte sie.
"Silo-irgendwas und
eins, das äh... klang wie ‚vibrate'."
Spielt, Magic Fingers,
dachte er. "Danke. Möglicherweise bedeutet das gar
nichts," meinte er.
Er fuhr mit dem Rest der Befragung fort, aber der Gedanke an
eine Tüte voller
‚vibrierender Silos' fuhr fort, sich seinen Weg in sein Gehirn
zu graben, und er hörte
den verbleibenden Antworten nur mit halbem Ohr zu. Rasch beendete er das ganze,
gab ihr seine Visitenkarte und bat sie anzurufen, wenn ihr noch irgendetwas
einfiel, das er wissen sollte. Während
er den steilen Hang wieder hinab zu seinem Auto stieg, versuchte Mulder irgendeinen
Grund für seine Reaktion herauszufinden. Er konnte es nicht und das verwirrte
ihn. Wenn seine Vernehmungsfähigkeiten einrosteten, waren seine deduktiven
Fähigkeiten fast durchgerostet. Nichts schien sich so zusammenzufügen, wie es
sollte, nicht dass da besonders viel zu schlussfolgern war.
Aber nun diese Sache mit
Gentry. Warum waren alle seine Antennen ausgefahren und signalisierten Gefahr?
Was hatte es mit einer Tüte voller Antibiotika auf sich? Er spürte die Gedanken in seinem Hinterkopf um
dieses eine Thema kreisen, dem er sich nicht stellen wollte, dem er sich nicht
stellen konnte: Der Grund, warum er es nicht herausfinden konnte war, dass
Scully nicht da war. Scully hätte gewusst, was die Antibiotika möglicherweise
bedeuteten. Wenn sie es nicht wüsste, hatte sie gewusst, wo sie es herausfinden
konnte. Wie auch immer, sie hätte es ihm erklärt, dann hätte sie ihn dazu
genötigt, seine Gedanken zu verfeinern, indem sie jede seiner Vermutungen in
Frage stellte, bis er schließlich wusste, wo es langging.
Scully. Habe ich dir
jemals gesagt, dass du das beste warst, was mir je passiert ist? Ich frage
mich, ob du mir hierbei helfen würdest, wenn ich dich anrufen würde.
Vergiss es, Arschloch,
sagte er sich. Du hast sie im Stich gelassen. Sie wird dich wahrscheinlich
nicht wieder willkommen heißen, weder als Partner noch als sonst etwas. Leb
dein Leben weiter und finde es selbst heraus, was diese verdammten Antibiotika
bedeuten. Geh nach Birmingham an die Universität von Alabama, finde jemanden
vom Personal der Medizinischen Schule und bring sie dazu, es dir zu erzählen.
Ja, als wenn sie die
juristischen Verwicklungen einer Tüte voller Penicillin kannten. Du bist der
Agent und du weißt nicht, was es bedeutet; wie sollte es dann irgendjemand
anderes wissen?
Vergiss es einfach. Leb dein
Leben weiter.
Er sah auf die Uhr.
Beinahe Feierabend. Fahr im Büro vorbei, lass die Papiere da, dann fahr nach
Hause und sieh nach, ob die Knicks im Fernsehen sind. Steh morgen wieder auf
und fahre nach Mobile, setz deine ‚inoffizielle' und vollkommen
nutzlose Untersuchung fort. Nächste Woche mach das gleiche wieder. Ich fange an, diesen Job zu hassen, dachte er.
~~~~~
Dana Scullys Apartment
Zwei Tage später
1:51 a.m.
Ich wollte das heute Abend
nicht tun, dachte sie. Ich wollte über ihn hinwegkommen. Scully machte sich
bereit, sich der Nacht zu stellen, der schlimmsten Zeit, der wirklich
schlimmsten Zeit, wenn sie allein war, nicht schlafen konnte und es nichts gab
zwischen ihr und ihren Ängsten. Nichts,
das heißt, ausgenommen die schwindende Erinnerung an eine Zeit, in der sie sich
nicht fürchtete: die Zeit, bevor sie gefesselt und hilflos in Alabama war, die
Zeit, in der sie sich der Gefahr mit Mulder an ihrer Seite gestellt hatte.
Scully wollte aufhören, an
ihn zu denken. Sie wusste, dass sie über ihn hinwegkommen und wieder sie selbst
sein, ihre Sicherheit und ihre Selbstachtung wiedergewinnen musste. Gedanken an
Mulder taten nichts, um ihr zu helfen, sich von diesem Trauma zu erholen; in
Wahrheit machten sie es irgendwie schlimmer. Tag für Tag befahl sie sich selbst streng, ihn
zu vergessen, Sie zwang sich dazu, an all die Zeiten zu denken, wenn er sie
enttäuscht hatte, all die Zeiten, wenn er andere Menschen, andere Fälle
zwischen sie hatte kommen lassen. Diana. Bambi. Angela White. Phoebe. Denk daran, Dana,
befahl sie; du bedeutest ihm nicht mehr, als diese Menschen.
Aber sie wusste, dass es
nicht wahr war und letztlich konnte sie genauso wenig über ihn hinwegkommen,
wie sie die Farbe ihrer Augen wechseln konnte. Nun begann sie, wie jede Nacht, seit sie nach
Quantico zurückgekehrt war, mit dem, was zu einem Ritual der Erinnerung
geworden war; ob sie versuchte, sich zu trösten oder sich zu bestrafen, wusste
sie nicht. Sie wusste nur, dass sie dies jede Nacht tun musste, bevor sie
überhaupt schlafen konnte. Zuerst holte
sie die Notiz hervor, die er ihr geschrieben hatte. Sie hatte sie so oft in der
Hand gehabt, dass das Papier weich wurde und die Tinte verblasste. Sie kannte sie auswendig, aber sie las sie
wieder und wieder und versuchte herauszufinden, was die Worte ihm bedeutet
hatten, als er sie niederschrieb. Hatte
er innegehalten und nach den richtigen Worten gesucht? War dies der einzige
Entwurf? War da mehr, was er vielleicht gesagt hätte, wenn er nicht vorgehabt
hätte, die Notiz offen liegen zu lassen, wo sie jeder vielleicht sehen konnte?
Als sie die Notiz zum
ersten Mal fand, hatte sie jedes Wort in ihrem Kopf hören können, als ob er sie
sprach. Nun war seine Stimme gegangen, es sei denn, sie kam in ihren Träumen zu
ihr. Manche dieser Träume waren lieblich, Träume in denen sie erkannt hatte,
dass alles ein Fehler gewesen war, dass er sie nicht verlassen hatte und dass
sie immer noch zusammen bei den X-Akten waren. Andere Träume waren mehr
erotisch, Träume, in denen sein Kuss nur der Anfang und sie nicht länger die
Eiskönigin war, sondern leidenschaftlich, kühn, fordernd, auf jede seiner
Berührungen reagierend.
Sie erwachte aus solchen
Träumen und die Realität holte sie langsam ein und sie weinte, ihr Verlust so
frisch wie am ersten Tag. Was schlimmer
war als das Erwachen aus den Träumen, war die Tatsache, dass Mulder begann, in
ihren Alpträumen aufzutauchen. Er war niemals Teil der Angst, niemals einer von
denen, die nach ihr suchten, um sie umzubringen oder sie wieder zu entführen.
Seine Rolle war einfach die, sie in irgendeiner Form im Stich zu lassen:
entweder zu sterben oder selbst entführt zu werden oder Hand in Hand mit Diana
oder Phoebe Green oder irgendeiner anderen Frau fortzugehen, in deren Armen sie
ihn früher gesehen hatte.
Vorsichtig legte sie die
Notiz zurück in die Schublade und begann mit dem zweiten Teil ihres Rituals,
als sie das einzige Foto von ihnen beiden zusammen herausnahm. Ein Fotograf der
Washington Post hatte es gemacht, hatte sie und Mulder draußen an einem Tatort
erwischt. Es war nichts kompliziertes; Mulder sah in eine Zeitung, die sie in
der Hand hielt.
Schon als sie das Foto in
der Zeitung gesehen hatte, war sie erschrocken gewesen. Der Fotograf hatte ihr
unwissentlich enthüllt, was für jeden anderen so klar war: Mulder liebte sie.
Er zeigte keine offenkundige Zuneigung oder flirtete oder irgendetwas in der
Art. Er tat einfach seinen Job, wie immer. Die Offenbarung zeigte sich in der
Art, wie er neben ihr stand - er überragte sie, wirklich, um mehr als 20
Zentimeter. Er beugte seinen Kopf zu ihr, sie gleichzeitig beschützend und ihr
aufmerksam zuhörend, er stand so dicht neben ihr, dass sein Mantelärmel ihren
streifte.
Sie war so klein neben
ihm, aber so zuversichtlich, so unerschrocken. Er war sich weder des Fotografen
noch sonst jemandem außer ihr bewusst. Scully
hatte das Foto am nächsten Tag in der Zeitung gesehen mit einer Überschrift,
die sich auf sie als ‚ein Team von FBI-Agenten' bezog. Einem seltenen
Impuls folgend hatte sie die Zeitung angerufen und um einen Abzug gebeten. Der
Fotograf hatte ihr reizender Weise zwei zugesandt und sie hatte einen Mulder
gegeben. Er hatte es auch gemocht und es an die Seite eines Aktenschrankes in
der Nähe seines Schreibtischs gepinnt. Sein
Abzug war bei dem Feuer verbrannt. Muss wohl ein Omen gewesen sein, dachte sie
matt. Sie legte das Foto zurück in die Schublade und schob sie rasch zu, so dass
sie nicht versehentlich das Foto von Emily erblickte. Sie konnte nicht einmal
daran denken, es jetzt anzusehen.
Ihr gingen die Ideen aus.
Zwei Nächte zuvor hatte sie sich in eine Usenet-Gruppe eingeloggt, von der sie
wusste, dass er sich früher daran beteiligt hatte, eine Diskussionsgruppe über
Verhaltenspsychologie. Er postete beinahe sicher irgendwo anders, aber sie
wollte diese Seite von ihm im Moment nicht untersuchen, also hielt sie sich an
einer Gruppe fest, die sich seinen beruflichen Interessen widmete.
Sie hatte zwei oder drei
Nachrichten überprüft auf der Suche nach einer, die vielleicht seine war. Dann
traf sie der Gedanke: Was wenn irgendwer ihre Internetnutzung aufzeichnete? Rasch
loggte sie sich aus. Am besten keinerlei Gelegenheiten bieten, dachte sie. Die
Lone Gunmen hatten sie das gelehrt. Seufzend
stand sie auf. Sie konnte genauso gut versuchen, zu schlafen, dachte sie und
zog ihre Waffe. Vorsichtig ging sie durch die Tür in ihr Schlafzimmer, ihre
Augen wanderten hierhin und dorthin auf der Suche nach Eindringlingen. Beinahe geräuschlos kniete sie sich neben das
Bett, dann zielte sie rasch mit der Waffe darunter, während sie die Bettdecke
wegriss. Niemand da. Gut. Scully legte
die Waffe neben ihrem Bett auf den Nachttisch. Lustig, wie abhängig sie
neuerdings davon war. Manchmal auf der Arbeit wanderten ihre Gedanken wieder und
wieder zurück zu der SIG Sauer, die sie am Rücken trug. Sie konnte ihre Kühle,
ihr Gewicht spüren, sogar wenn sie sie nicht in der Hand hatte. Die Waffe erschien ihr wunderschön, schön und
tödlich. Sie schien ihr zuzuwinken, sie darum zu bitten, sie zu halten, das
Gefühl auszuprobieren, den Lauf auf sich selbst zu richten. Sie verhöhnte sie
beinahe mit Gedanken an die explosive Erleichterung, die sie bieten konnte, an
die Kugel, die ihr Gehirn durchdrang und allen Schmerz ausradierte und sie für
einen letzten verzückten Augenblick in ihrem Leben wieder fühlen ließ.
Sie... dachte nur daran.
~~~~~
Assistant Director Walter
S. Skinners Büro
Donnerstag, 25. Februar
9:52 a.m.
"Sir," sagte
Kimberly. als sie ihren Kopf zur Bürotür hereinsteckte. "Der Sicherheitsdienst
meldet, dass unten eine Margaret Scully ist, die darum bittet, mit Ihnen zu
reden."
"Margaret Scully?" fragte Skinner. "Dana Scullys
Mutter?"
"Ja Sir, ich glaube,
das ist sie," erwiderte Kimberly. Skinner
runzelte die Stirn und setzte sich in seinem Stuhl zurück. "Ist irgendetwas
mit Agent Scully passiert?"
"Nein Sir, nicht dass
ich wüsste," meinte Kimberly. "Ich denke, wir hätten davon gehört."
"In Ordnung,
Kimberly, sagen Sie ihnen, dass sie sie heraufschicken sollen," befahl
Skinner.
Ungefähr zehn Minuten
später ging die Bürotür wieder auf. "Mrs. Scully, Sir," meldete Kimberly.
"Danke
Kimberly," erwiderte Skinner und stand auf, um Maggies Hand zu nehmen.
"Schließen Sie bitte
die Tür. Mrs. Scully, das ist ein unerwartetes Vergnügen.
Was kann ich für Sie
tun?"
"Mr. Skinner, ich
bitte um Entschuldigung, dass ich Sie bei der Arbeit störe," bat Maggie.
"Ich weiß, Sie sind ein sehr beschäftigter Mann. Aber Sie waren so freundlich,
als Melissa im Krankenhaus lag und ich dachte... dass ich mit Ihnen reden könnte."
"Gibt es ein Problem
mit Ihrer Tochter?" fragte Skinner mit einer so sanften Stimme, dass
keiner seiner Agenten sie als seine erkennen würde, während er sie zu einem
Sessel führte. Er hockte sich auf die Ecke des Schreibtischs, verschränkte die
Arme vor der Brust und beobachtete sie aufmerksam. "Ich... ich denke ja," erwiderte
Maggie und drehte nervös am Henkel ihrer Handtasche. "Das letzte Mal habe
ich sie am Dienstag gesehen - das war ihr Geburtstag. Sie sah fürchterlich aus;
zu dünn, blass und verängstigt. Ich habe Dana niemals so ängstlich
gesehen."
"Ich auch
nicht," entgegnete Skinner. "Ist es ein körperliches Problem?" Maggie
schüttelte den Kopf. "Das war das erste, was ich sie gefragt habe,"
sagte sie "Es ist nicht der Krebs, Gott sei Dank. Er ist immer noch in der
Rückbildung."
"Das sind gute
Neuigkeiten," meinte Skinner. "Wo liegt dann das Problem?" "Es
sind verschiedene Dinge," erklärte Maggie. "Sie war wesentlich mehr traumatisiert
durch das, was ihr in Alabama passiert ist, als ich glaube, dass irgendjemand
von uns gewusst hat. Aus irgendeinem Grund war sie nicht in der Lage gewesen,
sich nicht unterkriegen zu lassen, so wie sie es so viele Male vorher
konnte."
Maggie sah zu Skinner auf
und sie hatte Tränen in den Augen. "Mr. Skinner, sie scheint so
hoffnungslos, so müde und doch manchmal so wütend zu sein. Sie redet jetzt sehr
wenig, aber wenn sie es tut, spricht sie über den Tod, das Sterben, über
Menschen, die getötet wurden oder andere getötet haben. Und ich weiß, dass sie
nicht gut schläft; sie hat Alpträume. Ich habe gehört, wie sie schreiend aufwachte."
"Und Sie glauben,
dass das bedeutet..."
"Ich glaube, Dana...
möchte sterben," sagte Maggie und sah wieder auf ihre Tasche herab und spielte
mit dem Henkel.
"Meinen Sie damit,
dass sie sich womöglich das Leben nehmen könnte?" Maggie nickte stumm und
kämpfte darum, sich zusammenzunehmen. "Sie ist nicht sie selbst. Ich
konnte sie früher immer erreichen, aber jetzt nicht mehr. Wir hatten eine lange
Unterredung, gleich nachdem es passiert war - eine sehr seltsame und erschreckende
Unterhaltung, aber ich hatte gehofft, dass es ein Zeichen dafür war, dass sie
sich öffnete und mit den Dingen klarkam." Sie schüttelte den Kopf und schluckte
ein paar Mal schwer, bevor sie weitersprach. "Ich habe mich geirrt, Mr.
Skinner," erklärte sie. "Es war nur ein Zeichen dafür, wie
traumatisiert sie wirklich ist. Sie war nicht sie selbst, überhaupt nicht, und
ich konnte es nicht erkennen. Aber sie sagt, dass niemand sie wirklich
versteht."
Wieder sah sie auf.
"Sie haben uns schon früher geholfen, Mr. Skinner," fuhr sie mit
brechender Stimme fort. "Ich hoffe, Sie können auch jetzt helfen." "Ich
will, wenn ich es kann, Mrs. Scully," antwortete Skinner. "Das FBI
hat ein hochkarätiges Angestelltenunterstützungsprogramm und die Berater sind erstklassig.
Möchten Sie, dass ich Dana in das Programm für eine Behandlung hole?"
"Nein,"
erwiderte Maggie. "Ich meine, ja, das würde ihr wahrscheinlich helfen, wenn
die Zeit dazu gekommen ist, aber ich bin mir nicht sicher, wieviel Zeit wir haben,
Mr. Skinner."
"Also, was schlagen
Sie vor, Mrs. Scully?"
"Es gibt nur einen
Menschen, der ihr jetzt helfen kann," sagte Maggie leise. "Ihm vertraut sie; mit ihm wird sie
reden. Und er wird ihr helfen. Ich weiß, er wird es."
Sie sah mit tränenfeuchten
Augen zu Skinner auf. "Bitte, Mr. Skinner," bat sie mit zitternder
Stimme. "Bitte, bevor es zu spät ist: sagen Sie mir, wo Fox Mulder ist."
~~~~
Meine ganze Seele
schweigend wartend,
Vollkommen nackt unter
einem schwülen Himmel,
Beugt sich geblendet durch
seine strahlenden Augen:
Ich werde ihn besitzen
oder sterben.
Ich werde wachsen um ihn
in seiner Wohnung,
Wachsen, leben, sterben in
sein Gesicht sehend, Sterben in seiner Umarmung gefangen.
Alfred, Lord Tennyson
Kapitel 7
Fox Mulders Apartment
Montag, 1. März
6:33 p.m.
Mulder stand unter der
Dusche, als er das Telefon klingeln hörte. Einen Moment überlegte er, ob er es
klingeln lassen sollte, aber er wusste, dass er es nicht tun konnte. Niemand
rief ihn mehr an, es sei denn, es ging um den Job. Sich ein Handtuch um die
Hüften wickelnd, ging er ins Schlafzimmer und nahm den Hörer ab.
"Mulder,"
meldete er sich.
"Mulder, ich bin's,
Prescott. Was machen Sie gerade?"
"Nichts, Sir,"
log er und löste das Handtuch, um sich die Haare zu trocknen.
"Was kann ich für Sie
tun?"
"Ich habe mich
gefragt, ob Sie wohl in den Süden Alabamas fahren und dem Polizeidepartment in
Daphne bei einem kleinen Problem helfen würden. Scheint so, als hätten sie
etwas, was verdächtig nach einem Serienkiller aussieht." Oh Gott, bloß das
nicht, stöhnte Mulder innerlich auf. Alles, bloß nicht das. Dann klingelte es. Daphne. Er erinnerte sich,
dort gewesen zu sein. Es war seine letzte Nacht mit Scully. Es war die Nacht,
die ihn schließlich davon überzeugte, damit aufzuhören, sie in seine Alpträume
hineinzuziehen. Es war die Nacht, in der Krycek... aber er konnte nicht daran
denken, würde nicht daran denken. Er zwang seine Gedanken zurück zu dem, was
Prescott gesagt hatte. "Ist es das
Daphne in der Gegend von Mobile?" fragte er zwangloser, als ihm zumute
war.
"Ah, Ihnen entgeht
nicht viel, oder Mulder? Sie sollten Polizist werden," meinte Prescott und
seine Stimme tropfte vor Sarkasmus. "Es liegt in der Gegend von Mobile.
Aber in Mobile haben sie niemanden mit ihrem Wissen, um ein kriminalistisches
Profil zu erstellen, und ich habe ihnen erzählt, dass Sie glücklich sein
werden, sich zur Verfügung zu stellen." "Ich begrüße das, Sir,"
erwiderte Mulder trocken. Er gewöhnte sich langsam an Prescotts manchmal
deftigen Sinn für Humor, aber er war immer noch nicht wirklich daran gewöhnt,
einen Boss zu haben, der mit ihm scherzte, Punkt. Skinner hätte nicht einmal einen Scherz
gemacht, wenn man ihm eine Waffe an den Kopf gesetzt hätte.
Wo er schon daran dachte,
er hatte einmal eine Waffe an Skinners Kopf gehalten und ganz sicher hatte der
Mann das überhaupt nicht lustig gefunden. "Liegt das in unserem
Zuständigkeitsbereich?" fragte Mulder. "Entsprechend VICAP wahrscheinlich
nicht," antwortete Prescott. "Aber irgendjemand da oben - der
augenscheinlich in der Minderheit ist - glaubt, dass es eine Verbindung zu
einem Mord in Florida gibt. Sie überprüfen, was sie haben und entscheiden dann,
ob sie sich dieser Untersuchung anschließen." "Welche
Situation?"
"Sechs Leichen, alle
männlich, alle durch mehrere Schusswunden getötet, Kaliber 38, durch eine
unbekannte Person. Sie wissen schon, das was ihr Psychotruppentypen eine UP
nennt."
"Gruppentötungen,"
sagte Mulder sofort. "Klassischer Modus Operandi. Sir, dafür brauchen sie
keinen Profiler. Ein Auszubildender kann Ihnen alles sagen, was Sie über diesen
Unbekannten wissen wollen."
"Vielleicht,
vielleicht nicht," entgegnete Prescott. "Da ist noch mehr. Die Kugeln
waren alle Kaliber 38, aber aus unterschiedlichen Waffen. Und noch ein paar
weitere Unterschiede."
"Sir, bei allem
nötigen Respekt, warum jetzt?" fragte Mulder. "Ein Profil an diesem
Punkt richtet womöglich mehr Schaden an als dass es nützt, wenn die Untersuchung
noch am Anfang steht; es könnte die Ermittler in die falsche Richtung führen.
Das klingt wie etwas, was das VICAP weiter bearbeiten sollte in Zusammenarbeit
mit den örtlichen Beamten."
"Das VICAP ist dort,
Mulder," erklärte Prescott. "Sie haben bereits zwei Leute vor
Ort."
Sie haben Agenten
geschickt, dachte Mulder. Das war eigenartig. VICAP-Agenten blieben eigentlich
in Quantico, verglichen und analysierten Informationen; sie reisten
normalerweise nicht umher.
"Sir, ich habe den
leisen Verdacht, dass ich dorthin geschickt werde, um jemanden weiter oben
zufriedenzustellen," sagte Mulder. "Oh,
ich weiß nicht," meinte Prescott in seiner langsamsten, übertriebensten affektierten
Stimme. Mulder hatte begriffen. Er tat es immer. Verdammt, das machte Spaß, ihn
zu beobachten. "Vielleicht bin ich es nur, der einen Buckligen spielt."
"Ich verstehe nicht,
was daran gut für mich sein könnte, dorthin zu gehen." "Nun,
vielleicht haben Sie recht, Mulder," erwiderte Prescott. "Warum rufen
Sie nicht Walter Skinner an und erzählen ihm das?" Am anderen Ende der
Leitung herrschte lange Schweigen.
"Skinner will mich
dort haben?" fragte Mulder. "Sie
sind einfach wie eine Tüte Katzenfutter: so gut, dass man namentlich nach Ihnen
fragt," meinte Prescott. "Ich sag Ihnen was - wenn Sie sich gleich
auf den Weg machen, können Sie in Daphne sein, bevor es Zeit fürs Bett ist. Das
VICAP-Team treffen Sie im Pembroke Inn. Sie haben bereits für Sie reserviert. Schreiben Sie, wenn Sie Arbeit haben,
Oxford-Boy." Prescott legte auf. Mulder
starrte lange Zeit auf den Hörer. Skinner, dachte er. Warum will Skinner mich
dabei haben? Dann begann er zu spüren, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten
und ihn schaudern ließen. Irgendetwas stimmt nicht, dachte er, und verwarf
diesen Gedanken sofort wieder. Hör auf, Gespenster zu sehen, Mulder, dachte er.
Hier gibt es nichts, worauf du reagieren musst. Du hast keinerlei Informationen,
du hast keine Ahnung davon und du weißt nichts davon, dass irgendetwas nicht
stimmt. Dein siebter Sinn kribbelt nicht. Du bist nackt und du bist immer noch
nass von der Dusche. Es ist einfach kalt hier drin. Er ging hinüber zum Thermostat und streckte
die Hand aus, um die Temperatur hochzudrehen. Sie stand bereits auf 25 Grad.
"Oh, Mist," sagte er laut.
~~~~~
Das Pembroke Inn
Daphne, Alabama
11:06 p.m.
"Kann ich Ihnen
helfen?" fragte die Nachtportiersfrau. "Ja," antwortete Mulder und hielt
seine Marke hoch. "Special Agent Fox Mulder, FBI. Ich nehme an, dass
bereits zwei weitere Bundesagenten hier sind und ich soll sie treffen. Können
Sie mir sagen, welche Zimmernummer sie haben?" "Oh ja, Mr. Mulder.
Sie haben eine Nachricht hinterlassen, dass noch ein anderer Agent kommen
wird," erwiderte die Frau und klapperte auf der Tastatur. "Lassen Sie
mich nachsehen - sie haben Zimmernummer 204 und 206. Aber sie sind nicht hier.
Sie sagten, dass Sie sie im Polizeidepartment treffen werden." "Wo
könnte das sein?"
"Am Highway 98. Sie
sind bereits drauf; ich meine, das ist da, wo wir sind, wo sich unser Hotel
befindet. Fahren Sie einfach in Richtung Süden, dann ist es zu Ihrer
Linken."
"Danke," sagte
Mulder. "Gibt es eine Reservierung auf meinen Namen?" "Ähm,"
machte die Frau und klapperte wieder auf der Tastatur. "Sie sollen das Zimmer
204 mit einem Mr. Glassmann teilen. Ist das richtig?" "Das ist es,
wenn Mr. Glassmann zum FBI gehört," antwortete er. "Kann ich bitte die
Schlüssel haben?"
"Es tut mir leid,
Sir," sagte sie. "Mr. Glassmann hat bereits die Schlüssel zu beiden
Zimmern. Genießen Sie Ihren Aufenthalt." Das glaubst auch nur du, dachte
er.
~~~~~
Daphne Rathaus
11:26 p.m.
Mulder ging die dunklen
Flure entlang und schielte nach den Nummern an den Türen. Der junge Polizist,
der ihn hereingelassen hatte, sagte, dass das FBI Zimmer 12 für seine Operation
nutzte. Dann hörte er die Stimmen, laute Stimmen, und beschloss, ihnen zu
folgen.
Das Geräusch kam aus
Zimmer 12. Jemand war darin und redete entschieden zu laut. Wahrscheinlich eine unserer VICAP-Kanonen,
dachte Mulder. Töte mich jetzt, irgendjemand, bitte.
Er öffnete die Tür. Ein
Mann mittleren Alters, sein rotes Haar war beinahe verblasst, stand in einer
Ecke des Raumes, die Hände an den Hüften, und machte den wohl schnoddrigsten
Eindruck, den Mulder je gesehen hatte. VICAP.
Mulder hatte den Mann nie zuvor gesehen, aber er erkannte es. Der Typ roch
beinahe wie ein Agent. Und er polterte herum wie eine typische Primadonna. VICAP. Das musste es sein. Und da fragen sie
sich, warum ich aufgehört habe, an Serienkillern zu arbeiten.
"Nee, sie macht keine
Schusswaffenanalysen," sagte der Agent gerade und blinzelte dem Polizisten
zu. "Sie ist ein Mädchen mit... spezielleren Talenten. Hey, habe ich recht?"
Zu wem auch immer er
sprach, stand hinter einer Wandtafel und reagierte nicht. Mulder konnte ihre Beine sehen, die in
schwarzen Hosen steckten, und ihre Füße, in hochhackigen Schuhen. Irgendetwas
in ihm regte sich bei diesem Anblick. Kannte
er sie?
Ein Polizist aus Daphne,
der verzweifelt befangen aussah, saß zwischen den beiden. Bei Mulders Eintritt
blickte er auf. "Kann ich Ihnen helfen, Sir?" fragte er.
"Ja," sagte
Mulder. "Ich bin Fox Mulder vom FBI." "Oh Gott," stöhnte
der rotgesichtige Agent auf. "Sie sagen, sie schicken jemanden aus dem
Distriktbüro in Birmingham und dann schicken sie mir Spooky Mulder?"
Ganz offensichtlich wollte
er noch mehr sagen, aber er hatte keine Chance dazu. Hinter der Wandtafel drang ein schepperndes
Geräusch hervor. Mulders Augen drehten sich automatisch dem Geräusch zu. Er war
total erschlagen und absolut sprachlos von dem, was er sah. Eine zierliche
wunderschöne Frau. Rotes Haar. Das Gesicht eines Engels.
Aber sie war so blass, so
dünn, und ohne die Lebhaftigkeit, die früher ihre Augen leuchten ließ. Sie
konnte es nicht sein. Aber sie war es. "Mulder?"
fragte sie ungläubig und kam auf ihn zu. "Mulder, bist du das?" "Scully,"
sagte er. Und dann stand er einfach so da. Ihm fiel nichts weiter ein, was er
sagen konnte.
~~~~~
Eine Minute eher war
Scully nahe daran gewesen, ihren Ausweis nach Glassmann zu werfen und
hinauszugehen.
Glassmann, um Gottes
Willen. Rolfe wusste, dass sie ihn nicht leiden konnte.; sie hatte mit ihrem
Vorgesetzten über Glassmanns Haltung ihr gegenüber mehr als einmal gesprochen.
Es hatte zu nichts geführt. Sie diesem Fall zuzuordnen und sie mit Glassmann
arbeiten zu lassen, war so klar ein Zeichen, dass sie sich vorstellen konnte,
dass Rolfe versuchte, sie zum Kündigen zu bringen. Und vielleicht, nur
vielleicht tat er ihr einen zweifelhaften Gefallen. Vielleicht, dachte sie, ist
es wirklich an der Zeit, zu kündigen. Niemals,
nicht in ihren wildesten Träumen hatte sie sich vorgestellt, sich mit etwas wie
diesem abzufinden und da stand sie nun, ließ es ohne Protest durchgehen, obwohl
ihr die Hände juckten, Glassmann zu packen und das Leben aus ihm
herauszuschütteln.
Als sie Mulders Stimme
hörte, war sie sich zuerst sicher, dass sie es sich einbildete. Sie war bereits
erschöpft, unglaublich mitgenommen durch ihren langen Kampf und machtlos
gegenüber Glassmanns Beleidigungen. Seit Wochen hörte sie Dinge - es machte
Sinn, dass ihr Verstand die Vorstellung des Mannes heraufbeschwor, der sie
früher vor all dem beschützt hatte. Nein.
Es war nicht er. Sie hörte wieder Dinge. Aber ihr Körper wusste es besser, auch
wenn ihr Verstand es nicht akzeptieren konnte. Der Ständer mit den metallenen
Teströhrchen rutschte aus ihren plötzlich gefühllosen Fingern, krachte auf den
Boden und die leeren Röhrchen zerschmetterten um sie herum. Sie bemerkte das
Chaos nicht einmal, das sie um sich herum verursachte, und stolperte beinahe
über ihre eigenen Füße, als sie auf die so lange ersehnte Stimme zuging.
Und letztlich war er real.
Er stand im Türrahmen und starrte sie erstaunt an, als wäre sie aus dem Grab
auferstanden.
"Mulder?" fragte
sie. "Mulder, bist du das?"
"Scully,"
antwortete er und starrte sie immer noch benommen an. Einen Moment lang bewegte sich niemand. Scully
war sich Glassmanns und des Polizisten schmerzhaft bewusst, die das alles mit
brennendem Interesse beobachteten. Sie konnte sich nicht in seine Arme werfen
und vor Erleichterung weinen - oder ihm ins Gesicht schlagen und ihn
anschreien, sie war sich nicht sicher, was - egal wie sehr sie es wollte.
Aber dann lächelte er,
dieses ein wenig schiefe Lächeln, das er nur für sie allein aufbewahrte. Da
vergaß sie sich beinahe selbst und wäre fast auf ihn zugerannt, aber er machte
einen Schritt vorwärts und streckte seine Hand aus. "Es ist schön, dich zu sehen,
Scully," sagte er. Sie nahm seine
Hand und umschloss sie nur ein wenig länger, als es sich für Freunde schickte.
"Es ist eine Weile her, Mulder," entgegnete sie und versuchte ihre
Stimme sachlich zu halten. "Ich wusste gar nicht, dass du diesem Projekt zugeteilt
wurdest."
"Das wusste ich auch
nicht, bis vor fünf Stunden," erklärte er und ließ seine Hand sinken.
"Ich bin jetzt im Distriktbüro von Birmingham." "Das hörte ich
eben," erwiderte sie und zog eine Augenbraue hoch. "Ich hab mich schon
gefragt."
Mulder räusperte sich und
sah sich im Raum um. "Wie geht es deiner Familie?"
"Mom geht es
gut," antwortete sie. "Bill... Bill ist auf See. Ich weiß nicht wo. Das ist über meiner Gehaltsklasse. Allen
anderen geht es gut." Eine Pause. "Wie geht es deiner Mutter?"
"Wir haben nicht
miteinander gesprochen," sagte er kurz. Da war ein kurzes Schweigen
während dem niemand zu wissen schien, was er sagen sollte. Mulder fand sich
zuerst wieder.
"Scully?" fragte
er. "Willst du mich deinen Kollegen vorstellen?" "Ja,
natürlich," antwortete Scully kühl. "Das ist Officer Willie Mack von
der Polizei in Daphne, unser Verbindungsmann."
"Freut mich,"
sagte Mack und schüttelte Mulder die Hand. "Ich habe von Ihnen gehört."
"Nur Gutes, hoffe
ich," meinte Mulder.
Mack grinste nur.
"Nun ja," gab
Mulder zu. "Ich hab es nicht geglaubt." "Und dieser...
Gentleman," fuhr Scully fort, "ist Special Agent Lon Glassmann vom
VICAP."
Glassmann behielt seine
Hände in den Taschen.
"Das Vergnügen ist
ganz meinerseits, wie es scheint" meinte Mulder und zog eine Augenbraue
hoch.
"Gut," sagte
Mack laut und stand auf. "Ich nehme nicht an, dass Sie mich im Moment hier
brauchen, also denke ich, ich hole mir einen Kaffee. Ich bin am Ende des
Ganges, wenn Sie mich brauchen, Ma'am," sagte er in Scullys Richtung. "Danke sehr, Officer Mack,"
erwiderte sie höflich. "Sie waren bereits eine große Hilfe."
Er nickte ihr zu und ging
hinaus.
"Also," sagte
Mulder. "Was genau ist der Fall?" "Der Fall," erklärte
Glassmann, "ist kein Fall. Es handelt sich nicht um einen Serienkiller. Es
ist keine staatsübergreifende Orgie. Es ist eine Serie unzusammenhängender
Morde und wir sind hier nicht zuständig. Morgen früh sind wir hier
verschwunden, oder sobald Scully damit fertig ist, mit ihren kleinen Teströhrchen
zu spielen."
Scully fühlte einen Anflug
von Scham und sah unglücklich zur Seite. "Mit ihren Teströhrchen zu spielen?"
fragte Mulder ungläubig. "Ich bin mir nicht sicher, dass ich richtig
gehört habe. Agent Scully ist eine vollkommen qualifizierte Gerichtsmedizinerin
und ich habe sie nie anders als sorgfältig bei der Arbeit erlebt."
"Ja, da bin ich mir
sicher, Sie wissen alles über ihre Arbeit, Mulder," erwiderte Glassmann
augenzwinkernd. "Aber es gibt keinen Grund für mehr gerichtsmedizinische
Untersuchungen. Die örtliche Polizei kann das erledigen." "Ich
glaube, das ist meine Entscheidung, nicht Ihre," stellte Mulder klar. "Also, ich bin sicher, es macht Ihnen
nichts aus, wenn ich herausfinde, wie die aktuelle gerichtsmedizinische
Beweislage ist, bevor ich sie treffe." "Schlagen Sie sich selbst
k.o.," meinte Glassmann und setzte sich in den einzigen bequemen Sessel im
Raum. "Ich werde gar nichts tun." "Scully?" fragte Mulder.
"Was haben wir hier also?" Der Ausdruck auf Glassmanns Gesicht machte
klar, dass er es nicht mochte, wegen Scully ignoriert zu werden, aber das
kümmerte Mulder herzlich wenig. Wie er Scully kannte, würde sie die Details
klar vor ihm ausbreiten. Sie würde ihm sagen, was er wissen musste, und sie
hatte immer einen exzellenten Sinn dafür gehabt, was das sein könnte.
Jedenfalls wollte er ihre Stimme wieder hören. "Lass mich meine Notizen holen,"
sagte Scully und verschwand kurz hinter dem Raumteiler. Sie kehrte mit einem
ordentlichen Stapel Karteikarten zurück, mit Notizen darauf, reinlich
geschrieben in ihrer sorgfältigen runden, an der Katholischen Schule geübten
Schrift.
"Ich sag dir alles,
was ich weiß, aber danach musst du selbst weitersehen," meinte sie und
sortierte die Karten. "Du musst selbst entscheiden, was es bedeutet."
"Und das von der
Frau, die als Studentin Einstein neu beschrieben hat," sagte er in dem
alten vertrauten scherzhaften Ton. Das hatte ihm beinahe immer ein Lächeln
eingebracht, aber nicht heute Abend. Nur eine hochgezogene Augenbraue. Schlechtes Zeichen. Mist, nicht nur ein
schlechtes Zeichen, sondern eine Botschaft, die er lesen konnte, als stünde sie
auf Papier. Komm mir nicht näher, sagte
sie ihm. Ich werde dich nicht hereinlassen.
"Fang an,
Scully," forderte er sie leiser auf. "Erzähl mir, was du weißt."
"Es ist wenig genug," sagte sie kühl. "Aber es ist alles, was
wir im Moment haben." Rasch breitete sie es vor ihm aus: sechs Männer,
alle durch mehrere Schusswunden getötet, Munition Kaliber 38, mehrere
verschiedene Waffen. Die ersten beiden waren Fred Williams, ein Verkäufer in
einem Tante-Emma-Laden, und sein Neffe, DeAndrew Williams, beides Schwarze. Sie
wurden in dem Laden gefunden, in dem der Onkel arbeitete.
"Auf den Neffen wurde
dreimal geschossen," erklärte Scully. "Es scheint so, dass er
versucht hat, sich aus dem Laden zurückzuziehen. Der Onkel wurde zweimal getroffen,
in die Brust und ins Gesicht. Ein Kunde fand ihn hinter dem Ladentisch."
"Wurde irgendetwas
gestohlen?" fragte Mulder.
Scully schüttelte den
Kopf. "Nicht dass irgendjemand etwas entdecken konnte."
"Anzeichen für einen
sexuellen Angriff?"
"Kein Sperma an den
Leichen, keine Anzeichen für sexuelle Verletzungen."
Mulder nickte. "Okay,
was als nächstes?"
"Der nächste war zwei
Tage später," erläuterte Scully. "Wilhelm Nivek, männlicher Weißer,
18 Jahre alt, Kassierer auf einer Exxon-Tankstelle, ungefähr einen halben Block
von da entfernt , wo die Williams getötet wurden." Auf Nivek, erzählte sie
ihm, war fünfmal geschossen worden, viermal in die Brust, einmal in den Hals -
eine post mortem Wunde, weil sie nicht geblutet hatte. Eine Frau, die in dem
Eisladen nebenan arbeitet, hatte einen jungen Schwarzen gegen neun aus dem
Laden rennen sehen, etwa um die Zeit, als Nivek getötet wurde. Sie hatte der Polizei
eine Beschreibung gegeben, erklärte Scully. "Ja, das war eine große Hilfe,"
meinte Glassmann lachend. "Haben Sie eine Ahnung, auf wie viele Leute in
der Gegend hier diese Beschreibung passt?" "Es ist besser als gar
nichts," erwiderte Scully, sich rechtfertigend.
"Jedenfalls gab es am
nächsten Tag eine weitere Beschreibung ähnlich wie diese."
"Welche war...?"
fragte Mulder und ignorierte Glassmanns Unterbrechung. "In einem anderen Tante-Emma-Laden nahe
der I 10," erklärte Scully. "Harold Donaldson, männlicher Schwarzer,
26 Jahre. In den Kopf und in den Hals geschossen, wieder mit Kaliber-38-Kugeln.
Donaldson wurde lebend gefunden, starb aber, ohne das Bewusstsein
wiederzuerlangen."
Diesmal, so erzählte sie
ihm, wurden rund 200 Dollar aus der Kasse vermißt. Die Waffe, mit der Donaldson
erschossen wurde, war dieselbe, mit der die Williams getötet wurden.
"Hört sich wie eine
Verbindung für mich an, Glassmann," bemerkte Mulder. "Und die letzten
beiden?"
"Vor drei
Tagen," fuhr Scully fort. "In einem Elektronikgeschäft in Pensacola, nicht
allzu weit entfernt von der Florida State Line: der stellvertretende Leiter,
Buck Richards, männlicher Schwarzer, 21 Jahre, und ein Kunde, Jonathan Stouffer,
weißer Männlicher, 35 Jahre alt, der in Mobile lebte." "Wie passen
diese Opfer zu den anderen, Scully?" fragte Mulder. "Unsere Zuständigkeit
könnte davon abhängen."
"Das weiß ich,"
sagte sie und er konnte die Angst in ihrer Stimme hören. Warum war sie nervös?
Das war eine 0815-Untersuchung, nicht so schwierig, dachte er. Scully konnte das im Schlaf.
"Es gibt verschiedene
Verbindungen," erläuterte sie langsam und sah dabei in die Ferne, als ob
sie von einem Blatt ablesen würde, das nur sie sehen konnte. "Beginnen wir mit dem Modus Operandi:
mehrere Schusswunden in den Kopf und in die Brust, Kaliber-38-Kugeln, keine
Anzeichen für einen Kampf bei den Opfern." "Das ist wahr, aber es ist
vielleicht ein bisschen dürftig, um unsere Zuständigkeit daran
aufzuhängen," sagte Mulder, ein wenig leiser. "Irgendetwas anderes?
Was ist mit der Waffe?"
"Die Waffe passt zu
keinem der früheren Morde," antwortete Scully. Sie verschränkte die Arme
vor der Brust und zog die Augenbrauen hoch; ihr Fuß klopfte arhythmisch auf den
gefliesten Boden. "Es fehlte etwas Geld, aber niemand war sich sicher, wieviel,"
fuhr sie fort. Sie biss sich auf die Lippe und sah Mulder so an, als hätte sie
noch irgendetwas zu sagen, aber sie tat es nicht.
"Ist das alles?"
fragte er.
"Nein,"
antwortete sie und schüttelte ungeduldig den Kopf. "Da war noch ein anderer
Grund, ich weiß, dass da etwas war; wenn du einen Moment aufhören könntest,
mich zu bearbeiten, dann kann ich mich vielleicht erinnern." Sie ist wirklich
aus dem Gleichgewicht, erkannte Mulder schockiert. Aber warum? So arbeiteten
sie, verfeinerten ihre Theorie über einen Fall durch geben und nehmen,
hinterfragten die Gedanken des anderen bis sie eine Übereinstimmung darüber
erzielten, wie sie vorgehen würden. Es hatte sie nie zuvor gestört, auch wenn
die Debatte heftig wurde; in Wahrheit schien sie den verbalen Schlagabtausch zu
genießen.
Halt dich besser zurück,
dachte er. Du kannst nicht derjenige sein, der sie über den Rand katapultiert
und sie ist nahe daran.
"Scully," sagte
Mulder vorsichtig. "Ich zweifle nicht an deinen Schlussfolgerungen, aber
ich kann immer noch nicht die Verbindung erkennen, abgesehen von der Munition,
und das würde ich keinen überzeugenden Beweis nennen."
"Sie können sie nicht
erkennen, weil sie nicht da ist," schnaufte Glassmann. "Sie ist da," schnappte sie zurück,
ihr Gesicht gerötet vor - war es Ärger oder Scham? Mulder konnte es nicht
sagen. Dann blickte sie erleichtert zu ihm auf. "Die Zeugen. Es gibt von drei Zeugen
Beschreibungen möglicher Verdächtiger; einer dieser Zeugen beschrieb einen
männlichen Schwarzen fast genauso, wie der vom zweiten Tatort beschrieben
wurde." Einen Moment lang schien sie beinahe glücklich, aber das hielt
nicht lange an.
"Das ist Blödsinn,
Scully," sagte Glassmann und Scully wandte sich wieder ab. "Sie setzen Verbindungen, wo gar keine
sind. Ich sage, wir verschwinden hier und überlassen es den örtlichen
Bauerntölpeln."
"Aus welchem
Grund?" fragte Mulder. "Ich gebe zu , es gibt ein paar Widersprüche..."
"Mein Problem ist,
dass es nicht zusammengeht," unterbrach ihn Glassmann. "Unterschiedliche Waffen, Opfer
unterschiedlicher Rassen, unterschiedlichen Alters... sie wurden
überfallen."
"Warum hat er dann
nichts wertvolles mitgenommen?" fiel Scully ein und sie war nun ernsthaft
erregt, wie Mulder erkennen konnte. Sie zitterte und ihr Gesicht war sogar noch
weißer geworden als zuvor. "Warum bringt man zwei Menschen in einem Laden
voller Computer und Stereozubehör um und verschwindet nur mit dem Bargeld aus
der Kasse?"
"Verdammt große Sache,"
höhnte Glassmann. "Dann ist er eben verrückt. Deshalb ist es noch nicht
unser Fall. Und vergessen Sie die Zeugen; wenn Sie mir einen Cent für jeden
geben, den Sie hier finden und auf den die Beschreibung passt, dann kann ich in
Pension gehen."
"Das reicht jetzt,
Glassmann, lassen Sie sie in Ruhe," forderte Mulder kalt und betonte dabei
jedes Wort einzeln. "Sie hat recht. Mehr als wahrscheinlich handelt es
sich hier um einen einzelnen Täter; vom Modus Operandi her handelt es sich um
einen Mörder auf Tour, nicht um einen Serienkiller im klassischen Sinne. Er wird weiter töten, bis wir ihn
kriegen."
"Ich bin mir nicht
sicher, dass Sie irgendjemand gefragt hat, Mulder," sagte Glassmann.
"Ich habe es jedenfalls ganz sicher nicht getan." "Irgendjemand
hat mich gefragt, Glassmann," antwortete Mulder gleichmütig. "Der stellvertretende
Direktor Walter Skinner hat mich gefragt, über den SSA in Birmingham. Als ich
es das letzte Mal überprüfte, hatte Skinner immer noch die Verantwortung für
das VICAP. Also lassen Sie uns lieber lernen, zusammen auszukommen, nicht
wahr?"
"Nicht eine Minute
länger als ich muss, Spooky," erwiderte Glassmann höhnisch und ließ sich
wieder in seinen Sessel zurückfallen. "Wenn ich irgendetwas in der Sache zu
sagen hätte, wäre niemand von uns hier und Sie würden es ganz sicher auch nicht
sein."
"Nun, zum Glück für
weitere potentielle Opfer haben Sie nichts zu sagen," erwiderte Mulder,
aber seine Augen hatten das Grau von Stahl angenommen. "Ich habe es. Und
ich bin nicht in der Stimmung, noch länger zu streiten; also lassen Sie uns
einfach von hier verschwinden und ins Hotel fahren." Scully zog die
Augenbrauen hoch. "Ich bin so weit. Ich war schon vor zwei Stunden fertig,
aber Agent Glassmann bestand darauf, zuerst hierher zu kommen." "Die
Zimmer waren noch nicht fertig," erwiderte Glassmann. "Wir nutzen nur
die Zeit ein bisschen, bis sie es sind, wenn Sie sich darüber Sorgen
machen." Nicht fertig, dachte Mulder? Dann erinnerte er sich an die Worte
der Portierfrau: Sie haben Zimmer 204 und 206. Glassmann hat die Schlüssel - zu
beiden Zimmern.
Beide Zimmer.
Er hat deinen Schlüssel,
Scully? Wie konntest du ihm deinen Schlüssel geben? Wie konntest du ihn
überhaupt um dich haben wollen, geschweige denn in deinem Zimmer? Nicht mit
diesem Wurm... das kannst du nicht. Der bloße Gedanke machte ihn krank.
Natürlich tat es das. Es
würde auch sie krankmachen. Egal wie sehr sie sich auch verändert hatte, dies
war keine Möglichkeit.
Welches Spiel spielst du,
du Hurensohn, dachte er und warf Glassmann einen wütenden Blick zu. Ich glaube,
ich sollte dich gleich hier auseinandernehmen; es wäre eine nette kleine
Aufwärmung für den wahren Spaß und die Spiele, um diesen Mörder zu fangen.
"Tatsächlich sind sie
fertig," sagte Mulder und sein Ton war sorgfältig gleichmäßig.
"Glassmann, Sie und ich sind in Zimmer 204 und Agent Scully ist im Zimmer
daneben, Nummer 206. Zu dem Sie bereits die Schlüssel haben, wie ich verstanden
habe."
"Das ist nicht
richtig," protestierte Scully und ihr Gesicht wurde noch weißer. "Wir sollten in verschiedenen Stockwerken
sein. Und was machen Sie mit meinen Zimmerschlüsseln?"
"Sie hatten nichts
anderes, Scully," erklärte Glassmann gönnerhaft. "Man kann es sich
nicht immer aussuchen. Und ich habe Ihre Schlüssel, weil ich uns angemeldet habe."
"Sagten Sie nicht,
die Zimmer waren noch nicht fertig?" fragte Mulder und erlaubte nur einer
Spur von Herausforderung, sich in seine Worte zu schleichen. "Was denn nun, Glassmann?"
"Ihnen antworte ich
nicht, Mulder," sagte Glassmann. "Von einem Agenten aus einem
Distriktbüro lasse ich mir einen Scheiß sagen." "Würden Sie lieber
einen Scheiß von jemandem weiter oben gesagt bekommen?" fragte Mulder und
ging auf ihn zu. "Ich könnte das arrangieren." "Gott, Glassmann,
Mulder, hört auf damit," unterbrach Scully sie und legte ihre Hände an
ihre Schläfen, so als würde ihr der Kopf wehtun. "Nicht jetzt. Ich bin müde."
Sie drehte ihren Kopf fort und ließ die Schultern sinken. Sie klingt müde,
dachte Mulder... und irgendwie beschämt. "Ich habe gar nichts gemacht,
Scully," verteidigte sich Glassmann. "Überhaupt nichts. Also hören
Sie auf, sich wie eine Mimose zu benehmen. "Das hat damit gar nichts zu tun und das
wissen Sie genau," erwiderte sie wütend. "Sie und ich, wir haben das
bereits diskutiert..." Dann brach sie ab und schüttelte den Kopf.
"Vergessen Sie es. Geben Sie mir einfach die verdammten Schlüssel und
lassen mich allein. Ich fahre zurück ins Hotel." Sie blickte zu Mulder.
"Ihr könnt machen, was ihr wollt."
War es Zorn oder war es
Angst, die die Farbe aus ihrer Haut weichen ließ? Und wegen ihm oder wegen
Glassmann? Wie auch immer, dachte Mulder, sie ließ es nicht heraus und das
vergiftete sie. Es brachte sie um. Zur Hölle, so ist es. Nicht weil ich hier
bin. Auf keinen Fall. Niemals.
"Scully," sagte
er leise.
Sie kannte diesen Ton; sie
hatte sechs Jahre damit verbracht zu lernen, darauf zu reagieren, wenn sie ihn
hörte. Erschrocken blickte sie rasch auf. "Wenn du möchtest, helfe ich dir, ein
anderes Zimmer zu finden," sagte Mulder mit gleichmäßiger Stimme.
"Möchtest du das?"
Empfindungslos schüttelte
sie den Kopf und Mulder drehte sich frustriert um und atmete beinahe zischend
ein. Sei nicht wütend auf sie, dachte er. Sie ist das Opfer. Wieder... Er
atmete tief ein. Hilf ihr einfach, sagte er sich. Du kannst ihr helfen. Du
musst; aus welchem Grunde auch immer, sie kann sich nicht selbst helfen.
Er drehte sich um und sah,
dass sie ihn mit demselben nervösen, beschämten Blick ansah. Noch einmal atmete
er tief ein und versuchte sich so gut es ging zu beruhigen. Es war nicht
einfach. "Es ist deine Entscheidung, Scully," meinte er. "Aber wenn du deine Meinung
änderst..."
"Ich weiß,"
antwortete sie rasch. "Aber ich bin in Ordnung. Es war ein Fehler, Mulder;
lass es einfach."
"Lass uns nur
sichergehen, dass er sich nicht wiederholt," entgegnete er und warf
Glassmann über die Schulter einen Blick zu. Glassmann sagte nichts. Er ist zu verdammt
zuversichtlich, dachte Mulder. Ich würde mich freuen, ihm eine Kugel direkt in
dieses Grinsen zu verpassen, dachte er. Nein. Bleib professionell. Bleib kühl.
Du kannst mit diesem Scheißkerl umgehen.
"Agent
Glassmann," sagte Mulder und drehte sich um.
"Ja?" antwortete
der Mann, augenscheinlich gleichgültig. "Glassmann,
Sie und ich scheinen ein Problem zu haben," erklärte Mulder mit der Art
Geringschätzung, die er selten außerhalb von Verhörzimmern zeigte. "Ich persönlich
interessiere mich einen Scheiß dafür, ob Sie mit mir reden oder nicht, aber ich
habe keine Wahl und Sie auch nicht. Wir haben hier alle einen Job zu erledigen,
also müssen wir uns alle sehr schnell verständigen. Und sehr schnell bedeutet
jetzt. Heute Abend."
"Welche Art von
Verständigung soll das denn sein, Spooky?" fragte Glassmann und verschränkte,
immer noch grinsend, die Arme vor der Brust. Mulders Augen verengten sich beinahe
unmerklich. "Mein Name ist Mulder," sagte er sanft, aber die Drohung
war unmissverständlich. "Oder Agent Mulder, was immer Sie bevorzugen. Die
Verständigung ist, von jetzt an werden Sie Agent Scully höflich, professionell
und mit dem Respekt begegnen, den sie für ihr Können und ihre Erfahrung
verdient. Wenn Sie ein Problem damit haben. das zu verstehen, können wir das
auch woanders diskutieren."
"Von Ihnen nehme ich
keine Befehle an," fauchte Glassmann aggressiv und stand auf.
"Oh, ich glaube, ich
kann Sie überzeugen," antwortete Mulder noch ein wenig ruhiger.
Glassmann sagte nichts.
"Also kann ich davon
ausgehen, dass es keine weiteren Fragen gibt?" fragte Mulder.
"Leck mich,"
antwortete Glassmann und drehte ihm den Rücken zu. Das genügte Mulder als Antwort. Er sah zu
Scully hinüber. Die Scham war immer noch da, aber für einen Moment sah sie
beinahe... dankbar aus. Du bist sicher,
Scully, dachte er. Nichts wird dir passieren. Nicht solange ich lebe.
Sie fing den Blick auf,
aber ihre Augen zeigten keinerlei Reaktion. "Lass uns einfach für heute
Schluss machen und morgen darauf zurückkommen," sagte sie. "Ich brauche etwas Schlaf. Allein,"
fügte sie bedeutungsvoll hinzu. "Das
wird kein Problem sein," erwiderte Mulder ruhig. "Agent Glassmann ist
im Zimmer nebenan zusammen mit mir. "Seltsamerweise war das Zimmer
verfügbar, als ich ankam."
"Ich glaube nicht,
dass ich mit Ihnen in einer Koje schlafen will, Mulder," meinte Glassmann
geringschätzig.
"Ich mag die Idee
auch nicht sonderlich, Glassmann," erwiderte Mulder. "Aber ich glaube
nicht, dass Sie eine Wahl haben, es sei denn, Sie haben einen Erlass, der Sie
zu einem Einzelzimmer berechtigt, wenn Sie mit einem anderen Agenten desselben
Geschlechts unterwegs sind. Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, besagten
die Regeln für so eine Situation zwei Mann in einem Zimmer." "Womöglich
muss ich kotzen," sagte Glassmann.
"Vielleicht leiste
ich Ihnen Gesellschaft," reagierte Mulder. Dann drehte er Glassmann den
Rücken zu, als wäre er vollkommen unwichtig. "Scully, kommst du zurück ins
Hotel?"
"Ich bin mit
Glassmann gefahren," antwortete sie.
"Möchtest du lieber
mit mir fahren?" fragte er vorsichtig. "Ich gehe jetzt." Sie
zögerte, aber so kurz, dass niemand außer Mulder es je bemerkt hätte. Aber sie
nickte. "Sicher," sagte sie. "Gib mir nur eine Sekunde, um ein
paar Sachen wegzupacken."
Scully trat hinter die
Wandtafel, öffnete eine stählerne Instrumentenbox und verschloss die
gesammelten Beweise darin.
"Glassmann, ich
glaube, Sie haben die Schlüssel zu Agent Scullys Zimmer," meinte Mulder
lässig, als Scully hinter dem Raumteiler verschwand. "Kann ich sie bitte haben?"
"Ich sehe nicht, dass
sie mehr als einen benötigt," antwortete Glassmann und zog die
Plastikkarten aus seiner Tasche.
"Und ich sehe nicht,
dass Sie einen brauchen," sagte Mulder. "Geben Sie sie mir.
Jetzt."
Glassmann warf die Karten
auf den Tisch. "Ich hoffe, Sie werden glücklich, Mulder," zischte er
und meinte es ganz klar nicht so. "Wenn
nicht, dann haben wir wenigstens etwas gemeinsam, Glassmann," erwiderte Mulder,
zu leise für Scully, um es zu hören, als er die Schlüssel an sich nahm. Egal was mit ihr nicht stimmte, eher gefror
die Hölle, als dass sie ihn mit dieser Art Bockmist davonkommen ließ.
Etwas lauter fügte er
hinzu, "Denken Sie daran: Sie sind in Zimmer 204, nicht 206. Öffnen Sie
nicht die falsche Tür. Wir sehen uns dort." Er drehte sich um und sah
Scully zur Tür gehen mit der Beweismittelbox in der Hand. "Lass uns gehen," sagte sie.
"Ich muss das hier nur noch Officer Mack geben auf dem Weg nach
draußen."
"Okay, wir finden
ihn," antwortete Mulder. Er schien ruhig, aber Scully wusste, dass er
nicht so ruhig war, wie er versuchte zu erscheinen. War es die Konfrontation
mit Glassmann oder die Aussicht darauf, allein mit ihr zu sein? Wie auch immer, dies würde ein langer Fall
werden, dachte sie. Ein langer, unerfreulicher Fall, betont durch emotionale
Komplikationen. Ich hätte das FBI verlassen sollen, bevor ich dich je
wiedergesehen habe, Mulder, dachte sie, als sie ihn mit einem Blick streifte.
Er beobachtete sie. Wie ärgerlich. "Fertig,
Scully?" fragte er und sah ihr in die Augen. Sie las die Botschaft darin: Du bist jetzt
sicher, Scully. Ich pass auf. Sie nickte, unwillig eine Erwiderung zu
formulieren. Jetzt erinnere ich mich, dachte sie. So haben wir kommuniziert.
Die Augen. Es war alles in den Augen. In diesem Fall, dachte sie, bin ich mir
nicht sicher, ob ich ihn wirklich wieder ansehen will.
~~~~~~
Einmal habe ich mich
verliebt,
aber nun zerbreche ich
nur.
Es gibt nichts, was ich
tun kann, eine totale Finsternis im Herzen Einmal war ein Licht in meinem
Leben, aber nun ist da nur noch die Liebe im Dunkeln, nichts kann ich sagen,
eine totale Finsternis im Herzen.
"Totale Finsternis im
Herzen"
Kapitel 8
Daphne, Alabama
11:56 p.m.
Sie sprachen nicht auf dem
Weg zu Mulders Wagen. Er ließ sie einsteigen, stieg dann selbst ein und
startete den Motor, aber er legte noch keinen Gang ein und saß einfach nur mit
den Händen auf dem Lenkrad da. Er will
reden, dachte Scully. Und natürlich müssen wir reden. Aber was will ich ihm
sagen? Sie drehte sich herum, um ihn anzusehen und erblickte das Zögern in seinen
Augen und das vorsichtige Lächeln auf seinen Lippen. Ich kenne diesen Ausdruck,
dachte sie. Er wartet darauf, dass ich ihm zeige, dass alles mit uns in Ordnung
ist, und das ist es nicht. Zur Hölle mit ihm - manchmal wünschte ich, ich hätte
ihn nie getroffen. Aber Gott helfe mir, ich bin froh, dass er hier ist.
Mulder, du Bastard, ich
weiß verdammt noch mal nicht, was du von mir hören willst. Dann sah sie die
Überraschung in seinem Blick und erkannte erschrocken, dass sie den letzten
Satz laut gesprochen hatte. "Du
musst mir gar nichts sagen, Scully," sagte er und das Lächeln war verschwunden.
"Ich hab die Botschaft verstanden." "Hast du das?" fragte
sie, so ruhig sie konnte und versuchte, den Tumult, der in ihr tobte, zu
verbergen.
"Dass du nicht gerade
vor Freude überschäumst, mich zu sehen?" erwiderte er grimmig. "Ja.
Ich denke, das hast du ganz deutlich gemacht." Er legte den Gang ein und
fuhr aus der Parklücke auf den Highway. Dann
herrschte ein langes, unbehagliches Schweigen. "Mulder, ich weiß nicht, was ich dabei
empfinde, dich wiederzusehen," sagte sie schließlich mit flacher Stimme.
"Ich wünschte, ich würde es wissen." "Wie kannst du es nicht
wissen?" fragte er. "Wie ist es möglich, dass du nicht weißt, was du
mir bedeutest?"
"Es tut mir leid,
habe ich deine Gefühle verletzt?" entgegnete sie kalt. "Wie furchtbar
für dich. Es ist schmerzhaft herauszufinden, dass jemand, der dir wichtig ist,
deine Gefühle nicht erwidert. Ich kenne das - ist mir um Weihnachten herum
passiert."
Bei dieser Äußerung zuckte
er zusammen; als er wieder sprach, war seine Stimme dunkler und wesentlich
weniger lebhaft. "Scully, du weißt, warum ich gegangen bin," sagte
er. "Ich habe es dir gesagt. Es hat nichts mit dem zu tun, was ich für
dich empfinde. Das musst du glauben."
"Es liegt mir
wirklich nichts daran, darüber zu reden," erwiderte sie, drehte den Kopf
zur Seite und sah aus dem Fenster. "Ich muss über andere Dinge nachdenken,
Dinge, die nichts mit dir zu tun haben." "Wenn du nicht über
persönliche Angelegenheiten reden willst, das ist in Ordnung." Er richtete
seine Augen weiter auf den Highway. "Im Moment denke ich auch nicht, dass
ich es will. Aber wir haben einen Job zu erledigen, zusammen offensichtlich,
und wir können es nicht tun, wenn wir uns vor dem anderen verschließen. Diese
Untersuchung wird es nicht geben, wenn wir nicht miteinander reden."
"Okay, Mulder,"
erwiderte sie, aber ihre Selbstkontrolle versagte wieder einmal. Sie wirbelte herum. "Lass uns reden. Lass
uns über eine Menge Dinge reden, zum Beispiel darüber, wie du entscheiden
konntest, unsere Partnerschaft zu beenden, ganz allein, ohne irgendeinen
Beitrag von mir." Tränen schossen ihr in die Augen; wütend wischte sie sie
fort. "Mulder, ich habe dich angefleht zu bleiben;
Gott, es bringt mich um,
wenn ich daran denke, wie sehr ich mich erniedrigt habe, und es gab nie auch
nur die geringste Hoffnung, dass du mir zuhören würdest oder auf das hören
würdest, was ich wollte. Ich weiß nicht, wie du mir das antun konntest."
"Ich wollte nur
sichergehen, dass du außer Gefahr warst und es dir gut ging," antwortete
er und starrte weiter auf die Straße, als würde ein weiterer Blick von ihr ihn
womöglich umbringen. "Ich wollte dich nicht erniedrigen und ganz sicher
wollte ich nicht ohne dich sein. Ich will es auch jetzt nicht." "Oh
wirklich," äußerte sie so empört, dass Mulder nicht hinsehen musste, um zu
wissen, dass der Ärger aus ihren Augen sprühte. "Also, sieh mich an, Mulder.
Sehe ich aus, als ginge es mir
gut?"
Er antwortete nicht und er
bewegte sich nicht.
"Mulder, verdammt
noch mal, sieh mich an," verlangte sie mit dunkler Stimme.
"Das ist das
Mindeste, was du jetzt tun kannst." Er warf ihr einen kurzen Blick zu und
sein Kopf sackte nur für eine Sekunde nach unten, bevor er seinen Blick zurück
auf die Straße zwang. "Du siehst unglücklich aus," sagte er
schließlich. "Aber ich bin nicht eingebildet genug, um zu glauben, dass
das alles nur wegen mir ist."
"Nein, nicht
alles," schoss sie zurück. "Aber genug, um mich sehr unsicher zu machen,
ob ich wieder mit dir arbeiten will."
Das tat ihm weh. Sie
konnte es sehen. Ein Teil von ihr wollte ihn trösten, den Schmerz fortnehmen,
aber der andere Teil von ihr - der Teil, der den Verlauf der Dinge bestimmte -
glaubte, er hätte noch nicht einmal annähernd genug. "Möchtest du wissen, was ich jetzt tue,
Mulder?" fragte sie und ihre Augen funkelten. "Ich arbeite im VICAP.
Natürlich nennt mich jeder Mrs. Spooky, sogar mein Vorgesetzter, SSA Rolfe, der
mich verachtet, weil er dich zuerst verachtet hat. Ich habe kein Privatleben;
meine Freunde sind alle schon vor Jahren verschwunden, weil es niemals Platz
für sie und für dich in meinem Leben gab und ich mich für dich entschieden
hatte. Kurz gesagt, Agent Mulder, du hast mir alles genommen, was ich jemals
hatte und ich war noch nie so unglücklich in meinem Leben." Die letzten
Worte spuckte sie ihm förmlich ins Gesicht. "Hat dich Mike Rolfe wirklich so
genannt?" fragte Mulder ungläubig. Für
einen Moment war das einzige Geräusch das Tappen von Scullys Fingernägeln auf
dem harten Vinyl der Armlehne. "Es geht immer nur um dich, nicht wahr, Mulder?"
sagte sie kalt. "Vergiss alles andere, was ich gesagt habe. Das einzige,
worum du dich zu sorgen scheinst, ist ob jemand mich Mrs. Spooky nennt, weil
das ein schlechtes Licht auf dich wirft, nicht wahr? Na gut, was irgendjemand
über dich denkt, ist die letzte meiner Sorgen." "Nun, du schienst es
als ziemlich große Beleidigung genommen zu haben," begann er, aber sie
unterbrach ihn.
"Sieh mal,"
erklärte sie. "Die Frage ist nicht, wie mich irgendjemand nennt. Es geht
darum, ob ich überhaupt noch eine Karriere vor mir habe. Aber wenn das für dich
okay ist, dann würde ich jetzt lieber nicht darüber reden." "Nein, es
ist nicht okay," erwiderte er ungeduldig. "Du hast es sehr deutlich gemacht,
dass du wünschtest, ich wäre nie aufgetaucht, und wenn das so ist, dann ist es
so. Aber wenn du nicht jetzt deine Marke abgeben willst, dann müssen wir diesen
Fall zusammen bearbeiten, ob es dir passt oder nicht." "Es passt mir
nicht," fauchte sie. "Wenn du gewollt hättest, dass ich mit dir arbeite,
wenn du mich darum gebeten hättest, wäre es etwas anderes gewesen, aber du hast
es nicht. Das war nicht deine Idee, Mulder; du warst total schockiert, als du
mich gesehen hast. Verrat mir eines: wenn du gewusst hättest, dass ich an diesem
Fall mitarbeite, hättest du ihn dann angenommen?" "Frag mich das
nicht," sagte er gereizt. "Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten
kann."
"Ist es das?"
fragte sie. "Möchtest du gern eine andere Frage hören, die du nicht
beantworten kannst? Wie kommt es, dass du so besorgt um mein Wohlergehen bist,
dass du sogar fortgehen musstest, um mich zu beschützen, dass du mich nicht
einmal anrufen konntest oder mir eine email schicken oder mir schreiben, nur um
zu fragen, ob ich noch lebe? Ich meine, nicht einmal an meinem Geburtstag. Ich
habe den ganzen Tag am Telefon gewartet und geglaubt, dass du mich wenigstens
an diesem Tag anrufen würdest. Ich habe beinahe mein eigenes Geburtstagsessen
bei meiner Mom verpasst, weil ich so sicher war, dass du anrufen würdest. Aber
du hast es nicht getan." Mulder sagte nichts.
"Du hast dich nicht
einmal daran erinnert, nicht wahr?" fragte sie verbittert.
"Du warst... so
beschäftigt mit irgendetwas anderem, nehme ich an." Er konnte nicht
antworten. Sie hatte recht - er hatte ihren Geburtstag vergessen oder hatte ihn
absichtlich aus seinem Hirn verbannt. Aber es ihr gegenüber zugeben war kein
bisschen hilfreich. Und selbst wenn er sich erinnert hatte, er hätte nicht
angerufen.
"Mulder, sag
etwas," forderte sie und hasste die Wut in ihrer Stimme, fühlte aber, dass
sie sogar noch zunahm. "Sag mir, dass du nicht wusstest, wie elend ich
mich seit dem Tag fühle, als du mir sagtest, dass du gehst." "Ich
wusste es nicht."
"Du bist ein
Lügner."
Das traf ihn. "Ich
bin was?" fragte er. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig
gehört habe."
"Ein Lügner,"
sagte sie und ihre Augen waren kälter als er sich jemals hätte vorstellen
können. "Du hast mich richtig verstanden. Du kennst mich besser als irgendjemand
sonst auf der Welt. Und du weißt, seit du gegangen bist, geht es mir absolut
und ganz sicher verdammt elend!"
Sie schrie ihm
Obszönitäten ins Gesicht. Mein Gott, dachte er verwirrt, wie war es so weit
gekommen?
"Mulder, sogar heute
Abend mit Glassman, bedeutete alles, was ich gesagt habe, alles was ich
versuchte zu diesem Fall beizusteuern, nichts," sagte sie und ihre Stimme
zitterte vor Wut. "Niemand hört mir zu. Niemand respektiert etwas von dem,
was ich zu sagen habe, weil sie alle wissen, dass ich früher kleine grüne Männchen
und mexikanische Ziegensauger gesucht habe und ich weder die Oxford-Bildung
noch das Y-Chromosom habe, um diesen Mangel zu überspielen. Und du kreuzt auf
und sagst Glassman, dass ich recht habe und das soll alles gut machen? Nein.
Diese Art von Hilfe will ich nicht, weder von dir noch von sonst wem. Ich will
nicht Mrs. Spooky sein. Ich möchte mehr sein, als nur ein bedeutungsloser
Scherz."
Absolute Stille.
"Hast du mir gar
nichts zu sagen?" fragte sie praktisch zischend, aber mit Tränen in den
Augen. "Überhaupt nichts?"
"Ich bin kein Lügner,
Scully," erwiderte er und sie sah, dass seine Augen, zum ersten Mal heute
Abend, monoton und freudlos waren. "Bist
du nicht?"
"Nein. Aber ich bin
ein Feigling."
"Oder nur ein
verdammter Wahnsinniger," fauchte sie. "Vielleicht wirst du einfach
durch mich verrückt, Mulder." Die Worte waren kaum aus ihrem Mund, als sie
erkannte, was sie getan hatte. Sie wusste, dass die von den Verschwörern sorgfältig
aufgebauten Lügen und Irreführungen ihn bis zu einem Punkt gequält hatten, dass
er manchmal an seinem eigenen Verstand zweifelte; sie wusste es, weil er es ihr
erzählt hatte, er hatte ihr mit diesem geheimen Wissen vertraut. Und nun verspottete sie ihn deswegen, nutzte
ihren Zugang zu seinem privatesten Selbst, um ihn zu verletzen. Egal was er
gesagt oder getan hatte, das war einfach zu weit unterhalb der Gürtellinie und
sie wusste es. Und er auch.
"Was zum Teufel soll
das heißen?" verlangte er mit einem heftigen Seitenblick zu ihr zu wissen.
"Nichts,"
antwortete sie und schüttelte frustriert den Kopf. "Es heißt gar nichts.
Es tut mir leid, dass ich es gesagt habe. Vergiss es, in Ordnung?" "Auf
keinen Fall," rief er und nun zitterte seine Stimme. "Das war ein verdammter
Tiefschlag, Scully. Wenn du wütend bist, in Ordnung, aber um Gottes Willen, hör
auf damit, mich verrückt zu machen, okay?" Die Reifen quietschten; er fuhr
auf den Parkplatz des Hotels, fuhr zu schnell und drückte das Bremspedal mit
solcher Macht, dass sie den verbrannten Gummi der Reifen riechen konnte. Sie
erinnerte sich daran; so fuhr er immer, wenn er verdammt wütend war. Und wenn
Mulder so wütend war, so verletzt, dann blieb er nicht, um es zu Ende zu
bringen; er verschwand einfach. Der
Gedanke ließ sie vor Angst und Besorgnis frieren. Jetzt fuhr er unter den Baldachin
und hielt den Wagen an. Er sagte nichts, aber die Botschaft war deutlich: hier
hast du auszusteigen.
"Tu es nicht,"
sagte sie und ihre Stimme bebte. "Tu es nicht, Mulder." "Tu was
nicht?" fragte er immer noch wütend. "Nicht mit dir reden? Dich nicht
in dein Hotel bringen? Nicht fortgehen, damit du noch ein paar billige Schüsse
auf mich abschießen kannst? Du hast mich die letzten 15 Minuten lang
angeschrieen, und wenn ich mich recht erinnere, habe ich verdammt noch mal gar
nichts gesagt, um dich zu provozieren. Also was genau möchtest du nicht, dass
ich es tue, Scully?"
"Halt hier nicht an
und setz mich raus," antwortete sie und nun zitterte sie so heftig, dass
er sie kaum verstehen konnte. "Park den Wagen, Mulder. Bitte. Lass mich
nicht hier zurück."
Einen Moment glaubte sie,
er würde es ablehnen, würde ihr befehlen, aus dem Wagen zu steigen und dann
fortfahren, aber er tat es nicht. Ohne ein Wort startete er den Motor wieder
und fuhr die paar Meter zum Parkplatz an der Seite des Hotels und hielt an.
"Okay, ich habe geparkt," sagte er und drehte seinen Kopf herum, um
sie anzusehen. "Was nun?"
Sie atmete langsam ein und
aus. Sie wartete, bis sie sich sicher war, dass sie sprechen konnte, ohne in
Tränen auszubrechen. "Ich... Mulder, ich muss mich entschuldigen,"
sagte sie beinahe flüsternd. "Ich hätte nicht sagen sollen, was ich gesagt
habe. Ich wollte nie... die Beherrschung verlieren. Ich begreife, dass wir
damit professionell umgehen müssen."
Mulder beobachtete sie
vorsichtig, aber die Wut verschwand langsam aus seinen Augen und wich dem
Ausdruck des Profilers. Er las in ihr, drang in ihren Kopf ein, etwas, von dem
sie sich ziemlich sicher war, dass er es nie zuvor getan hatte, nicht
ernsthaft.; nicht mit ihr. Doch sie glaubte nicht, dass sie es mochte. Nicht
ein bisschen.
"Ich glaube
nicht," antwortete er langsam, "dass es ein Problem sein wird zusammenzuarbeiten,
wenn es das ist, was du willst. Ich vertraue immer noch einem Urteil,
Scully."
"Das ist sehr
freundlich von dir," entgegnete Scully, aber sie konnte es nicht so kühl
und unnahbar klingen lassen, wie sie es wollte; sie war wieder kurz davor, zu
weinen. Verdammt, Dana, dachte sie. Krieg dich unter Kontrolle. Das ist nicht
das Gesicht, das du ihm jetzt zeigen möchtest. Sei stark, um Gottes Willen.
Sie wandte ihr Gesicht von
ihm fort. "Mulder, du kannst dich darauf verlassen, dass ich alles tun
werde, was hier getan werden muss, weil mir sehr daran gelegen ist, das hier so
schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich dachte, alles was ich tun muss,
war die Beweise zu sichern, die uns in diesem Fall ein Urteil ermöglichen und
so schnell wie möglich nach Quantico zurückzukehren." "Warum bist du
dann immer noch hier?" fragte er und sprach nun etwas ruhiger. "Ich dachte, du hättest bereits
entschieden, dass es sich um eine Bundesangelegenheit handelt?"
"Ich bin nur hier,
weil ich hier sein muss," erwiderte sie. "Das sind meine neuen
Befehle, so wie heute Abend: bleib da und assistiere dem Profiler - dir - bei
der Analyse der vorhandenen physischen Beweise." "Ich kann mir
niemanden vorstellen, mit dem ich es lieber täte," bemerkte Mulder und
seine Stimme war immer noch gleich. "Aber ist das der einzige Grund, warum
du bleibst?"
"Welchen anderen
Grund könnte ich haben?" fragte sie und war wütend darüber zu hören, wie
ihre Stimme versagte. "Mir wurde befohlen hier zu sein, also bin ich hier."
"Aber...?"
"Nichts aber. Es ist
mein Job." Scully schluckte schwer und versuchte, ihren Atem zu
verlangsamen, aber ihre Selbstkontrolle zerbrach zunehmend. Sie blinzelte
heftig und hoffte, er würde die Tränen nicht sehen, die begannen, über ihre
Wangen zu laufen.
"Mulder, ich
versuche, mit dir zu arbeiten," erklärte sie mit erstickter Stimme. "Ich werde es. Aber ich kann mich ehrlich
nicht dazu bringen, mich darum zu sorgen, ob wir hier Erfolg haben oder
nicht."
Mulder sah die Tränen,
widerstand aber dem Impuls, sie wegzuwischen. Einmal hatte sie sich nicht
geschämt, vor ihm zu weinen oder sogar in seinen Armen, aber diese Zeit war für
immer vorbei, dachte er. Wenn er das schon nicht ändern konnte, so konnte er
wenigstens versuchen, so zu tun, als hätte er es nicht bemerkt. Er blieb, wo er
war und schwieg.
"Mulder, es tut mir
leid," sagte sie und kämpfte darum, ihre Stimme gleichmäßig zu halten und
versagte absolut. "Aber ich denke, du erkennst, dass ich wirklich nicht
die Partnerin bin, die du im Moment brauchst." "Das glaube ich nicht,
Scully," hielt er dagegen. "Du hast jedes Recht, wütend auf mich zu
sein, aber ich werde niemals glauben, dass wir nicht zusammenarbeiten
können."
"Nein,"
antwortete sie und hielt ihren Blick in die Dunkelheit da draußen gerichtet.
"Ich kann nicht," sagte sie und weinte nun offen. "Ich kann
einfach nicht. Ich bin nicht mehr die, die ich einmal war, Mulder. Ich habe
nicht mehr das emotionale Gleichgewicht, um das zu tun, was du brauchst. Ich
hasse schon den Gedanken, im Moment da draußen zu sein."
"Das entspricht
niemandes Vorstellung von Spaß," sagte er. "Besonders nicht diese Art
von Fall."
"Früher konnte ich es
tun," antwortete sie immer noch weinend und schreckte vor ihm zurück.
"Ich war gewöhnt, eine Menge Dinge zu tun. Jetzt bin ich vollkommen unprofessionell."
"Du warst in deinem
ganzen Leben noch nicht unprofessionell," erwiderte er. "Und ich kann
sagen, dass die Dinge in der letzten Zeit für dich nicht sonderlich gut liefen."
"Nicht so schlecht,
um dich derart anzuschreien, wie ich es getan habe," meinte sie, ein wenig
ruhiger, aber ihre Stimme war immer noch belegt und sie schniefte zwischen den
Worten, wie ein ängstliches kleines Mädchen. "Das ist eine natürliche Reaktion,"
sagte er.
Wieder versteifte sie
sich, aber sie entspannte sich ein wenig, als sie bemerkte, dass Mulder im
Augenblick nicht im Profiler-Modus war. Er versuchte einfach nur, versöhnlich
zu sein.
"Vielleicht ist es
einfach nur eine seelische Reinigung," fuhr er fort. "Wie ein Elternteil,
das ganz krank ist vor Sorge und weint, weil das Kind so spät noch draußen ist.
Und wenn das Kind nach Hause kommt, hören die Eltern auf, sich Sorgen zu machen
und werden wütend."
"Glaubst du, das ist
mit mir passiert?"
"Das, oder etwas
ähnliches."
"Und warum genau
sollte das sein?" fragte sie und ärgerte sich wieder aus Gründen, die sie
nicht verstehen konnte. "Du glaubst, dass ich vor Sorge um dich krank war
und nun bin ich wütend?"
Aber Mulder schluckte den
Köder nicht. "Ich weiß nicht," meinte er gedankenvoll. "Ich weiß nicht, was passiert ist oder
warum du beim VICAP arbeitest mit diesem kleinen Ekel, aber ich weiß, dass ich
dich nie so verängstigt und besiegt gesehen habe. Ich hätte niemals geglaubt,
dass das passieren kann." Beinahe hätte sie gelächelt über die Bemerkung
mit dem kleinen Ekel, aber das Lächeln war schnell verschwunden bei dem Wort
besiegt. Ich bin nicht besiegt, dachte sie. Bin ich es?
"Ja," sagte er
sanft und sie wusste, dass er wieder in ihr gelesen hatte. "Scully, ich weiß nicht, was verkehrt
ist, obwohl ich mir ein bisschen was denken kann. Später, wenn es für dich in
Ordnung ist, wirst du mir vielleicht davon erzählen. Aber im Augenblick bist du
erschöpft. Du willst nicht einmal zurückschlagen. Irgendetwas ängstigt dich,
Dana, und ich glaube irgendwie, dass es meine Schuld ist."
Dana, dachte sie dumpf. Er
hat mich Dana genannt. Das bedeutet, dass ich aufmerksam sein muss. Oder nicht?
Sie schüttelte den Kopf.
"Es ist nicht deine Schuld," erwiderte sie tonlos. "Glassman ist ein Ekel und ich hasse das
VICAP, aber ich bin dort, weil ich darum gebeten habe." Sie blickte ihn
wieder an. "Was immer in meinem Leben falsch läuft, ist meine Schuld,
Mulder, nicht deine." "Ich wünschte, ich könnte das glauben,"
meinte er mit einem wehmütigen Lächeln. "Aber
jetzt ist nicht der Augenblick, um die Stärke der Kräfte zu erforschen, die
sich gegen dich stellen. Du bist müde und du musst schlafen." Ich bin
nicht müde, Mulder, dachte sie. Ich bin erschöpft. Ein bisschen Zimmerservice,
eine heiße Dusche, in meinen Schlafanzug wechseln, versuchen zu schlafen... und
darum beten, dass ich nicht laut genug schreie, dass mich jemand hört, wenn
heute Nacht die Träume beginnen. Bei dem Gedanken schauderte sie. "Scully?" fragte er. "Möchtest
du hineingehen?"
Sie nickte. "Lass uns
gehen,"
Sie stiegen aus dem Wagen
und Mulder ging nach hinten, öffnete den Kofferraum und holte sein Gepäck
heraus. Und dann fiel es ihr ein. "Oh, verdammt," sagte sie und
schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. "Was ist?" fragte Mulder.
"Mein Gepäck."
Sie ließ empört die Hand sinken. "Es ist im Mietwagen und den fährt Glassman.
Ich hab gar nichts zum Schlafen." "Mach dir deshalb keine
Sorgen," meinte er schulterzuckend. "Ich hole deine Sachen von
Glassman, sobald er hier ist."
Sie schüttelte den Kopf.
"Er bleibt immer bis in die Puppen auf, wenn er unterwegs ist. Jedenfalls
wird er es mir bringen wollen und ich will ihn nicht in meinem Zimmer haben.
Lass uns diesen Kampf nicht heute Nacht führen," sagte sie, als Mulder
anfing zu sprechen. "Morgen ist früh genug dafür. Aber ich wäre dir sehr
dankbar, wenn du ein extra T-Shirt hättest, das du mir leihen könntest."
Einen langen Moment sah er
sie an, dann seufzte er. "Ja, ich denke, das kann ich tun,"
antwortete er. "Warte eine Sekunde." Er griff in seine Reisetasche
und holte ein T-Shirt der New York Knicks heraus, an das sie sich gut
erinnerte. "Das müsste gehen,"
meinte er und hielt es ihr hin. "Oder verletzen die Knicks Ihren guten
Geschmack, Agent Scully?"
Sie schüttelte den Kopf
und nahm das T-Shirt. "Nicht solange die Spurs ihnen immer noch kräftig
den Hintern polieren können, Agent Mulder," entgegnete sie. Einen Moment lang starrte er sie an und sah
verletzt aus. "Gott, Scully," murmelte er. "Das ist wirklich
grausam. Du solltest die Unterlegenen nicht verspotten."
Und zu ihrer Überraschung
lachte sie.
Wie lange war es her, seit
sie zusammen gelacht haben? Und wie lange, seit sie dieses sanfte Lächeln in
seinem Gesicht gesehen hatte, das Lächeln, das sagte, dass er zufrieden war,
sie glücklich gemacht zu haben? Es
schien Ewigkeiten her zu sein.
"Komm," sagte er
und zum ersten Mal an diesem Abend hörte sie eine Spur von Zuneigung in seiner
Stimme. "Ich bring dich in dein Zimmer." Sie blickte zum Eingang zur
Lobby und schüttelte den Kopf. "Lass uns hinten herum gehen, ja?"
"Sicher," meinte
er.
Er wusste, was los war.
Sie wollte nicht durch die Lobby gehen, so wie sie aussah, mit roten Augen und
dem ganzen Make-up aus dem Gesicht gewischt. Dass er sie tatsächlich ohne
Make-up mochte, dass er die Handvoll Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren
Wangen mochte, behielt er klugerweise für sich. Sie gingen um das Hotel herum zu dem Eingang,
der an der Poolseite lag. Während sie schweigend mit dem Fahrstuhl nach oben
fuhren, hielt sie ihr Gesicht von ihm abgewandt, aber das Schweigen war jetzt
nicht mehr so schmerzhaft wie vorher. Wenn
sie auch noch nicht wieder dabei waren, Freunde zu sein, dachte er, so waren
sie doch wenigstens auf dem Weg, wieder Partner zu sein. Zeitweilig, erinnerte
er sich selbst. Das hatte sich nicht geändert, das konnte sich nicht ändern,
solange sie in Gefahr war.
Sie fanden Scullys Zimmer
und Mulder setzte seine Tasche ab, nahm die Schlüssel aus der Tasche, schloss
auf, öffnete die Tür und gab ihr beide Schlüssel. "Danke," sagte sie und sah ihn immer
noch nicht an. "Sicher," sagte
er leise und nahm seine Tasche wieder auf. "Ich sehe dich morgen." Er
drehte sich um, um seine eigene Tür zu öffnen und Scully beobachtete ihn
heimlich und erinnerte sich an die vielen Male, an denen sie dieselbe Routine
durchlaufen hatten, als sie noch Partner waren und sich für den Abend trennten.
Nun - das war großzügig
gedacht, denn sie blieben selten lange getrennt. Die meiste Zeit endeten sie
entweder in dem einen Zimmer oder in dem anderen, besprachen die Dinge manchmal
kurz, manchmal bis weit in die Nacht. Es war so einfach gewesen, so mit ihm
zusammen zu sein, auch wenn die Diskussionen manchmal heftig wurden, weil es
immer auf seinem Vertrauen in sie beruhte, seinem Glauben, und mit der Zeit auf
einer zarten Zuneigung, die sie beide in Ehren hielten und sich dennoch nicht
eingestanden. Diese Zuneigung gab es jetzt immer noch, egal was sonst passiert
war, egal wie rau sie ihn heute Abend behandelt hatte. Sie war in seinen Augen
und in seiner Stimme; sie war sogar in der Art, wie er ihre Tür geöffnet hatte.
Nein. Scully konnte ihn
noch nicht gehen lassen, nicht ohne die Dinge ein wenig zu glätten. Sie warf
das T-Shirt auf das nächste Bett und drehte sich wieder zu ihm um.
"Mulder?" fragte sie so ruhig sie konnte und hoffte, zu der
Normalität dieses einst vertrauten Moments zurückzukehren. Er wandte sich ihr zu, ihre Blicke trafen sich
und hielten sich fest und Scully fühlte ihren Atem in den Lungen stecken bleiben.
All seine Einsamkeit, sein Verlangen nach ihr, seine unerschütterliche Liebe
war dort in den Tiefen seiner Augen, so klar, als hätte er es ausgesprochen... ... und Scully, die nur etwas Simples hatte
sagen wollen, etwas, das ihn wissen lassen sollte, dass sie immer noch Freunde
waren, flog in seine Arme und griff nach ihm mit einer Verzweiflung, von der
sie nicht gewusst hatte, dass sie sie in sich hatte.
Scully hörte das entfernte
Geräusch, als seine Reisetasche auf dem Boden landete und sich seine Arme um
sie schlangen. Mulder legte seinen Kopf auf ihre Schulter, beugte sich nach
unten und sie seufzte leise, sein Name ein kaum wahrnehmbares Flüstern auf
ihren Lippen.
Er hielt sie fest, seine
Arme zogen sie eng an sich, aber er zitterte und nicht, wie sie wusste, vor
Leidenschaft. Sie erinnerte sich an dieses Gefühl seines Körpers an ihrem,
kannte es von vor langer Zeit: er brauchte Trost und er brauchte ihn
verzweifelt.
Sanft legte sie ihre Hand
in seinen Nacken, hüllte ihn in ihre Umarmung ein und streichelte sein Haar.
Sie spürte seine Lippen an ihrer Kehle, seinen Mund, der sanft und zögernd an
ihrem Fleisch nach der Vergebung suchte, die sie ihm verweigert hatte zu geben
- bis jetzt.
So sanft, so unschuldig
war seine Berührung, aber sie erschütterte sie, sie war vernichtet durch das
Wissen um ihre eigene Herzlosigkeit, wie sehr ihn ihre Wut verletzt hatte,
wieviel ihm ihre Vergebung bedeutete, wie groß die Macht war, die er ihr über
sich gegeben hatte.
Über alle Maßen erregt
küßte sie zärtlich seine Wange und er wandte sich ihr zu, sein Mund suchte
ihren. Ihre Lippen trafen sich, sanft zuerst, dann härter, tiefer, öffneten
sich für den anderen mit einer Leidenschaft, die ihr den Atem nahm. Sie fühlte
sich schwindlig und trunken durch den nackten Hunger seines Kusses. Sie war
allein gewesen, so lange Zeit emotional isoliert... was er jetzt in ihr weckte,
war nichts weniger als überwältigend. Zitternd löste sie sich von ihm und
kuschelte ihren Kopf beinahe scheu in seine Halsbeuge. Wieder einmal verstand er selbst solche Dinge,
die sie nicht aussprechen konnte. Er
hielt sie nun weniger fest, streichelte ihr Haar und drückte sanfte Küsse auf ihre
Stirn. Sie entspannte sich in seiner Umarmung und spürte, wie ein Teil der schweren
Last ihrer langen Einsamkeit von ihrem Herzen wich. "Ich habe gelogen, Mulder,"
flüsterte sie.
"Hast du?"
fragte er mit unsicherer Stimme. "Wann?" "Als ich gesagt habe,
ich wäre nicht sicher, ob ich mich freue, dich zu sehen oder nicht,"
antwortete sie. Sie schob ihre Arme unter seinen Mantel, legte sie um seine
Taille und zog ihn fest an sich. "Ich bin froh. Ich bin wirklich froh, dass
du hier bist."
"Bist du das?"
"Ja," flüsterte
sie. "Ich habe dich so sehr vermißt. Manchmal habe ich geglaubt, ich würde
davon sterben."
"Ich habe dich auch
vermißt," sagte er. "Mehr als du jemals wissen wirst." Er küßte
sie wieder sanft und ließ sie los. "Wir machen besser Schluss,
Scully," meinte er und schob eine vorwitzige Locke hinter ihr Ohr.
"Dieser Neandertaler-Partner von dir kann jeden Moment hier auftauchen und
ich habe das Gefühl, er würde dafür sterben, diese Geschichte herumerzählen zu
können." "Ich weiß, er würde es," entgegnete sie mit einem nervösen
Lachen, als sie sich umdrehte. "Er ist sehr interessiert an unserer
Geschichte." "Und nicht, wie ich annehme, an der Geschichte
paranormaler Phänomene?" fragte er und schüttelte den Kopf in spöttischer
Bestürzung. "Du hättest ihm einfach die Wahrheit sagen und ihn unsäglich
enttäuschen sollen." "Vielleicht," erwiderte sie sanft. Sie
griff nach der Türklinke, dann hielt sie inne. "Mulder?" sagte sie
und sah ihn nicht an. "Ja?"
"Er ist nicht mein
Partner," sagte sie leise und sah über die Schulter hinweg zu ihm zurück.
"Ist er nicht?"
fragte Mulder sanft.
"Nein,"
erwiderte Scully. Sie wandte sich ihm wieder zu. "Du bist mein Partner, Mulder.
Mein einzig wirklicher Partner."
Und da war es. Ohne es zu
wissen, hatte sie ihm die Entscheidung vorgelegt: sie zurück in sein Leben zu
lassen mit allen dazugehörigen Risiken oder sie auszuschließen, wegzuschicken
zu ihrer eigenen Sicherheit. Aber da war
ein Ausdruck in ihren Augen, der nicht dagewesen war, als er ankam. Es war ein Ausdruck des Friedens, aber eines
zerbrechlichen Friedens, leicht zu verlieren. Ein Frieden, dachte er, der sie
womöglich verlassen würde, wenn er es tat. Sie hatte beinahe ihre ganze Kraft
verloren und er wusste immer noch nicht ganz, warum. Aber sie brauchte ihn. Das
wusste er. Es gab wirklich nichts weiter
zu sagen. Er würde einfach später mit den Konsequenzen umgehen müssen.
"Du bist auch die
einzige Partnerin, die ich jemals haben will, Scully," sagte er und
streckte seine Hand aus, um ihr wieder über ihr weiches rotes Haar zu streicheln.
"Es wird niemals jemanden geben, der besser ist als du... oder mit dem ich
lieber zusammen sein möchte."
Sie seufzte, kam zurück in
seine Arme und kuschelte sich an ihn. "Ich bin froh darüber," flüsterte
sie. Lange Zeit standen sie so da, bis Mulder widerwillig den Zauber brach.
"Scully," sagte er und hielt sie fest. "Ich könnte hier glücklich
stehen und dich die ganze Nacht so halten, aber du musst wirklich schlafen. Ich
kann immer noch sagen, wann du müde bist, weißt du." "Ich weiß,"
antwortete sie. "Aber nicht jetzt. Zuviel ist passiert. Es scheint immer
noch alles so unreal. Ich möchte noch ein bisschen länger mit dir zusammen sein."
"Es ist fast
Mitternacht," erinnerte er sie.
"Und du denkst
frühestens in zwei Stunden an Schlaf, es sei denn, du hast dich mehr verändert,
als ich denke," meinte sie und sah zu ihm auf. "Komm noch ein paar
Minuten in mein Zimmer."
"Scully, ich weiß
nicht..." begann er, aber sie unterbrach ihn. "Nur für ein paar Minuten," bat sie.
"Ich sollte wenigstens soviel Zeit damit zubringen, nett zu dir zu sein,
wie ich damit verbracht habe, dich anzuschreien."
Das brachte ihn zum
Lachen. "In Ordnung," stimmte er immer noch lächelnd zu.
"Aber bring mich
nicht dazu, es zu bereuen."
"Keine Chance,"
entgegnete sie und lächelte zurück. Mulder öffnete die Tür und hielt sie für
sie auf, dann folgte er ihr hinein und setzte seine Reisetasche gleich neben
der Tür ab. Die Luft im Zimmer war warm und er zog sein Jackett aus, lockerte
seine Krawatte und setzte sich dann in einen der beiden Sessel. Scully setzte sich auf die Kante des einen
Bettes. "Also, erzähl mir, was du gemacht hast, seit ich dich das letzte
Mal gesehen habe," bat sie. "Hinter
Eric Rudolph herjagen mit null Erfolg," erwiderte er. "Eine der Kliniken,
die er bombardiert hat, ist in Birmingham, wenn du dich erinnerst." "Ich
erinnere mich," sagte sie. "Ich erinnere mich auch, dass die Centabom
Spezialeinheit sich selbst dabei auch nicht gerade mit Ruhm beklettert hat,
nach ihm zu suchen."
"Das tut weh,"
meinte er, aber er lächelte. "Sieh nur, wie lange das Unabom Team gebraucht
hat, um ihren Typen zu finden, und dann schafften sie es auch nur, weil sein
Bruder ihn verraten hat. Jedenfalls wissen wir, nach wem wir suchen; wir wissen
nur nicht, wo."
"Irgendwann wird er
auftauchen," erwiderte sie schulterzuckend. "Wenigstens hat er in der
letzten Zeit niemanden bombardiert. Was sonst beansprucht deine Zeit?"
"Prüfen von
Hintergrundinformationen, große Berge von Dünger durchsuchen..." "Ja,
aber mit dieser Menge Dünger, da müsste doch irgendwie ein kleines Pferd drin
sein," meinte sie lächelnd. Es war ein alter Scherz zwischen ihnen und er lachte,
während er sich erinnerte. "Nicht in diesen Bergen, da nicht," meinte
er kopfschüttelnd aber immer noch lächelnd. " Da ist nicht mehr als eine
Gruppe armer, alter Alabama-Farmer, die versuchen, an einer sich schnell urbanisierenden
ländlichen Umgebung festzuhalten." "Und sie züchten Baumwolle mit
Ammoniumnitrat?" fragte sie. "Oder basteln sie wirklich Bomben?"
"Rudolph bastelt
Bomben." Er legte seine Hände hinter den Kopf und lehnte sich bequem
zurück. "Sonst niemand, von dem ich wüsste." "Seltsam, dass du
beim Centabom Team gelandet bist und ich beim VICAP," stellte sie fest,
zog ihre Schuhe aus und zog die Beine unter sich. "Wie genau ist das passiert,
Scully?" fragte er. "Ich bin neugierig." "Ich wusste es,
bevor ich dich traf," erwiderte sie lächelnd, wurde dann jedoch ernst.
"Ich bat Skinner darum, mich zu versetzen. Ich ging für genau fünf Minuten
in das Großraumbüro zurück, gerade lange genug, um unter meine Tasse zu sehen..."
"Ahh."
"Tatsächlich."
Ihre Stimme wurde weicher. "Ich mag die Notiz. Sie ist... manchmal ein großer Trost für mich."
"Nur manchmal?"
fragte er spielerisch. "Ich dachte,
ich hätte es besser gemacht."
Scully schüttelte den
Kopf. "Es gab Zeiten, da... funktionierte gar nichts." Sie streckte
sich auf dem Bett auf und stützte ihren Kopf auf einen Arm. "Dennoch, war
ich die meiste Zeit in Ordnung."
"Aber nicht die ganze
Zeit," sagte er und das Lächeln verschwand.
"Nein."
"Es tut mir
leid," erwiderte er leise.
"Das sagtest du
bereits."
"Ich meine es immer
noch."
"Ich weiß, dass du es
tust," sagte sie. "Aber lass uns nicht bei unerfreulichen Themen
hängen bleiben."
"In Ordnung,"
meinte er. Einen Moment dachte er nach. "Wo ist dein Bruder?"
"Bill? Das sagte ich
dir schon - ich weiß es nicht."
"Geheime
Mission?"
"Wahrscheinlich,"
sagte sie und versuchte, unbesorgt zu erscheinen. "Sie haben seinen Urlaub
gestrichen, gleich nach Weihnachten. Am selben Tag ist er noch in See
gestochen. Seitdem haben wir nicht viel von ihm gehört. Ich weiß nicht, wo er
ist, ausgenommen, dass seine Befehle augenscheinlich vom COMSURFLANT
kamen." "Ich hab mich noch nie besonders gut mit Navy-Abkürzungen
ausgekannt," meinte er und beugte sich wieder nach vorn. "Wer oder
was ist ein COMSURFLANT?" "Der Kommandeur der Seeflotte im
Atlantik," erklärte sie. "Vermutlich ist Bill auf einem Schiff, das
irgendwo im Atlantik patrouilliert." "Gab es da irgendeine
Krise?" fragte Mulder.
"Nicht dass ich mir
dessen bewusst wäre," antwortete Scully. "Mulder, du fragst mich
nicht das, was du wirklich von Bill wissen willst, nicht wahr?" "Bin
ich so durchschaubar?" fragte er zaghaft lächelnd. "Für mich bist du es," sagte sie.
Sie setzte sich auf und schwang ihre Beine vom Bett. "Bill und ich hatten
einen gewaltigen Streit, nachdem du gegangen warst. Er sagte ein paar Dinge über dich, und über
mich, egal, und ich... habe ihn geschlagen."
"Du hast deinen
Bruder geschlagen?" fragte Mulder ungläubig. "Scully, ich fühle mich
deswegen beschissen."
"Es war nicht deine
Schuld," antwortete sie, aber die Lebhaftigkeit in ihrer Stimme schwand.
"Was immer zwischen mir und meinem Bruder passiert ist, ist eine Sache
zwischen uns, Mulder. Es hat überhaupt nichts mit dir zu tun." "Das
habe ich anders gehört, als ich im Haus deiner Mutter war." "Das ist
wohl wahr," sagte sie. "Bill ist zu sehr Navy-Offizier und zu sehr großer
Bruder. Er war immer so. Er kann nicht aufhören, sich in mein Leben einmischen
zu wollen und die Dinge so zu richten, wie sie ihm passen." "Nun,"
meinte Mulder und schlug die Hände in seinem Schoß zusammen. "Eine Sache habe
ich für ihn gerichtet. Ich habe deinen unterbelichteten Partner aus deinem Leben
verbannt."
"Ja, das hast
du," sagte sie, ein bisschen kühl, wie er glaubte und er zuckte zusammen.
Prima, Mulder, du hast gerade den Streit wiedereröffnet. Cleverer Junge.
Wirklich clever.
Scully sah, wie sich sein
Gesichtsausdruck veränderte. "Entspann dich, Mulder, ich werde dir keine
Moralpredigt halten - nicht jetzt," beruhigte sie ihn, aber da war nichts
von dem Humor, mit dem sie das früher gesagt hätte. "Ich habe mein Leben
jetzt ganz gut selbst im Griff, obwohl keiner von euch mir eine große Wahl gelassen
hat."
"Nein, ich nehme
nicht an, dass wir das getan haben," sagte er leise. "Aber wenn du
glücklich..."
"Es geht mir
gut," erwiderte sie, dann schloss sich ihr Mund. Sie würde nichts mehr
sagen. "Ich glaube, du hattest recht, Mulder," fuhr sie fort.
"Wir sollten unerfreuliche Themen für eine Weile meiden."
"Also, was bleibt uns
dann übrig, worüber wir reden können?"
Sie zuckte mit den
Achseln. "Der unbekannte Verdächtige?"
"Das nenne ich
überhaupt nicht erfreulich," entgegnete er grimmig. "Wo ist das Problem?" fragte sie.
"Dieser Mörder ist brutal, aber nicht besonders grausam. Wir haben beide
schlimmeres gesehen." "Das Problem ist, dass ich von ihm ein
Täterprofil erstellen muss," erklärte Mulder. "Jetzt. Deswegen bin
ich hier."
"Jetzt?"
"Jetzt. Aus Gründen,
die ich nicht ergründen kann, hat mich Skinner hierher geschickt, weil
irgendjemand hier ein Täterprofil dieses unbekannten Verdächtigen erstellt
haben will und es sofort den lokalen Polizeibehörden übergeben will."
"Das ergibt keinen
Sinn," meinte Scully stirnrunzelnd. "Normalerweise, wenn du in der
Abteilung Verhaltensforschung wärst, würdest du nach Quantico gehen und dein
Täterprofil dort erstellen und es solange in der Akte lassen, bis alle anderen
Spuren versagt haben."
"In der Tat."
"Also, warum ist Skinner
involviert?" fragte sie verwirrt. "Ich
weiß nicht, Scully, aber es ist kein gutes Zeichen," sagte er. Er beugte sich
nach vorn. "Da muss ziemlich hoher politischer Einfluss auf diesen Fall wirken,
dass man zwei VICAP-Agenten und einen gewesenen Verhaltensforscher so rasch
hinzugezogen hat."
"Gewesener, mein
Gott," meinte sie und versuchte, zu lächeln. "Du bist der Beste,
Mulder. Ich wusste immer, dass du gut bist, aber ich wusste nicht, wie gut, bis
ich zum VICAP kam. Ich habe ein paar gute Profiler kennengelernt, aber du bist
besser. Das bist du wirklich."
"Scully, ich werde
rot," entgegnete er, als würde er scherzen, aber ihm wurde wirklich
unbehaglich. Es sah ihr nicht ähnlich, so offen mit Lob zu sein, weder für ihn
noch für jemand anderen.
"Aber ich meine es
so." Wieder lächelte sie, dann erhob sie sich, kam zu ihm herüber und
setzte sich auf die Armlehne des Sessels. Mulder legte seinen Arm um ihre
Taille, vorsichtig zuerst, aber dann fester, als er sich sicher war, dass sie
seine Berührung begrüßte.
Scully beugte sich über
ihn und küßte ihn zärtlich. Aber sie ist immer noch instabil, dachte er, und
sie braucht es wahrscheinlich mehr, eine emotionale Bindung herzustellen als
eine physische. Er ließ sie das Tempo bestimmen und hielt den Kuss sanft, bis
er sicher war, dass sie mehr wollte. Langsam
glitt sie herab, bis sie in seinem Schoß saß. Scully spürte, wie sich seine
Arme um sie legten, sie beruhigten, und sie mit seiner Stärke umgaben, und sie
beendete den Kuss, schloss die Augen und lag an seiner Brust, still wie ein Kind.
Sie atmete tief ein und genoss den Duft, der einmal so sehr Teil ihrer Welt
gewesen war, dass sie sich dessen gar nicht bewusst gewesen war, der vertraute
Duft, der allein Mulders war: eine eigenwillige Mischung aus frischem Aftershave,
dem leichten, ein wenig süßen Geruch von gestärktem Leinen, der leisesten Spur
von Waffenöl und Leder und unter all dem die tiefe, ursächliche Essenz des
Mannes.
Die Wärme seiner Arme, sein
Duft, das gleichmäßige Schlagen seines Herzens - alles vereint, um Scullys
angekratzte Nerven zu beruhigen, und sie streckte sich und seufzte und
kuschelte sich wie eine zufriedene Katze an ihn. "Ich hab dir gesagt," murmelte sie,
"dass du der einzige bist, mit dem ich zusammenarbeiten möchte. Und das
nicht nur aus persönlichen Gründen." "Dann bin ich froh, dass ich
hier bin, auch wenn irgendein politischer Drecksack dafür gesorgt hat,"
sagte er mit tiefer Stimme und hielt sie fester. "Aber, Dana..." Er
zögerte. Mulder hatte nicht fragen wollen, ganz bestimmt nicht jetzt, aber die
Frage hatte ihn beschäftigt, seit ihrer Trennung im Dezember. "Aber Dana, was?" fragte sie sanft.
"Nun... ist
irgendetwas davon persönlich?"
"Was genau meinen
Sie, Agent Mulder?" fragte sie ernsthaft, aber da war der Hauch eines
Zwinkerns in ihren Augen.
"Ich meine...
Mist." Er schüttelte traurig den Kopf, dann atmete er tief ein und preschte
vor. "Ich wollte nur wissen... ob du mich noch liebst." Es folgte ein
kurzes Schweigen und er glaubte, sein Herz würde aufhören zu schlagen, dann
spürte er ihre Lippen an seinem Hals in einem warmen, sehnsüchtigen Kuss.
"Ich liebe dich immer noch, Fox," flüsterte sie in sein Ohr. "Ich werde dich immer lieben."
Seinen Vornamen von ihr zu
hören, erschreckte ihn und er blinzelte rasch zu ihr herüber, um zu sehen, ob
sie ihn neckte, aber sie tat es nicht; sie lag nur da, mit einem sanften
Lächeln auf den Lippen, das er noch nie bei ihr gesehen hatte.
Ich könnte mich daran
gewöhnen, meinen Namen mit dieser Stimme zu hören, dachte er. Das könnte ich
wirklich. Er drehte seine Kopf zu ihr und sie traf ihn in einem sanften Kuss,
der sich schnell vertiefte. Seine Hände begannen, über ihren Rücken und ihre
Schultern zu gleiten, und sie drehte sich ein wenig, um ihm mehr Raum zu geben
und sich ihm zu öffnen.
Scully spürte seine Zunge,
die langsam zwischen ihre Lippen glitt - nicht weiter - und sich dann wieder
zurückzog. Er schmeckt mich, dachte sie. Der Gedanke ließ sie köstlich beben.
Ich möchte ihn auch schmecken. Langsam knöpfte sie seinen Kragen auf, schob den
Knoten seiner Krawatte noch weiter nach unten und presste ihre Lippen gegen den
Puls, der so kräftig an seinem Hals schlug. Sie knabberte zart daran, dann
bewegte sie sich aufwärts, ihre Zunge schnellte hervor und nahm den leisen,
salzigen Geschmack seiner Haut auf und saugte an seinem Ohrläppchen.
Sie hörte, wie er die Luft
einzog und spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. Das war Erregung in ihm - und in ihr - mehr
als sie je für möglich gehalten hätte. Er atmete tief, seine Hände glitten
langsam über ihren Körper, aber immer nur bis kurz über den Stellen, wo sie
wirklich von ihm berührt werden wollte. "Scully,"
sagte er mit enger Stimme. "Wenn du aufhören willst, dann sollten wir es
besser jetzt tun."
"Ich möchte nicht
aufhören," flüsterte sie, ihre Lippen an seinem Ohr. "Ich möchte,
dass du mich berührst. Bitte Mulder... bitte, berühr mich." Seine Reaktion
war unmittelbar, sie hörte, wie sich sein Atem beschleunigte, spürte, wie sich
sein Griff um sie festigte, fühlte seine Erektion, die sich stark gegen ihren
Schenkel drückte. Er küßte sie wieder, heftiger als zuvor, zog sie tiefer in
sich hinein, dann löste er sich von ihr, nur um heiße, feuchte Küsse auf ihrem
Hals zu verteilen, die sie vor Erwartung zittern ließen. Langsam und sinnlich
zog er ihre Bluse aus dem Bund ihrer Hose und schob eine Hand unter den
seidenen Stoff, über die weiche Spitze ihres BHs und fand und löste den Verschluss
mit einer gekonnten Bewegung.
Kein Herumfummeln, dachte
sie entfernt, als seine Hand sich um ihre Brust schloss, seine Finger über ihre
Brustwarze und die weiche rosafarbene Haut strichen, die sie umgaben. Oh Gott,
Mulder, du bist so gut darin. Mulder
benutzte seine freie Hand dazu, die letzten Knöpfe zu öffnen, ihre Bluse vorn
zu teilen und sie unbedeckt seiner Berührung zu überlassen. Sie sah fasziniert
zu, wie er seinen Kopf senkte und sie in den Mund nahm. Das Universum wirbelte
und krachte durcheinander, als sie das mysteriöse Vergnügen seiner Lippen und
seiner Zunge auf ihrer Brust spürte, das rhythmische Ziehen an ihrer Brustwarze,
seine Zähne, die sie sanft berührten und die Süße intensivierten, ohne ihr
dabei wehzutun.
Dana schloss die Augen,
warf ihren Kopf zurück und ergab sich den Gefühlen. Ihre Hände glitten in sein
Haar, hielten ihn enger an sich und sie krümmte ihren Rücken, presste sich an
ihn, als das Vergnügen, das er ihr bereitete, beinahe ins Unerträgliche wuchs.
Ihre Finger wanderten langsam über sein Gesicht, erinnerten sich wieder der
vertrauten Konturen, so geliebt und so verzweifelt begehrt während des einsamen
Winters. Ja, ich liebe dich, dachte sie, und es tut mir so sehr leid, dass ich
das vergessen hatte. Sie hörte ein dunkles stöhnendes Geräusch und erkannte,
dass es aus ihrer eigenen Kehle kam. Sie rief seinen Namen, hauchte wortlose
Geräusche, von denen sie sich nicht erinnern konnte, sie je zuvor gemacht zu
haben und er reagierte und saugte nun gieriger, seine Hand glitt über ihre
andere Brust.
Seine Berührung war
perfekt, sie war absolut sinnlich und sie versank, sie verlor sich in den
warmen, feuchten ziehenden Empfindungen seines Mundes. Und dann - ohne jede Vorwarnung - wurde es
entsetzlich. Scully konnte ihn nicht
mehr sehen, ihn nicht einmal mehr spüren. Alles war Dunkelheit und sie fühlte
wieder die kalten Hände an ihrem Körper, die nach ihr griffen, sie befummelten,
und sie begann zu kämpfen, versuchte verzweifelt, sich von dem gesichtslosen
Mann aus ihren Alpträumen zu befreien. Seine Hände waren tot und er war tot und
sie starb und überall war saure, feuchte Erde und kaltes Wasser und Dunkelheit
und Tod.
"Lass mich los!"
schrie sie und schlug wild mit den Händen nach ihm und versuchte, sich zu
befreien. Sie spürte seine Hände von ihrem Körper ablassen, während sie blind
auf die Füße stolperte und sah hinab... Und
da war wieder Mulder, der sie schockiert anstarrte, seine Gesichtszüge erfroren
in einer Mischung von Schuld und Verwirrung, von der sie sich nicht in ihren
schlimmsten Alpträumen hätte ausmalen können, sie ihm in diesem Moment zu verursachen.
"Es tut mir
leid," sagte er, total verwirrt durch die plötzliche Wende der Ereignisse.
"Ich... hätte das nicht tun sollen." Rasch stand er auf, griff seinen
Mantel und ging in Richtung Tür.
Scully stand zitternd da
und beobachtete, wie er ging. "Mulder," rief sie, krank vor Scham.
"Ich meinte nicht, dass... Mulder, bitte verlass mich nicht." "Scully,
ich..." begann er, sich umdrehend, aber sie unterbrach ihn. "Mulder, das warst nicht du,"
erwiderte sie verzweifelt. "Du hast nichts verkehrt gemacht. Ich hab dich
darum gebeten, erinnerst du dich? Ich wollte jedes kleine bisschen genauso sehr
wie du."
"Augenscheinlich
nicht," antwortete er. Mulder sah sie immer noch nicht an. Scully wollte weinen, irgendetwas tun, um ihm
zu zeigen, wie sehr es ihr leid tat, aber alles was sie tun konnte, war
dazustehen. "Doch, ich wollte es," sagte sie. Sie zitterte nun
heftig, ob von dem Schock oder von der Luft, die über ihre nackte, feuchte Haut
strich, konnte sie nicht sagen. Sie zog die Bluse zusammen und hielt sie mit
einer Hand fest. "Ich habe dir gesagt, dass ich es will und ich wollte es.
Ich will es. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich habe einfach... angefangen,
mich an Dinge zu erinnern." Mulders Gesicht wurde beinahe weiß, aber in
seinen Augen sah sie, neben Schock und Verletzung, dämmerndes Verständnis.
"Erinnern
woran?" fragte er mit belegter Stimme. "Unter dem Haus zu sein, gefesselt,
blutend, im Schlamm versinkend," sagte sie langsam. Was war das für ein
Ausdruck auf seinem Gesicht? "Bist
du sicher, dass das alles ist, woran du dich erinnerst?" "Ja. Mulder,
du machst mir Angst," entgegnete sie. "Was gibt es sonst zu erinnern?"
"Nichts,"
antwortete er kopfschüttelnd. "Nichts. Wirklich." "Das ist nicht
wahr," sagte sie und kam einen Schritt auf ihn zu. "Ich kenne dich zu
gut, um das zu glauben."
"Nein," meinte
er und drehte sich wieder um. "Wirklich, da ist nichts. Ich... nun, ich habe ganz sicher nicht erwartet, dass
sich die Dinge so entwickeln würden."
"Es tut mir
leid," flüsterte sie. "Es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, warum
das passiert ist. Aber es ist passiert." Daraufhin drehte er sich wieder
um und sah sie so aufmerksam an, dass sie wusste, sich absolut sicher war, dass
da noch etwas anderes war, was er hätte sagen können. Aber er tat es nicht.
"Mulder, bitte sprich
mit mir," bat sie. "Bitte."
"Es tut mir
leid," sagte er endlich. "Ich denke nicht, dass ich bleiben sollte. Ich denke, ich bin einfach... zu weit gegangen
oder zu schnell oder irgendetwas."
"Nein, das bist du nicht,"
erwiderte sie weich und sie ging zu ihm hinüber und legte sanft ihre Hand auf
seinen Arm. "Ich wollte es - ich will dich - mehr als ich jemals etwas in
meinem Leben wollte."
"Dann ist heute Nacht
vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt," erwiderte er langsam.
"Warum nicht?"
fragte sie verzweifelt. "Warum willst du nicht bleiben?" "Weil
du müde bist und ich auch und wir sind beide überreizt," antwortete er leise.
"Ich will bei dir sein, aber ich will es nicht so. Du hast Angst. Du hast mehr
als Angst, es ist etwas Grauenerregendes. Das bedeutet, wir müssen aufhören,
Dana."
Mulder hatte recht und sie
wusste es, aber da war ein unterschwelliges, beinahe elektrisierendes Beben,
das durch ihre Adern lief, ein kraftvolles Empfinden, am Leben zu sein, bereit
zu handeln, bereit zu fühlen... sie hatte so etwas nicht annähernd gefühlt,
seit Jahren. Aber diese Energie, dieses Gefühl von Leben hatte seinen Preis;
das konnte sie bereits spüren. Irgendetwas mächtiges und böses fraß dieses
wiedergewonnene Bewusstsein auf, wuchs zu einem Ding von Furcht, das sie
lebendig verschlingen konnte, wenn es das wollte. Früher habe ich mich sicher in deinen Armen
gefühlt, dachte sie und zitterte wieder. Was war falsch gelaufen? Und was ist es,
das du mir nicht sagen willst? Das wird
warten müssen. Im Augenblick muss ich versuchen, den Schaden zu reparieren.
Wieder. "Dann nicht heute nacht," gestand sie zu, den Kopf vor Scham gesenkt.
"Aber verlass mich nicht so, Mulder, bitte." "Ich weiß nicht,
was ich sonst tun soll," antwortete er leise. "Du könntest..." begann sie, dann
schüttelte sie den Kopf. "Halt mich nur eine Minute." Sie hob ihren
Blick wieder zu seinem. "Denkst du, dass du das tun könntest?"
Er blickte sie aufmerksam an,
suchte nach irgendetwas anderem hinter ihren Worten, fand es aber
offensichtlich nicht. "Ja," sagte er schließlich. "Ich glaube,
ich brauche das auch." Sie legte eine Hand auf seine Brust, lehnte ihren Kopf
an ihn und er legte zärtlich einen Arm um sie. "Mulder?" flüsterte sie.
"Was?" fragte er
sehr leise.
"Liebst... liebst du
mich noch?"
Er antwortete nicht sofort
und Scully fühlte ein Stechen der Angst, Angst, dass er vielleicht nein sagen
könnte, oder schlimmer, dass er versuchen könnte, sie einfach im Stich zu
lassen. Aber dann seufzte er und küßte sie zärtlich auf die Stirn. "Ich
liebe dich immer noch," sagte er und hielt sie fester. "Das wird sich
nicht ändern, egal was passiert. Irgendetwas ist verkehrt, aber nicht das. Niemals."
Seufzend entspannte sie
sich an ihm. Sie standen so noch einen Moment länger, dann zog sie sich langsam
es bedauernd zurück. "Wir sehen uns
morgen früh," sagte sie weich, ohne ihn anzusehen. "Ich bringe dir dein Gepäck, wenn
Glassman auftaucht," entgegnete er. "Du kannst die Verbindungstür
offen lassen. Er wird nicht hereinkommen." "Aber du auch nicht, nicht
wahr?" fragte sie traurig und sah ihn an. "Nein," antwortete er, aber er
berührte ihr Gesicht, als er das sagte. Sein Lächeln war ernst, aber traurig,
so traurig. Es tat ihr weh, es zu sehen. "Nicht heute nacht. Geh schlafen,
Dana. Wir sehen uns morgen früh." Mulder beugte sich herüber, küßte sie
rasch, dann nahm er sein Gepäck und war gegangen.
~~~~~~~~~
Ah, wenn dem Herzen des
Mannes
es jemals weniger als
Verrat war
mit der Strömung der Dinge
mitzugehen
zu verzichten mit einer
Anmut zu begründen
und verbeugen und
akzeptieren am Ende
einer Liebe oder einer
Zeit.
‚Unwille'
Robert Frost
Kapitel 9
Rathaus, Daphne
Dienstag, 2. März
8:14 a.m.
"Was zur Hölle ist
das?" fragte Glassman und starrte auf die in ihrem zeitweiligen Büro
rundherum aufgehängten blutigen 8x10-Vergrößerungen von Tatortfotografien,
Autopsiebildern und Fotos der aus den Leichen entfernten Kugeln. Jede
verfügbare senkrechte Oberfläche war damit gepflastert. Mittendrin war Mulder,
der auf einem Drehstuhl saß, die Füße auf dem Klapptisch, der ihm wie es schien
als Schreibtisch diente. Seine Krawatte war lose, die Hemdärmel bis zum
Ellbogen aufgekrempelt und er hatte seine Brille auf und las in Scullys Notizen.
Er schien sich Glassmans Anwesenheit vollkommen unbewusst zu sein. "Er hört Sie nicht," meldete sich
Scully hinter dem Wandtafelraumteiler hervor.
"Was meinen Sie
damit, er hört mich nicht?"
"Glassman,"
sagte sie. "Sie haben jahrelang mit Profilern gearbeitet. Sie wissen, wie
das geht. Er hört nicht zu." Sie kam in die Mitte des Raumes und schob die
Schutzbrille mit einer in Latexhandschuhen steckenden Hand von ihren Augen.
"Mulder," sagte sie nicht sehr laut, aber er zuckte dennoch zusammen.
"Entschuldige," meinte sie.
"Ich wollte dich nicht erschrecken. Mulder, Agent Glassman ist hier."
"Mmm?" Mulders
Blick schien darauf hinzuweisen, dass er sich nicht sicher war, von wem Scully
sprach. "Oh, Glassman. Ich hoffe, ich habe Sie heute Morgen nicht geweckt."
"Um vier Uhr früh?
Verdammt, ja, Sie haben mich geweckt," erwiderte Glassman gereizt.
"Stehen Sie immer so früh auf?"
"Meistens,"
antwortete Mulder abwesend und sah wieder auf die Karteikarten. "Entschuldigung, dass ich Ihre Taschen
durchsucht habe, aber ich brauchte Ihre Schlüssel. Musste Scullys Sachen aus
Ihrem Wagen holen." "Fragen Sie mich das nächste Mal," murrte
Glassman. "Und fragen Sie mich beim nächsten Mal gefälligst, bevor Sie
diesen ganzen Mist hier aufhängen." "Wenn es ein nächstes Mal gibt,
werde ich es sicher tun," entgegnete Mulder. "Scully, diese Zeugenbeschreibungen eines
schwarzen Mannes. Wurde irgendjemand identifiziert?"
"Nicht dass ich
wüsste," sagte sie, über seine Schulter blickend. "Warum? Denkst du,
das ist dein unbekannter Verdächtiger?"
"Ich weiß noch
nicht," erwiderte er. "Es mag nur ein loses Ende sein, aber ich mag keine
losen Enden. Ist Officer Mack unser Verbindungsmann?" "Ja,"
meinte sie und zog sich die Latexhandschuhe aus und warf sie in einen roten
Plastikcontainer für Biomüll. "Ich werde ihn holen." "Bring mir
bitte einen Doughnut mit, wenn noch einer übrig ist."
"Ich bin nicht dein
Diener, Mulder," sagte sie leichthin und verließ den Raum. Miststück, dachte Glassman. Obwohl er zugeben
musste, dass sie heute Morgen ziemlich zum Anbeißen aussah. Der selbe
mittelalterliche Anzug wie immer, die Haare streng nach hinten gekämmt, wie
immer, wenn sie Laborarbeiten verrichtete, aber heute war ihr Gang etwas
weiblicher. Er grinste. Musstest ihre Sachen holen, ja? Hast etwas davon
bekommen letzte Nacht, nicht wahr, Mulder? Dann bemerkte er, dass Mulder ihn
beobachtete, wie er mit Scullys Hinterteil liebäugelte.
"Stimmt irgendetwas
nicht, Glassman?" fragte er milde. "Oder sind Sie bereit, die
VICAP-Berichte über diesen Fall auszufüllen?" "Seit wann ist das
meine Aufgabe, Mulder?" fragte Glassman gereizt zurück. "Man braucht
eine Ewigkeit, um diese verdammten Dinger auszufüllen." "Dann sollten
Sie besser anfangen, oder?" meinte Mulder und widmete sich wieder den
Karteikarten, als Scully mit Mack im Schlepptau zurückkehrte. In der Hand hielt
sie eine Papierserviette und darin befanden sich zwei Doughnuts. "Die letzten
beiden," sagte sie. "Iß sie, bevor sie kalt werden." Mulder
lächelte und nahm einen Doughnut. "Danke, Scully," erwiderte er. Scully ließ sich auf dem Tisch nieder, sah Mulder
an und saß so nahe, dass ihr Bein seines berührte. Sie nahm den
übriggebliebenen Doughnut und biss ab. Erst dann blickte sie in Glassmans
Richtung. "Oh, tut mir leid, Glassman," meinte sie nebenher und
wischte sich den krümeligen Zuckerguss von den Lippen. "Ich hoffe, Sie
haben schon gefrühstückt."
"Ja, das ist wirklich
verdammt lustig, Scully," knurrte Glassman. "Wäre nett gewesen, wenn
wer auch immer die Doughnuts mitgebracht hat, ein paar mehr für den Rest von
uns gebracht hätte."
"Entschuldigung,"
sagte Mulder geistesabwesend. "Vor ein paar Stunden gab es jede
Menge."
"Haben Sie sie
mitgebracht?"
"Natürlich,"
antwortete Mulder. "Ungeschriebenes Gesetz: Die Bundesbeamten haben die
Doughnuts mitzubringen. Stimmt's, Mack?"
Mack grinste.
"Stimmt. Wir glauben, weil ihr so viel Geld bekommt..." Daraufhin schnaubte
Mulder, unterbrach ihn aber nicht. "... ist das wenigste, was ihr machen
könnt, morgens zwei Dutzend Krispy Kremes Doughnuts mitzubringen." "Ich
habe diese heilige Tradition kennengelernt, als ich in der Abteilung Verhaltensforschung
war," erklärte Mulder, während er seinen Doughnut aufaß und wieder anfing,
sich durch die Fotos zu wühlen. "Es gab diese Kooperationsgruppe, die
Nachbarschaftsüberwachungspläne entwarf für die Leute in Baltimore. Wir mussten
Doughnuts für das halbe Polizeidepartment von Baltimore bringen. Hey, Scully,
deine Mom wohnt in Baltimore, hast du diese Jungs jemals essen sehen?" "Das
Vergnügen hatte ich nie," antwortete sie. Aber ich kann mir vorstellen, dass
die Doughnuts ziemlich teuer waren."
Glassman schnaufte und
setzte sich an den Tisch, so weit weg von Mulder, wie er konnte, aber mit guter
Sicht auf Scullys Hinterteil, und begann, die Morgenzeitung zu lesen.
"Ach, kommen
Sie," erwiderte Mack. "Jeder weiß, wieviel die Fibbies bekommen.
Sie haben all die schönen
Sachen zum Spielen, die mich richtig heißmachen.
Entschuldigung,
Ma'am," sagte er, sich zu Scully umdrehend. "Ist schon gut, Mack," entgegnete
sie amüsiert. "Ich mache den Job jetzt schon ein paar Jahre. Ich hab das
schon gehört."
"Ich sollte vor einer
Dame nicht so reden," entschuldigte er sich kopfschüttelnd. "Meine
Mama hat mich besser erzogen. Aber wie auch immer, wir begrüßen das mit den
Doughnuts. Und ich liebe es einfach, mit den Spielsachen zu spielen, besonders
mit der sanften Musik."
Das weckte Mulders
Aufmerksamkeit und er warf Mack einen schneidenden Blick zu.
"Nicht
schlecht," meinte er beeindruckt.
"Was ist sanfte
Musik?" fragte Scully fasziniert. "Ich habe diesen Ausdruck noch nie
gehört."
"Der Begriff bezieht
sich auf deine bevorzugte Waffe, und meine, die Standardsorte des FBI H&K
MP-5," erklärte Mulder. "Wenn man einen Schalldämpfer draufschraubt,
nennt man sie sanfte Musik - aber nur bei den SWAT-Polizisten. Ich glaube, Officer Mack hatte womöglich ein
bisschen Zusatzausbildung." "Oh, wissen Sie, ein bisschen hier, ein
bisschen da," antwortete Mack. "Aber unser Team hat keine Waffen, die
annähernd so gut sind. Solche Dinger kosten ungefähr fünftausend Dollar das
Stück. Verdammt, ich wette, Sie haben zwei davon in Ihrem Kofferraum, Agent
Mulder."
Mulder schüttelte lächelnd
den Kopf. "Nur eine," meinte er. "Sehen Sie?" erwiderte Mack.
"Deshalb müssen die Fibbies die Doughnuts mitbringen."
"Ich bin mir nicht
sicher, dass ich Ihre Logik verstehe," sagte Scully, aber sie lächelte
dabei. Dann sah sie auf ihre Uhr und seufzte. "Zeit, wieder an die Arbeit
zu gehen. Ich muss ein bisschen mehr Blut aus diesen Sachen herausholen, bevor
ich die Proben nach Quantico für eine DNA-Analyse schicken kann. Aber, Mulder,
ich bin hier, falls du mich brauchst." "Ich weiß," antwortete er
mit einem Unterton in der Stimme, der nur für sie allein bestimmt war.
"Anders würde ich es nicht haben wollen." Sie lächelte kurz, kämpfte
den Impuls nieder, ihn zu küssen und ging dann zurück hinter den Raumteiler.
Alle drei Männer sahen ihr nach, als sie ging. So ist das also, dachte Mack. Kein Wunder,
dass sie geguckt hat wie ne Kuh, wenn's donnert, als er gestern Abend herein
kam. Aber ich wette meinen nächsten Monatslohn, dass sie es noch nicht
miteinander gemacht haben. Und ich wette ein Jahresgehalt, dass es nicht mehr
lange dauern wird. "Mulder,"
sagte er laut, den Kopf in Bewunderung schüttelnd. "Sie sind ein verdammt
glücklicher Hurensohn."
Mulder lachte. "Wenn
Sie von meiner Partnerin sprechen, muss ich Ihnen zustimmen," meinte er
und sein offener Respekt für sie war nicht misszuverstehen. "Sie ist die
beste, die es gibt. Ansonsten muss ich widersprechen." Er setzte sich auf,
stellte die Füße zurück auf den Boden und beugte sich, die Hände auf den Knien,
nach vorn. "Mack, wir haben Zeugen, die einen männlichen Schwarzen am
Tatort beschrieben haben," sagte er. "Irgendeine Identifikation von
ihm?"
"Noch nicht. Wir
haben zwei Phantombilder, aber sie sehen sich nicht sehr ähnlich. Ist das unser
Verdächtiger?"
"Ich weiß es
nicht," antwortete Mulder. "Könnte sein. Aber wenn wir nicht wissen,
wer er ist, kommen wir nicht weiter. Es gibt mir nur einen Ansatzpunkt."
Mulder drehte seinen Stuhl
langsam herum und sah sich die grausigen Fotos an. "Die Kunst ist hier, Mack," sagte er
gedankenvoll. "Alles was wir tun müssen, ist den Künstler finden."
~~~~~
Scully war in guter
Stimmung und das aus einem Grund, den Glassman niemals in Erwägung ziehen würde
geschweige denn glauben: sie war wieder zurück bei der Arbeit, nutzte ihre
medizinischen Fähigkeiten und konzentrierte sich auf ihren Job in einer Art,
wie sie es seit Dezember nicht mehr in der Lage gewesen war. Und Mulder, das wusste sie, war ein Teil
davon. Er ließ sie sich wieder wie ein Teil eines Teams fühlen, wie eine
richtige Ärztin, wie ein richtiger Cop. Die
meiste Zeit der Nacht hatte sie wachgelegen und alles noch einmal durchgespielt,
von der Minute an, als sie seine Stimme gehört hatte bis dahin, als er ihr gute
Nacht gesagt hatte, und sie konnte immer noch nicht verstehen, was passiert
war. Ihre Angst vor ihm, ihre Reaktion auf seine Berührung, die Berührung, die
sie so lange so sehr gewollt hatte, verwirrte und ängstigte sie. Sie hatte immer Probleme gehabt, sexuell zu
reagieren - das war ein Grund gewesen, warum sie und Jack sich getrennt hatten
- aber dies hier war anders. Das war
nicht nur die Eiskönigin, das war panische, bloße, ungemilderte Angst gewesen
und sie hatte sich gegen ihn gerichtet und es gab keinen einzigen Grund dafür,
den sie sich hätte denken können.
Ihn hatte sie nie fürchten
müssen, nicht einmal, als er mit einer geladenen Waffe auf ihren Kopf gezielt
hatte. Was sie ihrer Mutter erzählt hatte, war immer noch wahr: er konnte ihr
niemals wehtun. Es gab keinen Grund für sie, sich so zu benehmen, wie sie es
getan hatte.
Aber er hatte ihr
verziehen, schien sogar zu verstehen, warum sie es getan hatte. Sie hatten sich
kurz nach Sonnenaufgang zum Frühstück getroffen, ohne überhaupt darüber reden
zu müssen. Es war einfach das, was sie bei Außeneinsätzen immer getan hatten.
Da waren ein paar unbeholfene Augenblicke, aber nichts, was sie nicht
überwinden konnten. Lange bevor sie fertig waren mit dem Essen, unterhielten
sie sich so leicht, als wenn zwischen ihnen niemals etwas nicht gestimmt hätte.
Vielleicht ist es deshalb,
weil wir wieder zusammenarbeiten. Oder vielleicht ist es deshalb, weil wir nach
so vielen Jahren endlich aufgehört haben, uns darüber zu täuschen, was wir für
einander empfinden und was wir wollen. Ich glaube, es sind all diese Dinge.
Aber sie konnte das
unbehagliche Gefühl nicht loswerden, das von dem Wissen herrührte, dass
irgendetwas zwischen ihnen sehr, sehr schlecht gelaufen war, und so sehr sie
auch wissen wollte, was es war, so sehr wollte sie es auch wieder nicht.
Es schien verrückt, aber
da musste es irgendeine logische Erklärung geben, dachte sie, und sie würde sie
finden. Sie arbeitete daran, genauso sorgfältig wie sie daran arbeitete, die
DNA des Mörders aus dem Shirt des verstorbenen Wilhelm Nivek herauszufiltern.
Der Blutfleck war klein,
aber der medizinische Sachverständige hatte mögliche Abwehrwunden an Niveks
Leiche gefunden und die Lage des Blutspritzers am Ärmel gab ihr die Hoffnung,
dass es sich vielleicht um das Blut des Schützen handelte. Es war eine wage Vermutung, aber wage
Vermutungen waren alles, was sie im Moment hatten. Sogar die Spur einer
nachweisbaren DNA, die zu einem Verdächtigen passte, könnte einen Fall von
zufällig in überzeugend verwandeln. Sie
goss eine verdünnte Lösung über das zerrissene, blutige Hemd, das auf einem speziellen
Löschpapier lag und achtete darauf, dass sich keine fremden Substanzen
beimengten, die womöglich die DNA-Tests vereitelten. Schon ein paar Hautpartikel
konnten Schaden anrichten. Wenige Spuren von Scullys DNA, vermischt mit der des
Schützen und der des Opfers konnten unmögliche gemischte Ergebnisse hervorbringen
und den ganzen Fall in ein weiteres O. J. Simpson Verfahren verwandeln.
Es stand außer Frage, dass
man so einen verpfuschten Test abschreiben konnte, von Rechts wegen konnte der
Angeklagte die Ergebnisse erfahren. Wichtiger noch, wenn die Ergebnisse die
Verteidigung begünstigten, war es die Pflicht des Staatsanwalts, sie
offenzulegen, sogar wenn niemand danach fragte. Scully musste vorsichtig sein und niemand
konnte vorsichtiger sein als Dana Scully, wenn sie sich dazu entschlossen
hatte. Sie stellte einen Wecker und kontrollierte präzise die Länge der Zeit,
die die Lösung auf dem Hemd verbleiben sollte. Während sie wartete, nahm sie
die Fotos von Nivek in die Hand, dem 18 Jahre alten Opfer. Mit einem
Vergrößerungsglas untersuchte sie die Schusswunden sehr genau und suchte nach
irgendetwas, was sie womöglich vorher übersehen hatte.
Als sie an eine Großaufnahme
von Niveks Hand gelangte, hielt sie inne. Auf der Handflächenseite von Niveks
Finger sah sie eine Reihe kleiner schwarzer krankhafter Veränderungen, die kaum
wahrnehmbar waren für jemanden, der kein Vergrößerungsglas benutzte. Das ist
keine Verteidigungswunde, dachte sie. Es kann auch keine Pigmentierung sein, es
sieht nicht nach Ekchymose aus und es sind auch keine Leberflecken. Ich sollte
wissen, was das ist. Aber ich bin nicht sicher, ob ich das schon mal gesehen
habe.
Der Wecker klingelte und
Scully ließ das Problem fallen und machte sich wieder an ihre DNA-Extraktion.
Dennoch beunruhigten sie die mysteriösen Merkmale weiterhin. Es kann nichts mit
der Todesursache zu tun haben, dachte sie. Es ist, wie Mulder sagte, nur ein
loses Ende. Ich mag lose Enden in einem Fall genauso wenig wie er.
Ich mag sie auch nicht in
meinem Leben.
Scully verschloss die
DNA-Proben in den richtigen Beweismittelhüllen, signierte die Laschen,
vermerkte die Nummern der Proben in ihren Unterlagen und tat das ganze Bündel
in einen großen Umschlag, der an das FBI-Labor in Quantico adressiert war. Er
würde mit der Post hinausgehen, was die Bewachungskette sichern würde, um die
Proben in Beweismittel zu überführen, sollte ihnen irgendetwas passieren.
Den Umschlag in ihre
Aktentasche steckend, setzte sich Scully wieder hin und begann noch einmal,
Niveks Autopsiebericht zu lesen. Der örtliche Gerichtsmediziner vermerkte die
krankhaften Veränderungen und wagte die Meinung, dass es sich womöglich um
Verletzungen durch Abwehrhandlungen handelte. Worum auch immer es sich handelte, es waren
keine Verteidigungswunden. Wer hatte diese Autopsie überhaupt durchgeführt?
Scully durchsuchte die restlichen Autopsiefotos nach einer weiteren Aufnahme
von Niveks Hand und bald fand sie eine. Die Flecken waren deutlich zu sehen.
Scully sammelte die Fotos
ein und verließ, ihre Aktentasche mitnehmend, ihr Labor. Glassman war nirgendwo
zu sehen. Mulder war allein in dem engen Büro und studierte zurückgelehnt, die
Füße auf dem Tisch die Fotos mit dem unvoreingenommenen Gesichtsausdruck, den
sie so gut kannte. "Mulder,"
sagte sie sanft, hockte sich neben ihm nieder und berührte leicht seinen Arm.
"Mulder, ich muss mit dir reden."
"Hey Scully,"
erwiderte er, immer noch benommen dreinblickend. "Wie spät ist es?"
"Es ist immer noch
früh. Ich bin mit der Extraktion fertig und ich muss diese Proben nach Quantico
schicken," antwortete sie. "Und ich muss auch eine Medizinische
Bibliothek finden, um ein paar Nachforschungen anzustellen. Kann ich deinen
Wagen haben?"
"Sicher," meinte
er und griff in seine Tasche, um ihr die Schlüssel zu geben.
"Hast du was
gefunden?"
"Ich weiß es
nicht," antwortete sie. "Ich weiß es ehrlich nicht."
~~~~~
Mulder hörte kaum, wie
sich die Tür schloss, als Scully ging. Seine eigenen Gedanken waren so
attraktiv und verführerisch wie dicker Zuckersirup für Insekten und er war
sowohl unwillig als auch nicht in der Lage, lange aus ihnen aufzutauchen.
Glassman war ein
Kotzbrocken, aber in einem hatte er recht: in diesem Fall passte nichts
zusammen. Da waren mehrere Waffen. Die Opfer waren sowohl Schwarze als auch
Weiße, deren Alter war breitgefächert und es waren beinahe keine Verbrechen
eingeschlossen, die nach etwas anderem als nach bewaffnetem Überfall aussahen.
Dieser unbekannte Verdächtige. Wer war er und warum tat er es? Je länger Mulder sich die Polizeiberichte, die
Tatortfotos und die Autopsieprotokolle ansah, desto weniger sah es nach einer
Reihe schiefgegangener bewaffneter Überfälle und mehr nach einer
hundertprozentigen Mordorgie, Lustmorde, aus.
Der Stil des Mordens war
gleichbleibend: vollkommene Vernichtung. Die Opfer hatten nicht viel Widerstand
geleistet, was auf Angst oder einen Mörder schließen ließ, der einfach zu
schnell war, um ihnen Widerstand zu erlauben. Nur ein Opfer schien einen
ernsthaften Versuch unternommen zu haben, zu entkommen; die anderen wurden
augenscheinlich dort erschossen, wo sie standen. Wenn alles, was der Unbekannte wollte, Geld
war, dann hatte er weit mehr getan, als nötig gewesen wäre. Ein Schuss -
verdammt, die Drohung mit der Schusswaffe - war gewöhnlich genug. Auf die Opfer
wurde wiederholt und grausam geschossen; in einigen Fällen wurde sogar
weitergeschossen, als sie schon tot waren. In den Mordfällen gab es auch keine sexuelle
Komponente, keinen Beweis dafür, dass der Unbekannte eines seiner Opfer kannte,
so schien Rache ebenfalls nicht wahrscheinlich.
Anders als bei dem Onkel
und dem Neffen im ersten Fall, schienen die Opfer nichts anderes gemeinsam zu
haben, als dass sie in dem einen oder anderen Einzelhandelsgeschäft arbeiteten
und das deutete auf eine Gelegenheit, nicht auf ein Motiv.
In Ordnung, Mulder, dachte
er. Du hast auf der Basis des Tatortszenarios analysiert, was das Motiv sein
könnte und das macht keinen Sinn. Du bist alle anderen ‚logischen'
Sachen durchgegangen und nichts davon will vernünftig passen. Dieser Typ hat entweder
ein anderes Motiv, das du noch nicht erkennst oder er ist einfach nur total
durchgeknallt. So oder so, Blödmann, entweder du kannst in sein Denken
eindringen oder du steckst fest.
~~~~~
St. Catherine's Hospital
Biomedizinische Bibliothek
11:26 a.m.
In die Bibliothek
hineinzukommen, war so einfach, wie Scully es vermutet hatte. Ihr Ausweis öffnete ihr die Tür und ein paar
Minuten, nachdem sie angekommen war, saß sie in einer Leseecke der Bibliothek
und blätterte in einem Buch über Hautkrankheiten. In dem Buch waren Hunderte
von Farbfotos, die meisten davon überflog sie, weil sie wusste, dass sie nicht
das zeigten, wonach sie suchte. Nach
ungefähr 45 Minuten Suche fand sie es. Ein Foto, das praktisch identische krankhafte
Veränderungen an den Händen eines Schafzüchters aus Neuseeland zeigte.
"Oh, mein Gott," flüsterte Scully und starrte entsetzt auf das Foto. Das Foto zeigte die Ergebnisse einer
Ansteckungskraft, die als Hautform aktiv war. Der Text besagte, dass es auch
Darm- und Lungenformen gab. Die Lungenform, hieß es, war bekannt als
Wollsortiererkrankheit und war besonders tödlich, eine der tödlichsten
Krankheiten, die die Menschheit kannte. Jeder,
der in der Medizin arbeitete, war mit dieser virulenten Mikrobe vertraut. Und praktisch jeder, der für das FBI
arbeitete, wusste um ihr Potential, als terroristische Biowaffe benutzt zu
werden.
Die krankhaften
Veränderungen und die Implikationen waren nicht misszuverstehen.
Wilhelm Nivek hatte in
Alabama gelebt und in einem Tante-Emma-Laden gearbeitet, weit weg von
Neuseeland und ohne Beziehung zur Zucht von Schafen oder Vieh oder irgendeinem
natürlichen Betreiber. Dennoch waren seine Finger allem Anschein nach mit dem
Bacillus anthracis infiziert.
Anthrax.
~~~~~
Baldwin County
Gerichtsgebäude
Büro des
Bezirksstaatsanwalts
4:24 p.m.
"Nun, ich weiß nicht,
was ich gedacht habe, was ihr FBI-Agenten hier vorhabt zu tun, aber das hab ich
sicher nicht erwartet."
Scully lächelte erschöpft.
Barstow Miller, der
Bezirksstaatsanwalt war kein schlechter Junge, aber es war schwierig für ihn,
sich hinter den Gegenstand zu klemmen, was in diesem Fall nicht das FBI selbst
war, sondern das, was diese ungewöhnliche FBI-Agentin von ihm brauchte.
"Mr. Miller, ich
brauche wirklich Ihre Hilfe dabei," sagte Scully in ihrem kühlsten,
professionellsten Ton. "Ich brauche eine Exhumierungsanweisung für Wilhelm
Niveks Leiche, und je schneller, desto besser." "Sie glauben
wirklich, er hatte Anthrax?" fragte Miller. "Wir hatten das hier noch
nie in der Gegend, aber ich vermute, wir könnten - es gibt hier eine Menge Vieh."
"Ich werde es nicht
wissen, bis ich die Leiche untersucht habe," antwortete Scully. "Im
Bericht des Polizeiarztes wurden die Hautveränderungen nicht direkt zugeordnet
und ich brauche eine Kultur davon. Aber Nivek hat nicht im Viehgeschäft
gearbeitet und wenn er mit Anthrax infiziert war, dann haben sie vielleicht ein
schlimmeres Problem als nur eine Mordorgie." "Nur eine
Mordorgie," wiederholte Miller und klang kaum amüsiert. "Wir hatten einen
Mord in Daphne in den letzten drei Jahren und nun haben wir vier in nur ein
paar Wochen. Das nennen Sie einfach eine Orgie." "Es tut mir
leid," sagte sie immer noch kühl. "Ich will die Wichtigkeit der Untersuchungen
keineswegs herunterspielen."
"Es ist nur, dass Sie
für die Regierung arbeiten und weit schlimmeres gesehen haben, nicht
wahr?"
"Nein Sir,"
antwortete Scully. "Ich habe schlimmeres gesehen, aber dieser Fall ist für
jeden schlimm genug. Aber für die Regierung zu arbeiten, kann einen dazu bringen,
aufmerksam zu werden, wenn der Anthrax-Bazillus an einem Ort auftaucht, wo er
es nicht sollte. Er sollte nicht an Niveks Fingern sein." Miller dachte
eine Minute nach und trommelte dabei mit den Fingern auf den Schreibtisch.
"In Ordnung, Agent Scully," meinte er. "Ich werde einen meiner Leute
die Anweisung aufsetzen lassen und ich werde sehen, ob ich einen Richter finde,
der sie unterzeichnet. Wir werden die Leiche in die Forensische Abteilung von
Mobile bringen lassen, dort können Sie dann einen Blick darauf werfen." "Das
wäre ideal, Sir."
Das war eine
Erleichterung. Sie hatte den Gedanken gefürchtet, dass sie eine Autopsie in
einem Krankenhaus oder schlimmer noch in einer Leichenhalle durchführen musste.
Sie waren nicht für so etwas ausgerüstet und qualifizierte Assistenten
existierten nicht außerhalb eines richtigen forensischen Labors. "Wenn es Anthrax ist," fuhr Miller
fort, "würde ich es begrüßen, wenn Sie es für sich behalten würden, bis
wir wissen, wie weit es sich ausgebreitet hat, wenn es das hat. Okay?"
Scully nickte. "Das
war meine Absicht, Sir. Danke."
~~~~~
Daphne Rathaus
6:49 p.m.
Das zeitweilige FBI-Büro
war dunkel, als Scully ankam. Das Licht, das vom Flur hereinfiel, ließ die
Tatortfotos in noch beängstigenderer Weise real erscheinen. Es ließ sie schaudern und sie war keine Frau,
die leicht etwas schaudern ließ.
"Mulder," rief
sie. "Mulder, bist du hier?"
Keine Antwort. Wohin war
er gegangen? Er konnte nicht sehr weit sein, sie hatte immer noch seinen Wagen.
Vielleicht war er mit Glassman zurück ins Hotel gefahren.
Scully schloss die Tür und
ging den Gang entlang zum Aufenthaltsraum. Mack war dort, er saß an einem
Arbeitstisch neben Glassman. Der Tisch war zugemüllt mit halb ausgefüllten
VICAP-Formularen. Glassman blickte vergnügt drein, Mack befangen.
"Meine Herren,"
fragte Scully. "Hat einer von Ihnen in der letzten Zeit Mulder gesehen?"
"Vom Winde
verweht," antwortete Glassman und wedelte mit der Hand durch die Luft.
"Ich habe ihn gefragt, wie die Dinge laufen. Er warf mir ein paar ausgesuchte
Worte hin und floh dann von hier, als wenn die Höllenhunde hinter ihm her
waren."
"Wo ist er
hingegangen?" fragte Scully.
"Hab nicht den
Schimmer einer Ahnung," entgegnete Glassman. "Warum? Habt ihr zwei
eine Verabredung?"
Das war nicht einmal eine
Erwiderung wert. "Mack, wissen Sie, wohin er gegangen ist?" fragte
sie.
"Nicht sicher, Ma'am,
nein," antwortete Mack.
"Wie lange ist er
weg?"
"Oh, ich würde sagen,
ungefähr eine dreiviertel Stunde. Nicht viel länger." "Mack, hat er
irgendetwas darüber gesagt, wohin er vielleicht gegangen sein könnte?"
fragte sie weiter. Mack dachte einen Moment nach. "Nun, heute morgen haben er und ich uns
über Orte unterhalten, wo wir uns als Kinder oft aufhielten," meinte er
nachdenklich. "Ich habe ihm erzählt, dass ich für gewöhnlich am Mullet Point
herumhing und dem Sonnenuntergang zusah. Ein guter Platz zum Fischen oder zum
Nachdenken, wenn es das ist, was du willst. Ein bisschen spät dafür jetzt.
Draußen wird es schon dunkel." "Wo ist dieser Mullet Point?"
"Sie können ihn gar
nicht verfehlen," erklärte Mack und Scully stöhnte auf. "Nein wirklich, das können Sie nicht.
Fahren Sie zurück auf den Highway in Richtung Süden und wenn die Straße nach
links abbiegt, ja? Dann bleiben sie weiter gerade aus. Dann kommen Sie dort
hin. Es ist am Wasser. Es gibt ein großes altes Schild, auf dem
‚Mullet Point' steht." "Wie weit ist es?"
"Zehn, zwölf
Meilen," sagte Mack. "Sie erwischen ihn auf der Straße, wenn er nicht
gerannt ist. Rennt er gerne?"
Scully sah hinaus in die
aufkommende Nacht. Er war dort draußen, irgendwo, allein mit seinen Dämonen. In
der Dunkelheit... "Agent
Scully," rief Glassman.
Sie sah ihn an.
"Officer Mack hat Sie
etwas gefragt. Sie jagen mir schon wieder Angst ein. Tun Sie das nicht."
"Ich... ich habe nur
gefragt, ob Agent Mulder viel rennt," sagte Mack, peinlich berührt
darüber, dass er Probleme verursacht hatte. Scully blickte wieder zum Fenster hinaus,
ihren Blick ins Nichts gerichtet. Sie gab sich gelassen und verbarg unter
Anstrengungen die Unentschlossenheit, die sie fühlte. Sollte sie zu ihm gehen?
Ihn allein lassen? Dann lenkte sie ihre
Aufmerksamkeit in den erleuchteten Raum zurück. "Ja, er rennt,"
antwortete sie zurückhaltend.
"Werden Sie ihm
nachgehen?" fragte Mack.
Sie schüttelte den Kopf.
"Selbst wenn ich ihn finden würde, ich könnte ihn nicht zurückbringen,"
sagte sie. "Nicht jetzt."
~~~~~
Mullet Point, Alabama
9:53 p.m.
Mack hat Recht, dachte er.
Das ist ein guter Ort zum Nachdenken. Wenn ich etwas Gutes zum Nachdenken
hätte.
Von hier aus waren die
Lichter über der Bucht von Mobile stecknadelgroß, kleiner als die Sterne am
Himmel. Von der Straße hinter ihm kamen keine Geräusche, es gab überhaupt keine
Geräusche mit Ausnahme des brackigen Wassers, das gegen die Hafenmole
plätscherte, das hochstimmige Singen von Grillen und, von Zeit zu Zeit, das
Schreien einer Möwe.
Sein Mantel und seine
Krawatte hingen über einer Bank auf dem nahegelegenen Picknickplatz, seine
Schuhe und seine Socken waren neben ihm, sein Hemdkragen war geöffnet und die
Ärmel bis zum Ellbogen aufgerollt. Er saß mit angezogenen Knien, die Arme um
die Beine geschlungen, den Kopf auf den Knien und blickte über das Wasser ins
Nichts.
Mulder wusste nicht, wie
lange er schon da war. Er konnte sich nicht einmal klar daran erinnern, wie er
entschieden hatte, hierher zu kommen. Alles was er wusste war, dass er da war,
dass er zu Fuß hergekommen war und den ganzen Weg gerannt war. Er war
schweißnass, und es wollte in der feuchten Luft nicht trocknen; das konstante
Brummen der Moskitos sagte ihm, dass er über kurz oder lang völlig zerstochen
sein würde.
Es kümmerte ihn nicht.
Das Bild begann
aufzutauchen. Bald würde er alles niederschreiben und all seine subjektiven
Einschätzungen rational ausdrücken und damit den örtlichen Polizisten etwas
geben, womit sie ihre Suche beginnen konnten. Und sag ihnen, dass sie währenddessen
Sendepause halten sollten, keine Funkgespräche, keine Handys. Es war genug, dass
einem die Polizeiarbeit verging, wenn man sah, wie viele brutale Mörder
heimlich den Polizeifunk abhörten. Das
lässt dich fragen, was in dir ist, was dich zu diesem Beruf gebracht hat.
Oder was die Mörder
abhielt. Wenn es etwas tat. Bist du nicht
auch ein Mörder, Mulder? Hast du nicht einem Mann das Gesicht weggeschossen mit
einem Gewehr, nachdem du ihn bereits getötet hattest? Hast du nicht am Ende
John Lee Roche getötet, zum Teil aus Rache, weil er dir entwischt war und dich
wie ein Narr aussehen ließ? Hast du es nicht tatsächlich genossen, Robert
Modell eine Kugel in den Kopf zu jagen? Und hast du nicht den Abzug noch betätigt,
als das Magazin schon lange alle war? Du hast verdammt Recht, es war so. Du
musstest nicht zwölf Meilen rennen und dein Blut den Moskitos opfern, um das zu
wissen. Und das waren auch nicht die einzigen, die du umgebracht hast. Führt dich das irgendwo hin?
Ja. Oh verdammt, ja. Es
machte ihn krank, das zu erkennen, aber er wusste, er hatte nur eine der Türen
zum Geist des Verdächtigen geöffnet. Der Verdächtige tötete gern, genoss die
Erleichterung, die das Morden ihm verschaffte und er spürte den Drang zu töten
wieder. Bald. Aber wo? Wer?
Warum kam in dieser
kleinen Stadt niemand und sagte ihm, dass er irgendeinen seltsamen Nachbarn
überprüfen sollte, der eine Menge Waffen besaß? Der Verdächtige war hier
irgendwo, das war klar; es war nicht klar, wo er war oder warum niemand eine
Verbindung zwischen ihm - wer immer er war - und den Morden herstellte, die
Daphnes jährliche Mordrate bereits effektiv verfünffacht hatten.
Du findest es besser
heraus, Mulder, dachte er grimmig; besser, du findest ihn und das verdammt
schnell.
Wenn nicht, wird das Blut
eines weiteren Menschen an deinen Händen kleben.
~~~~~
Pembroke Inn
2:45 a.m.
Scully warf sich ruhelos
auf die Seite. Gegen Mitternacht hatte sie sich schlafen gelegt, war aber eine
Stunde später wach geworden und seitdem nicht mehr in der Lage gewesen zu
schlafen. Es war nicht nur, weil sie nicht wusste, wo Mulder war, obwohl es sie
quälte. Weniger als ein Tag war vergangen, bevor er sie wieder einmal abgehängt
hatte, und diesmal hatte sie die zusätzliche Sorge, dass er vielleicht allem
aus dem Weg gehen würde... studienplanergänzende Abendaktivitäten waren ein
Weg, das zu tun.
Das war schlimm genug; was
schlimmer war, war das Wissen, dass, sie ihm sagen musste, was sie
herausgefunden hatte, wenn er zurückkam und zum ersten Mal in ihrer
medizinischen Karriere war sie sich einfach nicht sicher. Das Problem war jetzt das Anthrax oder
präziser ausgedrückt die Gefahr einer Anthrax-Epidemie. Es wird keine Epidemie
werden, schalt sie sich selbst. Ein Fall von Hautanthrax macht noch keine
Epidemie aus. Also, wo hat er es her,
Dr. Genie Scully? Er ist kein Schäfer oder Viehrancher oder Veterinärmediziner.
Er hat in einem Tante-Emma-Laden gearbeitet. Wie bekommt man Anthrax, wenn man
in einem Tante-Emma-Laden arbeitet? Vielleicht
ist es gar kein Anthrax, dachte sie, aber sie erkannte, dass es Wunschdenken
war. Warum ergibt es keinen Sinn für mich? Du musst es richtig machen, Dana,
dachte sie. Du kannst dir keinen einzigen Fehler dabei leisten. Was ist, wenn ich bereits einen Fehler gemacht
habe? Was, wenn ich den Bezirksstaatsanwalt wegen nichts alarmiert habe? Woher
weiß ich, wie Anthraxwunden aussehen? Ich habe Anthrax noch nie gesehen. Wer
hat es? Was, wenn ich jeden in Aufruhr versetze und es stellt sich heraus, dass
diese Flecken nur fotografische Artefakte sind?
Ich hätte jemand anderen
bitten sollen, die Fotos zu überprüfen. Ich hätte das CDC anrufen und ihnen die
Fotos schicken sollen. Ich hätte nicht zum Bezirksstaatsanwalt gehen sollen,
ohne mit Mulder zu reden, oder wenigstens - Gott steh mir bei - mit Glassman.
Warum hab ich das getan? Oh Gott, wenn sie diese Leiche ausbuddeln und nichts
ist verkehrt, dann stehe ich ganz schön dumm da und Glassman wird es mir ewig
vorhalten.
Ich wünschte, ich könnte
mit Mulder darüber reden. Aber wo ist er? Arbeitet er um die Zeit immer noch?
Natürlich tut er das.
Wie viele Fälle haben wir
bearbeitet, über Tassen zu starken Kaffees hockend in irgendeinem trostlosen
Kleinstadtdiner zu einer Zeit, wenn die Zeitungsjungen noch nicht einmal
aufgestanden waren? Zu viele, um sie zu zählen.
Es gab Zeiten, wenn ich glaubte, ich würde ihm das Genick brechen, wenn
er mich noch einmal aufweckte.
Ich wünschte, wir könnten
telefonieren. Ich wünschte, ich wüsste, dass es ihm gut geht. Ich wünschte, ich
könnte mit ihm darüber reden. Ich wünschte, ich wäre nicht zum
Bezirksstaatsanwalt gegangen, bevor ich die Gelegenheit hatte, mit Mulder zu
reden. Ich wünschte, irgendjemand anderes wäre verantwortlich dafür. Ich kann das nicht tun. Ich kann nicht.
Mulder könnte es. Er
wüsste, was zu tun ist.
Ich muss etwas schlafen,
dachte Scully, während sie sich ruhelos umherwarf. Dann hörte sie ein
unbekanntes Geräusch vom Flur her und saß aufrecht, vor Angst erstarrt da und
griff unter das Kopfkissen nach ihrer Waffe. Es war nur die Eismaschine. Sie hatte ähnliche
Geräusche Hunderte Male in Hunderten von Hotels gehört. Das war nicht neu. Aber ihr Herz hämmerte immer noch. Sie steckte
die Waffe zurück unter das Kissen, aber sie hielt sie weiter fest, den Finger
am Abzug. Während sie sie festhielt, fühlte sie sich ruhiger. Nicht dass sie
ihre Waffe brauchte, natürlich nicht. Sie wollte nur wissen, dass sie da war.
~~~~~
Wonach suchst du so
schwermütig und schweigend?
Was brauchst du, Kamerad?
Lieber Mann, denkst du, es
ist Liebe?
Walt Whitman
Kapitel 10
Pembroke Inn
Mittwoch, 3. März
4:15 a.m.
Das Klopfen war leise,
aber es war genug, um Scully aufzuwecken aus ihrem unruhigen Schlaf. Sie
ergriff ihre Waffe, knipste die Lampe an und stolperte verschlafen zur Tür, um
durch den Spion zu sehen. Es war Mulder
und er sah schrecklich aus; Krawatte offen, Hemd aufgeknöpft, rote Augen und er
brauchte dringend eine Rasur und etwas Schlaf. Sie schob den Riegel zurück und öffnete die
Tür. "Habe ich dich aufgeweckt?" fragte er, immer noch im Türrahmen
stehend. "Ich bin nicht sicher," antwortete sie, ihr Hirn immer noch
umnebelt. "Vielleicht. Komm rein." Er ging an ihr vorbei direkt auf ihr
Bett zu und ließ seinen Mantel auf den Boden fallen. Erschöpft ließ er sich
fallen, seine langen Beine hingen über die Bettkante hinaus.
Sie schloss die Tür und
verriegelte sie, legte ihre Waffe auf die Kommode und stand dann einfach nur
da, vollkommen unsicher, was sie als nächstes tun sollte. "Mulder," begann sie vorsichtig,
aber er unterbrach sie. "Ich weiß
nicht, wie er aussieht, Scully," murmelte er, ohne die Augen zu öffnen.
"Ich kann ihn überhaupt noch nicht sehen. Ich weiß nicht einmal, welches Auto
er fährt. Ich weiß nicht, wo er ist oder wo er als nächstes zuschlagen wird.
Ich weiß nur, dass er es tun wird."
"Weißt du,
wann?" fragte sie und kam herüber, um sich neben ihn zu setzen. Sie faltete
ihre Hände und legte sie in den Schoß auf den glatten blauen Satin ihres Schlafanzugs.
"Bald,"
antwortete er, immer noch ohne sich zu bewegen. "Er hat wieder Angst und er
ist wütend und er hat gelernt, das Gefühl des Tötens zu mögen. Ich kenne das gut.
Er braucht es, wie eine Droge. Er holt sich seinen Schuss bald. Aber ich weiß
nicht, was ich tun kann, um ihn aufzuhalten." "Hast du es Mack
erzählt?"
"Nein," sagte
er. "Noch nicht."
Er öffnete die Augen und
wandte ihr seinen Blick zu. "Während ich zurücklief, dachte ich daran, am
Police Department anzuhalten und zu versuchen, das alles aufzuschreiben.
Manchmal hilft das. Dann habe ich mich daran erinnert, dass du auch nach etwas
gesucht hast und ich dachte, dass du vielleicht versuchst, mich zu finden, um
mir davon zu erzählen. Also hab ich die Gelegenheit ergriffen und bin
vorbeigekommen, obwohl ich mir vorstellen kann, dass du vielleicht verärgert bist,
weil ich dich abgehängt habe. Ich vermute, ich könnte es auf meine Schwierigkeiten
mit diesem Unbekannten schieben..." "Und du hättest Recht,"
sagte sie, ihn unterbrechend. "Ich weiß besseres, als dich zu einem
Zeitpunkt wie diesem abzulenken. Aber ich wollte mit dir reden. Etwas hat sich bei mir ergeben und ich wollte,
dass du mir hilfst, es herauszufinden."
"Was ist es?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich bin mir nicht sicher. Aber es ist vielleicht die Antwort darauf, was
uns im Dezember passiert ist." Er setzte sich auf. "Du machst
Witze."
"Nein,"
erwiderte sie. "Ich wünschte, es wäre so. Eines der Opfer hat Wunden an seine
Fingern, die wie Anthrax aussehen."
"Gott," rief er
mit weitaufgerissenen Augen aus. "Wer von ihnen?" "Nivek,"
antwortete sie. "Ich kann es dir sicher sagen, wenn wir eine Zellkultur angelegt
haben."
"Gibt es eine Chance,
das es nicht Anthrax ist?" "Ja. Nein. Ich meine ja, natürlich, es
gibt immer eine Chance," meinte sie und stand auf. Sie begann nervös im
Zimmer auf und ab zu gehen, ihre Arme eng vor der Brust verschränkt. "Ich
kann immer falsch liegen, das weißt du; ich habe tatsächlich seine Finger noch
nicht gesehen und wir müssen eine Kultur anlegen, was immer wir finden. Aber
auf den Autopsiefotos sieht es wie Anthrax aus. Und wir sind hinter einer
Biowaffe hergewesen, als wir das erste Mal hier waren." "Denkst du
etwa, das es sich hier um Inlandsterrorismus handelt?" "Ich glaube,
dass es sich um Anthrax handelt," entgegnete sie und kämpfte gegen ihre
Verärgerung an. "Im Moment ist das alles, was ich glaube. Und ich könnte mich
leicht irren. Ich habe Anthrax noch nie gesehen. Und ich kenne keinen Arzt, der
es gesehen hat. Und ich habe keine Ahnung, ob es eine Verbindung zu Inlandsterrorismusgruppen
gibt oder nicht. Alles was ich weiß ist, dass Wilhelm Nivek Wunden an seinen
Fingern hat, die wie Anthrax aussehen und die er nicht haben sollte, weil er
weder Bauer noch Textilarbeiter ist. Okay?" "Okay," sagte er und
klang ein wenig gereizt. "Gott, Scully, ich stelle deine medizinische
Meinung nicht in Frage. Ich habe nur gefragt, was du weißt. Wie hast du diese
Wunden gefunden?"
"Autopsiefotos,"
erwiderte sie. "Nur dass ich jetzt Grund habe, daran zu zweifeln, dass die
erste Autopsie sehr gründlich war." "Die erste bedeutet..."
Mulder sah ein wenig aus, als wäre ihm übel. "Bedeutet, dass ich eine zweite tun
werde, ja." sagte Scully und sah ihn an. Aus irgendeinem Grunde schnitt
ihr Mulders Besorgnis durch ihre bereits angegriffenen Nerven wie eine rostige
Klinge. Sie war nicht in der Stimmung, in diesem Moment mit seiner
Überempfindlichkeit umzugehen. Er musste sich in den Griff bekommen.
"Du weißt, dass ich
das tue, Mulder," meinte sie und ihre Stimme tropfte vor Sarkasmus.
"Ich habe heute mit dem Bezirksstaatsanwalt gesprochen. Ich werde Nivek
ausgraben lassen und eine weitere Autopsie vornehmen und er wird stinken und
modrig und glitschig sein und wahrscheinlich voller übler Gase, die mir total
auf den Magen schlagen werden, wenn ich ihn aufschneide. Möchtest du zusehen?
Oder würde es dich zu sehr erschüttern?" "Okay, Scully, gib
Ruhe," sagte er und sie konnte sehen, dass sie ihm unter die Haut gegangen
war. "Wir stecken da zusammen drin. Lass es uns zu Ende bringen und dann
werden wir daran arbeiten, unsere Alpträume auseinander zu nehmen." Sie
schüttelte den Kopf und hob frustriert die Hände. "Dann lass mich einfach
in Ruhe, in Ordnung? Du bist nicht der einzige, der Dinge zu tun hat, die ihm Alpträume
verursachen. Ich hasse Exhumierungen. Egal, wieviel ich tue, ich werde mich nie
wirklich daran gewöhnen."
"Das ist
verständlich," antwortete er, milde genug. Aber er hatte wieder dieses verdammte
Profilergesicht und Scully hatte bereits entschieden, was sie dabei empfand.
Sie hasste es.
"Vergiss es einfach,
Mulder," erwiderte sie gleichgültig. "Was immer ich finde, es wird
dir nicht helfen, ein Profil deines Unbekannten zu erstellen, und das hat
Priorität, besonders wenn du weißt, dass er es wieder tun wird." "Sehr
bald," sagte er "Es sei denn, ich finde ihn zuerst. Aber ich bin nicht
sicher, dass ich das kann; nicht diesmal."
Mulder hatte ruhig
gesprochen, aber sie hörte die Angst hinter seinen Worten. Sie musste jeden Tag mit derselben Angst
klarkommen. Es war die Angst, einen Fehler bei der Beurteilung zu machen, einen
Fehler in Aktion, der zum Tod eines weiteren unschuldigen Opfers führte.
"Mulder, es tut mir
leid," sagte sie und setzte sich wieder auf das Bett.
"Wirklich. Ich bin im
Moment einfach etwas zu empfindlich." "Du hast ein Recht dazu, es zu
sein," antwortete er, aber nun beobachtete er sie noch sorgfältiger.
"Das ist wirklich eine ernste Sache." "Du wirst ihn finden,
Mulder. Du wirst," sagte sie und meinte es auch so. "Aber wir müssen
auch herausfinden, was das Anthrax damit zu tun hat. Es ist mindestens genauso
gefährlich wie er."
"Scully," begann
er, dann zögerte er. "Ich weiß nicht, ob ich dir dabei helfen kann,
zumindest nicht so sehr, wie es nötig wäre. Glassman sollte dir bei der Beweisanalyse
helfen."
"Er hat nicht einmal
die Fallakten zu Ende gelesen," erwiderte sie bitter. "Er ist
überhaupt keine Hilfe. Ich kenne ihn. Alles, was er über das Profilerstellen weiß,
kennt er aus "Das Schweigen der Lämmer", aber er liebt es, vor der örtlichen
Justizbehörde auszuspucken, als ob er ein zweiter John Douglas wäre. Du hast seine Pläne mächtig durchkreuzt, als
du hier aufgetaucht bist." "Willst du damit sagen, dass er nicht
bereit ist, seinen Teil beizutragen, weil er glaubt, er wäre nicht glamourös
genug?"
"Genau das will ich
damit sagen," erwiderte sie entschieden. "Wenn es um die Restarbeiten
geht, um das Ausfüllen der Formblätter und darum, zu telefonieren, dann ist er
unbrauchbar. Ich werde keine große Hilfe von ihm bekommen und ich kann nicht
alles allein tun."
"Scully, ich weiß
nicht, was ich dir sagen soll," meinte er. "Ich weiß, dass du Hilfe
brauchst, aber ich kann nicht Glassmans Job tun und meinen eigenen. Ich kann
keine Beweisanalysen vornehmen und gleichzeitig ein Profil erstellen. Das eine
ist ein wissenschaftlicher Prozess und das andere ist fast ausschließlich intuitiv."
"Es tut mir leid,
Mulder," sagte sie. "Ich habe auch keine Antwort darauf. Ich könnte
meinen Vorgesetzten bitten, Glassman von dem Fall abzuziehen, aber Rolfe hat
nie einen Finger gerührt, um mir zu helfen, und ich erwarte es auch jetzt nicht
von ihm."
"Ich kenne Mike
Rolfe," erwiderte Mulder. "Er ist ein Arschloch. Aber selbst wenn er
helfen würde, du möchtest nicht wirklich mit ihm sprechen, nicht wahr?" Einen
Moment war sie still. "Nein," antwortete sie. "Ich will nicht.
Ich kann nicht mit ihm reden, ich kann ihm nicht vertrauen. Er wird es gegen
mich benutzen, es in meine Beurteilung hineinnehmen als Beweis dafür, dass ich
meinen Job nicht erledigen kann. Und ich kann es nicht ohne Hilfe. Nicht das
hier. Mulder, es tut mir leid, aber du
bist alles, was ich habe." "Dann werde ich versuchen, genug zu
sein," sagte er. "Aber wir gehen hier beide Risiken ein."
"Deshalb bekommen wir
das dicke Geld," meinte sie und versuchte zu lächeln. "Und deshalb müssen wir die Doughnuts
mitbringen," erwiderte er und lächelte zurück. Er nahm ihre Hand.
"Mach dir keine Sorgen. Wir finden es heraus." "Morgen
früh," sagte sie. "Aber jetzt musst du dich ausruhen." Sie
rutschte zu ihm hinüber, drückte ihre Lippen sanft auf seine, dann fester, und
ließ ihre Zunge über seine Unterlippe gleiten.
Aber zum ersten Mal,
obwohl er den Kuss annahm, gab er ihn nicht zurück; er schien sogar vor ihr
zurückzuweichen und das erschreckte sie. Sie zog sich zurück und sah ihn
ängstlich an. "Mulder, was ist los?" flüsterte sie. "Scully, ich kann nicht," erwiderte
er leise und seine Fingerspitzen glitten über ihre Wange. "Nicht
jetzt."
"Du solltest
aber," sagte sie. "Du bist beinahe zu müde, um zu reden." "Meine
Füße sind tot," meinte er. "Aber ich rede nicht von Schlafen. So gern
ich hier liegen und mich deiner Magie hingeben würde, ich kann nicht. Nicht
heute Nacht."
"Das hast du letzte
Nacht gesagt," stellte sie verwirrt fest. "Und nun sagst du es
wieder. Also warum bist du überhaupt hier?" Die Frage schien ihn zu
verletzen, aber diesmal konnte sie nicht gut genug in ihm lesen, um zu wissen
warum. Er sah fort.
"Ich wollte nur mit
dir reden," sagte er mit der Stimme eines Mannes, dessen Kraft vollkommen
erschöpft ist. Langsam stand er auf. Mit dem Rücken zu ihr sammelte er seinen
Mantel auf, warf ihn sich über die Schulter und hielt ihn mit der linken Hand
fest, während seine rechte automatisch nach dem Griff seiner Waffe fasste, um
sicherzugehen, dass sie sicher in ihrem Holster steckte. Scully starrte ihn mit offenem Mund an. Seine
Erschöpfung, der Klang seiner Stimme, seine Worte hatten sie wie ein Messer in
den Hals getroffen und durchbohrten sie mit Schuld und Scham, so heftig, dass
sie nicht sprechen, sogar kaum atmen konnte. Plötzlich fühlte sie kalten
Schweiß auf ihrer Haut. Er wollte mit
mir reden und ich hab ihn nicht gelassen. Das hat es noch nie zwischen uns
gegeben, nicht wenn es um etwas Dienstliches ging, worum sie sich zu kümmern
hatten.
Seine Hand lag auf der
Türklinke. Im nächsten Moment würde er wieder gegangen sein. Sie konnte das
nicht zulassen. Sie stand auf, ging dorthin, wo er stand und legte eine Hand
auf seine Schulter, hielt ihn auf und drehte ihn zu sich herum. "Geh
nicht," flüsterte sie.
"Scully, ich
muss..."
Sie unterbrach ihn und
berührte seine Lippen mit ihren Fingern. "Du beschämst mich," sagte
sie. "Ich hätte es wissen müssen. Ich bist aus demselben Grund hier hergekommen
wie immer, wenn wir zusammengearbeitet haben; weil du die Dinge durchsprechen
wolltest."
"Aber du hattest
Recht," erwiderte er, nicht unfreundlich. "Ich war derjenige, der
gesagt, dass er nicht zwei Jobs auf einmal tun kann, und dann mit meinem nächsten
Atemzug versuche ich, dich dazu zu bringen, mir bei meinem zu helfen. Ich hätte wirklich nicht kommen sollen. Ich
bin einfach egoistisch; ich will nicht ohne dich arbeiten."
"Du bist einfach
hergekommen, um nach deinem Partner zu sehen," entgegnete sie unglücklich.
"Und ich fand Dana,
die wilde," sagte er mit einem Hauch seines alten Humors und sie musste
lächeln. "Aber vielleicht habe ich die letzten sechs Jahre auch nach ihr
gesucht. Hast du jemals daran gedacht?"
"Manchmal,
vielleicht," meinte sie vorsichtig. "Ja." Das brachte ein wenig
von Mulders Lächeln zurück. "Vielleicht, eines Tages, werden wir beide zur
selben Zeit nach der selben Sache suchen," sagte er. "Das haben wir vorher immer getan,"
erklärte sie. "Die Wahrheit. Das hat sich nicht geändert."
"Nein, das hat es
nicht."
"Mulder," begann
sie, dann trat sie einen Schritt näher. "Es tut mir leid, dass ich dich
enttäuscht habe."
"Du hast mich nie
enttäuscht," antwortete er und nahm ihre Hand. "Niemals." Sie
schüttelte den Kopf. "Diesmal habe ich es getan. Ich habe meine Gefühle
über das gestellt, was wir hier zu erledigen haben." "Ja,
vielleicht," erwiderte er. "Aber vielleicht kannst du im Moment
nichts dagegen tun. Ich weiß immer noch nicht, was verkehrt ist; ich weiß nur,
dass da etwas ist und dass du einen gut Teil der Zeit nicht so handelst, wie
die Dana Scully, mit der ich es gewohnt bin, zu arbeiten." Sie konnte ihn
nicht ansehen.
"Aber das ist nicht
der ganze Grund, und das weiß ich," sagte er sanft und strich mit dem
Daumen über ihren Handrücken. "Wir haben uns gegenseitig vermißt. Wir möchten wieder vereint sein. Das ist nicht
verkehrt; es ist ein gutes Gefühl, so geliebt zu werden wie von dir. Das hatte
ich niemals zuvor. In meinem ganzen Leben nicht."
Sie spürte, dass die
Tränen wiederkamen. Früher hab ich nicht geweint, dachte sie. Nie. Nun heule
ich die ganze Zeit.
"Aber es gibt ein
Problem zwischen uns," fuhr er leise fort. "Ich weiß nicht genau, was
es ist, aber was schlimmer ist, ich kann es mir nicht einmal leisten, lange
genug innezuhalten, um es herauszufinden, so sehr ich es auch will." "Willst
du?" fragte sie und sah wieder zu ihm auf. "Willst du wirklich feststellen,
was mit mir los ist?"
"Mit uns,"
korrigierte er sie sanft. "Und ja, ich will. Ich will mit dir reden können,
ich will dich berühren können und so sicher wie die Hölle will ich nicht, dass
du vor mir Angst hast. Ich kann mir nichts schlimmeres als das vorstellen - abgesehen
davon, dass wegen mir jemand stirbt, qualvoll stirbt, weil ich nicht den Job
gemacht habe, wegen dem ich hergekommen bin. Es wird passieren, bald, wenn ich
nicht verdammt schnell in den Kopf unseres Unbekannten eindringen kann. Ich
kann das nicht zulassen, Scully." "Ich verstehe. Wirklich, das tue
ich," sagte sie und blickte auf ihre immer noch vereinten Hände hinab.
"Aber Mulder, du kannst dich nicht dafür verantwortlich machen, wenn er
wieder tötet. Die Profiler aus der Abteilung Verhaltensforschung verbringen die
meiste Zeit damit, Ideen zu wälzen und sich gegenseitig bei dem zu helfen, was
du versuchst, ganz allein zu tun." "Ich bin nicht allein,"
erwiderte er fest. "Ich habe dich. Und ich brauche niemand anderen."
Das berührte sie und sie
stellte fest, dass sie ihrer Stimme nicht trauen konnte. Ihr Kinn zitterte und
eine einzelne Träne rollte über ihre Wange. Sie sah so niedergeschlagen aus,
dass er es schließlich nicht mehr ertragen konnte und er legte seine Arme um sie
und hielt sie fest. "Ich liebe dich
so sehr," flüsterte sie, ihre Stimme gedämpft durch sein Hemd. "Ich würde das nicht ändern, selbst wenn
ich könnte. Aber ich will, dass wir immer noch in der Lage sind, zusammen zu
arbeiten. Ich will dein Partner sein, Mulder."
"Das bist du,
Scully," antwortete er und wiegte sie sanft. "Das bist du.
Immer."
~~~~~
Alabama Abteilung für
Forensische Wissenschaften Mobile Laboratorium 10:19 a.m.
Das ist beinahe so schlimm
wie es nur geht, dachte Scully, während sie ihre Latexhandschuhe herunterriss.
Zwei Stunden hatte sie
sich mit den verfaulten Überresten von Wilhelm Nivek abgemüht, hatte sich in
Gewebe vertieft, das sich in einer einbalsamierenden Flüssigkeit verfestigt
hatte, hatte den Geruch eingeatmet, den nicht einmal eine dicke Schicht
Mentholsalbe verbergen konnte, und nun wartete der Labortechniker mit einem
Gesicht auf sie, das offen schlechte Neuigkeiten verkündete. Erst vor ein paar Stunden hatte sie Hautproben
von Niveks Fingern genommen, gefolgt von Lungen-, Mund- und Darmgewebe und
hatte sie demselben Techniker zum Testen übergeben. Sie warf ihren Kittel und
die Kopfbedeckung in den Wäschebehälter, wusch sich die Hände und setzte sich,
um sich die schlechten Nachrichten anzuhören.
"Sie hatten gute
Proben, Dr. Scully, vier getrennte Kolonien von den Fingern," erzählte ihr
der Labortechniker. "Die Immunfluoreszenztests waren überzeugend, sie
zeigten alle den Bacillus anthracis. Das ist vom Feinsten, wirklich." "Was
ist mit den Lungen?" fragte sie.
"Sauber, soweit ich
sagen kann," antwortete der Techniker und Scully stieß einen Seufzer der
Erleichterung aus. "Sind Ihnen irgendwelche Todesfälle, Todesfälle von
Menschen, hier in der Gegend bekannt, die auf den Bacillus anthracis zurückzuführen
sind?" fragte sie.
Der Mann schüttelte den
Kopf. "Glauben Sie mir, Dr. Scully, wenn es einen gegeben hätte, wüsste
ich es. Ich war bei der Aktion Wüstensturm dabei; ich achte auf solche
Sachen."
Scully nickte, ihre Lippen
leicht geschürzt, und studierte den Bericht noch einmal, als könnte sie ihn
dadurch dazu bringen, etwas anderes auszusagen. Dann sah sie den Techniker
wieder an. "Wer ist im Bezirk der zuständige Gesundheitsbeamte?"
fragte sie.
"Dr. Anthony
Meister," antwortete der Techniker. "Aber er ist heute nicht hier; ich
habe ihn bereits einmal angerufen."
"Haben Sie seine
Telefonnummer von zu Hause?" bat sie. "Ich muss mit ihm darüber reden."
"Warten Sie, ich hole
sie Ihnen." Der Techniker ging und kam eine Minute später mit einer
Telefonnummer, die auf einen Fetzen Papier geschrieben war, wieder. "Hier, bitte sehr."
"Danke." Scully
holte ihr Handy hervor und wählte die Nummer.
"Hallo," erklang
eine Stimme vom anderen Ende der Leitung.
"Könnte ich bitte Dr.
Meister sprechen?"
"Am Apparat."
"Dr. Meister, hier
ist Dana Scully, Dr. Dana Scully," erklärte sie. "Ich bin vom FBI.
Wir untersuchen einen möglichen Serienkillerfall in Daphne. "Ja, ich habe davon in der Zeitung
gelesen," antwortete Meister. "Was kann ich für Sie tun, Frau
Doktor?"
"Dr. Meister, ich
habe verdächtige Hautveränderungen auf den Autopsiefotographien eines der Opfer
gefunden. Gestern wurde der Leichnam exhumiert und ich habe selbst die
Postmortem-Autopsie durchgeführt. Die Gerichtswissenschaftler haben die
bakteriologischen Untersuchungen gemacht. Sie haben eine Hautinfektion mit dem
Bacillus anthracis entdeckt." Es folgte ein kurzes Schweigen.
"Das sind schlechte
Neuigkeiten, Dr. Scully," erwiderte Meister. "Wir hatten bisher
keinen menschlichen Fall von Anthrax. Kam dieser Mann aus Daphne?" "Nein,
Sir," meinte Scully. "Er hat dort gearbeitet, in einem
Tante-Emma-Laden, aber er hat in Mobile gewohnt. Ich habe seine Hausakte nicht
bei mir, aber ich kann sie für Sie bekommen. Dr. Meister, ich weiß nicht alles
über diesen Mann, aber ich sehe keine Anzeichen für eine natürliche
Übertragungsform des B. anthracis."
"Ich werde meine
Leute darauf ansetzen, Dr. Scully," sagte Meister. "In der Zwischenzeit
würde ich jede Information begrüßen, die Sie mir darüber geben können."
"Ja, Sir, die Polizei
von Daphne wird es sofort an Sie weitergeben," antwortete Scully.
"Und ich würde es begrüßen, wenn Sie mir erzählen könnten, was Sie herausfinden.
Wir haben immer noch kein klares Bild von diesem Mörder und mehr Informationen
über das Opfer zu haben, kann nur hilfreich sein. Besonders in diesem
Fall."
"Sobald ich etwas
weiß, werden Sie es erfahren," versprach Meister. "Wie erreiche ich
Sie?"
Scully gab ihm die
Telefonnummern des Polizeidepartments von Daphne, von ihrem Hotelzimmer und
ihre Handynummer. "Sir, werden Sie beim CDC Meldung machen?" "Sobald
ich aufgelegt habe," antwortete er. " In der Zwischenzeit, Dr.
Scully, obwohl eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung eher selten ist, würde ich
Ihnen und jedem anderen, der mit der Leiche in Berührung gekommen ist raten,
sich impfen zu lassen, wenn es nicht bereits geschehen ist." "Ich bin
es schon, Sir," erklärte Scully. "Es ist eine Routinevorkehrung für uns,
das FBI hat mit Anthraxbedrohungen zu tun, wie Sie wissen." "Ich
denke dennoch, Sie sollten mit irgendeiner Art antibiotischer Prophylaxe beginnen,
wofür immer es auch gut ist. Ich vermute, Sie können in Alabama kein Rezept
ausstellen."
"Nein, Sir,"
erwiderte sie. "Ich stelle nirgendwo Rezepte aus, ich bin Gerichtsmedizinerin.
Wenn die Leute zu mir kommen, ist es zu spät für eine medizinische
Behandlung."
Das brachte ihr ein
Kichern ein. "Sie sagten, Sie machen Autopsien, nicht wahr? Ich werde ein Rezept für die DrugRite-Apotheke
in Daphne ausstellen lassen. Sie ist ganz in der Nähe des Highways, wo Ihr
Hotel liegt. Sonst noch jemand?" "Der Labortechniker hier und der
medizinische Untersuchungsbeamte, der die erste Autopsie gemacht hat,"
sagte sie.
"Es gibt keinen
medizinischen Untersuchungsbeamten in Baldwin County, Dr. Scully," erklärte er. "Nur einen
amtlich bestellten Leichenbeschauer und er macht den Job, weil er ein Bestattungsunternehmen
hat. Das erklärt vielleicht, warum Ihre Anthraxwunden beim ersten Mal übersehen
wurden." "Das wird es sein," erwiderte sie kurz. Wie die meisten
medizinischen Untersuchungsbeamten hatte Scully wenig für das System der
amtlich bestellten Leichenbeschauer übrig. Dieser Fall zeigte genau, warum.
Leichenbeschauer machten Fehler, manchmal sehr ernste, die ein
Gerichtsmediziner nie machen würde. Welche anderen Fehler wurden bei diesen
Autopsien noch gemacht? Ich hoffe nicht, dass ich sie alle exhumieren muss.
"Ich werde Billy
anrufen und ihm sagen, dass er es wieder einmal vermasselt hat," sagte
Meister, sich auf den Leichenbeschauer beziehend. "Wenn Ihnen noch jemand
einfallen sollte, lassen Sie es mich wissen. Beginnen Sie mit diesem Ciloxin.
Fünfhundert Milligramm BID, wahrscheinlich zehn Tage lang." "Ich bin
allergisch gegen Ciloxin, Sir," erklärte Scully. "Vibramycin ist besser."
"Sie sind die
Ärztin," meinte er. "Halten Sie mich auf dem Laufenden." "Das
werde ich, Sir," antwortete sie, legte auf und wählte den zweistelligen Code
für Mulders Handynummer. Sie ließ es zehn mal klingeln, bevor sie aufgab.
~~~~~
DrugRite-Apotheke
11:25 a.m.
"Kann ich Ihnen
helfen?" fragte die Apothekenangestellte. "Ja, ich bin hier, um das Rezept für
Scully abzuholen, Dana Scully," antwortete Scully. Die Frau drehte sich um
und wühlte sich durch einen Stapel weißer Papiertüten, die alle oben
zusammengeklammert waren. "Hier ist es," sagte sie. "Doxycycline. Müssen Sie mit dem
Apotheker reden?" "Nein," erwiderte Scully. "Das wird nicht
nötig sein." Sie reichte der Frau ihre Kreditkarte zu.
"Wissen Sie, es ist
komisch, dass Sie hier deswegen hereinkommen," erzählte die Frau und
kassierte ab. "Das ist die zweite Flasche von diesem Zeug, die ich heute
verkaufe, und wir haben noch nie soviel davon verkauft." "Die zweite
heute?" wiederholte Scully langsam. Sie nahm ihre Karte zurück und unterschrieb
den Kaufbeleg. "Wieviel davon haben Sie gewöhnlich?" "Oh, wissen
Sie, sie kommen die ganze Zeit hier her," erklärte die Frau. "Aber gewöhnlich
verlangen sie nur ein oder zwei Tabletten. Es ist für..." "Gonorrhöe,"
unterbrach Scully sie. "Ich weiß. Aber das ist eine Behandlung mit einer
Tablette. Sie sagten, es gab andere Personen, die herkamen, um ganze Flaschen
davon zu holen? Wer war der verschreibende Arzt?" "Ich... ich hätte
wahrscheinlich nicht sagen sollen, was ich gerade tat," erwiderte die Frau
und wurde ganz klar nervös. Sie wusste, dass Scully sich nicht mehr einfach nur
mit ihr unterhielt, sondern dass sie sie verhörte. Wieder einmal habe ich es vermasselt, dachte
Scully. Ich muss ruhig sein, wie ich es früher war, eine nette, freundliche
Polizistin. Aber nein, ich falle direkt über sie her und nun sieht sie sich
vor. Ich werde nicht mehr von ihr erfahren. Aber ich muss es versuchen. Scully
griff in ihre Tasche und holte ihren Ausweis hervor. "Ich bin vom
FBI," sagte sie. "Wir untersuchen einen Fall, bei dem es eine Verbindung
zu diesem Verbrauch von Antibiotika geben könnte. Also, wenn Sie irgendetwas wissen, das mir
weiterhelfen könnte, würde ich es begrüßen, wenn Sie es mir erzählten."
"Wir können Ihnen
nicht helfen," erklang eine männliche Stimme hinter dem Ladentisch. Es war
der Apotheker. "Wenn Sie vom FBI sind, dann wissen Sie, dass die
Patientenakten vertraulich sind, also wenn Sie keinen gerichtlichen Beschluss
haben..."
"Nein, den habe ich
nicht," antwortete Scully. "Obwohl ich leicht einen Durchsuchungsbefehl
bekommen könnte. Aber ich bitte Sie nicht darum, mir zu sagen, wer die
Medikamente bekommen hat. Alles was ich von Ihnen wissen will ist, ob Sie eine
ungewöhnliche Anzahl von Rezepten über Doxycycline oder Ciprofloaxin eingelöst
haben."
Der Mann dachte einen
Augenblick nach. "Ich denke nicht, dass es schaden wird," sagte er.
"Ja, wir haben für beide Medikamente mehrere Rezepte eingelöst. Ich habe
es gegenüber dem Manager des Geschäfts erwähnt. Aber das ist alles, was ich Ihnen
sagen kann, es sei denn, Sie kommen mit einem offiziellen Papier wieder." "Ich
kann Ihnen versprechen, dass ich das tun werde," antwortete Scully. Sie stopfte
die Tüte in ihre Tasche und ging.
~~~~~
Rathaus von Daphne
2:04 p.m.
"Hallo, Agent Mulder," rief Mack. "Haben Sie das in der Zeitung gesehen?"
"Was denn,
Mack?" entgegnete Mulder, ohne wirklich zuzuhören.
"Das über diesen
Profiler in Mobile," erklärte Mack. "Kennen Sie ihn?"
Mulder blickte ihn
aufmerksam an. "Was für ein Profiler?" Mack faltete den
Zeitungsausschnitt zusammen und gab ihn Mulder. "Gleich dort oben auf der
Seite. Der vierte Absatz."
Die Überschrift der Story
lautete ‚Woche zur Vorbeugung gegen Vergewaltigungen
festgelegt: Heute
Nachmittag findet im Downtown Motor Inn in der Government Street 301 eine
Schulung der Rechtsvollzugsbehörden statt. Jackson Resnick, ein früherer
Profiler des FBI wird über die verschiedenen Typen von Vergewaltigern sprechen
und wie die Untersuchungsbeamten der Polizei sie besser identifizieren können.'
"John Resnick ist in
der Stadt?" fragte Mulder, ehrlich überrascht.
"Sie kennen
ihn?"
"Ja, er war einer der
besten," sagte Mulder und gab die Zeitung zurück. "Er hat vor ein
paar Jahren aufgehört. War ausgebrannt. Das passiert oft." "Das
wusste ich nicht," meinte Mack. "Vielleicht sollten Sie rüberfahren
und Hallo sagen."
"Vielleicht sollte
ich ihm eine ganze Menge mehr als das sagen," erwiderte Mulder langsam. Er
stand auf und nahm seinen Mantel in die Hand. "Rufen Sie mich auf dem
Handy an, wenn irgendetwas passiert. Ich werde rüberfahren und sehen, wie sich
Jacks Bücher verkaufen."
~~~~~
Downtown Motor Inn
2:43 p.m.
Der Raum war voller
Polizisten, einige blickten gelangweilt drein, einige mächtig interessiert, die
meisten von ihnen irgendwo dazwischen. Mulder
schlüpfte durch die Seitentür und setzte sich so unaufdringlich wie möglich
hin. Resnick war auf dem Podium, augenscheinlich fast am Ende seiner Präsentation.
Er nahm Fragen der Zuhörer entgegen. "Ich
verstehe nicht, was das Erstellen kriminalistischer Profile für die Untersuchungen
tun kann, was gute, harte Polizeiarbeit nicht kann," bemerkte einer der
örtlichen Polizisten.
"Sie haben Recht,
Detective," antwortete Resnick. "Das Erstellen von Profilen kann und
sollte nicht die Untersuchungsarbeit ersetzen. Die Fällen werden nicht durch
das Erstellen von Profilen oder durch Profiler gelöst... sie werden von Untersuchungsbeamten
gelöst, die bis zur Erschöpfung arbeiten und dabei alle Mittel, die ihnen zur
Verfügung stehen, ausnutzen. Ein gutes Täterprofil ist eines dieser Mittel. Ja,
dort hinten bitte," sagte er dann und deutete auf einen anderen Frager.
"Mr. Resnick, Sie
haben über die Angstphase in Fällen von Serienverbrechen gesprochen,"
sagte der Polizist. "Gibt es irgendwelche Anzeichen, auf die man bei einem
Einzelnen achten sollte, die darauf hindeuten, dass er sich in dieser Phase
befindet?"
"Nun, allgemeine
Angst, wenn das nicht die eigentliche Frage umgeht," erwiderte Resnick und
einige der Cops lachten.
Resnick behandelt das
Publikum mit dem üblichen Selbstbewusstsein, dachte Mulder und rutschte ruhelos
auf seinem Stuhl umher. Er hoffte, dass es nicht mehr lange dauern würde.
"... der
Hauptunterschied sein, dass die Angst in Verbrechensorgien hinterher kommt,"
erläuterte Resnick. "Ja in der ersten Reihe, der Officer in Zivil..."
Dann sah er Mulder und brach mitten im Satz ab. Mulder fühlte sich scharf abgeschätzt. Und
sah, dass Resnick zu der richtigen Entscheidung gelangt war.
"Das soll dann die
letzte Frage sein," meinte Resnick. Die Frage war glücklicherweise das rohe
Äquivalent zu einem steckengebliebenen Curveball und Resnick kickte ihn hinaus
in den Park, dachte Mulder, doch Resnick war schon immer gut in solchen Sachen
gewesen. Das Gespräch ging zu Ende,
Mulder erhob sich und ging zur Rückseite des Raumes. Er erntete ein paar neugierige, misstrauische
Blicke von den örtlichen Polizisten, die - wie Polizisten überall - alle
Neuankömmlinge in ihrer Welt mit der einen Frage einschätzten: welche Art von
Gefahr bedeutet dieser Mensch für mich?
Er hielt sich nicht damit
auf, zu versuchen, Kontakt herzustellen oder sie zu beruhigen. Für Polizisten
rochen andere Polizisten immer nach Arbeit, selbst wenn sie nicht im Dienst
waren. Er wusste, sie würden ihn in kürzester Zeit einschätzen als ebenbürtigen
Kollegen, und sie würden auch wissen, dass er allein gelassen werden möchte.
Als die Menge abnahm,
machte sich Mulder auf den Weg nach vorn zum Podium, wo sich Resnick mit einem
Officer in Zivil unterhielt. Er brach ab, als Mulder sich näherte. "Das
ist der Typ, den Sie über das Erstellen von Profilen befragen sollten,"
erklärte Resnick und hielt Mulder seine Hand hin. "Hallo, Mulder, lange
her usw. usw."
"Jack,"
entgegnete Mulder und schüttelte seine Hand. "Haben Sie ein paar Minuten für
mich?"
Resnick nickte langsam mit
dem Kopf. "Lassen Sie uns einen Kaffee trinken," sagte er. "Sie
bezahlen."
~~~~~
Restaurant im Down Town
Motor Inn
3:12 p.m.
"Okay, Sie haben
Ihren Kaffee gehabt, wir haben über alte Zeiten gequatscht und Sie haben mir
von Ihrem Fischzug erzählt, wie Sie Bill Patterson zu lebenslänglich verholfen
haben, was immer noch unmöglich zu glauben ist," sagte Resnick. "Nun
erzählen Sie mir, warum Sie hier sind." "Ich arbeite an einer
Mordserie," erwiderte Mulder und spielte mit seiner leeren Kaffeetasse.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um eine Serie handelt, dennoch;
keine sexuellen Übergriffe, kein richtiges Ritual des Mordens, nur mehrere
Wunden vom Kaliber 38, was andererseits wie opportunistische Verbrechen aussieht."
"Und das hier in
Mobile?"
"Gegenüber der Mobile
Bay, eine kleine Stadt, die Daphne heißt," erklärte Mulder. "Ich bin
nahe dran, Jack. Ich bin so nahe dran, dass ich diesen Typen riechen kann. Aber
ich schaffe es nicht, dass das Bild klar wird. Und er ist noch nicht
fertig."
"Erzählen Sie mir,
was Sie wissen," forderte ihn Resnick auf und lehnte sich in seinem Stuhl
zurück.
Rasch breitete Mulder die
Fakten aus, die Scully ihm an diesem ersten Abend mitgeteilt hatte, zusammen
mit ein paar anderen, die er beim Studium der Akten herausgefunden hatte.
"Dieser Mörder ist
ganz bestimmt durchgeknallt - paranoid, irre, aber auf einem bestimmten Niveau
immer noch funktionierend," meinte Mulder. "Erst einmal scheint er
eine Menge Waffen zu haben."
Resnick nickte. "Ich
möchte wetten, dass er noch einige hat, die er bisher nicht benutzt hat."
"Ja, das war auch
mein Gedanke," sagte Mulder und blickte immer noch in die leere Tasse.
"Wenn man paranoid ist, kann man nie genug Waffen haben." "Oder
Kampfhunde."
"Ja. Rottweiler sind
hier in der Gegend beliebt."
"Hat er einen
Wagen?"
"Keine Frage,"
antwortete Mulder und blickte zum ersten Mal auf. "Er muss von Daphne nach
Florida kommen und das nach seinem eigenen Zeitplan, also muss er beweglich
sein."
"Dann hat er einen Führerschein
und einen Job," stellte Resnick fest. "Vielleicht nicht," entgegnete
Mulder langsam und dachte stark nach. "Das würde es in jedem anderen Staat
bedeuten. Das hier ist Alabama, wenn man hier ohne Führerschein erwischt wird,
kommt man nicht ins Gefängnis, man zahlt nur ein Bußgeld."
"Oh Gott," sagte
Resnick. "So etwas habe ich noch nie gehört." "Ich auch nicht.
Die Polizisten mögen es nicht. Aber sie können nichts dagegen tun. Sie haben
mir erzählt, dass in einer durchschnittlichen Nacht die Hälfte der Fahrer, die
sie anhalten, keinen gültigen Führerschein besitzen." "Schöne
Scheiße," meinte Resnick. "Dann muss er keinen Führerschein haben. Er
braucht nur ein Auto."
"Kein
besonderes," überlegte Mulder. "Es gibt kein Gesetz zur Fahrzeuginspektion
und auch keine vorgeschriebene Versicherung in diesem Staat. Er kann ein Fahrzeug
fahren, das irgendwo anders ausrangiert oder abgemeldet worden ist." Resnick
nickte langsam. "Das verkompliziert die Dinge, aber der Typ braucht dennoch
einen Job, um überhaupt irgendein Fahrzeug zu haben, selbst wenn es ein Schrottauto
ist."
"Aber es könnte
zweifelsohne ein einfacher Job sein, ein Teilzeitjob mit geringem
Verdienst," sagte Mulder. "Eine Tankstelle, ein Tante-Emma-Laden vielleicht.
Dort sucht er sich seine Opfer aus." Resnick nickte zustimmend.
"Okay. Also, er hat einen lausigen Scheißjob und eine Rostlaube von Auto.
Wie sieht er aus? Schwarzer oder Weißer?" Mulder stellte die Tasse hin und
verschränkte die Finger ineinander. "Ich weiß es nicht. Nicht klar. Ich
denke, es handelt sich um einen Schwarzen, aber ich bin nicht sicher. Seine
Opfer waren sowohl Schwarze als auch Weiße." "Das erste Opfer
war...?"
"Schwarz,"
antwortete Mulder.
"Okay," sagte
Resnick. "Lassen Sie uns das hier versuchen: wenn ich der Mörder
bin und ich mich dabei
wohlfühle, eine Schwarzen zu meinem ersten Opfer zu
machen, dann bin ich
wahrscheinlich auch ein Schwarzer, was wiederum bedeutet,
dass ich wahrscheinlich
der Typ bin, den Ihre Zeugen beschrieben haben. Und ich
lebe ziemlich nahe dem
Tatort, sonst wäre ich nicht am helllichten Tag
hinausgegangen, um meinen
ersten Mord zu begehen. Ich würde irgendeine Entschuldigung dafür haben müssen,
warum ich mich in der Gegend aufhalte." "Entweder Sie leben dort oder
Sie arbeiten dort," korrigierte ihn Mulder.
"Stimmen Sie mir zu,
dass dieser Unbekannte ungefähr 25 Jahre alt ist?" "Absolut,"
erwiderte Resnick. "Er ist paranoid und er ist einfach zum Tatort gekommen.
Die Daten darüber sind eindeutig. Wie schätzen Sie seinen Körperbau ein?"
"Klein,"
antwortete Mulder. " Er fühlt sich klein, also besorgt er sich eine Waffe,
um sich zu beschützen, und dann bekommt seine Paranoia Überhand und er kauft
noch mehr."
"Passt das zur
Beschreibung Ihrer Zeugen?"
"Bei einem,"
erwiderte Mulder und verzog das Gesicht. "Bei den anderen nicht. Sie können sich auch alle irren, wir sind hier
im Süden, wo beinahe die Hälfte der Bevölkerung schwarz ist. Es könnte jeder
gewesen sein." "Was ist mit dem Timing?" fragte Resnick.
"Das ist eine andere
Geschichte, die ich nicht zusammenfügen kann, Jack," antwortete Mulder.
"Ich habe erwartet, dass sich der Unbekannte wohler am Abend und in der
Dunkelheit fühlt. Doch das erste Verbrechen - von dem wir beide vermuten, dass
es in der Nähe seines Wohnortes stattfand - wurde am Nachmittag begangen. Die
nächsten beiden waren spät in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden. Es
dauerte bis zum vierten Verbrechen, bis er mutig genug war, es wieder im hellen
Tageslicht zu tun."
"Vielleicht war das
erste ein Gelegenheitsverbrechen," überlegte Resnick. "Er hat ein
Auto. Wahrscheinlich von dunkler Farbe." "Ja, vorausgesetzt er steht
auf Morde in der Nacht," sagte Mulder. "Andernfalls wüsste ich nicht,
warum. Aber er kleidet sich wahrscheinlich immer dunkel." "Sicher. Er
will keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen," meinte Resnick. "Aber er ist
wahrscheinlich seltsam genug, dass ihn andere Menschen dennoch bemerken." Mulder
schüttelte den Kopf und beugte sich wieder nach vorn. "Nicht
wirklich," sagte er. "Die Menschen, mit denen er zusammenarbeitet,
finden ihn ohne Zweifel seltsam, aber ich sehe diesen Unbekannten nicht als
Stadtspinner. Daphne ist eine kleine Stadt; irgendjemand oder die örtlichen
Polizisten hätten es uns gesagt, den alten verrückten Willie zu überprüfen,
wenn es einen in der Stadt gegeben hätte. Er bleibt wahrscheinlich die meiste
Zeit unbemerkt." "Was auch bedeutet, wenn er schon mal verhaftet
wurde..."
"Dann nicht wegen
etwas Großem."
"Nur groß genug, um
zu verhindern, dass er einen Polizeiausweis bekommt," sagte Resnick und
zog seine Augenbrauen ironisch hoch. "Lassen
sie mich nicht anfangen," sagte Mulder mit einem kurzen Lachen. "Aber
ja, ich stelle ihn mir vor als Polizeifreak, einen Scanner im Haus, große
Hunde, die ganze Chose."
"Sie glauben, er
wurde verhaftet wegen..."
"Einem Überfall,
höchstens," sagte Mulder. "DWI. Hübscher Diebstahl. Vielleicht ein
paar Mal in einer Nervenanstalt, einem lokalen Gefängnis. Keine Strafanstalt."
Resnick dachte einen
Augenblick nach. "Suchen Sie nach jemandem, der einen Polizisten
angegriffen hat, wahrscheinlich in den letzten zwei Jahren," meinte er
nachdenklich.
"Warum?"
"Ihr Unbekannter hört
sich für mich an, wie jemand, der etwas gegen Autorität hat," erklärte
Resnick. "Er reagiert wegen allem über, er überkompensiert alles."
Mulder nickte langsam.
"Ja," meinte er und studierte seine Hände. "Ich denke, man kann
es Überkompensation nennen, wenn er in jeden, den er bei seinen Raubüberfällen
sieht, Kugeln hineinschießt. Da gibt es nur ein Problem, Jack" "Welches
denn?"
Mulder blickte auf.
"Warum ist er die ganze Strecke bis nach Florida gefahren, wenn er seine
anderen Opfer alle in der Nähe seines Zuhauses gefunden hat? Schwärmt er aus oder stand dieser eine
wirklich in keiner Beziehung zu den anderen? Der Mord in Florida versaut
wirklich das ganze Profil." Er lehnte sich zurück und blickte aus dem
Fenster. "Irgendetwas passt noch nicht," sagte er. "Und uns rennt die Zeit davon."
Resnick sah ihn einen
Moment beinahe mitleidig an. "Sie wissen, was Sie zu tun haben,"
erwiderte er entschieden.
"Ja," sagte
Mulder. "Ich weiß."
Resnick erhob sich,
streckte Mulder seine Hand entgegen und ergriff die Hand seines alten Freundes
mit festem Griff. "Viel Glück, mein Freund," sagte er. "Wenn das hier zu Ende ist, denke ich,
werden Sie wissen, warum ich schließlich das FBI verlassen habe."
"Wenn das hier zu Ende
ist," antwortete Mulder langsam, "werde ich Ihnen vielleicht
folgen."
*****
ENDE Teil 2
Tod Ohne Herrschaft
- Kapitel 11-17
(Originaltitel: And Death Shall Have No Dominion)
von Jean Helms
aus dem Englischen
übersetzt von Sylvie < aktex_sm@hotmail.com
>
In dieser Stunde erzähle
ich Dinge im Vertrauen, die ich möglicherweise nicht jedem erzählen würde, aber
dir will ich es erzählen.
Walt Whitman
Kapitel 11
Daphne Rathaus
8:09 p.m.
Das Polizeigebäude war
beinahe leer, als Scully zurückkehrte. Bald fand sie heraus, warum: Die meisten
der verfügbaren Polizisten waren zusammen mit ein paar ausgeliehenen aus den
Nachbardistrikten unterwegs und hielten Ausschau nach jemandem, der zu Mulders
Ausgangsprofil passte.
Dies war die Art von
Neuigkeiten, die sie ihm ebenso gern nicht überbracht hätte. Es war der
schlimmste Alptraum eines Profilers: Polizisten gehen vertrauensvoll hinaus, um
einen Verdächtigen zu finden, der zu dem Täterprofil passte, wenn dieses selbst
nur allzu treffend ist, um falsch zu sein oder wenigstens unvollständig.
Ein Polizist könnte direkt
an dem Killer vorbeilaufen, ohne ein zweites Mal hinzusehen, wenn das
Täterprofil so nicht auf ihn hinzuweisen schien.
Und sie fragen sich, warum
Profiler nicht lange durchhalten, dachte sie kopfschüttelnd, als sie Zimmer 12
betrat, wo sie - ganz sicher - Mack fand, der Mulders Berichte durchlas.
"Ist Agent Mulder
hier?" fragte sie.
"Nein, Ma'am,"
antwortete Mack. "Sind Sie in Ordnung, Agent Scully?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Es geht mir gut. Ich muss nur mit Agent Mulder reden."
"Ich vermute, er ist
wahrscheinlich dort, wo er letzte Nacht war," sagte Mack langsam.
"Aber Sie sagten, es wäre keine gute Idee, ihn zu belästigen, und
irgendwie denke ich, Sie haben Recht, wenn ich das so sagen darf. Er sah ein
bisschen durcheinander aus, wenn Sie wissen, was ich meine."
"Wielange ist es her,
dass Sie ihn gesehen haben?" fragte Scully vorsichtig. Sie hörte die
Warnung, in Ordnung, aber Mack hatte noch nicht erkannt, dass sie für sie nicht
zutraf. Also ignorierte sie sie natürlich.
"Es ist nicht einmal
eine Stunde her," antwortete Mack.
Scully nickte. "In
Ordnung. Ich werde zu ihm gehen und ein paar Minuten mit ihm reden und dann
brauchen wir möglicherweise eine Besprechung darüber, was ich heute
herausgefunden habe."
"Agent Scully,"
begann Mack, dann zögerte er. "Ma'am, ich will mich nicht einmischen und
es steht mir nicht zu, den Bundesagenten vorzuschreiben, wie sie eine
Untersuchung wie diese zu leiten haben, und es geht mich ganz sicher nichts an,
wie Sie mit Ihrem Partner umgehen." Er stand auf und stellte sich vor sie
hin. "Aber Ma'am, ich muss Ihnen sagen, dass Männer Frauen nicht mögen.
Frauen wollen immer alles ausdiskutieren. Männer wollen im allgemeinen nur
allein gelassen werden. Und ich denke, Agent Mulder will, dass wir ihn allein
lassen, bis er mit dem fertig ist, was er tun muss."
"Officer Mack, ich
bin Ihnen dankbar für Ihren Rat," erwiderte sie. "Wirklich, das bin ich. Aber es geht
nicht darum, mit Mulder reden zu wollen. Ich muss mit Mulder reden."
"Miss Scully,
Entschuldigung, Agent Scully," sagte Mack. "Ihr Partner hatte Recht.
Ich hatte eine SWAT-Ausbildung. In Quantico. Und während ich dort war, habe ich
ein paar von denen kennengelernt, mit denen Sie jetzt arbeiten. Eine Sache, die
sie mir immer über Profiler erzählt haben, war die, dass sie sich manchmal in
die verwandeln, die sie jagen. Ich würde es wie die Hölle hassen, wenn Ihnen
irgendetwas Böses passieren würde, oder Agent Mulder. Wenn er so ist, wie sie
sagen, dann ist er im Moment gefährlich."
"Nicht für
mich," entgegnete sie mit vollkommener Sicherheit. "Niemals für mich.
Er wird vielleicht am Anfang ein wenig ärgerlich sein, aber er wird mir nicht
wehtun."
"Nein, Ma'am, das
wird er nicht," sagte Mack und schüttelte seinen Kopf zustimmend.
"Aber das bedeutet nicht, dass Sie nicht trotzdem verletzt werden
können."
9:59 p.m.
Er konnte diesen Mörder
finden. Er wusste es. Aber um das zu tun, musste er sich nach innen wenden, die
Beweise nutzen und sich seiner eigenen Qual, seiner eigenen Wut stellen, um die
Gründe des Mörders herauszufinden, seine Gedanken zu denken und seine Motive zu
fühlen.
Es war ein ekelhafter
Prozess. Aber er würde es tun. Er musste es.
Er konnte spüren, dass
alles begann: die Wut, die einfältige Gerissenheit, die paranoiden Phantasien.
Er konnte das Gefühl der Waffe in seiner Hand fühlen, das kalte Metall, der
Widerstand des Abzugs an seinem Finger, die letztendliche, orgasmische
Erleichterung des Abfeuerns, das ohrenbetäubende Explosionsgeräusch, die Waffe,
die in seiner Hand zurückschlägt, der Rauch und der Geruch nach Schießpulver
überall und das Blut und das Sterben... Er kannte das alles nur zu gut.
Aber den entscheidenden
Schlüssel gab es noch nicht, die Verbindung, die es ihm ermöglichte, sich mit
dem unbekannten Verdächtigen so gut zu identifizieren, dass er schließlich in
der Lage war, ihn klar vor sich zu sehen, seinen nächsten Schritt vorauszusehen
und ihn zur Strecke zu bringen.
Warum? Warum ist er so
wütend? Warum muss er töten, warum genießt er das Töten so sehr?
Okay, es ist soweit. Stell
dir dieselben Fragen: warum magst du es, Mulder?
Du magst es, nicht wahr?
Du weißt alles, was du darüber wissen musst, wie dieser Unbekannte fühlt, du
lausiger Bastard. Du weißt nur noch nicht, wie er denkt.
Warum zur Hölle kann ich
die Motive dieses Typen nicht herausfinden?
Er verbarg sein Gesicht in
den Händen.
Mulder hörte nicht einmal
den Wagen, der auf den Parkplatz hinter ihm fuhr und registrierte die sanfte
weibliche Stimme kaum. Sie sagte zu irgendjemandem, dass er auf dem Parkplatz
auf der anderen Seite des Highways auf sie warten sollte.
Die Scheinwerfer des
Wagens waren hell und sie lenkten ihn ab, aber sie verschwanden schnell. Wenn
er sich still verhielt, würde wer auch immer da war vielleicht nicht einmal
bemerken, dass er da war; wenn sie es taten, würden sie ihn allein lassen.
Die Menschen neigten dazu,
das zu tun, wenn sie die Waffe sahen.
Er hörte die Schritte
hinter sich, die näher kamen und etwa einen Meter hinter ihm anhielten, und er
sprang mit der Hand an der Waffe auf.
"Mulder?"
erklang die sanfte Stimme. "Mulder, ich bin es."
Er stieß einen wütenden
Seufzer aus, setzte sich wieder hin und nahm seine vorherige Position wieder
ein, seine Augen versteckend. "Schleich dich nicht so an mich heran,
Scully," sagte er. "Ich hätte beinahe auf dich geschossen. Geh zurück
ins Hotel."
"Nein." Sie kam
langsam vorwärts, bis sie neben ihm stand. "Ich werde zurückgehen, Mulder,
aber nicht, bevor ich dir erzählt habe, was ich heute herausgefunden habe, und
nicht, bevor ich weiß, dass du in Ordnung bist."
"Bist du deswegen
hierher gekommen?" fragte er, hob den Kopf und drehte sich herum, um sie
anzusehen. "Denn wenn es so ist, dann ist die Antwort ja, mir geht es gut,
aber ich arbeite und du solltest jetzt wirklich gehen."
Er konnte ihr Zögern
spüren und für einen kurzen Moment dachte er, sie könnte vielleicht tatsächlich
gehen. Für einen noch kürzeren Moment wollte er sich an sie klammern, sie zum
Bleiben bringen, trotz der Gefahr für sie.
"Mulder," sagte
sie. "Du musst dir das anhören. Es wird nur eine Minute dauern,
versprochen, und wenn du dann immer noch willst, dass ich gehe, werde ich es
tun. Nur ein paar Minuten, versprochen."
Er antwortete nicht.
Schwer seufzend setzte sie sich neben ihn und legte ihre Hand sanft auf seine
Schulter. "Mulder," flüsterte sie. "Bitte sprich mit mir."
"Ich kann
nicht," erwiderte er mit heiserer Stimme und schüttelte ihre Hand ab.
"Nicht jetzt."
"Mulder, bitte,"
sagte sie und ließ ihre Hand in ihren Schoß sinken. "Du hast seit Tagen
nicht geschlafen. Ich weiß, was dir das antut."
"Dann weißt du, warum
du gehen musst," antwortete er gereizt. "Es wird nur noch schlimmer
werden. Ich will dir nicht wehtun, Scully. Lass mich tun, was ich tun
muss." Es folgte ein langes Schweigen, nur durch das Geräusch der Grillen
und der Wellen unterbrochen.
"Mulder," begann
sie, aber er schnitt ihr das Wort ab.
"Scully, ich bitte
dich, ich flehe dich an, bitte geh einfach," sagte Mulder. "Nur für
jetzt. Nicht für immer. Ich kann das nicht, wenn du dabei bist."
Nein, das kannst du nicht,
dachte sie verärgert, aber ich will verdammt sein, wenn ich jetzt aufgebe. Nur
einmal, Mulder, möchte ich diejenige sein, die sagt, ob du bleibst oder gehst -
oder ob ich es tue.
"Mulder, ich gebe gar
nichts darauf, ob du mich hier haben willst oder nicht," erklärte sie scharf.
"Nivek hatte Anthrax. Das ist so gut wie sicher. Und das ist noch nicht
alles." Er sah sie erschrocken an. "Mist."
"In der Tat,"
erwiderte sie und zog eine Augenbraue hoch. "Und es ist unglaublich
tödlich, wie du weißt. Ich bin geimpft und ich habe alle notwendigen
Vorsichtsmaßnahmen während der Postmortem-Autopsie eingehalten, aber der
Amtsarzt von Mobile hat mir aufgetragen, trotzdem prophylaktisch Antibiotika zu
nehmen - und keine Scherze bitte."
Er lachte kurz auf.
"Ich habe nicht einmal daran gedacht. Das sollte dir sagen, wo ich im
Moment bin. Bitte, mach weiter."
"In Ordnung,"
meinte sie. "Ich bin in die Apotheke in der Nähe unseres Hotels gegangen
und hab das Rezept eingelöst. Die Verkäuferin dort erzählte mir, dass sie heute
ein weiteres Rezept für dasselbe Medikament ausgestellt hat. Ich habe versucht,
mehr herauszufinden, aber sie machte dicht und der Apotheker meinte, ich sollte
mit einem Gerichtsbeschluss wiederkommen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich mir
einen Durchsuchungsbefehl holen werde."
"Was du ganz leicht
allein tun kannst," sagte er. "Dazu brauchst du mich nicht. Du
brauchst nur einen Richter."
"Oh, und hatten wir
*diese* Diskussion nicht schon vorher?" fragte sie knapp und hielt dann
inne, als sie sah, dass die Beschimpfung ihn traf, sah, dass Mulder winselte,
als er Schuld akzeptierte, die sie ihm zuschob.
Sicher Dana, treffe ihn
nur wieder. Du nennst dich einen Kämpfer? Er ist immer noch bei Bewusstsein, du
kannst ihn schlimmer treffen als damit, dachte sie wütend.
Um Gottes Willen, kann ich
nicht einen Abend haben, an dem ich ihn nicht verletzte? Sie legte eine Hand
auf seine Schulter und zwang sich, sanfter zu sprechen. "Mulder, es tut
mir leid," sagte sie.
Mulder griff nach oben und
bedeckte ihre Hand mit seiner eigenen. "Es ist in Ordnung,"
antwortete er mit leicht belegter Stimme. "Ich hatte es erwartet."
"Nein, das hast du
nicht," erwiderte sie und seufzte. "Das war unangebracht. Ich bin
nicht hergekommen, um zu streiten, sondern nur, um dir zu erzählen, dass es in
diesem Fall immer noch sehr viel Geheimnisvolles gibt. Und dieses hier ist
wenigstens genauso gefährlich wie unser Unbekannter."
"Das ist eine
Untertreibung," erwiderte er. "Das ist sehr viel mehr als gefährlich.
Aber Nivek, infiziert oder nicht, sollte beinahe zufällig als Opfer ausgewählt
worden sein. Ich verstehe nicht, wie der Fakt, dass er Anthrax hatte, überhaupt
hier hineingehört."
"Mulder, ich weiß es
nicht," sagte sie. Seufzend ließ sie die Schultern sinken und blickte über
das dunkle Wasser der Bucht. "Vielleicht tut es das nicht. Aber ich weiß,
wenn ich derjenige wäre, der versucht, diesen Fall zusammenzusetzen, würde ich
es wissen wollen. Ich dachte, du würdest es vielleicht auch wollen."
"Das will ich,"
meinte er und sie spürte, wie sich seine Finger in ihre schoben. "Aber es
macht es schwer, so zu denken, wie ich denken muss, wenn ich meine
Konzentration dadurch störe, dass ich mit dir rede. Ich weiß, warum du mit mir
reden musst. Ich weiß nur nicht, wie ich das tun soll und auch das, was ich tun
muss."
Scully sagte nichts, aber
ihre Finger schlossen sich fest um seine, der Druck sagte ihm, wie verzweifelt
sie den Kontakt wollte.
"Scully," sagte
er leise. "Wenn ich diesen Kerl nur durch einfache Schlussfolgerungen
finden könnte - welches Auto er fährt, wie alt er ist - würde ich es tun. Ich
würde alles dafür geben, um es auf diese Weise tun zu können. Aber es wird
diesmal nicht funktionieren und ich muss mit ihm allein sein, in meinem Kopf.
Du weißt das."
"Ich weiß es,"
antwortete sie zaghaft. "Ich weiß nur auch nicht, wie ich sonst das tun
soll, was ich tun muss. Ich versuche es, allein zu machen, aber ich traue
meinem Urteilsvermögen nicht. Vorher habe ich nie damit umgehen müssen; ich
habe fast keine Erfahrung mit Inlandsterrorismus. Alles was ich weiß ist, wie
man eine Autopsie durchführt, wie man X-Akten und gerichtsmedizinische Analysen
bearbeitet."
Mulder zögerte und Scully
sah wieder diesen Ausdruck auf seinem Gesicht, der Ausdruck, der bedeutete,
dass er mehr sagen wollte. Nur diesmal schien es, als würde er es sagen - oder
etwas davon. "Bist du sicher, dass du deswegen solche Schwierigkeiten
damit hast?" Fragte er langsam, als ob die Worte Stück für Stück aus ihm
herauskamen. "Es könnte einen anderen Grund geben."
"Natürlich bin ich
sicher," protestierte sie ungeduldig und zog ihre Hand fort. "Welchen
anderen Grund sollte es geben?"
"Ich dachte, das
würdest du mir sagen," antwortete er mild.
"Lass es,
Mulder," sagte sie kurz. "Ich bin nicht für eine psychologische Behandlung
hier. Ich bin hier, um mit dir über den Fall zu reden, wozu du eindeutig keine
Zeit hast, also kann ich mir schwer vorstellen, dass du die Zeit für einen
Amateurversuch in Psychoanalyse hat."
Es folgte ein langes
Schweigen. Sie glaubte, sie hätte ihn womöglich wieder verärgert - Gott wusste,
sie hatte ihn in der letzten Zeit genug beschimpft - aber Mulder griff wieder
nach ihrer Hand, brachte sie für einen zarten, süßen Kuss an seine Lippen und
hielt sie dann zärtlich in seinen Händen.
"Es gibt keine gute
Lösung für dieses Problem, nicht wahr?" stellte er fest und drückte ihre
Hand sanft.
"Nein,"
antwortete sie und erkannte, als sie das sagte, dass sie wieder den Tränen nahe
war. Sie hielt sich an seiner Hand fest. "Nein, die gibt es nicht."
Lange Zeit saßen sie
zusammen, ohne zu sprechen und schauten über das Wasser. Ein großer Pelikan
flog über ihre Köpfe hinweg, seine breiten Schwingen durch das Mondlicht umrissen.
Sie konnte die Grillen in den nahen Wäldern singen hören. Der Mond wanderte
über die Bucht und schickte sein fahles Licht tiefer in die umliegenden Wälder.
Als sie die Szene in sich aufnahm, spürte Scully, wie ein wenig von der
Anspannung von ihr wich. Ohne zu überlegen sprach sie. "Ich liebe das
Wasser," erzählte sie mit einer weitentfernten Stimme. "Es erinnert
mich so sehr an meine Kindheit."
"Wo in deiner
Kindheit?" fragte Mulder in fast normalem Ton.
Sie zuckte mit den
Schultern. "Überall und nirgends. Jede Marinebasis, auf der wir jemals
gelebt haben. Aber du bist auf einer Insel aufgewachsen, du musst wissen, wie
das ist."
"Für mich ist es
anders," sagte er. "Mein Vater fuhr nicht zur See. Das Wasser war nur
ein Ort zum Schwimmen oder Segeln. Keine Geheimnisse in der Tiefe."
"Es gibt genug
Geheimnisse auf dem trockenen Land," erwiderte sie in einem sanften
Flüstern und drehte sich zu ihm um. "Es tut mir leid, dass ich dich gestört
habe. Ich werde dich jetzt allein lassen. Officer Mack sagte, er würde mir den
Durchsuchungsbefehl besorgen. Ich lasse dich wissen, was wir herausfinden."
Scully stand auf und
drückte wieder seine Hand, aber er erhob sich ebenfalls, nahm sie in die Arme
und küßte sie kurz und sanft. Sie lächelte und lehnte ihren Kopf flüchtig an
seine Brust, dann trat sie zurück. "Ich sehe dich morgen früh," sagte
sie. Er nickte, sie ließ ihn stehen und ging zurück zum Wagen.
Mulder stand da und sah
zu, bis die Scheinwerfer verschwanden und alles um ihn herum wieder dunkel war.
Diese Sache, von der du
glaubst, du hättest sie lebendig begraben, wird eines Tages zu neuem Leben
erwachen, dachte er. Sie wird aus dem Grab steigen und dich verfolgen, wie die
Monster in den Alpträumen deiner Kindheit.
Mulder wusste nur zu gut,
was in ihr erwachte; wenn es, so dachte er grimmig, jemals geschlafen hatte.
Sie war fast soweit, sich halb erinnernd, es halb vergessend, ihn verzweifelt
näher ziehend und wild von sich stoßend. Und er wusste, dass es so nicht
weitergehen konnte. Er konnte es nicht zulassen.
Nein, nicht wenn es
bedeutete, dass dieser verdammte Unbekannte in einem Einkaufszentrum um sich
schoss und die Hälfte der Bevölkerung von Alabama morgen um diese Zeit
erschossen haben wird.
Seine Schultern sackten
zusammen. Wer immer du da draußen bist, dachte er, es tut mir leid; aber du
wirst so sicher wie die Hölle morgen oder so erschossen werden und es wird
meine Schuld sein, weil ich diesen Kerl nicht gefunden habe.
Irgendjemand da draußen
zählt auf mich und irgendjemand wird ernsthaft - vielleicht tödlich -
enttäuscht sein. Und es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Aber meine
Aufmerksamkeit lenkt sich sonst wohin.
Ich bin eine lausige
Entschuldigung für einen Agenten. Ich bin eine lausige Entschuldigung für ein
menschliches Wesen. Aber die Wahrheit ist, ich würde dich lieber sterben
lassen, als sie noch einmal zu enttäuschen.
Pembroke Inn
Donnerstag, 4. März
1:02 a.m.
Es brauchte zwei Stunden,
eine hässliche Szene mit einem total verärgerten Richter und eine noch
hässlichere Szene mit dem Apotheker, der es eindeutig nicht mochte, dass Scully
mit einem Durchsuchungsbefehl auftauchte, gerade als er abschließen wollte.
Aber nun saß sie an einem Tisch
in ihrem Hotelzimmer und die Unterlagen lagen direkt vor ihr. Und sie waren es
wert. Soweit es Scully betraf, gab es keine Frage mehr über ihre Verbindung zu
dem Fall. Drei Menschen, einschließlich Scully selbst hatten in den letzten
zwei Wochen von der Apotheke in Daphne Rezepte für das Mittel gegen Anthrax
bekommen. Einer davon war Jonathan Stouffer. Opfer Nummer sechs, der Mann, der
in einem Elektronikgeschäft in Florida erschossen worden war. Das Rezept war am
Morgen des Tages ausgestellt worden, an dem er erschossen wurde.
Der andere war,
entsprechend den Akten, Mark Long und er lebte in Daphne.
Sie hatte bereits die
verschiedenen Computerchecks über ihn laufen.
An Stouffers Leiche waren
keine inneren Untersuchungen vorgenommen worden; der Autopsiebericht vermerkte
die religiösen Einwände der Familie. Dennoch hatte der medizinische
Sachverständige gründliche Arbeit geleistet bei der äußeren Untersuchung und es
gab keinen Bericht über irgendwelche Anthraxwunden an Stouffers Haut.
Scully stützte ihre
Ellbogen auf den Tisch und presste ihre Fingerspitzen fest gegen ihre pochenden
Schläfen. Mulder muss das wissen, dachte sie, aber sie wusste nicht, wo Mulder
war. Er antwortete nicht auf seinem Handy und sie wollte nicht an seine Tür
klopfen und riskieren, dass Glassman antwortete.
Mack hatte sie zum Mullet
Point gefahren, nachdem sie die Dokumente bekommen hatte, aber Mulder war auch
dort nicht. Ungefähr soweit war sie bereit gewesen, nach ihm zu sehen in seinem
derzeitigen Geisteszustand. Und ihrem. Aber sie musste es ihm sagen. Nicht in
der Lage zu sein, mit ihm zu reden, ihn nicht um sich zu haben, machte sie
reizbar und besorgt.
Warte bis morgen, dachte
sie. Du musst ein bisschen schlafen.
Müde erhob sie sich und zog
sich ihre dunklen Arbeitssachen aus, während sie zum Bad ging. Sie drehte die
Dusche voll auf, so heiß, wie sie es aushalten konnte, dann stellte sie sich
darunter und ließ das Wasser über ihren Kopf und ihren Körper laufen, bis ihr
schwindlig wurde. Erst dann wusch sie sich die Haare und sich selbst, dann
stand sie wieder unter dem Wasserstrahl, bis sie begann, sich wegen der
Verschwendung schuldig zu fühlen.
Scully stellte die Dusche
ab, trocknete sich ab und wickelte sich in ihren weichen Bademantel. Sie
begann, sich ihren üblichen blauen Satinpyjama anzuziehen, änderte aber dann
ihre Meinung; ihr war immer noch heiß von der Dusche und die Luftfeuchtigkeit
draußen war hoch. Stattdessen zog sie sich eines ihrer Baumwollshirts und ein
Paar leichte Baumwollshorts an.
Die Hitze hatte ihre
Kopfschmerzen vertrieben, so wie sie es vermutet hatte, aber sie nahm dennoch
ein Aspirin, bedenkend, dass es nicht wehtun würde und vielleicht helfen würde,
weiteren Kopfschmerzen vorzubeugen. Oh, welch professionelle Haltung, Dana,
dachte sie. Nimmst Medizin, die du nicht brauchst. Du fängst an zu spinnen.
Sie kletterte ins Bett,
setzte ihre Brille auf, schob ihre Waffe unter das Kissen auf der anderen
Betthälfte und begann, sich wieder die Apothekenunterlagen anzusehen.
Zwei Männer, beide getötet
durch einen augenscheinlich ziellosen Mörder.
Eines der Opfer hatte Anthrax, das andere hatte Medikamente genommen, um
einer Anthraxinfektion vorzubeugen. Eines in Alabama, eines über die Staatsgrenze
in Florida.
Wo war die Verbindung?
Kannten sie einander? Kannte irgendjemand anderes, ein Dritter, - neben dem
Mörder, meinte sie - alle beide?
Dass das Anthrax Gefahr
bedeutete, bezweifelte sie nicht. Mulder hatte Recht, Mobile war ein guter Platz,
um Dinge herein- und herauszusenden und dann dem Rest der Nation anzuhängen. Es
war ein logischer Ort für einen terroristischen Anlaufpunkt; weniger bewacht
als andere Häfen, zugänglicher als andere, die einzige Militärpräsenz die Such-
und Rettungsausrüstung der Küstenwache. Die Marine und die Luftwaffe waren
bereits vor langer Zeit abgezogen.
In Ordnung. Akzeptieren
wir, dass es dort terroristische Aktivitäten gibt und dass Mobile darin eine
Rolle spielt. Welche andere mögliche Rolle konnte ein paranoider Mörder darin
spielen, als die, unvorhersehbar wie ein Blitz zuzuschlagen?
Ein lautes Klopfen an der
Tür riss sie aus ihren Gedanken und sie keuchte. Sie zog ihre Waffe unter dem Kissen hervor
und hielt sie in der Hand, als sie sich der Tür näherte. "Wer ist
dort?" fragte sie im Befehlston.
"Scully, ich bin
es," erklang Mulders Stimme. "Kann ich bitte hereinkommen?"
"Mulder?" Sie
blickte durch den Spion. Er war es. "Einen Augenblick, Mulder." Sie
öffnete die Tür. "Komm herein," forderte sie ihn auf. "Ich dachte,
du wolltest, dass ich dich allein lasse. Wem oder was verdanke ich das
Vergnügen?"
"Lass es,
Scully," erwiderte Mulder erschöpft. "Wir müssen ein paar Sachen besprechen.
Hast du den Durchsuchungsbefehl bekommen?"
"Ja," antwortete
sie, sich ein bisschen zu sehr verteidigend, wie er fand. "Und ich habe etwas gefunden. Opfer
Nummer sechs, Jonathan Stouffer hat Doxycycline in derselben Dosis wie ich
genommen, eine Dosis, die mit der übereinstimmt, die verschrieben wird, um
Anthrax vorzubeugen, nachdem man dem Virus ausgesetzt wurde."
Mulder stieß einen langen,
tiefen Pfeifton aus. "Vielleicht ist das die Verbindung," sagte er.
"Gute Arbeit, Scully."
"Was für eine
Verbindung?" forderte sie verwirrt. "Ich kann überhaupt keine Verbindung
erkennen."
"Der Grund, warum ich
keine Verbindung zwischen den Opfern finden kann ist der, dass es keine gibt,
nicht vom Standpunkt des Unbekannten," erklärte er. "Wer immer er
auch sein mag, unser Mörder wurde dazu gebracht, zwei anscheinend nicht
miteinander in Beziehung stehende Menschen als eine Gefahr für sich selbst zu
sehen - zwei Menschen, die möglicherweise beide dem Anthraxvirus ausgesetzt
waren." Er hielt inne und sah Scully an, als würde er sie zum ersten Mal
sehen. "Öffnest du immer die Tür mit einer geladenen Waffe in der
Hand?"
"Nicht immer,"
sagte sie sich verteidigend. Sie legte die Waffe auf den Nachttisch, sicherte
sie aber nicht, wie Mulder bemerkte.
Ja, dachte er. Ich hatte
Recht: Ich weiß, was mit dir los ist. Ihr den Rücken zuwendend nahm er die
Waffe hoch, legte den Sicherungshebel so leise er konnte um, zog die Schublade
auf und legte die Waffe hinein. Oh Gott, Scully, warum habe ich dich je
verlassen und dich dem allein überlassen?
Lass es langsam angehen, Mulder. Dräng sie nicht. Es wird auch ohne das hart
genug werden.
"Kann ich mich
setzen?" fragte er und zeigte auf einen Sessel.
"Bitte,"
antwortete Scully und setzte sich auf das Bett. "Willst du damit andeuten,
dass der Unbekannte als eine Art psychopathischer Killer benutzt worden
ist?"
"Er ist nicht
psychopathisch, sondern psychotisch, und das ist genau das, was ich andeuten
will," erklärte Mulder, während er sich in den Sessel fallen ließ. Er rieb
sich die Augen und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, bevor er fortfuhr.
"Es gibt wirklich
keine andere Erklärung für die Opfer in Florida, Scully," sagte er langsam
und beugte sich zu ihr. "Sie passen einfach nicht hinein: sie waren in
keinem Tante-Emma-Laden und auf keiner Tankstelle und sie waren, lass uns das
nicht vergessen, in Florida. Das ist nicht der von unserem Unbekannten
bevorzugte Opfertyp, und es macht nicht viel Sinn, auch wenn man den Fakt
zulässt, dass diese Art Mörder nicht so wählerisch sind, wen sie umbringen, wie
Serienkiller."
"Und das sagt dir
was?"
"Dass das entweder
reiner Zufall ist - was ich nicht glaube und ich denke, du auch nicht - oder
irgendjemand hat bestimmt, dass er sie töten und es so aussehen lassen sollte,
als wäre es Teil seiner Orgie, oder sie sind tatsächlich nicht Teil der Orgie.
Aber all die Beweise sagen, dass sie es sind."
"Und was ist mit dem
Anthrax?"
Er zuckte mit den
Schultern, nicht abweisend, aber in einer Art, die besagte, dass er immer noch unsicher
war. "Alles was ich weiß ist, dass dieses Anthrax die Verbindung ist. Was
diese Verbindung bedeutet, dessen bin ich mir nicht sicher. Vielleicht ist
eines dieser Opfer oder sind beide in terroristische Aktivitäten verwickelt,
obwohl ich in Mr. Niveks Fall glaube, dass es unwahrscheinlich ist. Aber es ist
immer noch möglich, dass er von etwas Kenntnis hatte, was er nicht wissen
sollte."
"Mulder," sagte
Scully und stand auf. "Glassman denkt bereits, dass wir verrückt sind, den
Fall so zu verfolgen, wie wir es tun." Sie ging zum Tisch hinüber und
setzte sich auf den Sessel auf der anderen Seite. "Er wird einen
Schlaganfall erleiden, wenn wir ihm jetzt mit dieser Theorie kommen. Es würde
mich nicht überraschen, wenn er mich auf der Stelle nach Quantico
zurückschickt."
"Das werde ich nicht
zulassen," sagte Mulder einfach. "Du musst hier sein. Das führt über eine Mordorgie hinaus direkt
zu einer bakteriologischen Gefahr."
"Antiterrorismus ist
nicht das primäre Ziel des VICAP, wie du sehr gut weißt," meinte Scully
verdrießlich. "Wenn das eine terroristische Bedrohung ist, sollten wir
Hilfe von jemandem anfordern, der in Antiterrorismus ausgebildet ist, oder wenn
du glaubst, dass es sich um eine bevorstehende Bedrohung handelt, dann fordere
die CIRG an."
CIRG stand für die Gruppe
zur Begegnung kritischer Zwischenfälle, der Schlagwaffe der kriminalistischen
Untersuchungen des FBI. Die CIRG schloss beinahe alles ein, was das VICAP
machte, zusammen mit den SWAT-Teams und Geiselverhandlungs- und -rettungsteams
verstreut über das Land für eine schnelle Reaktion. Agenten der CIRG konnten
innerhalb von Stunden beinahe überall im Lande sein.
"Wir sind nirgendwo
an diesem Punkt," sagte Mulder. "An diesem Punkt können wir nichts
beweisen, was über eine Mordorgie in Daphne und einen Mann mit Anthraxinfektion
hinausgeht. Ich spiele die Ernsthaftigkeit dessen nicht herunter, aber die Form
von Anthrax, die dieser Mann hatte ist einfach nicht die Form, die du bei einem
terroristischen Angriff zu sehen erwarten würdest."
Scully war still.
"Scully?"
"Nein," sagte
sie kurz. "Das ist es nicht. Ich würde erwarten, Anthrax in den Lungen zu
finden."
"Was Mr. Stouffer
vielleicht gehabt hat," meinte Mulder. "Ohne eine Untersuchung seiner
inneren Organe kannst du es nicht sagen, nicht wahr?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Also werden wir Mr.
Stouffer auch exhumieren?"
Scully schnitt eine
Grimasse. "Ich würde es lieber nicht tun. Aber der Grund, warum es beim
ersten Mal keine Untersuchung der inneren Organe gegeben hat, war die Religion
der Familie, die das verbietet, dem medizinischen Sachverständigen zufolge. Ich
habe keine Ahnung, welche Religion das sein soll, aber ich bezweifle, dass sie
an diesem Punkt nicht einfach in eine Exhumierung mit dem Ziel einer Autopsie
einwilligen werden, und ehrlich gesagt, je länger wir es hinauszögern, desto
weniger möchte ich es tun."
"Aber du wirst es
tun, wenn es sein muss," erwiderte er und seine Stimme war sanfter als
vorher. "Und ich weiß, ich mache Scherze darüber, aber ich bewundere dich
dafür, Scully. Ehrlich. Ich selbst könnte es nicht tun."
Das erzeugte wieder einen
Kloß in ihrem Hals und sie wandte ihren Kopf ab, ihre Zunge glitt nervös
hervor, um ihre Lippen zu befeuchten.
Mulder sah es. "Es
tut mir leid, ich rege dich nur wieder auf."
"Nein," sagte
sie rasch. "Ich bin aufgeregt. Das bestreite ich nicht. Aber es ist nur -
weißt du, Exhumierungen. Ich hasse sie. Ich kann über den Fall reden.
Wirklich."
"Kannst du das?"
"Ja, das kann
ich," antwortete sie mit einer Spur von Ärger in der Stimme.
"Ich bin vollkommen
in Ordnung. Nur ein bisschen müde."
Er ging langsam zu ihr
hinüber, setzte sich neben sie aufs Bett und nahm ihre Hand in seine Hände.
"Was ist es, was dich müde macht, Dana?" fragte er sehr leise.
"So zu sein,"
flüsterte sie, ohne nachzudenken. Mulders zärtliche, unerwartete Frage hatte
sie ungeschützt getroffen.
"Wie zu sein?"
"Du meinst, du hast
es nicht bemerkt?" fragte sie und ihre Stimme begann zu zittern.
"Vielleicht. Aber ich
möchte wissen, was du glaubst, was es ist."
"Es ist... es ist
nichts, Mulder. Es geht mir gut. Ich bin nur ein bisschen müde. Das ist
alles." Ihr Schutzschild war zurück. "Lass die Spooky-Psychologenmasche,
okay?" sagte sie kalt. "Es geht mir gut."
Mulder beobachtete sie
eine Minute, dann stand er auf. Er nahm seine Waffe aus dem Holster, ging
hinüber zur Kommode und legte sie dort ab, dann ging er zurück, setzte sich
neben sie und nahm wieder ihre Hand in seine.
"Ich glaube,
Scully," meinte er langsam, "dass du und ich überfällig sind, ein
wenig die Wahrheit zu sagen. Ich bin dem Unbekannten so nahe, wie ich es immer
bin, aber es ist nicht nahe genug. Ich kann nicht tiefer gehen und mit ein
Grund dafür ist, dass du mich zurückhältst."
"Wie halte ich dich
zurück?" fragte sie ärgerlich und warf den Kopf zurück.
"Du sagst das immer
wieder. Wie tue ich das?"
"Indem du mich
brauchst," sagte er einfach. "Zum Teil, indem du das tust, was du
immer so gut gemacht hast, indem du mich beruhigst, mir hilfst, wieder rational
zu sein, weil es das ist, wie du mich im Augenblick brauchst, so dass ich dir
bei deinem Teil der Untersuchung helfen kann.
Aber das ist das Problem: um in den Kopf dieses Kerls einzudringen, kann
ich nicht ruhig und rational sein. Ich muss so denken, wie er und er hat niemanden
wie dich in seinem Leben."
"Jemanden, der seine
Gedanken durcheinander bringt?" fragte sie und er hörte das Stocken in
ihrer Stimme.
"Das habe ich nicht
gesagt," erwiderte er. "Wenn meine Gedanken durcheinander sind, dann
ist es meine Schuld. Seit Dezember habe ich genau einen Mord bearbeitet; es war
ein häuslicher Mordfall und es war der amateurhafteste Versuch, ihn zu
vertuschen, den ich je gesehen habe und dennoch brauchte ich zwei Stunden, um
es herauszufinden. Aber ich bin der große BSU-Profiler und niemand in
Birmingham zweifelt etwas von dem an, was ich andeute, egal wie verrückt es
ist, also muss ich derzeit nicht allzu hart denken. Mental gesehen bin ich
weich geworden."
"Es tut mir leid, ich
kann dir nicht zustimmen," erwiderte sie leise. "Ich denke nicht,
dass es so schlimm ist, wie du es ausmalst. Du bist nur eingerostet. Du wirst
wieder in die Spur kommen."
Mulder schüttelte den
Kopf. "Nein. Das ist es nicht. Ich habe das schon vorher durchgemacht. Ich
weiß, was mit mir nicht stimmt, aber ich denke, du weißt nicht, was mit dir
nicht stimmt. Du versuchst, mich daran zu hindern zu sehen, wie unglücklich du
bist, aber es funktioniert nicht."
"Ich bin nicht
unglücklich," protestierte sie, aber sie sah ihn nicht an, als sie das
sagte.
"Du hast gesagt, dass
du es bist," entgegnete er. "In der ersten Nacht, als ich hier war,
hast du mir erzählt, dass es dir noch nie in deinem Leben so miserabel
ging."
"Das meinte ich nicht
wirklich; ich war nur müde und ich war wütend auf dich," sagte sie. Du
warst noch nie eine gute Lügnerin, dachte Mulder und lächelte beinahe. Er
schüttelte den Kopf und zwang sich zu dem Grund zurück, weswegen er hier war.
Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen, Scully, dachte er mitleidig. Aber
bleib bei mir, Baby, bitte - es wird wehtun, aber wir werden es durchstehen,
das verspreche ich dir.
Er atmete tief ein und
stürzte sich hinein.
"Scully," begann
er und zwang sich, sachlich zu sein. "Wenn du so in Ordnung bist, warum
hast du dann in jener Nacht geschrieen und mich fortgestoßen?"
Sie wirbelte herum, um ihn
anzusehen und sie war wütend. "Um Himmels Willen, Mulder," schnappte
sie. "Willst du mir das für den Rest meines Lebens vorhalten?"
"Nein,"
antwortete er nach außen hin immer noch kühl. "Ich werde damit aufhören,
wenn du schließlich in der Lage bist, dich dem zu stellen, was es verursacht
hat."
"Nichts verursacht
das," erwiderte sie verärgert. "Ich erinnere mich manchmal an
schlimme Dinge. Das regt mich auf."
"Ja, das tut es. Und
das ist neu an dir, Scully," sagte er. "Du warst früher nie so."
"Und was ist mit dem,
was du früher nie warst?" fragte sie und entzog ihm ihre Hand. "Ich
meine, denken wir mal an Donny Pfaster. Dieser Fall war hart für mich und ich
habe mich unprofessionell verhalten und ich wusste das, aber du warst
freundlich und verständnisvoll und ich fühlte mich sicher bei dir. Jetzt
bekniest du mich andauernd wegen gar nichts."
Ihre Stimme versagte und
er streckte seine Hand nach ihr aus, um sie zu trösten, aber sie sprang auf und
warf sich in den Sessel am Fenster. Sie sah ihn nicht an.
Mulder blickte auf seine
Hände. "Ich weiß, ich war distanziert," sagte er. "Verdammt, ich bin schneller auf und ab
gesaust als ein Internetbestand und habe versucht, in den Kopf dieses Kerls
einzudringen und ihm nahe zu kommen, aber ich war nie wirklich dort; nur nahe
genug, um einen guten Blick auf die schlimmsten Seiten meiner selbst zu
werfen."
Er blickte zu ihr auf.
"Es ist unangenehm - es ist schlimmer als unangenehm, es ist abstoßend -
für dich und für mich. Aber es bedeutet nicht, dass du bei mir nicht sicher
bist. Oder?"
Es tat weh, die
Traurigkeit in seiner Stimme zu hören, die Spur von Angst, was sie wohl als
nächstes sagen würde.
"Nein,"
erwiderte sie und Tränen schossen ihr in die Augen. "Ich hätte das nicht
sagen sollen. Ich habe mich nie anders als vollkommen sicher bei dir gefühlt.
Aber im Moment läuft alles schief, wir waren noch nicht in der Lage, auf
irgendeinem Level gut zusammenzukommen, seit wir hier sind. Nicht als Freunde,
nicht als Liebende und noch nicht einmal als Partner. Jeden Tag, seit wir mit
diesem Fall begonnen haben, machen wir einen Schritt nach vorn und zwei
Schritte zurück. Und ich halte es nicht mehr länger aus."
Damit brach sie vollkommen
zusammen und schluchzte in ihre Hände. Einen Moment lang bewegte sich Mulder
nicht, aber dann stand er auf, setzte sich auf die Lehne des Sessels und nahm
sie in die Arme. Sie versteifte sich und widersetzte sich seiner Umarmung, aber
er ließ sie nicht los und schließlich gab sie nach, presste ihr Gesicht an
seine Brust und weinte hart, ihre Arme um seine Taille geschlungen.
"Shh," murmelte
er. "Es ist in Ordnung. Es ist gut."
Nach einer Weile wurde sie
still, bewegte sich aber nicht, saß einfach nur da und hielt sich krampfhaft an
ihm fest. Er strich ihr zärtlich und liebevoll übers Haar.
"Es tut mir
leid," flüsterte sie.
"Es ist in
Ordnung," entgegnete er. "Dafür bin ich da."
"Nein, dafür
nicht," erwiderte sie beinahe böse. "Du bist hier, um einen Mörder zu
finden und stattdessen musst du mich beschützen, mich emotional abstützen,
anstatt deinen Job zu erledigen."
"Das ist nicht
wahr," sagte er, sie immer noch streichelnd. "Ich hätte niemals
herausgefunden, was du über das Anthrax herausbekommen hast. Und nicht zu
vergessen die Blutspritzer, die uns vielleicht zu unserem Unbekannten führen
werden."
"Das zählt
nicht," erwiderte sie, machte sich von ihm los und wischte sich über die
Augen. Er ließ sie los, blieb aber, wo er war. "Ich arbeite härter an
diesem Fall, als ich es lange Zeit getan habe, aber nichts von allem ergibt
irgendeinen Sinn für mich. Ich kann es nicht verstehen, ich kann nicht einmal
anfangen, es zu verstehen."
"Aber du versuchst es
immer noch," sagte er aufmunternd. "Du hast nicht aufgegeben."
"Nur, weil es dein
Fall ist und weil du dir darum Sorgen machst. Die meiste Zeit kümmert mich die
Arbeit einfach nicht, mich kümmert nicht die Medizin und mich kümmern nicht
einmal wirklich die armen Opfer, für die wir das alles angeblich tun. Ich mache
mir nur Sorgen um dich," sagte sie und sah zu ihm auf, so dass er die
Wahrheit in ihren Augen sehen konnte. "Aber ich habe dir wehgetan und ich
habe dich benutzt und dich von deiner Arbeit fortgeholt. Es wäre womöglich
besser für dich, wenn ich mich nicht um dich sorgen würde."
"Nein, Scully,"
sagte er. Er rückte wieder näher zu ihr und ließ seinen Finger kurz über ihre
Kinnlinie gleiten. "Denk das niemals. Was immer zwischen uns
schiefgelaufen sein mag, es ist wesentlich mehr meine Schuld als deine."
"Du machst dich immer
selbst verantwortlich," erwiderte sie, aber sie lehnte ihr Gesicht in
seine Hand. "Diesmal hast du unrecht."
"Komm her,"
sagte er, beinahe ein Flüstern und zog sie zurück an seine Brust und legte
seine Arme um ihre Schultern. Sie stieß einen langen, zitternden Seufzer aus
und entspannte sich an ihm.
"Ich brauche dich bei
diesem Fall, Scully," erklärte er und hielt sie fest an sich gedrückt.
"Es gibt immer noch so viel, was wir lernen müssen, Dinge, nach denen ich
nicht suchen kann, wenn ich dieses Täterprofil erstellen soll. Du bist die
einzige, die das tun kann. Was du letzte Nacht gesagt hast, stimmt: ich brauche
meinen Partner, jetzt mehr denn je."
"Ich bin hier,
Mulder," antwortete sie in einem Ton, der ihn glauben ließ, dass sie
vielleicht wieder weinen würde.
"Du bist hier,"
sagte er und streichelte dabei ihren Rücken. "Und ich bin hier. Aber was
zwischen uns im Moment nicht stimmt bedeutet, dass wir nicht hier sind. Nicht
zusammen, nicht als Team. Du erzählst mir, was du tust und es geht direkt über
meinen Kopf hinweg und umgekehrt. Es gibt keine Verbindung zwischen uns in
diesem Fall. Und ich brauche das. Aber mehr als das brauche ich dich. Nicht nur
als meinen Partner, sondern als meinen Freund. Als die Frau, die ich
liebe," fügte er mit leiser Stimme hinzu.
"Ich brauche dich so sehr, dass ich es riskiere, dir weh zu
tun."
"Ich weiß nicht, was
du meinst," entgegnete sie, aber die Art, wie sie in seinen Armen
herumzappelte, erzählte Mulder eine andere Geschichte und er fühlte mit ihr. Er
wusste, was sie fühlte, okay, aber es zugeben zu müssen, brachte sie fast um.
Sie war immer so stark gewesen, so selbstbewusst.
"Scully, du musst
darüber sprechen," sagte er. "Ich weiß, es ist bestürzend, aber du
musst. Es ist ein Grundprinzip der Psychologie: wenn du nicht über etwas reden
kannst, ohne übermäßig negative Empfindungen zu haben, dann hast du das
Ereignis noch nicht verarbeitet."
"Das ist ein bisschen
zu viel Psychologenscheiß, Mulder," erklärte sie gereizt.
"Entschuldigung,"
erwiderte er beinahe schüchtern. "Eine schlechte Angewohnheit von
mir." Er wurde wieder ernst. "Aber das ändert nichts an der Tatsache,
dass du unglücklich bist und du hast Angst und du weißt keinen Grund dafür,
aber du kannst damit nicht umgehen. Aber du musst dich dem eines Tages stellen,
Scully. Wir beide müssen es. Ich habe dich allein damit gelassen. Die ganze
Wahrheit hinter all dem ist etwas, dem sich keiner von uns beiden stellen
will."
"Es gibt nichts, um
sich dem zu stellen," protestierte sie und machte sich von ihm los.
"Du weißt es
besser," erwiderte er und ließ seine Hände sinken. "Du erinnerst
dich, Scully, auch wenn du versuchst, es nicht zu tun. Ich bin der König der
unterdrückten Erinnerungen und ich kann dir versprechen, sie lassen sich nicht
für immer unterdrücken. Sie neigen dazu, zu unpassenden Zeiten hervorzubrechen,
wie diese verdammten Aliens in den Filmen mit Sigourney Weaver."
"Willst du damit
sagen, dass du etwas weißt, an das ich mich erinnern muss?" fragte sie und
ihre Stimme wurde zu einem zitternden Flüstern.
"Ich weiß es,"
sagte er sanft. "Aber du bist diejenige, die sich erinnern muss. Und du
erinnerst dich, obwohl ich weiß, dass du es nicht möchtest."
"Ich kann mich nicht
erinnern..." begann sie und dann erstarrte sie.
Die Fesseln an ihren
Handgelenken.
Die kalten Hände.
‚Wielange es auch dauern
mag, dieser doppelgesichtige Sohn einer Hure gehört mir.'
Das war weit genug, ihr
Hirn schrie auf und die Erinnerungen hörten auf zu kommen, aber Scully
schauderte. Sie konnte beinahe fühlen, was hinter der Tür lauerte, die sie
beinahe geöffnet hatte...
"Nein," erklärte
sie schroff. "Ich kann nicht. Ich will nicht. Bitte bring mich nicht
dazu."
"Ich werde dich zu
gar nichts bringen," flüsterte er und schob seine Hand in ihr Haar.
"Wenn du noch nicht bereit bist, dann lassen wir es sein. Aber eines Tages
wirst du dich an alles erinnern, ob du willst oder nicht, und dann ist
vielleicht niemand bei dir, wenn du es tust."
"Es gibt nichts weiter,
woran ich mich erinnern muss," antwortete sie kurz angebunden. Sie stand
auf und verschränkte die Arme vor der Brust, ihre Finger pressten sich in ihre
Oberarme. "Du begreifst es nicht, Mulder. Was ich brauche, ist zu
vergessen; ich erinnere mich bereits an zu vieles."
"Du erinnerst dich
nicht an genug, Scully," entgegnete er. "Jedenfalls nicht
bewusst."
"Nein,"
erwiderte sie heftig. "Ich hatte ein paar Träume, schlechte Träume und
eine Halluzination, während ich verletzt war. Das war nicht wirklich." Sie
wandte ihm den Rücken zu. "Mulder, ich will nicht mehr darüber
reden," flüsterte sie. "Lass uns einfach ein bisschen schlafen."
"Scully," sagte
er, erhob sich und trat einen Schritt auf sie zu. "Ich weiß, es ist
schlimm, aber du kannst es nicht ignorieren. Es wird nur noch schlimmer, wenn
du es tust, und es ist bereits schlimm genug - du bist stark deprimiert und
manchmal bist du beinahe außer Kontrolle."
"Es gibt nicht zu
erinnern, außer meinen Alpträumen," erwiderte sie fest. Sie drehte sich herum und sah zu ihm auf.
"Alpträume sind keine Erinnerungen. Die Menschen träumen von allen Arten
von Dingen, die nicht real sind."
"Nein, aber die
Empfindungen, die du in den Alpträumen hast, können sehr real sein,"
antwortete er. "Aber ich werde dich nicht weiter bedrängen. Schlaf ein bisschen. Ich bin nebenan, wenn du
mich brauchst."
"Ich brauche
nichts," sagte sie und ihre Stimme verzagte, als sie die Tränen
niederkämpfte. Tränen der Wut? Der Traurigkeit? Er konnte es nicht sagen.
"Bist du
sicher?" fragte er.
"Es geht mir gut,
Mulder," erwiderte sie und wandte sich ab. "Ich bin nur müde. Ich bin
nur wirklich sehr müde, okay? Wir sehen uns morgen."
"In Ordnung,"
meinte er. Er hielt inne und beugte sich ihr entgegen, um sie zu küssen, aber
sie entzog sich ihm und schloss die Augen und er ließ es sein. Resigniert
senkte er den Kopf und drehte sich um.
"Gute Nacht,
Scully," sagte er.
Sie hörte die Tür sich
leise schließen. Als sie aufblickte, war er gegangen. Sie war allein.
‚Vor vier Jahren, während
ich an einem Auftrag außerhalb der FBI-Hauptaufgabe arbeitete, wurde mir
Special Agent Dana Scully zugeteilt, von der ich glaubte, dass man sie
geschickt hätte, um mich auszuspionieren und meine Untersuchungen des
Paranormalen als Hirngespinste zu entlarven.
Dass Agent Scully diesen Befehlen nicht folgte, ist Zeugnis ihrer Integrität
als Ermittlerin, als Wissenschaftlerin und als Mensch. Sie hat für ihre
Integrität teuer bezahlt.'
Fox Mulder, Redux II
Chris Carter
Kapitel 12
Scully ging den dunklen
Gang des Hotels entlang und hielt ihre Waffe fest in der Hand. An jeder Ecke
hielt sie an, zielte mit der Waffe in den Korridor und folgte diesem nur, wenn
sie sicher war, dass da niemand war. Vor
Mulders Zimmer blieb sie stehen. Die Tür war geschlossen, ließ sich aber leicht
öffnen, als sie sie berührte.
Drinnen war es dunkel und
sie konnte kaum Mulders Umrisse ausmachen, der unruhig in einem der beiden
Betten schlief. Aber er warf sich nicht im Schlaf umher, bemerkte sie. Er war
festgebunden, hatte Handschellen angelegt und war gefesselt, und er kämpfte
darum, freizukommen. Schweiß bildete sich auf seinem Gesicht und lief in
kleinen Bächen, gemischt mit den Tränen aus seinen Augen, herab.
Er versuchte, mit ihr zu
reden, aber es kam kein Ton heraus und sie wusste, wenn er nicht sprechen
konnte, ihr nicht erzählen konnte, was passiert war, würde er sterben. Es war
eine medizinische Tatsache, obwohl sie sich jetzt nicht erinnern konnte, wo sie
sie gelernt hatte. Es war dunkel und feucht in dem Zimmer und Glassman war auch
da, aber er half weder ihr noch Mulder. Er
lachte, stand über dem Bett und lachte und als sie sich ihm zuwandte und um
Hilfe flehte, schlug er ihr die Waffe aus der Hand und schickte sie krachend
auf den Boden.
"Ich habe es dir
gesagt," erklärte er, aber mit einer Stimme, die jemand anderem gehörte.
"Ich habe dir gesagt, was ich tun werde, wenn du wieder hierher
kommst."
Und sein Gesicht
verschwand und er war der Mann, der gesichtslose Mann, der auf sie zukam und
sie konnte sich nicht bewegen, plötzlich lag sie mit dem Gesicht nach unten da,
gefesselt und angebunden wie Mulder, aber der war weg und das Bett war weg und
sie lag mit dem Gesicht im Dreck, sie konnte nicht atmen und sie brannte
innerlich, Schmerzen wie von tausend glühenden Messern durchbohrten sie, sie
verbrannten sie, während sie noch am Leben war und sie versuchte zu schreien,
aber als sie den Mund öffnete, begann der Dreck hinein und ihre Kehle hinab zu
fließen, in ihre Lungen und sie starb und flehte und sie schrie und schrie,
flehte ihn an, aufzuhören, bitte, aufhören, bitte bitte bitte...
"Scully," sagte
jemand. "Baby, wach auf, du hast einen Alptraum."
Sie hörte einen lauten
Schrei und saß kerzengerade im Bett und langte zum Nachttisch hinüber und
suchte krampfhaft nach ihrer Waffe. Sie war nicht da. Und dann fühlte sie eine
Hand, die sie sanft aufs Bett zurückdrückte und sie wusste, wer ihre Waffe
außer Reichweite gebracht hatte.
Mulder.
Er saß auf der Bettkante,
eine Hand auf ihrer Schulter. Er trug ein T-Shirt und Jogginghosen, die Sachen,
in denen er gewöhnlich schlief; sie konnte ihn klar in dem gedämpften Licht,
das durch die offene Verbindungstür fiel, sehen. "Shhh," sagte er.
"Es ist gut. Du bist jetzt wach. Es ist vorbei."
"Vorbei?"
wiederholte sie, immer noch durcheinander. "Was ist vorbei?"
"Der Alptraum,"
erklärte er sanft. "Du hattest einen Alptraum. Aber nun bist du wach. Es
war nicht real."
Ein Alptraum. Gott. Ein
neuerlicher. Sie schwitzte, aber ihr war kalt und sie zitterte am ganzen
Körper. Es war nicht real. Es war nicht real. War es das nicht?
"Habe ich
geschrieen?" fragte sie flüsternd, immer noch nicht in der Lage zu glauben,
dass sie am Leben war. Es fiel ihr überhaupt schwer zu sprechen, sie atmete zu
schnell, keuchte beinahe und ihr Herz hämmerte.
"Ja, das kann man so
sagen," antwortete er mit einem schiefen Grinsen, während er die Tränen
fortwischte, von denen sie nicht gewusst hatte, dass es sie gab. "Aber
mach dir keine Sorgen, Glassman hat nichts gehört. Er ist noch nicht zu
Hause."
Schaudernd bedeckte sie
ihr Gesicht mit den Händen. "Es war so real," flüsterte sie. "Es
ist immer so real."
"Ich weiß," sagte
er und streichelte ihr Haar. "Sie erscheinen real, nicht wahr? Das ist
einfach das Schlimmste an allem."
"Ich bin so müde,
Mulder," flüsterte sie und blickte zu ihm auf. "Ich kann überhaupt
nicht mehr schlafen. Ich habe Angst, wieder einzuschlafen.
"Passiert das
oft?" fragte er leise.
"Jedes Mal." Sie
schüttelte den Kopf. "Jede Nacht. Manchmal zwei- oder dreimal."
"Nimmst du
irgendetwas, was dir hilft zu schlafen?"
"Nein. Ich will damit
gar nicht erst anfangen."
"Es wäre vielleicht eine
gute Idee, vielleicht für eine Weile."
"Du tust es auch
nicht," meinte sie und sah ihn an. "Du hast Alpträume, seit ich dich
kenne und ich habe nie mitbekommen, dass du Schlafmittel nimmst."
"Schlaftabletten,
richtig, Dr. Scully?" erwiderte er ein klein wenig lächelnd. "Nein,
die nehme ich nicht. Jedenfalls nicht regelmäßig. Aber das bedeutet nicht, dass
du es nicht kannst."
"Doch, das bedeutet
es," antwortete sie. "Ich werde es nicht tun. Es ist zu gefährlich."
"Genauso ist es mit
fehlendem Schlaf," erklärte er. "Es kann ernsthaft dein Urteilsvermögen
beeinträchtigen. Das weißt du."
"Ich weiß,"
antwortete sie und drehte den Kopf apathisch zur Seite. "Ich... ich kann einfach nicht. Ich kann nicht mit
Tabletten anfangen. Ich kann vielleicht nie wieder aufhören."
"Gut... du bist der
Doktor," sagte er, aber er scherzte nicht. Seine Stimme war sanft und
beruhigend. "Würde es helfen, wenn ich ein paar Minuten hier bei dir
bleibe?"
Sie dachte einen
Augenblick nach. "Ja."
"Möchtest du
reden?"
"Nein,"
antwortete sie kopfschüttelnd. "Ich möchte schlafen. Ich bin es so leid,
nicht zu schlafen."
"Also, was möchtest
du, dass ich tue?" fragte er. "Ich kann nicht singen, also keine
Wiegenlieder."
"Bleib einfach hier.
Nur bis ich eingeschlafen bin," antwortete sie. "Wenn ich in einer
Viertelstunde nicht eingeschlafen bin, dann kannst du gehen."
"Ich bleibe so lange,
wie du es möchtest," erwiderte er leise. "Versuch jetzt zu
schlafen."
Sie schüttelte den Kopf.
"Leg dich neben mich." Sie hörte, wie er den Atem einzog und spürte
die Unschlüssigkeit in Wellen von seinem Körper kommen.
"Scully, ich weiß
nicht..." begann er.
"Bitte,"
unterbrach sie ihn. "Ich weiß, dass ich schreckliche Dinge zu dir gesagt
habe und dass ich es nicht verdiene, dass du mir verzeihst, aber ich... ich
fühle mich wirklich sicher, wenn du mich hältst."
"Du hast überhaupt
nichts Schreckliches gesagt," widersprach er sanft. "Du warst
durcheinander, das ist alles."
"Ich bin immer noch
durcheinander," sagte sie. "Und ich brauche es, dass du mich einen
Augenblick hältst. Bitte."
"Du machst es
wirklich nicht einfach, nicht wahr?" fragte er kopfschüttelnd, aber er
lächelte ein wenig dabei, als er es sagte.
"Nein,"
antwortete sie und schaffte ein kleines Lächeln zur Erwiderung.
"Ich will nicht, dass
es einfach ist."
"Da hast du
Erfolg," meinte er, aber das Lächeln verschwand ein wenig.
"Okay. Ich werde es
tun. Aber nur für ein paar Minuten."
Er stand auf, schloss die
Verbindungstür, kletterte ins Bett und legte sich neben sie. Sie rutschte zu
ihm und kuschelte ihren Körper an seinen und einen Augenblick später legte er
einen Arm um sie und hielt sie an sich geschmiegt. "Muss ein ziemlich
schlimmer Alptraum gewesen sein," flüsterte er. "War es
derselbe?"
"Nein,"
antwortete sie. Sie wusste, was er meinte. "Diesmal war es ein bisschen
anders. Aber im Grunde dennoch dasselbe. Manche Dinge sind immer gleich. Der
Dreck... die Handschellen... ein paar andere Dinge."
"So sind meine
gewöhnlich auch," meinte er und seine Hand streichelte zärtlich ihren Arm.
"Immer dasselbe Ding, wieder und wieder."
"Samantha?"
flüsterte sie.
"Und ein paar andere
Dinge," erwiderte er. "Es macht alt, nicht wahr? Nacht für Nacht
dieselben schlimmen Dinge zu erleben?"
"Sehr alt,"
flüsterte sie. Scully konnte fühlen, wie die Angst von ihr wich, abebbte mit
jedem seiner Worte und jeder Zärtlichkeit. "Du fühlst dich so gut
an," sagte sie und drückte sich enger an ihn.
"Du auch,"
erwiderte er, schob seinen Arm unter ihren und ließ ihn auf ihrer Taille ruhen.
"Schlaf jetzt. Du bist sicher. Heute Nacht wird dir nichts
passieren."
"Mulder?"
"Hmm?"
"Ich liebe
dich."
Er zog sie fester an sich
und küßte die warme Stelle gleich hinter ihrem Ohr. "Ich liebe dich
auch," antwortete er. "Aber jetzt schlaf."
5:24 a.m.
Er war fort, als sie
aufwachte. Aber da war eine Nachricht auf dem Kissen, dem Kissen, das immer
noch nach ihm roch.
Scully - sei nicht böse,
du hast so fest geschlafen, ich konnte dich einfach nicht wecken. Wenn du
rechtzeitig aufwachst, treffen wir uns zum Frühstück. Ich habe eine andere
Idee, was wir heute tun sollten. Ich erzähle dir davon, wenn wir uns sehen.
P. S. Ich liebe dich.
Rathaus Daphne
Donnerstag, 4 März
6:35 a.m.
"Geht Ihr Leute
eigentlich nie nach Hause?" fragte Mack, als er seinen Kopf zur Tür
hereinsteckte.
"Was meinen
Sie?" fragte Mulder abwesend. "Das ist unser Zuhause fern der Heimat."
Er befand sich in seiner üblichen Haltung, im Stuhl zurückgelehnt, Füße auf dem
Tisch, eine Akte studierend. "Dann möchte ich nicht Ihr Zuhause
kennenlernen, wenn das hier wie Zuhause ist," meinte Mack und warf sich
auf den Stuhl neben Mulder. "Wir haben heute morgen vom CDC gehört." In
dem Moment betrat Scully den Raum. "Was haben sie gesagt?" fragte sie
und zog sich die Latexhandschuhe aus.
"Sie haben gesagt,
dass sie heute hierher kommen werden," erwiderte Mack. "Sie werden am Nachmittag eintreffen.
Sie hatten Recht, Agent Scully. Das kommt ihnen gespenstisch vor."
"Passiert mir
andauernd," meinte Mulder und schenkte ihnen immer noch nicht besonders
viel Aufmerksamkeit. "Hier ist es, Scully. Stouffer hat im Westen von
Mobile gelebt. Das ist augenscheinlich der teure Teil der Stadt." Er stand
auf und griff nach seinem Jackett. "Ich fahre dich."
"Mulder, das musst du
nicht," entgegnete sie. "Ich gehe nur dorthin, um die Familie um ihr
Einverständnis für die Exhumierung und die Autopsie zu bitten."
"Ich muss auch
dahin," antwortete er. "Ich muss herausfinden, warum dieses Opfer
anders ist als all die anderen."
Das Haus der Stouffers
Mobile, Alabama
7;07 a.m.
"Das ist
seltsam," meinte Scully, als Mulder in der Nähe des teuer aussehenden
Vororthauses der Stouffers bremste.
"Was ist
seltsam?" fragte er, während er den Wagen anhielt und den Motor ausschaltete.
"Sieh doch,"
erklärte sie. "Es ist sieben Uhr morgens und da sind mindestens ein
Dutzend Autos vor dem Haus. Die Beerdigung war schon vor Tagen."
Mulder knabberte einen
Moment an seiner Lippe. "Ich glaube, ich weiß vielleicht, warum,"
meinte er nachdenklich.
"Warum?"
"Das wirst du wissen,
wenn wir hineingehen," erwiderte er. "Du hast es schon früher
gesehen."
"Jetzt machst du mir
Angst," meinte sie zweifelnd. "Ist das irgend so ein Kultding?"
Mulder lachte und
schüttelte den Kopf. "Hängt davon ab, wen du fragst, vermute ich,"
antwortete er. "Ich habe diesen Vorwurf schon gehört. Komm schon."
Sie gingen auf die
Eingangstür zu, die ein wenig offen stand. Mulder blieb dort einen Moment
stehen und betrachtete am Türrahmen einen kleinen zylindrischen Gegenstand, der
diagonal zum Holz angenagelt war. Er nickte.
"Das dachte ich mir," murmelte er.
Dann drückte Mulder, zu
Scullys Überraschung, einfach die Tür auf und ging hinein, ohne anzuklopfen.
"Mulder, hast du den
Verstand verloren?" flüsterte sie. "Wir wurden nicht hereingebeten."
"Das werden wir auch
nicht," sagte er. "Mach dir keine Sorgen. Sie erwarten das. Siehst
du?" Er deutete auf einen großen Flurspiegel. Das Glass war vollkommen mit
etwas bedeckt, das aussah wie Seife.
"Und ich muss wissen,
was das bedeutet?" fragte Scully.
"Würde es leichter
sein, wenn sie die Spiegel abgehängt hätten, anstatt sie einzuseifen?"
fragte er mit einem Hauch von Übermut. "Komm schon, Scully - denk
zurück."
Eine Minute dachte sie
nach. Verdeckte Spiegel im Haus, Menschen, die zusammentrafen nach einem
Todesfall...
Dann erinnerte sie sich.
Der Luria-Fall. "Sie treffen sich zur Shiva," sagte sie langsam.
"Sie trauern um ihren verstorbenen Angehörigen. Also sind sie Juden?"
"Wenn die Zeugen
Jehovas nicht die Shiva als ein Mittel zur Abschreckung von Besuchern gewählt
haben," meinte er. "Aber dem Mezuzah an der Tür nach zu urteilen,
sind sie Juden oder zumindest Anhänger des jüdischen Glaubens."
"Das würde erklären,
warum sie keine Autopsie wollten," sagte sie. "Ich hatte nur nicht
erwartet, hier im Süden eine jüdische Familie zu finden."
"Oh, wir sind
überall, Scully," erwiderte er, immer noch mit einem übermütigen Zwinkern.
"Denk nur daran - es
wird als unhöflich angesehen, irgendjemanden während der Shiva zu begrüßen und
orthodoxe männliche Juden geben Frauen sowieso üblicherweise nicht die
Hand."
"Weil wir vielleicht
unrein sind?" fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.
"Dieses eine Mal im
Monat?"
"Ja," sagte er.
"Genau deswegen." Grinsend hob er die Hände in einer spöttischen
Abwehrhaltung. "Sei nicht böse auf mich, Scully. Ich hab die Regeln nicht
gemacht."
"Ich versuche, das im
Hinterkopf zu behalten," entgegnete sie trocken.
Einen Moment sah er sie
an, dann zuckte er mit den Achseln und das Lächeln verschwand. "Klingt,
als würden sich alle wieder sammeln."
Sie gingen einen Flur
entlang auf die Stimmen zu. Als sie ein großes vernachlässigtes Zimmer
betraten, fanden sie dort ungefähr zwanzig Menschen, die meisten davon Frauen,
die überall im Raum auf niedrigen Stühlen saßen. Ein bärtiger Mann, der eine
Jarmulke trug, kam zu ihnen herüber.
"Das war so eine
Tragödie," sagte der Mann. "Die Familie ist Ihnen dankbar für Ihre
Unterstützung."
"Ich wünschte, wir
wären hier, um unsere Unterstützung anzubieten," erwiderte Mulder.
"Ich bin Fox Mulder. Meine Partnerin und ich sind Bundesagenten und
untersuchen den Tod von Mr. Stouffer. Wir haben nicht bemerkt, dass die Familie
immer noch die Shiva durchführt. Es tut mir leid, dass wir sie
unterbrechen."
"Oh ja, Mr.
Mulder," antwortete der Mann. "Ich habe von Ihnen gehört. Der FBI-Profiler.
Ich bin Rabbi Yaakov Golden. Und Ihre Partnerin ist..."
"Dana Scully,"
erklärte Scully und behielt ihre Hände an ihren Seiten. "Es tut uns leid,
hier einzudringen, aber es gibt etwas Wichtiges, worüber wir mit der Familie
reden müssen. Mr. Stouffer wurde vielleicht vor seinem Tode einer gefährlichen
Krankheit ausgesetzt und die Familie muss vielleicht Vorkehrungen
treffen."
"Mr. Stouffers Bruder
ist hier," sagte Golden. "Ich bin sicher, er wird bereit sein, mit
Ihnen zu reden, sobald die Morgengebete vorüber sind. Mr. Stouffers Sohn David ist hier, also warten
wir nur noch auf einen Minyan."
"Wieviel haben
Sie?" fragte Mulder.
Scully sah ihn überrascht
an. Der Rabbi hätte genauso gut Griechisch sprechen können, soweit es sie
betraf, doch Mulder, der Agnostiker, schien genau zu wissen, wovon der Mann
sprach.
"Neun,"
antwortete der Rabbi. "Es ist schwierig, an diesen Wochentagen einen
Minyan zu bekommen. Wir sind eine kleine Gemeinde und jeder hat zu arbeiten."
"Ist jemand
unterwegs?"
Der Rabbi nickte.
"Aber die Zeit für die Gebete wird bald vorüber sein. Ich fürchte, David
wird vielleicht nicht in der Lage sein, heute den Kaddisch zu sagen. Es wäre
natürlich nicht seine Schuld, aber er hat das sehr starke Empfinden, dass er
seinem Vater diese Pflicht schuldig ist."
Mulder nickte und biss
sich auf die Lippe. Unsicher blickte er erst Scully an, dann auf den Boden, um
schließlich wieder dem Blick des Rabbis zu begegnen. "Rabbi," sagte
er. " Ich werde Ihr zehnter Mann sein, wenn Sie möchten, aber ich habe
kein Kipoh auf den Kopf gesetzt, seit ich acht war und ich werde jetzt nicht
damit beginnen, es wieder zu tun. Glauben Sie, dass der Rest der Männer das
tolerieren kann?"
"Sie sind Jude, Mr.
Mulder?" fragte der Rabbi. Mulder nickte. "Dann sollten Sie natürlich
mit uns beten, es ist Ihre Pflicht. Wie ist Ihr Name in Israel?"
"D'vid ben
Avram," antwortete er unangenehm berührt und sprach es duh'VEED ben uvRAHM
aus. "Aber bitte, rufen Sie mich nicht zur Thora, Rabbi. Ich kann kein
Hebräisch lesen."
"Sehr gut,"
erwiderte der Rabbi. "Ich sage den anderen, dass wir beginnen können."
"Scully, würde es dir
etwas ausmachen, ein paar Minuten hier zu warten?" fragte Mulder mit
leiser Stimme, als der Rabbi fortging. "Die Männer beten nicht zusammen
mit den Frauen in diesen Kreisen und ich..."
"Geh du und tu, was
du tun musst," sagte sie und berührte sanft seinen Arm. "Da drüben ist ein kleiner Junge, der
dir, denke ich, sehr dankbar sein wird."
Mulder lächelte, drückte
einen Augenblick ihre Hand und ging dann zu Golden und einer Gruppe von Männern
mit Kopfbedeckung, die wartend mit einem kleinen Jungen, der aussah wie zwölf,
am anderen Ende des Raumes standen. Einen
Moment gab es eine stumme Unterhaltung, dann gingen die Männer - mit Mulder als
letztem - in einen anderen Raum.
Nach ein paar Minuten, in
denen niemand der Anwesenden geneigt schien, mit ihr zu reden (sie fragte sich,
ob das Kreuz an ihrem Hals etwas damit zu tun hatte, schalt sich dann aber
selbst paranoid), ging Scully auf Zehenspitzen zur Tür hinüber, stellte sich
auf eine Seit und lauschte.
Sie vernahm ein Murmeln
in, wie sie annahm, Hebräisch, alle beteten gleichzeitig, aber nicht im
Einklang. Sie riskierte einen Blick um die Tür herum und sah Mulder stumm im
Hintergrund des Raumes stehen, die Hände vor ihm gefaltet und merklich
unbehaglich dreinblickend.
Dann kamen die Stimmen
plötzlich zusammen.
"Yis'ga'dal, v'yis'kadash,
sh'may ra'bbo, b'olmo dee'vro chir'usay v'yamlich malchu'say, b'chayaychon
v'yomay'chon uv'chayay d'chol baisYisroel, ba'agolo u'viz'man koriv; v'imru
Omein."
Scully hatte das schon
einmal gehört, sie hatte es damals nicht erkannt, aber Mulder hatte ihr später
gesagt, was es war: Der Kaddisch, das Gebet der Weihung, das Gebet für die
Toten. Sie lugte wieder um den Türrahmen herum.
Die Männer standen über
ihre Gebetsbücher gebeugt. Der Junge, in einen Gebetsschal gewickelt wie die
anderen, schaukelte wie Schilf im Wind, Tränen liefen ihm aus den Augen,
während er betete.
Alle beteten zusammen und
standen sanft schaukelnd da, außer Mulder. Er bewegte sich nicht, seine Augen
waren zusammengekniffen und sein Kopf war leicht gebeugt. Seinem Wort
entsprechend war er barhäuptig und trug keinen Schal.
Mulder betete nicht.
Natürlich nicht. Mulder betete nicht, egal was passierte, nicht einmal für sie,
als sie wegen ihrem Krebs im Sterben lag.
Wenn er jemals für Samanthas Rückkehr gebetet hatte, dann hatte er es
vor langer, langer Zeit aufgegeben. Er hatte niemals seine Gebete für seinen Vater
gesprochen, dessen war sie sich sicher. Er glaubte einfach nicht daran.
Aber er war dennoch da,
lieh seine Anwesenheit und ermöglichte es einem kleinen Jungen, in Erinnerung
an seinen ermordeten Vater zu beten.
So wie sie selbst gelernt
hatte zu beten vor so vielen Jahren...
Scully konnte sich selbst
sehen, als wäre es gestern gewesen, ungefähr so alt wie das Kind dort, ein
Gebet sprechend mit jeder winzigen weißen Perle ihres Rosenkranzes, die durch
ihre Finger glitt, sie betete für die Seelen im Fegefeuer und für ihre
Großmutter: das Vaterunser und dann die zehn Ave Marias, die ihre Mutter das
Pater Noster genannt hatte und das Ave und dann das Gloria.
Maggie hatte gelernt, den
Rosenkranz in Latein zu beten, was nicht mehr benutzt wurde, nachdem Dana
geboren wurde. Manchmal hörte sie dennoch Maggie in den alten lateinischen
Worten leise vor sich hinbeten. Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum.
Benedicta tu in mulieribus...
Damals hatte sie die Worte
des Ave nicht besser verstanden als sie jetzt das Kaddisch verstand, aber sie
glaubte an beides. Was immer es bedeutete, welche Sprache auch immer, es lief
alles zurück auf den Glauben: Glauben an Gott, Glauben an die Medizin, Glauben
an die Wissenschaft, und wenn all das sie verlassen hatte, Glauben... an
Mulders Glauben.
Sie erinnerte sich an das
Gebet, mit dem ihre Mutter immer ihren Rosenkranz beendete. Das Memorare. Das
genaue Wort bedeutete Erinnern; das Gebet flehte die Mutter Gottes an, sich
daran zu erinnern, dass sie auch die Mutter der Menschheit war.
Gebet... Erinnerung... es
gab hier eine Verbindung, jenseits dieses einen Gebetes, etwas das irgendwie...
erschreckend war. Eine Redewendung, ein Gedicht, ein Lied vielleicht... etwas
mit beängstigender Bedeutung für sie. Was
war es? Es wurde schwerer und schwerer, zu denken.
Mulder sagte, sie würde
sich erinnern. Er wollte, dass sie sich erinnerte und alles, woran sie sich
erinnern konnte, waren diese uralten Gebete. Wenn man ein Gebet stumm sprach,
im Geist, dachte sie ein wenig hysterisch, erinnerte man sich dann an das Gebet
oder daran, wie man betete?
Beten. Erinnern. Diese
Worte gehen zusammen, ich weiß es, dachte sie. Ich werde wirklich den Verstand
verlieren, wenn mir das den ganzen Tag durch den Kopf geht, das werde ich. Aber
wie passen die Worte? Es bedeutet etwas, ich weiß, dass es so ist. Aber was?
Heilige Maria, Mutter
Gottes, bete jetzt für uns Sünder und in der Stunde unseres Todes. Dann das
Memorare.
Beten. Dann erinnern.
Beten. Erinnern... bete,
Geliebter, erinnere dich.
Das war es, Es war aus
Hamlet. Ophelia, die wahnsinnige Ophelia, sagte das in der Stunde ihres Todes -
ihres Selbstmordes tatsächlich.
Ophelia starb, weil Hamlet
sie nicht aufhalten konnte oder aufgehalten hatte - er war zu sehr besessen von
seiner Suche, von dem, das zu tun, was die unsichtbaren Geister der
Vergangenheit von ihm verlangten, davon, den Mord an seinem Vater zu rächen,
den Unglauben seiner Mutter. Hamlet konnte oder wollte nicht sehen, dass
Ophelia an ihrer eigenen Trauer zugrunde ging.
Und jedermann dachte,
Hamlet wäre wahnsinnig, wo es in Wirklichkeit Ophelia war, deren Vernunft
erschüttert und schließlich zerstört worden war durch die Gräuel um sie herum.
"Dort ist Rosmarin,
nur zur Erinnerung. Bete, Geliebter, erinnere dich."
Und dann ins Wasser, um zu
ertrinken.
Die Parallelen waren
entschieden zu stark, um zu beruhigen, dachte sie.
Aber Mulder war nicht
Hamlet. Er hätte seine Suche beiseite gepackt, um ihr Leben zu retten; er hatte
es beinahe getan, letztes Jahr, als sie im Sterben lag. Und dann war er an ihr
Krankenbett gekommen, in dem einfachen, unerschütterlichen Glauben, dass sie
ihn auf dem richtigen Weg halten würde und wenn es sie ihren letzten Atemzug
kostete.
Als der Priester
hereinkam, war Mulder still gegangen, mit einem Lächeln ihr Versprechen, für
ihn zu beten, akzeptierend. Aber er glaubte nicht an Gott. Keinen Glauben in
Gebete. Keinen Glauben in irgendetwas, außer in die Wahrheit und in sie. Was
hatte es ihm bedeutet, dass sie für ihn beten wollte?
"Oseh sholom
bomromov, hu ya'aseh sholom olaynu," erklangen die Stimmen aus dem anderen
Raum.
Da war ein Wort, das sie
erkannte. Shalom. Sie beteten für den Frieden. Und er hatte ihr letzte Nacht
Frieden gebracht, Frieden für Herz und Seele und Geist, hatte ihn ihr großzügig
gegeben, egal wie sehr sie ihn verletzt hatte.
Nein, Mulder glaubte nicht
an all die wunderschönen Gebete, die sich um ihn herum zum Himmel erhoben, aber
er glaubte an sie. Er vertraute darauf, dass sie diese Reise machen und all
ihre Kraft benutzen würde, um nach einer Wahrheit zu greifen, die so dunkel
war, dass sie entschieden hatte, sich niemals daran zu erinnern oder darüber zu
sprechen.
Oh, aber sie war da... sie
war es und er kannte sie.
Und sie auch.
Bete, Geliebte, erinnere
dich, sagte er. Und mit der Erinnerung bringe uns beiden Frieden.
"Vimru, Omein."
Der Kaddisch war vorbei.
Rasch, mit einer kleinen
Bewegung, so dass es niemand sehen würde, machte sie das Zeichen des Kreuzes.
Dann ging sie in gedankenvollem Schweigen davon.
Aber alle erinnerte
Schönheit ist nicht mehr
Als eine wage Einleitung
zu dem Gedanken an dich -
Du bist die seltenste
Seele, die ich je gekannt habe,
Geliebter der Schönheit,
ritterlichster und bester,
Meine Gedanken suchen dich
wie Wellen den Strand, Und wenn ich an dich denke, dann bin ich beruhigt.
Für E.
Sara Teasdale
Kapitel 13
Das Haus der Stouffers
8:15 a.m.
"Mr. Mulder, ich weiß
nicht, was ich anderes sagen kann," sagte Morris Stouffer. "Ich bin
nicht gegen eine Autopsie, wenn sie jemand anderes retten könnte. Es gibt kein
Gebot, das nicht daran gebunden ist, menschliches Leben zu retten, ich bin
sicher, das wissen Sie. Jedoch muss ich zuerst den Rabbi fragen."
Die Agenten und der Bruder
des Toten saßen im Wohnzimmer, das nun, da die Morgengebete gesprochen und die
meisten Besucher zur Arbeit gegangen waren, verlassen war.
"Dennoch fällt es mir
immer noch schwer zu glauben, dass Jon diese Krankheit gehabt hat. Er hat nie
mit Tieren gearbeitet, soweit ich weiß, und hatte niemals so etwas an seinen
Händen, wie Sie es beschreiben," erklärte Stouffer. "Er war
Architekt."
"Warum ist er den
weiten Weg nach Pensacola gefahren in ein Elektronikgeschäft?" fragte
Mulder.
Stouffer zuckte mit den
Schultern. "Es war sein Hobby. Vielleicht wollte er etwas, das er in
Mobile nicht finden konnte. Ich weiß es nicht."
"Hatte Ihr Bruder
Freunde in Pensacola?" fragte Scully.
"Nicht dass ich
wüsste," antwortete Stouffer. "Er ließ sich nicht sehr oft mit
jemandem ein, außerhalb des Reservedienstes."
"Reservedienst?"
Mulder spitzte die Ohren. "Welche Art von Reservedienst?"
"Armee,"
antwortete Stouffer. "Eine Sanitätseinheit hier in Mobile. Ich weiß, was
Sie denken: Warum braucht eine Sanitätseinheit einen Architekten in ihren
Reihen?"
"Um Krankenhäuser zu
entwerfen?" fragte Mulder mit einem winzigen Anflug von Humor.
"Nein,"
erwiderte Stouffer kopfschüttelnd. "Er war dort als Schreiber tätig und
verwaltete die Personalakten. Er war in dieser Einheit, weil sie in Wochennächten
ausbildeten und nie am Sabbat, wie die meisten anderen. Er liebte sein Land,
das war es ihm wert, einen Job so weit unter seiner Bildung zu machen, so dass
er die Gebote einhalten konnte und seinem Land dienen."
"Mr. Stouffer, wissen
Sie, ob die Reserveeinheit Ihres Bruders jemals im Mittleren Osten oder am
Persischen Golf war?" fragte Scully.
"Warum fragen
Sie?"
"Weil wenn sie es
war, war er vielleicht, während er dort war, dem - Virus - ausgesetzt, den wir
untersuchen," antwortete sie.
Stouffer schüttelte den
Kopf. "Nein. Die Einheit wurde seit Vietnam nicht mehr eingesetzt. Er war
alleinerziehender Vater, Witwer; es bedeutete ihm viel, in der Nähe seines
Sohnes zu sein."
"Was ist mit seiner
Frau passiert?" fragte Mulder.
"Sie starb vor vier
Jahren, getötet durch einen betrunkenen Autofahrer," erklärte Stouffer
stumpf.
"Wer wird sich nun um
den Jungen kümmern?" fragte Scully sanft.
"Er wird bei mir und
meiner Familie leben," sagte Stouffer. "Es wird für uns alle eine
große Umstellung, aber wir werden es schaffen." Er erhob sich. "Wenn
das alles ist, Agent Mulder, dann sollte ich jetzt zu meinem Neffen
gehen."
"Ich denke, das ist
genug," meinte Mulder. "Scully?"
Sie schüttelte den Kopf.
Mulder griff in seine
Manteltasche und holte eine Karte und einen Stift hervor. "Hier ist die
Nummer, unter der Sie uns in den nächsten Tagen erreichen können," sagte
er, während er schrieb. "Wenn Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte,
rufen Sie bitte an. Wenn wir nicht länger in der Stadt sind, können Sie mich im
Regionalbüro in Birmingham erreichen. Die
Nummer steht auf der Karte."
"Ich weiß nicht, was
da noch sein sollte, Mr. Mulder," entgegnete Mr.
Stouffer. "Aber ich
werde Sie anrufen, wenn mir etwas einfällt."
Die Agenten erhoben sich
ebenfalls. Stouffer betrachtete Mulder sorgfältig. "Mr. Mulder, ich weiß, dass Sie sich
nicht an die Gebote halten," meinte er. "Aber ich bin sicher, Sie
kennen das eine, dass man normalerweise niemandem dankt, der seine Pflicht tut.
Dennoch habe ich das Gefühl, ich muss Ihnen anstelle meines Neffen dafür
danken, dass Sie heute Morgen als Minyan mitgemacht haben. Das war, wie man so
sagt, mehr als es die Pflicht verlangt."
"Bitte, reden Sie
nicht davon," sagte Mulder unbehaglich. "Es hat mich gefreut, dass
ich helfen konnte."
"Sie waren eine große
Hilfe," erwiderte Stouffer und führte sie an eine Seite des Raumes, an der
immer noch eine Gruppe Trauernder zusammensaß.
"Ich verspreche Ihnen anzurufen, wenn mir etwas einfällt."
"Danke," sagte
Mulder und sah sich fragend im Raum um. Warum bin ich hier?
Scully konnte die Frage so
deutlich hören, als hätte er sie ausgesprochen.
"Meine Großmutter ist
hier," erklärte Stouffer und zeigte auf eine ältere Frau in der Ecke.
"Sie wollte mit Ihnen sprechen."
Mulder nickte, ging
hinüber zu der Frau und blieb dort still stehen. Scully beobachtete ihn
verwirrt.
Nach einer Minute blickte
die Frau auf zu Mulder. "Sie waren ein Trost für meinen Urenkel,"
sagte sie in schwer akzentuiertem Englisch. "Es wird ein größerer Trost
sein, wenn Sie den Mann, der seinen Vater getötet hat, finden und
bestrafen."
"Ich werde ihn
finden," antwortete Mulder. "Ich verspreche Ihnen, dass ich ihn
finden werde, wenn es in meiner Macht steht."
Sie streckte gebrechliche
Hände aus, nahm seine Hände und hielt sie mit festem Griff. Ihre Ärmel rutschen
herab, als sie ihre Arme hochstreckte.
"Sie müssen es,"
sagte sie und sah ihn vertrauensvoll an. "Es ist so wenig von meiner
Familie übriggeblieben." Tränen liefen über ihre Wangen, aber Mulder sah
nicht hin. Er sah auf ihren Arm, auf eine Nummer, die in verblasster blauer
Tinte dort eintätowiert war. Die meisten Überlebenden des Holocaust hielten
diese Geschichten erzählenden blauen Nummern verdeckt, wenn sie konnten; er
wusste, sie ließ ihn die Tätowierung aus einem bestimmten Grund sehen.
Du bist einer von uns,
sagte sie damit. Dieser Verlust, all unsere Verluste sind deine so wie unsere.
Sanft drückte er ihre
Hände, bevor er sie losließ, dann brachte er sorgfältig ihre Ärmel wieder in
Ordnung. Es folgte ein kurzes Schweigen, in dem Mulder darum zu kämpfen schien,
etwas zu sagen.
"Hamakom y'nachem
etchem b'toch ah'ar availai tziyon v'yerushalayim," sagte er schließlich
stockend.
Mrs. Stouffer nickte zum
Dank. "Aliyah v'sholom, D'vid ben Avram," antwortete sie.
Mulder war still, während
er zurück nach Mobile fuhr. Scully schwieg aus Respekt vor dem, was eindeutig
ein emotional mitreißendes Erlebnis für ihn gewesen war. Sie waren halb an der
Bucht von Mobile vorbei, bevor er wieder sprach.
"Das war das erste
Mal, dass ich an einem Minyan teilgenommen habe," erzählte er. "Es
war so anders."
"Du sagtest, du
hattest keine religiöse Erziehung," erwiderte sie und betete darum, dass
sie die Unterhaltung auf neutralem Boden halten konnte. "Ich war überrascht, dass du überhaupt
wusstest, was zu tun war."
"Ich wusste es nicht
wirklich. Ich habe mich wenig damit auseinandergesetzt; meine Großeltern nahmen
mich als Kind manchmal mit zur Shul," erklärte er. "Das hörte auf,
als mein Großvater starb, als ich ungefähr acht war. Mein Vater hatte nichts
dagegen, dass ich eine religiöse Ausbildung bekam, sogar ein Stück Mitzvah,
aber meine Mutter hasste den bloßen Gedanken. Es gibt eine Synagoge in Vineyard
auf der unteren Insel am Hafen und ich habe sie nie betreten."
"Also das war die
religiöse Ausbildung?"
"Nein. Mom schickte
mich auf eine bischöfliche Vorbereitungsschule, als ich zwölf war." Er
lachte. "Ich kenne den Katechismus wahrscheinlich besser als du."
"Das kannst du
wahrscheinlich," meinte sie. "Ich erinnere mich an gar nichts davon,
ausgenommen den Teil darüber, was ein Sakrament ist."
"Das äußere und
sichtbare Zeichen einer inneren und geistigen Gnade," erklärte Mulder
leichthin. "Siehst du? Ich weiß es. Willst du, dass ich alle sieben
aufsage?"
"Nein, danke,"
erwiderte sie trocken. "Ich bin beeindruckt, Mulder - oder welchen Namen
auch immer du heute benutzt. Wie haben sie dich überhaupt genannt? Ich habe nie
zuvor gehört, dass dich jemand so gerufen hat."
"Der wurde mir am Tag
meines größten Verlusts gegeben," erklärte er mit einem schiefen Lächeln.
"Du weißt schon, als ich acht Tage alt war."
"Deine
Beschneidung," sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ich hab es
verstanden, Mulder. Mach weiter."
"Ach komm schon,
Scully, sei nicht prüde," entgegnete er, immer noch scherzend. "Du
hast wahrscheinlich selbst ein oder zwei gemacht."
"Das ist vollkommen
nebensächlich," konterte sie steif. "Nun mach schon.
Warum hast du einen
anderen Namen?"
"Weil Fox ein Name
der Mulderfamilie ist und die Mulders sind keine Juden," erklärte er.
"Der Vater meines Vaters war ein Nichtjude - und die Eltern meiner Mutter
waren erschrocken, als sie hörten, welchen Namen ich bekommen sollte. Sie
sagten, Fox wäre kein Name für einen jüdischen Jungen, und William war sogar
noch schlimmer. Zu christlich. Keine Beleidigung beabsichtigt, Scully,"
fügte er rasch hinzu.
"Keine angenommen,"
sagte sie. "Also haben deine Großeltern den Kampf um deinen Namen
verloren?"
"Um meinen legalen
Namen, ja," erwiderte er. "Aber meine Eltern beugten sich in gewissem
Maße dem Druck. Sie hatten einen Bris und gaben mir den Namen D'vid. Der
hebräische Name meines Vaters war Avram, Abraham. Also D'vid ben Avram; David,
Sohn Abrahams."
"Bedeutet der Name
irgendetwas? Neben dem, was offensichtlich ist, meine ich."
"Nun ja, es ist in
der Tat so," erklärte Mulder, ein bisschen zu vorsichtig. "D'vid
bedeutet Geliebter; Avram bedeutet Vater der Menschen."
Der geliebte Sohn des
Abraham. Scully erinnerte sich an die Geschichte:
Gott belohnte Abraham für
seine Bereitschaft, seinen einzigen legitimen Sohn als Opfer auf den Altar zu
legen. Aber konnte Isaac seinem Vater jemals vergeben?
Der Kaddisch ist eine
Pflicht, die er seinem Vater schuldet, dachte sie.
Eine Pflicht, die in
Mulders Fall unerledigt blieb.
Rasch brachte sie ihre
Gedanken zurück in die Gegenwart. "Also hast du den Namen, aber es ist
nicht dein legaler Name?" fragte sie so lässig sie konnte. "Er hat
keine Implikation außerhalb des religiösen Rahmens?"
"Das ist die
Idee," meinte er und schielte neugierig zu ihr herüber.
"Das ist wie bei
meinem Konfirmationsnamen," sagte sie, ohne nachzudenken, nur um die
Unterhaltung in Gang zu halten. "Ich bekam einen Namen vom Bischoff, als
ich zwölf war." Sie erkannte ihren Fehler, sobald sie den Schimmer von
Neugier in Mulders Augen sah.
"Und wie war der
Name?" fragte er ein wenig zu gleichgültig.
"Keine Chance,
Mulder," antwortete sie kopfschüttelnd. "Lieber sterbe ich, als es
dir zu erzählen."
"Och, komm schon,
Scully," bat er. "Ich hab dir meinen verraten. Nun verrätst du mir
deinen. Oder sollte ich einfach deine Mutter anrufen... ich wette, sie kennt
eine Menge Dinge, die sie mir erzählen würde..."
"Scholastica,"
sagte sie rasch, ihn unterbrechend.
"Wie bitte?"
"Es ist
Scholastica," erklärte sie resigniert. "Für St. Scholastica vom Benediktinerorden,
die, wie man nicht erwähnen muss, eine berühmte Gelehrte war. Mein Vater hat
ihn ausgesucht. Mein voller christlicher Name lautet Dana Katherine
Scholastica. Träum nicht einmal davon, mich so zu nennen."
"Das werde ich
nicht," antwortete er. "Solange du mich nicht D'vid nennst."
"Ich nenne dich nicht
einmal Fox," sagte sie und zog eine Augenbraue hoch. (Manchmal tust du es, dachte er, aber er
unterbrach sie nicht.) "Also, warum sollte ich dich David nennen? Aber wir
haben einen Deal. Kein David, keine Scholastica. Meine Lippen sind versiegelt.
Aber ich habe noch eine Frage."
"Hast du die nicht
immer?" fragte er lächelnd. "Also was ist es?"
"Was hast du zu Mrs.
Stouffer gesagt?" fragte sie. "Du sagtest, du kannst kein Hebräisch,
aber das hörte sich ganz sicher so an."
"Na ja, weißt du,
eine Redewendung oder zwei," erwiderte er plötzlich unbehaglich. "Das
ist ein traditioneller Gruß an die Trauernden, ein Beileidsgebet."
"Was bedeutet
es?"
"Es bedeutet: Möge
Gott dich trösten unter all den Trauernden von Zion und Jerusalem,"
erläuterte er. "Es ist ein altes Gebet."
"Älter als alle
Gebete, die ich kenne, kann ich mir vorstellen," sagte sie.
"Es ist schön."
Er zuckte nur mit den
Schultern. "Ich nehme es an."
"Und was hat sie zu dir
gesagt?"
"Sie sagte: gehe in
Frieden," erwiderte Mulder leise.
"Erzähl mir, wie du
das sagst," bat sie. "Ich möchte es lernen."
Er schüttelte den Kopf.
"Ein anderes Mal, Scully, okay? Jetzt muss ich eine Weile
nachdenken."
"In Ordnung,"
gab sie nach. "Ein anderes Mal."
Schweigend beendeten sie
die Fahrt.
Den Rest des Tages
verbrachten sie getrennt, Mulder vertiefte sich wieder einmal in seine
Fotografien und Fallgeschichten, erledigte Telefonanrufe und versuchte, ein
Bild des Mörders zusammenzubasteln, das passen würde.
Scully, die die Zustimmung
der Stouffer-Familie hatte, hatte die meiste Zeit des Tages im Gerichtsgebäude
von Mobile County verbracht, um einen Exhumierungsbeschluss für Stouffer zu
bekommen. Die Exhumierung würde in dieser Nacht erfolgen, kurz vor dem
Morgengrauen, so dass es nur wenig wenn überhaupt Zuschauer geben würde und sie
würde die Autopsie zusammen mit einem Medizinischen Sachverständigen von Mobile
County an ihrer Seite durchführen.
Das machte ihr nichts aus.
All die Medizinischen Sachverständigen hier waren voll ausgebildete Pathologen
und es würde in Ordnung sein, ob sie die Autopsie selbst mit deren Hilfe
durchführen würde oder ob sie darauf bestünden, sie selbst durchzuführen. Wie
auch immer, sie würde herausfinden, was sie wissen musste: ob die tödlichen
Anthraxbazillen kurz vor seiner Ermordung in den Körper von Jonathan Stouffer
gelangt waren.
Gegen acht Uhr abends
hatte Scully ihre Grenze erreicht. Es war an der Zeit, aufzuhören. Es gab immer
noch Arbeit, die zu erledigen war - die gab es immer - und sie konnte sich so
leicht davon übernehmen und dadurch von dem abhalten lassen, was sie tun
musste.
Und wenn sie es tat und
wenn Mulder heute Nacht seinen Mörder fand oder morgen früh, dann würde er fort
sein und sie würde morgen Abend zurück in ihrem Apartment sein, ihre Waffe in
der Hand halten und sich fragen, ob sie sie in den Mund stecken oder an ihre
Schläfe setzen sollte.
Nein. Das Biest war immer
noch da, in ihr drin, aber es gab einen Weg heraus und dieser Weg war im
Moment, allein in einem Schlackeblockraum zu sitzen und Fotos von vollkommener
Gewalt anzustarren.
Aber für sie, das wusste
sie, wurde er aufhören.
Sie holte ihr Handy heraus
und drückte die neu programmierte Schnellwahltaste für Mulders Handy. Nach acht
mal Klingeln wollte sie schon aufgeben, als er endlich antwortete.
"Mulder,"
meldete er sich.
"Mulder, ich bin
es," erwiderte sie. "Ich bin auf dem Weg zurück und ich habe mich
gefragt, ob du mir einen Gefallen tun könntest."
"Sicher, wenn ich
kann," antwortete er. "Was ist es?"
"Würdest du dich von
mir zum Essen einladen lassen?"
Es folgte eine lange
Pause. "Ja, ich denke schon," sagte er vorsichtig.
"Ich wollte ein
bisschen länger arbeiten..."
"Du wolltest sehr
viel länger arbeiten," korrigierte sie ihn. "Aber es würde mir eine
Menge bedeuten, wenn du mir Gesellschaft leisten würdest."
Sie hörte, wie er langsam
ausatmete. "Okay," sagte er schließlich. "Du hast meinen Wagen,
also nehme ich an... ich sehe dich hier in ein paar Minuten."
"Ich bin gleich
da." Damit legte sie auf.
Das Pembroke Inn
Freitag, 5. März
12:07 a.m.
Das Essen war sehr gut
verlaufen, was sie beide angenehm überrascht hatte. Sie hatten in einem Fischrestaurant hinter
dem Hotel gegessen, das mit frischen Schrimps, Krabben und Austern aus dem Golf
von Mexiko warb - und auch anbot. Sie hatten sogar eine Flasche Wein getrunken,
was selten bei ihnen war, aber irgendwie an diesem Abend vollkommen angemessen
schien.
An irgendeinem Punkt war
Mulder still geworden und hatte so intensiv auf seinen Teller gestarrt, dass
Scully ihn gefragt hatte, was los sei.
"Ich habe nur
nachgedacht," sagte er. "Wenn ich eine religiöse Ausbildung gehabt
hätte, hätte ich niemals Fisch gegessen. Ist nicht koscher. Weißt du, auf diese
Weise hätte ich in Vineyard lebend verhungern können."
"Werde
katholisch," empfahl sie. "Hummer ist koscher in der
Fastenzeit."
Und sie hatten gelacht.
Sie hatten eine Menge gelacht und Scully hatte gespürt, wie ihr das Herz leicht
wurde, zum ersten Mal seit... Jahren, ja wirklich. Die Wolke, die über ihr
hing, die Sache, von der Mulder wollte, dass sie sich daran erinnerte, konnte
sie jetzt nicht berühren, nicht in diesem Moment. Die einfache Freude seiner
Anwesenheit füllte sie aus, Leib und Seele, und es gab keinen Platz für den
Terror der Nacht.
Aber dann war das Essen
vorbei gewesen und Mulder hatte sie in ihr Zimmer gebracht und war ohne Protest
mit hinein gekommen.
Er wusste, dass
irgendetwas mit ihr los war. Er wusste es immer.
Mulder saß im Sessel und
blickte über die Bucht. Sie setzte sich auf die Sessellehne neben ihn und
wieder einmal schlang er seinen Arm um ihre Taille. "Du liebst das Wasser,
nicht wahr?" fragte sie leise.
"Nicht so wie
du," antwortete er, immer noch hinausblickend. "Es scheint einfach
ein Teil des Hintergrundes zu sein, als wenn jeder Ort auf der Welt am Wasser
sein sollte." Er blickte zu ihr auf und lächelte sanft. "Manchmal, wenn du und ich unterwegs
waren, ganz tief im Innern des Landes, Nebraska oder so, erwischte ich mich
dabei, wie ich so dahin fuhr und dachte, dass wir nahe am Wasser sein müssten,
dass wir es bald sehen sollten."
"Das kommt vom Leben
auf einer Insel, die weniger als 50 Meilen Länge hat," meinte sie.
"Weniger als
25," korrigierte er sie. "Und nicht einmal fünf Meilen an seiner
breitesten Stelle. Ein kleiner Ort. Aber ein großartiger Platz, um aufzuwachsen..."
Seine Stimme verlor sich. Sie wusste, warum.
"Samantha ist
irgendwo aufgewachsen, Mulder," sagte sie und streichelte ihm sanft übers
Haar. "Sie ist da draußen. Vielleicht hast du sie wirklich gesehen."
"Ich weiß
nicht," erwiderte er mit dem tiefen Schmerz in seinen Augen, den sie so
gut kannte. "Vielleicht werde ich es nie wissen. Mit dem bisschen, was ich
in der letzten Zeit getan habe, um sie zu finden, habe ich es nicht verdient,
es zu wissen."
"Doch, das hast
du," sagte sie. Sie beugte sich herab und küßte ihn zärtlich. "Und du
wirst es wissen, eines Tages. Es wird nicht immer so sein."
"Ich werde weiter
daran glauben," antwortete er und umarmte sie ein wenig fester. Lange Zeit
saßen sie so, blickten schweigend auf das Wasser und fühlten sich beieinander
wohl in einer Art, wie sie es seit Dezember nicht mehr getan hatten.
Schließlich drehte sich Mulder zu ihr um. "Okay Scully, gib es auf,"
sagte er, aber seine Stimme war weich. "Du hast mich aus einem bestimmten
Grund zum Essen gebeten und ich bin auch aus einem bestimmten Grund hier, denke
ich."
"Natürlich,"
erwiderte sie und fuhr ihm durchs Haar. "Du bist hier, weil ich dich hier
haben möchte."
"Danke, aber ich war
auf etwas mehr zielorientiertes aus," meinte er und umschlang ihre Taille.
"Komm schon, du weißt, dass ich es aus dir herausprügeln werde, wenn ich
es muss."
"Ich würde es nicht
versuchen, wenn ich du wäre, Mulder," sagte sie neckend. "Ich könnte
dir ganz schön schwer zu schaffen machen, wenn ich es müsste. Vielleicht würde
ich sogar wieder auf dich schießen."
"Oh, Sie jagen mir
Angst ein, Agent Scully," erwiderte er, dann wurde er wieder ernst.
"Ich meine es ernst, Scully: spuck es aus. Keinen Mist mehr. Du hältst mit irgendetwas hinter dem
Berg." Er hielt inne, um ihr Zeit zum Antworten zu geben, aber sie tat es
nicht.
"Scully," sagte
er, etwas leiser. "Ist es das, worüber wir letzte Nacht geredet
haben?"
Sie nickte.
"Möchtest du noch
mehr darüber reden?"
"Nein." Wieder
schwieg sie. "Ich meine, ja, ich... ich denke, ich muss es.
Aber ich habe Angst,
Mulder."
"Ich weiß." Er
streichelte ihren Rücken, langsam und beruhigend. "Und du weißt, dass du
nicht darüber reden musst, wenn du nicht wirklich dazu bereit bist. Wie du
schon vorher bemerkt hast, ich bin dein Partner und nicht dein
Psychologe."
"Aber ich muss
es," sagte sie und sah zu ihm herab. ""Ich weiß das. Ich weiß,
da ist irgendetwas und ich fange an zu glauben, dass ich weiß, was es ist."
Sie schauderte. "Wenn ich Recht habe... nun, dann wird es eine der schlimmsten
Nächte meines Lebens."
"Das könnte
sein," erwiderte er sanft. "Deshalb sage ich dir - du musst es nicht
tun."
"Doch, ich
muss," meinte sie. Langsam ließ sie sich in seinen Schoß gleiten. "Du
musst zwei Dinge für mich tun, Mulder."
"Okay,"
antwortete er. "Was ist das erste?"
"Küss mich
hart," flüsterte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals.
"Das kann ich
tun," sagte er in einer tiefen Stimme. Er legte einen Arm um ihre
Schulter, ließ den anderen um ihre Taille liegen und zog sie fester an sich,
seine Lippen trafen ihre zu einem heftigen Kuss.
Dana öffnete ihren Mund
für ihn und fühlte, wie seine Zunge in ihren Mund glitt und jeden Zentimeter
von ihr auskostete. Es war intensiv und einladend und für einen Moment gab sie
sich dem Gedanken hin, wie wundervoll es sein würde, es einfach so weiterlaufen
zu lassen, ihr und sein Verlangen wachsen zu lassen, bis sie alle Vorsicht
verloren und zusammen auf das Bett fielen...
Aber das würde nicht gehen
und sie wusste es. Nichts hatte sich wirklich geändert, noch nicht; wenn sie
die Dinge weitergehen ließ, würden sie wahrscheinlich genauso schlimm enden wie
zwei Nächte zuvor und das würde sie zerstören. Widerwillig brach sie den Kuss
ab, lehnte ihre Stirn gegen seine und gab ihnen beiden Zeit, ihren Atem wieder
zu beruhigen.
"Was ist das
zweite?" murmelte er und drückte seine Lippen in ihr Haar.
Scully schloss ihre Augen
und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. "Bevor ich es dir sage, möchte
ich, dass du weißt..." begann sie, dann schnürte die Furcht ihr die Worte
ab. Mulder sagte nichts, hielt sie einfach nur fest und ließ sie die Worte auf
ihre eigene Weise finden.
Sie konnte nicht reden,
nach all dieser Vorbereitung und dem Forschen in ihrer Seele konnte sie den
Mund nicht auftun, konnte sie die Worte nicht herausbringen.
Ohne Vorwarnung brach sie
in Tränen aus, barg ihr Gesicht an seiner Schulter und weinte laut schluchzend,
ihre Hände krallten sich so fest in sein Hemd, dass es aussah, als würde es
zerreißen. Er hielt sie fest und wartete, dass der Sturm nachließ.
"Es tut mir
leid," sagte sie, als sie sich endlich ein wenig beruhigt hatte, aber ihr
Atem stockte ihr immer noch in der Kehle. "Ich will mit dir reden. Ich
meinte es, deshalb habe ich dich zum Essen eingeladen."
"Ich gehe nirgendwo
hin," erwiderte er ruhig. "Lass dir Zeit. Ich verstehe das."
"Niemand versteht
das," flüsterte Scully.
"Das ist nicht
wahr," entgegnete er.
"Doch, das ist
es," beharrte sie. "Niemand. Nicht einmal meine Mom."
"Erzähl mir, was
geschehen ist," forderte er sie auf. "Sieh, ob ich es nicht verstehe.
In Ordnung?"
"Aber ich weiß nicht
wirklich, was passiert ist," sagte sie schniefend. "Ich erinnere mich nur an jene Nacht,
als wir zuletzt hier waren, ich war verletzt und dachte, ich würde sterben.
Nacht für Nacht träume ich davon. Ich
kann sogar den Schmutz unter dem Haus riechen, ich wache schreiend auf und
meine Hände schmerzen. Ich möchte so gern eine einzige Nacht schlafen, ohne
mich zu erinnern."
"Ich bin sicher, das
wirst du," erwiderte er und umarmte sie fester. "Es ist schlimm,
nicht schlafen zu können."
Scully presste ihr Gesicht
enger an ihn. "Mulder," sagte sie in einem beschämten Flüstern.
"Ich habe Angst. Ich habe jeden Tag jede Minute Angst. Ich wache nachts auf und denke, ich höre
jemanden einbrechen. Ich habe angefangen, mit meiner Waffe zu schlafen. Ich
gehe nirgendwo mehr hin, wo ich sie vielleicht ablegen muss, keine Gefängnisse,
keine Gerichtssäle, wenn ich es vermeiden kann. Ich habe Angst, ohne sie zu
sein. Und ich habe noch mehr Angst..." Da hielt sie inne und schnitt sich
selbst das Wort mittendrin ab.
"Angst, sie um dich
zu haben?" fragte Mulder sehr sanft. "Angst, dass du sie vielleicht
benutzt?"
Sie nickte und sah ihn
nicht an.
"Scully, sieh mich
an," bat er. Er legte zwei Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an.
"Ich weiß, was du durchmachst. Ich war auch schon soweit, hab meine Waffe
in der Hand gehabt und versucht, den Mut aufzubringen, sie mir in den Mund zu
stecken und abzudrücken. Das ist ein schlechter Ort, um dort zu sein, der
schlimmste, den es gibt, und du wirst heute Nacht nicht dort hingehen."
"Du warst niemals
so," entgegnete sie kopfschüttelnd. "Niemals. Du warst immer in der
Lage, alles zusammenzuhalten und weiterzumachen. Nicht so wie das."
"Ich wünschte, das
wäre wahr," sagte er und er lächelte, ein Lächeln, gleichzeitig so
liebenswert und so traurig, dass es an Scullys Herz riss, obwohl sie nicht
verstehen konnte warum. "Was meinst du damit?" fragte sie sanft.
"Ich habe dir gesagt,
ich war auch schon da," antwortete er leise. "Ich war genau da, wo du
jetzt bist. Ich kann dir genau sagen, was du jetzt durchmachst: die Alpträume, die
emotionale Taubheit, das Gefühl, unzulänglich zu arbeiten, sich selbst
anzuzweifeln, von Fehlern besessen zu sein, beim geringsten Anlass
zusammenzufahren... soll ich weitermachen?"
"Nein,"
erwiderte sie und er konnte die Tränen hören, die durchzubrechen drohten.
"Nein Mulder, das ist genug."
Einen Moment hielt er sie
fester. "Ich werde nichts weiter sagen, wenn du es nicht willst,"
sagte er. "Aber manchmal hilft es einfach nur zu wissen, was es ist, dass
du nicht die einzige bist und dass du etwas dagegen tun kannst. Es gibt einen
Namen dafür, das weißt du."
"Ich denke, ich weiß,
was es ist," flüsterte sie. "Oder jedenfalls, was du denkst, was es
ist."
"Und du willst mir
sagen, dass es eine medizinische Diagnose ist, für die ich nicht qualifiziert
bin, um sie zu stellen," meinte er, sie zärtlich neckend. "Ich weiß,
wie das geht."
"Du bist nicht der
Doktor," sagte sie, sah ihn an und versuchte, zu lächeln. "Ich kann
dich nicht in meinem Revier wildern lassen."
"Warum sagst du mir
dann nicht, was du glaubst, was es ist?" fragte er und seine Finger
strichen zärtlich durch ihr Haar. "Auf diese Art wird es offiziell."
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich kann nicht. Ich will nicht, dass bei mir eine... Geisteskrankheit
diagnostiziert wird. Nicht einmal durch mich selbst."
"Ich würde mehr dazu
neigen, es eine extreme emotionale Reaktion zu nennen.," sagte Mulder
weich. "Es ist keine angeborene geistige Krankheit, Dana; du reagierst nur
auf aufgebauten Stress, von dem du nicht weißt, wie du damit umgehen
sollst."
"Und Erinnerungen, an
die ich mich nicht erinnern will," fügte sie mit einem Schaudern hinzu.
"Ja. Aber du
erinnerst dich, nicht wahr." Das war keine Frage.
Dana nickte. "Das tue
ich. Und ich weiß, was mit mir los ist."
"Erzähl mir, was du
glaubst," bat er und umfasste sie fester, um ihr Mut zu machen.
Es folgte ein langes
Schweigen; Mulder spürte, wie sich ihre Hände an ihn klammerten und er fühlte
die warme Nässe ihrer Tränen, die in sein Hemd drang. Er wollte irgendetwas
sagen, um sie zu ermutigen, aber im Augenblick fiel ihm überhaupt nichts ein
und so hielt er sie einfach nur fest.
Dann hörte er Scully
irgendetwas sagen, aber so leise, dass er sie nicht verstehen konnte. "Was
hast du gerade gesagt, Scully?" fragte er.
"Ich sagte, es ist
posttraumatisches Stresssyndrom," wiederholte sie, kaum mehr als ein
Flüstern. Sie blickte zu ihm auf und er sah, dass sie wieder weinte. "Das
ist es, nicht wahr?"
"Ja, ich glaube, das
ist es," bestätigte er sanft. "Du scheinst alle wichtigen Symptome zu
haben: Alpträume, Flashbacks, Umgehungsverhalten - und Wut. Aber es ist nichts,
weswegen du dich schämen musst, Scully; PTS ist eine Berufskrankheit bei den
Gesetzeshütern."
"Mulder, ich weiß
das," entgegnete sie und wischte sich die Tränen fort.
"Ich meine,
intellektuell weiß ich das. Aber..."
"Das weiß ich
auch," sagte er sehr leise. "Und nicht nur intellektuell.
Aber ich denke, du
wusstest das vielleicht schon."
Scully sagte nichts.
"Scully," meinte
er leise. "Du musst es gewusst haben."
"Nicht mit
Bestimmtheit," flüsterte sie.
"Vielleicht wolltest
du es nur nicht wissen, weder von dir noch von mir," sagte er, aber da war
keine Anklage in seiner Stimme, nur Mitleid. "Ich kann dir das nicht
vorwerfen, nicht wenn du so deswegen empfindest."
"Nein, das ist es
nicht," hielt sie ihm hartnäckig entgegen. "Bitte glaub mir. Ich habe
es gesehen. Ich bin kein Psychiater, Mulder, aber wir haben so viel Zeit
miteinander verbracht, dass es nicht schwer war zu sehen, dass irgendetwas
nicht stimmte."
"Und du warst dir
nicht sicher, ob du damit umgehen wolltest," sagte er.
"Wie ich schon sagte,
ich werfe dir das nicht vor."
"Nein, Mulder,"
erwiderte sie und schüttelte heftig den Kopf. "Das war nicht der wahre
Grund. Du warst immer so stark, immer da für mich, immer in der Lage
weiterzumachen, sogar wenn du innerlich verblutetest, so dass ich entschied,
dass ich unrecht hatte, dass ich es missverstand."
"Jeder kann eine
Weile weitermachen, Scully," meinte er. "Aber zur Genesung gehört
mehr, als nur durch den Tag zu kommen."
"Als da wäre..."
"Es verschinden
lassen. Aber du musst zuerst verstehen, woher das alles kommt, bevor du das tun
kannst," erklärte Mulder und strich ihr das Haar aus ihrem
tränenüberströmten Gesicht. "Ich habe viel Zeit gebraucht, um das zu tun.
Ich arbeite immer noch daran."
"Aber du wusstest,
woher es kam," sagte sie. "Samantha."
"Nicht nur,"
erwiderte er. Seine Stimme war gleichbleibend, aber sie hörte eine Spur von
Anspannung, von Scham, die sie zuvor nicht bei ihm gehört hatte.
"Ist da noch etwas
anderes, Mulder?" fragte sie.
Er nickte. "Ja, da
ist noch etwas."
"Aber du kannst es
nicht sagen?"
Er lachte humorlos.
"Ich weiß nicht, ich habe es nie versucht."
"Du hast es nie
jemandem erzählt? Nicht einmal mir?"
Mulder schüttelte den
Kopf. "Niemandem."
Einen Moment lang dachte
sie nach und erinnerte sich an alles, was sie über Mulder wusste, was ihn über
die Jahre vorangetrieben hatte. Der Verlust von Samantha , der so weit, so
mächtig und alles verschlingend war, dass er ihn blind für alles andere zu
machen schien... Nein. Das war nicht richtig. Er wollte die Wahrheit über
alles, nicht nur über Samantha. Er wollte sie so sehr, dass er einen
Quacksalber Löcher in seinen Schädel bohren und sich von ihm in einer
ungeprüften, unbewiesenen Therapie zum Zurückholen von Erinnerungen gefährliche
Medikamente verabreichen ließ. Es hatte funktioniert, bis zu einem gewissen
Grad, es hatte Erinnerungen in ihm geweckt, die ihn nicht trösteten, sondern
nur quälten.
Nach dieser ‚Therapie' war
er zu seiner Mutter gegangen und hatte sie angefleht, ihm zu sagen, was die
Wahrheit war und was nicht. Hatten sie wirklich ihn gewollt und nicht Samantha?
Hatte sie seinen Vater betrogen mit... dem Raucher?
Das nächste Mal, als
Scully ihn gesehen hatte, war er halb wahnsinnig gewesen, mit einer Waffe in
der Hand und einem Bluterguss in Gesicht in der Form der Hand seiner Mutter.
Und während sie sich erinnerte, wusste sie, was er ihr nicht erzählt hatte.
"Sie hat dich
misshandelt," flüsterte sie. "Deine eigene Mutter."
Das traf ihn schwer,
obwohl sie wusste, dass er es erwartet hatte. Seine Augen schlossen sich rasch
und er wich zurück wie von einem Schlag und wandte sein Gesicht ab. Langsam und
behutsam setzte sie sich auf und legte ihre Arme um ihn und fühlte seine Arme,
die sich um sie legten, als sie Trost suchten und ihn gleichzeitig gaben.
"Ich habe es nie
jemandem erzählt," sagte er schließlich mit einem zittrigen Lachen.
"Ich bin immer noch nicht sicher, dass ich es kann. Sprich von nicht verarbeiteten
Erlebnissen..."
"Dann hatte ich
Recht, oder?" fragte sie und streichelte mit einer Hand vorsichtig und
liebevoll seinen Rücken. "Du warst ein geprügeltes Kind."
Er nickte - kaum merklich.
"Woher wusstest du
es?" fragte er und sie konnte die Schuld und die Scham in seiner Stimme
hören; der Klang des Misshandlungsopfers, das niemals wirklich glauben kann,
die Misshandlung wäre nicht irgendwie verdient. Mrs. Mulder, dachte sie, ich würde Sie gern auf
der Stelle umbringen, wenn es nicht die Hoffnung gäbe, die er hat, dass sie ihn
eines Tages lieben werden.
"Man sieht es
nicht," erwiderte sie. "Ich glaube nicht, dass es irgendjemand
vermuten würde, es sei denn er würde dich so gut kennen wie ich."
"Das tut
niemand," sagte er und umarmte sie fester. "Du bist meine eine unter
fünf Milliarden, Scully."
"Das sagtest du
mir," entgegnete sie und streckte ihre Hand aus, um ihm die Haare, die ihm
über die Augen fielen, fortzuschieben. "Und ich glaube es dir. Aber ich
habe schon seit langer Zeit gewusst, dass du leidest; ich kannte nur nicht alle
Gründe dafür."
"Genauso wie ich
weiß, dass du leidest und ich bin nicht ganz sicher, warum," sagte er.
"Scully, ich will nicht, dass diese Dinge länger zwischen uns stehen. Ich
kann so nicht arbeiten. Ich glaube nicht einmal, dass ich damit leben
kann."
"Ich will nicht, dass
irgendetwas zwischen uns steht, Mulder," antwortete sie. "Aber wenn
das zu schwer für dich ist..."
Er schüttelte den Kopf.
"Nicht schwerer als für dich." Einen Moment umarmte er sie noch ein
bisschen fester, dann seufzte er. "Vielleicht ist es Zeit. Und vielleicht, wenn ich es tun kann, dann
kannst du es auch.
Mulder erzählte es
stockend, jedes Wort kostete ihn deutlich große Qualen. Aber er hielt sich an ihr fest, während er
erzählte und stärkte sich selbst und sie mit seinen starken Armen.
Das wichtigste ist, sagte
er, dass es nicht an dem Tag begann, an dem Samantha verschwand. Jahrelang
hatte es Auseinandersetzungen und explosive emotionale Szenen zwischen seinem
Vater und seiner Mutter und einem Mann, den er nicht kannte, der aber immer
nach Zigarettenrauch roch, gegeben.
Er hatte vage Erinnerungen
an diesen Mann, der ihn angeschrieen und fortgescheucht hatte, an seinen Vater,
der seine Mutter schlug, an sich selbst und an Samantha, wie sie sich
verkrochen, um sich hinter verschlossenen Türen zu verbergen und ihre Qualen zu
teilen und sich gegenseitig Trost zuzuflüstern.
Der Tag, an dem Samantha
entführt wurde - der 27. November 1973, dieses Datum war für immer in seine
Erinnerung gebrannt - war der Tag, an dem es begann, entsetzlich zu werden.
Er war dabei gewesen, als
sie entführt wurde, aber er war erstarrt, unfähig zu handeln. Er hatte
versucht, den Revolver seines Vaters zu erreichen, ihn aber auf den Boden
geworfen und die Munition überall verteilt. Er erstarrte. Er konnte ihr nicht
helfen. Sie war fort.
Fox Mulder hatte an diesem
Tag mehr als seine Schwester verloren. Er hatte den einzigen Menschen verloren,
der ihn je verstanden oder zu ihm aufgeschaut oder das Leben überhaupt mit ihn
geteilt hatte. Schlimmer noch, er verlor seine Kindheit und die Liebe seiner
Eltern - vor allem die seiner Mutter, die ihn irgendwie dafür verantwortlich
machte. Manchmal schweigend, manchmal laut, aber immer, mit jedem Blick, jeder
Linie ihres Körpers machte sie ihm sein Versagen deutlich.
Du hast sie Samantha
entführen lassen. Du solltest sie beschützen. Du hast sie sie entführen lassen.
Nichts was er tat, war
jemals gut genug für seine Mutter nach all dem. Was immer er falsch machte,
Samantha hätte es richtig gemacht. Sie wäre niemals so undankbar, so faul, so
dumm und so plump gewesen, wie er es war.
Seine Zensuren rutschten
von ihren gewöhnlich Achtung gebietenden Höhen auf das ‚Gentlemen's C'-Niveau
und er begann, sich im Klassenraum daneben zu benehmen und wurde der Clown der
Grundschule von Chilmark. Das brachte ihm eine scharfe Rüge seiner Mutter ein.
"Samantha hatte nie in ihrem Leben weniger als ein A, und so jung wie sie
war, sie wusste sich zu benehmen," erklärte ihm seine Mutter kalt.
"Wenn ich schon eines meiner Kinder verlieren musste, dann ist es eine
Schande, dass es das sein musste, das mich niemals enttäuscht hat."
Das tat weh, aber Fox
stritt sich nicht. Seine Mutter hatte Recht: es war seine Schuld. Er drehte
sich um, überwältigt von Scham, und ging in sein Zimmer, wo er die nächsten
drei Stunden weinend zusammengesunken in der Ecke seiner Toilette verbrachte
und sich bemühte, kein Geräusch zu machen, so dass niemand ihn hören konnte.
Sein Vater tat nichts,
versank nur tiefer in seinen Schnapsflaschen und versteckte sich vor der Agonie
seines Sohnes und der Kälte und dem Tadel seiner Frau. Die Mulder-Familie lebte
in fast vollkommenem Schweigen; Tage, sogar Wochen vergingen, in denen weder
der Vater noch die Mutter mit dem Jungen sprachen oder antworteten, wenn er
redete.
Einmal, durch das
Schweigen seiner Mutter zur Verzweiflung getrieben, war Fox auf die Knie
gefallen und hatte sie laut schluchzend angefleht, etwas zu sagen, irgendetwas.
Sie hatte ihn mit purer Missachtung angesehen.
"Sissy," sagte sie und ging davon.
Das war alles. Ihn direkt
zu töten, wäre vergleichsweise barmherzig gewesen.
Als seine Zensuren bis zum
D fielen, wurden aus den Worten Schläge, aber der Junge hieß die physische
Misshandlung beinahe willkommen als Erlösung von dem weitaus tödlicheren
Schmerz, ignoriert und ungeliebt zu sein.
Er war allein gewesen,
unfähig zu vertrauen, unfähig die Dämonen zurückzukämpfen, die ihn
beherrschten, konnte nirgendwo hingehen, niemandem trauen, eingehüllt von der
Wut, am Schlaf gehindert durch ununterbrochene Alpträume. Er wollte sie
zurückschlagen, sie dafür bestrafen, dass sie ihn dazu brachte, wie ein Baby zu
schreien und dann hasste er sich selbst dafür, auch nur daran gedacht zu haben,
seine eigene Mutter zu schlagen.
Aber da war niemand, dem
er es erzählen konnte.
Sein Vater verschwand und
die physische Bestrafung ließ ein wenig nach, der Gürtel war in den Schrank
gehängt worden, eine ständige Bedrohung, aber selten benutzt. Er hatte immer
noch die schmerzenden Schläge ins Gesicht zu fürchten, die ohne große
Vorwarnung kommen konnten und ihm wenig sagten, wogegen er verstoßen hatte, und
wie immer die endlose Kälte und den schweigenden Tadel.
Sie erlaubte ihm niemals,
von seinem Vater oder seiner Schwester zu sprechen. Manche Dinge, sagte sie
ihm, vergaß man besser. Er nahm den Rat seiner Mutter an: er vergaß, so gut er
konnte, alle Ereignisse, die seine Familie zerstört und ihm seine Kindheit
geraubt hatten. Im folgenden September, einen Monat vor seinem 13. Geburtstag
schickte sie ihn fort auf die St. Albans Akademie auf dem Festland. Es war eine
Flucht, es war auch ein Exil und vollkommene Ablehnung.
Verzweifelt darum bemüht,
ihre Zustimmung zu gewinnen, strengte er sich in der Schule an, trieb sich
selbst an, immer mehr und mehr zu erreichen, in der Klasse, auf dem Spielfeld.
Jede Zensur unterhalb von A+ brachte ihn fast zum Selbstmord. Er wartete auf
den Tag, an dem sie sehen würde, was er getan hatte, an dem sie erkennen würde,
dass er es wirklich verdiente, zu leben - auch wenn es seine Schwester nicht
hatte.
Es bedeutete gar nichts.
Die perfekten Zeugnisse, die Sporttrophäen, sogar das mögliche
Rhodos-Stipendium wurden zurückgewiesen als ‚nichts weiter, als du hättest tun
sollen'. Es war ihm nicht erlaubt, seine Leistungen gegenüber irgendjemandem
auch nur zu erwähnen; das, so erklärte sie ihm, war ‚angeben mit sich selbst'
und das war unschicklich.
Mit der Zeit wurde Fox
Mulder erwachsen, aber innerlich blieb er der Junge, der er gewesen war, ein
ständiger Gefangener des Schweigens seiner Mutter.
Später, in der Therapie,
begann er sich zu erinnern an all das, was an dem Tag passiert war, als
Samantha entführt wurde. Sie zu finden wurde sein Lebensziel, und er verfolgte
es hart mit nichts als seinen fragmentarischen Erinnerungen, um ihn zu leiten.
Er erzählte Samanthas Geschichte einer Menge von Leuten, sowohl Gläubigen als
auch Skeptikern.
Aber die Geschichte seines
Lebens ohne sie, die erzählte er niemandem.
"Nicht bis jetzt,
jedenfalls," meinte er, als er fertig war.
Scully sagte nichts.
Was hast du erwartet?
fragte er sich. Applaus?
Dann fühlte er, wie sich
ihre schlanken Arme fester um ihn schlangen und zu seinem Erstaunen begann sie,
zu weinen. Sie weinte bis es schien, dass da keine Tränen mehr sein konnten und
doch waren da immer noch welche und sie weinte weiter, wie es schien für immer.
Sie zitterte und
schauderte und er erhob sich und führte sie zum Bett und deckte sie mit der
Decke zu, wie er es in dieser lang zurückliegenden Nacht getan hatte, aber
diesmal legte er sich neben sie. Er hielt sie zärtlich fest, fest genug, um sie
zu trösten und lose genug, damit sie sich nicht gefangen fühlte.
Schließlich wurde sie
still und sie lag mit dem Kopf auf seiner Brust und lauschte seinem Herzschlag,
ließ sich von dem Rhythmus beruhigen und sie von der Welt fort an einen Ort
tragen, an dem niemand lebte oder sich bewegte, als er und sie und sie waren
genug.
Es konnten Stunden gewesen
sein oder einfach nur Minuten, bevor sie sich wieder rührte. Sie legte ihre
Hände zärtlich auf seine Oberarme, beugte sich über ihn und küßte ihn, ein
keuscher Kuss voller Liebe und Dankbarkeit, ohne Leidenschaft. Er erwiderte den
Kuss in derselben Weise, mit ein wenig Druck hielt er seine Lippen an ihre
gedrückt, zu ihrem und zu seinem Trost.
Nach einem langen Moment
beendeten sie den Kuss und er lehnte seine Stirn gegen ihre.
"Es tut mir so leid,
dass dir das passiert ist," flüsterte sie. "Ich kann nicht glauben,
dass du das die ganze Zeit für dich behalten hast."
"Es für sich zu
behalten, war vielleicht nicht die beste Idee," stimmte er zu. "Aber
es ist nicht leicht, es zuzugeben."
"Du hast es vorher
nie jemandem erzählt?"
Er schüttelte den Kopf.
"Nein. Nicht einmal meinem Therapeuten."
"Wie konntest du es
ihm verschweigen?" fragte sie. "Wie konnte er nicht erkennen, dass
irgendetwas nicht stimmte?"
"Er war an nichts
anderem als an Samanthas Entführung interessiert," erklärte er. "Als
er das einmal von mir erfahren hatte, forschte er nicht weiter. Und ich bot
mich ihm nicht an."
"Aber er
diagnostizierte PTS," stellte sie fest.
"Ja. Keine schwierige
Diagnose, genaugenommen," meinte er mit einem Hauch von Lächeln auf den
Lippen.
"Nein,"
erwiderte sie. "Überhaupt nicht schwierig." Sie schluckte schwer.
"Für dich... oder für
mich."
"Es ist jetzt besser,
obwohl es nie wirklich vorbei war," sagte er. "Aber Scully, du hast
noch nicht einmal damit begonnen, dich damit zu beschäftigen. Du bist jetzt im
schlimmsten Stadium."
"Halt mich einen
Moment," flüsterte sie und er umarmte sie fester und spürte, wie sie ihr
Gesicht an seinen Hals kuschelte. Aus Gründen, von denen er glaubte, dass er
sie niemals verstehen würde, war das die Stelle, wo sie ihn immer berührte,
wenn sie Trost suchte. Nicht dass er etwas dagegen hätte - es fühlte sich gut
an, erotisch und beinahe väterlich zugleich.
Dennoch war sie
angespannt, ihre Nerven waren zum Zerreisen gespannt und einen Moment wollte
er, dass sie aufhörte, wollte er ihr sagen, dass er sich geirrt hatte, dass es
nichts zu erinnern gab, dass da nichts lauerte, um ihr den Verstand zu
rauben... aber es wäre eine Lüge und sie würde es wissen. Er konnte ihr das
nicht antun. Er würde Wort halten, egal was passierte. Sie würden beide
darunter leiden, aber er würde ihr Vertrauen nicht enttäuschen, nicht noch
einmal.
Er war so tief in seine
eigenen Gedanken versunken, dass er zusammenzuckte, als sie schließlich wieder
sprach. "Mulder," flüsterte sie. "Ich weiß, was es dich gekostet
hat, mir das zu erzählen, was du gerade getan hast und ich weiß, dass du es
getan hast, um mir den Mut zu geben, mich meinen eigenen Alpträumen zu stellen.
Und ich bin dir mehr dankbar, als ich sagen kann." Sie schwieg, aber er
spürte, dass sie noch nicht fertig war.
Im nächsten Moment sprach
sie wieder, flüsternd, so dass er sie kaum hören konnte. "Jetzt," so
sagte sie, "zu der zweiten Sache, von der ich sagte, dass du sie für mich
tun musst. Du musst mir helfen, mich daran zu erinnern, was Alex Krycek mit mir
gemacht hat."
ACHTUNG! Dieser Teil ist
möglicherweise bestürzend durch die implizierte sexuelle Gewalt. Handelt nach
eigenem Ermessen.
Sogar im Schlaf fällt
Schmerz, der nicht vergessen werden kann, Tropfen für Tropfen auf das Herz,
bis, zu unserer eigenen Verzweiflung, gegen unseren Willen die Einsicht kommt
durch die furchtbare Anmut Gottes.
Aischylos
Kapitel 14
Und von nun an, dachte
Mulder völlig ruhig, leben wir mit offenen Augen in einer Welt aus ‚Bevor es
passierte' und ‚Nachdem es passierte'. Und ich habe damit so lange gelebt, mit
dem Tod einer Liebe und dem Verlust von allem, von dem ich so lange geträumt
hatte, alles verwickelt mit dem Verlust eines kleinen Mädchens, eines kleinen
Mädchens, das so endgültig und für immer verschwand.
Es lag kein Schmerz in der
Erkenntnis, nur das fürchterliche, trostlose Gefühl des Versagens, mit dem er
so lange gelebt hatte.
Wenigstens ist es
vertraut, dachte er, ich kann damit umgehen. Aber dann explodierte die ganze
Brutalität dessen, was sie gesagt hatte, in seinem Hirn, riss die schützende
Taubheit um seine Gefühle fort und er wusste, dass er nie einen Schmerz wie
diesen gefühlt hatte, niemals.
Seine Arme schlossen sich
ganz fest um sie und sie klammerte sich ebenso wild an ihn und sie wusste, dass
er nur noch eine Minute länger mit ihr in einer Welt brauchte, wo diese
schreckliche Wahrheit immer noch unerinnert war, wo sie nicht existierte, wo
nichts und niemand je einen von ihnen verletzt hatte.
Scully ließ ihn zuerst los,
umarmte ihn aber weiter leicht. Nach einem langen Moment lockerte er seinen
festen Griff und zwang sich, ruhig zu atmen, bis er ihr wieder in die Augen
sehen konnte.
Noch einmal atmete er tief
ein und dann nahm er zärtlich ihr Gesicht in seine Hände. "Wie möchtest du
es tun?" flüsterte er, seinen Mut zusammennehmend. "Möchtest du, dass
ich dir erzähle, was passiert ist?"
Scully biss sich auf die
Lippen, ihr Blick flatterte nervös umher wie der eines Vogels.
"Nein," erwiderte sie. "Obwohl es der leichtere Weg wäre, nehme
ich an, wenn du dich wirklich an alles erinnerst."
"Ich kann nicht
sicher sein, aber ich denke, ich tue es," meinte er und schloss die Augen.
"Ich glaube nur nicht, dass du es tust, jedenfalls nicht bis zu den
letzten Tagen."
"Ich erinnere mich
nicht an alles," erklärte sie und schauderte. "Etwas davon. Nichts
davon sehr deutlich. Aber ich muss - ich muss mich selbst an alles erinnern.
Ich brauche dich, um herauszufinden, welcher Teil real ist und welcher
nicht."
"In Ordnung,"
stimmte er nickend zu und küßte sie zärtlich. "Lass uns besser
aufstehen," sagte er und strich ihr mit der Hand übers Gesicht. "Dieses Bett ist vielleicht nicht der
beste Ort, um das zu machen."
"Hier möchte ich
sein," antwortete sie und legte ihre Hand über seine. "Ich mag es,
hier so mit dir zu liegen, Mulder. Ich möchte, dass du mich hältst."
"Es gibt nichts, was
ich lieber täte," meinte er. "Aber wenn du dich wirklich
erinnerst..."
"Das tue ich,"
unterbrach sie ihn. "Und es ist nicht wichtig. Nichts davon ist
wichtig." Dana hielt inne und sah die Zweifel in seinen Augen.
"Vertrau mir," bat sie leiser. "Bitte."
Noch immer zögerte er und
knabberte an seiner Unterlippe, aber schließlich nickte er widerwillig, zog sie
enger an sich und legte ihren Kopf unter sein Kinn. "Ich werde
improvisieren," sagte er entschuldigend. "Das ist... neu."
"Für uns beide,"
erwiderte sie mit einem zaghaften Lachen. "Ich weiß nicht einmal, wo ich
anfangen soll."
Einen Moment dachte er nach.
"Erzähl mir, woran du dich erinnerst..." Er stockte und sie umarmte
ihn fester in dem Versuch, ihm Unterstützung zu geben.
"Mach weiter,"
flüsterte sie.
Mulder nickte und atmete
rasselnd ein. "Erzähl mir, an was du dich über Krycek erinnerst - nachdem
er auf dich geschossen hat."
"Nachdem ich
aufgewacht bin?" fragte sie und zitterte trotz der Wärme seiner Umarmung.
"Ist es das, was du meinst?"
"Das meine ich,"
erwiderte Mulder. "Wo warst du, als du zu dir kamst?"
Scully dachte angestrengt
nach. Konzentrier dich, sagte sie sich und presste sich enger an ihn. Denk
nach. Du kannst nachdenken. Du kannst das tun. Da war ein Schuss und du hast
deine Waffe gesenkt und dann hat Mulder geschossen... irgendjemand hat mich
getreten... was war dann? Was... wo war ich als nächstes?
"In einem
Schlafzimmer," sagte sie erschrocken. "Wir lagen... auf einem Bett.
Wir beide. Und er war da."
Mulder nickte.
"Ja," bestätigte er sehr leise. "Du erinnerst dich. Wir lagen
dort, wir beide, und er war da..."
"Ich kann mich nicht
erinnern, wie wir dahin gekommen sind," sagte Scully kopfschüttelnd und
zog verärgert eine Augenbraue hoch. "Ich erinnere mich nicht...
irgendjemand hat uns getragen, oder wir lagen auf einer Trage... ich glaube, da war ein dunkler
Durchgang." Sie blickte zu Mulder auf. "War es so?"
"Ich weiß
nicht," antwortete er. "Das klingt richtig, aber ich erinnere mich
nicht an diesen Teil. Woran ich mich erinnere, ist aufzuwachen und Krycek zu
sehen..."
"Der über mir stand,"
sagte Scully und ein Schauer lief ihr über den Rücken. "Ich weiß. Aber ich
weiß nicht, was er vorher getan hat. Er hat irgendetwas gemacht, denn als ich
aufwachte, wusste ich es... aber ich begann zu vergessen, was es war, beinahe
sofort. Ich weiß... ich weiß, dass mir kalt und übel war."
"Ich weiß auch nicht,
was passiert ist," sagte Mulder leise. "Es tut mir leid, Scully. Ich
habe das deutliche Gefühl, dass wir vorher schon einmal wach waren, aber
darüber hinaus gibt es keine Möglichkeit, sicher zu sein."
"Was du damit
sagst," meinte sie in einem dumpfen Ton, "ist, dass wir beide Zeit
verloren haben. Wieder."
"Etwas Zeit,"
sagte Mulder und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. "Nicht viel."
"Mulder, ich will
nicht grob sein," entgegnete Scully ein wenig kurz angebunden. "Und
wenn ich es bin, dann verzeih mir bitte, aber wenn man dir Wochen deines Lebens
genommen hat, ist es schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, ruhig zu bleiben,
wenn es wieder passiert."
"Du hast Recht,"
stimmte er ihr sehr leise zu. Ich habe das außer Acht gelassen. Es ist nicht
neu für uns, nicht wahr?"
"Nein," sagte
sie und die Tränen drohten wiederzukommen. "Das ist es nicht. Und es macht mich verrückt." Scully
lachte humorlos. "Im wahrsten Sinne des Wortes, nehme ich an. Aber ich
weiß - und ich weiß nicht, woher ich es weiß, aber ich weiß es - das da etwas
war, etwas wichtiges, das vor der Zeit passierte, an die wir uns erinnern
können." Plötzlich zuckte sie zusammen, als hätte sie ein Elektroschock
durchzuckt. "Oh Gott," stöhnte sie elend auf. "Ich war nackt.
Krycek - irgendjemand - hat mir meine Sachen fortgenommen."
Mulder sagte nichts, er
sah nach unten, unwillig ihren Blick zu treffen.
"Mulder, bitte,"
flehte sie und begann wieder zu weinen. "Ich weiß, das ist schwer für
dich. Aber wenn du dich genauso daran erinnerst, dann musst du es mir
sagen."
"Das ist das, woran
ich mich erinnere," sagte er kaum hörbar. Langsam hob er seinen Blick
wieder zu ihrem. "Ich erinnere mich daran, dass sich Krycek über dich
beugte und du warst nackt und hast geschrieen..."
Geschrieen. Hab ich
geschrieen? dachte sie und wischte sich mit einer Hand die Tränen fort. Daran
erinnere ich mich nicht. Aber ich bezweifle es auch nicht. Sie kramte wieder in
ihrem Gedächtnis, in den dunklen Nebeln, die diese Zeit einhüllten, und
lauschte - lauschte auf die Stimmen, die sich durch ihre Alpträume woben nach
dieser grauenvollen Nacht.
Ahabs Stimme. Die Stimme
eines anderen - beinahe sicher die von Krycek.
Ihre eigene. Und Mulders.
Viele Male.
"Du hast auch
geschrieen," sagte sie leise. "Ich weiß, dass du es getan hast. Du
hast irgendetwas wie ‚lass sie in Ruhe' gesagt."
Mulder biss sich auf die
Lippe und nickte langsam." Ich habe geschrieen. Ich weiß nur nicht genau, was er getan hat,
jedenfalls nicht, als wir aufwachten. Danach... es ist noch nicht allzu
klar."
"Aber du hast eine
sehr gute Vorstellung davon," sagte Scully und neue Tränen liefen ihr über
die Wangen. "Du erinnerst dich genug..."
"Ich erinnere
mich..." begann Mulder, dann wandte er den Kopf ab. Er biss sich hart auf
die Lippe, dann schüttelte er heftig den Kopf. "Gott verdamme diesen
Bastard!"
"Mulder..." fing
Scully an, dann presste sie ihre Stirn an seine Brust und klammerte sich an
seine Oberarme. "Ich erinnere mich an seine Hände. Ich erinnere mich, dass
er mich angefasst hat... und da war noch jemand, die Hände von jemand anderem.
War da mehr als einer?"
"Ich weiß
nicht," sagte Mulder. "Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.
Nur... Krycek."
Viele Minuten - Scully
konnte nicht sagen wielange - lagen sie zitternd da, klammerten sich aneinander
und das Wort, das Mulder nicht sagen konnte, das sie nicht sagen konnte, hing
zwischen ihnen in der Luft wie eine Wolke Giftgas.
Scully konnte es nicht
aussprechen.
Aber sie musste es, oder
sie glaubte, nie wieder atmen zu können.
"Hilf mir,
Mulder," flüsterte sie und presste sich enger an ihn. "Du musst mir
helfen."
"Was soll ich
tun?" flüsterte er zurück. "Ich werde tun, was immer ich kann,
aber..."
Scully begann zu
antworten, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken und sie zitterte wieder
und kämpfte die plötzliche Übelkeit nieder, die sie überkam, als sie sich
erinnerte. Kryceks Hände... sie selbst, hilflos und entblößt daliegend...
Mulder, der kämpfte, um sich zu befreien, seine Handgelenke bluteten, als er
sich gegen die Handschellen stemmte.
Da war noch jemand
anderes, jemand... jemand nicht annähernd so fürchterlich, aber jemand, der
nicht helfen konnte. War es Mulder? War es das, woran sie sich erinnerte?
"Scully?" fragte
Mulder und sah den Kampf, den sie durchmachte. "Scully, sag mir, was du
möchtest."
Sie packte seine Arme noch
fester, so fest, dass Mulder sich ziemlich sicher war, dass er die Abdrücke
ihrer Fingernägel für Tage auf seinem Bizeps haben würde... aber er begrüßte
den Schmerz beinahe. Er war leichter zu ertragen, als der Schmerz, der als
nächstes kam.
Schließlich hob Scully
ihren Blick zu ihm und ihr Gesicht, obwohl blass und tränenüberströmt, war
entschlossen. Sie hatte ihren Mut wiedergefunden, den Mut, der sie so lange am
Leben erhalten hatte, den Mut, der sie beide immer tragen würde. Dessen war er
sich sicher.
Aber zuerst mussten sie
hier durch.
"Sag es,"
flüsterte sie. "Mulder, du musst es sagen, weil ich es nicht kann."
"Sagen, was ich
denke, was passiert ist?" fragte Mulder und spürte einen Kloß in seinem
Hals, so mächtig, dass er kaum die Worte herausbrachte. "Ist es das, was
du willst?"
"Sag es mir... sag
mir, was Krycek getan hat." Sie schloss bei den letzten Worten ihre Augen
und lag still da; wartete beinahe geduldig auf den nächsten grausamen Schmerz.
Du kannst ihr diesen
Schmerz nicht ersparen, sagte Mulder sich. Aber du kannst versuchen, dich ihrem
Mut anzupassen.
"Er hat dich
vergewaltigt," sagte Mulder tonlos. "Er tat es, weil du dich geweigert
hast, ihm zu sagen, wie wir diese Fabrik gefunden haben. Also habe ich es ihm
gesagt - und er tat es trotzdem."
Ein tiefes, wehklagendes
Stöhnen drang aus ihrer Kehle und sie brach zusammen, presste ihr Gesicht fest
in Mulder s Brust, als ihr Stöhnen in wortlose Schreie überging, die weiter und
weiter anhielten, bis sich ihre Kehle anfühlte, als würde sie brennen und sie
einfach nicht mehr schreien konnte. Erst dann brach sie in Tränen aus.
Und durch all das hindurch
hielt er sie, ohne sich zu rühren, ließ seinen Körper ihre Schreie schlucken,
von denen er wusste, dass sie, sogar in ihrer Verzweiflung, nicht wollte, dass
sie irgendjemand anderes hörte. Als das Schluchzen in Weinen überging und dann
in ein Schniefen, umarmte er sie fester. Sie streckte eine Hand aus, um sein
Gesicht zu berühren und fand es nass von seinen Tränen.
"Jetzt erinnere ich
mich," flüsterte sie. "Ich erinnere mich, was er getan hat. Er
sagte... er sagte, er würde dich umbringen, wenn ich irgendein Geräusch machen
würde, dass du sterben würdest, wenn ich nicht kooperiere. Er ließ mir die Wahl zwischen vergewaltigt
werden und dich für immer verlieren."
"Er ließ dich
wählen," sagte Mulder nickend mit rauer Stimme. "Aber er ließ mich es
auch mit ansehen."
Niemand wird uns trennen,
niemand zerstören
Den Knoten, der ein
Fleisch aus zweien macht,
Krank vor Hass, krank vor
Pein,
Strangulierend - wann
werden wir ermordet sein?
Wann werde ich tot sein
und befreit
Von dem, was mein Vater
falsch gemacht hat?
Wielange, wielange, bis
Spaten und Leichenwagen Zum Schlaf betten meiner Mutter Fluch?
‚Die Waliser Märsche'
A. E. Housman
Kapitel 15
Stunden waren vergangen.
Endlose Tränen, von beiden geweint. Lange Schweigepausen, um den Mut zu
sammeln, sich an mehr zu erinnern.
Und dann war alles heraus
und es blieb nichts mehr zu verbergen, nie mehr wieder.
"Es tut mir so leid,
Mulder," flüsterte sie. "So unendlich leid."
"Es gibt verdammt
noch mal gar nichts, was dir leid tun müsste," erwiderte er fest, dann
hielt er inne und schluckte schwer. "Ich würde alles auf der Welt geben,
wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte, dich nicht dazu gebracht hätte, in diese
verdammte Fabrik zu gehen oder wenn ich schon gehen musste, auf das erste, was
ich sich bewegen hörte, gefeuert hätte."
"Es hätte sich als
ein Hund entpuppen können oder als ein Kind," sagte Scully und wischte
zuerst ihre Tränen ab und dann seine. "Du hast getan, was von dir erwartet
wurde."
"Nein, das habe ich
nicht," verneinte er kopfschüttelnd. "Ich habe meinen Partner nicht
vor Schaden bewahrt. Aber Scully, ich hätte es können, ich hätte ihn gleich und
auf der Stelle erschießen sollen. Er wusste, wie schwer verletzt du warst, er
hatte bereits die Informationen, die er wollte und er hat dir das trotzdem
angetan."
"Er hat es auch dir
angetan," flüsterte sie. "Sag mir nicht, dass du dadurch nicht
traumatisiert wurdest, weil ich es besser weiß." Sie sah ihm wieder in die
Augen. "Mulder, hast du mich deswegen verlassen? Um den Erinnerungen zu
entgehen?"
"Nein." Wieder
schüttelte er den Kopf, entschiedener diesmal. "Niemals deswegen. Ich habe
dich nicht freiwillig verlassen, glaub mir. Es gab einen Grund, obwohl du dich
augenscheinlich nicht daran erinnerst."
"Sie erstarrte.
"Da ist noch mehr?"
"Nur noch eine Sache.
Soll ich sie dir erzählen?"
"Werde ich es
herausfinden, wenn du es nicht tust?"
"Vielleicht,"
erwiderte er. "Wahrscheinlich." Er lächelte, nur ein bisschen.
"Schließlich bist du eine ziemlich gute Agentin."
"Nun, ich bin kein
Fox Mulder," meinte sie, aber ihr Geist forschte bereits nach der
fehlenden Wahrheit. Angestrengt dachte sie nach, setzte alles, was passiert
war, woran sie sich erinnern konnte und woran nicht, so gut sie konnte
zusammen. Irgendetwas anderes, dachte sie, etwas wichtiges, von dem er glaubt,
dass ich es wissen muss...
<'Sie könnte jetzt
jederzeit sterben,' hatte Ahab in ihrem Traum gesagt.
‚Alles was ich tun muss,
ist ein Knopfdruck. Das ist mein kleines Geschenk
für sie.'>
Aber das war nicht Ahab
gewesen. Das war Krycek.
Dann sah sie ihm in die
Augen und sie wusste es.
"Er hat dir gesagt,
dass du mich verlassen sollst," sagte sie. "Er hat gedroht, mir
wehzutun, wenn du es nicht machst."
"Dich
umzubringen," erwiderte er und sie konnte die Scham in seinen Augen sehen
und die Schuld. "Dich hin und wieder zu entführen oder den Chip in deinem
Nacken auszuschalten und dich zurückzulassen, um entweder an deinen Verletzungen
zu sterben oder den Krebs wieder ausbrechen zu lassen und dich ohne eine
Möglichkeit, ihn zu stoppen, zurückzulassen."
Schaudernd erinnerte sie sich
an den Schmerz in den Augen all ihrer geliebten Menschen, als sie sich
versammelten, um zu sehen, wie sie starb, an die verzerrenden Qualen, die
Mulder durchgemacht hatte. Sie hatte sich an ihren eigenen Tod gewöhnt, hatte
ihn zuletzt sogar manchmal herbeigesehnt. Es war deren Schmerz, dem sie sich
nicht ein zweites Mal stellen konnte.
"Und so hast du
zugestimmt, aber wie üblich, hat er dich betrogen; hat uns beide k.o.
geschlagen und uns dann unter dieses Haus geworfen, um zu sterben," sagte sie.
"Ist es das, was passiert ist?"
"Ja," antwortete
er einfach. "Das war es. Aber du bist immer noch hier, was nicht mir zu
verdanken ist."
"Es ist alles dir zu
verdanken," entgegnete sie verwirrt. "Ich weiß nicht, wie du etwas
anderes denken kannst. Ich wäre da unten ertrunken, wenn du nicht gewesen
wärst. Ich habe dich niemals für irgendetwas verantwortlich gemacht. Ich tue es
auch jetzt nicht."
"Warum hattest du
dann in jener Nacht Flashbacks, als wir uns geliebt haben?" fragte er
beinahe wütend. "Warum hast du gedacht, es war Krycek, der dich berührt
hat anstatt mir, wenn du nicht denkst, dass ich dafür verantwortlich bin, dass
ich es passieren lassen habe?"
Uns geliebt? dachte sie.
"Haben wir das
gemacht?" fragte sie beinahe neugierig.
"Was?"
"Uns geliebt?"
Und dann lächelte er, ein
trauriges, stilles Lächeln. "Das dachte ich," erwiderte er und
berührte zart ihre Wange. "Haben wir nicht?"
"Ich weiß
nicht," sagte sie reflektierend. "Ich habe es mir nicht so gedacht. Aber
ich mag den Gedanken."
"Sich zu
lieben?"
"Sich mit Fox Mulder
zu lieben," antwortete sie sanft.
Das rührte ihn; sie konnte
es an dem halben Lächeln erkennen, das über sein Gesicht wanderte. "Ich
mag den Gedanken, mich mit Dana Scully zu lieben," erklärte er zärtlich
und küßte sie. "Mir gefällt die Wirklichkeit besser. Aber wenn ich mehr darüber gewusst hätte, wie
schlimm dich das alles mitgenommen hat, dann hätte ich niemals damit begonnen.
Er hat gesagt, dass du dich nicht erinnern wirst. Ich hätte wissen müssen, dass
er nicht die Wahrheit sagen kann, darüber oder über alles andere."
"Das hatte nichts mit
dir zu tun," sagte sie und kuschelte sich wieder an ihn. "Er wusste
einfach, wie er uns beide treffen kann und es hat funktioniert. Genau da, wo
wir es beide am meisten fürchten. Und ich denke, du weißt, was das für mich
ist."
"Die Kontrolle zu
verlieren," antwortete er ohne zu zögern. "Mit einer knappen Sekunde,
nicht ernst genommen werden."
"Und zu wissen, dass
ich überfallen und verletzt wurde, mich aber nicht zu erinnern, wie oder durch
wen," fügte sie leise hinzu. "Aber Krycek ist nicht so gut im
Erinnerungen ausradieren wie andere, denen wir begegnet sind. Oder
vielleicht," überlegte sie langsam, "vielleicht ist er es und er hat
gar nicht versucht, meine Erinnerungen vollkommen auszuradieren."
"Du glaubst, Krycek
wusste, was er tat?"
"Das hängt davon ab,
was Krycek versucht hat zu erreichen," meinte sie gedankenvoll. "Ich
denke, wenn er gewollt hätte, dass ich es vergesse, hätte ich es auch getan. Er
hat Zugang zu der Technologie. Und wenn er uns beide wirklich traumatisieren
wollte, hätte er unsere Erinnerungen überhaupt nicht verändert. Also was er
vielleicht tun wollte, war... wie nennt ihr Psychologiegewaltigen das?"
"Wir nennen es
jemanden komplett in den Wahnsinn treiben," erwiderte Mulder, aber mit
wenig Humor. "Also wenn deine Theorie stimmt, welche Rolle spiele ich dann
darin? Was hat er davon, mich wütend genug zu machen, um ihn umzubringen?"
"Vielleicht..."
Sie zögerte. "Vielleicht ist es seine Vorstellung von Spaß.
Oder vielleicht hat er uns
eine Falle gestellt und Marita hat mitgemischt."
"Nein,"
entgegnete Mulder entschieden und schüttelte den Kopf. "Er hatte viel zu
große Schwierigkeiten herauszufinden, wer uns den Tipp gegeben hat. Marita ist tot, weil ich sie ans Messer
geliefert habe."
"Du hast es für mich
getan," sagte sie weich. "Es tut mir leid, Mulder. Ich weiß, du
mochtest sie."
"Sie hat mir
vertraut," erwiderte er bitter. "Sie hätte es nicht sollen."
"Niemand kann dir
vorwerfen, dass du Krycek erzählt hast, was er wissen wollte," meinte
Scully. "Aber egal, ob es Betrug war oder ob Krycek wirklich hinter dieser
Information her war, es funktioniert zu seinem Vorteil."
"Woran machst du das
fest?"
"Weil egal wie, du
mich verlässt, nicht zurückkommst und nicht nachsiehst, was immer auch in
dieser Fabrik gewesen ist. Er hat dir gezeigt, was er mir antun könnte, also
hast du ihm geglaubt, als er sagte, er würde es wieder tun."
Mulder wurde still, so
still, dass sie sich ängstigte.
"Wenn das so ist,
dann hat er erreicht, was er wollte," sagte Mulder in seinem
kontrollierten Ton, den er immer hatte, wenn er wütend war. "Ich habe ihm
direkt in die Hände gespielt. Ich bezweifle nicht, was du sagst, Scully, aber
warum ist er so direkt hinter uns her? Und warum jetzt? Die X-Akten sind
geschlossen. Wir sind keine Bedrohung für sie."
"Vielleicht wollten
sie sichergehen, dass die Akten nicht wieder geöffnet werden," erwiderte
sie. "Ich habe ihm auch in die Hände gespielt. Ich bin gegangen. Niemand
arbeitet daran, die Akten wieder zusammenzusetzen, niemand untersucht solche
Fälle jetzt. Vielleicht ist irgendetwas da draußen, dass du und ich verstanden
hätten, wenn wir es gesehen hätten und sie wollen sichergehen, dass wir es
nicht tun."
"Wenn das wahr ist,
dann werden wir es herausfinden," entgegnete Mulder fest. "Aber wir
können uns später damit beschäftigen. Im Moment mache ich mir viel mehr Sorgen um
dich."
"Um mich?"
"Um dich, um mich, um
uns. Ich will meine Partnerin zurück," sagte er vehement. "Ich habe
es versaut, gründlich, indem ich dich so zurückgelassen habe, wie ich es tat.
Aber ich wollte, dass er dich in Ruhe lässt. Ich war dumm; ich sollte bessere
Wege kennen, mit Drohungen umzugehen, als davonzulaufen."
"Du bist kein
Übermensch, auch wenn du brillant bist," meinte sie sanft. "Wenn ich damit nicht umgehen konnte,
dann war es meine Schuld, nicht deine. Du hast es selbst gesagt: eine Menge
Justizbeamte müssen mit PTS klarkommen."
"Scully, auch auf die
Gefahr hin egoistisch zu klingen, du musstest schon mit schlimmeren Situationen
fertig werden und du hast sie überstanden," sagte Mulder. "Diesmal
kann ich die Tatsache nicht ignorieren, dass es dich erwischt hat, als du damit
allein gelassen warst."
"Vielleicht war es
einfach der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte," erwiderte sie
und strich ihm beruhigend übers Haar. "PTS kann durch angehäuften Stress
entstehen, nicht wahr?"
"Natürlich kann es
das," antwortete er, aber er war ruhiger, ihre Berührung funktionierte.
"Es muss nicht nur ein Erlebnis sein."
"Nun, dann wäre es
vielleicht auch passiert, wenn du dagewesen wärst," sagte sie. "Nicht
dass ich deinen Rat nicht gebrauchen könnte. Du setzt dich damit schon viel
länger auseinander als ich es tue. Augenscheinlich weißt du, wie."
"Ich bin nur daran
gewöhnt," erwiderte er achselzuckend. "Andererseits habe ich eine
Lehrbuchvorstellung von Vermeidungsverhalten gegeben, nicht wahr? Wenn ich wüsste, wie ich dir jetzt helfen
kann, würde ich es tun, aber ich weiß es nicht. Ich bin nicht wirklich
ausgebildet..." Dann unterbrach er sich selbst und sah sie gedankenvoll
an. "Vielleicht stimmt das nicht. Vielleicht
ist was wir brauchen, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, einfach nur
zusammen zu sein. Augenscheinlich fürchten sie sich davor am meisten."
"Es gibt aufkommendes
Forschungsmaterial , das den Gedanken der Heilung durch Beziehungen unterstützt,"
sagte sie nickend. " Ich habe ein paar der Berichte gesehen."
"Ja, Dr. Scully, das
gibt es," meinte er lächelnd. "Typisch für dich, mir mit einem
wissenschaftlichen Blickwinkel auf die Liebe zu kommen."
"Mulder,"
erwiderte sie augenrollend. "Du weißt, was ich meine. Ich bin nicht
vollkommen wissenschaftlich." Wieder fuhr sie ihm liebevoll mit den Fingern
durchs Haar. "Aber das ist keine Option, nicht wahr? Wir sind nur so lange
zusammen, wie es braucht, um diesen Fall zu bearbeiten. Du bist immer noch
nicht bereit, es zu riskieren, dass Krycek irgendetwas unternimmt, was mein
Leben bedroht."
Er antwortete nicht. Das
musste er nicht.
"Also wieviel länger
haben wir noch?"
"Nicht lange, fürchte
ich," antwortete er. "Wenn ich in den Kopf dieses Unbekannten nur für
einen Tag, oder wenigstens für ein paar Stunden eindringen kann, bin ich mir
sicher, dass ich es morgen um diese Zeit oder übermorgen herausbekommen
habe."
"Ich wusste, du
würdest es herausfinden," sagte sie einfach. "Du bist der beste
dafür, den es gibt."
Mulder lächelte, gewärmt
durch ihr Vertrauen in ihn, aber das Lächeln verschwand rasch. "Ich wollte
dich nicht verlassen," erklärte er. "Das musst du mir glauben."
"Das tue ich,"
entgegnete sie. "Und jetzt, wo ich es weiß, kann ich anfangen, Sinn in den
Dingen zu sehen und vielleicht kann ich einen Weg finden, wie wir Alex Krycek
aus unserem Leben verbannen können und zwar für immer."
"Das werden
wir," sagte er. "Aber zuerst müssen wir diesen Fall lösen und es kann
schlimm werden, bevor es soweit ist. Du wirst vielleicht nicht in meiner Nähe
sein wollen. Aber es gibt einen Grund dafür. Ich muss wissen, dass du das
verstehst."
"Das verstehe
ich," erwiderte sie. "Wir hatten das doch schon. Ich werde dich
dennoch lieben, auch wenn du mir eine Weile nicht nahe sein kannst."
"Ich will ihn immer
noch umbringen," sagte er leise.
Scully wusste, wen er
meinte. Und es war nicht der Unbekannte.
Und wenn es von Mulder
kam, war es keine leere Drohung. Er meinte es. Er würde es tun. "Ich weiß,
dass es so ist," entgegnete sie. "Und wenn es in dem Moment
gerechtfertigt ist, werde ich dich wahrscheinlich nicht davon abhalten."
Reuevoll lächelte er.
"Du meinst, du würdest diesmal nicht auf mich schießen?"
"Mulder," sagte
sie vorwurfsvoll. "Wirst du mir das nie verzeihen?"
"Es gab niemals etwas
zu verzeihen," erwiderte er sanft, dann beugte er sich wieder zu ihr, um
sie zu küssen und ließ den Kuss eine Weile andauern, bevor er sich zurückzog.
"Das fühlt sich gut
an," stellte sie fest, als seine Lippen sich von ihren lösten. Dann lachte
sie. "Ich bin verrückt. Wir sind beide zu traumatisiert, um uns zu lieben,
und alles, woran ich denken kann ist, wie sehr ich dich will."
"Ich will dich
auch," sagte er und strich mit einem Finger über ihre Lippen. "Ich
will dich, wie ich dich immer wollte. Mehr noch."
"Aber du kannst
nicht. Ich meine nicht, dass du physisch nicht kannst," erklärte sie, als
er begann, sie zu unterbrechen. "Du kannst emotional nicht, professionell
nicht. Du kannst mir im Moment nicht zu nahe sein, das hat du selbst
gesagt."
"Dir nicht nahe sein
- das kann ich nicht, Scully," antwortete er ernst.
"Du bist ein Teil von
mir; das bist du seit langer Zeit."
"Ich möchte es
sein," sagte sie in einem gehauchten Flüstern. "Ich will bei dir
sein, immer, in jeder nur möglichen Art und Weise. Mulder, nachdem du gegangen
warst, das war als wenn ein Teil von mir gestorben wäre. Nun wo du hier bist,
fühle ich mich wieder lebendig."
"Du warst immer
lebendig," erwiderte er, seine Stimme war plötzlich heiser und seine Hand
glitt in ihr Haar und er zog sie enger an sich. "In dir ist mehr Leben als
in jeder anderen Frau, die ich jemals kannte."
Ihre Lippen trafen sich
und diesmal lag keine Sanftheit darin, dies war ein glühender Kuss, ein
besitzergreifender Kuss aus reiner Leidenschaft, ein Kuss, der dazu bestimmt
war, ihre Sinne ihm gegenüber zu wecken, sie zu seinem Eigen zu machen und sie
schmolz dahin und legte ihre Hände auf seine Schultern, drückte ihn zurück in
die Kissen, so dass er auf dem Rücken lag und sie auf seiner Brust, ihre Lippen
noch immer vereint.
Sie fühlte, wie seine
Hände unter ihr T-Shirt glitten, um sie zu umfassen, seine Handflächen angenehm
rau auf der warmen Haut ihres Rückens, und sie hatte wieder das sehnsüchtige,
geschwollene Gefühl in ihren Brüsten und sie verlangte nach seiner Berührung.
Es wäre so einfach, dachte
sie verträumt, sich auf die eine oder andere Seite zu drehen und dann würden
seine Hände über meine Brüste gleiten, würden genau da sein, wo ich sie haben
will, wo er Alex Kryceks Berührung für immer ausradieren könnte, eine
Berührung, die mir gegen meinen Willen aufgezwungen worden war.
(Wie du daran denkst, ihm
deine Berührung aufzuzwingen, Dana?)
Der Gedanke erschreckte
sie, aber sie wusste mit einem Mal, dass es die Wahrheit war. Das klassische
Muster des Opfers, das die Tat an jemand anderem begeht als Mittel, die
Kontrolle zurückzugewinnen.
Ich werde ihm das nicht
antun. Oder mir. So kann es nicht sein.
Schnell hob sie den Kopf
und beendete den Kuss, ließ aber ihre Körper fest zusammengepresst. Sie stützte
ihr Hände auf die Matratze und verlagerte ihr Gewicht darauf, gerade soviel, um
ihm genügend Raum zu geben, sich zu bewegen, wenn er es wollte.
"Dana," sagte er
und die Rauheit in seiner Stimme erregte sie. "Hörst du auf, weil du es
willst oder weil du glaubst, dass ich es will?"
"Du," erwiderte
sie und ihr Atem war immer noch erschöpft und heftig.
"Du glaubst, ich bin
nicht bereit dazu?"
Sie musste lachen.
"Allem Anschein nach bist du mehr als bereit," meinte sie und
rutschte nur ein wenig nach unten und fühlte seine Erektion unter sich. Er
stöhnte tief in der Kehle. "Physisch jedenfalls," verbesserte sie sich.
"Mach das noch einmal
und du wirst wahrscheinlich herausfinden, wie bereit ich bin," erwiderte
er angespannt.
"So wie ich,"
flüsterte sie, plötzlich wieder ernst. "Ich wünschte, du könntest es so
leicht fühlen, wie ich dich fühlen kann. Aber ich will dich nicht zu etwas
drängen, was du nicht willst."
"Behalte im
Hinterkopf die große Kluft zwischen dem, was ich will und dem, was ich für
weise halte," sagte er und streichelte weiter die nackte Haut auf ihrem Rücken.
"Ich kann spüren, wie du zitterst, Scully. Du hast immer noch Angst."
"Das wird nicht immer
so sein," entgegnete sie sanft. "Und ich weiß, ich weiß es sicher,
dass ich weniger traumatisiert bin, als es die meisten Frauen sein würden,
einfach deshalb, weil ich mich nicht wirklich daran erinnere."
"Das ist vielleicht
ein Segen," sagte Mulder und sie blickte ihn rasch an, sich dessen sicher,
dass er schnodderig war - Fox Mulder war niemand, der an Segen glaubte - aber
er war ernst.
"Scully, vergiss für
eine Minute, was ich will," fuhr er fort. "Was willst du tun? Im
Ernst, ich will es wissen."
"Kann ich alles
haben, was ich will?" fragte sie und zeichnete die Konturen seines Mundes
mit einem Finger nach.
Mulder nickte.
"Alles, was in meiner Macht steht."
Einen Moment dachte sie
nach. "Willst du mit mir schlafen?"
"Ich dachte, du hast
gesagt, dass wir das nicht tun können?" fragte er ein wenig lächelnd.
"Nein, ich meine es
buchstäblich, ich will, dass du bei mir schläfst," erklärte sie ernsthaft.
"Würde dir das
gefallen?" fragte er zärtlich.
"Ja," erwiderte
sie. "Ich brauche das. Ich brauche dich. Und ich will, dass wir ein
Liebespaar sind, aber wenn das im Moment keine gute Idee ist, dann gebe ich
mich damit zufrieden, in deinen Armen einzuschlafen."
"Das hört sich auch
für mich gut an," sagte er und küßte sie wieder.
"Willst du?"
fragte sie sanft. "Willst du die ganze Nacht bei mir bleiben?"
"Ernsthaft?"
fragte er ein bisschen überrascht. "Was ist mit Glassman?"
"Er kann jemand
anderen finden, um mit ihm zu schlafen," erwiderte sie fest.
Das brachte ihn zum
Lachen. "Bitte jeden anderen, nur nicht mich," bettelte er, immer
noch lachend. "Oder dich. Aber in Ordnung. Du hast mir die Pistole auf die
Brust gesetzt. Ich bleibe." Plötzlich wurde er wieder ernst. "Gott
weiß, dass ich nicht gehen möchte," flüsterte er und küßte sie.
"Du brauchst etwas,
um darin zu schlafen," erklärte sie und ließ ihre Hände zu seinen
Schultern gleiten und dort ruhen. "Geh dich duschen, wenn du willst, ich
werde es holen."
"Was ist mit..."
begann er, aber sie unterbrach ihn.
"Er wird nicht so
früh da sein," sagte sie. "Er wird eine Bar gefunden haben und dort
bleibt er mindestens bis drei." Sie küßte ihn wieder, stand dann auf, nahm
seine Hände und half ihm, sich aufzusetzen. "In Ordnung?" fragte sie.
"In Ordnung,"
erwiderte er. "Ich bin zu müde, um mit dir zu streiten."
Er war müde, sie konnte es
an seiner Stimme hören und der Klang machte sie ein wenig traurig. So hat er
sich angehört, wenn er als kleiner Junge fertig für seinen Mittagsschlaf war,
dachte sie, nur dass die Stimme damals noch nicht so tief war.
Wie konnte seine Mutter,
wie konnte überhaupt eine Frau, diese Stimme hören und darauf nicht mit Liebe
reagieren? Und manchmal brauchte er sie so verzweifelt, diese fürsorgliche
Liebe, mehr wahrscheinlich, als er Freundschaft oder erotische Liebe brauchte.
Und sie musste sie geben.
Scully half ihm
aufzustehen. Langsam, darauf achtend, dass sie vollkommen sachlich war, knöpfte
sie sein Hemd auf, schob es über seine Schultern und hielt es hoch, um sich die
zerrissenen Nähte anzuschauen.
"Entschuldigung,"
flüsterte sie, ein bisschen schüchtern. "Wenn ich nähen könnte, würde ich
es ganz machen."
"Erinnere mich daran,
mich nie von dir operieren zu lassen," sagte er. Das brachte sie zum
Lachen und das wiederum gefiel ihm. Er legte seine Arme um sie und umarmte sie
fest. "Jedenfalls war es für einen guten Zweck," meinte er.
Sie loslassend schnallte
er sein Seitenholster ab und legte es auf den Nachttisch neben ihres und hoffte
dabei, dass sie nicht bemerkte, dass ihr eigenes Holster leer war. Aber
irgendwie wusste er, dass die Notwendigkeit solcher Vorkehrungen nicht mehr da
war. Es lagen immer noch eine Menge Schmerz und ein Stück harter Arbeit vor
ihr, aber Scully würde überleben. Er
konnte es in jeder Bewegung ihres Körpers spüren.
Und bei ihm war es ebenso.
"Komm jetzt,"
sagte sie und legte ihre Arme um seine Taille. "Du bist todmüde."
"Bist du nicht müde,
Scully?" fragte er und schob eine Locke ihres roten Haares hinter ihr Ohr.
"Ich habe in der
letzten Zeit nicht viel geschlafen," antwortete sie leise, legte eine Hand
auf seinen Oberarm und konnte die kräftigen Muskeln durch die dünne Baumwolle
seines T-Shirts spüren. Langsam und vorsichtig zog sie ihm das Shirt über den
Kopf. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um das zu tun.
"Ist das okay für
dich?" fragte sie, öffnete seinen Gürtel und zog ihn heraus. "Hast du
etwas dagegen?"
"Nein,"
antwortete er. "Ich fühle mich im Moment sowieso nicht als besondere
Belohnung. Bist du sicher, dass du das hier willst? Vollkommen platonisch?"
"Ja," flüsterte
sie, legte ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn zu sich herab für einen
sanften, sehnsüchtigen Kuss.
"Dann lässt du mich
das hier besser zu Ende bringen," meinte er und hielt sie zärtlich an den
Oberarmen fest, ein leises Zucken in den Mundwinkeln.
"In Ordnung,"
sagte sie und lachte. Sie lehnte ihren Kopf an seine nackte Brust, nur für
einen Moment, dann richtete sie sich auf. "Geh unter die Dusche,
Mulder," sagte sie zu ihm. "Du kannst meinen Rasierer benutzen, wenn
du willst. Ich bin in einer Minute zurück."
Die Dusche tat gut,
besonders nachdem er so lange in der feuchten Luft gesessen hatte. Als er
herauskam, sah er, dass Scully tatsächlich seine Schlafsachen gefunden -
Sweathosen und T-Shirt - und sie ihm neben das Waschbecken gelegt hatte. Er
trocknete sich rasch ab, zog sie an und kehrte dann ins Zimmer zurück.
Die Lichter waren aus,
aber er konnte im Licht der Straßenlampe sehen, dass Scully bereits im Bett war
und auf ihn wartete. Langsam, so langsam und ehrfurchtsvoll, wie ein Pilger
sich auf den Knien einem Heiligengrab näherte, schlüpfte Mulder unter die
kühlen Laken und legte sich neben sie, nicht zu nahe, aber nahe genug, um sie
zu berühren und sie deckte sie beide zu.
Mulder strich ihr das Haar
aus dem Gesicht, es war feucht und duftete nach Lavendel, wie ihre Haut.
"Du hast die
Möglichkeit wahrgenommen, in mein Zimmer zu gehen," meinte er und strich
ihr weiter übers Haar. "was wäre gewesen, wenn Glassman hereingekommen
wäre?"
"Ich hab es dir doch
gesagt," erwiderte sie. "Er kommt fast nie vor drei."
"Fast nie ist nicht
dasselbe wie nie," sagte er und begann, ein wenig näher zu rücken.
"Wie bei ‚ich schlafe
fast nie mit Fox Mulder'?" fragte sie weich.
"Ja," antwortete
er beinahe flüsternd. "So ähnlich."
Er legte seine Arme um
sie, zog sie an sich heran und küßte sie zärtlich. Scully stieß einen langen, zufriedenen
Seufzer aus und legte ihren Kopf auf seine Brust, hörte seinem Herzschlag zu
und ließ sich davon hypnotisieren.
"Bitte ich dich um zu
viel?" flüsterte sie.
"Du meinst, zusammen
im Bett zu liegen, aber keinen Sex zu haben?" fragte er schläfrig.
"Mm-hmm,"
antwortete sie. "Ich will dich nicht anmachen. Nicht dich. Du bedeutest
mir zu viel."
"Du machst mich ganz
bestimmt nicht an," versicherte er ihr, rollte sich auf die Seite und
streichelte ihren Rücken. "Und nein, es ist nicht zu viel. Ich mag
es."
"Ich auch,"
erwiderte sie und streckte sich, um seine Lippen zu finden. Er hielt sie fester
und sie küssten sich und küssten sich, wieder und wieder, erforschten des
anderen Lippen und Mund, ihre Hände glitten gemächlich über den Körper des
anderen. Sie spürte seine Erektion, aber heute Nacht fühlte sie sich gut an,
weit mehr beruhigend als gefährlich.
Es würde eine Zeit dafür
geben. Das wusste sie jetzt. Und sie würde bereit sein. "Ich liebe
dich," flüsterte sie und zog ihn für einen weiteren sehnsüchtigen Kuss an
sich. Als sie ihn wieder ansah, lächelte er, dieses sanfte, vollmundige
Lächeln, das sie so liebte, aber zu selten sah.
"Es ist schön, wie du
das sagst," meinte er und spielte mit einer der Locken um ihr Gesicht.
"Ich mag es."
"Aber ist es wirklich
genug?" fragte sie und Furcht kehrte in ihre Augen zurück.
"Es ist alles,"
erwiderte er. "Alles, was zählt, jedenfalls." Er küßte sie wieder.
"Ich liebe dich, Dana. Aber du hast Recht. Wir sollten schlafen."
"Willst du mich
halten, bis ich eingeschlafen bin?" flüsterte sie.
"Ich werde dich für
immer halten, wenn ich die Chance dazu bekomme," erwiderte er.
"Schlaf jetzt, Scully."
Er legte sich langsam
zurück in die Kissen und nahm sie mit sich. Sie kuschelte sich unter seinen
Arm, legte den Kopf auf seine Brust und schlief über dem Rhythmus seines
kräftigen Herzschlags ein.
Die tiefgreifendste aller
Sinnlichkeiten
ist der Sinn für Wahrheit
und das nächste tiefe
sinnliche Erlebnis
ist der Sinn für
Gerechtigkeit.
D. H. Lawrence
Kapitel 16
Rathaus Daphne
Freitag, 5. März
9:57 a.m.
"Agent Mulder! Agent
Scully!" Mack rannte buchstäblich auf Mulders Wagen zu, als die Agenten
auf den Parkplatz einbogen.
"Das kann nichts
Gutes bedeuten," murmelte Mulder und rollte das Fenster herunter. Mack
beugte sich herein, mit weitaufgerissenen Augen und atemlos. "Es gab einen neuen."
"Einen neuen
was?" fragte Scully und beugte sich ein wenig zu ihm herüber.
"Einen neuen
Mord," erklärte Mack. "Er hat wieder zugeschlagen."
Mulder wurde aschfahl.
"Das ist zu schnell," meinte er benommen. "Es ist viel zu
schnell."
"Augenscheinlich
nicht, Agent Mulder," sagte Mack und lehnte sich mit den Armen in das
offene Fenster. "Wir haben einen Mann, durch zwei Schusswunden, Kaliber
38, getötet. Wenn Sie mich mitnehmen, zeige ich Ihnen, wo."
Mulder sagte gar nichts.
Scully beobachtete ihn eine Sekunde sorgfältig.
"Steigen Sie ein, Officer Mack," forderte sie ihn auf.
"Lassen Sie uns sehen, was wir haben, bevor wir irgendwelche Schlüsse
ziehen."
Während Mack die Hintertür
öffnete, nahm Scully kurz Mulders Hand. "Es ist womöglich nicht das,
wonach es klingt, Mulder," sagte sie zu leise für Mack, um es zu hören.
"Lass mich einen Blick auf die Leiche werfen, bevor du anfängst, dich
selbst zu prügeln." Mulder nickte nur, aber sein Gesichtsausdruck war
grimmig.
439 Twin Beech Road
10:37 a.m.
"Wir haben uns heute
morgen das Haus angesehen, nachdem wir einen Bericht erhalten hatten, dass im
Innern des Hauses Schüsse gefallen sind," erklärte Mack, während Mulder
und Scully ihm durch die Eingangstür folgten. "Diese Tür war nicht
verschlossen, als wir ankamen. Wir fanden diesen Mann," fuhr er fort und
deutete auf die Leiche eines älteren Mannes, "der auf dem Boden lag. Neben
ihm lag eine 38er; wir haben sie bereits zu den Waffenexperten des DFS
geschickt."
Scully zog ein Paar
Latexhandschuhe aus der Tasche, streifte sie über und beugte sich über die
Leiche. "Es gibt Schusswunden im Kopf und in der Brust," sagte sie.
"Kontaktspuren. Gab es ein Schreiben?"
"Sie glauben, es war
Selbstmord?" fragte Mack. "Ohne Sie beleidigen zu wollen, aber auf
diesen Mann wurde zweimal geschossen. Es gab keine Schreiben und da sollten
auch keine sein."
Scully sah sich um.
"Was ist das?" fragte sie Mulder, der einige Papiere durchsah, die
sorgfältig auf dem Schreibtisch gestapelt waren.
"Zum einen sein
Testament," antwortete er und drehte die Papiere mit behandschuhten Händen
um. "Seine Lebensversicherungspolice, das Dokument über das Haus und ein
paar andere Sachen dieser Art."
"Das würde zu einem
Selbstmord passen," bemerkte Scully und kniete sich neben die Leiche.
Mulder legte die Papiere nieder und ging zu ihr hinüber.
"Bist du dir sicher,
dass du nicht versuchst, meinen Hintern zu retten, Scully?" fragte er sehr
leise sprechend und kniete sich neben sie.
"Mulder, nicht einmal
für dich würde ich absichtlich jemanden in einem Fall und über die Todesart
irreführen," antwortete Scully abwesend und studierte die Leiche.
"Nebenbei bemerkt, du bist der Profiler. Passt dieser Fall zu deinem
Unbekannten?"
"Nein,"
erwiderte er. "Nicht einmal annähernd. Aber es ist eine 38er."
"Das ist es,"
stimmte sie zu. "Aber hier gibt es Kontaktspuren und der Unbekannte ist
bisher nie soweit gegangen. Er hat bisher auch noch nie in einem Haus
zugeschlagen."
"Es gibt immer ein
erstes Mal, insbesondere bei jemandem, der weiß, dass das FBI hinter ihm her
ist," erwiderte Mulder verdrießlich. "Er könnte zu Einbrüchen in
Häusern übergegangen sein, um die öffentlicheren Plätze zu vermeiden, wo er
bisher zugeschlagen hat."
"Das könnte so sein,
ist es aber nicht, zumindest nicht hier," sagte Scully. Sie zog eine
kleine Pinzette aus der Tasche und hob ein Stück der zerfetzten Haut vom
Schädel der Leiche an. "Es gibt einen eindeutigen Beweis für einen Kontakt
in der Kopfwunde: ringförmige Abschürfung, grau-schwarze Verfärbung,
sternförmige Zerfleischungen im subkutanen Gewebe. Verkohlungen auch am
Schädel."
"Und die Brust?"
fragte Mulder.
"Ich müsste die Waffe
haben, um sicher zu sein, aber es gibt einen klaren Eindruck des Laufs der Waffe
in der Haut," erklärte sie und schob das Hemd zur Seite. "Also eine
zweite Kontaktwunde, es gibt auch ein paar Schmauchspuren."
"Wie passt das zu
einem Selbstmord?"
"Das passiert immer
wieder," meinte sie und wandte sich ihm zu, um ihn anzusehen. "Du
wurdest angeschossen. Du weißt, dass eine Kugel nicht unbedingt sofort zum Tod
führen muss. Wenn sich jemand umbringen will und es klappt mit der ersten Kugel
nicht - in diesem Fall hier bin ich mir sicher, dass es die Brustwunde war -
dann feuert er sehr oft ein zweites Mal ab." Sie wandte sich wieder der
Leiche zu. "Mack, sind alle Fotos gemacht worden, die gebraucht
werden?"
"Ja. Ma'am,"
erwiderte Mack. "Der Leichenbeschauer ist auch schon weg. Wir warten nur
noch darauf, dass ihn jemand abholt."
Scully nickte. "In
diesem Falle werde ich ihn umdrehen. Hilf mir bitte, ihn ein wenig
anzuheben," bat sie Mulder, der seine Hände unter die Schultern des Toten
schob, ihn hochhiefte und mit einigen Schwierigkeiten auf Mack zurollte, der ihn
festhielt, während Scully das blutdurchtränkte Hemd hochhob.
"Irgendetwas
gefunden?" fragte Mack.
"Ja," antwortete
Scully. "Eine Austrittswunde. Das Projektil ging von vorn nach hinten
durch, was ebenfalls für einen Selbstmord spricht. Legt ihn wieder hin."
Sie erhob sich. "Packen Sie ihm besser die Hände ein. Ich denke, wir
finden dort Ruß."
"Agent Scully,"
meldete sich Mack und legte den Körper zurück in seine ursprüngliche Position.
"Es tut mir leid, aber ich verstehe nicht, wie dieser Mann zweimal so auf
sich selbst geschossen haben kann."
"Es ist unüblich,
aber es kommt vor," erwiderte Scully und zog sich die blutverschmierten
Handschuhe aus. "Bei ungefähr drei Prozent der Selbstmorde gibt es mehrere
Schusswunden." Sie suchte nach einem Biomüllcontainer, fand einen und warf
die Handschuhe hinein.
"Officer Mack, ich
habe keine Zulassung für Alabama und ich kann nicht entscheiden, dass es sich
um einen Selbstmord handelt. Aber ich würde, wenn ich es könnte. Ich würde
unbedingt vorschlagen, dass Sie diese Leiche an einen Medizinischen
Sachverständigen in Mobile schicken. Vergessen Sie den Leichenbeschauer."
Sie fühlte mehr, als dass
sie es hörte, wie Mulder erleichtert aufseufzte und sie drehte sich um und sah,
wie er sich die Stirn rieb, wie er es immer tat, wenn er versuchte
nachzudenken.
"Komm schon,
Mulder," sagte sie in ihrer sachlichsten Stimme. "Lass uns zurück zum
Wagen gehen. Dieser Fall liegt außerhalb unserer Zuständigkeit."
"Ja, in
Ordnung," erwiderte er.
Sie erreichten den Wagen
und Mulder glitt hinter das Lenkrad. Einen Moment saß er einfach nur da, die
Hände auf dem Lenkrad.
"Mulder, du hast
immer noch etwas Zeit," meinte sie und legte ihre Finger sanft auf seinen
Arm. "Du hast keinen Fehler gemacht."
"Ich habe nicht viel
Zeit, Scully," entgegnete er mit grimmigem Blick. "Ich muss schnell
in den Kopf dieses Bastards eindringen. Das hier war nur ein Weckruf."
Dann wandte er sich um, um sie anzusehen. "Ich muss ein paar Stunden
allein sein. Ich will dich nicht in der Nähe haben. Du weißt warum, nicht
wahr?"
"Ja," erwiderte
sie weich. "Ich weiß es. Ich verstehe es. Und ich werde dir alle Zeit
geben, die du brauchst. Aber komm zurück zu mir, wenn du kannst. Ich werde auf dich warten."
"Scully," begann
er, dann gab er auf, hilflos wie immer angesichts der Liebe in ihren Augen.
"Das werde ich. Und bald. Ich weiß fast alles, was ich wissen muss.
Fast..." Seine Stimme verlor sich.
"Du tust, was du tun
musst und ich werde tun, was ich tun muss," erklärte sie. "Was ich
jetzt tun muss, ist ins Polizeihauptquartier zurückzukehren und mich mit den
Leuten vom CDC zu treffen wegen dem Anthrax. Und," sie sah auf ihre Uhr,
"ich muss mein Vibramycin nehmen, wenn ich es nicht selbst bekommen will."
Mulder blickte heftig auf.
"Vibramycin? Das nimmst du ein?"
Sein Ton überraschte sie.
"Ja," antwortete sie. "Ich dachte, ich hätte es dir
gesagt."
"Du sagtest etwas von
Doxy-Irgendwas," erwiderte er aufmerksam. "Es heißt Vibramycin? Gibt
es eine andere Anthraxmedizin, die irgendwie wie Silo klingt?"
"Ciloxan," sagte
sie automatisch. "Es ist ein Wahlmedikament, aber ich reagiere allergisch
darauf. Warum, Mulder? Bedeuten diese Namen irgendetwas für dich?"
"Sie tun es
jetzt," erwiderte er, startete den Wagen und lenkte ihn zurück auf den
Highway. "Es gibt in Birmingham einen Armeereservisten namens Robert
Gentry, den ich wegen einer Unbedenklichkeitsbescheinigung überprüft habe. Eine
seiner Nachbarinnen sagte, sie hätte ihn mit einer Tüte voller Medikamente
gesehen, Antibiotika, und die Namen klangen wie ‚vibrating silos'."
"Oh mein Gott,"
brachte Scully begreifend hervor. "Armeereserve. Stouffer war
Reservist."
"Das war er,"
sagte Mulder mit hartem Kinn. "In einer medizinischen Einheit."
"Welcher Abteilung
war die betreffende Person in Birmingham zugeteilt?"
"Dem 87.
Manövergebietskommando," erwiderte Mulder. "Sie gestalten Kriegsspiele,
die andere spielen. Sie planen, wie viele Truppen eingesetzt werden und was sie
tun, wenn sie da sind."
"Sie in eine perfekte
Position zu rücken, um einen chemischen oder biologischen Wirkstoff zu
verbreiten," erklärte Scully, ihre Augen vor Schreck aufgerissen.
"Mulder, willst du unterstellen, Stouffer hatte irgendetwas damit zu tun
und dass er deswegen umgebracht wurde?"
"Ich denke, dass es
möglich ist, ja," sagte er und blickte starr gerade aus, während er fuhr.
"Was wäre, wenn Gentrys Einheit in den sanktionierten oder
nichtsanktionierten Einsatz von Anthrax als biologische Waffe verwickelt ist?
Es leuchtet ein, dass das Militär es bevorzugt, sein eigenes medizinisches
Personal einzusetzen, um jeden zu behandeln, der sich versehentlich angesteckt
hat. Vielleicht sollte Stouffer nichts davon wissen, fand es aber heraus und
als Enkel einer Holocaustüberlebenden hatte er das Gefühl, etwas tun zu müssen,
um es zu stoppen."
"Und wo passt Nivek
hinein?" fragte sie. "An diesem Punkt ist er Patient Null."
"Ich weiß es nicht,
aber ich werde es herausfinden," antwortete er. "Wir haben bisher
noch nicht wirklich seinen Hintergrund überprüft. Aber wenn er Reservist
gewesen sein sollte, dann werden wir es wissen."
"Aber wie soll er von
jemandem umgebracht worden sein, von dem du mutmaßt, dass er ein Wahnsinniger
ist?" fragte Scully. "Wie bringt man einen Serienkiller dazu, auf
Befehl zu morden?"
"Das kannst du
nicht," sagte Mulder. "Aber unser Unbekannter ist ein Orgienmörder,
kein Serienkiller, erinnerst du dich? Er hat keine besonderen Vorlieben in
Bezug auf seine Opfer. Es dürfte eine ganz einfache Sache sein, denke ich, ihm
Ideen in den Kopf zu setzen, wer oder was eine Gefahr für ihn sein könnte.
Irgendjemand pflanzte die Idee, dass Stouffer oder Nivek hinter ihm her waren,
zeigte dem Unbekannten, wo er sie finden konnte und ließ die Natur ihren Lauf
nehmen."
Scully schwieg einen
Moment und dachte darüber nach. "Du hast Recht, Mulder," sagte sie
langsam. "Das ist ein glaubwürdiges Szenario. Sollten wir das deinem
Vorgesetzten mitteilen?"
Mulder schüttelte den
Kopf. "Das ist nicht sein Fall. Es ist Skinners. Und bis ich weiß, ob in
D.C. irgendjemand darin verwickelt ist, bleibt es unter uns, Scully."
"In Ordnung,"
meinte sie mit einem zarten Lächeln in den Mundwinkeln. "Aber hilft dir
diese Information, um deinem Unbekannten näher zu kommen?"
"Ja, das tut
sie," erwiderte er und drehte sich zu ihr, um sie rasch anzulächeln.
"Das bedeutet, dass ich mein Profil beenden kann, ohne mir Gedanken über
die Morde in Florida zu machen. Sie wurden von demselben Mörder umgebracht,
aber jetzt weiß ich sicher, dass sie zu keinem Profil passen müssen, was er
sonst noch gemacht hat. Das sollte es beschleunigen - wenn es dadurch auch
nicht nett wird," warnte er.
"Ich weiß,"
entgegnete sie wieder mit sanfter Stimme. "Aber wie ich schon sagte: ich
werde da sein, wenn du zurückkommst. Und wenn du zurück bist, dann haben wir
noch ein unerledigtes Geschäft, denke ich."
Eindringlich blickte er
sie an. "Könnte ich eine Vermutung riskieren, was das sein könnte?"
Sie schüttelte den Kopf. "Nicht, bevor du mit deinem Profil fertig bist.
Ich will dich nicht wieder ablenken."
"Dann lenk mich ab,
wenn es vorbei ist," erwiderte er mit einem Hauch seines gewohnten warmen
Humors. "Ich kann mir nichts besseres dafür vorstellen."
"Das ist ein
Pakt," meinte sie, während Mulder auf den Parkplatz des Police Departments
fuhr. Er hielt den Wagen an, löste aber seinen Sicherheitsgurt nicht. "Du
kommst nicht mit hinein?" Er schüttelte den Kopf. "Ich muss jetzt allein
sein," sagte er. "Mach weiter und erledige deine Autopsie, dann
sprich mit den Männern vom CDC. Wenn du willst, erzähl ihnen von dem Reservisten
in Birmingham, aber behalte den Rest unserer Vermutungen fürs erste für
dich."
"Der CDC ist berüchtigt
dafür, sich eher auf Mikroben und
Krankheitsüberträger zu
konzentrieren, als auf Verschwörungen," entgegnete sie trocken. Sie stieg
aus dem Wagen und ging herum zur Fahrerseite. Mulder drehte das Fenster
herunter und sie beugte sich ein wenig hinein. "Was sage ich
Glassman?"
"Vorausgesetzt du
siehst ihn, dann sag ihm gar nichts," erwiderte Mulder. "Zumindest nichts von dem Anthrax. Er
wird sich einen Dreck darum kümmern, wo ich bin."
"Nein, das wird er
nicht," sagte sie. "Aber ich werde es." Rasch, zu rasch, als
dass es irgendjemand sehen konnte, strich sie ihm das Haar hinters Ohr. "Wir sehen uns."
"Ja," bestätigte
er mit einem weichen Lächeln. Dann rollte er das Fenster hoch und fuhr davon.
Scully stand noch lange,
nachdem er fort war, in der brütenden Hitze und starrte auf die Stelle, wo er
gewesen war.
Rathaus Daphne
1:35 p.m.
Die Leute vom CDC waren
nicht im geringsten an Mulders Reservisten interessiert gewesen, was Scully
überhaupt nicht überraschte.
"Das gesamte
militärische Personal ist gegen Anthrax geimpft, Dr. Scully," hatte sie
der CDC-Bereichsleiter erinnert. "Es besteht nur eine geringe Möglichkeit,
dass sich jemand in der Reserve damit angesteckt hat. Wahrscheinlich hatte er nur einen schlimmen
Fall von Tripper."
"Stouffers Dosierung
war nicht mehrmals, was erforderlich wäre, um eine sexuell übertragbare
Krankheit zu behandeln," erinnerte sie Scully ihrerseits.
"Sie haben die
Autopsie gemacht, Dr. Scully," meinte der Leiter. "Ihr Mr.
Stouffer hatte kein
Anthrax."
"Aber vielleicht
hatte er einen Grund zu glauben, dass er es hatte," erwiderte sie, aber
sie wusste, dass das zu nichts führte. Sie würden den Rest der Untersuchungen
auf Übertragungswege konzentrieren, auf Niveks mögliche Kontakte mit der
Viehwirtschaft und das war so ziemlich alles.
"Überhaupt, Agent
Scully," sagte einer von ihnen, nicht unvernünftig. "Wenn irgendjemand
Anthrax in diese Gegend geschickt hat, dann ist es wahrscheinlich, dass sie
Ihnen bereits über den Weg gelaufen wären.
Anthraxbedrohungen fallen in den Zuständigkeitsbereich des FBI."
Sie kam mit dem MILPERCEN,
dem Personalzentrum des Militärs, nicht annähernd weiter. Nivek war nicht nur
kein Reservist, es gab überhaupt keine Anzeichen dafür, dass er jemals
irgendeine Uniform getragen hatte.
Die Verbindung, die zuerst
so dünn erschien, schien nun nicht zu existieren. Sie saß fest und sie konnte
nur hoffen, dass Mulder heute weiter kam als sie, weil wenn sein Instinkt
richtig war, würde der Unbekannte wieder morden. Und wenn es sich um
pathologische Mörder handelte, irrte sich Mulder nie.
Mullet Point Park
4:55 p.m.
Jedes Verbrechen hat ein
Motiv. Jedes Verbrechen ergibt einen Sinn entsprechend einer gewissen Logik,
selbst wenn diese Logik vielleicht eine innere ist und keine Beziehung zu
irgendeiner objektiven Realität hat. So sagte es John Douglas, der FBI-Agent,
der das Profiling erfunden hatte und der erste gewesen war, der auf der
Notwendigkeit des Verstehens dieser inneren, nicht verbundenen Logik bestand.
Zu verstehen bedeutete sich selbst von der Logik der Außenwelt zu lösen und
nach der inneren Logik eines Wahnsinnigen zu funktionieren.
Mulder war sehr nahe
daran, er erschloss sich die dunkle Seite seiner eigenen Seele und drang tiefer
und tiefer in die paranoide Wut des Unbekannten ein. Alles was er wusste, alles
was er geschlussfolgert oder worauf Resnick hingewiesen hatte, war der
Treibstoff für diese düstere Reise. Er zwang sich dazu, die irrationalen
Gedanken des Mörders als seine eigenen zu akzeptieren und schuf das Monster in
seiner eigenen Seele wieder, dessen Nahrung der Schmerz seiner eigenen Existenz
war.
Er war die ganze Zeit
dabei gewesen, seit er Scully verlassen hatte.
Der Unbekannte, das wusste
er, würde wahrscheinlich niemandem trauen, warum also kehrten seine Gedanken
immer wieder zur Rasse des Killers zurück?
Abgesehen von dem offensichtlich identifizierenden Faktor, warum war sie
von Bedeutung?
Im Profilerstellen ist es
axiomatisch, dass sich ein Mörder am sichersten dabei fühlt, wenn er Mitglieder
seiner eigenen Rasse umbringt; dieser hier schien sich nicht darum zu kümmern,
oder tat er es?
Konnte irgendjemand zu ihm
gekommen sein, ihn überredet haben, viele Meilen von seinem üblichen Ort
fortzureisen, um einen weißen Mann zu töten, einen Kunden in einem
Elektronikgeschäft in Pensacola? Konnte er geglaubt haben, dass Nivek eine
Bedrohung für ihn war, soviel Bedrohung für ihn, dass er aus dem heraustrat, was
sein Modus Operandi sein sollte?
Wer wäre in der Lage
gewesen, ihm so nahe zu kommen? Er traute wahrscheinlich niemandem sehr.
Vertraue niemandem. Es war
einfach genug für Mulder, damit eine Verbindung herzustellen. Es gab niemandem,
dem er wirklich traute, außer Scully. Aber diese Art Paranoia, die Art, die zum
Mord führte - das war anders. Es gab keinen Weg, wie dieser Mörder Nivek oder
die beiden Opfer aus Pensacola zufällig ausgewählt hatte. Irgendjemand musste
den Unbekannten zu den Leuten geführt haben, die in die Herstellung von
Anthraxwaffen verwickelt waren.
Ich muss verstehen, wie er
das macht, dieser Mensch, der den Unbekannten dazu benutzt, seine Drecksarbeit
zu machen. Aber wie? Wie stelle ich eine Verbindung her zu den Ängsten und dem
Misstrauen eines schwarzen Mannes, der im tiefen Süden lebt, wenn ich ein
weißer Mann bin, privilegiert geboren, wenn nicht sogar reich, in die höhere
Gesellschaft hineingeboren, an den besten Schulen ausgebildet?
Wo ist der Schlüssel, um
ihn zu verstehen? (Von meiner Familie sind so wenige übriggeblieben. So viele
sind gestorben.)
Nein. Dieser Gedankengang
würde einfach nicht funktionieren. Es war unmöglich für ihn, seine Welt in
Jüdisch und Nichtjüdisch zu teilen, sogar unmöglich, seine eigene Seele auf
diese Weise zu verstehen. Sein Heranwachsen war zu entschlossen nichtjüdisch
gewesen, was auch immer seine Abstammung war. Er fühlte sich in einer Kirche
wohler als in einer Synagoge. Die alte Frau hatte ihn als einen der Ihren angesehen,
aber er konnte sich selbst nie so sehen.
Konnte er?
Nein. Nichts davon
bedeutet mir etwas, dachte er. Ich habe praktisch nichts gemeinsam mit den
Stouffers oder anderen praktizierenden Juden. Sie machen sich selbst zu
Außenseitern und ich will kein Außenseiter sein. So bin ich nicht.
Ja, und die Familie der
alten Frau dachte wahrscheinlich auch nicht, dass sie es war. Sie glaubten, sie
wären deutsche Staatsbürger. Vielleicht haben sie sogar geglaubt, jüdisch zu
sein, war nur ein religiöser Unterschied, nichts anderes als Lutheraner oder
Baptist zu sein.
Wann haben sie die
Wahrheit herausgefunden? Wahrscheinlich zu der Zeit, als ihnen jemand einen
gelben Davidsstern an die Kleidung heftete, ihre Schaufensterscheiben einwarf
und in der Nacht schrie ‚Jude verrecke!'. Sie wussten es ganz bestimmt, als die
Viehwagen auf dem Bahnhof anzuhalten begannen.
Du könntest es auch auf
diese Weise herausfinden und du weißt es. Wenn du darüber liest, dass ein
Hakenkreuz an eine Synagoge geschmiert worden ist, dann ängstigt dich das. Als
du die Nummer auf ihrem Arm gesehen hast, ängstigte dich das. Immer stellst du
dir die gleiche Frage: Konnte es hier passieren?
Verdammt richtig, es
konnte passieren. Es konnte überall passieren. Du weißt es, weil du ein Teil
von ihnen bist, ein Teil von ihr, ein Teil jedes Juden, der jemals gelebt hat
oder gestorben ist. Du weißt, irgendwo da draußen ist jemand, der will deinen
Tod aus keinem anderen Grund als dem Zufall deiner Geburt. Du hast es dir nicht
ausgesucht, aber das stört sie nicht. Es stört sie nicht einmal, dass du es
mehr hasst als sie.
Das ist es, was der
Unbekannte weiß und du weißt es auch: Wenn sie in der Nacht zu dir kommen, dann
ist es egal, wer deine Freunde sind oder woran du glaubst. Es macht keinen
Unterschied, egal ob es ein Kreuzfeuer ist oder ein Pogrom. Es können die Nazis
sein oder der Klu Klux Klan. Sie können dich Neger rufen oder Judenschwein, es
zählt einfach nicht; egal wie, du bist so gut wie tot.
Und die Menschen, die es
taten, die Menschen, die in der Nacht zu dir kamen, wissen nicht oder kümmern
sich nicht darum, dass du jemals einen anderen Namen hattest.
"Was wir bei der
Analyse eines Mordes tun... ist dem sehr ähnlich, was ein guter Schauspieler
tut, wenn er sich auf eine Rolle vorbereitet. Wir kommen beide an einen
Schauplatz - im Falle des Schauspielers der Schauplatz in einem Spiel oder
Filmscript, in unserem Fall der eines Mordes - wir sehen uns an, was dort an
der Oberfläche ist - geschriebener Dialog zwischen den Charakteren oder Beweis
für ein Gewaltverbrechen - und wir versuchen herauszufinden, was uns das sagt.
Mit anderen Worten, was passierte wirklich zwischen den Hauptcharakteren in
dieser Szene?"
‚Kopfjäger: Die
Eliteeinheit des FBI für Serienverbrechen von innen
gesehen'
John Douglas und Mark
Olshaker
Kapitel 17
Das Pembroke Inn
Samstag, 6. März
2:12 a.m.
Jemand hämmerte an ihre
Tür. Scully sprang aus dem Sessel auf, in dem sie über den Autopsieberichten
eingeschlafen war, immer noch angekleidet.
Mulder. Er musste es sein. Wer sonst würde um diese Zeit anklopfen?
Sie stolperte zur Tür und
riss sie auf, ohne auch nur durch den Spion zu sehen. Es war nicht Mulder. Es
war Glassman.
"Immer noch wach,
Scully?" fragte Glassman. "Wo ist Spooky?"
"Er ist nicht
hier," erwiderte sie beunruhigt. "Was machen Sie hier?"
"Natürlich nach
Mulder sehen," entgegnete er, ging an ihr vorbei und sah sich im Zimmer
um, dabei eine Spur von Gindunst hinter sich herziehend.
"Machen Sie sich
keine Umstände, Glassman," sagte sie gereizt. "Machen Sie es sich
einfach bequem, warum nicht? Wieso wollen Sie um diese Zeit etwas von
Mulder?"
"Weil ich nicht weiß,
wo er ist und ich es herausfinden will," antwortete er. "Haben Sie
ein Problem damit?"
"Tatsächlich habe ich
das," erwiderte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. "Er ist
Ihnen keine Antwort schuldig. Er arbeitet für Assistant Director Skinner und es
geht Sie gar nichts an, wo er ist."
"Ach wirklich?
Glauben Sie, dass ich mit ihm reden muss?" fragte Glassman und warf sich
in den Sessel, aus dem Scully gerade aufgestanden war.
"Ich glaube,"
erwiderte sie langsam aber mit wachsender Drohung, "dass Sie seine
Handynummer haben. Gehen Sie ruhig in Ihr Zimmer zurück und rufen Sie ihn an.
Aber ich würde nicht anrufen, wenn ich Sie wäre."
"Und warum nicht,
Miss Scully?" fragte Glassman und legte seine Füße auf den Tisch.
"Ist er mit seinem Spooky-Zeug beschäftigt? Haben Sie Angst, dass ich ihn
erschrecke?"
"Verschwinden Sie
hier, Glassman," forderte Scully ihn auf, ihre Lippen schmal vor Wut.
"Gehen Sie zurück in Ihre Bar oder wo immer Sie herumgelungert haben,
während Mulder und ich diese Untersuchung führten."
"Das ist nicht sehr
freundlich," meinte Glassman mit einem, wie er meinte, Lächeln. "Sie
sollten freundlicher sein, Dana. Ich könnte eine Menge für Sie tun, wenn wir
Freunde wären."
"Agent Scully für
Sie," erwiderte sie. "Verschwinden Sie. Ich meine es ernst."
"Sie haben Angst,
dass Mulder hereinkommen könnte, nicht wahr, Dana?" sagte Glassman und
lachte. "Oh ja, ich weiß alles über diese kleine Schlummerparty, die Sie
beide letzte Nacht hatten. Und wenn Sie wollen, dass ich darüber schweige, dann
müssen wir miteinander reden."
Scully starrte ihn einen
Augenblick mit zusammengekniffenen Augen an und dachte darüber nach, was sie
tun sollte. Sie wusste, dass Mulders Übernachtung bei ihr Glassmans
Aufmerksamkeit erregen würde, auch wenn es der Fall nicht tat. Sie hatte nur
nicht erwartet, dass sie sich dem so bald stellen musste. "Glassman,"
sagte sie langsam. "Das ist das letzte Mal, dass ich Sie auffordere, mein
Hotelzimmer zu verlassen. Gehen Sie. Jetzt."
"Oder was?"
fragte Glassman. "Vermasseln Sie es sich mit mir und ich werde Gerüchte
über Sie und Ihren seltsamen Freund verbreiten, so schnell, dass Sie nicht
einmal in der Lage sein werden, aus den VICAP-Büros zu rauschen. Seien Sie nett, Dana."
Zur Hölle damit, dachte
sie und griff hinter ihren Rücken, zu schnell für Glassman, um in seinem
betrunkenen Zustand zu reagieren. Sie zog ihre Waffe und zielte mit ihr genau
auf seinen Schritt, den Finger am Abzug. "Ich sagte, verschwinden
Sie," sagte sie. "Und bei Gott, ich meine es so."
"Um Gottes Willen,
Scully, nehmen Sie das Ding herunter," kreischte er.
"Sie könnten jemanden
damit verletzten!"
"Sie haben verdammt
Recht, das könnte ich," erwiderte sie. "Glauben Sie ja nicht, dass
ich nicht auf Sie schießen würde, weil ich es tun werde. Ich habe schon auf
bessere Männer als Sie geschossen. Jetzt stehen Sie langsam auf, behalten Sie
Ihre Hände vorn und verschwinden Sie verdammt noch mal aus meinem Zimmer."
Er tat es. "Das
werden Sie bereuen, Scully," warnte er sie und ging rückwärts zur offenen
Tür. "Rolfe hat nichts übrig für weibliche Agenten, die mit anderen
schlafen."
"Es sei denn, sie tun
es mit ihm, meinen Sie," antwortete sie. "Gehen Sie.
Und machen Sie die Tür
hinter sich zu."
Erst als Glassman
gegangen, die Tür hinter ihm geschlossen und verriegelt war, senkte Scully die
Waffe und steckte sie zurück in das Holster. Das würde Konsequenzen haben, das
wusste sie. Aber sie machte sich nicht besonders Sorgen darum; für Rolfe zu
arbeiten stand sowieso nicht sehr weit oben auf ihrer Liste der Dinge, die im
Moment zu tun waren.
Es gab nur eine Sache, die
sie wirklich beunruhigte.
Wo war Mulder?
oh gott mom nicht noch
einmal bitte es tut mir leid es tut mir so leid mom es tut weh es tut weh aber
es hört auf wehzutun wenn die waffe losgeht oh ja es hört auf wenn du den
anderen wehtust oh und es fühlt sich ungefähr zwei minuten an wie säubern wenn
modell wenn roche blutend auf dem boden liegt es fühlt sich wie eine reinigung
an die waffe losgehen zu hören... aber
es hält nie lange an das tut es niemals und dann musst du wieder töten und du
tötest wieder... und dann wieder...
Mulder erschauderte und
barg sein Gesicht in seinen Händen.
4:37 a.m.
Das Bild war komplett. Sie
hatten den Unbekannten bisher aus einem einfachen Grund nicht gefunden: er war
gegangen. Aber nirgendwohin, wo ihn Fox Mulder nicht finden konnte.
Er setzte sich auf,
öffnete seinen Laptop und begann zu schreiben. Das einzige Geräusch war das
ungleichmäßige Klappern der Tasten.
Langsam und methodisch
tippte Mulder das Profil in die
Fernzugriffsdatenbank des
FBI. Er rief die zusammengesetzten Zeichnungen ab und ohne zu zögern wählte er
eine aus und fügte sie der Akte zusammen mit gesicherten Einzelheiten aus den
Zeugenbeschreibungen hinzu. Er drückte auf den Sendeknopf und schickte die
Information an den Hauptcomputer des FBI.
Die Zeichnung und sein Profil würden in wenigen Sekunden in beinahe
jedem Büro der Gesetzeshüter in den Vereinigten Staaten verfügbar sein. Indem
der Nachtofficer des Police Department von Daphne durcharbeitete, hatte er bereits
einen APB für diesen Unbekannten herausgebracht. Ein bundesweiter Haftbefehl
für einen zwischenstaatlichen Austausch, um eine Strafverfolgung wegen Mordes
zu vermeiden, würde in der Minute ausgestellt sein, wenn jemand mit einem Namen
kommen würde, eine Gefälligkeit des Bezirksbüros von Mobile.
Es würde nicht lange
dauern. Mulder war sich in seinem Leben nie sicherer über etwas gewesen. In kurzer
Zeit würden sie beginnen, jede Wohnwagenvermietung, jede Lagerhalle zwischen
New Orleans und Pensacola anzurufen. Sie würden Kopien des Phantombildes an
jede Nachrichtenstation faxen. Sie würden billige Hotels absuchen und nach
einem Angestellten suchen, der ihn vielleicht gesehen hatte.
Irgendjemand würde ihn
erkennen. Das war Gewissheit. Mulder wusste jetzt ohne jeden Zweifel, wie
dieser Kerl dachte, wie er sich bewegte, was er tat. Es ging nur darum, zu den
Orten zu gehen, wo er gewesen war und sein Bild zu zeigen und zu beschreiben,
wie er sich benommen haben würde.
Sie würden ihn kriegen und
mit ein bisschen Glück würde das sein, bevor er wieder morden konnte.
Also war es natürlich
alles wert gewesen, nicht wahr? Der Fall war im wesentlichen vorbei, das
Problem gelöst. Jetzt blieb ihm nichts weiter zu tun, als zu warten. Und er
würde hier warten, über seinem Laptop hockend.
Allein.
Er würde sein Versprechen
Scully gegenüber brechen und nicht zu ihr gehen, wenn auch nicht, weil er es
nicht wollte. Die Nacht hindurch hatte er die lebenswichtige Verbindung
zwischen ihnen bis zum Äußersten gespannt und sich selbst so weit, wie er
konnte, in den Geist des Außenseiters hineinbegeben.
Und er war immer noch
dort, außerhalb von allem, isoliert von jedem, ängstlich, nach ihr zu greifen,
ängstlich, dass ihn zurückweisen würde. Dass
dies die Gedanken des Unbekannten waren, zählte nicht. Sie waren immer noch in
ihm, so stark, als wenn es seine eigenen wären und sie würden nicht so schnell
verschwinden.
Aber mit der Zeit würden
sie vergehen. Die lebenswichtige Verbindung würde halten. Er liebte sie immer
noch. Er vertraute ihr immer noch. Er brauchte sie immer noch.
Aber er konnte nicht mit
ihr zusammen sein. Nicht jetzt. Nein. So sehr er den Trost ihrer Liebe wollte,
die Wärme ihrer Arme, es gab keine Möglichkeit, dass er sie heute Nacht
irgendwo in seiner Nähe haben wollte.
Profil des unbekannten
Verdächtigen im FBI-Fall Nr. 3098592-A Special Agent Fox W. Mulder,
Verhaltensforscher MODUS OPRANDI:
siehe beigefügte
Zusammenfassung des Falles von Special Agent Dana Scully, Ärztin PSYCHOLOGISCHES:
Der Unbekannte leidet sehr
wahrscheinlich an delusionaler Paranoia, funktioniert aber immer noch auf einen
marginalen Level und ist zu sozialer Kommunikation fähig, was auf folgenden
Befunden basiert:
Die Nutzung verschiedener
Schusswaffen, alle Kaliber 38, ist typisch für einen paranoiden Mörder.
Die ‚übermäßige' Natur des
Mordens, basierend auf mehrfachen Schusswunden bei jedem Opfer, die auf einen
Typ desorganisierter Mordorgie hinweisen, ist typisch für den paranoiden und
wütenden Verdächtigen. Die eskalierende
Natur der Gewalt, die auf ein psychologisches Profil hinweist, das
möglicherweise auf einen Modus Operandi abzielt, der typischer für einen wahren
Serienmörder ist, wenn nicht sogar diesen festhält.
Entsprechend der Gewalt,
die sich in den Ermordeten ausdrückt, hat der Unbekannte möglicherweise eine
persönliche Geschichte, als Kind misshandelt worden zu sein.
Er wird einige rassische
Vorurteile gegenüber Weißen haben (siehe unten die wahrscheinliche äußere
Erscheinung des Unbekannten), aber er wird hauptsächlich Mitglieder seiner
eigenen Rasse angreifen, was auf der verinnerlichten Abscheu vor sich selbst
beruht und die hauptsächliche Motivation für seine Verbrechen ist. Es ist
unwahrscheinlich, dass er zu irgendeiner organisierten Hetzgruppe gehört wegen
seiner Unfähigkeit, soziale Bindungen irgendeiner Art einzugehen.
Seine Zweckmäßigkeit
erweißt sich durch seine Fähigkeit zu reisen im Dienste seiner Verbrechen, was
auf einen Zugang zu einem motorisierten Fahrzeug schließen lässt. Die Gesetze
in Alabama machen es möglich, dass dem Unbekannten ein Fahrzeug gehört, das
sich in schlechtem Zustand befindet und er weder eine Versicherung noch einen
Führerschein hat, was die Menge an Geld reduziert, die den Einsatz eines
Fahrzeugs notwenig macht.
Er ist entweder
wohnungslos oder er lebt bei Verwandten, obwohl er wahrscheinlich nicht
willkommen ist, lange bei irgendjemandem von ihnen zu bleiben, wegen seiner
Paranoia und wegen seiner gewalttätigen Tendenzen. Am wohlsten fühlt er sich im
Handelsgebiet um den U. S. Highway 98 in der Nähe der Interstate 10 in Daphne,
deshalb lebt er wahrscheinlich in der Umgebung.
Dieser Unbekannte verfügt
wahrscheinlich über einen Polizeisender und er verfolgt die Aktivitäten der
Polizei unmittelbar, sowohl zur Information über die Untersuchung seiner
eigenen Verbrechen und weil er gewissermaßen ein ‚Polizeifan' mit einem
Verlangen nach der Autorität und der Macht ist, die für ihn im Tragen eines
Ausweises und einer Waffe liegen. Es
wird wahrscheinlich nützlich sein, die örtlichen Elektronikfirmen und Waffenhändler
zu überprüfen und ihnen das Phantombild zu zeigen.
ERWERBSTÄTIGKEIT:
Die Tendenz des
Unbekannten, Tante-Emma-Läden und Tankstellen zu überfallen, weist darauf hin,
dass er wahrscheinlich als Kassierer in solchen Geschäften arbeitet oder
gearbeitet hat, möglicherweise wegen Diebstahls entlassen.
Er gilt als seltsam oder
eigenartig, aber er gilt gewöhnlich nicht als offenkundig bedrohlich bei den
Menschen, mit denen er arbeitet.
FAHRZEUG:
Die Vorliebe des
Unbekannten für nächtliche Verbrechen weist auf ein Fahrzeug von dunkler Farbe
hin, beinahe sicher alt und in schlechter Verfassung. Er zieht vielleicht einen
Anhänger hinter sich her, in dem er das meiste seines Eigentums aufbewahrt.
ERSCHEINUNG:
Basierend auf der
Beschreibung der Zeugen und dem Modus Operandi des Unbekannten schließe ich
darauf, dass er ein männlicher Schwarzer ist, 25 bis 35 Jahre alt, von kleiner
Statur, mit ein paar Haaren im Gesicht, aber keinen weiteren signifikanten
sichtbaren Hautmerkmalen oder Narben. Er bevorzugt dunkle Kleidung, vor allem
in der Nacht.
KRIMINELLE VERGANGENHEIT:
Ich erwarte, dass unser
Unbekannter eine Vergangenheit mit geringfügigen Vergehen und wahrscheinlich
einem Gewaltverbrechen, möglicherweise ein Angriff auf irgendeine
Autoritätsperson hat. Es ist unwahrscheinlich, dass er über eine längere Zeit
eingesperrt war, aber er war fast sicher im Gefängnis und ist wahrscheinlich in
der Vergangenheit in eine Anstalt eingewiesen worden.
SPEZIELLE ANMERKUNG:
Es besteht die hohe
Wahrscheinlichkeit, dass die Morde in Florida teilweise durch äußere Einflüsse
motiviert wurden. Die Verbrechen passen nicht so genau in den Modus Operandi
unseres Unbekannten wie es typisch wäre, was die Wahrscheinlichkeit erhöht,
dass der Unbekannte absichtlich beeinflusst worden war, um diese Opfer
aufzuspüren und zu töten. Ich würde
tiefgreifende Nachforschungen zum Hintergrund dieser Opfer vorschlagen mit
Blick auf irgendwelche Verbindungen mit dem Militär oder mit Viehwirtschaft,
basierend auf den Erkenntnissen von Special Agent Scully, die auf ein
Anthrax-Ausgesetztsein oder auf den Gebrauch von Medikamenten zur
Anthraxprophylaxe von zwei Opfern in diesem Fall hinweisen.
Höflich eingereicht,
Special Agent Fox W.
Mulder
JTT047101111
Rathaus Daphne
Samstag, 6. März
7:33 a.m.
"Agent Mulder?"
Mulder öffnete die Augen,
einen Moment unsicher, wo er war. Er war steif und ihm tat alles weh und sein
Kopf fühlte sich an, als wenn die Jolly Green Giants ihn für ein schnelles,
hartes Schlagballspiel benutzt hätten. Sowohl
als Ball als auch als Schläger.
"Agent Mulder, tut
mir leid, dass ich Sie wecke, aber Ihre Partnerin hat hier angerufen auf der
Suche nach Ihnen."
Es war Mack. Er stand vor
der Tür und steckte den Kopf herein. Nun wusste Mulder, wo er war. Er war
eingeschlafen, den Kopf auf dem wackligen Klapptisch, hatte das bisschen, was
von der Nacht noch übrig geblieben war, gleich dort im Polizeihauptquartier
geschlafen. Mulder setzte sich auf, streckte sich und blinzelte verschlafen mit
den Augen. "Was will sie?" fragte er.
"Ich glaube, sie
braucht eine Fahrgelegenheit zur Arbeit," antwortete Mack.
"Möchten Sie, dass
ich sie abhole?"
"Nein,"
erwiderte Mulder und stand, nach seinem Mantel greifend, auf. "Ich muss
sowieso duschen. Ich hole sie ab. Haben Sie ein Aspirin?"
"Ich hab ein paar
gute da," meinte Mack. "Ich hole Ihnen eins."
"Danke. Haben Sie die
APB gesehen?"
"Als erstes heute
morgen," erklärte Mack. "Ich habe ein paar Officers hinausgeschickt,
die jetzt Motels und U-Haul-Plätze überprüfen werden. Möchten Sie mit mir mitfahren?"
Mulder schüttelte den
Kopf. "Ich muss ein paar Dinge überprüfen. Aber danke für das Angebot. Sie
haben meine Handynummer?"
"Genau hier,"
meinte Mack. "Ich schreie, wenn wir ihn gefunden haben."
"Machen Sie schnell,
Mack," sagte Mulder ernst. "Wenn nicht, wird es heute Nacht passieren
oder vielleicht morgen Nacht, aber es wird bald sein."
"Sind Sie sich dessen
sicher, Agent Mulder?" fragte Mack skeptisch.
"Ich bin sicher,"
antwortete Mulder entschieden und rieb sich die Schläfen.
Gott, dieser Kopfschmerz
war ein echter Bastard. "Heute Nacht oder morgen.
Mit einer Waffe, die er
noch nicht benutzt hat."
Mack sah ihn einen Moment
lang an. "Das ist irgendwie gespenstisch."
Mulder lachte humorlos
auf. "Ja, das ist es. Bringen Sie mir dieses Aspirin oder was immer es
ist. Ich muss einen Gauner fassen."
Das Pembroke Inn
Zimmer 204
8:40 a.m.
Zweimal heftiges Klopfen
der Knöchel. Das bedeutete FBI. Scully schaute durch den Spion, dann öffnete
sie die Tür weit. Mulder stand da, er sah verkatert aus, obwohl er klar
erkennbar an diesem Morgen geduscht und sich rasiert hatte.
"Ich vermute, ich bin
spät dran," sagte er.
"Du bist mehr als
spät dran," erwiderte sie. "Du warst verschwunden. Ich habe mir
Sorgen gemacht."
"Ich, äh... ich hab
mich entschieden, dass es besser war, letzte Nacht nicht vorbeizukommen,"
erklärte er. "Ich habe mein Telefon ausgeschaltet. Ich glaubte nicht, dass es eine gute Idee
sein würde, anzurufen."
Sie musterte ihn
sorgfältig. "So schlimm?" fragte sie ruhiger, als sie sich fühlte.
"Verdammt
schlimm," gab er, eine Grimasse schneidend, zu. "Bin mit meinen üblichen
Kopfschmerzen aufgewacht, die ich nach dem Profilerstellen habe und die Officer
Mack mit einem unbestimmten ekelhaften Südstaatengebräu, das als
Kopfschmerzpulver bekannt ist, behandelt hat. Schmeckte total beschissen."
"Was hast du
herausgefunden?"
"Lass uns nicht jetzt
darüber reden, okay?" bat Mulder, immer noch seine Schläfen reibend.
"Ich habe immer noch Kopfschmerzen und ich habe keine Sehnsucht danach,
das Gehirn dieses Typen so bald wieder zu besichtigen. Da draußen läuft ein
verdammt schlimmer Typ herum, Scully und ich habe jetzt eine ziemlich
begründete Vorstellung davon, wo er ist."
Das Green Top Inn
9:23 a.m.
"Das sieht mehr wie
die Art Motels aus, in denen wir üblicherweise abgestiegen sind," murmelte
Scully, als sie und Mulder sich der Empfangsangestellten des dritten Motels
näherten, das sie an diesem Morgen aufsuchten.
Die Angestellte war eine
Frau mittleren Alters, deren unglaublich tiefschwarzes Haar einen ungefähr vier
Zentimeter grauen Haaransatz zeigte. Ihr
Lächeln enthüllte mehr als nur ein paar fehlende Zähne. "Die kommt direkt
vom Central Casting," meinte Mulder. "Einfältige Südstaatenarbeiterin,
Typ 2. Wenn sie eine Maiskolbenpfeife hat, dann gehe ich."
"Kann ich Ihnen
helfen?" fragte die Angestellte.
"Wir sind vom
FBI," erklärte Scully, klappte ihren Ausweis auf und unterdrückte ein
Lächeln, als Mulder ihr einen Was-hab-ich-dir-gesagt-Blick zuwarf. "Ich
bin Special Agent Dana Scully, das ist mein Partner, Special Agent Fox Mulder.
Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen."
"Worüber?"
fragte die Frau, plötzlich misstrauisch.
"Wir würden gern
wissen, ob Sie diesen Mann gesehen haben," sagte Mulder, zog die Kopie des
Phantombildes aus der Innentasche seines Mantels und breitete es auf dem Tresen
aus. "Hat hier kürzlich jemand eingecheckt, der so aussieht?"
"Ja, sicher,"
erwiderte die Frau. "Ganz schön hässliche Sache. Kam gestern herein,
großen Anhänger an seinem Wagen. Ich hatte es schwer, die Plakettennummer zu
bekommen. Er musste im Voraus bezahlen."
"Unter welchem Namen
ist er eingetragen?"
Die Frau kratzte sich mit
einer Hand den Bauch und hämmerte mit der anderen auf ein paar Tasten des
altertümlichen Computers ein. "Steward Rayford Lee," sagte sie.
"Zimmer 104."
"Wissen Sie, ob er
jetzt in seinem Zimmer ist," fragte Scully.
"Ich weiß nicht, wo
er ist oder nicht," erwiderte die Frau. "Ich kümmere mich um meine
eigenen Angelegenheiten."
"Mulder, wenn wir
hineingehen müssen, brauchen wir einen
Durchsuchungsbefehl und
Verstärkung," erklärte Scully, sich ihrem Partner zuwendend.
Er nickte, holte sein
Handy hervor und wählte Macks Nummer. "Mack," sagte er. "Mulder.
Wir haben ihn wahrscheinlich. Ist ein Richter bereit?" Es folgte eine
Pause. "Gut. Kommen Sie schnell damit hierher. Und wir brauchen Verstärkung."
Pause. "Das Green Top Inn. Wie ist Ihre ETA?"
Mulder legte die Hand über
die Sprechmuschel. "Er sagt, er ist in zwanzig Minuten hier. Er ist jetzt
im Gericht," erzählte er Scully, dann wandte er sich an die Angestellte.
"Haben die Zimmer Hintertüren oder andere Ausgänge?"
"Nein," sagte
die Frau. "Ein Zimmer, eine Tür."
"Zwei sollten
ausreichen," sprach Mulder ins Telefon. "Aber ziehen Sie sich warm
an. Dieser Typ hat eine Menge Waffen zur Verfügung." Er drückte den Aus-Knopf
und klappte das Telefon zusammen. "Lass uns die Tür bewachen, bis Mack
kommt," sagte er zu Scully.
"In Ordnung, aber aus
der Ferne," stimmte Scully zu. "Wenn er uns entdeckt, gibt es
Schwierigkeiten."
"Ich streite nicht
darüber," meinte Mulder. "Ich will nur nicht, dass er wegläuft, wenn
er Streifenwagen auf den Parkplatz fahren sieht. Hast du eine Weste an?"
Scully nickte und blickte
aus dem schmutzigen Fenster. "Ich gehe nicht mehr ohne aus dem Haus,"
sagte sie. "Dieser Busch dort drüben," meinte sie und deutete auf
eine hochgewachsenen Strauch mit roter Krone. "Das ist unser Versteck."
"In Ordnung,"
stimmte Mulder zu. "Ich glaube, wir werden überhaupt einen Schlüssel
brauchen, Mrs. ..."
"Weaver,"
ergänzte die Frau. "Ruby Jolene Weaver."
"Kann ich Ihre
Adresse haben, Mrs. Weaver?" fragte Mulder und holte ein kleines Notizbuch
hervor.
"Barnett's
Crossroads, die Greeno Road hinunter," erklärte sie. "Jeder hier kennt
mich. Fragen Sie einfach nach Ruby Jolene."
"Mrs. Weaver, ich
schlage vor, dass Sie im hinteren Büro bleiben, weg von den Fenstern, bis Sie
wieder von uns hören," sagte Mulder. "Dieser Mann wird wegen mehrerer
Verbrechen gesucht, und ich will nicht, dass Sie verletzt werden."
"Was hat er
getan?" fragte sie mit mäßigem Interesse.
"Sie können darüber
in der Zeitung lesen," erwiderte Scully, nahm Mulders Arm und schob ihn
zur Tür hinaus. "Jesus, und ich dachte, Forrest Gump wäre eine erfundene
Figur."
"Tatsächlich glaube
ich, dass Gump cleverer war," antwortete Mulder kopfschüttelnd, dann wurde
er ernst. "Scully, wenn du nicht bereit bist, damit umzugehen, dann ist
das in Ordnung. Das hier kann ganz schnell heiß hergehen, wenn er wirklich hier
ist, und wenn du nicht dabei sein willst, wenn die Schießerei losgeht, dann ist
das okay."
"Nein,"
entgegnete sie. Es geht mir gut. Ich kann mich nicht für den Rest meines Lebens
verstecken." Sie sah zu ihm auf und er dachte, dass das Blau in ihren
Augen niemals zuvor so klar und so schön gewesen war. Oder so stetig.
"Ich habe keine
Angst, Mulder," sagte sie. "Wirklich."
Ist sie sich ihrer selbst
bereits so sicher, wunderte er sich. Das wäre die schnellste Heilung in der
Geschichte des PTS. Oder - was ihm weniger wahrscheinlich erschien - ist sie
sich meiner so sicher? Aber vielleicht, nur vielleicht ist sie es ja.
Vielleicht ist es das, was passiert, wenn du dich ihr öffnest, sie in der Nacht
im Arm hältst, die Mauern zwischen euch einstürzen lässt... oder, verbesserte
er sich, eine Mauer. Und diese eine, dachte er, wird bald einstürzen, wenn sie
etwas zu sagen hat.
Aber jetzt schaute sie ihn
immer noch an und um nichts in der Welt fiel ihm eine angemessene Erwiderung
ein. Und sie schien es zu wissen. Sie drückte kurz seine Hand, dann ließ sie
ihn los. "Komm schon, Partner," sagte sie. "Lass uns in Stellung gehen."
Ungezwungen bewegten sie
sich vom Gebäude fort, so als würden sie auf das grellgelbe Restaurant nebenan
zugehen. Als sie den Busch erreichten, traten sie rasch dahinter, Scully hockte
sich nieder und Mulder stellte sich hinter den dicken Stamm.
Mulder tippte Scully auf
die Schulter und deutete auf einen dunkelblauen halbverrosteten Chevy, der
hinter dem Restaurant parkte. Ein U-Haul-Anhänger gehörte dazu.
Sie blickte zu ihm auf,
sah ihm wieder in die Augen und wusste bescheid. Er war hier.
Die Agenten zogen ihre
Waffen, warteten und behielten dabei die Tür des Unbekannten im Blick. Mack war
schneller, als er versprochen hatte. In weniger als zwanzig Minuten kam sein
blau-weißer Dienstwagen und hielt neben der kleinen Steigung zwischen den
Gebäuden an. Mack stieg aus, begleitet von einem weiteren uniformierten
Beamten. Sie entdeckten Mulder, der eine Hand Schweigen gebietend hochhielt.
Mack nickte und machte
eine ebensolche Geste zu dem anderen Beamten. Den Busch zwischen sich und dem
Motel behaltend, erklommen Mack und der andere Officer rasch die Anhöhe, um
sich zu den Beamten zu gesellen.
"Zimmer 104,"
formte Mulder lautlos mit dem Mund, während er einen Finger hochhielt, dann
eine Faust und dann vier Finger, so buchstabierend, was er nicht laut sagen
konnte. Er deutete auf die Tür. Mack nickte, dass er verstanden hatte.
Langsam, um keine
Aufmerksamkeit von irgendjemandem, der zusah, auf sich zu ziehen, zeigte Mulder
auf die Tür. Wie ein Mann tauchten die vier aus der Deckung auf und schritten
rasch auf die Tür zu.
Scully schaute auf, traf
Mulders Blick und nahm die Position rechts von der Tür zwischen Klinke und
Fenster ein. Mulder zeigte auf Scully und Mack hockte sich unter das Fenster,
die Waffe gezogen. Mulder und Macks Partner blieben auf der linken Seite.
Mulder steckte die
Schlüsselkarte so leise wie möglich in die Tür, dann zog er sie ruhig zurück.
Das grüne Licht flammte auf. Karte erkannt.
Schnell hielt Mulder seine
linke Hand hoch. Er hob drei Finger. Zwei.
Einen. Er deutete auf die
Tür. Los.
Scully riss die Klinke
herunter, dann kauerte sie sich hin, die Waffe vor sich in den Raum haltend,
während Mulder die Tür aufstieß, sein Körper bewegte sich dabei seitwärts aus
der Schusslinie heraus.
Und da war er, der
Unbekannte, nun bekannt als Steward Rayford Lee, hielt eine 38er Smith and
Wesson und richtete sie genau auf sie.
"Bundespolizei,"
rief Mulder "Nehmen Sie die Waffe herunter!"
"Du kannst mich
mal!" schrie Lee und zielte auf Mulder. Sein Finger zuckte am Abzug.
Scully schoss und traf Lee in der oberen rechten Brusthälfte, der Knall machte
sie beinahe taub. Die Waffe schlug zurück gegen ihre Hände, der Rückstoß riss
den Revolverlauf nach oben, während ihre Ellbogen die Kraft abfingen, und zwang
sie dazu, den Finger vom Abzug zu nehmen, womit ihr Ziel ernsthaft
ausgeschaltet war.
Sie stand nun frei und sie
hatte nicht getroffen. Lee war nicht tot, er war noch nicht einmal außer
Gefecht gesetzt und er war immer noch bewaffnet.
Lees Augen waren groß und
sein ganzer Körper schien durch den Schock der 9mm Kugel zu zucken. Er starrte
auf den roten Fleck, der sich langsam auf seinem Hemd ausbreitete, dann riss er
die Waffe hoch, um wieder zu schießen und zielte auf Scullys Kopf.
Ein zweiter Schuss fiel,
diesmal aus Mulders Waffe. Die Kugel traf Lee mitten in die Brust und ließ das
Blut quer durch den Raum spritzen. Die Waffe fiel Lee aus der Hand, er
verdrehte die Augen und sein Körper sackte langsam zu Boden.
Die ganze Sache dauerte
weniger als zehn Sekunden. Und nun war es vorbei.
Rasch erhob sich Scully,
schob die Waffe von Lee fort und beugte sich herab, um seinen Puls zu fühlen,
dabei schob sie ihre eigene Waffe zurück ins Holster. Dann richtete sie sich
auf. "Er lebt noch," sagte sie, ohne aufzusehen, während sie begann,
auf die mittlere Wunde Druck auszuüben. "Mack,
rufen Sie einen Krankenwagen, Mulder gib mir die Plastikfolie von den
Trinkbechern."
Mack griff nach seinem
Funkgerät. "Zentrale, hier 212, wir haben einen Verletzten, zwei
Schusswunden, wir brauchen Sanitäter und einen Rettungswagen, noch besser einen
Rettungshubschrauber," sagte er. "Verstanden?"
Das Funkstenogramm benannte eine Person mit zwei Schusswunden, die schnelle
medizinische Hilfe oder besser einen Sanitätshubschrauber brauchte, um zu
überleben.
"Verstanden,
212," erklang die prasselnde Stimme des Dispatchers.
"Avisieren Ihre 20
noch das Green Top Inn?"
"Das ist 10-4,"
sagte Mack. "Wir haben eine Ärztin vor Ort, aber wir brauchen einen
sofortigen Transport, over."
"Wir kümmern uns um
den Transport, 212," antwortete der Dispatcher.
Mulder hatte in der
Zwischenzeit die Plastikfolien geholt. Scully riss die Folien jeweils in zwei
Teile und drückte fest sie auf den Wundeingang und den Wundausgang. "Nimm
die anderen," sagte sie zu ihm. "Drück fest zu. Wir müssen die Lungen
aufgebläht halten."
"Wird er es schaffen,
Scully?" fragte er leise.
Scully schüttelte den
Kopf. "Ich weiß es nicht," antwortete sie. "Wenn er es schafft,
dann knapp." Sie schaute zu ihm auf. "Du hattest Recht, Mulder,"
sagte sie. "Du hattest diesen Kerl ganz richtig eingeschätzt. Paranoid und schwer bewaffnet. Paranoid
genug, um zu versuchen, sich einen Schusswechsel mit vier bewaffneten Beamten
zu liefern."
"Ja, schön für
mich," murmelte er verdrießlich. " Nichts wie so tief hinein in den
Kopf des Unbekannten, dass du damit endest, jemanden zu töten, nicht wahr?"
"Was du getan hast,
hat mein Leben gerettet, Mulder," sagte sie und ihr Ton ließ ihn
aufblicken, ihr in die Augen sehen. "Es war ein sauberer Schuss. Er hat nichts mit dem Zustand deines Geistes
zu tun. Er hat eine geladene Waffe auf meinen Kopf gerichtet und er war dabei
zu schießen. Du hast das richtige getan."
"Das bezweifle ich
nicht," sagte er, auf die Wunde pressend. "Ich wünschte nur, ich
hätte es nicht so befriedigend gefunden."
11:54 a.m.
Zwei Stunden später war
Lee immer noch am Leben und erhielt eine Notoperation im selben Krankenhaus, in
dem Scully im Dezember operiert worden war - eine Ironie, die weder ihr noch
Mulder entging.
Die Polizei von Daphne
hatte Lees Zimmer durchsucht und zwischen anderen Dingen Zigaretten gefunden,
die in dem Laden gekauft worden waren, in dem Donaldson getötet worden war.
Lees richtiger Name war,
seinen Papieren zufolge, Malcolm Ronald Lee. Er war 20 Jahre alt und ca. 1,70 m
groß. In seinem Wohnwagen fanden die Polizisten zwei halbverhungerte
Dobermänner, einen Polizeifunkempfänger, einen RG31-Revolver, Kaliber 38 und
eine Smith & Wesson Model 60 Chief's Special, Kaliber 38, die identisch mit
der war, die er bei sich hatte, sowie genug Munition, um die Ardennenschlacht
noch einmal zu schlagen, zusammen mit einer Reihe abgenutzter und schäbiger
Haushaltsgegenstände.
"Es war genau, wie
Sie es gesagt haben," sagte Mack zu Mulder, als sie in dem winzigen
Eingangsbereich standen. "So etwas habe ich noch nie zuvor erlebt.
Gespenstisch."
"Das ist mein
Name," entgegnete Mulder abwesend, während er seine Waffe einem
Untersuchungsbeamten der Abteilung Forensische Wissenschaften übergab.
"Seien Sie vorsichtig damit," bat er. "Ich bin es leid, meine Waffe
zu verlieren."
"Ich werde sie
behandeln, als wäre es meine eigene," erwiderte der Mann grinsend.
"Mensch, ich liebe diese Dinger. SIG Sauer. Großartige Waffe."
"Ja, es scheint so,
dass sie diesmal prima funktioniert hat," meinte Mulder grimmig.
"Sorgen Sie nur dafür, dass ich sie zurückbekomme, okay? Haben Sie Scullys
Waffe?"
"Ja," antwortete
der Untersuchungsbeamte. "Ich werde sie zum Testschießen bringen und
morgen Abend haben Sie sie wieder, es sei denn, Ihre Vorgesetzten wollen es
nicht."
"Diese Möglichkeit
gibt es immer," sagte Mulder. "Rufen Sie mich auf dem Handy an, wenn
Sie mich brauchen. Ich weiß nicht genau, wo ich morgen sein werde."
"Das werde ich
machen," versprach der Mann und ging davon.
"Was haben Sie beim
NCIC gefunden?" fragte Mulder und wandte sich wieder Mack zu.
"Er hat eine Akte,
genau wie Sie gesagt haben," erwiderte Mack. "Verurteilungen wegen tätlichem Angriff
auf einen Hilfssheriff außer Dienst und Ladendiebstahl, eingesperrt, aber nicht
verurteilt wegen eines bewaffneten Überfalls auf eine Tankstelle in Spanish
Fort, hier die Straße hinauf."
"Keine
Kapitalverbrechen?" fragte Mulder. "Das überrascht mich."
"Das wäre so gewesen,
aber er wurde wegen bewaffnetem Überfall geschnappt, als er 15 war,"
erklärte Mack. "Zu der Zeit hätte es einer Entscheidung des Kongresses
bedurft, einen 15-jährigen als Erwachsenen zu behandeln, also bekam er sechs
Monate Mount Meigs - das ist eine Einrichtung für Jugendliche - und damit war
es erledigt."
"Klar," meinte
Mulder verdrießlich. Seine Augen leuchteten ein wenig auf, als Scully
hereinkam.
"Sie wollen, dass wir
zurück zum Revier kommen, Mulder," sagte sie. "Der Bezirksstaatsanwalt
will mit uns reden, und das Schussteam des FBI ist auf dem Weg hierher und sie
wollen auch mit uns reden."
"Können wir
wenigstens zuerst etwas essen?" fragte er wehklagend. "Ich weiß nicht,
wie das mit dir ist, aber ich habe seit dem Frühstück gestern nichts mehr
gegessen."
"Ja, und das war auch
nur ein Käsebagel," erwiderte sie, legte zärtlich eine Hand auf seinen
Unterarm und lächelte, während sie darauf wartete, dass er den Witz verstand.
Er tat es; und er
lächelte, nur ein wenig. "Erinnere mich nicht an diesen Fall," meinte
er. "Damals wurde ich beinahe wegen Mordes angeklagt, erinnerst du dich?
Jedenfalls mag ich keine Bagels."
"Diesmal werden Sie
nicht strafrechtlich verfolgt, Agent Mulder," sagte Mack. "Ich und
Otis, wir haben beide gesehen, dass der Kerl auf Sie gezielt hat, nachdem Sie
sich zu erkennen gegeben haben."
"Ja, das habe
ich," erwiderte Mulder. "Wissen Sie, nur einmal hätte ich es gern,
wenn einer dieser Kerle mir mit einer anderen Erwiderung käme als ‚Du kannst
mich mal!', wenn ich es tue."
"Ich denke, sie
lehren sie das in der Machoschule," meinte Mack grinsend.
"Jedenfalls, Agent
Mulder, haben wir bereits unsere Erklärung abgegeben. Wenn Sie nicht gewesen wären, würde dieser
Kerl immer noch umherziehen und Menschen töten. Es gibt keine Möglichkeit, dass
Ihnen deswegen jemand etwas anhaben kann."
"Danke, Mack,"
sagte Mulder. "Das hilft mir." Er schaute Scully an. "Komm, Scully,
lass uns unterwegs einen Hamburger essen. Mit Zwiebeln. Unmengen roher
Zwiebeln."
"Du hasst rohe
Zwiebeln," bemerkte Scully zweifelhaft.
"Ja, aber warum
sollen wir es ihnen leicht machen," entgegnete er. "Komm jetzt."
Ende Teil 3
Tod Ohne Herrschaft
- Kapitel 18-21
(Originaltitel: And Death Shall Have No Dominion)
von Jean Helms
aus dem Englischen
übersetzt von Sylvie < aktex_sm@hotmail.com
>
Anmerkung der
Übersetzerin: In diesem Kapitel kommt der Begriff 'four-bagger' vor.
Ursprünglich ist dies ein Begriff aus dem Baseball und bezeichnet jemanden, der
die erste, zweite, dritte und vierte Basis in einem Lauf schafft, der also
einen Homerun macht.
Innerhalb des FBI
bezeichnet man mit einem 'four-bagger' jemanden, der nicht so erfolgreich ist.
Genau gesagt ist es eher eine Beschimpfung. Da man das Wort aber nur sehr
schwer ins Deutsche übertragen kann, habe ich beschlossen, den Begriff so
stehen zu lassen, ihn aber dafür im Vorfeld zu erläutern. 'Four-bagger'
bedeutet also, von seinem Vorgesetzten auf vier verschiedene Arten bestraft zu
werden:
1. Tadel (allgemein ein mündlicher Verweis oder ein
schriftlicher Vermerk, der in die Personalakte des Agenten aufgenommen wird und
Auskunft darüber gibt, wogegen der Agent verstoßen hat);
2. Versetzung in ein Bezirksbüro (und keins von den guten, wie
z. B. New York - mehr so ins absolute Nirgendwo, wo nicht allzu viel passiert,
was eine Agenten interessieren könnte);
3. Zurückstufung auf einen niedrigeren Rang oder in eine
niedrigere Gehaltsklasse;
4. Suspendierung vom Dienst für eine bestimmte Zeit, in der
Regel ohne Bezahlung.
WARNUNG: Dieses Kapitel
enthält expliziten Sex für Erwachsene (MSR).
Noromos, Jugendliche und solche, die sehr empfindsam sind, verzieht euch
jetzt oder gebt ansonsten für immer Frieden.
Du sagst, du liebst mich:
hast du daran gedacht, wieviel diese kleinen Worte bedeuten?
Oje, eine Welt voller
Glück,
und Welten voller Schmerz!
Du kennst - oder du
solltest es - deinen Charakter jetzt, seine Bedürfnisse und Leidenschaften.
Kann ich es sein, wonach du verlangst? Findest du all dein Verlangen in mir?
‚Poem einer Frau'
Richard Henry Stoddard
Kapitel 18
Rathaus von Daphne
7:31 p.m.
Schließlich waren sie
fertig.
Nach stundenlangem
Ausquetschen durch die Polizei von Daphne, die Untersuchungsbeamten des
Bezirksstaatsanwalts und das FBI-Schusswaffenteam aus New Orleans, noch mehr
Stunden voller Berichte schreiben, Formblätter ausfüllen und nachdem der letzte
i-Punkt und das letzte Komma gesetzt waren, waren Mulder und Scully allein in
dem kleinen Raum, der ihnen als Hauptquartier gedient hatte.
Lange Zeit sprach keiner
von beiden, sie arbeiteten einfach Seite an Seite in einem kameradschaftlichen
Schweigen in dem gedämpften Licht einer kleinen Schreibtischlampe. Scully
bewegte sich leise im Raum und packte Akten und Ausrüstung zusammen. Mulder war
dabei, die Tatortfotos von den Wänden zu nehmen.
Keiner wollte der erste sein,
der ausdrückte, was so schmerzhaft offensichtlich für sie beide war: der Fall
war vorüber.
Es war an der Zeit, nach
Hause zu gehen.
Schließlich jedoch war der
kleine Raum leergeräumt, die Papiere waren vollständig und abgelegt, die Fotos
sorgfältig weggepackt zu den dazugehörigen Akten, und es blieb nichts mehr zu
tun, als einander anzusehen und darauf zu warten, dass einer Auf Wiedersehen
sagte.
Aber kein tat es.
Stattdessen tat Scully
einen Schritt vorwärts, zögernd zuerst, aber dann sicherer; als sie das
Willkommen in den Augen ihres Liebhabers sah, ließ sie sich von ihm in die Arme
nehmen und legte ihren Kopf an seine breite Brust.
Lange Zeit hielt er sie in
den Armen, sein Kinn auf ihrem Kopf, und wiegte sie sanft hin und her und
spürte dabei die Wärme ihrer Arme um seine Taille. Schließlich sprach Mulder.
"Scully, ich werde nicht vor morgen abreisen," sagte er. "Mack
hat mich gebeten, zu bleiben und ihm zu helfen, die Dinge zu Ende zu
bringen."
"Also hast du den
Rest des Abends frei?" fragte Scully in einem Ton, den er nicht recht
deuten konnte.
"Ich denke
schon," erwiderte er. "Willst du irgendwo etwas essen gehen?"
Sie schüttelte den Kopf,
wobei ihre Haare ein sanftes raschelndes Geräusch an seinem Hemd verursachten.
"Nein," sagte sie. "Ich bin nicht hungrig. Und du?"
"Nicht
besonders," meinte er und hielt sie immer noch fest.
"Dann..."
erwiderte sie, brach aber ab.
"Was?"
"Wir können nicht in
mein Zimmer gehen," erklärte sie. "Ich hätte es dir schon früher
erzählt, aber es ging alles so schnell. Glassman kam letzte Nacht in mein
Zimmer auf der Suche nach dir. Ich hab ihn hinausgeworfen."
Mulder lockerte seinen
Griff und sah verwirrt auf sie herab. "Du hast ihn hinausgeworfen?
Wie?" fragte er vorsichtig.
Sie seufzte. "Ich hab
meine Waffe gezogen und damit direkt auf seinen Schritt gezielt und ihm gesagt,
dass er verschwinden soll," erklärte sie.
"Er ist gegangen."
"Ja, ich nehme an,
dass er das getan hat," sagte Mulder überrascht. "Ich hätte es ganz
sicher getan."
Scully lachte leise, aber
ihre Augen waren traurig. "Jetzt stecke ich wirklich in
Schwierigkeiten," meinte sie. "Es wird Rolfe nicht schwer fallen,
diesen Fall diesmal gegen mich zu verwenden."
"Also bist du raus
aus dem VICAP," erwiderte er. "Na und? Du bist sowieso zu gut, deine
Zeit mit Dokumentenanalysen zu verbringen. Und Rolfe ist ein Dreckskerl. Es ist
gut für dich, dich von ihm zu befreien."
"Und was, wenn ich
diesmal sicher in Salt Lake City lande?" fragte sie.
"Was mache ich
dann?"
"Oh, es ist gar nicht
so schlecht da, wo das Licht mit dem Hammer ausgemacht wird," antwortete
er beruhigend. "Ich habe mich beinahe daran gewöhnt."
"Mulder, ich meinte
nicht..." begann sie schuldbewusst, als sie erkannte, was sie gesagt
hatte, aber er ließ sie nicht ausreden.
"Doch, das hast du,
aber es ist in Ordnung," meinte er und streichelte ihr Haar.
"Bezirksbüroarbeit ist hauptsächlich Stummelschwanzarbeit und jeder in der
ganzen verdammten Zentrale weiß das. Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, nicht
daran interessiert zu sein. So schlimm dieser Fall auch war, ich muss zugeben,
dass er eine einnehmendere Herausforderung war, als ich sie lange Zeit hatte.
Es wird schwer werden, wieder zu den Hintergrundrecherchen
zurückzukehren."
"Dann komm zurück
nach Washington," sagte sie. "Oder nach Quantico."
"Wie denn? Ich war
derjenige, der um eine Versetzung gebeten hatte, wenn du dich erinnerst. Die
X-Akten sind im Wasser gestorben. Das ist nicht deine Schuld," erwiderte
er rasch, als er spürte, dass eine Entschuldigung unterwegs war. "Ich bin
zuerst gegangen."
"Also willst du damit
sagen, du hast alle Brücken hinter dir abgebrochen?"
"Nicht alle,"
antwortete er lächelnd. "Ich habe mein Apartment an Frohike untervermietet,
also habe ich immer noch einen Platz zum Leben - theoretisch. Aber welchen
möglichen Grund könnte ich irgendjemandem in der Zentrale geben, die Versetzung
zurückzunehmen zwei Monate, nachdem ich auf eigenen Wunsch gegangen bin, wenn
das Projekt, an dem ich gearbeitet habe, nicht mehr existiert?
Jedenfalls," fügte er ernst hinzu. "Krycek ist immer noch da draußen.
Du bist vielleicht immer noch nicht sicher."
"Ich bin lieber nicht
sicher mit dir als sicher ohne dich," erwiderte sie. "Aber du weißt, wir haben immer noch die
Sache mit dem Anthrax, die wir herausfinden müssen."
"Haben wir das?"
Sein Ton ließ sie zu ihm
aufblicken. "Was meinst du?" fragte sie. "Wir haben das noch
nicht gelöst."
"Nein, aber es ist
vielleicht nicht an uns, das zu lösen," antwortete er sanft und strich ihr
eine Haarsträhne hinters Ohr. "Offiziell wind wir keine Partner mehr,
Scully, egal wie sehr wir es vielleicht auch wollen und keiner von uns arbeitet
in einem Antiterrorismuskommando. Die wahrscheinlichste Sache ist, dass sie
uns, nachdem unsere Schusswaffen überprüft worden sind, befehlen werden, unsere
Beweise an die CIRG oder irgendein anderes Antiterrorismuskommando zu
übergeben."
Sie schwieg.
"Scully?" fragte
er.
"Du hast wieder
einmal Recht, Mulder," sagte sie mit einem Kratzen in der Stimme.
"Ich habe gespielt, ich wäre deine Partnerin, ich wäre eine richtige
Agentin. Es ist jetzt vorbei. Zeit, in die reale Welt zurückzukehren."
"Es ist nicht vorbei
und du hast nicht gespielt," entgegnete er. "Dieser Fall mag zuende
sein, aber soweit es mich angeht, bist du immer noch meine Partnerin und du
wirst es immer sein, egal ob es offiziell ist oder nicht. Eines Tages kriegen wir Ratboy und dann
können wir wieder zusammenarbeiten - wenn es das ist, was du möchtest,"
verbesserte er sich.
"Du weißt, dass ich
es will," flüsterte sie und kuschelte sich wieder in seine Arme.
"Mehr als beinahe alles, woran ich denken kann."
"Beinahe alles?"
neckte er sie und streichelte ihren Rücken.
"Ja," erwiderte
sie, ihre Stimme gedämpft an seinem Körper. "Da ist etwas anderes, das ich
noch mehr will."
Er sog langsam den Atem
ein und ließ ihn dann wieder heraus.
"Ich fürchte mich
beinahe davor, zu fragen..."meinte er.
"Tu's nicht,"
sagte sie und bewegte ihren Körper langsam und sinnlich an seinem. "Ich
weiß, in der letzten Zeit sind eine Menge Dinge zwischen uns geschehen, aber
bitte glaub mir, ich will es. Kannst du nicht erkennen, dass ich es liebe, wenn
du mich berührst?"
"Das kann ich,"
erwiderte er leise und küßte sie auf die Stirn. "Aber ich weiß auch, dass
du dich immer noch sehr fürchtest und ich will nicht, dass du dich vor mir
fürchtest."
Scully schüttelte den
Kopf. "Ich habe Angst," sagte sie leise und hielt ihn ein wenig
fester. "Aber nicht vor dir - niemals vor dir." Sie schaute zu ihm
auf. "Ich will nicht länger Angst haben, Mulder," fuhr sie fort.
"Wenn die Angst mich überkommt, dann wirst du es wissen, nicht wahr?"
Er nickte. "Ich werde
es wissen," antwortete er. "Aber ich bin nicht sicher, dass ich weiß,
was zu tun ist."
"Tu einfach das, was
du schon vorher getan hast," erwiderte sie und hob ihre Hand, um sein
Gesicht zu berühren. "Hilf mir einfach, mich zu erinnern. Hilf mir, mich
zu erinnern, dass ich jetzt bei dir bin und dann werde ich keine Angst mehr
haben."
"Scully, ich..."
begann er, aber sie unterbrach ihn.
"Shh," machte
sie. "Es gibt nichts mehr zu reden."
Sie hatte Recht. Es war
keine Zeit mehr für Spiele, keine Zeit mehr zum Warten. Die Wahrheit war -
einmal - direkt vor ihm, bewegte sich in seinen Armen und schickte ihm eine
wortlose Botschaft, die er weder missverstehen noch ignorieren konnte.
Ich will dich.
"Heute nacht?"
fragte er leise. "Bist du dir wirklich sicher, Scully?"
"Heute nacht,"
antwortete sie. "Es wird eine lange Zeit keine andere Nacht geben,
vielleicht niemals wieder. Wer weiß das schon in diesem Job?" Sie presste
ihre Lippen an seinen Hals. "Ich will, dass du mich liebst," flüsterte
sie. "Jetzt. Heute nacht."
Sie lieben, in die
Weichheit tief in ihr versinken, sich selbst in ihrem schmalen, wundervollen
Körper verlieren, ihr wunderschönes Gesicht vor Leidenschaft erleuchten sehen,
ihre leisen Schreie hören, wenn sie kommt...
all diese Dinge zusammen machten die einzige Vorstellung von Himmel aus,
die er jemals hatte.
Aber da waren immer noch
so viele Risiken...
Er beugte seinen Kopf über
ihren und erhaschte den beißenden Geruch von Schießpulver in ihrem Haar, der zu
vertraute Geruch erinnerte ihn wieder daran, wie nahe sie dem Ende gekommen
waren, wie zerbrechlich das Band war, das sie an diese Erde und aneinander
band.
Pfeif auf die Risiken.
Pfeif auf alles, pfeif auf den ganzen verdammten Planeten. Sie hat Recht. Die
Zeit ist jetzt. Und ich will sie, wie ich noch nie in meinem Leben etwas
gewollt habe.
"In Ordnung,"
sagte er und war sofort entmachtet durch die Freude, die ihre Augen
erleuchtete, als er es sagte. Wie kann es dir so viel bedeuten, dachte er.
"Wir werden irgendwo hingehen, wo Glassman uns nicht finden kann."
"Wo?" fragte sie
und atmete bereits tiefer und rascher als gewöhnlich.
"Wohin gehen
wir?"
Er zuckte mit den
Schultern. Es war seltsam, diese Unterhaltung zu haben, seltsam aber erheiternd.
"Mobile, nehme ich an," erwiderte er. "Der Strand wäre
romantischer, aber er ist fast eine Stunde weit weg und ich bin mir nicht
einmal sicher, dass wir um diese Jahreszeit einen dezenten Platz zum Verweilen
finden könnten."
"Mobile,"
wiederholte sie mit einer entschlossenen Neigung ihres Kinns.
"Bestimmt. Im
Hafengebiet. Ich mag es, die Schiffe zu sehen."
"Oh, komm schon, der
Strand ist besser," hielt er ihr entgegen mit einem neckenden Lächeln auf
den Lippen.
"Nein, das ist er
nicht," erwiderte sie. "Das Hafengebiet ist es."
Er lachte, sanft und tief
in seiner Kehle. "Marinebalg," sagte er und drückte ihr einen Kuss
auf die Stirn.
"Inseljunge,"
entgegnete sie lächelnd und zog sein Gesicht zu ihrem herunter, drückte ihren
Mund auf seinen und küßte ihn tief und leidenschaftlich und ließ ihre Zunge
über seine volle Unterlippe gleiten.
Ein zögerliches Klopfen an
der Tür ließ sie beide schuldbewusst auseinanderfahren und Mulder drehte seinen
Rücken zur Tür, als Mack eintrat.
"Oh, hey, ich wusste
nicht, dass Sie immer noch hier sind," bemerkte Mack. "Ich dachte mir, ich räume mal ein
bisschen auf. Sie sind mir bereits zuvorgekommen."
"Wir wollten gerade
gehen," antwortete Scully und versuchte ruhig zu erscheinen und versagte
dabei vollkommen.
"Mm-hmm," meinte
Mack und nahm ihre erregte Erscheinung und ihren raschen Atem in sich auf.
"Das kann ich verstehen. Ich habe gerade mit dem St. Catherine's telefoniert. Lee ist aus dem OP
heraus. Es ist bedenklich, aber es sieht so aus, als könnte er es schaffen. Sie
haben eine seiner großen Arterien getroffen, Agent Mulder, aber Ihre Partnerin
hat Ihren Arsch gerettet."
"Nicht zum ersten
Mal, das versichere ich Ihnen," sagte Mulder, ohne ihn anzusehen.
"Mm-hmm," machte
Mack wieder, nicht dumm. Er wusste, was Mulder zu verbergen versuchte und er
konnte es ihm nicht übel nehmen. Scully konnte einem Holzindianer einen Ständer
verpassen. "Gut, bringen Sie Agent Scully morgen früh vorbei, damit wir
uns verabschieden können, in Ordnung?" fragte er.
"Ja, Mack, das werde
ich tun," antwortete Mulder über seine Schulter hinweg. "Danke für
alles."
"Ach, nichts zu
danken," erwiderte Mack mit einem humorvollen Funkeln in den Augen.
"Wir sehen uns. Und vergessen Sie morgen früh die Doughnuts nicht. Hab
heute morgen keinen bekommen."
"Ich werde sie nicht
vergessen," sagte Mulder, sich immer noch nicht umdrehend. "Wir sehen
uns dann."
Grinsend wie eine Cheshire
Katze ging Mack hinaus und schloss die Tür hinter sich. Für einen Moment sahen
sich die Agenten nur an, dann fiel Scully lachend zurück in Mulders Arme.
"Hab heute morgen
keinen bekommen," sagte sie und gab dabei einen treffenden Eindruck von
Macks langsamer affektierter Sprechweise wieder. "Ich nehme nicht an, dass wir uns fragen
müssen, ob er irgendetwas bemerkt hat," fuhr sie in ihrer eigenen Stimme
fort.
"Nicht eine New York
Minute , wie sie hier sagen," meinte Mulder und legte seine Arme um sie.
"Komm, lass uns hier verschwinden, bevor wir noch einmal erwischt
werden."
Das Quincy Hotel
8:26 p.m.
In ein nettes Hotel
einzuchecken ohne Gepäck erwies sich als ein größeres Problem, als Mulder in
Erinnerung hatte. Die Reiserabatte des FBI deckten nichts so teures und die
meisten Hotels, in denen er übernachtete, gaben gar nichts darauf, was man
mitbrachte, solange man im Voraus zahlte.
Dies war keiner von diesen
Plätzen.
Es bedurfte nicht nur
einer Kreditkarte, sondern auch seines FBI-Ausweises, bevor sich der Nachtportier
schließlich überreden ließ, ihm ein Zimmer zu geben, und er musste zum Wagen
zurückgehen, um ihn zu holen. Ohne Waffe und ohne Holster, die es zu verbergen
galt (abgesehen von der 22er, die in seinem Beinholster steckte und offiziell
nicht existierte), hatte er seine Anzugjacke im Auto gelassen.
Mulder beendete das
Ausfüllen des Anmeldebogens, empfand ein abartiges Vergnügen daran, ihrer
beider Namen einzutragen ohne irgendwelchen Mist von wegen ‚Mr. und Mrs.', nahm
die Zimmerschlüssel an sich und ging zurück in die Lobby, wo Scully auf ihn
wartete und der schwachen Musik aus der Pianobar zuhörte.
Lange Zeit stand er nur da
und betrachtete sie, wie sie sich bewegte und wunderte sich darüber, wie eine
Frau so wunderbar, so mutig und vollkommen bewundernswert wie Dana Scully sich
entschieden haben konnte, mit ihm zusammen zu sein. Mit ihm unter allen
Menschen. Nach all dieser Zeit machte es immer noch keinen Sinn für ihn und
besonders nicht jetzt.
Ich will, dass du mich
liebst.
Sie hatte das wirklich
gesagt. Und gemeint.
Ich weiß nicht, warum du
mich willst, dachte er. Aber ich will versuchen, ich schwöre, ich will
versuchen, es heute Nacht richtig bei dir zu machen, dir nicht wehzutun oder
dich zu enttäuschen.
Dann sah er, dass sie ihn
prüfend ansah, ihre rechte Augenbraue leicht nach oben gezogen.
"Probleme?" fragte sie, als er sie erreichte.
Er schüttelte den Kopf.
"Nichts, was es zu berichten wert ist," antwortete er und nahm ihre
Hand. "Bist du sicher, dass du nichts zu essen haben möchtest? Es ist
spät; die Küche wird bald schließen."
"Das ist der Grund,
weshalb ich nichts zu essen haben möchte," erwiderte sie sanft. "Es
ist spät und ich möchte keine Minute mehr verlieren."
Nickend biss er sich auf
die Unterlippe, seiner Stimme nicht trauend.
"Komm schon,"
sagte sie und zog zärtlich an seiner Hand. "Lass uns hinauf gehen und
zusammen allein sein."
Scully ging langsam zum
Fenster ihres Zimmers hinüber, sah hinaus auf die Lichter des Hafens und die
weiter entfernten Lichter der Ostküste, die sie gerade verlassen hatten. Mulder
verschloss die Tür hinter sich, dann kniete er nieder, löste sein Beinholster
und legte es auf die Kommode, während er sie beobachtete, wie sie den Blick in
sich aufnahm und ihre Hände sanft auf der Fensterbank ruhten. Sie schien weit
fort zu sein.
Ob sie es sich noch einmal
überlegte?
Aber dann drehte sie sich
zu ihm um mit einem Lächeln, an das er immer als ihr ‚rätselhaftes Dr. Scully'
Lächeln dachte.
"Komm her," bat
sie und hielt ihm ihre Arme entgegen.
Mulder brauchte keine
zweite Einladung. Mit drei raschen Schritten seiner langen Beine durchquerte er
das Zimmer, zog sie in seine Arme und neigte seinen Mund zu ihrem. Er spürte,
wie ihre kühlen Hände sein erhitztes Gesicht liebkosten, hinabglitten, um den
rasenden Puls an seinem Hals zu berühren und fühlte ihre sanfte Zunge, die
seinen Mund schmeckte und nach Einlass suchte.
Ein Stöhnen löste sich
tief aus seiner Kehle und er umarmte sie fester, hob sie hoch und trug sie ans
Fußende des Bettes, wo er sie beide fallen ließ, ihre Arme immer noch
umeinander gelegt und ihre Münder in einem heftigen Kuss vereint.
Er hörte das leise
Plums-Plums, als Scully sich ihrer Schuhe entledigte und er stupste seine
eigenen Schuhe fort, er wollte sich schnell ausziehen, aber nicht lange genug
innehalten, um es zu tun. Der ewige Widerspruch der ersten sexuellen Begegnung,
nahm er an. Kein Wunder, dass sie normalerweise die Ausziehszenen in den Filmen
überspringen; es war eine ziemlich peinliche Prozedur, wenn man dahin kam.
Aber es schien so, als
würde er letztendlich etwas Hilfe dabei haben.
Scullys Hände waren an seiner Krawatte, lösten den Knoten und zogen sie unter
seinem Kragen hervor. Sie warf sie auf den Boden und ihre Hände kehrten zurück,
um sein blutbeflecktes Hemd aufzuknöpfen, sie half ihm, es auszuziehen, zog
dann sein weißes T-Shirt aus dem Hosenbund und schob ihre Hände darunter, um
seine nackte Brust zu berühren.
Die Berührung ließ ihn vor
Vergnügen schaudern und seine Hände glitten herab zu der sanften Kurve ihres
Pos, er zog sie fester an sich und ließ sie spüren, wie hart sie ihn machte.
Er spürte, wie sie nach
Luft schnappte und sie vergrub ihre Hände in seinen Haaren über seinem Nacken
und zog ihn tiefer und tiefer in ihren immer noch andauernden Kuss.
Dann ließ sie ihn los,
unterbrach den Kuss zum ersten Mal und setzte sich, ihn mit sich bringend, auf.
Also war er nun dran. So
langsam wie er konnte, knöpfte er ihre Kostümjacke auf, schob sie von ihren
Schultern und half ihr, zuerst den einen Arm herauszuziehen und dann den
anderen. Er zog ihre Seidenbluse aus dem Bund ihres dunklen, konservativen
Rocks, schob seine Hände darunter und legte seine Handflächen auf die glatte,
nackte Haut ihres Rückens.
Scully ergriff den Saum
ihrer Bluse mit beiden Händen und zog sie sich über den Kopf, wandte sich dann
Mulder zu, zog ihm sein T-Shirt aus und warf es achtlos auf den Boden.
Scully sah zu, wie Mulders
Blicke langsam und kühn über ihren Körper glitten, von ihrem geröteten Gesicht,
über ihren Hals zu dem weichen beigefarbenen Satin-BH, über dem sich ihr
cremiges Fleisch durch ihren erregten Atem rasch hob und senkte. Natürlich
hatte er all das schon vorher gesehen, unter anderen Umständen, aber nicht
so... nicht, wenn sie schließlich dabei war, körperlich sein zu werden, so wie
sie seelisch schon lange sein war.
Dies, das wussten sie
beide, war anders.
Sein Blick wanderte
langsam zurück zu ihren Augen und er lächelte, ein leises Lächeln voller
anerkennendem Vergnügen und etwas anderem, etwas beinahe traurigem...
Domina, non sum dignus,
dachte sie. Gnädigste, ich bin Ihrer nicht wert.
Du bist soviel mehr wert,
wenn du es nur wüsstest, dachte sie, aber ich fürchte, ich bin alles, was du
bekommst. All diese Jahre hatte ich Angst, dass du meine ganze Seele besitzen
wolltest, und alles, was du wirklich wolltest, war ein Freund und ein Partner,
jemanden, der an dich glaubt, der dir ein wenig Liebe gibt, ein wenig Trost und
einen sicheren Platz, um deinen Kopf niederzulegen.
Und all diese Jahre habe
ich mich zurückgehalten. Ich hatte eine ganze Liste guter Gründe, daran
erinnere ich mich. Es ist nur so, dass ich dich nun ansehe und ich mich nicht
mehr erinnern kann, welche diese Gründe waren.
"Dana?" fragte
er und holte sie zurück aus ihren Erinnerungen. "Stimmt irgendetwas
nicht?" Sie schüttelte den Kopf und lächelte ein wenig, um die Angst aus
seinen Augen zu vertreiben. "Nein," erwiderte sie. "Ich habe nur
nachgedacht."
"Worüber?"
Sie beugte sich nach vorn
und küßte ihn zärtlich. "Darüber, wie sehr ich dich heute Nacht
befriedigen möchte," antwortete sie sanft. "Wie sehr ich dich
glücklich machen möchte, dies hier so machen, wie du es dir immer erträumt
hast."
"Dann kannst du jetzt
aufhören, weil du bereits Erfolg hattest," sagte er mit leiser Stimme. Er
strich mit einem Finger über die Linie ihres Kinns, ließ ihn dann langsam
weiterwandern über ihre Kehle zum Rand ihres Halses und weiter nach unten,
dabei eine federleichte Berührung auf der warmen Schwellung ihres Fleisches
gerade über ihrem BH zurücklassend.
Scully lehnte sich zurück
und lächelte, dann griffen ihre Hände schüchtern nach hinten zum Verschluss ihres
BHs, hielten aber inne, als Mulder den Kopf schüttelte. "Lass mich das
tun," sagte er mit derselben leisen Stimme.
Er glitt hinter sie, legte
seine Hände zärtlich auf ihre Schultern und massierte sie sanft, bis er spürte,
wie sie sich entspannte und er ihr leises Summen der Lust vernahm. Seine Hände
streichelten sanft über ihre Arme, er presste heiße Küsse auf ihre glatten
Schultern und dann glitten seine Hände langsam herab, um ihre Brüste zu
umschließen.
Die Berührung ließ sie
erzittern und sie seufzte leise, als seine Hände zärtlich das sensible Fleisch
durch den glatten weichen Stoff hindurch liebkosten. Sie war exquisit, die Art,
wie er sie behandelte, die Art, wie sich seine Daumen so sanft in ihre
Weichheit drückten, während sie über ihre Brustwarzen rieben, die nun stark
aufgerichtet und unglaublich übersensibel waren.
Es war zuviel - es war
nicht genug.
"Nimm ihn fort,"
stöhnte sie eindringlich. "Ich will deine Hände auf mir spüren."
"In Ordnung,"
entgegnete er in einem kehligen Flüstern und brachte seine Hände hinter ihren
Rücken, um ihren BH zu öffnen und die Träger in einer glatten Bewegung von
ihren Schultern zu streifen, dann glitten seine Hände zurück zu ihrem warmen
weichen Fleisch. Sie schleuderte den BH zur Seite, dann hob sie ihre Arme,
legte sie um seinen Hals und gab ihm so mehr Raum zum Erforschen und überließ
sich selbst vollkommen verletzbar und ungeschützt seiner Berührung.
"Gott, du bist so
schön," murmelte er ihr ins Ohr, während seine Hände ihre Brüste
zurückeroberten, ihr zartes Gewicht hielten, zärtlich an ihren Brustwarzen
zogen und sie dazu brachten, sich zu winden und zu seufzen und ihren Rücken
gegen seine Brust zu pressen. "Du bist schöner, als alles, wovon ich je
geträumt habe."
"Oh... hör nicht
auf," flehte sie atemlos. "Versprich es mir..."
""Das werde ich
nicht," versprach er, an ihrem Ohrläppchen knabbernd.
"Bestimmt nicht, es
sei denn, du willst es. Versprochen."
Sie drehte sich langsam
um, presste ihre Brüste gegen seine nackte Brust und es fühlte sich so gut an,
so gut, ihm so nahe zu sein, Haut an Haut und nichts, das sie trennte. Ihre
Arme legten sich fester um seinen Hals, als sein Mund ihren zurückeroberte,
einen Blitz heißer elektrisierender Lust durch ihren Köper jagte und das Feuer
zwischen ihren Beinen heißer als je zu vor brennen ließ. Seine Hände glitten
über ihre Schulterblätter ihren Rücken hinab und wieder herauf, dann wieder
herab und hielten am Bund ihres Rockes an.
Er will mich nackt für
sich, dachte sie und die Erkenntnis ließ ihre Erregung noch höher schlagen. Er
zieht mich für sich aus.
Sie spürte, wie er ihren
Rock aufknöpfte, den Reißverschluss herunterzog und den Stoff über ihre Hüften
schob und sie ließ seinen Mund los, erhob sich auf die Knie, um es leichter für
ihn zu machen und keuchte, als sie fühlte, wie sich seine Lippen um ihre
Brustwarze schlossen, sanft daran saugten und seine Zunge über die sensible
Spitze schnellte, während seine Hände fortfuhren, sie zu entkleiden.
Sie wollte ihm helfen,
wollte, dass es schneller ging, aber sie spürte, wie sich ihre Hände in seinen
Haaren vergruben, Angst ihre Muskeln unerklärlich verspannte... und sie
erinnerte sich. Dies war es gewesen, was alles vorher so verkehrt gehen ließ.
Gott, bitte, lass es nicht
zu, dachte sie, bitte lass es jetzt nicht zu Ende gehen...
Er musste ihre Angst
gespürt haben, weil er ihre Brustwarze losließ, seinen Mund an ihren brachte
und ihr Gesicht zärtlich in seine Hände nahm. Er küßte sie innig, aber voller
Zärtlichkeit und seine Daumen streichelten zart ihre Wangen.
"Entspann dich. Es
ist in Ordnung," murmelte er, seine Lippen nur eine Winzigkeit von ihren
entfernt. "Alles ist in Ordnung."
"Bist du
sicher?" flüsterte sie und hasste den zitternden Ton, den sie in ihrer
Stimme hörte, gegen den sie aber nichts machen konnte. "Hast du keine Angst,
dass ich... wieder ausflippe?"
"Das wirst du
nicht," erwiderte er und küßte sie sanft. "Du weißt, dass ich niemals
irgendetwas tun würde, das dir wehtut. Du musst mir vertrauen. Bitte vertrau mir, Dana."
"Das tue ich,"
hauchte sie. "Ich vertraue dir. Ich vertraue dir mit meinem Leben..."
Weiter kam sie nicht, als sein Mund sich wieder über ihren legte, sie in sich
aufnahm, ihren Atem aus ihren Lungen sog, als würde er alles von ihr in sich
aufsaugen.
Mulder hielt sie fest an
seinem Mund, bis er spürte, dass ihre schlanken Arme sich wieder um ihn legten,
bis er spürte, dass sie sich wieder in seiner Umarmung entspannte, dann legte
er seine Hände wieder auf ihre Taille, schob seine Daumen unter den Gummi ihrer
Strumpfhose und zog sie bis zu ihren Schenkeln herab.
Dana ließ ihn los, legte
sich zurück auf das Bett, ihre Füße baumelten über der Kante, eine Hand warf
sie über ihren Kopf, mit der anderen streichelte sie seinen Arm, um ihn zu
ermuntern, während er die Hose weiter herunterzog, sich am Fußende des Bettes
hinkniete, um sie über ihre Füße zu streifen. Sie streckte ihre Hand nach ihm
aus, aber er schüttelte wieder den Kopf.
"Noch nicht,"
sagte er und drückte einen sanften Kuss auf die Innenseite ihres Schenkels,
gerade über ihrem Knie. "Gib mir eine Minute."
Unerträglich langsam
begann er sich auf den Weg nach oben zu machen, küßte die weiche elfenbeinerne
Haut, ließ seine Zunge herausschnellen, manchmal saugend, manchmal sanft
knabbernd, und es gab keinen Zweifel mehr in ihrem Kopf, wohin er damit
steuerte.
Gott, wie würde es sein?
Niemand hatte das bisher
mit ihr gemacht, obwohl Gott wusste, dass sie es wollte. Jack hatte ihr
ziemlich klar gesagt, dass er es widerlich fand und keiner ihrer beiden
vorherigen Liebhaber hatte auch nur einen Versuch unternommen, sie auf diese
Weise zu befriedigen und sie war zu jung und zu schüchtern gewesen, um darum zu
bitten.
Jetzt kniete er zwischen
ihren Beinen; er war beinahe dort. Sie wand sich unter ihm, fast fiebrig vor
Erwartung, als sie seinen warmen Atem durch den feuchten Stoff ihres Höschens
spürte.
Scully warf ihm einen
beinahe zaghaften Blick zu und erntete ein weiteres Lächeln, als er sich auf
die Seite rollte, seine Hände unter den Gummibund ihres Höschens schob und sie
langsam herunterzog, über ihre Knie, ihre Waden, ihre Füße und dann waren sie
fort. Und ich bin nun nackt, dachte sie, die Erkenntnis ließ sie sich wieder
vor Verlangen winden. Ich bin nackt und er ist es nicht und warum macht es mich
so heiß, das zu wissen? Weil ich jetzt
unter seiner Kontrolle bin und ich liebe es ich hätte es nie geglaubt aber ich
liebe es und ich weiß was kommt und oh Gott...
Sie schrie auf, als sie
spürte, wie sich sein Mund um ihren sensibelsten Punkt schloss und seine Finger
sie sanft spreizten, um ihm einen besseren Zugang zu ermöglichen und oh Gott,
was tat er da unten...
Das weiche Saugen, das Lecken
seiner Zunge, das sanfte Erproben seiner Finger, die in ihre unglaubliche
Feuchtigkeit eintauchten, seine Nase, die gegen sie stieß in einer unerträglich
reizenden Weise - es war einfach zu gut, zu viel und sie spürte, wie sie sich
ihrem Höhepunkt näherte.
Und dann spürte sie, wie
sich ihr Körper anfing zu verschließen, wie die Angst wieder nach ihr griff,
der Terror ihrer langen Alpträume knapp über bewusstem Denken hervorlugte...
und ihr Verstand begann, sie davonzutragen, sie damit vor dem Terror und der
Entblößung ihres privatesten Ichs vor einem anderen zu schützen, sie vor diesem
totalen Verlust der Kontrolle zu bewahren.
Sie hätte schreien können
vor Enttäuschung. So sollte es nicht sein, nicht mit ihm, dachte sie. Was ist
verkehrt mit mir?
Dann fühlte sie seine
Hände, die zärtlich ihre Schenkel streichelten und sie beruhigten und sie
erkannte, dass er wusste, dass irgendetwas falsch war, dass er ihre Verspannung
unter ihm fühlen konnte und dass er darauf reagierte, er würde sie nicht allein
und unbefriedigt zurücklassen...
Das ist Mulder, dachte sie
und ich bin sicher bei ihm, ich kann mich gehen lassen, ich kann tun, was er
möchte, weil es in Ordnung mit ihm ist und ich sicher bin, ich bin sicher. Und
dann kam sie auf einmal, sie kam hart und ihr Kopf rollte hilflos auf dem Bett
hin und her, ihre Hüften stießen ihm entgegen, ihre Hände erwischten seinen
Kopf, zogen ihn näher an sich, damit er nicht aufhörte, bis sie fertig war zu
kommen und zu kommen und zu kommen...
Sie schrie wortlos auf,
als sie den Gipfel erreichte und jeder Zentimeter von ihr zog sich zusammen und
pulsierte in demselben starken Rhythmus, wieder und wieder. Plötzlich war es
zuviel und sie ließ sein Haar los, fühlte, wie er sich augenblicklich zurückzog
und sie wusste, dass er verstand und wusste, dass sie jetzt zu sensibel war und
dass sie es brauchte, dass er innehielt, damit sie sich ein wenig erholen
konnte.
Da gibt es etwas zu sagen
über einen Mann, der schon vorher mit Frauen zusammen war, dachte sie entfernt.
Ich werde mich das nächste Mal daran erinnern müssen, wenn Bill anfängt, sich
so verdammt überlegen zu benehmen, weil er bis zur Hochzeit gewartet hat und
ich nicht...
Sie hörte das Klimpern
seiner Gürtelschnalle, das Kratzen seines Reißverschlusses und dann lag er
neben ihr, herrlich nackt und erregt, nahm sie in die Arme, schob sie
vorsichtig auf dem Bett nach oben, um auf den Kissen zu liegen, dann hielt er
sie zärtlich und streichelte sie sanft, als sie begann, wieder in die Realität
zurückzukehren.
"Mulder,"
flüsterte sie, immer noch verwirrt. "Oh, mein Gott..."
"Shhh,"
entgegnete er, küßte zart ihre Lippen und strich ihr das Haar aus der feuchten
Stirn. "Ruh dich ein Weilchen aus." Er küßte sie wieder, inniger, und
sie schmeckte ihre eigene salzige Feuchtigkeit auf seinen Lippen und in seinem
Mund.
Er mag es, dachte sie. Er
mag den Geschmack von mir in seinem Mund und er will, dass ich es auch
schmecke, dass ich weiß, wo er war, was er mit mir gemacht hat. Konnte es etwas
intimeres geben, als dieses Aroma zu teilen, das wir zwischen uns geschaffen
haben?
Der Gedanke entflammte sie
wieder überall.
Sie hatte ihm alles von
sich gegeben. Aber sie hatte nicht alles von ihm gehabt. Noch nicht.
"Ich muss mich nicht
ausruhen," erwiderte sie, griff hinab und schloss ihre Hand langsam um
seine Erektion. Er schnappte heftig nach Luft und schloss die Augen, als sie
ihre Hand zärtlich über die samtweiche Haut bewegte, vor und zurück, und ihre
Fingerspitzen über die kräftige Wulst an der Spitze glitten. "Ich will
mich nicht ausruhen," sagte sie und ihre andere Hand in seinem Nacken zog
sie ihn in einen tiefen feuchten Kuss.
"Ich will dich in mir
spüren," flüsterte sie an seinem Mund. "Jetzt."
Sie sah das Feuer in
seinen Augen aufflammen, fühlte seinen Mund wieder auf ihrem, als er sie näher
an sich zog und gegen ihre weichen, feuchten Falten stieß auf der Suche nach
Einlass und sie öffnete sich für ihn, benutzte ihre Hand, um ihn zu führen, hob
ihre Knie zu beiden Seiten von ihm an, als er sie auf den Rücken rollte und
sich zwischen ihre Schenkel legte.
Gott, sie ist so schmal,
dachte er und fühlte sie unter sich. Jeder Teil von ihr ist perfekt, aber so
zierlich, alle die Kurven und die Weichheit und die warme Feuchtigkeit. Ich war
nie zuvor mit einer Frau so schmal und so perfekt zusammen, niemals. Wie kann
sie so schmal und so weich sein, wie kann sie mich in sich aufnehmen, wie kann
ich das mit ihr tun und ihr dabei nicht wehtun?
Dann stieß sie ihm ihre
Hüften entgegen und plötzlich war er in ihr, ganz und gar in ihr, und er hörte
ihr heftiges Keuchen, ihren erschreckten Aufschrei, als das lange ungenutzte
Fleisch sich langsam der Invasion ergab.
"Oh Gott, es tut mir
leid," sagte er. Er sah Tränen in ihren Augen und begann sich
zurückzuziehen und sich im Geiste selbst zu beschimpfen. Du hast es wieder
getan, Mulder, du hast ihr wehgetan, du dummer, plumper Wichser, aber dann
legte sie ihre Beine um ihn und holte ihn zurück.
"Du hast mir nicht
wehgetan," flüsterte sie. "Das hast du nicht." Und dann, zu
seiner immerwährenden Bestürzung, vergrub sie ihr Gesicht an seiner Schulter
und er fühlte die Nässe ihrer Tränen, als sie über seine Haut liefen.
"Warum weinst du
dann?" fragte er, nun vollkommen verwirrt. "Was ist falsch?"
"Nichts ist
falsch," flüsterte sie in sein Ohr, ihre Arme fest um seinem Hals, schloss
sie ihre Beine enger um ihn und zog ihn noch näher an sich heran.
"Überhaupt nicht. Es ist nur... ich wollte es so sehr und du fühlst dich
so gut an..."
"Dana," begann
er, und dann konnte er plötzlich an kein anderes Wort mehr denken, das er sagen
wollte. Ihre inneren Muskeln zogen sich zusammen, entspannten sich langsam und
spielten über seine harte Länge in einer Art, von der er nur als Liebkosung
denken konnte... die intimste Liebkosung, die zwischen zwei Menschen
vorstellbar ist.
Scully hob ihr
tränenüberströmtes Gesicht zu ihm und berührte seine Lippen zärtlich mit den
ihren. "Ich liebe dich so sehr," flüsterte sie und dann bewegte sie
ihre Hüften langsam unter ihm und ihre Beine hielten ihn fest an ihrem Körper.
"Und es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Lass es mich wieder
gut machen."
Mit einem leisen Stöhnen,
stieß er tiefer in sie hinein, glitt langsam tief hinein in ihre Feuchtigkeit,
fühlte, wie sich ihre Muskeln nun fester um ihn zusammenzogen und ihn tiefer
und tiefer in sich hineinzogen, ihre Beine festigten ihren Griff um ihn und
zogen rhythmisch an ihm.
"Oh ja, genau
so," murmelte sie in sein Ohr. "Ganz genau so. Ich will alles von
dir, gib mir alles von dir."
Oh, er wollte es tun, in
Ordnung, keine Frage. Sie war so feucht, so heiß und so schlüpfrig und so
unglaublich weich, bewegte sich ruhelos unter ihm, traf jeden seiner Stöße mit
ihren eigenen, ihre Lippen und ihre Zähne streiften über die Haut an seiner
Kehle, ihre sanften Seufzer und ihr Wimmern in seinem Ohr machten ihn beinahe
verrückt vor Verlangen.
Das heiße, feuchte Ziehen
ihres Fleisches an ihm war überwältigend und er fühlte, wie er auf den Gipfel
zueilte, zu schnell, einfach zu schnell, und er musste sie aufhalten, ihr zu
verstehen geben, wenn sie nicht aufhörte, gegen ihn zu stoßen, nicht mit diesen
Geräuschen aufhörte, dass es dann zu schnell vorbei sein würde, aber er konnte
nicht sprechen, konnte nichts anderes tun als härter und härter und schneller
in sie hineinzustoßen...
Dann hörte er sie sanft in
sein Ohr flüstern.
"Es ist okay,"
sagte sie. "Es ist okay, Fox, ich liebe dich, lass es geschehen, lass es
einfach geschehen, es ist okay..."
Und das war alles, was es
brauchte, und er vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter und ergoss sich in sie,
seine Hüften trieben ihn krampfhaft in sie hinein, so tief, dass er glaubte,
sie müsste ihn in ihrer Kehle spüren und er schoss in sie hinein, die Muskeln
in seinem Bauch schleuderten seinen heißen Samen tief in sie hinein, ein
kochender Strahl nach dem anderen, bis er vollkommen leer war und er erschöpft
in ihren liebenden Armen zusammenbrach.
Lange Zeit lagen sie still
beieinander und bewegten sich kaum, während er in ihren Armen lag, und sie
genoss das Gefühl seines Gewichtes auf ihr, der Verbindung, die er immer noch
zwischen ihnen aufrechterhielt, das ach so seltene Gefühl seiner total
entspannten Muskeln unter ihren Händen, als sein Atem langsam wieder normal
wurde.
Er wird nie mehr mein sein
als er es in diesem Moment ist, dachte sie. Ich könnte ihn ewig so halten und
niemals um mehr vom Leben bitten.
Zu bald war es vorbei. Er
schob sich hoch, legte sich auf die Seite und nahm so sein Gewicht von ihr. Sie
spürte, wie er aus ihr herausglitt und sie fühlte sich bereits leer ohne ihn.
Aber dann hob er den Kopf und lächelte sie mit solch einer Freude an, solch
herzerweichender Glückseligkeit, dass sie wusste, er gehörte immer noch ihr, er
würde ihr jetzt immer gehören, egal ob sie physisch zusammen waren oder nicht.
Dana küßte ihn zärtlich,
dieser Kuss war langsamer, gleichzeitig sensibler und liebevoller, als jeder,
den sie bisher ausgetauscht hatten. Ein netter Nebengewinn des sich Liebens,
dachte sie, als er seinen Kopf auf ihre Brust und seine Arme um sie legte und
zufrieden seufzte. Eine neue Art von Küssen, neue Berührungen, die Art, die man
nicht haben kann, wenn beide so wild vor Verlangen sind.
"Das war
wunderbar," sagte sie in einem schläfrigen, befriedigten Ton, während sie
ihre Finger durch sein zerzaustes Haar gleiten ließ.
Mulder hob den Kopf und
sah sie mit einem schelmischen Zwinkern in den Augen an. "Besser als du
erwartet oder besser als du gehofft hast?"
Sie lachte. "Ich kann
nicht glauben, dass du dich daran erinnerst."
"Ich erinnere mich an
alles," erwiderte er schläfrig und legte seinen Kopf wieder nieder.
"Jedenfalls an alles über dich und mich. Nicht an alles über alles. Aber
du hast meine Frage nicht beantwortet."
"Besser als
alles," sagte sie ernst. "Besser als irgendjemand auf der Erde es
jemals erhoffen konnte, besser als irgendjemand im ganzen Universum das Recht
hat zu erwarten."
Mulder seufzte
erleichtert, streckte sich und küßte sie sanft. "Ich hatte befürchtet,
dass du enttäuscht bist."
"Wie könnte
ich?"
""Nun,"
meinte er ein wenig verlegen. "Wir, äh, haben irgendwie einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord
aufgestellt."
"Nun ja, das haben
wir," stimmte sie mit einem amüsierten Lächeln zu. "Wir beide haben
es getan. Was hast du gedacht, was passieren wird nach beinahe sieben Jahren
Vorspiel?"
"Ein Punkt für
dich," gestand er ihr zu.
"Jedenfalls,"
meinte sie, während ihre Finger wieder gemächlich durch sein Haar glitten,
"ist die Nacht immer noch jung."
"Und du auch,"
sagte er.
"Du nicht?"
Sie spürte, wie sich seine
Schultern bewegten, was wohl ein Achselzucken sein sollte. "Ich starre der
40 genau in die Augen, also hängt es davon ab, was du für jung hältst."
"Fühlst du dich
jung?"
Die Frage überraschte ihn.
Er hatte erwartet, dass sie über diesen Punkt mit ihm streiten würde, dass sie
ihn daran erinnern würde, dass er erst in zwei Jahren 40 würde. "Ja,"
erwiderte er gedankenvoll. "Im Augenblick fühle ich mich ungefähr zehn
Jahre jünger als letzte Nacht um diese Zeit."
"Das ist gut
genug," entgegnete sie und legte ihre Hand auf sein Gesicht.
"Was ist mit
dir?"
"Ob ich mich jung
fühle, oder ob ich mich jünger fühle als vorher?"
"Sowohl als auch.
Beides."
"Ja. Zu beidem. Und
ich fühle mich stark und schön und zuversichtlich und ich habe nichts von all
dem empfunden, bis ich dich wiedersah," antwortete sie und drückte ihm
einen sinnlichen Kuss auf die Stirn.
"Du bist all das, und
mehr," sagte er und streckte sich wieder, um sie innig zu küssen, seine
Hand in ihrem Nacken. "Vergiss das nicht," fügte er hinzu, als er
sich zurückzog.
"Ich werde es
versuchen," flüsterte sie und gab ihm einen weiteren sanften Kuss.
"Dies mag keine gute
Zeit sein, um zu fragen," begann er, als sie sich von ihm löste.
"Oh nein," sagte
sie vorsichtig. "Was denn?"
"Tut mir leid,"
erwiderte er und lächelte zu ihr auf. "Dich zu küssen, erinnert mich an
deinen Bruder."
"Was für ein sexy
Gedanke," meinte sie und schenkte ihm einen Blick voll spöttischer
Empörung. "Was ist mit ihm?"
"Du weißt, was ich
meine," erwiderte er, stützte sich auf einen Ellbogen und legte seine
andere Hand auf ihre Brust. Eine weitere neue Art der Berührung, dachte sie
zufrieden. Seltsam, wie sich durch den Sex das Gefühl seiner Hand auf meiner
Brust von wild erotisch in zutiefst persönlich verändern kann, wie sich seine
Bedeutung neu formt bis es eine verbindende Berührung wird wie Händchen halten,
nur weit privater, weit spezieller.
"Ich bin nie dazu
gekommen, zu fragen, ob ihr euch im Guten getrennt habt," sagte er.
"Ich denke, ich kann nicht anders als zu glauben, dass... was an jenem Tag
passiert ist... war ein Teil des Traumas."
"Das mag es gewesen
sein," erwiderte sie sanft. "Ich denke, vielleicht war es das. Vor
diesem Tag war ich noch nie so schlecht auf meine Familie zu sprechen; es war,
als müsste ich sie in dem Moment wegstoßen, als ich sie am meisten brauchte.
Aber die Probleme zwischen Bill und mir hatten sich seit langer Zeit aufgebaut,
Mulder. Du kannst dich dafür nicht verantwortlich machen."
"Ich kann, wenn ich
will," sagte er, als würde er spaßen, aber sie konnte die Wahrheit hinter
dem Scherz sehen. Er machte sich dafür verantwortlich.
"Wir haben uns nicht
als Feinde getrennt, Mulder," entgegnete sie und versuchte ihn zu
überzeugen. "Ich habe ihn zum Flughafen gefahren und irgendwie - haben wir
die Dinge unterwegs geklärt."
"Ah," meinte er
mit einem schüchternen Lächeln. "Das freut mich. Ich hatte befürchtet,
alles verdorben zu haben."
"Nein," sagte
sie und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. "Das hast du nicht. Mein
Bruder hat ein paar - Probleme - was dich und mich angeht, aber ich denke, er
versteht es zumindest."
"Er verhält sich
einfach wie ein großer Bruder," meinte er. "Beschützt seine kleine
Schwester."
"Brüder machen sich
Sorgen um ihre Schwestern, nicht wahr," fragte sie sanft, ihm immer noch
übers Haar streichend.
Mulder lachte kurz auf,
aber es klang traurig. "Ich habe in den letzten Monaten nicht viel Zeit
damit verbracht, nach ihr zu suchen, nicht wahr? Alles, was ich seit dieser Nacht im Dezember
gemacht habe, war Wochenendkrieger zu untersuchen und nach Krycek zu
suchen."
"Bist du noch mal in
der Fabrik gewesen?"
"Mehrere Male."
Er schüttelte den Kopf. "Das Bezirksbüro von Mobile war auch da. Sie haben
sie sogar überwacht, zweimal. Nichts. Leer."
"Vielleicht ist sie
jetzt nicht leer."
"Oder vielleicht ist
sie es und es geht etwas anderes vor sich, etwas, von dem nur du und ich die
Bedeutung erkennen würden," meinte er gedankenvoll.
"Oh?"
"Denk nach,
Scully," sagte er und sie registrierte die Rückkehr zu ihrem Nachnamen.
Ja, wir reden über den Job, nackt zusammen im Bett, dachte sie amüsiert. Nur
Mulder könnte Verschwörungstheorien mit mir diskutieren, während er mit meiner
Brust spielt.
Seine Augen waren in einer
Weise zusammengezogen, wie sie es immer waren, wenn er scharf nachdachte.
"Wir haben am falschen Ort gesucht," sagte er langsam. "Wir
sollten irgendwo anders suchen, irgendwo, woran wir gedacht hätten, wenn wir
zusammengewesen wären."
"Ich kann mir nicht
vorstellen, wo das sein könnte," erwiderte sie. "Wenn wir beide in D.
C. arbeiten würden, wüssten wir nichts über die Verbindung zwischen dem Anthrax
und den Reservisten. Und wenn du diesem Fall nicht zugeteilt worden
wärst," fügte sie leiser hinzu, "hätte ich es nicht lebendig
durchgestanden."
"Doch," sagte er
und seine Hand schloss sich sanft um ihre Brust. "Das hättest du.
Irgendwie hättest du dich zusammengerissen."
"Nicht ohne
dich," hielt sie ihm entgegen. "Bis vor ein paar Tagen hätte ich kein
weiteres Jahr auf mein Leben gewettet. Ernsthaft. Aber wie man in der populären
Psychologie sagt, ich bin noch nicht in Ordnung, aber es geht mir ganz sicher
besser."
"Und alles, was dazu
nötig war, waren drei Tage wieder mit mir als Partner?" Er lächelte und
beugte sich herüber, um sie zu küssen. "Ich hätte meinen Doktor machen und
in einer Klinik praktizieren sollen."
"Ich bin mir nicht
sicher, ob ich möchte, dass du diese Methoden an jemand anderem
praktizierst," erwiderte sie und das brachte ihn zum Lachen.
"In Ordnung, Dr.
Scully," sagte er. immer noch glucksend. "Ich bin dein privater
Amateurtherapeut. Aber warte nur, bis du meine Rechnung bekommst."
"Warte, bis du meine
bekommst für all die Male, wo ich dich zusammenflicken musste, Mulder,"
konterte sie drohend und er lachte wieder.
"Das kann ich nicht
bezahlen," meinte er. "Hast du eine Ahnung, wie teuer es ist, in
Birmingham zu leben?"
"Weniger als das
Leben in Georgetown kostet, da bin ich mir sicher," sagte sie. "Oder
in Martha's Vineyard."
"Wem sagst du
das?" stöhnte er. "Wenn ich jeden Penny zurückbekäme, den ich an
Vermögenssteuer für das Haus meines Vater bezahlt habe, dann könnte ich beim
FBI kündigen."
"Hast du jemals daran
gedacht, es zu verkaufen?"
"Nein." Er
schüttelte den Kopf. "Es ist... tröstend auf eine Art, zu wissen, dass es
da ist. Wenn sie mir schließlich meinen Ausweis wegnehmen, habe ich wenigstens
eine Ort, um zu leben. Ich vermute, ich sollte mich glücklich schätzen, dass es
mich nicht viel mehr als die Vermögenssteuer kostet."
"Glücklich ist kein
Wort, das ich jemals mit dir assoziieren würde," bemerkte sie zärtlich.
"Niemand, der so viel geopfert hat wie du, kann glücklich genannt
werden."
"Warum nicht? Ich bin
glücklich mit dir, oder nicht?" neckte er sie, dann wurde er wieder ernst.
"Wir haben beide eine Menge verloren, Dana. Mehr als ich mir in Erinnerung
rufen möchte in einem besonderen Moment wie diesem." Und er küßte sie
wieder. "Aber ich weiß, was du für mich aufgegeben hast.
Ich kann es nicht
vergessen, nicht einmal jetzt."
"Warum nicht
jetzt?" fragte sie sanft.
"Ist egal,"
antwortete er. "Vergiss es. Schlechtes Thema. Ich kann nur den Gedanken
nicht loswerden, dass du ohne mich glücklicher wärst. Ich denke nicht, dass ich
mich für den Tod deines Vaters verantwortlich fühle..."
"Wenn du einen Weg
finden könntest, würdest du es tun," sagte sie und strich ihm wieder übers
Haar.
Er lächelte.
"Wahrscheinlich. Aber ich fühle mich verantwortlich für deine Schwester
und für die Probleme zwischen dir und deinem Bruder und... andere Sachen."
"Meine
Unfruchtbarkeit meinst du?" fragte sie sehr leise. "Ich weißt, du denkst
darüber nach. Das tue ich auch. Wir sind zusammen ins Bett gegangen, ohne ein Wort
über Verhütung zu sagen, weil wir beide wussten, dass es nicht notwendig war.
Habe ich Recht?"
Er sah sie einen langen
Moment an, dann nickte er, Schmerz tief in den Schatten seiner Augen.
"Ja," antwortete
er und streckte seine Hand nach ihrem Gesicht aus. "So ist es. Und ich
hasse es, Dana. Jetzt mehr als je zuvor."
Sie schüttelte den Kopf.
"Es war nicht deine Schuld. Duane Barry ist derjenige, der dafür
verantwortlich ist oder der Krebskandidat. Oder Krycek."
"Du wärst niemals
einem von ihnen über den Weg gelaufen, wenn du nicht den X-Akten zugeteilt
worden wärst," betonte er. "Du kannst mich davon nicht lossprechen,
so sehr ich auch wünschte, du könntest es. Dieses ganze Leben, das du gehabt
haben könntest, mit einem Mann und Kindern, mit deiner Schwester, als Lehrerin
in Quantico, kein Krebs - du hast all das verloren, weil du bei mir geblieben
bist."
"Ich bin bei dir
geblieben, weil es das war, was ich wollte," erklärte sie, rutschte tiefer
und schmiegte sich an ihn. "Vom ersten Moment an, an dem wir
zusammengearbeitet haben in Podunk, Oregon, wollte ich nie wieder mit jemand
anderem zusammenarbeiten oder jemals wieder etwas anderes tun."
"Es war Bellefleur,
Oregon und ich scheine mich da an einen Flirt mit der Abteilung BSU zu erinnern
während des Eugene Tooms Falls," entgegnete er, aber er legte, während er
sprach, seinen Arm um ihre Taille und seine Stimme wurde wieder rau.
"BSU war nur ein
Versuch," sagte sie und bewegte sich ein wenig an seinem Körper, erfreut
darüber zu spüren, wie schnell er wieder hart wurde. "Das war rein
physisch. Dieser Tölpel bedeutete mir gar nichts, wirklich."
"Ah," neckte er
sie. "Dann bin ich dein Ein und Alles?"
"Nun," erwiderte
sie und strich mit den Fingernägeln über die starken Muskeln an seinem Rücken.
"Du und der Plattwurmmann. Er hatte einen bestimmten septischen
Reiz."
"Vergiss ihn,"
meinte er. "Es würde nicht funktionieren. Er ist ein Zwitter, er braucht
niemand anderen, er schläft mit sich selbst."
"Was du und ich
morgen um diese Zeit tun werden," sagte sie plötzlich ernst. "Also
lass uns nicht mehr von unserer letzten gemeinsamen Nacht damit verschwenden,
uns für Dinge verantwortlich zu machen, die nicht geändert werden können. Lass
uns ein paar neue Erinnerungen schaffen, an die wir uns halten können, bis wir
wieder zusammen sein können. In Ordnung?"
"In Ordnung,"
stimmte er sehr leise zu, während er sie wieder in seine Umarmung zog.
Du im Mondlicht
mit deinen schläfrigen
Augen
könntest du jemals einen
Mann wie mich lieben?
Und du hattest Recht
als ich in dein Haus trat
wusste ich, dass ich
niemals gehen wollte
Manchmal bin ich ein
starker Mann
manchmal kalt und
ängstlich
und manchmal weine ich
Aber in dem Moment, wo ich
dich sah
wusste ich, mit dir, um
meine Nächte zu erhellen
werde ich es irgendwie
schaffen
"Leder und
Schnürband"
Stevie Nicks
Kapitel 19
Mobile, Regionalflughafen
Sonntag, 7. März
9:46 a.m.
Scully war still auf dem
langen Weg zum Flughafen. Aber diesmal war es irgendwie anders, dachte Mulder.
Es war nicht die tödliche Stille auf ihrer Reise nach Baltimore, die
verschlossene Stille, die jeden Moment so qualvoll gemacht hatte. Es war mehr
die Stille im Nachleuchten des sich Liebens. Was es natürlich genau war.
Sie waren an diesem Morgen
in den Armen des anderen erwacht und hatten sich wieder geliebt, in einer
langsamen, bedächtigen Weise, hatten sich die Zeit genommen, den anderen im
Licht des Tages zu erforschen, das hinter den Vorhängen hervordrang, hatten
sanfte Zärtlichkeiten benutzt, leise gesprochen und ihren gemeinsamen Höhepunkt
allmählich erreicht, während sie in seinem Schoß saß und ihn ansah und von ihm
angesehen wurde.
Dreimal in einer Nacht und
sie hatten bereits das Geschick von sich seit langer Zeit Liebenden mit dem
anderen. Was mochte passieren, wo mochte es hinführen, wenn sie ein paar Tage
länger zusammen waren, oder eine Woche?
Oder ein Leben lang?
Er schüttelte den Kopf. Zu
früh, um darüber zu reden, dachte er. Krycek ist immer noch frei und bevor er
nicht fortgeschafft war, war sie immer noch in Gefahr.
Sogar dann weiß ich nicht,
wie wir es überhaupt hinbekommen wollen. Heirate sie und du verlierst sie für
immer als Partnerin; da zog das Büro die Grenze. Keine X-Akten mehr, kein
Großraumbüro, gar nichts mehr: sie ist in dem einen Büro und du in einem
anderen und das war's dann.
Aber, lieber Gott, sieh,
was du gewinnen würdest...
Alles zu seiner Zeit,
Mulder, sagte er sich. Eins nach dem anderen. Deine erste Aufgabe ist es, sie
zum Flughafen zu bringen und dann kannst du anfangen, einen Weg aus dieser
unerträglichen Trennung zu finden, die du selbst geschaffen hast.
Nachdem sie Mobile
verlassen hatten, waren sie nach Daphne zurückgekehrt, um zu packen und
auszuchecken. Glassman war zweifelsohne schon fort, dachte Scully trocken,
damit er mit Rolfe sprechen konnte, bevor sie es tat. Mulder bemerkte mit bitterem Vergnügen, dass
Glassman der einzige Agent war, der in der Story des Mobile Register über die
Schießerei zitiert wurde.
Nicht dass Mulder
Sehnsucht danach hatte, mit der Presse zu reden; das bisschen Anonymität, das
ihm geblieben war, war ihm heilig und er wollte nie der Agent werden, der wegen
eines Statements angerufen wurde.
Eine letzten Stop legten
sie im Polizeibüro von Daphne ein, damit Scully sich von Mack verabschieden und
ihm seine schokoladenüberzogenen Krispy Kreme Doughnuts geben konnte.
"Ich hasse es, dass
wir uns bei so etwas Schlimmem begegnen mussten," sagte Mack zu ihnen.
"Aber ich sag Ihnen was, ich wäre glücklich, wenn ich auch nur einen von
Ihnen in meinem Rücken hätte, jeden verdammten Tag der Woche. Wenn Sie jemals Hilfe brauchen, wissen Sie,
wen Sie anrufen können."
Scully hatte, zu Mulders
Überraschung, einen schmatzenden Kuss auf die Wange des Officers gedrückt und
damit ein leuchtendes Rot in sein jungenhaftes Gesicht gezaubert.
Dann kam die schweigende
Fahrt zum Flughafen. Als sie dort ankamen, waren die Schlangen kurz und Scully
war nicht bewaffnet, so dass sie schnell durch die Ticketschlange durch war.
Sie würde immer noch nervös sein ohne ihre Waffe, das wusste er. Dieses Gefühl
war unter Polizisten endemisch, PTSD oder nicht.
Nur dieses eine Mal
entschied sich Mulder, mit ihr am Gate zu warten. Er hatte es immer passender
gefunden, sie vor dem Terminal abzusetzen und dann zu verschwinden und sich
gedacht, dass sie ihn schon anrufen würde, wenn sie ihren Flug verpasste.
Aber diesmal war er bei
ihr geblieben, hatte mit ihr die ganze Aufmerksamkeit verlangende
Sicherheitsroutine mitgemacht, die er noch mehr hasste als sie, um dann nichts
weiter zu tun, als schweigend neben ihr zu sitzen und ihre Hand zu halten,
während sie darauf warteten, dass ihr Flug aufgerufen wurde.
Was nur allzu bald
geschah.
Sie erhob sich, nahm ihr
Handgepäck auf und drehte sich zu ihm um.
"Mulder," begann
sie, dann stockte sie und Tränen traten ihr in die Augen.
"Shh," sagte er
und zum ersten Mal seit Jahren nahm er sie in der Öffentlichkeit in den Arm und
streichelte ihr sanft über den Rücken. Lange Zeit standen sie so da, die Blicke
der anderen Passagiere vergessend, bis schließlich keine Zeit mehr war.
"Delta Airlines, Flug
Nummer 1103 nach Atlanta und Washington D.C. letzter Einstieg am Gate 1,"
erklang die verstärkte Stimme des Stewards. "Alle Passagiere für den Delta
Flug 1103 sollten nun einsteigen. Dies ist der letzte Aufruf für Delta Airlines
Flug 1103."
"Ich muss
gehen," sagte sie, trat zurück und wischte sich die Tränen mit dem
Handrücken aus den Augen. "Ich verpasse mein Flugzeug."
"In Ordnung,"
entgegnete er und beugte sich herab, um sie zu küssen, nicht schnell, sondern
sanft, absolut und so lange er konnte, bis er das ungeduldige Husten des Stewards
vernahm und wusste, dass er sie gehen lassen musste.
Scully trat zurück,
lächelte traurig und drehte sich um, um sich der schwindenden Passagierreihe
anzuschließen, dann drehte sie sich noch einmal rasch zu ihm zurück.
"Mulder?" fragte
sie.
"Ja?"
"Kann ich deine
Telefonnummer haben?"
Ein benommen machendes
Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Oh ja," antwortete er.
"Darauf kannst du wetten." Er zog eine Visitenkarte aus seiner Tasche
und kritzelte die Nummer auf die Rückseite und gab sie ihr. Als sie ihre Hand ausstreckte, um sie zu
nehmen, drückte er einen raschen Kuss auf ihre Finger.
"Wir sehen uns,
Scully," sagte er, immer noch lächelnd.
"Ich liebe
dich," sagte sie und errötete beinahe augenblicklich.
Sie wollte es nicht laut
sagen, nicht vor den Leuten, dachte er. Aber sie lächelte, nur ein wenig,
gerade genug, um ihn wissen zu lassen, dass es kein Vortäuschen, kein
Verstecken mehr gab, voreinander oder vor irgendjemand anderem, nie mehr.
Irgendwie gibt das dem ‚Die Wahrheit ist da draußen' eine neue Bedeutung,
dachte er.
"Ich liebe dich auch,
Dana," erwiderte er leise. "Immer."
Sie lächelte wieder, dann
drehte sie sich um und stieg die Gangway hinauf. Sie war der letzte Passagier, der an Bord ging,
die Tür schloss sich hinter ihr und sie war fort.
Lange Zeit stand Mulder da
und blickte auf den Ausgang, durch den sie gegangen war und fragte sich, wie
zur Hölle er überleben sollte, bis er sie wiedersah.
Birmingham, Bezirksbüro
Montag, 8. März
3:25 p.m.
"Ah, der verlorene
Sohn kehret heim," sagte Prescott, als Mulder durch die Tür des Büros des
SAC trat.
"Der verlorene Sohn
ist eine christliche Parabel, Sir, und ich bin kein Christ," entgegnete
Mulder und setzte sich in den Sessel gegenüber dem Schreibtisch. "Trifft
jedenfalls nicht zu. Ich bin nicht hier, um Ihnen zu erzählen, dass ich meine
Substanz an ein aufrührerisches Leben verschwendet habe."
"Also, ich
höre," meinte Prescott und lehnte sich mit einem Grinsen in seinem Sessel
zurück. "Es hat eine Schussscheibe gegeben, nicht wahr, Oxfordjunge?"
"Und sehr
wahrscheinlich eine Grand Jury des Baldwin County," sagte Mulder.
"Ich bin nicht
besonders beunruhigt. Es war ein sauberer Schuss, Sir."
"Verdammt, Mulder,
das wusste ich, bevor ich irgendetwas darüber gehört hatte," erwiderte
Prescott. "Also haben Sie Ihren Mann bekommen?"
"Wir haben ihn,"
stimmte Mulder nickend zu. "Er wird eine Weile nirgendwo hingehen."
"Wer ist ‚wir'?"
"Sir?" fragte
Mulder verwundert.
"Wer ist ‚wir'? Sie
sagten ‚wir haben ihn'. Wer ist die andere Hälfte von diesem ‚wir'?"
"Special Agent Dana
Scully vom VICAP," erklärte Mulder nach einer Pause und dachte darüber
nach, wie gut und wie schmerzhaft zugleich es war, ihren Namen laut
auszusprechen.
"Scully, hm? War sie
nicht Ihre Partnerin in D.C.?" fragte Prescott, ein bisschen zu sehr
nebenbei, dachte Mulder instinktiv misstrauisch.
"Ja Sir, das war sie,
aber ich denke, wahrscheinlich wussten Sie das bereits," antwortete
Mulder. "Was ist los, Sir? Warum habe ich das Gefühl, als wäre ich
hereingelegt worden?"
Prescott schüttelte den
Kopf. "Das sind Sie nicht, jedenfalls nicht von mir," sagte er und
zum ersten Mal lächelte er nicht. "Verdammt, ja, ich wusste, dass Sie
Partner waren, bevor Sie hierher gekommen sind. Es steht in Ihrer Akte und die
Menschen neigen sowieso dazu, Ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Aber ich hatte
nicht erfahren, dass sie da unten war und an dem Fall arbeitete, bis zum folgenden
Tag, nachdem Sie nach Mobile gefahren sind."
"Wer hat es Ihnen
erzählt?"
"Skinner,"
antwortete Prescott und ignorierte Mulders schroffe Art und seinen Mangel an
Benehmen. Er schwang seine Beine vom Schreibtisch und setzte sich auf.
"Egal, was ich am Telefon zu Ihnen gesagt habe, Mulder, ich hab mich
selbst gefragt, warum Sie dorthin geschickt wurden. Ich habe Skinner angerufen,
um den wahren Grund zu erfahren."
"Welcher war
es?" fragte Mulder langsam.
"Dass er Sie
zuallererst dort haben wollte, weil er wusste, Sie würden den Fall lösen und
zum zweiten, weil er bereits Agent Scully dorthin geschickt hatte. Er sagte, er
wäre der Meinung, dass Sie beide wieder eine Weile zusammenarbeiten
müssten." Prescott legte seine Hände auf den Schreibtisch und verschränkte
die Finger. "So wie ich es verstanden habe, machte er sich Sorgen um sie
und Sie wären vielleicht in der Lage gewesen, ihr wieder etwas Auftrieb zu
geben und etwas Sicherheit. Was Sie, nach Meinung aller, getan haben."
Mulder schwieg.
"Irgendetwas, was Sie
mir sagen wollen, Mulder?" fragte Prescott mit einer Spur von Sympathie.
Mulder schüttelte den
Kopf. "Nein Sir," antwortete er. "Wenn Sie nichts dagegen
haben."
"Es geht mich sowieso
nichts an," meinte Prescott und lehnte sich wieder zurück.
"Ausgenommen,"
fügte Mulder hinzu," dass ich glaube, dass es in Mobile immer noch ein
Problem gibt, das der Aufmerksamkeit des FBI bedarf."
"Richtig,
Anthrax," erwiderte Prescott. "Das ist beunruhigend. Was wollen Sie
damit machen?"
"Ehrlich gesagt, Sir,
ich weiß nicht, was ich damit machen soll," gestand Mulder. "Es steht
außer Frage, dass es Anthrax war oder dass es ein paar Verbindungen zur
Armeereserve gibt. Dass zwei der Opfer eine Verbindung dazu haben, ist
statistisch gesehen eher unwahrscheinlich, um nicht zu sagen unmöglich, wenn
Lee wirklich ein zufällig mordender Killer ist."
"Sagen Sie damit,
dass er das nicht ist?"
Mulder schüttelte wieder
den Kopf. "Das ist er. Ohne Frage. Aber vielleicht ein formbarer, ein
Killer, der dazu gebracht werden kann - durch die richtige Person - ein
spezielles Opfer anzugreifen. In diesem Sinne ist er wie ein fremder Falke, ein
jagender Vogel mit Killerinstinkten, aber mit zahmer Klaue, so dass er dort
angreift - in den meisten Fällen - wo es ihm gesagt wird."
Prescott musterte Mulder
eine Minute sorgfältig, dann nahm er einen Stift und begann, auf die Lederkante
seiner Schreibtischunterlage zu klopfen.
"Haben Sie jemals einen Killer von der Art, wie Sie ihn
beschreiben, gesehen oder von ihm gehört?" fragte er schließlich.
"Nein Sir, das habe
ich nicht," antwortete Mulder. "Der typische käufliche Killer,
insbesondere der professionelle Mörder, demonstriert selten das wutmotivierte
Morden eines Orgienmörders und bestimmt nicht dessen Nachlässigkeit. Die
Cosa-Nostra-Typen wagen sich nie so weit hervor und wenn kluge Leute übermäßig
morden, dann hat es einen Grund: jemand wird gewarnt. Aber ein Orgienmörder ist
typischerweise nicht der Beeinflussung zugänglich und vermutet, dass
irgendjemand tollkühn genug ist, sich ihm zu nähern."
"Gibt es irgendeinen
Grund ´zu glauben, dass dieses Szenario unmöglich ist?"
"Es gibt in der
Literatur nichts, das mich annehmen lässt, dass so ein Killer nicht existieren
könnte. Ich glaube, dass es durchaus möglich ist und dass jemand bei diesem
Anthraxproblem die Kontrolle haben sollte."
"Das ist im Gebiet
von Mobile, Mulder," sagte Prescott. "Sie sind bereits dran und
ebenso die CDC. Aber soweit ich das einschätze, ist Lee immer noch Ihr Fall.
Arbeiten Sie daran, wenn Sie können, finden Sie heraus, was Sie können, aber
machen Sie es nicht zu Ihrer dringlichsten Aufgabe. Der Verdächtige ist im
Krankenhaus unter Bundesaufsicht und wie Sie schon sagten, er geht nirgendwo
hin. Haben Sie mich verstanden?"
"Ja Sir,"
erwiderte Mulder. "Ist das alles?"
"Ich habe die
Nachricht bekommen, dass die Jungs in Mobile mit Ihrer Waffe fertig sind,"
erklärte Prescott. "Sie schicken sie morgen per Kurier hierher. In der
Zwischenzeit haben Sie einen Ersatz?"
"Nicht
offiziell," meinte Mulder ruhig und Prescott grinste und nickte verstehend.
Es kümmerte ihn nicht; er trug selbst eine unautorisierte Waffe bei sich.
"Gut genug,"
entgegnete Prescott. "Warum nehmen Sie sich nicht den Rest des Tages frei?
Gehen Sie nach Hause, machen Sie ein Nickerchen. Sie sehen nicht so aus, als
hätten Sie in der letzten Zeit viel geschlafen."
Mulder sah Prescott scharf
an, fand aber kein Anzeichen dafür, dass der Mann Witze machte. "Ich bin
ein bisschen müde," gab er zu, und das ist die Wahrheit, dachte er. Bei
allen Gründen, ein paar davon hatten ganz sicher mit einer Nacht zu tun, die er
damit verbracht hatte, sich mit Dana Scully in einem Kingsize-Bett in einem
Hotel in Mobile, Alabama zu lieben. Und noch mehr damit, zu wissen, wie lange
es möglicherweise dauernd würde, bis sie wieder in seinen Armen lag... wenn
überhaupt.
"Ich denke, ich werde
nach Hause gehen," sagte er, holte seine Gedanken widerwillig in die Gegenwart
zurück und erhob sich aus seinem Sessel.
"Danke, Sir."
"Da nicht für,"
erwiderte Prescott und schwenkte den Stift, ihn entlassend.
"Bewegen Sie Ihren
Hintern hier heraus, Oxfordjunge."
Fox Mulders Apartment
8:17 p.m.
Eine weitere verdammte
Nacht allein mit dem Fernseher, dachte Mulder. Ich bin definitiv wieder zu
Hause.
Mulder hatte ausgepackt,
wie er es üblicherweise tat, indem er alles waschbare in seinen Wäschekorb
stopfte, seine Anzüge auf einen Haufen auf den Boden warf, um sie in die
Reinigung zu schaffen und alles andere wie Kraut und Rüben auf den
Badezimmerschrank entleerte. Er hatte geduscht, den toten Fisch aus dem
Aquarium gesammelt, eine Pizza bestellt und durch die Kanäle gesurft, bis er
ein Vorsaisonspiel im Basketball fand, Chicago Cubs gegen die Atlanta Braves -
beide keine Teams, sie ihn sonderlich interessierten.
Es war sowieso nur alles
Hintergrund; sein Geist wanderte ruhelos hin und her zwischen den noch
ungelösten Aspekten des Falls, den er gerade hinter sich gebracht hatte und den
Erinnerungen an zwei Nächte, die er in den Armen des einzigen wirklichen Engels
verbracht hatte, den er sich jemals vorstellen konnte.
Ich habe vergessen, wie es
ist, so allein zu sein, dachte er. Irgendwie passt mir dieser edle Verzicht
nicht mehr so gut, wie er es vor einer Woche getan hat. Ich wünschte, ich hätte
wieder einen richtigen Fall, um daran zu arbeiten, ich wünschte, ich hielte sie
in den Armen, ich wünschte, ich hätte nicht sieben Jahre gewartet, um sie zu
lieben...
Ich wünschte, ich wüsste
einen Weg, um zu ihr zurückzukehren und nach D.C.
Regenverzögerung. Wie
lange hatte er dagesessen und diese Jungs angestarrt, die im Unterstand saßen
und in den Regen hinausschauten? Jesus, Mulder dachte er. Über kurz oder lang
bist du reif für die Insel.
Und dann klingelte das
Telefon und sein erster Gedanke war, dass es Prescott war, der ihn anrief, um
ihm zu sagen, dass er wieder an die Arbeit zu gehen hatte und er ließ es
beinahe klingeln, bis er sich erinnerte...
...dass er ihr seine
Telefonnummer gegeben hatte.
Schnell sprang er ans
Telefon, fiel dabei beinahe über den Couchtisch und warf es vom Beistelltisch,
als er nach dem Hörer griff.
"Hallo?" meldete
er sich und sein Herz pochte in seiner Kehle.
"Mulder, ich bin
es."
Ja, das ist sie, dachte er
und ein breites Grinsen lief über sein Gesicht.
Seltsam, wie diese kleine Redewendung funktionierte. Du denkst niemals wirklich
darüber nach, aber es gibt nur einen Menschen im Leben eines jeden, für den ein
simples ‚ich bin es' als Gruß genügt. Den einen unter fünf Milliarden. Den
einen und einzigen.
"Hey, Scully, was ist
los`" fragte er und machte es sich auf der Couch bequem.
<"Nichts. Ich bin
nur gerade von meiner Mutter gekommen. Ich hatte einen freien Tag. Ich wollte
nur... deine Stimme hören."> Pause.
"Das war wohl das
netteste, das jemals jemand zu mir gesagt hat."
<"Bleib dran,
Mulder. Ich hab noch viel Besseres vor.">
"So, hast du? Macht
es dir was aus, mir einen Ausblick auf kommende Reize zu geben?"
<"Nein. Noch
nicht. Vielleicht, wenn ich fertig bin mit auspacken und mich
zurückgelehnt habe, werde
ich es tun. Ich bin wirklich müde.">
"Vielleicht hast du
nicht genug Schlaf bekommen."
<"Das ist lustig,
Mulder. Sehr lustig. Ich habe nicht bemerkt, dass du
letzte Nacht viel
geschlafen hast.">
"Nicht viel. Dennoch
mehr, als ich wollte."
<"Wirklich?">
"Wirklich. Wach zu
sein... war viel besser."
<"Für mich auch.">
Pause.
"Gott, Scully, ich
vermisse dich bereits so sehr."
<"Ich vermisse
dich auch. Fürchterlich. Aber es bedeutet eine Menge, dich
anrufen zu können und mit
dir zu reden.">
"Mist. Sieh, ich hab
dir gesagt: ich war ein Idiot, dich zu verlassen, wie ich es getan habe und
dich nicht mal ab und zu mich anrufen zu lassen."
<"Nein, du hast
das getan, wovon du das Gefühl hattest, dass du es tun
musstest. Aber das ist
jetzt vorbei, nicht wahr?">
"Ich denke nicht. Ich
bin immer noch hier und du bist immer noch da..."
<"Aber jetzt weiß
ich, wo du bist... und ich hab deine Telefonnummer.">
"Bedeutet dir das so
viel?"
<"Mehr als ich dir
sagen kann.">
"Was nur beweist,
welch ein Idiot ich war."
<"Ich dachte, du
hast mir gesagt, all mein verrücktes Verhalten war das
Ergebnis des
PTSD.">
"Das hab ich. Das war
es. Und du bist nicht verrückt."
<"Warum bist du
dann so hart zu dir selbst wegen derselben Sache?">
Ein Lachen.
"Gewohnheit. So bin ich, erinnerst du dich?"
<"Ich erinnere
mich. Ich erinnere mich an alles.">
"Alles über
alles?"
<"Nein." Ein
Lachen. "Nur alles über dich und mich.">
"Und... woran
erinnerst du dich am besten?"
<(sanft) "Von
allem oder von der letzten Nacht?">
"Sowohl als auch.
Beides."
>"Hmm. Woran ich
mich von letzter Nacht am besten erinnere, ist... dich
danach zu
halten.">
"Ahh. Also, was ich
am besten kann, ist... einzuschlafen?"
<"Nein, du
Neunmalkluger, das hab ich nicht gesagt. Willst du, dass ich es
zu Ende erzähle oder
nicht?">
"Es tut mir leid.
Mach weiter. Ich werde mich benehmen."
<"Nie und
nimmer.">
"Also, warum
erinnerst du dich daran besser, als... an irgendeinen meiner aktiveren
Versuche, dich glücklich zu machen?"
<"Weil du mich an
diesem Punkt bereits... glücklich gemacht hattest. Sehr,
sehr glücklich. Aber du
hast so friedlich ausgesehen und ich glaube nicht,
dass ich dich jemals zuvor
so gesehen habe.">
"Wahrscheinlich
nicht. Friedlich ist eine gute Beschreibung. Oder glücklich. Ich könnte weitermachen..."
<"Ich glaube, ich
weiß das. Ich war dabei, erinnerst du dich? Aber es war
alles so neu für mich,
verstehst du, das - Nachglühen.">
"Nun, wir haben uns
nie zuvor geliebt."
<"Oh, stell dich
nicht dumm, Mulder. Ich meine, keiner je zuvor...
verstehst du, hat das für
mich gemacht.">
"Oh." Eine
Pause. "Das überrascht mich wirklich."
<"Warum?">
"Weil, für den Fall,
dass du es nicht bemerkt hast, Dr. Special Agent Dana Katherine Scully, du eine
sehr schöne, sehr leidenschaftliche Lady bist und überhaupt nicht unwissend
darüber, was du willst oder wie du berührt werden möchtest."
<"Nein. Nur zu
schüchtern, um es mitzuteilen, nehme ich an.">
"Nicht bei mir."
<"Nein, nicht bei
dir. Obwohl du irgendwie einfach zu wissen schienst,
was... mir gefallen
würde.">
"Ich kenne
dich."
<"Du schenkst mir
deine Aufmerksamkeit. Und vielleicht ist das genug. Oder
vielleicht...">
"Vielleicht...?"
<"Vielleicht habe
ich nie jemand anderem genug vertraut, um loszulassen,
ihn so nahe an mich
heranzulassen.">
(sanft) "Vielleicht
nicht."
<"Dir vertraue
ich, das weißt du. Ohne Vorbehalte, egal welch idiotische
Sachen ich letzte Nacht
gesagt habe.">
"Die einzige
idiotische Sache, die du letzte Nacht gesagt hast war, dass du mit mir zusammen
sein wolltest."
<"Das war nicht
idiotisch. Ich gehöre zu dir. Für immer.">
"Ich will dich - für
immer. Aber das weißt du."
<"Ich habe es
angenommen, ja.">
Eine lange Pause.
"Also - was ist mit
dem anderen Teil?"
<"Hmm?">
"Woran du dich am
besten über uns erinnerst."
<"An deine Hände.
Als du mich aus dem Eis geholt hast.">
"Meine Hände?"
<"Ja. Ich hab
wirklich geglaubt, es wäre nur ein neuerlicher Traum, bis du
mich berührt
hast.">
"Ein Freudianer würde
einen großen Tag damit haben, diese beiden Erinnerungen nebeneinander zu
stellen, Scully."
<"Glück für mich,
dass du kein Freudianer bist.">
"Nein, ich denke,
Freud war ziemlich Scheiße. Aber ich will noch mehr über diese Träume
hören."
<"Ich war die
ganze Zeit wach, also denke ich, dass man es mehr als
Halluzination bezeichnen
würde als als Traum.">
"Jesus, Scully, du
hast mir nie davon erzählt. Das ist grauenvoll."
<"Das war
es.">
"Und wovon hast du
geträumt? Wenn es dir nichts ausmacht, es mir zu erzählen."
<"Von dir. Dass du
mich findest. Dass du mich dort rausholst. Ich habe es
wieder und wieder
geträumt. Und als ich dich dann wirklich sah, dachte ich,
es wäre immer noch ein
Traum.">
"Bis ich dich
berührte..."
<"Bis du mich
berührtest. Da wusste ich, dass du es warst und dass du
wirklich zu mir gekommen
warst und dass ich sicher war. Und deine Hände
fühlten sich so warm an...
mir war so kalt.">
"Du warst gefroren.
Buchstäblich."
<"Aber du hast
mich eingehüllt und mich dort rausgebracht.">
"Ich kann mich nicht
einmal erinnern, wie wir in die Zivilisation zurückgekommen sind."
<"Wir haben ein
Schneefahrzeug gefunden, das noch Benzin hatte. Erinnerst
du dich?">
"Oh ja, jetzt
erinnere ich mich."
<"Du hattest eine
Kopfverletzung. Kein Wunder, dass du dich nicht
erinnerst.">
"Ich erinnere mich
daran, dass dich dort immer noch lebend zu finden der wohl größte Moment in
meinem Leben war."
<"Aha. Also ist
das auch deine beste Erinnerung?">
"Ich denke, das ist
es."
Eine Pause.
"Ich glaube, ich muss
es dennoch eine Weile vergessen haben."
<"Warum sagst du
das?">
"Weil, wenn ich mich
besser daran erinnert hätte, dann glaube ich nicht, dass ich dich je verlassen
hätte."
<"Nun - sieh dir
an, was du durchgemacht hast, um mich zurückzuholen.">
"Das war nichts,
Scully. Überhaupt nichts."
<"Unsinn.">
Ein Lachen. "Okay,
dann ist es Unsinn. Du warst immer mein Unsinn-Detektor."
<"Manchmal. Ich
glaube, ich hab dir eine Menge Positives gesagt, das unwahr
war.">
"Unsinn
herausgefunden, wo keiner war?"
<"Ja.">
"Nein. Du hast mich
nur... zur Wahrheit angehalten."
<"Das hast du
schon einmal gesagt,">
"Es ist immer noch
die Wahrheit."
Eine Pause.
"Mein Vorgesetzter
möchte, dass wir weiter an Lee arbeiten und herausfinden, welche Verbindung er
zu dem Anthraxgeschäft hat."
<"Ich habe nicht
gedacht, dass wir an diesem Fall dran sind.">
"Das sind wir nicht.
Nicht an dem Anthrax per se. Aber wir arbeiten noch an Lee, weil Prescott
augenscheinlich wenigstens die Möglichkeit sieht, dass Lee benutzt wurde, um
Menschen auszuschalten, die in die Sache mit dem Anthrax verwickelt
waren."
<"Und wo fangen
wir an?">
"Mit den
gerichtsmedizinischen Befunden, die du gesammelt hast, denke ich. Lass uns einfach sehen, was dabei
herauskommt. In ein paar Tagen, wenn es Lee gut genug für ein Verhör geht,
werde ich mit ihm sprechen."
<"Wird er mit uns
sprechen? Ich meine, wir haben auf ihn geschossen.">
"Ja, das haben wir. Aber
wir müssen es versuchen. Er ist im Moment unsere beste Spur, Scully."
<"In Ordnung. Ich
rufe dich an, sobald ich die gerichtsmedizinischen
Ergebnisse habe. Aber
Mulder, ich habe immer noch ein paar Probleme mit
Rolfe. Ich werde
wahrscheinlich morgen früh als erstes zum Bericht zu ihm
müssen. Es wird eine Weile
dauern, bevor ich anrufen kann.">
"Ich weiß. Aber ich
glaube nicht, dass du dir deswegen wirklich Sorgen machen musst."
<"Warum
nicht?">
"Wem hat Rolfe über
dich berichtet?"
<"Skinner.">
"Skinner war
derjenige, der dich nach Alabama geschickt hat."
Eine Pause.
<"Das wusste ich
nicht.">
"Er hat es getan. Und
er hat mich ebenso geschickt, laut meinem Vorgesetzten, weil er glaubte, dass
wir wieder eine Weile zusammenarbeiten sollten."
<"Hat er das
wirklich getan?">
"Prescott hat gesagt,
dass Skinner es ihm erzählt hat, und ich glaube ihm."
<"Du meinst,
Skinner...">
"Hat es arrangiert,
dass wir zusammen sind, ja."
<"Ich werde ihn
wohl küssen müssen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.">
Ein Lachen. "Okay.
Aber rette ein paar Küsse für mich, in Ordnung?"
<(sanft) "Alle,
Mulder. Jeden einzelnen. Bis ich dich wiedersehe.">
"Was mich daran
erinnert - habe ich es mir eingebildet oder hast du mich letzte Nacht anders
genannt?"
<"Bei deinem
Vornamen, meinst du? Ja.">
"Und woher kam
das?"
<"Weißt du das
nicht?">
"Nein. Ich weiß, du
hast es ein paar Mal getan, wenn du dir dessen nicht bewusst zu sein
schienst."
<"Ich denke, das
ist wahr, weil ich dich letzte Nacht Fox genannt habe in
einem... besonders intimen
Moment... und da erkannte ich, dass ich es schon
vorher getan habe. Stört
es dich?">
"Nein. Nein,
überhaupt nicht. Ich mag die Art, wie du es sagst."
<"Also, ist es in
Ordnung?">
"Es ist mehr als in
Ordnung, Dana. Wirklich."
<"Das freut mich.
Aber ich denke nicht, dass ich es sehr oft tun werde.">
"Nicht?"
<"Nein. Ich musste
nur... wissen, dass du mich lässt.">
"Ich denke, ich
verstehe das... nun, nein, ich tue es nicht."
<"Dann nimm es
einfach im Glauben hin.">
"Sagt die
Wissenschaftlerin."
<"Du hast eine
Menge Glauben, Mulder.">
"Nein, das habe ich
nicht. Nicht einen Iota."
<"Doch, du hast.
Das hast du. Dein Glaube hat mich mehr als einmal
gerettet.">
"Ich... Mist, ich
weiß nicht, eines Tages werde ich das vielleicht glauben."
<"Möchtest du
nicht glauben?">
"Doch... das nehme
ich an."
<"Dann glaube,
Geliebter. Glaube mir, wenn du sonst niemandem glauben
kannst.">
Lange Pause.
"Ich glaube *an*
dich. Wird es das auch tun?"
<"Für jetzt ja.
Ich liebe dich, Mulder.">
"Ich liebe dich auch,
Scully."
<"Ich ruf dich
morgen an, in Ordnung?">
"In Ordnung. Morgen.
Träume süß, G-woman."
<"Du auch. Mach's
gut.">
"Mach's gut."
Es mag gut sein, dass in
einer schwierigen Stunde, niedergedrückt von Schmerz und nach einer Lösung
stöhnend, oder genervt durch das Wollen jenseits der Kraft der Lösung, ich
vielleicht dazu getrieben worden wäre, deine Liebe für den Frieden zu verkaufen,
oder die Erinnerung an diese Nacht gegen Essbares zu tauschen. Es mag gut sein. Ich glaube nicht, dass ich
es würde.
‚Liebe ist nicht alles'
Edna St. Vincent Millay
Kapitel 20
VICAP Büros
Marine-Kaserne Quantico
Dienstag, 9. März
7:46 a.m.
"Scully! Zurück aus
dem Krieg, wie ich sehe," rief SSA Kennedy aus seinem Büro, als Scully
hereinkam.
"Es war mehr ein
Krieg, als ich geahnt hatte, Sir," erwiderte Scully lächelnd, als sie auf
ihren Schreibtisch zuging, aber Kennedy hielt sie auf.
"Agent Scully, bevor
Sie sich hinsetzen, da ist etwas, worüber wir reden müssen," sagte er.
"Können Sie einen Moment hereinkommen?"
"Ja, Sir,"
meinte sie automatisch, aber mit einem inneren Aufstöhnen. Jetzt kommt es, dachte
sie. Sie nahm die paar Schritte zu Kennedys Büro und trat ein.
"Schließen Sie bitte
die Tür, Agent Scully und dann setzen Sie sich," forderte Kennedy sie auf
und sie tat es. Dies war ganz sicher nichts Gutes, dachte sie, überkreuzte die
Beine und zog ihren Rock sittsam herunter.
"Gibt es ein Problem,
Sir?" fragte sie mit mehr äußerer Ruhe, als sie eine Zeit lang in der Lage
war, zu zeigen.
"Agent Scully, ich
würde gern damit beginnen, Ihnen zu Ihrem Anteil an der Verhaftung eines
gefährlichen Kriminellen zu gratulieren," sagte Kennedy. "Ihre Arbeit in dieser Hinsicht war
vorbildlich, nach allem, was ich gehört habe."
"Danke, Sir."
"Jedoch habe ich
einen anderen, weniger schmeichelhaften Bericht über Sie erhalten, bei dem ich,
ehrlich gesagt, ein paar Schwierigkeiten habe, ihm zu glauben," fügte
Kennedy hinzu. "Haben Sie irgendeine Ahnung, was das für ein Bericht sein
könnte?"
"Eine Ahnung, die ich
lieber nicht haben möchte," erwiderte Scully, immer noch ruhig.
"Wenn ich Ihnen sage,
dass er von Agent Glassman eingereicht wurde..."
"Würde ich wissen,
worum es geht," unterbrach sie Kennedy. "Es tut mir leid, Sir. Ich
habe dies erwartet."
"Agent Glassman hat
Sie einer Reihe von Vergehen bezichtigt, Agent Scully, von denen das Schlimmste
der Angriff mit Ihrer Dienstwaffe ist."
"Das ist... im
Wesentlichen wahr, Sir, obwohl ich es Selbstverteidigung nennen würde."
"Warum erzählen Sie
mir dann nicht Ihre Version der Fakten?"
Sie tat es, ließ auch
nicht aus, dass Glassman angrenzende Zimmer gebucht hatte gegen ihren Wunsch
oder dass er sich nur am Anfang und am Ende des Falles hatte sehen lassen.
"Ich musste Agent Mulders Profilerarbeit mehrere Male unterbrechen, um mit
ihm Themen zu besprechen, von denen ich glaube, dass sie Agent Glassman hätte
bearbeiten sollen. Dadurch verlangsamte sich die Bearbeitung des Falles, was
sich als katastrophal hätte erweisen können, wenn Agent Mulder den Unbekannten
nicht gefunden hätte, wie er es tat."
"Sie sind sich dessen
bewusst, dass Agent Glassman fast das Gleiche über Sie gesagt hat? Dass Sie
wenig zu diesem Fall beigetragen haben?"
"Ich glaube, Sir,
dass der Officer der Polizeistation in Daphne, der uns als Verbindungsmann
zugeteilt worden war, diesen Anklage widerlegen kann," entgegnete sie.
"Das hat er
bereits," meinte Kennedy. "Ich habe ihn gestern angerufen und ich bin
zufrieden, dass Agent Glassmans Anklage in diesem Punkt grundlos ist. Aber da
ist noch die Sache, dass Sie Ihre Waffe auf ihn gerichtet haben."
"Wie ich schon sagte,
Sir, das war Selbstverteidigung. Agent Glassman, denke ich, hatte sich bereits
unangemessen an mich herangemacht und er lehnte es ab, mein Hotelzimmer zu
verlassen, als ich ihn darum bat."
"Und da haben Sie
Ihre Waffe gegen ihn gezogen?"
"Ich bin
Bundesagentin, Sir," erwiderte sie ruhig. "Ich wollte das Problem rasch
lösen."
Kennedy unterdrückte ein
Lächeln. "Das kann ich verstehen, Agent Scully. Aber Agent Glassman sagte, dass er nur in
Ihrem Zimmer war, weil er nach Agent Mulder suchte und Sie lehnten es ab, ihm
zu sagen, wo Mulder sein könnte."
"Weil ich es nicht
wusste, Sir," erklärte sie. "Ehrlich. Was immer Agent Glassman
geglaubt haben mag, ich hatte Agent Mulder nicht irgendwo im Schrank
versteckt."
Kennedy schwieg einen
Moment. "Agent Scully, unter uns gesagt, ich glaube Ihnen. Ich kenne
Glassman und ich bezweifle keinen Moment, dass er betrunken war und in Ihr
Zimmer kam und ein bisschen Spaß suchte, und wenn das nicht klappt, dann etwas
Schmutziges über Sie und Agent Mulder, weil ich die Gerüchte darüber auch
gehört habe. Und mich kümmert es nicht. Aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen
sagen muss, dass SSA Rolfe mir nicht zustimmen wird."
"In diesem Punkt
mache ich mir keine Illusionen, Sir," erklärte Scully.
"Gehen Sie und
beenden Sie Ihre Berichte," sagte Kennedy. "Der SSA wird Sie rufen,
wenn er bereit ist, mit Ihnen zu sprechen."
"Ja, Sir,"
meinte Scully und erhob sich. "Ich bin an meinem Platz, Sir, wenn Sie mich
brauchen."
Kennedy wedelte mit der
Hand und sie ging und hielt gleich hinter der Tür an, um tief einzuatmen. Du
wusstest, dass das kommen würde, Dana. Versuch einfach, das an forensischen
Beweisen zu bekommen, was du brauchst, bevor du suspendiert wirst.
Rasch ging sie zu ihrem
Schreibtisch und loggte sich im Computer ein. Es gab eine ganze Liste von
Emails, die auf sie warteten, viele davon waren Kettenbriefe von Leuten, die
sie kaum kannte. Halb vermutete sie, dass sie ihren anderen Opfern mit einer
fbi.gov-Domain-Erweiterung imponieren wollten.
Und da war sie; eine
Nachricht aus dem Labor.
Scully öffnete sie. Die
Ergebnisse der Untersuchung der Blutflecken, die sie gefunden hatte, lagen vor.
Und sie passten zu Blut, das bereits in der Datenbank war. Keine Details. Nur
eine flüchtige Anmerkung, sich für weitere Informationen an das Labor zu
wenden.
Aber sie sollte hier auf
Rolfe warten. Sie blickte auf; Kennedy war am Telefon, mit dem Rücken zur Tür,
also schied es aus, es ihm zu sagen, und eine Nachricht für Rolfe dalassen,
dass sie nicht erreichbar war, würde ihn nur noch wütender machen.
Die Dana Scully von vor
einer Woche, noch vor wenigen Tagen, hätte sich hingesetzt und dem Schicksal
ergeben auf den Anruf von Rolfe gewartet.
Diese Dana Scully
arbeitete hier nicht mehr. Sie fuhr ihren Computer herunter, ging zur Tür
hinaus und eilte ins Labor.
Bezirksbüro Birmingham
9:21 a.m.
Wenn dieses verdammte
Telefon heute morgen noch einmal klingelt, dachte Mulder, hole ich meine Waffe
heraus und dann...
Mit einem verärgerten
Seufzen ergriff er den Hörer. "Mulder," meldete er sich barsch.
"Mulder, ich bin
es," antwortete Scully. "Ruf ich zur falschen Zeit an?"
"Nein, entschuldige,
ich wollte nicht schroff sein," sagte er. "Jedermann in Nordalabama
hat mich heute morgen wenigstens einmal angerufen. Was ist los, Scully?"
"Ich habe die
RFLP-Analyse der Blutprobe aus Daphne," erklärte sie.
"Deiner Stimme nach
zu urteilen, vermute ich, dass es nicht Lees Blut war?"
"Ich wünschte, es
wäre seines gewesen." Dann folgte eine lange Pause. "Das Blut passte
haargenau zu dem eines früheren FBI-Agenten, einem Alex Krycek."
"Krycek?" rief
Mulder überrascht aus. "Sind die sicher, Scully?"
"Sie sind sich sicher.
Das Blut passt in allen sechs genetischen Merkmalen zusammen und hat dieselbe
ABO-Gruppe wie Krycek. Irgendwie befindet sich sein Blut auf der Kleidung eines
der Opfer von Lee. Ich habe kein anderes Szenario dafür, als dass er
offensichtlich dort war."
"Ich kann mir keinen
besseren Grund dafür vorstellen, dass sein Blut da ist," sagte Mulder.
"Scully, irgendeine Ahnung, wie lange Nivek tot war, bevor er gefunden
wurde?"
"Das ist schwer zu
sagen. Er wurde in einem Teil des Geschäftes gefunden, der beheizt war,
tatsächlich sogar überheizt," erläuterte sie. "Die Zersetzung ging
schnell unter diesen Umständen."
"Irgendwelche
Hautabschürfungen oder Abwehrwunden?"
"Ich fand keine Haut
unter seinen Nägeln, aber das bedeutet gar nichts. Er war bereits
einbalsamiert, als ich an ihn herankam. Abwehrwunden waren augenfällig nicht
vorhanden. Haben wir jemals festgestellt, wer ihn zuletzt lebend gesehen hat
und wann das war?"
"Nein, aber Mack hat
es vielleicht. Ich rufe ihn an, sobald wir hier fertig sind."
"Mach es jetzt,
Mulder, ich habe nicht wirklich etwas anderes bisher."
"Ausgenommen, dass du
mir erzählst, ob du wirklich in Schwierigkeiten bist."
Sie zögerte. "Ein
bisschen. Nichts, was ich nicht in den Griff bekommen kann."
"Bist du
sicher?"
"Ja." Sie klang
so zuversichtlich, so entschlossen, dass Mulder lächeln musste.
"In Ordnung. Ich
brauche eine Kopie des DNA-Berichtes; kannst du ihn mir per email
schicken?"
"Das mache ich
sofort. Irgendetwas gehört, wann Lee für eine Vernehmung zur Verfügung
steht?"
"Nein, er liegt immer
noch auf der Intensivstation, hat man mir gesagt," antwortete Mulder.
"Das ist besser, als
ich erwartet habe," meinte Scully. "Ich muss gehen, Mulder, der SSA
wird jeden Augenblick hier sein."
"Hals- und
Beinbruch."
"Danke." Sie
legte auf.
Mulder kippte den Sessel
nach hinten und kreuzte seine Beine auf dem Schreibtisch. Krycek, dachte er.
Auf welcher Seite spielst du diesmal, Ratboy? Solltest du mir jemals unter die
Augen kommen, dann bete besser dafür, dass Dana Scully Mitleid mit dir hat und
dir wieder deinen armseligen Hintern rettet. Andernfalls, das verspreche ich
dir, wirst du diesmal nicht davonkommen.
Ich werde dich umbringen,
Krycek. Eines Tages.
Das Büro des SSA
VICAP
10:42 a.m.
"Kommen Sie herein,
Agent Scully," sagte Rolfe. "Schließen Sie die Tür."
Scully durchquerte den
Raum mit so viel Grazie, wie sie aufbringen konnte und setzte sich in den
Sessel gegenüber von Rolfes Schreibtisch.
"Sie wollten Agent
Glassmans Bericht mit mir besprechen, Sir?" fragte sie.
"Ich wollte mit Ihnen
besprechen, warum ich diese Angelegenheit nicht an eine Grand Jury übergeben
sollte und Sie wegen des Angriffs angeklagt werden," erwiderte Rolfe kurz
angebunden. "Bisher habe ich noch keine Erklärung gehört, die mir sagt, es
nicht zu tun."
"Es fällt mir schwer,
das zu verstehen, Sir," sagte Scully. "Ich habe diese Angelegenheit
mit SSA Kennedy besprochen..."
"Er hat hier nicht
die Leitung, Agent Scully," unterbrach Rolfe sie. "Die habe ich. Und
ehrlich gesagt, es reicht mir jetzt. Sie sind ein Four-bagger. Geben Sie mir
Ihre Dienstmarke und gehen Sie nach Hause."
"Nein, Sir,"
widersprach Scully. "Ich werde meinen Ausweis nicht abgeben, bis mir von
AD Skinner befohlen wird, es zu tun, den ich um diese Entscheidung bitten
werde."
"Erzählen Sie
Skinner, was immer Sie wollen," sagte Rolfe. "Er wird Sie hierbei
nicht unterstützen."
"So wie ich es
verstanden habe, war es AD Skinner, der mich nach Daphne geschickt hat, um die
Morde dort zu untersuchen," entgegnete Scully und bohrte mit ihren Augen
Löcher in Rolfes Haut.
"Ich weiß nicht, von
wem Sie das gehört haben, aber es ist Blödsinn," meinte Rolfe. "Sie
sind dort hingefahren, weil die Politiker in Alabama wollten, dass ein Team
hingeschickt wird, und ich habe Sie hingeschickt, weil der Fall nicht mehr wert
war. Und bitte langweilen Sie mich nicht mit irgendwelchen Märchen von
Inlandsterrorismus. Sie haben nicht einen verdammten Beweis dafür
erbracht."
"Die Untersuchung
läuft noch, Sir," sagte Scully.
"Aber nicht mit
Ihnen, bestimmt nicht," stieß Rolfe zwischen zusammengebissenen Zähnen
hervor. "Rufen Sie Skinner an, wenn Sie wollen, aber tun Sie es von
Zuhause. Er kann Ihnen Ihren Ausweis genauso leicht abnehmen wie ich. Ich werde
Ihre Versetzungspapiere zu Ihnen nach Hause schicken. Ich persönlich lege
keinen Wert darauf, Sie noch einmal zu sehen."
"Sir," erwiderte
Scully und erhob sich. "Dieses Gefühl ist vollkommen beiderseitig."
Bezirksbüro Birmingham
11:36 a.m.
"Polizeistation
Daphne," meldete sich die Stimme am Telefon.
"Officer Willie Mack,
bitte. Hier ist Fox Mulder vom FBI."
"Bitte warten
Sie."
Ein paar Minuten später
war Mack in der Leitung.
"Mack."
"Mack, Fox Mulder hier. Hören
Sie, haben Sie jemals irgendeine Information über Niveks letzten Kontakt vor
seinem Tod erhalten?"
"Ich habe niemanden
danach befragt, Agent Mulder. Der CID von Baldwin County hat es getan. Ich sag
Ihnen mal, was ich herausgefunden habe."
"Was denn?"
"Erinnern Sie sich
daran, dass Sie mich nach dem Militärdienst der Opfer befragt haben?"
"Ja," erwiderte
Mulder, all seine Sinne alarmiert. "Was haben Sie herausgefunden?"
"Das der junge Mr.
Nivek im JROTC der Armee in Mobile war. Seine Einheit hat zwei Wochen in dem
ROTC-Camp in Anniston verbracht. Er kam knapp eine Woche bevor er starb
zurück."
"Anniston?"
"Ja, Sir,"
antwortete Mack. "Fort McClellan. Ich wollte Sie deswegen anrufen, aber
Sie sind mir zuvor gekommen."
"Mist," sagte
Mulder.
"Und Shinola,"
meinte Mack zustimmend. "Ich schicke Ihnen alles, was ich über Nivek
erfahren habe. Wie soll ich es schicken?"
"Faxen Sie es bitte.
Es ist eine sichere Leitung. Sie haben meine Karte noch?"
"Hab ich hier vor
mir. Wenn Sie es in einer Stunde oder so nicht haben, schreien Sie mich
an."
"Danke, Mack."
Mulder legte auf.
Nivek, Stouffer und Gentry
hatten nun auf irgendeine Art eine Verbindung zur U.S. Army. Und das begann
nicht einmal ansatzweise die Hintergründe der anderen Leute in Südalabama zu
erklären, die Tabletten zur Vorbeugung gegen eine Anthraxinfektion nahmen.
Und Fort McClellan - das
war wohl die schlimmste Neuigkeit von allen. Fort McClellan, nur einen kurzen
Trip von Birmingham entfernt, war dabei, geschlossen zu werden. Ein Teil des
Postens arbeitete immer noch; das Depot, wo die Armee sein gewaltiges und
todbringendes Lager an chemischen Waffen beherbergte und dabei waren auch ein
paar Ausrüstungen, die benötigt wurden, um diese zu verbreiten.
Und bis vor kurzem die
Schule, wo die Leute ausgebildet wurden, wie man sie benutzt. Es begann alles,
zu gut zusammenzupassen.
Das Büro von AD Skinner
2:24 p.m.
"Sir, Agent Scully
ist hier und bittet darum, Sie zu sehen," sagte Kimberly über die
Wechselsprechanlage. "Sie hat keinen Termin, aber sie sagte, es wäre eine
dringende Angelegenheit."
"Schicken Sie sie
herein, Kimberly," antwortete Skinner. Er schaute auf, als sich die Tür
öffnete und Scully hereinkam, die zweimal so schön aussah wie er sie in
Erinnerung hatte. Behalt solche Gedanke für dich, Skinner, befahl er sich
selbst.
"Setzen Sie sich,
Agent Scully," bat er sie. "Weswegen wollten Sie mich sehen?"
"Sir, es tut mir
leid, Sie damit zu belästigen, aber ich hatte SSA Rolfe gesagt, dass ich Sie
aufsuchen werde und er erteilte seine Erlaubnis, wenn auch nicht seine
Billigung," erklärte sie und setzte sich in den einst so vertrauten Sessel.
"Er ist ungehalten über mich, gelinde ausgedrückt, wegen eines
Zwischenfalls in Daphne zwischen mir und Agent Glassman vom VICAP."
"Und inwieweit
betrifft das mich, Agent Scully?" fragte Skinner.
"Sir, ich bin, wie es
SSA Rolf sieht, hier ein Four-bagger," antwortete Scully. Er befahl mir,
meine Dienstmarke abzugeben und nach Hause zu gehen, um auf meine Entlassung zu
warten."
"Und Sie entschlossen
sich, diesen Befehl zu missachten?"
"Nicht ihn zu
missachten, Sir, nein," widersprach Scully. Bleib ruhig, sagte sie sich.
Das ist nur Skinner, wie er eben ist. "Ich sagte SSA Rolfe, dass ich es
vorziehen würde, meine Dienstmarke nicht bei ihm abzugeben. Ich werde sie
Selbstverständlich Ihnen geben, wenn Sie es mir sagen."
"Ich bin wohl selten
jemand, der einen Direktor übergeht, wenn es um Disziplin in den eigenen Reihen
geht, Agent Scully," sagte Skinner und lehnte sich in seinem Sessel
zurück. "Es sei denn, Sie können mir ein paar außergewöhnliche Umstände
nennen, die Ihr Ignorieren der Befehlskette rechtfertigen, sonst werde ich
Ihnen einfach befehlen, zurück nach Quantico zu gehen und Ihre Dienstmarke
abzugeben."
Scully schwieg einen
Moment und blickte zu Boden. Wie viele Male saßen wir genau hier auf dem heißen
Stuhl, dachte sie? Wie viele Male ist Mulder standhaft geblieben und nicht
zurückgewichen und wie viele Male hat es sich als richtig erwiesen?
Für einen kleinen
Augenblick erinnerte sie sich an ihn, an das Gefühl von ihm neben sich, an
seine Stimme, als er ihr die Horrorgeschichte erzählte, die seine Kindheit war.
Er hat so viel Mut, dachte
sie. Ich hoffe, ich habe immer noch etwas von dem Mut, den er mir gegeben
hat...
"Sir, darf ich offen
sprechen?" fragte sie aufschauend.
Skinner sah sie einen
Moment scharf an, dann nickte er. "Fangen Sie an."
"Sir, SSA Rolfe sagte
mir am Anfang, dass ich nur kurz im VICAP sein würde," begann Scully.
"Er sagte mir, dass es ihn verbittere, dass ich ihm zugeteilt worden war.
Trotzdem glaube ich, dass ich meine Arbeit so gut es mir möglich war verrichtet
habe, obwohl ich durch einige - emotionale Schwierigkeiten behindert war."
"Ich war mir dessen
bewusst, dass Sie unter Stress standen, Agent Scully," sagte Skinner
emotionslos. "Ich erhielt einige Berichte über dessen Auswirkung."
"Ja Sir,"
erwiderte Scully. "Ich verstehe das als den Grund dafür, dass Sie mich
nach Daphne geschickt haben - weil Sie Agent Mulder ebenso dorthin geschickt
haben und Sie dachten, er wäre vielleicht... in der Lage, meine Depression
irgendwie zu verringern?"
Skinner richtete sich in
seinem Sessel auf. "Ich weiß nicht, wo Sie das gehört haben, Agent Scully,
aber es ist absurd. Ich mische mich nicht in die interne Arbeit des VICAP ein
und ich teile Agenten nicht auf der Grundlage ihrer persönlichen Beziehungen
zu."
"Nein, Sir, das tun
Sie natürlich nicht," entgegnete Scully. "Trotzdem, Agent Mulder war
dort und ich war dort und uns wurde beiden zu verstehen gegeben, dass Sie uns
persönlich angefordert hatten."
"Kommen Sie auf den
Punkt, Agent Scully," sagte Skinner mürrisch. "Ich habe heute noch
andere Termine."
"Ja, Sir,"
antwortete Scully, immer noch ruhig. "Der Punkt ist, Sir, dass Agent
Mulder und ich, indem wir zusammenarbeiteten, in der Lage waren, den Fall schnell
zu lösen, ohne zusätzlichen Verlust von Leben und dass wir es getan haben trotz
des ernsthaften Mangels an Kooperation durch Agent Glassman, dessen primäres
Ziel seiner Anwesenheit dort gewesen zu sein schien, mich damit zu überraschen,
angrenzende Hotelzimmer zu buchen, obwohl ich ihm ausdrücklich gesagt hatte,
dass ich nicht einmal auf derselben Etage mit ihm sein wollte."
"Unterstellen Sie,
dass Agent Glassman..."
"Sich aufspielen
wollte? Ja, Sir, das tue ich," sagte Scully. "Agent Mulder verhinderte,
dass es weiter ging. Zwei Nächte später erschien Agent Glassman alkoholisiert
in meinem Hotelzimmer und schlug mir vor, dass ich vielleicht Problemen mit SSA
Rolfe vorbeugen könnte, wenn ich freundlicher zu Agent Glassman wäre."
"Und Sie haben das
als eine Forderung nach sexuellen Gefallen interpretiert?"
"Ja, Sir."
Skinner musterte sie
streng. "Das ist ein schwerer Vorwurf, Agent Scully."
"Dessen bin ich mir
bewusst, Sir."
"Was passierte
danach?"
"Nach der
wiederholten Forderung an Agent Glassman, mein Zimmer zu verlassen, zog ich
meine Waffe und befahl es ihm. SSA Rolfe hat das mir gegenüber als kriminellen
Angriff beschrieben, was wie ich glaube, Sir, keine faire Einschätzung
ist."
"Nach dem, was Sie
mir erzählt haben, ist es das nicht, nein," stimmte Skinner zu.
"Dennoch kann ich das nicht fair beurteilen, wenn ich nur eine Seite in
dieser Geschichte gehört habe."
"Das verstehe ich
vollkommen, Sir," entgegnete Scully. "Alles worum ich bitte, ist
meine Dienstmarke behalten zu dürfen, meine Waffe zurückzubekommen und weiter
an der kriminaltechnischen Analyse beim VICAP zu arbeiten, bis die
Angelegenheit gelöst ist. Ich glaube, dass der Bericht, den Agent Glassman
eingereicht hat, als Strafe dafür diente, dass ich ihm sexuelle Dienste
verweigerte."
"Möchten Sie eine
formale Beschwerde wegen sexueller Belästigung gegen Agent Glassman
einreichen?"
"Ja, Sir, das möchte
ich."
"Haben Sie
irgendwelche weiteren unterstützenden Beweise außer dem, was Sie mir erzählt
haben?"
"Es sollte ein
Protokoll im Hotel geben, das beweist, dass Agent Glassman die Zimmerbuchung,
die ich gemacht hatte, geändert hat, und da ist ein Officer vor Ort, der Zeuge
einiger - Interaktionen - zwischen Glassman und mir gewesen ist,"
antwortete sie. "Agent Mulder war auch Zeuge von einigem, was ich Ihnen
erzählt habe. Jedoch muss ich Ihnen sagen, Sir, dass Agent Glassman
wahrscheinlich bezeugen wird, dass Agent Mulder und ich eine Nacht zusammen in
meinem Zimmer verbracht haben, während wir dort waren."
"Das würde mich
nichts angehen, wenn es nicht dazu dienen könnte, Ihre Position in Hinblick auf
Agent Glassman zu untergraben, Agent Scully," sagte Skinner, ein wenig
verlegen.
"Das hängt von Ihrem
Standpunkt ab, Sir," entgegnete sie ruhig. "Ich habe kein Verlangen
danach, jetzt weiter ins Detail zu gehen, als zu sagen, dass Agent Mulder auf
meine Einladung hin dort war, dass wir viele Stunden damit verbracht haben,
über die Probleme zu sprechen, die Ihre Aufmerksamkeit erregt haben, und dass
er mir sehr behilflich war."
"Und das ist alles,
was Sie zu sagen haben?"
"Fürs erste,
Sir," meinte sie. "Ausgenommen, dass ich gern damit fortfahren würde,
die Untersuchung einer potentiellen Bedrohung durch Anthrax fortzuführen, die
im Verlaufe dieser Untersuchung enthüllt wurde, und dass Agent Mulder ebenfalls
sein Interesse an diesem Aspekt der Untersuchung erklärt hat. Wir - haben
weiterhin ähnliche berufliche Interessen, Sir, so beabsichtige ich, wenn nichts
anderes befohlen wird, mit Agent Mulder bei der Untersuchung
zusammenzuarbeiten, ausgehend von meiner vorteilhaften Position beim
VICAP."
Skinner runzelte die Stirn
und sah auf seinen Schreibtisch. "In Ordnung, Agent Scully, ich werde die
Angelegenheit ins Auge fassen," sagte er schließlich. "Solange bis
die offiziellen Beschwerden eingereicht und untersucht sind, werden Sie
weiterhin beim VICAP unter der Leitung von SSA Kennedy arbeiten. Ich werde SSA
Kennedy darüber informieren, dass seine Befehle in Hinblick auf Sie meiner
direkten Prüfung unterliegen, solange diese Angelegenheit anhängig ist."
"Danke, Sir."
"In der Zwischenzeit
haben Sie mein Einverständnis, alles was beim VICAP über eine potentielle
Anthraxbedrohung herausgefunden wird, mit Agent Mulder zu koordinieren, in
Abhängigkeit von der Zustimmung seines Vorgesetzten. Das wäre alles."
"Ja, Sir,"
entgegnete Scully und erhob sich aus dem Sessel. Sie ging auf die Tür zu, dann
drehte sie sich um und blickte zu Skinner zurück.
"Sir?" fragte
sie.
"Ja, Agent
Scully?" fragte er zurück.
"Ich weiß... Sie
haben gesagt, dass Sie nichts mit Mulders und meiner Zuteilung zu diesem Fall
zu tun haben," sagte sie langsam. "Aber wenn Sie es hatten, dann
würde ich Ihnen gern danken und Ihnen sagen..." Sie zögerte.
"Mir was sagen, Agent
Scully?" fragte Skinner und schaute auf.
"Dass Liebe heilt,
Sir," antwortete sie. Sie ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Dana Scullys Apartment
6:45 p.m.
"Hallo?"
<Hi, ich
bin's.">
"Mulder. Gott sei
Dank."
<"Warum, was hast
du geglaubt, wer es wäre?">
"Ich hab gedacht,
dass du es bist. Ich war nur ausnahmsweise dankbar, dass ich Recht hatte."
<"Was ist heute
passiert?">
"Was nicht? Ich habe
eine gute Spur zu einem bösen Jungen gefunden, mein SSA hat mir damit gedroht,
ein Four-bagger zu werden, Skinner hat sich eingemischt und hat mir eine
vorübergehende Gnadenfrist eingeräumt..."
<"Du hast mit
Skinner darüber geredet?">
"Bin direkt in sein Büro
gegangen, nachdem ich mit Rolfe gesprochen habe, der damit gedroht hatte, mich
einer Grand Jury zu übergeben. Er wird es immer noch wollen, nehme ich an,
obwohl ich glaube, dass er es zuerst mit Skinner klären muss."
<"Ja, das würde
ich denken. Und mit der OPR auch. Was hat dieser Bastard zu
dir gesagt?">
"Bleib ruhig, Mulder.
Es war nicht so schlimm."
<"Hat er dich
wenigstens über deine Rechte aufgeklärt, bevor er dich
darüber befragt
hat?">
"Nein. Ich bin nicht
verhaftet, Mulder. Aber er wollte meine Dienstmarke. Ich habe ihm gesagt, dass ich sie Skinner
geben werde, aber ihm nicht. Also ging ich zu Skinner, um ihn zu sehen und ich
habe ihm gesagt, dass ich Beschwerde wegen sexueller Belästigung gegen Glassman
einreiche."
<"Gut für
dich.">
"Vielleicht nicht so
gut für dich."
<"Warum?">
"Nun, du bist
vielleicht ein Zeuge..."
<"Das ist kein
Problem.">
"Das ist es, wenn es
bedeutet, dass Glassman alles über uns erzählt, was er über uns weiß."
<"Er weiß gar
nichts, ausgenommen dass ich nicht immer nachts nach Hause
komme.">
"Ich glaube, er weiß
mehr. Aber es kümmert mich wirklich nicht, wenn er weiß, dass wir uns lieben.
Ich mache mir Sorgen, dass dein Name in den Dreck gezogen wird."
<"Scully, mein
Name war seit Jahren beschmutzt beim FBI. Ich habe vor
langer Zeit aufgehört, mir
darüber Sorgen zu machen. Aber was ist mit
deinem Namen?">
"Wenn mich
irgendjemand nach dir fragt, dann werde ich ihm die Wahrheit sagen."
<"Und die Wahrheit
ist...?">
"Da draußen."
<"Sehr
witzig.">
"Ja, ich merk schon,
du lachst dich krank. Aber wirklich, ich will nicht, dass du dir Sorgen machst.
Ich werde überleben."
<"Wirst du
das?">
"Ja."
Eine Pause.
<"Es tut mir leid,
Scully.">
"Mir nicht. Nicht,
bei dir zu sein. Und auch nicht wirklich etwas anderes. Skinner hat mir sein Einverständnis erteilt,
weiter mit dir an der Anthraxsache zusammenzuarbeiten."
<"Aha. Nun, ich
habe das Einverständnis meines Vorgesetzten, an den Morden
zu arbeiten, aber nicht an
der Anthraxsache.">
"Das ist derselbe
Fall."
<"Ich
weiß.">
"Ich will mit dir
arbeiten."
<"Auch wenn Krycek
immer noch da draußen ist und dein Leben bedroht?">
"Auch dann. Die
X-Akten sind sowieso geschlossen. Vielleicht war es das, was er wollte."
<"So wie ich ihn
kenne, bezweifle ich das.">
"Vergiss ihn jetzt.
Hast du irgendetwas Neues über das Anthrax herausgefunden?"
<"Mack hat was
gefunden. Ich hab ihn heute Morgen angerufen. Wilhelm Nivek
war in der ROTC der High School
und hat zwei Wochen in Fort McClellan in
Anniston verbracht, direkt
bevor er starb.">
"Das Nachschublager
für chemische Waffen?"
<"Eben
das,">
"Also ist er auch mit
der Army verbunden."
<"Nicht nur mit
der Army, sondern mit chemischer Kriegführung.">
"Von wo aus es ein
kleiner Schritt zu biologischer Kriegführung ist."
<"Genau, Scully.
Es ist eine dürftige Verbindung, aber es ist eine. Aber
natürlich soll ich das
nicht untersuchen.">
"Was machen wir
also?"
<"Was wir immer
getan haben.">
"Was immer wir
verdammt noch mal wollen?"
<"Richtig,"
Ein Glucksen. "Ich liebe dich, G-woman.">
"Ich liebe dich auch.
Und ich liebe den Gedanken, dass wir zusammenarbeiten, wenn auch über die
Entfernung."
<"Hey,
Scully?">
"Hmm?"
<"Was wirst du
sagen, wenn dich jemand nach mir fragt?">
(sanft) "Ich werde
ihnen vollkommen, sicher und eindeutig erzählen, dass ich wahnsinnig,
leidenschaftlich, Hals über Kopf in Fox Mulder verliebt bin. Ist das in Ordnung
für dich?"
<"Ja. Mehr als in
Ordnung.">
"Und was würden Sie
sagen, wenn man Sie fragen würde, Agent Mulder?"
<"Wahrscheinlich
irgendetwas extrem superschlaues, das mir eine Welt voller
Schwierigkeiten mit dir
einhandeln würde.">
"Du weißt, dass du
das wahrscheinlich würdest."
<"Und dann würde
ich nach Hause gehen und darüber nachdenken, was ich
gesagt hätte, wenn ich
nicht so ein Blödmann wäre.">
"Du bist kein
Blödmann. Und du hattest Zeit zum Nachdenken, also was würdest du sagen?"
<"Ich würde
sagen... dass ich sehr, sehr in dich verliebt bin und das schon
seit Jahren.">
"Oh. Seit Jahren?
Wirklich?"
<"Ja. Warum
überrascht dich das?">
"Ich weiß
nicht."
Eine Pause.
"Wie lange?"
<"Ich in dich
verliebt bin?">
"Ja."
<"Ich weiß es nicht
sicher. Ich wusste nicht, dass ich es bin, bis du
verschwunden
warst.">
"Als ich entführt
war?"
<"Ja.">
"So lange
schon?"
<"Ja.">
"Oh."
<"Was dagegen,
wenn ich die Frage an Sie zurückgebe, Agent Scully?">
"Aber ich weiß es
auch nicht."
<"Beste
Schätzung?">
"Als ich aus dem Koma
erwacht bin und wusste, dass du an meiner Seite gewesen warst und mich dazu
gebracht hast, zu dir zurückzukehren."
<"Das wäre dann
ungefähr zur selben Zeit.">
"Das denke ich."
<"Und was sagt das
über uns, dass wir seit sechs Jahren ineinander verliebt
sind und es nie zugegeben
haben bis letzten Dezember?">
"Das wir uns beide
sehr davor gefürchtet haben, zu verlieren, was wir hatten, wenn wir ein
Liebespaar geworden wären und es nicht funktioniert hätte."
<"Funktioniert
es?">
"Oh ja. Ja, das tut
es. Ich wünschte nur, ich wüsste, wann wir wieder zusammen sein werden."
<"Ich weiß es
nicht. Ich wünschte, ich wüsste es.">
"Was ist das erste,
was du machen willst?"
>"Was, wenn ich
dich wiedersehe?">
"Mm-hmm."
<"Du machst
Witze.">
(Lachen) "Wir waren
mehr als sechs Jahre zusammen, ohne uns zu lieben und nun ist das alles woran
du denken kannst, was du mit mir tust?"
<Nein. Es ist nur das
beste, woran ich denken kann.">
"Ich auch." Eine
Pause. "Vielleicht sollte ich mir überlegen, etwas... nettes... anzuziehen."
<"Oh
Gott.">
"Irgendeine
Idee?"
<"Unmengen. Aber
ich weiß nicht, ob du sie hören willst.">
"Vielleicht will ich
es. Oder vielleicht werde ich einfach meine Phantasie benutzen. Weißt du, ich
habe immer noch dein Hemd. Tatsächlich habe ich es an."
<"Hast
du?">
"Ja."
<(Pause) "Äh...
Dana?">
"Ja?"
<"Was, äh... was
hast du sonst noch an?">
(langsam)
"Nichts."
<"Oh,
Jesus.">
"Mulder, das sagst du
*nie*."
<"Ich sage es
jetzt.">
"Magst du es, über
diese Art Dinge nachzudenken oder sollte ich nicht so mit dir sprechen?"
<"Sprich mit mir.
Bitte. Ich meine, ich denke von dir nicht als eine 0190er
Nummer oder so
etwas...">
"Ich weiß, dass du
das nicht tust. So unreif bin ich nicht, Mulder."
<"Aber... ich
meine, es tut gut, an dich zu denken. Überall. Auf jede
Weise.">
"Aber besonders, wie
ich jetzt bin, halb nackt und dich schrecklich vermissend?"
(Schweigen)
"Mulder?"
<"Ich bin
da.">
"Ich hab mich
gewundert."
<"Aber ich muss
vielleicht bald gehen.">
"Ah. Gut, denk an
mich..."
<"Gott. Als wenn
ich an etwas anderes denken könnte.">
"Es ist schön, das zu
hören."
<"Dana?">
"Hmm?"
<"Wirst du... äh,
auch an mich denken?"
(Pause) "Ja,
versprochen."
<"Oh,
Jesus.">
"Du sagst das
oft."
<"Ich glaube, ich
habe ein religiöses Erlebnis.">
(Lachen) "Ich glaube,
es ist an der Zeit, den Hörer aufzulegen."
<"Ja.
Vielleicht.">
"Ich liebe dich,
Mulder."
<"Ich dich
auch.">
"Wir sprechen uns
morgen, okay?"
<"Okay. Träum süß, G-woman.">
"Du auch."
"Wenn wir getrennt
sind, fühlen wir beide den Verlust der anderen Hälfte unseres Ichs.
Wir sind unvollkommen wie
ein zweibändiges Buch, deren erster Teil verlorengegangen ist.
So stelle ich mir Liebe
vor: Unvollkommenheit bei Abwesenheit."
‚Die Goncourt-Tagebücher'
Edmond und Jules de Goncourt
Kapitel 21
VICAP
Marinekaserne. Quantico
Mittwoch, 10. März
11:12 a.m.
Wenn in diesem Büro nicht
bald jemand mit mir spricht, dachte Scully, fange ich an zu schreien.
Sie hockte über ihrem
Terminal und arbeitete endlose Routineanalysen von Gewaltverbrechen ab, wofür
das VICAP geschaffen worden war. Sie schaffte gewiss eine Menge Arbeit, aber
nur, weil sie fast vollständig vom Rest der Truppe geächtet wurde.
Scully hatte an diesem
Morgen formal Beschwerde gegen Lon Glassman wegen sexueller Nötigung
eingereicht. Es hatte sich schnell herumgesprochen; am Vormittag war sie
beinahe total isoliert, eine vollkommen Ausgestoßene. Sogar SSA Kennedy schien es zu vermeiden, mit
ihr zu reden. Rolfe sprach auch nicht mit ihr, aber das war eine Erleichterung,
mehr als alles andere. Glassman sprach
nicht mit ihr, aber er sprach immer noch über sie. Und natürlich über Mulder.
Das Schweigen war nützlich
in Bezug darauf, ihre Arbeit zu erledigen, aber sie regte sich heftig über die
Reaktion der Altherrenriege über ihre Beschwerde auf. Dass sie haltlos war, schien
ein Akt des Glaubens zu sein, genau wie der Gedanke, dass sie aus dem Verlangen
nach Rache an Glassman wegen irgendeiner angenommenen Beleidigung heraus
handelte. Das Ergebnis war, dass niemand im Büro irgendein Wort mit ihr
wechseln würde, die Gerüchteküche hatte sie ernsthaft davon überzeugt, dass sie
sich womöglich mit demselben Ergebnis an ihnen rächen würde.
Wenn sie nur wüssten,
wieviel ich mir gefallen lassen musste, bevor ich diese Beschwerde eingereicht
habe, dachte sie. Ich mache mir wirklich keine Gedanken mehr, nicht über
Glassman; ich könnte ihn in einem halbwegs fairen Kampf besiegen. Aber ich
werde meine Dienstmarke behalten, versprach sie sich selbst grimmig. Niemand
wird mir die wegnehmen.
Ja, sie hatte die ruhige
Zeit genutzt und an diesem Morgen eine große Entdeckung gemacht. Leider hatte
es sich bis jetzt als Sackgase erwiesen.
Sie griff nach dem
Telefon, um das Bezirksbüro in Birmingham anzurufen, aber in dem Augenblick
erschien eine Email-Benachrichtigung auf ihrem Computerbildschirm und sie
öffnete sie.
AN: dkscully@fbi.gov
VON: fwmulder@fbi.gov
BETREFF: unser bevorzugter
nicht länger unbekannter
scully—sie sagen mir, dass
lee in ein normales krankenzimmer verlegt wurde; er ist immer noch unter
bundesbewachung. er hat einen verdammten rechtsanwalt und er ist ???, aber er
will immer noch reden, mirabile dictu, also werde ich nach mobile eilen und mit
ihm reden. werde heute nacht und den größten teil von morgen dort sein.
irgendetwas neues von dem anderen drogenbenutzer in daphne?
Sie lächelte. Nur Mulder
konnte Obszönitäten und klassisches Latein so glatt in einem einzelnen Satz
miteinander vermischen, dachte sie.
AN: fwmulder@fbi.gov
VON: dkscully@fbi.gov
BETREFF: große neuigkeiten
mark long aus daphne ist
in der navy. wir müssen darüber später in sicherer form reden. suche immer noch
weiter. ich habe nach stouffers 201-akte gefragt, aber bisher nichts zu machen.
ist es an der zeit für uns, mit ein paar höheren chargen im
verteidigungsministerium zu reden?
Ein paar Minuten später
kam die Antwort.
AN: dksculle@fbi.gov
VON: fwmulder@fbi.gov
BETREFF: verdammter mist
nein, lass mich zuerst mit
lee reden. dann werden wir sehen, was los ist.
AN: fwmulder@fbi.gove
VON: dkscully@fbi.gov
BETREFF: du bist der boss,
boss
hast du rückendeckung? lee
ist eine gefährliche persönlichkeit, was ich dir nicht sagen muss, dessen bin
ich mir sicher.
AN: dkscully@fbi.gov
VON: fwmulder@fbi.gov
BETREFF: und vergiss es
nicht
scully, er ist im
krankenhaus. er ist ernsthaft außer gefecht gesetzt. aber ich werde sehen, ob
mack mit mir gehen kann. wenn nicht, nehme ich jemandem vom bezirksbüro in
mobile mit. mach dir keine sorgen, ich werde nicht auf mich schießen lassen.
AN: fwmulder@fbi.gov
VON: dkscully@fbi.gov
BETREFF: jedoch nur im job
wissen wir schon, warum
stouffer nicht gegen anthrax geimpft worden war?
AN: dkscully@fbi.gov
VON: fwmulder@fbi.gov
BETREFF: wir werden sehen
nein, aber er war der
schreiber der kompanie. es wäre ein leichtes für ihn gewesen, seine
medizinischen unterlagen zu fälschen, wenn er angst vorm impfen hat. manche
leute haben das, das weißt du.
AN: fwmulder@fbi.gov
VON: dkscully@fbi.gov
BETREFF: das werden wir
bestimmt
was lächerlich ist. es
geht absolut keine gefahr vom anthrax-impfstoff aus. sag mack hallo von mir und denk dran, er mag
schokoladendoughnuts am liebsten.
AN: dkscully@fbi.gov
VON: fwmulder@fbi.gov
BETREFF: lass uns das später
zuende bringen
ich erinnere mich. ich
erinnere mich an alles aus unserem fall in daphne. pass auf dich auf, g-woman.
AN: fwmulder@fbi.gov
VON: dkscully@fbi.gov
BETREFF: bitte
ich erinnere mich auch an
alles. ruf mich an, wenn du kannst.
St. Catherine's Krankenhaus
4:33 p.m.
Dieser Typ, das wird eine
harte Nuss zu knacken sein, dachte Mulder, während er auf das Krankenhausbett
starrte, in dem Lee lag, an den Händen gefesselt und von zwei Bundesmarshals
bewacht.
Mulder hatte am Morgen
Mack in Daphne abgeholt, so geschickt er konnte von seinen Fragen nach Scully
abgelenkt und dabei jämmerlich versagt. Macks Guter-alter-Junge-Grinsen wurde
nur breiter mit jeder belanglosen Erwiderung.
Als sie sich an die Arbeit
machten, verschwand aber Macks Grinsen.
"Die Spur hat nichts
gebracht, Agent Mulder," sagte Mack. "Wir haben jeden Drugstore in
Baldwin County und ein paar in Mobile überprüft und kein anderer hatte
irgendwelche Belege darüber, dass solche Medikamente, von denen uns Agent
Scully erzählt hat, gekauft wurden."
"Das überrascht mich
nicht," hatte Mulder ihm geantwortet, es aber nicht näher erläutert. Mack,
ein guter Cop, wie er war, würde es schwer haben, die Beweise vertuschenden
Fähigkeiten zu erfassen, die die Menschen zur Schau stellten, die - wie Mulder
stark vermutete - hinter dieser ganzen Operation steckten.
Nun warteten sie
schweigend darauf, dass der Anwalt Lees auftauchen würde für eine, wie Mulder
sich ziemlich sicher war, kurze unproduktive Befragung. Der Anwalt hatte
zugestimmt, Mulder zu erlauben, Fragen über eine dritte Partei zu stellen, es
damit begründend, dass die Tatsache, dass die Fragen auch nur gestellt wurden,
seinem Fall nur helfen konnte.
Mulder konnte darüber
nicht streiten, weswegen er es vorgezogen hatte, dem Bezirksstaatsanwalt von
dieser speziellen Reise nichts zu erzählen oder Scully auch nicht zu erzählen,
dass er dem Bezirksstaatsanwalt nichts gesagt hatte. Früher oder später würden
sie es sowieso herausfinden. Er konnte ganz sicher aus allen Schwierigkeiten
herauskommen, die er mit Scully hatte, und was das anbetraf, auch mit dem
Bezirksstaatsanwalt, weil er die Situation bereits eingeschätzt und entschieden
hatte, dass Lee beinahe sicher auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren und damit
Erfolg haben würde.
Jedenfalls hatte Mulder
immer mit der Theorie gearbeitet, dass Vergebung einfacher zu erreichen war als
Einverständnis.
Dann öffnete sich knarrend
die Tür und ein Mann in einem dunkelblauen Anzug trat ein. "Agent
Mulder?" fragte der Mann und streckte seine Hand aus. "Dennis Chambeau. Ich bin Mr. Lees
Anwalt."
"Fox Mulder,
FBI," stellte sich Mulder vor und schüttelte Chambeaus Hand.
"Ich schüttele Ihnen
nicht die Hand," knurrte Lee vom Bett her.
"Ich habe Sie nicht
darum gebeten," meinte Mulder leicht amüsiert. "Setzen wir uns, Mr.
Chambeau."
Mulder schaltete einen
Kassettenrecorder ein und identifizierte kurz jeden, der sich im Raum befand.
"Mr. Lee, sind Sie
über Ihre verfassungsmäßigen Rechte aufgeklärt worden?" fragte Mulder.
"Ja," entgegnete
Lee. "Wieder und wieder."
"Mr. Chambeau,
möchten Sie, dass ich die Miranda-Vorschriften noch einmal verlese?"
fragte Mulder an den Anwalt gewandt.
"Nein, Mr. Mulder,
ich erkläre für das Protokoll, dass mein Klient richtig über seine Rechte
aufgeklärt wurde und dass er diese Erklärung hier auf meinen Rat hin
abgibt," erwiderte der Rechtsanwalt.
Mulder schnitt innerlich
eine Grimasse. Er hasste Anwaltsgerede; wie beinahe jeder lebende Officer der
Justizbehörden hatte er einmal zuviel den Kürzeren dabei gezogen als es ihm
gepasst hätte.
"Mr. Lee, ich setze
voraus, dass Ihr Anwalt Ihnen gesagt hat, worüber wir heute mit Ihnen reden
wollen," erklärte Mulder. "Wenn Sie irgendwelche Fragen dazu haben,
bevor wir anfangen, dann sagen Sie es mir bitte und ich werde versuchen, sie
Ihnen zu beantworten."
"Leck mich am
Arsch," sagte Lee. Mulder warf Mack einen Seitenblick zu, der rasch
wegschaute, um sein Grinsen zu verbergen.
"Mr. Lee, es gibt
keinen Grund, ausfallend zu werden," belehrte Chambeau seinen Klienten.
"Ich bin daran
gewöhnt," meinte Mulder. "Tatsächlich fange ich an zu glauben, das
wäre mein Name. Mr. Lee, ich habe Grund zu glauben, dass Sie mit jemandem
Kontakt hatten, der Ihnen suggeriert hat, dass zwei der Personen, die getötet
wurden, darauf aus waren, Ihnen in irgendeiner Weise zu schaden, dass Ihnen
Gefahr von ihnen drohte. Wissen Sie, wovon ich spreche?"
"Ich weiß gar nichts
über irgendjemanden, der umgebracht wurde," erwiderte Lee. "Ich hab
Ihnen dazu nichts zu sagen, Sie Schwein."
"Vielleicht können
Sie mir sagen, ob Sie diesen Mann schon früher gesehen haben," sagte
Mulder und zog ein Foto aus seiner Jackentasche. Er hielt es so, dass es Lee
sehen konnte. Lee starrte auf das Foto, sagte aber kein Wort.
"Kennen Sie diesen
Mann, Mr. Lee?" fragte Mulder. "Haben Sie jemals mit ihm gesprochen?"
"Hab ihn einmal
gesehen," antwortete Lee. "Kenn ihn nicht."
"Wo war das?"
"In dem Laden, in dem
ich früher gearbeitet habe," erklärte Lee. "Er kam herein, kaufte ein
paar Bier oder so. Ist wieder gegangen. Das war's."
"Warum erinnern Sie
sich an ihn?"
"Er hat mich bei
meinem Namen genannt."
Mühsam hielt Mulder seine
Gesichtszüge ruhig. "Was hat er zu Ihnen gesagt, Mr. Lee?"
"Er wollte sein
Wechselgeld," sagte Lee mit gekräuselten Lippen.
"War das alles, was
er gesagt hat?"
"Was zur Hölle sollte
er denn sagen?"
"Ich habe Sie nur
gefragt, ob dieser Mann noch irgendetwas anderes zu Ihnen gesagt hat, außer
dass er sein Wechselgeld wollte," meinte Mulder. "Was hat er sonst
noch zu Ihnen gesagt?"
"Er hat gar nichts
gesagt, er ist einfach gegangen," erwiderte Lee.
"Hat er Ihnen
irgendetwas gegeben, Ihnen irgendetwas vorgeschlagen?"
"Er hat mir eine
Batterie gegeben," antwortete Lee.
"Eine Batterie,"
wiederholte Mulder. So ruhig er konnte, fuhr er fort.
"Welche Art von
Batterie, Mr. Lee?"
"Eine
Radiobatterie," erwiderte Lee. "Ich hab Ihnen gesagt, dass wir nicht viel
geredet haben."
"Wann war das?"
"Ich erinnere mich
nicht. Vielleicht ein paar Wochen, bevor ich angeschossen wurde."
"Haben Sie viel Radio
gehört?" fragte Mulder.
"Fast die ganze Zeit,
meine ich," sagte Lee.
"Und Sie haben die
Batterie benutzt, die Ihnen dieser Mann gegeben hat?"
"Ja, bis sie alle
war."
"Wann war das?"
"Ungefähr zu der
Zeit, als Sie und diese Schlampe auf mich geschossen haben, Hurensohn,"
stieß Lee hervor.
"Sie hatten das Radio
also dabei?" fragte Mulder, ohne auf die Beschimpfung einzugehen.
"In meinem
Zimmer," erklärte Lee. "Werden Sie es mir wiedergeben?"
"Ich stelle hier die
Fragen, Mr. Lee," sagte Mulder. "Das Radio war in Ihrem Zimmer, als
sie festgenommen wurden?"
"Als ich angeschossen
wurde, du Arschloch. Du hast verdammt noch mal auf mich geschossen!"
"Ja, ich erinnere
mich," erwiderte Mulder trocken. "Hatten Sie noch irgendeinen
weiteren Kontakt mit diesem Mann?"
"Ich hab ihn seitdem
nicht wiedergesehen," erklärte Lee.
"Haben Sie irgendeine
Ahnung, wie sein Blut auf die Kleidung von Wilhelm Nivek gekommen sein könnte,
einem der Menschen, die Sie beauftragt wurden zu ermorden?"
"Ich weiß gar nichts
darüber."
"So?"
"Ich werde Mr. Lee
nicht erlauben, weitere Fragen zu beantworten, die einen gerichtsrelevanten
Bezug zu diesen Todesfällen haben, Mr. Mulder," sagte Chambeau.
"In Ordnung,
Sir," stimmte Mulder zu. "Ich habe nur noch ein paar Fragen.
Mr. Lee, haben Sie diesem
Mann erzählt, dass Ihr Radio nicht funktioniert?"
"Ich erinnere mich
nicht."
"Ist es möglich, dass
er es Ihnen gesagt hat?"
"Könnte sein,"
meinte Lee und drehte den Kopf weg. "Wie ich dir gesagt habe, du Schwein,
ich erinnere mich nicht."
"Kennen Sie den Namen
des Mannes auf diesem Foto?"
"Nee," erwiderte
Lee. "Ich kenne ihn überhaupt nicht, du Ochse. Ich hab dir doch gesagt, er
kam einfach vorbei, kaufte irgendetwas und gab mir eine Batterie."
"Warum sollte er
Ihnen eine Batterie geben?"
"Wie war das noch mal?"
"Warum sollte Ihnen
dieser Mann, den Sie wie Sie sagen, nie zuvor gesehen haben, eine Batterie
geben?" fragte Mulder und sein Blick bohrte sich in den von Lee. "Sie
haben doch in einem Laden gearbeitet, der Batterien verkaufte, nicht wahr?
Warum sollte ein vollkommen Fremder in den Laden kommen, Sie mit Namen
ansprechen, bemerken, dass Ihr Radio nicht funktioniert und Ihnen eine Batterie
anbieten? Macht das Sinn für Sie?"
"Ich weiß
nicht," erwiderte Lee. "Ich geb auch einen Scheiß darauf."
"Danke, Mr. Lee. Ich
denke, das war alles," sagte Mulder und sah nicht von seinen Notizen auf.
"Ja, das war alles,
verdammter Mr. Bundesagent mit ner großen Knarre," stieß Lee hervor, als
Mulder aufstand. "Du und diese Schlampe sollten besser hoffen, dass ich
hier nicht rauskomme."
"Mr. Lee,"
begann Chambeau. "Ich muss Ihnen den Rat geben, nicht mehr zu sagen."
"Nein, das ist in
Ordnung, Herr Anwalt," meinte Mulder. "Wir betrachten das als
außerhalb des Protokolls."
Er stand da und ließ seine
hochgewachsene Gestalt über dem kleineren Mann aufragen. "Aber lassen Sie
mich Ihnen etwas sagen, Mr. Lee," fügte er hinzu. "Sie werden von
hier aus nirgendwo hingehen außer ins Gefängnis. Was danach mit Ihnen
geschieht, entscheiden die Geschworenen." Mulder beugte sich vor, direkt
in Lees Gesicht. "Aber was immer auch geschieht, Sie tun besser daran,
sich von mir und meiner Partnerin fernzuhalten. Habe ich mich deutlich
ausgedrückt?"
"Fick dich,"
antwortete Lee.
"Die immer-gleiche
Antwort," sagte Mulder und drehte dem Gefangenen den Rücken zu. "Ich
denke ich habe nichts weiter zu sagen. Mr. Chambeau, danke, dass Sie sich die
Zeit genommen haben. Officer Mack?"
Mack nickte und die beiden
Männer verließen Lees Krankenzimmer. Als sie den Fahrstuhl erreichten, sprach
Mack zum ersten Mal.
"Agent Mulder, ich
bin neugierig," meinte Mack. "Wer war der Typ auf dem Foto?"
"Ein alter
Feind," antwortete Mulder langsam. "Tatsächlich ein früherer FBI-Agent,
aber in Wirklichkeit eine falsche Schlange. Scully und ich nennen ihn
Ratboy."
Fox Mulders Apartment
10:45 p.m.
<"Hallo?">
"Hey Scully, ich bin
es."
<"Hi. Wo bist
du?"
"Wieder zuhause. Ich
bin vor ein paar Minuten angekommen."
<"Ich hatte Angst,
du rufst nicht an. Es ist fast Mitternacht.">
"Hier nicht. Aber ich
bin buchstäblich gerade zur Tür herein. Verzeihst du mir?"
<"Ach, komm
schon." (Pause) "Wie ging es mit Lee?">
"Du wirst es nicht
glauben. Er hat auf einem Foto Alex Krycek identifiziert."
<"Er hat
was???">
Du hast richtig gehört. Er
hat gesagt, Ratboy war in dem Laden, in dem Lee gearbeitet hat, hat irgendetwas
eingekauft und - jetzt kommt's, Scully - er hat Lee eine Batterie für sein
Radio gegeben."
<"Wann war
das?">
"Er hat gesagt, es
war ein paar Wochen, bevor er angeschossen wurde. Er hat permanent daran
erinnert."
<"Das sollte nicht
verwundern. Wir haben ihn beinahe umgebracht.">
"Ich habe ihn beinahe
umgebracht. Du hast ihn in die Schulter geschossen."
<"Ich weiß nicht,
ob du versuchst, mich davor zu bewahren, mich schuldig zu
fühlen oder ob du es mir
unter die Nase reiben willst, dass ich daneben
geschossen habe.">
"Weder noch.
Wirklich. Wenn du nicht dagewesen wärst, wäre er tot."
<"Das ist ein
Kompliment sowohl für deine Treffsicherheit als auch für
meine medizinischen
Fähigkeiten. Nett gesagt. Was glaubst du, bedeutet es,
dass Krycek ihn besucht
und ihm eine Batterie gegeben hat?">
"Vielleicht war es
keine Batterie?"
<"Ein
Sender?">
"Das wäre meine
Vermutung."
<"Wo ist das Radio
jetzt?">
"Gute Frage. Ich weiß
es nicht. Lee sagte, es wäre bei seinen Sachen, aber es war nicht unter den
Beweisstücken, die beschlagnahmt wurden."
<"Hat es
irgendjemand nicht für wichtig gehalten?">
"Oder es ist
verschwunden."
<(Pause) "Das ist
vollkommen möglich. Also alles in allem eine
so-lala-Reise.">
"Nicht so gut wie die
letzte, wild woman."
<"Benimm
dich.">
"Ich will nicht. Aber
es war sicher nicht vollkommen umsonst. Wir haben wenigstens eine Verbindung
zwischen Krycek und Lee."
<"Mit allem, was
uns das bringt. Lee ist verrückt, niemand wird seiner
Aussage glauben.">
"Ich nehme nicht an,
dass Alex Krycek jemals für irgendetwas, was er getan hat, zur Rechenschaft
gezogen wird, Scully, also ist es mir wirklich egal, ob Lee darauf vorbereitet
ist, in den Zeugenstand zu gehen oder ob er überhaupt dazu fähig ist. Was mir
wirklich Sorge bereitet ist, dass wir nun eine definitive Verbindung zwischen
Krycek, dem Anthrax und den Morden haben."
<"Mulder, unser
Ziel muss es sein, Beweise zu sammeln, die darin enden,
Krycek strafrechtlich zu
verfolgen. Das ist es, was wir tun, erinnerst du
dich?">
"Wenn wir es
können."
<"Warum glaube
ich, dass du immer noch vorhast, diesen Fall mit einem
9mm-Loch
abzuschließen?">
"Ich hab keine
Ahnung."
<"Mulder...">
"Lass uns das Thema
wechseln, ja?"
<"Nein.">
"Komm schon, Scully,
lass uns nicht streiten."
<"Ich will nicht
streiten. Aber ich will auch nicht, dass du Dirty Harry
mit mir spielst.">
"Oh ja, ich kann mich
schon selbst hören: ‚Los, Ratboy, rette meinen Tag."
<(Kichern)
"Mulder, das ist die schlechteste Clint-Eastwood-Vorstellung,
die ich je gehört
habe.">
"Ach ja? Glaubst du,
du kannst es besser?"
<"Ich bin nicht
verrückt genug, um es zu probieren.">
"Nein, nur verrückt
genug, um mit mir verwechselt zu werden."
<"Nun ja... ich
bin nur den Befehlen gefolgt.">
"An welchem
Punkt?"
<"Wie
bitte?">
"Wann bist du
Befehlen gefolgt?"
<"Als ich den
X-Akten zugeteilt wurde, natürlich. Wann denn sonst?">
"Nun, ich weiß nicht.
Ich dachte vielleicht... du weißt schon, in einem bestimmten Hotelzimmer in
einer bestimmten Stadt in Südalabama..."
<"Mulder, du bist
scheußlich.">
"Das hast du damals
nicht gesagt."
<"Hör sofort auf
damit oder ich lege auf.">
"Okay, okay. Ich
werde ein braver Junge sein, versprochen."
<"Das wäre das
erste Mal.">
"Du verletzt
mich."
<"Wenigstens
benutze ich diesmal nicht meine Waffe.">
"Ooh, Agent Scully,
ich liebe es, wenn Sie knallhart sind."
<"Du bist
unverbesserlich, nicht wahr?">
"Ja." (Pause)
"Ich mochte es nicht, ohne dich in Daphne zu sein."
<"Ich mag es
nicht, irgendwo ohne dich zu sein.">
"Ja, aber als ich das
letzte Mal in Daphne war, waren wir zusammen. Eine Menge Erinnerungen rund um
diese kleine Stadt."
<"Aber nicht alle
sind gut.">
"Nein, nicht alle.
Aber du bist in allen enthalten."
>"Ich wünschte,
ich wäre wirklich bei dir und nicht nur in deinen
Erinnerungen.">
"Ich auch. Und du
weißt, wie sehr."
<"Vielleicht tue
ich das. (Pause) "Bist du bereit, die Reisebeschränkungen
aufzuheben, Mulder?">
"Du meinst, ob ich es
für sicher halte, dass wir uns jetzt schon sehen? Nein. Nicht wirklich. Aber ich vermisse dich
so sehr, dass ich es beinahe vergessen könnte."
<"Wirklich?">
"Ich sagte beinahe,
Scully."
<(seufzend) "Es
bringt mich um.">
"Wenigstens bringt
Krycek dich nicht um."
<"Zur Hölle mit
Krycek. Ich vermisse dich, Mulder. Ich vermisse es, dich zu
sehen, ich vermisse es,
mit dir zu reden, ich vermisse es, mit dir zu
arbeiten, ich vermisse es,
dich zu berühren und am meisten vermisse ich es,
mich mit dir zu lieben.">
"Ich vermisse dich
auch, Scully. Die ganze Zeit."
<"Vielleicht bist
du bald zurück im Bezirk.">
"Das sehe ich
nicht."
<"Nicht einmal für
eine kurze Zeit?">
"Nicht sobald."
(Schweigen) "Scully, weinst du?"
<"Ja.">
"Tu es nicht."
<"Ich kann nichts
dagegen tun. Ich vermisse dich. Ich will bei dir sein.">
"Scully... sieh mal,
ich will einfach nicht, dass dir irgendetwas schlimmes passiert."
<"Etwas schlimmes
passiert mir gerade. Ich vermisse dich so sehr, dass ich
sterben könnte.">
"Nicht. Sag so etwas
nicht einmal."
<"Versuchst du
bitte einen Weg zu finden, dass wir uns sehen können? Und
wenn es nur für einen Tag
ist... oder für eine Nacht.">
"In Ordnung, ich
versuche es. Versprochen. Aber weine nicht mehr, okay?"
<"Wann?">
"Ich weiß nicht.
Bald." (Pause) "Ich will auch bei dir sein, das weißt du."
<"Ja, ich
weiß.">
(Pause)
"Ich wollte dich
nicht verärgern."
<"Das hast du
nicht.">
"Doch."
<"Nein, wirklich.
Das hast du nicht. Ich hab nur angefangen, darüber
nachzudenken... über dich
und mich, wir beide zusammen, und wie lange es
sein wird, bis ich bei dir
sein kann und ich hab angefangen zu weinen.">
"Ich verstehe zwar
den Unterschied nicht, aber ich nehme dich beim Wort."
<"Das ist das
cleverste, was du den ganzen Abend gesagt hast.">
(Lachen) "Okay, okay.
Ich lerne meinen Platz in dieser Beziehung."
<"Du weißt, was
ich gemeint habe.">
"Ich nehme es
an." (Pause) "Wir sollten besser schlafen."
<"Du klingst
wirklich müde.">
"Das bin ich auch.
Bist du sicher, dass du in Ordnung bist?"
<"Mir geht es gut,
Mulder." (Pause) "Nein, wirklich, ich bin in Ordnung.
Ich heule sowieso lieber
mit dir am Telefon als mit irgendjemand anderem zu
lachen.">
"Ich versuche, das zu
glauben. Ich rufe dich morgen im Büro an, okay?"
<"In
Ordnung.">
"Hey, Scully?"
<"Ja?">
"Denk an uns,
ja?"
<(sanft) "Das
werde ich. Versprochen.">
"Ich liebe dich. Das
tue ich wirklich."
<"Ich weiß. Ich
liebe dich auch.">
"Süße Träume,
G-woman."
<"Dir
auch.">
Ende Teil 4