NACH
ALL DEN JAHREN
(Originaltitel:
After All These Years)
von
Leyla Harrison
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. < hadyoubigtime@netcologne.de
>
*** überarbeitet 2017 ***
Zusammenfassung:
Mulder und Scully haben Jahre lang, das wissen wir alle, ihre Zuneigung
zueinander geleugnet. Und in dieser Story, die in einem alternativen Universum
spielt, haben sie diese Zuneigung füreinander zugegeben. Einiges in dieser
Geschichte wird auch in anderen Geschichten angesprochen, und ich möchte hier
betonen, dass ich niemandem in dieser Hinsicht zu nahe zu treten beabsichtige.
Ich möchte das Thema hier auf eine etwas andere Art behandeln.
WARNUNG:
Mulder und Scully Romance! Und außerdem Tonnen von
Mulder und Scully Angst. ZUSÄTZLICHE WARNUNG: Allen Lesern, die sehr
sentimental sind, wird geraten, ein Päckchen Taschentücher für diese Story
bereit zu halten. Ein *großes* Päckchen
Taschentücher. Ihr seid gewarnt.
Bewertung:
R (ab 16 Jahren) wegen einigen Schimpfwörtern, einigen
Anspielungen
auf sexuelle Situationen und Erwachsenenthemen, aber keine detaillierten
Beschreibungen in irgendeiner Weise. Wir haben hier keinen richtigen Fall, nur
pure MSR.
Der
größte Teil der Story wird aus der Sicht von verschiedener Personen erzählt,
worauf aber jedes Mal durch deren Namen am Anfang hingewiesen wird. Der erste und letzte Abschnitt steht in der
3. Person. Ich hoffe, niemand kommt durcheinander.
Alle
Kommentare, Lob und sonstiges Feedback, bitte zu starbuck72@netaxis.ca (bitte NUR auf Englisch!!!) Beschwerden,
wie "das kann ja nie im Leben passieren, weil..." werden ignoriert.
Kommentare darüber, dass ich nicht im Rahmen der Handlungen der Charaktere
geblieben bin, werden ebenfalls ignoriert. Ich habe viele Geschichten
geschrieben, in denen ich die Charaktere so handeln lasse, wie sie es
vielleicht auch in der Serie tun würden, aber diese Geschichte ist anders. Ich
bin mir dessen im Klaren, dass es hier einige unglaubhafte Situationen gibt.
Ich habe sie aus dem Bauch heraus geschrieben. Vergesst bitte nicht, dass dies
hier ein alternatives Universum ist und dass *alles* hier passieren kann.
Dementi
(Disclaimer): Ich habe mir die Charaktere der Dana Scully, Fox Mulder und
Margaret Scully von Chris Carter, 1013 Productions
und Fox Television ohne Erlaubnis ausgeliehen. Alle anderen Charaktere sind
Kreationen meiner eigenen Vorstellungskraft. Ich habe außerdem auch eine Zeile
aus "Die Brücken von Madison County" ohne Erlaubnis zitiert. Ich
bitte, mich nicht zu verklagen.... Ich kann es mir *wirklich* nicht leisten.
Ein
spezielles Dankeschön an Lea für's editieren (Ich
selber kann es nicht sehr gut).
Also,
los...
Nach All Den
Jahren 1/10
von
Leyla Harrison
MITTWOCH,
5. JUNI 1996
FBI,
WASHINGTON DC
Mulder
trat in sein Büro. Er hoffte, dass Scully da sein würde. Sie war da. Aber sie
sah nicht annähernd so froh aus ihn zu sehen, als er es war.
"Hi",
grüßte er, als er die Tür hinter sich schloss. Er sog in sich auf wie sie
aussah, wie er es immer tat. Heute trug sie einen engen Blazer mit
cremefarbener Bluse darunter. Er sah die elfenbeinfarbenen Strümpfe und wie sie
mit übereinander geschlagenen Beinen am Tisch saß. Und die hochhackigen Schuhe,
denen er bis vor sechs Wochen keine große Beachtung geschenkt hatte.
Vor
sechs Wochen waren sie ein Paar geworden.
"Hi
zurück", sagte Scully. Sie blätterte gerade einige Unterlagen durch und schaute
auf, als er den Raum betrat, doch wandte sich schnell wieder dem zu, das sie in den Händen hielt.
"Weißt
du was?" fragte Mulder.
"Nein,
sag es mir, Mulder." Er merkte sofort, dass sie müde klang. Er hoffte,
dass das, was er zu sagen hatte, dem abhelfen würde.
"Ich
habe gerade den Antrag zurückbekommen, den ich eingereicht hatte. Wir haben den
Rest der Woche frei."
Scully
sah zu ihm hoch. "Wieso haben wir den Rest der Woche frei?" fragte
sie. Sie deutete auf die Akten auf ihrem Schreibtisch. "Wir müssen bis zum
Ende der Woche Berichte zu sieben Fällen schreiben. Das ist ein Riesenhaufen
Arbeit."
Mulder
stellte sich hinter sie und massierte sanft ihren Nacken. "Komm schon,
Scully, wir können das am Wochenende machen und sie Montag einreichen. Wir
könnten den Rest der Woche miteinander verbringen." Seine Stimme war
verführerisch. "Mir fällt bestimmt etwas ein, was wir machen können."
Scully befreite sich vorsichtig aus seinen Händen und stand auf. Sie sah ihm ins Gesicht. "Was ist
los?"
"Gar
nichts." Scully strich eine Strähne hinter ihr Ohr. "Ich bin bloß
kaputt."
"Warum
verschwinden wir nicht von hier, holen uns Mittagessen und gehen damit hinüber
zu Pool für den Rest des Nachmittags."
Bei
seiner Erwähnung von Mittagessen rümpfte Scully die Nase. "Ich habe
eigentlich keinen Hunger, Mulder."
Mulder
nahm sie in die Arme und küsste sie, doch sie erwiderte den Kuss nicht wie sie
es normalerweise tat. "Dana", sagte er leise, "Was ist los? Du
bist schon die ganze Woche so."
Scully
konnte ihm nicht in die Augen sehen. "Mir wird das alles irgendwie zu
viel."
Mulder
ließ sie sofort los und trat ein paar Schritte zurück. Er war überrascht. Seit
ihrem ersten Mal miteinander waren sie praktisch unzertrennlich. Sie
verbrachten jede freie Minute damit sich zu lieben, zu küssen oder sich an
romantischen Orten einfach nur anzuschauen. Wenn sie arbeiteten, waren sie
immer vorsichtig, dass niemand im FBI bemerkt, was sich zwischen ihnen
verändert hat. Mulder gab zu, es ging alles ein bisschen schnell, aber Scully
hat ihn nie spüren lassen, dass es ihr etwas ausmacht.
Bis
vor zwei Tagen, als sich ihr Benehmen so seltsam verändert hatte. "Bin ich
der Grund?"
"Ich
weiß es nicht, Mulder. Mir kommt alles nur ein bisschen zu schnell vor."
Scully drehte ihr Gesicht ihm zu und bemühte sich, ihre Augen auf den seinen zu
halten. Aber sie schien sich sehr sicher zu sein mit dem, was sie sagte.
"Wir wissen immer noch nicht, zu was das Ganze führen kann. Ich meine, wir
sind jetzt anderthalb Monate zusammen. Wird es die ganze Zeit so bleiben oder
findest du, dass wir eine dauerhafte Beziehung eingehen sollten?"
Mulder
versteifte sich. "Dauerhaft?" Er wusste, dass er nicht so reagiert
sollte, aber der Gedanke, sich völlig an jemanden zu binden, selbst wenn dieser
Jemand Scully ist, flößte ihm Angst ein. Es würde heißen, dass er sie verlieren
könnte. Und da würde er nie drüber hinweg kommen. Er wusste genau, was sie
wollte. Er wollte es auch, aber ihm war nicht wohl dabei. Wenn er es tun würde,
würde es heißen, dass wenn er sie verlieren könnte... er hatte sie schon einmal
fast verloren. Damals waren sie noch nicht einmal zusammen, und es hat ihn
schon so mitgenommen.
"Ich
denke, ich komme damit klar, wenn du nichts Permanentes willst." Scullys
Stimme zitterte ein wenig, aber Mulder schien es nicht zu bemerken.
"Scully,
ich hatte gehofft, dass wir das später bereden könnten, wenn wir nicht im Büro
sind."
"Klar",
antwortete sie mit, hoffte sie, fester Stimme. "Wir können gerne später
darüber reden. Kein Problem."
Mulder
seufzte vor Erleichterung. Sie versteht es, dachte er. "Also, wie wär's
mit Abendessen, hm?"
Scully
setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und mied seine Augen.
"Mulder,
im Grunde denke ich, dass wir nicht jeden wachen Moment miteinander verbringen
sollten. Das kann nicht sehr gesund sein."
"Und
was ist mit jedem schlafenden Moment?" fragte er schelmisch. Scully sah
ihn an. "Vielleicht ist es besser, wenn wir uns morgen wiedersehen."
Es
war klar, sie wollte Abstand haben. Mulders Grinsen verschwand augenblicklich.
"Bist du sicher, Scully?" Etwas stimmte nicht, doch er wusste nicht,
was es war.
"Ja,
ich bin mir sicher."
Mulder
dachte kurz darüber nach. Da gab es etwas, das Scully beunruhigte, und er
wollte sie nicht drängen. Er wollte sie nicht noch mehr verärgern, da es
offensichtlich war. Dass sie nicht über das sprechen wollte, was ihr so
zusetzte. Er konnte trotzdem das Gefühl nicht ignorieren, dass sie eigentlich
mit ihm reden sollte. Es war immerhin nicht so, dass sie nur Freunde waren.
"Ich
brauche ein wenig Abstand, Mulder", sagte sie und brach somit die Stille.
In ihrer Stimme lag Schmerz. Mulder sah ihr ins Gesicht. Sie sah sehr
beunruhigt aus.
"OK",
antwortete Mulder so ruhig wie er konnte. Er hatte Recht. Irgendetwas stimmte
nicht. "OK. Ich werde ihn dir geben. Aber, Scully, ich muss dich eines
fragen."
"Was?"
fragte sie und sah ihn an.
"Habe
ich irgendetwas falsch gemacht oder gesagt?"
Sie
richtete ihren Blick auf die Akten auf dem Schreibtisch, schloss ihre Augen und
schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie öffnete ihre Augen wieder. "Nein, Mulder. Es ist nichts, was du
getan hast." Ihre Stimme war kontrolliert, aber er spürte trotzdem, dass
sie etwas von ihm verbarg.
Sie
waren beide still. Mulder trat unruhig von einem Bein auf das andere. Sie sahen sich einen Moment an. Dann
räusperte sie sich. "Kannst du das hier für mich zu Ende machen?" Sie
stand auf und deutete auf die Unterlagen. "Ich muss für eine Weile hier
raus."
"Sicher",
nickte Mulder und wünschte sich, er könnte zu ihr gehen und sie in den Arm
nehmen. Doch er wusste, dass sie das jetzt nicht wollte. Er fühlte sich
distanziert von ihr. Er konnte sich nicht daran erinnern, sich seit sechs
Wochen jemals so gefühlt zu haben. Mulder witzelte immer darüber, dass man sein
Leben in zwei Teile teilen könnte - bevor und nachdem sie zusammengekommen
waren.
Scully
nahm ihre Sachen und wandte sich zum Gehen. Mulder drehte sich nicht um, um sie
heraus gehen zu sehen. Als sie die Türklinke in der Hand hielt, hielt sie inne.
Sie drehte sich wieder zu ihm um. "Mulder."
Er
drehte sich immer noch nicht um. "Ja?"
"Ich
liebe dich", sagte sie leise. Er wusste auch ohne ihr Gesicht zu sehen,
dass sie weinte. Dann hörte er, wie sie die Tür öffnete und sie war weg. Er
hatte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, ihr zu antworten.
Mulder:
Zwei
Tage sind seitdem vergangen. Scully ist den Rest der Woche nicht zur Arbeit
gekommen. Ich habe sie einmal angerufen, am Donnerstagnachmittag, aber es war
nur ihr Anrufbeantworter dran. Ich bin sicher, meine Nachricht darauf klang
ziemlich erbärmlich. Als ich aufgelegt hatte, habe ich mir gewünscht, dass ich
die Nachricht wieder löschen könnte.
"Scully,
ich weiß nicht, was dich so verärgert hat, aber ich hatte gehofft, dass wir
darüber reden könnten. Alles, was ich möchte, ist mit dir reden. Bitte, Scully."
Sie
hatte nicht zurückgerufen.
Ich
habe bis Sonntag gewartet und die ganze Zeit mit mir selbst gekämpft. Sie wird dich schon anrufen, sobald sie dazu
bereit ist, redete ich mir ein. Aber ich muss wissen, was hier los ist,
verdammt!
Sie
kam auch Montag nicht zur Arbeit. Oder Dienstag. Oder Mittwoch. Am
Donnerstagvormittag habe ich sie endlich angerufen. Diesmal war ein Band dran.
"Es tut uns leid, aber die Nummer, die Sie gewählt haben, existiert nicht
mehr. Es gibt keine weiteren Informationen über die Nummer. Dies ist eine
Tonbandaufnahme."
Ich
knallte den Hörer auf die Gabel. Existiert nicht mehr? Ich konnte förmlich die
Angst in meinen Adern spüren. Ist ihr irgendetwas passiert?
Ich
griff nach meinem Mantel und fuhr zu ihrer Wohnung. Verdammt, ich hätte nicht
so lange warten dürfen. Was wenn... ich stoppte meinen Gedanken. Ich wusste,
dass sie Abstand wollte. Aber ich musste wissen, dass es ihr gut ging.
Ihr
Auto stand nicht auf der Straße, als ich ihre Einfahrt hinauffuhr. Ich ging in
das Gebäude und zu Scullys Apartment. Ich stand für einen Moment nur vor ihrer
Tür, doch dann atmete ich tief durch und klopfte.
Die
Tür sprang auf durch den Druck meiner Hand. Ich zückte vorsichtshalber meine
Waffe. Oh, nein, dachte ich. Scully, wir haben nur so wenig Zeit miteinander
gehabt. Bitte Gott, betete ich, lass ihr nichts passiert sein. Ich machte die
Türe ganz auf und erschrak.
Die
Wohnung war leer. Sie wurde leer geräumt. Alle Möbel waren weg. Ich schaute
auch in den anderen Räumen nach. Nichts. Einige Essensreste lagen im
Kühlschrank, etwas Limonade und ein wenig Butter, sonst nichts. Auch die
Kleiderschränke waren leer und es war kein Telefon angeschlossen. Alle Bilder
an den Wänden waren ebenfalls weg. Keine Kleider in den Schränken, nichts im
Medizinschrank. Die Wohnung war völlig leer.
Wie
benommen wanderte ich durch das Apartment. Ich konnte nicht verstehen, was
passiert war. Letztendlich ging ich wieder hinaus zum Auto. Ich wollte Margaret
Scully auf dem Handy anrufen, doch bevor ich wählen konnte, klingelte es.
Scully, schoss es mir durch den Kopf und hob sofort ab.
"Mulder,
hier ist Skinner. Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass Agent Scully gekündigt
hat."
Meine
Hoffnungen, dass Scully am anderen Ende der Leitung sein würde, verschwanden
augenblicklich. "Was?" fragte ich ungläubig. "Sie hat
gekündigt?"
"Ich
hatte geglaubt, dass Sie es wüssten, doch dann habe ich gesehen, dass die
Unterschrift des Zeugen auf der Kündigung nicht die Ihre ist." Skinner
sprach ruhig, doch ich ahnte, dass er enttäuscht war. Natürlich ist er ruhig,
dachte ich. Er ist ja nicht ich. Er hat keine Ahnung, dass wir zusammen sind.
Er ist nicht verliebt in sie wie ich es bin.
"Das...
das wusste ich nicht", schaffte ich zu sagen. "Ich bin gerade in
ihrer Wohnung und es scheint, als ob sie umgezogen ist. Ihre Sachen sind weg.
Hat sie eine neue Adresse auf ihrer Kündigung hinterlassen?"
"Agent
Mulder, ich habe gedacht, dass Sie mehr darüber wüssten."
"Nein,
Sir", sagte ich. Ich habe gehofft, dass ich einige Antworten von Ihnen
bekommen würde, dachte ich im Stillen.
"Keine
neue Adresse. Sie schrieb auf das Formular, dass ihre alte Adresse ab gestern
ungültig sei." Skinner hielt inne. Ich wollte ihn fragen, ob er sie
gesehen hat, ob er mit ihr geredet hat, wie sie auf ihn gewirkt hat. Es musste
alles ein Missverständnis sein. "Ich habe am Montag mit ihr telefoniert,
nachdem ich ihre Kündigung erhalten hatte. Ich habe sie nach dem Grund ihrer
Kündigung gefragt", sagte Skinner mit einer weniger als sonst formellen
Stimme. "Sie sagte, dass sie es nicht mit mir besprechen wolle."
Da
sind wir schon zwei, dachte ich. Offensichtlich will sie mit mir auch nicht
darüber reden. "Danke, Sir."
"Es
ist ein großer Verlust für das FBI", sagte Skinner wieder in seinem
professionellen Tonfall.
"J-ja",
stotterte ich und fühlte plötzlich die aufkommenden Tränen. "Danke,
Sir."
Ich
legte auf und wählte Margaret Scullys Nummer, als ich den Wagen anließ.
Sie
hob beim ersten Klingeln ab. "Hallo?"
"Mrs. Scully, ich bin's, Fox Mulder." Meine Stimme war gepresst.
"Ich muss mit Ihnen über Scully reden."
"Ich
weiß, Fox", sagte sie. "Ich habe Ihren Anruf schon erwartet. Können
Sie vorbeikommen?"
"Ich
bin schon unterwegs."
Fortsetzung
in Teil 2/10
Nach All Den Jahren 2/10
von
Leyla Harrison
Margaret Scully:
Ich
öffnete die Tür für Fox ungefähr 40 Minuten später. Ich war nicht überrascht
gewesen, dass er angerufen hatte. Dana sagte, dass er es bestimmt tun würde. Er
sah verbittert, erschöpft und müde aus. Ich wusste auf die Art, wie alle Mütter
es tun, dass er geweint hatte. Seine Augenränder waren rot und geschwollen.
Aber er versuchte es vor mir zu verbergen.
"Mrs.
Scully, bitte sagen Sie mir, wo Scully ist", sprudelte es aus ihm heraus,
noch bevor er über die Türschwelle getreten war.
Ich
schluckte und dachte an das letzte Mal, als er auf meiner Türschwelle gestanden
hat. Damals hat Dana mich gebeten, für sie zu lügen. Aber das letzte Mal, ja,
das war etwas anderes gewesen. Das letzte Mal war Dana nicht sie selbst. Das
hier war etwas anderes. "Kommen Sie herein, Fox. Wir müssen reden."
Er trat herein und stand mir im Wohnzimmer gegenüber. "Warum setzten Sie
sich nicht?" bot ich an und setzte mich meinerseits auf die Couch.
Er
schüttelte den Kopf und blieb lieber stehen. "Wo ist sie?" fragte er.
"Ich
kann es Ihnen nicht sagen", antwortete ich ihm sofort. Sein Gesicht sank
in sich zusammen. "Dana hat mich gebeten, Ihnen nicht zu sagen, wo sie hingegangen
ist." Es tat mir im Herzen weh, ihn so zu sehen. Er war immer wie ein Sohn
für mich. Er liebte sie offensichtlich sehr.
"Warum?"
fragte er mit leiserer Stimme. Ich wusste, er war kurz vor dem Weinen. Er
kämpfte hart gegen seine Tränen an. "Warum nicht?"
Im
Nachhinein war ich mir nicht mehr sicher, ob es so klug gewesen war, Danas
Bitte anzunehmen. Aber sie war meine Tochter. Ich musste das tun, um das sie
mich bat. Sie hat versichert, dass es so besser ist - für sie beide.
Ich
habe versucht, ihr zu glauben, doch es war sehr schwer. Sie schien sich selbst
nicht ganz sicher zu sein. Ich wusste, dass es noch viel gab, das sie ihm noch
nicht gesagt hatte. "Fox, Dana hielt es für besser zu gehen. Sie musste
mit so vielen Gefühlen fertig werden, dass es besser ist, wenn sie allein
ist."
Er
schluckte seine Tränen herunter. "Ich hätte ihr mit allem geholfen."
Ich
nickte. Ich glaubte ihm. "Ich weiß, Fox. Aber wir beide wissen, dass sie
einen sehr starken Willen hat."
"Sie
hat Ihnen von... uns erzählt?" fragte er zögernd und nervös. Ich nickte.
Sie hat mir so viel erzählt, Fox, wollte ich ihm sagen. Ich war überrascht,
wieviel sie vor mir geheim gehalten hat. Und von der Welt. Er sah aus, als
würde er unter einem Berg von Schuld zusammensinken, und doch hatte er keine
Ahnung, was wirklich mit ihr los war. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, es ihm
nicht zu sagen. Aber ich hatte es Dana versprochen.
"Ich
heiße es gut, Fox, falls Sie sich deswegen Sorgen machen." Ich musste ihm
dies sagen. Ich wollte nicht, dass er denkt, ich würde ihm meine Tochter nicht
anvertrauen. Mir ist schon vor langer Zeit klar geworden, dass ich sie ihm mehr
als irgendjemand anderem anvertrauen würde. Mir war schon seit einiger Zeit
klar, wieviel sie ihm bedeutete, und dass er niemals zulassen würde, dass ihr
etwas geschieht. Aber es ist ihr etwas geschehen, doch das hätte weder er noch
irgendjemand anderes verhindert können. Ich weiß, dass er sich noch immer für
alles die Schuld gab. Ich wünschte mir
sehnlichst, dass ich etwas zu ihm sagen konnte, das ihm ein wenig helfen würde,
doch das
konnte
ich nicht.
"Sie
dachte, ich würde sie nicht... heiraten wollen?" fragte er.
"Ja,
das hat sie gedacht", sagte ich.
"Das
ist nicht wahr." Seine Antwort überraschte mich. Dana war so vom Gegenteil
überzeugt gewesen.
"Ich
habe Angst", gestand er mit brechender Stimme wie die eines kleinen
Jungen. "Ich habe Angst, jemandem so nahe zu sein, weil... ich sie
verliere. Ich hatte so eine Angst, sie zu verlieren. Und jetzt habe ich sie
verloren."
Es
gab nichts, was ich hätte sagen können. Die Tränen liefen ihm nun über das
Gesicht. Ich dachte, ich würde jeden Moment auch anfangen zu weinen. Ich hatte Angst, etwas zu sagen, weil ich
meiner eigenen Stimme nicht traute.
"Was
soll ich also jetzt machen?" fragte er und ging im Zimmer hin und her.
"Soll
ich sie einfach vergessen? So tun, als ob ich sie nie gekannt hätte?
Als
ob nichts von alle dem je passiert wäre?"
Er
war wütend. Dana kannte ihn gut. Sie hatte vorausgesagt, dass er zuerst Angst
haben würde, dann traurig sein würde und letztendlich wütend. Ich stand auf und
ging zu dem Kamin, wo Dana den Brief gelassen hatte, den ich ihm geben sollte,
wenn er hier her käme. "Sie hat Ihnen einen Brief geschrieben", sagte
ich und reichte ihn ihm. Es tut mir so leid, Fox, dachte ich.
Er
nahm ihn und nickte. "Danke", sagte er und machte sich auf den Weg
zur Tür.
"Fox?"
rief ich ihm nach.
Er
drehte sich um. "Ja?"
"Ich
werde Sie nicht wiedersehen, oder?" fragte ich, obwohl ich die Antwort
bereits wusste. Traurig schüttelte er den Kopf. Ich ging zu ihm und umarmte
ihn. Ich wusste nicht viel über seine Familie, nur das, was Dana mir erzählt
hat. Dass die Beziehung zu seiner Familie sehr gespannt sei. Ich hielt ihn fest
und er hielt mich, als ob es um sein Leben gehen würde. Wir standen so eine
Weile im Flur meines Hauses. Dann ließ er los und verschwand aus der Tür ohne
auch nur ein weiteres Wort zu sagen.
Mulder:
Ich
laß den Brief erst, als ich wieder im Auto saß. Ich
riss den Umschlag auf, faltete ihn auseinander und erblickte Scullys klare,
präzise Handschrift. Es brach mir das Herz.
Lieber
Mulder:
Ich
weiß, dass Du wütend auf mich bist, weil ich gegangen bin, aber ich musste es
tun. Für Dich und für mich. Es ist wirklich das Beste für uns. Ich hoffe, dass
Du es eines Tages verstehen wirst. Ich liebe Dich. Ich habe Dich schon immer
geliebt, und ich werde Dich auch immer lieben. Das hat sich nie geändert. Bitte
suche mich nicht. Versuche nicht, mich durch meine Mutter zu finden. Ich möchte
mein Leben nicht als Flüchtling vor Dir leben. Ich hoffe, dass Du meinen Wunsch
respektierst. Wir hatten eine wundervolle Zeit zusammen, Mulder. Als Dein
Partner hast Du mir gezeigt, dass die Wahrheit nicht immer in
wissenschaftlichen Tatsachen zu finden ist. Als Deine Freundin hast Du bewiesen,
dass es Vertrauen und Glaubenskraft gibt. Und als wir zusammen waren, hast Du
mir Deine unglaubliche Fähigkeit zu lieben gezeigt. Ich werde immer alles, was
Du mir gegeben hast, in Ehren halten.
Scully
In
dem Briefumschlag, ganz unten in der Ecke, war die goldene Kette mit dem Kreuz,
das sie immer getragen hatte. Ich erinnerte mich daran, wie ich es selber
einmal getragen hatte, in der Zeit, in der sie vermisst wurde. Ich konnte
deutlich vor mir sehen, wie es an ihrem Hals hing. Sie hatte sich auf ihren
Ellbogen gestützt und ihr Körper war warm neben meinem. Sie schaute auf mich
herunter. Sie war glücklich gewesen und ihr Gesicht war von ihren strahlenden
Augen erhellt. Ihr Kreuz baumelte an ihrem Hals. Ich nahm es zwischen zwei
Finger und konnte es kühl auf meiner Haut fühlen. Kühl im Gegensatz zur Wärme
ihrer Haut, die ich nur einen Moment zuvor berührt hatte. "Glaube",
sagte sie eines Nachts zu mir.
"Als
Du nicht mehr da warst, stand dies für meinen Glauben, dass du wieder
zurückkommst", sagte ich.
"Also
bedeutet es uns beiden etwas", murmelte sie.
"Es
ist unser Glaube geworden. Es ist zu einer größeren Macht geworden... worin auch immer sie besteht", fügte ich
hinzu.
"Es
ist unser Glaube an die Liebe geworden", sagte sie. "Der Glaube hat uns
durch alles geführt." Ich lächelte und ließ das Kreuz wieder zurück
fallen. Ich küsste sie sanft und wir
haben und das zweite Mal in dieser Nacht geliebt.
Jetzt
holte ich das Kettchen aus dem Umschlag und legte es um meinen Hals. Ich legte es unter mein Hemd und konnte es
genauso kühl auf meiner Haut fühlen wie damals, und ich erinnerte mich an das
Gefühl, das mich durchströmte, als ich sie geküsst hatte.
Fortsetzung
in Teil 3/10
Nach All Den
Jahren 3/10
von
Leyla Harrison
FÜNF
JAHRE SPÄTER
9. FEBRUAR 2001
Mulder:
Der
Fall an dem ich dran war, war lächerlich. Die New Yorker Polizei verdächtigte
nach vier Morden an jungen Frauen einen Serienkiller in der Gegend. Vor vier
Jahren habe ich mich freiwillig zur Abteilung von Gewaltverbrechen versetzten
lassen. Die X-Akten sind geschlossen worden.
Ich mochte schon gar nicht mehr daran denken. Ich hatte Glück mit diesem
Job. Der Verdächtige, den ich befragt hatte behauptete, nur einen der Morde
begangen zu haben. Die anderen drei Morde waren dem ersten sehr ähnlich, doch
sie hingen überhaupt nicht zusammen.
Ich
hatte den ganzen Abend frei, bevor ich am nächsten Morgen wieder zurück nach DC
fliegen musste. Ich hatte nichts Besonderes zu tun, deswegen fuhr ich ziellos
durch die Gegend und überlegte schon, mir einen Film anzusehen, als ich merkte,
dass ich mich in einer nicht so angenehmen Umgebung befand. Obdachlose standen neben dem Müll auf der
Straße, als ich langsam vorbeifuhr. Auf der rechten Straßenseite standen ein
paar Prostituierte. Nein, sagte ich mir.
Der Versuchung wirst du nicht nachgeben. Irgendwann sperren sie dich dafür ein.
Ich
betrachtete sie genauer. Zwei blonde und eine Brünette. Nein. Nichts für mich.
Ich kehrte zurück zu meinem Hotel und rief von meinem Zimmer aus die Rezeption
an. "Könnten Sie mir vielleicht sagen, welche Art von Entertainment es in
dieser Gegend gibt?" fragte ich den Manager. Es war ein billiges Hotel.
Ich war überzeugt, dass er wusste, was ich meinte. Er kannte mich von vorher
und wusste nicht, dass ich von FBI war. Es war ungefährlich. Als ich das letzte
Mal hier war, habe ich es auch gemacht.
"Sir,
wir haben etwas, das sie bestimmt interessieren wird. Möchten Sie etwas in der
Richtung wie das letzte Mal?"
"Ja.
Ist der Preis der gleiche?"
"Einhundert
- plus Trinkgeld, natürlich."
"Die
Preise sind gestiegen", sagte ich und schaute in meiner Brieftasche nach.
"Die
Qualität ebenso, Sir."
"Sie
können sich das Trinkgeld abholen kommen", sagte ich.
Er
stand vor meiner Türe etwa zehn Minuten später. Ich ließ ihn herein und schloss
die Türe. Ich gab ihm 100 Dollar und 75 Dollar Trinkgeld. Er strahlte.
"Sie wird in etwa einer Viertelstunde hier sein", versprach er und
verschwand.
Ich
saß auf der Bettkante und sah mein Spiegelbild im Spiegel gegenüber. Für eine
Sekunde dachte ich, wie jedes Mal, wenn ich so etwas tat, was zum Teufel machst
du eigentlich? Aber dieser Gedanke verschwand bald wider. Er hatte in den
vergangenen Jahren an Intensität verloren. Ich stand auf, wusch mein Gesicht
und putzte mir die Zähne im Badezimmer. Ich hatte dieses Ritual jedes Mal, wenn
ich in ein Hotel eincheckte. Ich nahm nie ein Zimmer, mit einer Verbindungstür
zu einem anderen Zimmer. Niemals.
Ich
hörte ein Klopfen an der Tür und machte auf. Vor mir stand eine zierliche Frau
in engem kurzen Rock und schwarzen Strümpfen. Ich sah die Strumpfbandhalter auf
ihrer cremefarbenen weißen Haut. Perfektes MakeUp. Strahlende blaue Augen.
Und
schulterlanges kastanienbraunes Haar.
"Komm
rein", sagte ich und sie folgte mir ins Zimmer.
Wie
armselig, dachte ich eine Stunde später, als sie dabei war sich anzuziehen,
dass dies die einzige Art von Beziehung ist, die ich mir erlaubte. Sie stand
vor dem Spiegel und rückte ihre Strümpfe zurecht. Sie zog ihren Büstenhalter an und schlüpfte
wieder in ihren Rock. Sie war wunderschön. Und sie war gut im Bett. Aber sie
war nicht Scully. Keine von denen war es. Keine von denen hatte den Ausdruck in
ihren Augen wie Scully. Den Klang in
ihrer Stimme, weich und rauchig vor Verlangen.
Zu
sagen, dass ich über Scully hinweg war, wäre eine Lüge. Ich habe die letzten
fünf Jahre ohne sie leben müssen und wollte es nicht wahr haben. Ich war nicht mehr derselbe Mensch. Ich habe
sie nie gesucht, weil sie es nicht wollte, doch ich habe sie immer und überall
gesehen, wohin ich auch blickte. In Werbespots im Fernsehen, in Leuten, die auf
der Straße an mir vorbei gingen, sogar in rothaarigen Prostituierten, die ich
allen anderen vorzog.
"Danke",
sagte ich höflich. Sie sammelte ihre Sachen ein, nickte mir zu und ging.
Ich
sprang vom Bett auf und ging ohne Umwege in die Dusche, um den Geruch dieser
Frau von mir zu schrubben.
AM
NÄCHSTEN MORGEN - 10. FEBRUAR 2001
EINE
MEILE VOM WESTCHESTER COUNTY FLUGHAFEN
WHITE PLAN,
Mulder:
Ich
tippte leicht auf dem Lenkrad herum, als ich den Hutchinson Parkway
zum Flughafen hinauf fuhr. Ich war dankbar für den Wechsel der Flughäfen. Ich
flog viel lieber vom Westchester Flughafen zum LaGuardia
Flughafen. Dieser Flughafen war an der Grenze von New York nach Connecticut, er
war nicht sehr groß und nicht so sehr belebt. Ich sah auf die Uhr. Eine Stunde
bis zu meinem Flug. Ich wollte ihn nicht verpassen.
Ja,
klar, dachte ich sarkastisch, als ob du unbedingt wieder zurück nach DC willst.
Ich
nahm die Ausfahrt und fuhr die Straße zum Flughafen hinunter. Dieser Weg war
schneller, denn der Verkehr war nie so stark hier. Es war zwar
Hauptverkehrszeit, doch die Autos standen alle auf der anderen Seite des Parkways, weil sie von Connecticut in die Stadt wollten.
Ich
bog auf den Parkplatz ab. Der Flughafen war neu gestaltet worden, seit ich das
letzte Mal dagewesen war und ich bog ein paar Mal falsch ab, bevor ich endlich
die Einfahrt fand, die zum Parkplatz der Autovermietung führte, wo ich meinen
Mietwagen abgeben wollte.
Ich
verlangsamte an der Kreuzung, denn gerade stieg jemand aus einem weißen Auto
neben mir aus. Die dunkelhaarige Frau, die ausstieg kam mir irgendwie bekannt
vor. Ich sah zu dem Fahrer des Wagens, dann zurück zu der dunkelhaarigen Frau,
dann wieder zu dem Fahrer. Ich blinzelte.
Die
dunkelhaarige Frau, die auf den Terminal zuging, war Margaret Scully.
Und
der Fahrer des Wagens war Scully.
Ich
war mir ganz sicher.
Ich
war mir natürlich hundert Mal vorher auch sicher gewesen, dass es Scully war.
Aber das hier war etwas anderes. Diesmal war sie es wirklich.
Ihre
Haare waren ein wenig länger, als ich es in Erinnerung hatte. Ich rutschte auf
meinem Sitz herunter aus Angst, dass sie sich umdrehen und mich sehen würde.
Die Frau, die ich für Margaret Scully hielt, drehte sich um und winkte ihrer
Tochter. Ich sah ihr Gesicht. Sie war es hundert prozentig. Sie sah mich nicht.
Scully
winkte ihrer Mutter zurück, wartete einen Moment und fuhr dann langsam davon.
Ohne zu überlegen folgte ich ihr. Ihr Wagen war ein weißer Camry mit einem
Nummernschild aus Connecticut.
Fünfzehn
Minuten verstrichen. Sie fuhr auf den Parkway in
Richtung Norden nach Connecticut. Ich folgte ihr. Sie nahm die Ausfahrt nach
Greenwich, Connecticut, eine der exklusivsten und wohlhabendsten Gegenden in
den USA. Ich bin froh, dass du was erreicht hast, Scully, dachte ich. Ich hielt
einen gewissen Sicherheitsabstand. Weit genug entfernt, so dass sie hoffentlich
nicht bemerkte, dass ihr jemand folgte, und nah genug, um zu sehen, wohin sie
fuhr. Sie fuhr noch etwa zehn Minuten und bog dann auf die Einfahrt eines eher
unauffälligen Hauses, im Gegensatz zu den anderen Häusern, die eher an Paläste
erinnerten. Sie parkte den Wagen und stieg aus. Ich blieb etwa 25 Meter weiter
weg und stieg ebenfalls aus, um sie zu beobachten.
Ihr
Haar war länger. Ich konnte ihr Gesicht nicht genau sehen, aber alles andere an
ihr sah gut aus. Sie trug eine Jeans und einen schwarzen Pullover. Ich
beobachtete jeden Schritt, den sie machte von der Auffahrt bis zum Haus und sog
ihren Anblick in mich hinein. Soweit ich es beurteilen konnte, sah sie genauso
gut aus wie damals. Besser sogar.
Es
gab keinen zweiten Wagen in der Auffahrt. Der Agent in mir ließ mich ihren
Briefkasten überprüfen, um festzustellen, ob noch jemand mit ihr hier lebte.
Aber es waren keine Briefe im Kasten und es stand auch nur die Hausnummer dran,
kein Name. Kein Mr. und Mrs. Irgendwas. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Ich
ging zu meinem Auto zurück und wartete. Bis um sechs Uhr abends döste ich,
hörte Musik und las das ganze Handbuch von dem Mietwagen Wort für Wort -
zweimal. Wenn sie verheiratet wäre, wäre ihr Mann jetzt schon von der Arbeit
zurück. Niemand ist ins Haus hineingegangen oder herausgekommen.
Letztendlich
fuhr ich auf ihre Auffahrt. Ich musste mit ihr reden. Musste sie sehen. Musste
sie fragen, was passiert ist und warum sie gegangen ist.
Fortsetzung
in Teil 4/10
Nach All Den
Jahren 4/10
von Leyla
Scully:
Ich
war gerade dabei, Abendessen zu machen, als es klingelte. Ich legte den Salat
zur Seite, wischte meine Hände am Küchentuch ab und lief zur Tür.
Ich
öffnete sie. Mulder stand vor mir.
"Oh,
mein Gott!" stieß ich hervor, völlig überrumpelt. Jeder Muskel in meinem
Körper verspannte sich und jeder Nerv war gespannt. Ich konnte fühlen, wie sich
die Haare auf meinem Nacken sträubten und mir liefen kalte Schauer über den
Rücken. Mein Gesicht wurde ganz rot vor Aufregung.
"Scully",
sagte er, das eine Wort, mein Name, die einzige Begrüßung. Seine Stimme klang
ein wenig ärgerlich, aber auch ein wenig neugierig. Seine Stimme brach, als er
es sagte.
"Mulder",
brachte ich heraus. Ich konnte nicht glauben, dass er hier stand, auf meiner
Türschwelle, in meinem Leben. Nein, dachte ich. Nein, nicht in meinem Leben.
Innerlich versuchte ich, die Tür wieder zu schließen, die ganzen Erinnerungen
zu verbannen, wie ich es immer versucht hatte, doch es ging nicht. "Was
machst du hier?"
"Ich
war in der Gegend und hab dich herumfahren sehen. Also habe ich mir gedacht,
ich schau mal vorbei und sag Hallo." Er war hundertprozentig sarkastisch.
Ich sah auf die Auffahrt. Es war niemand zu sehen. Sein Wagen, ein typischer
FBI Mietwagen, stand in der Auffahrt hinter meinem.
"Du
bist mir gefolgt?" fragte ich.
"Den
ganzen Weg vom Flughafen", antwortete er. Ich versteifte mich. Ich hatte
meine Mutter heute Vormittag um zehn Uhr zum Flughafen gebracht. Ich konnte nicht
glauben, dass er den ganzen Tag in seinem Wagen vor dem Haus gesessen hatte.
Doch ich hatte das Gefühl, dass er genau das getan hat. "Wie geht es
eigentlich deiner Mutter? Ich habe sie schon Jahre nicht mehr gesehen."
"Es
geht ihr gut", antwortete ich knapp.
"Willst
du mich nicht hinein bitten?" fragte er.
Stille.
Ich stand da und starrte ihn an. Gott, sogar nach fünf Jahren sah er gut aus.
Er sah müde aus, aber er sah trotzdem noch gut aus. Nervös strich ich mir eine
Haarsträhne hinters Ohr. "Mulder..." fing ich an und wusste nicht,
was ich sagen sollte. Was soll man in so einer Situation sagen? dachte ich. Was
sagt man zu dem Mann, den man verlassen hat?
"Ich
möchte wissen, warum du gegangen bist, Scully." Seine Stimme war fest,
jedoch konnte ich die Angst darin hören. "Ich glaube, ich verdiene
wenigstens das."
Oh
Mulder, dachte ich, wie in den ganzen letzten Jahren, du verdienst so viel
mehr.
Das
Quietschen von Reifen auf dem Kies erschreckte uns beide. Der silberne Altima kam neben Mulders Auto zum Stehen.
Mulder
drehte sich nach dem Mann um, der aus dem Auto ausstieg. "Dana? Wer ist
das?"
Ich
spürte, wie der Kloß in meinem Hals immer größer wurde. Ich räusperte mich.
"Joe, dies ist Mulder. Mein Partner, als ich noch beim FBI war. Mulder, dies ist Joe Harmon. Mein Mann."
Ich beobachtete Mulders Reaktion.
Er
war weiß wie ein Geist.
Mulder:
In
dem Moment, als ich Scully sagen hörte, der große, gutaussehende, dunkelhaarige
Mann sei ihr Ehemann, fühlte ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust, als ob
ich angeschossen worden wäre. Ich fühlte mich schwach. Ich bemühte mich, nicht nach hinten zu
taumeln. Ich konnte Scullys Augen auf mir fühlen. Ich konnte fühlen, wie sie
meine Reaktion beobachtete, jede meiner Bewegungen, jeden Atemzug.
Die
Beifahrerseite des Wagens öffnete sich und ein kleines Mädchen mit
kastanienbraunen Haaren sprang heraus und lief auf Scully zu. Es war klar, wer
sie war. Ihr Gesicht war hart wie Stein, bis sie das Kind sah. Dann wurden ihre
Gesichtszüge weich.
"Hi,
Mami!" rief die Kleine. Scully hob sie in ihre Arme.
"Hi,
meine Süße. Hattest du einen schönen Tag?"
"Ja.
Ich habe dir ein Bild gemalt. Es ist im Auto."
Scullys
Ehemann trat zu mir. "Mulder. Der Mann ohne Vornamen. Schön, Sie nach all
der Zeit einmal kennenzulernen." Er bot mir seine Hand an, die ich mit
meiner zitternden nahm und so fest wie möglich schüttelte. "Ich habe schon
viel über Sie von Dana gehört."
"Nur
Gutes, hoffe ich", brachte ich heraus. Es fiel mir extrem schwer zu
sprechen.
"Oh,
ja", lachte Joe Harmon. "Dana mochte es, mit Ihnen zu arbeiten."
Ich
wollte schon antworten, als ich meinen Blick Scully zuwandte. Über ihre Tochter
hinweg warf sie mir einen Blick zu, den ich sofort verstand. Ihr Mann wusste
nichts von unserer Beziehung. Sie flehte mich mit ihren Augen an, nichts davon
zu sagen. Ich hatte einen Bruchteil einer Sekunde, um mich zu entscheiden, was
ich als nächstes sagen sollte. "Ich mochte es auch, mit ihr zu
arbeiten."
Ich
konnte Scully schon fast vor Erleichterung seufzen sehen. "Und dies
hier", sagte Joe und trat zu seiner Frau und seinem Kind, "ist unsere
Tochter, Samantha."
Ich
schluckte. "Das ist ein schöner Name." Ich hatte schon wieder
Probleme zu sprechen. "Warum habt ihr euch für diesen Namen
entschieden?"
"Dana
war fest davon entschlossen, sie Samantha zu nennen, sogar bevor wir überhaupt
wussten, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird."
"Alle
nennen mich Sam", piepste das kleine Mädchen vom Arm ihrer Mutter. Ich sah
zu Scully. Ihr Gesicht sah geradezu schmerzverzerrt aus.
"Also,
Mulder", fing Joe an. Er merkte die Spannung zwischen Scully und mir
nicht. "Haben Sie hier in der Nähe eingecheckt?"
"Eigentlich
nicht, ich war mir noch nicht sicher. Ich denke, ich werde mir ein Hotelzimmer
mieten."
"Unsinn.
Wir haben doch ein Gästezimmer. Sie können hier bleiben. Ich bin sicher, Sie
und Dana haben sich eine Menge zu erzählen. Nicht wahr, Schatz?" Joe
beugte sich zu ihr und küsste sie. Ich zuckte zusammen. Nach all den Jahren, in
denen ich mir jedes Szenario ausgemalt hatte, wie Scullys Leben jetzt wohl
aussah, tat es immer noch weh. Ich hatte ab und zu daran gedacht, dass sie
verheiratet sein muss, aber ich hatte nicht geahnt, dass es so wehtun würde,
sie mit einem anderen Mann zu sehen.
"Natürlich",
sagte sie und zwang ihrer Stimme einen fröhlichen Klang an. Doch sie hatte
nicht viel Erfolg. "Ich habe gerade Abendessen gemacht. Warum holst du
nicht deine Sachen aus dem Auto und kommst herein?"
Ich
nickte und ging zurück zum Wagen, um meine Tasche zu holen. Eine Millionen
Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich war aufgeregt, sie zu sehen. Sie sah
unglaublich aus. Ich wollte sie in die Arme nehmen...
Sie
war verheiratet. Sie hatte ein Kind. Sie hat ihr Leben ohne mich weiter
gestaltet. Ich sollte in mein Auto steigen und wie der Teufel von hier wegfahren.
Zurück nach DC.
Zurück
wohin eigentlich? fragte ich mich. Es gab nichts, wohin ich zurück gehen
könnte. Nichts, seit Scully gegangen ist.
Sie
ist gegangen, erinnerte ich mich. Sie hat mich verlassen. Eine Welle von Ärger
stieg in mir auf bei dem Gedanken, auf welche grausame Weise sie die Stadt
verlassen hatte. Es überkam mich und ich musste mich für einen Moment ans Auto
stützen.
Wenn
ich bleibe, wird sie alles erklären, dachte ich. Und wenn ich sie auch nicht
zurück haben kann, weiß ich wenigstens warum.
Fortsetzung
in Teil 5/10
Nach All Den
Jahren 5/10
von Leyla
Scully:
Das
Abendessen verlief in höchstem Maße beklemmend. Joe hatte natürlich keine Ahnung
bezüglich meiner Beziehung mit Mulder. Alles, das er wusste, war, dass ich mit
einem mysteriösen Mann mit Namen Fox, dessen Nachnamen ich nie nannte, Schluss
gemacht hatte kurz bevor ich Washington verließ. Er wusste auch, dass es eine
schmerzhafte Trennung gewesen war, und dass ich nicht darüber reden wollte.
Also taten wir es auch nicht.
Während
des Essens versuchte Joe sich mit Mulder über das FBI zu unterhalten. Die ganze
Zeit über konnte ich Mulders brennende Augen auf mir fühlen. Ich war wütend
darüber, dass er mich gefunden hatte, doch gleichzeitig war ich aber auch
erleichtert. In all den Jahren hatte ich meine Gefühle für Mulder geleugnet,
doch jetzt hatte ich keine Wahl. Ich musste mit ihnen gegenüberstellen. Ich
musste mich Mulder gegenüberstellen. Er
saß mir genau gegenüber am Esstisch.
"Also,
warum waren Sie in der Gegend? Ein Fall?" fragte Joe.
"Ja,
wahrscheinlich ein Serienmörder in New York City", antwortete Mulder.
"Die
Abteilung für Gewaltverbrechen hat mich hierher geschickt."
"Abteilung
für Gewaltverbrechen?" fragte ich.
"Ja,
ich habe mich versetzten lassen", sagte Mulder. "Die X-Akten sind
geschlossen. Für immer."
Ich
versuchte, die Welle von Traurigkeit zu verbergen, die mich urplötzlich
erfasste. Sie haben ihm so viel bedeutet. Ich wollte ihn wahnsinnig gerne nach
seiner Schwester fragen, aber ich wusste, dass das warten musste, bis wir
allein sind. Allein. Ich fürchtete mich sehr davor und konnte es andererseits
kaum erwarten.
"Die
X-Akten", überlegte Joe. "Ich weiß noch, wie Dana mir einmal davon
erzählt hat. Das war die Abteilung, in der ihr beide gearbeitet habt,
richtig?" Mulder nickte. "Das hörte sich interessant an. Und doch
gefährlich. Dana hat mir einige Geschichten erzählt, die sich angehört haben,
als ob ihr beide wirklich in großer Gefahr gewesen wart."
"Mami,
kannst Du mir davon erzählen?" fragte Sam auf der anderen Seite des
Tisches.
"Nicht
bevor du 18 bist", erinnerte ich sie.
"Aber
ich möchte nicht so lange warten", quengelte sie. Ich warf ihr meinen
besten Mami-hat-aber-Recht - Blick und sie beruhigte sich. "Aber ich
glaube, ich werde es müssen."
"Die
X-Akten waren gefährlich", sagte Mulder zu Joes letztem Kommentar.
"Scully
und ich hatten ein paar knifflige Fälle."
Also
darauf willst du hinaus, dachte ich, doch ich sagte nichts.
"Dana
hat mir von einem Mann erzählt, der Menschenlebern isst." Joe sah Mulder
an. "Ich habe ihr fast nicht geglaubt."
"Igitt,
ich hasse Lebern!" warf Sam ein.
Mulder
nickte. "Das stimmt." Er sah mich an. Ich wusste genau, was er
dachte.
<Wenn
das Eistee in diesem Beutel ist, könnte es Liebe werden.>
Und
wir haben noch fast drei Jahre gebraucht, um es zuzugeben, dachte ich.
"Also",
seufzte Joe, "ihr zwei habt offensichtlich eine Menge zu bereden.
Ich
kümmere mich um Sams Bad und ihr zwei könnt euch unterhalten."
Nicht
allein, schoss es mir durch den Kopf. "Nein, Joe, ich kann Sam
nehmen", unterbrach ich rasch, aber Joe wollte es gar nicht hören.
"Schatz,
ich zwei habt euch schon Jahre nicht mehr gesehen. Ihr habt sicher viel zu
erzählen." Mulder warf mir einen Blick zu, der sagte, dass er
einverstanden war. "Ich nehme Sam mit nach oben und dann komme ich zurück
und spüle ab. Warum geht ihr nicht auf die Terrasse, da habt ihr Ruhe. Ich bin
nicht gerade scharf darauf, noch solche Leber-Monster Geschichten zu
hören." Joe schien etwas beunruhigt.
"Papa!"
schrie Sam mit verzogenem Gesicht. "Du weißt doch, dass ich Lebern nicht
leiden kann!"
"Ich
weiß, Sam", sagte er, hob sie aus ihrem Stuhl und über seinen Kopf.
"Joe",
warnte ich ihn. Er wusste, dass ich es hasste, wenn er das tat.
"Papa,
ich möchte die Sterne sehen. Können wir hoch auf den Dachboden gehen und sie
anschauen, wie Mami es immer mit mir macht?"
"Nachdem
du gebadet bist, Schatz." Er stellte Sam wieder zurück auf den Fußboden.
"Mulder, wir sehen uns morgen. Dana", sagte er und kam zu mir
herüber. Er gab mir einen Kuss auf die Lippen, "bis später." Ich
erwiderte den Kuss mit so viel Emotion wie möglich.
Joe
und Sam gingen nach oben und ließen Mulder und mich allein im Zimmer.
"Wieder
nach draußen?" fragte er. "Ist es nicht ein wenig zu kalt
dafür?"
"Wir
haben einen Wintergarten. Völlig geschützt von den Elementen", sagte ich,
zeigte ihm den Weg und schloss die Tür hinter mir. Ich wollte nicht, dass Joe
mitbekommt, was wir zu bereden hatten. Mulder setzte sich auf die Couch und ich
mich auf den Sessel.
Es
herrschte Stille. Gute drei oder vier Minuten unbehagliche Stille.
"Du
hast ein wunderschönes Haus", sagte Mulder letztendlich.
"Danke."
"Hast
du es eingerichtet?"
Ok,
dachte ich, kein so heikles Thema. "Das meiste davon."
"Habe
ich mir gedacht. Es erinnert mich in vieler Hinsicht an dein altes
Apartment."
"Ich
weiß. Ich habe es absichtlich so eingerichtet." Um sicher zu gehen, dass
ich nie den Ort vergesse, an dem wir uns zum ersten Mal geliebt haben. Um sicher zu gehen, dass ich nie die
glücklichste Zeit meines Lebens vergesse, dachte ich, doch ich sagte es nicht.
Wieder Stille, doch diesmal nicht so lange.
"Du
hast nicht lange gewartet, oder?" fragte er und seine Stimme war plötzlich
kalt.
"Was
meinst du?"
"Wie
alt ist deine Tochter? Dreieinhalb? Du musst schwanger geworden sein nicht
lange, nachdem du gegangen bist. Wie lange hast du gewartet, nachdem du mich
verlassen hast, bevor du und Joe geheiratet habt?" fragte er.
Sie
ist vier, dachte ich, aber ich antwortete nicht.
"War
es Liebe auf den ersten Blick, als du hier hergezogen bist? Und dann, hast du
ihn geheiratet und bist schwanger geworden? Oder wurdest du schwanger, bevor du
geheiratet hast? Hat er dich deswegen geheiratet?"
"Es
reicht, Mulder", fauchte ich.
"Nein,
Scully, ich glaube, es reicht nicht mal annähernd. Willst du mir nicht sagen,
warum du mich einfach so verlassen hast? Völlig ohne Vorwarnung? Weißt du, was
du mir da angetan hast, Scully?"
"Wahrscheinlich
dasselbe, was es mir angetan hat", sagte ich. "Es hat mich fast
umgebracht."
"Ja,
vielleicht, aber immerhin hast du mich verlassen", entgegnete er. Ich
spürte, wie er der Sache näher kam. Ich hatte immer gewusst, dass er sehr gut
den Dingen auf den Grund gehen konnte und immer versuchte, die Wahrheit zu
finden. Und er war jetzt kurz davor. Ich wurde nervös.
"Und
deine Tochter, Samantha. Ein schöner Schachzug, sie nach meiner Schwester zu
benennen. Hast du geglaubt, dass ich sie je kennenlernen würde?" Er war so
bitterböse, dass es mir Angst machte.
Oh,
Gott, dachte ich. Das Telefon klingelte und ich sprang auf, um abzuheben,
verzweifelt, diese Befragung endlich zu beenden. "Hallo?"
"Dana,
hier ist deine Mutter. Ich glaube, ich habe meine Perlenohrringe oben bei dir
vergessen. Ich habe mir schon gedacht, dass du sie bei dir behältst, bis wir
uns das nächste Mal sehen, aber ich wollte erst nach dem Abendessen anrufen, um
nicht zu stören."
"Danke,
Mom, das ist nett von dir." Mulder stand von der Couch auf und stellte
sich dicht neben mich. So dicht, dass ich ihn atmen hören konnte. Es machte mir
Angst, aber zur gleichen Zeit war es sehr erregend. Ich wusste, dass ich nicht
von ihm weichen konnte. Ich betete, dass er nicht hören konnte, was sie sagte.
Was ich wusste, dass sie sagen würde, sobald ich ihr erzählte, dass er hier
war. "Mom, Mulder ist hier", sagte ich. "Ich kann jetzt nicht
länger reden."
Ich
konnte ihren nächsten Atemzug hören. "Oh, Gott. Hast du es ihm gesagt,
Dana?"
"Nein,
Mom, noch nicht. Mom, ich rufe dich später an."
"Dana,
Schatz, du solltest es ihm sagen—"
"Mom,
ich rufe dich später an. Ich verspreche es."
Ich
legte auf.
Ich
drehte mich um und stand ihm genau gegenüber. Praktisch in seinen Armen.
"Mulder", sagte ich leise. Ich schloss meine Augen und konnte fühlen,
wie die Tränen unter meinen Lidern brannten. "Bitte tu das nicht."
"Weißt
du, wie sehr ich dich vermisst habe?" fragte er genauso leise. "Weißt
du, wie ich mich ohne dich gefühlt habe?"
Er
berührte mein Gesicht. Ich öffnete meine Augen. "Mulder, Joe ist oben.
Ich
bin verheiratet. Mulder—"
"Ich
habe nie aufgehört, dich zu lieben, Scully. Nie."
Ich
atmete tief durch. Ich auch nicht, wollte ich sagen, aber ich konnte es ihn
nicht wissen lassen. Ich konnte es ihm nicht sagen. Er beugte sich zu mir
herunter und küsste mich auf die Lippen. Innerlich kämpfte ich für eine Sekunde
dagegen an. Doch dann küsste ich ihn zurück. Das Gefühl seiner Lippen... es war
etwas, das ich mit Joe nie gefühlt hatte. Es steckte Leidenschaft darin, eine
Leidenschaft, die ich Jahre lang nicht mehr gefühlt hatte. Ich schreckte
zurück. Ich war verheiratet. Joe war oben. Ich war hier unten und küsste
Mulder. All die Jahre, die vergangen sind, all die Geheimnisse... "Ich
kann das nicht tun", murmelte ich mit zitternder Stimme.
"Scully,
ich liebe dich. Ich weiß nicht, ob du mich noch liebst—" Seine Augen waren
tränenerfüllt. "Ich habe so lange gewartet—"
"Mulder,
Samantha ist nicht Joes Tochter", sprudelte es aus mir heraus.
"Was?"
Er starrte mich an.
"Sie
wurde im Mai 1996 gezeugt und am 8. Februar 1997 geboren. Meine Mutter war
letzte Woche zu Sams viertem Geburtstag hier." Er war geschockt, als ihm
alles klar wurde. Ich konnte eine seltsame Erleichterung fühlen. Ich hatte die
Wahrheit so lange von ihm geheim gehalten, dass es eigentlich gut war, es jetzt
herauszulassen. Ich wusste, dass die Nachwirkungen alle später kommen würden.
Mulder war niemand, dem es gefiel, hinters Licht geführt zu werden. Und mir war
klar, dass ich mich den Konsequenzen nicht entziehen konnte.
"Sie
ist..." versuchte er zu sagen, aber er konnte die Worte nicht
herausbringen.
"Deine
Tochter", endete ich für ihn.
Er
trat zurück und setzte sich wieder auf die Couch. "Meine Tochter?"
"Wenn
du ihr in die Augen siehst, Mulder... sie hat deine Augen."
Mulder
schüttelte langsam seinen Kopf, immer noch ungläubig. "Du warst schwanger
mit meinem Kind, als du die Stadt verlassen hast?"
Ich
nickte. "Ich habe es einen Tag, bevor wir uns das letzte Mal gesehen
haben, herausgefunden. Als du gesagt hast, dass du nichts Dauerhaftes
möchtest..." Ich konnte die Unterhaltung von damals wieder vor mir sehen,
also ob es erst gestern passiert wäre. "Ich hatte geglaubt, dass du keine
Familie möchtest. Ich glaubte, du möchtest keine Kinder."
"Scully,
ich hatte Angst... Angst davor, mich an jemanden zu binden... du wusstest das.
Du wusstest warum."
"Mulder,
ich hatte auch Angst."
"Also
bist du gegangen? Also hast du es mir nie gesagt? Also hast du einfach deine
Sachen gepackt und bist gegangen?" Er versuchte zusammenzusetzten, was
passiert war.
"Ich
habe einen Cousin, der hier wohnt. Ich habe mich entschlossen, hier herzukommen
und traf Joe hier. Er war seit Jahren ein Freund der Familie. Er kannte meinen Vater. Ich habe ihm meine
Situation erklärt..." An diesen Tag konnte ich mich auch lebhaft erinnern.
Ich hatte mich wie ein Teenager im Fernsehen gefühlt, wie ich so in Tränen
aufgelöst vor Joe stand. Ich wollte nicht zu viel über mich preisgeben oder wie
ich schwanger geworden war. Nur, dass ich Angst hatte. Dass ich unglücklich
war. Unglücklich ohne Mulder. "Er ist ein guter Mann. Er bot mir an, mich
zu heiraten und mir zu helfen, das Kind zu erziehen."
"Es
ist also eine Zweckheirat?" fragte Mulder hoffnungsvoll.
"Joe
hat sich im Laufe der Zeit in mich verliebt. Und ich habe mich in ihn verliebt.
Ich liebe ihn als einen Freund." Wie konnte ich nur meine Zuneigung und
Liebe für den Mann erklären, der mich respektiert hat, an mich geglaubt hat und
mir hilft, Samantha großzuziehen? Ich habe mich in ihn verliebt. Er hat mir
geholfen, als ich Hilfe brauchte. Er wusste zwar, dass ich immer noch den
mysteriösen Fox liebte, der der Vater meines Kindes war, aber er akzeptierte es
und liebte mich trotzdem. Und er liebte Samantha, als ob sie seine eigene
Tochter wäre.
"Ist
eure Beziehung platonisch?" fragte Mulder immer noch hoffnungsvoll.
"Nicht
ganz." Meine Antwort kam zögernd. Ich hatte Angst, Mulder zu viel wissen
zu lassen. Seit er hier angekommen war, war er so wütend... wütend auf mich.
Ich wusste nicht, wieviel er ertragen konnte.
"Du
schläfst mit ihm. Er ist dein Mann. " Mulder war aufgebracht. "Natürlich ist es nicht platonisch. Was
habe ich bloß gedacht? Du liebst ihn offensichtlich."
"Ja,
Mulder, ich liebe ihn, aber nicht so wie..." Verzweifelt suchte ich nach
den richtigen Worten. "Nicht so wie ich dich liebte." Ich hielt inne.
Ich
habe gemerkt, dass ich in der Vergangenheitsform gesprochen hatte. All die Jahre
in denen ich mir eingeredet hatte, dass er mir nichts mehr bedeutet. Die ganze
Zeit hatte ich mir eingeredet, dass er mich letztendlich vergessen hatte. Die
ganze Zeit hatte ich mir eingeredet, dass ich ihn nicht mehr liebe. Die ganze
Zeit habe ich gewusst, dass es eine Lüge war. "Nicht so wie ich dich noch
immer liebe, Mulder."
Er
antwortete nicht. Ich stand immer noch und war so fertig nach diesem
Geständnis, dass es mir vorkam, dass wenn ich mich nicht gleich setzten würde,
ich auf der Stelle zusammenklappen würde. In dem Moment stand Mulder von der
Couch auf und stellt sich mir gegenüber. "Du hast einen anderen Mann mein
Kind großziehen lassen. Du hast mir nie gesagt, dass du schwanger warst."
Er versuchte, es sich selbst klar zu machen. Ich nickte schwach. "Weiß er es? Weiß er, wer der Vater
ist?"
"Nein",
antwortete ich. "Joe weiß von Mulder. Von dem Mulder, mit dem ich beim FBI
zusammengearbeitet habe. Er weiß auch von einem anderen Mann. Fox. Fox ist der Mann, den ich geliebt habe, der
Mann mit dem ich zusammen war... der Mann der Samanthas wirklicher Vater ist.
Er weiß nicht, dass Fox und Mulder dieselbe Person ist."
"Was
hast du ihm über mich erzählt?" fragte Mulder. Seine Stimme war weder
ärgerlich noch sanft. Ich hätte nicht sagen können, worauf er hinaus wollte.
"Was hast du ihm über Fox erzählt?"
"Ich
habe Joe gesagt, dass ich ihn sehr geliebt habe. Dass ich Angst bekommen hatte,
als ich schwanger wurde und herausfinden wollte ob Fox... du... eine Familie
haben wollte. Ich habe angenommen, dass dies nicht der Fall ist. Also habe ich
die Stadt verlassen. Ich habe ihm gesagt, dass es uns nicht möglich war, unsere
unterschiedlichen Ansichten anzugleichen."
"Weiß
er, dass du mir nie gesagt hast, dass du schwanger warst?"
"Nein."
"Warum
hast du es mir nicht gesagt, Scully? Warum? Ich hätte alles getan, damit wir
eine funktionierende Beziehung gehabt hätten. Ich hatte gedacht, *dass* es
funktioniert." Mulder wurde lauter. Er war nun richtig wütend.
"Mulder,
bitte", versuchte ich ihn zu beruhigen. Ich war nicht sicher, wieviel Joe
oben mitbekommen konnte.
"Bitte
was, Scully? Bitte sei ruhig, dass Joe es nicht hört? Du hast uns beide
angelogen, Scully. Und ich weiß nicht einmal, ob das alles, was du mir hier
erzählst, wirklich wahr ist."
Tränen
stachen in meinen Augen, mehr als zuvor. Ich konnte sie nicht mehr
zurückhalten. "Es ist die Wahrheit, Mulder. Es ist die Wahrheit."
"Jetzt
willst du also, dass wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?" fragte
er und ignorierte meine Tränen völlig.
"Du
bist hier her gekommen, Mulder. Ich bin nicht zu dir gekommen", erinnerte
ich ihn.
"Aber
du hast mir von dir aus von Samantha erzählt."
"Ich
wollte dich nicht mehr anlügen. Mulder, ich liebe dich. Ich kann nicht hier
stehen und dir nicht die Wahrheit sagen."
"Und
wem bringt das jetzt etwas, Scully? Du hast Joe geheiratet."
Ich
sank auf dem Sessel zusammen und schluchzte. Ich wusste nicht, wie es so
kompliziert werden konnte. Alles, das ich wusste, war, dass ich das getan habe,
was ich damals für das Beste gehalten hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich
Mulder je wiedersehen würde. Ich hatte ein Foto - vier eigentlich - von ihm und
mir, die wir in einem Fotoautomaten gemacht hatten, kurz nachdem wir
zusammengekommen waren. Fotos von uns aus sehr glücklichen Zeiten. Ich hatte
die Bilder immer bei mir in meiner Brieftasche. Und jetzt ich hatte Samantha.
Jedes Mal, wenn ich sie ansah, konnte ich Mulder in ihren Augen sehen.
Und
ich habe alles verdorben. Ich hatte nie erwartet, dass es jemals zu so etwas
kommen würde.
Ich
hörte auf zu weinen und sah auf. Mulder war verschwunden. Er war nicht mehr im
Zimmer. Ich konnte ihn im Flur hören.
"Mr.
Mulder?" hörte ich Samantha fragen. "Warum nennen Sie meine Mami
Scully?"
Ich
konnte nicht hören, ob oder was er ihr geantwortet hat. Das nächste, das ich
hörte war, wie Mulder seinen Wagen anließ und mit knirschenden Reifen auf dem
Kies hinaus in die Nacht fuhr.
Fortsetzung
in Teil 6/10
Nach All Den
Jahren 6/10
von
Leyla Harrison
Mulder:
Im
Auto rief ich als erstes die Fluggesellschaft an. Ich buchte ein Ticket zurück
nach DC. Ich dachte über die kleine Samantha nach, als ich zurück nach New York
City fuhr. Der einzige Flug, den ich so spät noch bekommen konnte, war von LaGuardia aus, also musste ich drei Stunden fahren.
Meine
Tochter. Ich war fassungslos. Mir fiel nur ein Mensch ein, der mir sagen
konnte, ob das alles wahr ist. Ich musste es wissen.
In
den letzten 10 Stunden ist so viel passiert, dass ich weiche Knie bekommen
hatte. Samantha war meine Tochter?
Scully hatte es vor mir geheim gehalten... und das Wissen, dass sie es noch
weiterhin vor mir geheim gehalten hätte, wenn ich nicht bei ihrem Haus
aufgetaucht wäre, machte es noch schlimmer.
*Falls*
sie meine Tochter ist.
Ich
wusste nicht, ob ich Scully glauben konnte. Natürlich konnte ich ihr glauben.
Aber gleichzeitig fürchtete ich mich davor. Ich hatte Angst davor, zu
akzeptieren, dass das kleine Mädchen mein Fleisch und Blut war. Dass sie von
einem anderen Mann großgezogen wurde. Dass Scully mich einfach vergessen und
glücklich weitergelebt hatte, und sich vorgemacht hatte, dass es mich überhaupt
nicht gab. Sie würde Sam aufwachsen lassen und ihr nie sagen, wer ihr
wirklicher Vater ist. Scully kümmerte sich offensichtlich eine Dreck darum, wie
ich mich fühlte, sie hätte es mir sonst gesagt.
Ok,
das war nicht fair, bremste ich mich. Sie hat geweint, als du gegangen bist.
Geweint. Wie oft hast du sie so weinen sehen?
Ich
hatte dieses Bild den ganzen Flug nach DC vor Augen. Scully, ihre Schultern
zusammengefallen, ihr Körper geschüttelt vom Schluchzen, als ich so
rücksichtsvoll und feinfühlig aus dem Zimmer gegangen bin. Ich hätte mich dafür
schlagen können, denn ich wusste, dass es ihr sehr wehgetan haben muss.
Sie
hat es immerhin verdient, dachte ich. Sie hat mich ja einfach sitzen lassen.
Aber
sie verdiente es nicht! schrie ein Teil von mir.
Als
ich aus dem Flugzeug stieg, schoss mir ein anderes Bild durch den Kopf. Es war eher eine sinnliches Gefühl. Wie ich
Scully in ihrem Wintergarten in ihrem zu Hause in Greenwich geküsst habe. Zum
ersten Mal seit Jahren ihre Lippen auf meinen. Wie sie mich zurück geküsst hat.
Wie wundervoll es sich angefühlt hat, sie wieder in den Armen zu halten und sie
zu küssen. Es war eine so starke Erinnerung, dass ich schauderte.
Margaret
Scully:
Es
war schon nach ein Uhr in der Nacht, als es klingelte. Ich saß aufrecht im Bett
und laß, doch ich konnte mich nicht auf das Buch
konzentrieren. Ich hoffte, dass Dana mich zurückrufen würde und mir erzählen
würde, was geschehen ist. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass Fox sie
wiedergefunden hat.
Ich
war überrascht und doch nicht überrascht, ihn wieder auf meiner Türschwelle zu
sehen. "Fox", murmelte ich in die kühle Nachtluft. "Bitte,
kommen Sie herein."
"Ich
weiß, es ist spät, Mrs. Scully", entschuldigte er sich.
"Das
ist in Ordnung. Ich war wach." Ich betrachtete ihn von oben nach unten. Er
sah so viel älter aus als ich es erwartet hatte. Ich dachte daran, dass es fünf
Jahre her war, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Fünf lange Jahre.
"Mrs.
Scully", begann er, "ich muss es wissen. War sie schwanger, bevor sie
gegangen ist?"
"Was
hat Dana Ihnen erzählt?" fragte ich. Ich war mir nicht sicher, was ich ihm
sagen konnte.
"Alles."
Der Blick in seinen Augen verriet mir, dass es wahr war. "Ist Sam meine
Tochter?"
"Ja",
seufzte ich. "Fox, ich habe sie angefleht, es Ihnen zu sagen. Ich habe es
versucht." Seine Schultern sackten zusammen bei der Bestätigung. "Es tut mir Leid, dass sie so lange
gewartet hat."
Ich
wollte ihn fragen, wie er sie gefunden hat, aber er hatte noch weitere Fragen.
"Weiß Samantha, dass ich ihr Vater bin?"
"Nein",
antwortete ich ihm. "Sie denkt, Joe ist ihr Vater. Dana hielt es für das
Beste, da er sie auch großzieht."
"Aber
*ich* bin ihr Vater", protestiert Mulder.
"Ich
weiß, Fox. Ich weiß."
Das
Telefon klingelte. Ich wusste, dass es Dana war, bevor ich den Hörer von der
Gabel nahm.
"Mom,
ich habe ihm alles erzählt." Sie war in Tränen aufgelöst. "Er ist
einfach heraus gerannt."
"Dana,
er ist hier", sagte ich ihr trotz Fox' Gesten, es nicht zu tun, sobald ich
ihren Namen sagte. "Er ist gerade hier. Wir reden darüber."
"Mom,
ich weiß nicht, was ich machen soll. Joe ist sauer. Er hat keine Ahnung, warum
ich Mulder so kühl behandelt habe. Ich muss ihm die Wahrheit sagen."
"Dana,
Schatz, soll ich wieder für ein paar Tage zu dir hoch kommen?"
"Nein,
Mom, nein. Ich muss selbst damit fertig werden." Fox sah mich argwöhnisch
an. Es war mir klar, dass er wissen wollte, was sie am anderen Ende der Leitung
sagte. Ich hörte Dana schniefen.
"Mom,
kannst du Mulder bitte sagen... kannst du ihm sagen, dass es mir Leid
tut?"
"Einen
Moment", sagte ich und hielt Fox den Hörer hin. "Sie will mit Ihnen
sprechen." Er stand da und bewegte sich nicht. "Fox, bitte reden Sie
mit ihr."
Mulder:
Ich
nahm den Hörer aus ihrer Hand. Ich wusste nicht, was sie sagen würde. Ich
wusste nicht, ob ich es hören wollte. "Scully?"
"Mulder..."
sagte sie, "ich werde Joe die Wahrheit sagen. Jetzt gleich."
"Das
ist ein guter Anfang." Ich versuchte,
meine Stimme so neutral wie möglich zu halten.
"Mulder,
bitte... Es tut mir so leid. Ich hätte es dir nie vorenthalten sollen. Ich
hätte dich nie verlassen sollen."
"Verdammt
richtig." Sie holte tief Atem, als ich das sagte. Ich war wütend. Sie hatte keine Ahnung, was ich in den
letzten fünf Jahren durchgemacht hatte. Es hat mir das Herz gebrochen, ohne sie
sein zu müssen. Aber dann beruhigte ich mich. So wütend ich auch war, ich
liebte sie immer noch.
"Scully—"
"Mm-hmm?" antwortete sie, ihre Stimme gedämpft durch
ihre Tränen.
"Ich
komme wieder rüber. Ich muss dich sehen."
"Mulder,
bitte, ich muss zuerst mit Joe sprechen. Bitte."
"Dann
komme ich morgen."
Sie
antwortete nicht für eine Weile. "Ok", sagte sie dann.
"Bis
dann."
Ich
legte auf und atmete tief durch. Mrs. Scully legte ihre Hand auf meine
Schulter. "Sie braucht eine zweite Chance, Fox. Sie liebt Sie immer noch,
wissen Sie."
"Dürfte
ich von hier aus die Fluggesellschaft anrufen?"
"Nur
zu. Und Fox?" Ich drehte mich um. "Warum bleiben Sie heute Nacht
nicht hier im Gästezimmer?"
Zuerst
wollte ich höflich ablehnen, doch dann sah ich Mrs. Scullys Gesicht und wusste,
dass ich bleiben sollte. "Ja, danke sehr."
"Die
Treppe hoch, dritte Tür rechts."
"Danke,
Mrs. Scully."
Ich
nahm den Telefonhörer und buchte meinen Flug.
Fortsetzung
in Teil 7/10
Nach All Den
Jahren 7/10
von Leyla
Scully:
Ich
legte nach dem Gespräch mit meiner Mutter auf und ging wieder nach oben ins
Schlafzimmer. Joe saß aufrecht im Bett und die Lampe war noch an. Er wartete
offensichtlich auf mich. Das Ziehen in meiner Magengegend wurde stärker. Ich
wusste, dass ich die Wahrheit vor ihm nicht mehr verbergen konnte, genauso
wenig wie vor Mulder.
"Dana,
ich würde gerne wissen, was hier los ist. Du warst total kalt zu Mulder. Ich
dachte, ihr zwei seid so gute Freunde", sagte er als ich ins Bett stieg.
"Das
waren wir auch", sagte ich.
"Hast
du geweint?" fragte er und drehte mein Gesicht, um es näher zu betrachten.
"Ja",
sagte ich, "aber es geht mir gut."
"Hat
das Gespräch mir deiner Mutter geholfen?"
"Ja."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Worte bestanden nur aus einzelnen
Silben. Ich hasste, was es Joe antun würde. Es würde ihm das Herz brechen.
"Es
herrschte eine große Spannung zwischen dir und Mulder heute Abend. Gibt es
irgendetwas, das ich wissen sollte?"
Blanke
Angst stieg in mir auf. Ich drehte mich auf dem Bett um und sah ihn
geradeheraus an. "Es geht um Fox", sagte ich und versuchte, einen
Anfang zu finden, der irgend einen Sinn machte.
"Liebling,
du hast diesen Namen schon Jahre nicht mehr erwähnt."
"Ich
weiß, Joe, aber... du musst wissen, dass ich immer noch Gefühle für ihn
habe."
Joe
nickte. "Ich hatte gehofft, dass du mich mit der Zeit mehr lieben würdest
und Fox nur eine schwache Erinnerung bleiben würde." Ich schluckte hart.
Es würde sehr schmerzhaft für ihn werden, wenn er es hörte. "Aber was hat
das mit Mulder zu tun?" fragte er. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen,
bevor ich antworten konnte. "Eine Sekunde mal. Mulder. Der Mann ohne
Vornamen. Fox... Mulder?" riet er und ich nickte.
Joe
sagte nichts. Er stand auf und zog sich schnell an. "Wohin gehst du?"
"Raus",
antwortete er kalt. "Du hast mich angelogen, Dana."
Warte!
dachte ich. Ich musste ihm sagen, was passiert ist. "Joe, bitte, ich kann
es erklären", rief ich verzweifelt, um ihn aufzuhalten. "Bitte, lass
es mich erklären!"
"Ich
bin nicht sicher, ob ich es hören will." Er drehte sich um. "Ich
werde dir mal eins sagen, Dana. Wenn er denkt, dass er einfach hier rein
marschieren kann und dich zurück haben will, und Samantha haben will, kann er
das. Er kann sagen was immer er will. Aber ich will verdammt sein, wenn ich mir
diese letzten fünf Jahre meines Lebens einfach so wegnehmen lasse."
Meine
Augen wurden wieder feucht. "Joe, das ist es nicht, was er will."
"Ich
weiß überhaupt nicht, ob du nicht die ganze Zeit herumgesessen und darauf
gewartet hast, dass er zurück kommt und dich und Samantha für sich
beansprucht."
"Nein,
nein, das ist überhaupt nicht wahr. Du bist ein wundervoller Ehemann und
Vater", rief ich.
"Aber
du bist noch nicht über ihn weg", warf er mir vor. "Wenn du denkst,
dass ich einfach so da stehe und sage, hey, nur zu, Fox Mulder, nimm dir meine
Frau, nimm dir meine Tochter, dann hast du dich aber geschnitten, Dana. Und Sam
*ist* meine Tochter. Sie ist vielleicht nicht mein Fleisch und Blut, aber ich
habe sie großgezogen seit dem Moment ihrer Geburt."
"Oh,
Gott", schrie ich, "das kann gar nicht passieren!" Aber es
passierte und Joe rannte aus dem Zimmer und aus dem Haus.
Mulder:
Irgendwann
nach halb drei nachts, als ich hellwach im Dunkeln in meinem Bett lag und an
die Decke starrte, hörte ich das leise Klingeln meines Handys in meiner
Jackentasche unter meinen ganzen Klamotten. Ich stand auf und nahm ab. Es
konnte gut sein, dass es jemand vom FBI war, der sich wunderte, wo zum Teufel
ich eigentlich steckte.
"Mulder."
"Mulder,
ich bin's." Scully. Wie lange ist es her, dass sie sich so gemeldet hat,
als ich das letzte Mal den Hörer abnahm? Sie weinte. "Mulder..."
"Scully,
was ist los?" fragte ich und war plötzlich sehr besorgt. Sie hörte sich
schrecklich an. Nicht nur, als ob sie nur weinen würde, sondern als ob... ich
weiß nicht, als ob sie innerlich zugrunde geht. "Scully?"
"Er
ist gegangen. Er hasst mich. Ihr beide hasst mich für das, was ich getan habe.
Und ich verdiene es." Sie klang sehr weit weg.
"Hat
er dir etwas angetan, Scully?" fragte ich und fürchtete das Schlimmste.
Wenn er ihr auch nur ein Haar krümmt, bei Gott, ich werde...
"Nein",
sagte sie. "Ich weiß überhaupt nicht, warum ich dich eigentlich angerufen
habe."
"Scully",
sagte ich sanft, "ich hasse dich nicht. Ich versuche nur, mit dem fertig
zu werden, das du mir erzählt hast. Was passiert ist, als du gegangen bist. Die
Gefühle, die ich während der letzten fünf Jahre versucht habe zu verdrängen,
tauchen plötzlich alle wieder auf." Sobald ich das sagte, wusste ich, dass
es stimmte. Ich hasste sie nicht. Mir wurde klar, warum sie solche Angst gehabt
hatte, mir zu sagen, dass sie schwanger ist.
Ich hätte bestimmt genauso reagiert damals. Es gab keine Entschuldigung
dafür, dass sie nicht wenigstens mit mir darüber gesprochen hatte, doch
wenigstens konnte ich ihre Reaktion etwas besser verstehen. Ja, ich war wütend
auf sie. Und diese Wut war gerechtfertigt. Allerdings war meine Wut auf sie nur
so stark, weil meine Liebe für sie so stark war. "Ich hasse dich
nicht", wiederholte ich.
"Ich
habe dich verletzt. Ich habe Joe verletzt. Ich habe euch beide angelogen."
Ich
konnte dies nicht abstreiten. Es stimmte. "Ja, Scully, das hast du."
Es
herrschte lange Stille, unterbrochen nur durch ihr Schluchzen am anderen Ende
der Leitung. "Hast du noch die Halskette?" fragte sie auf einmal.
"Ja",
antwortete ich und berührte unbewusst das Kreuz, als ich es sagte. "Ich
habe es noch."
"Ich
liebe dich, Mulder", flüsterte sie. "Ich habe nie aufgehört, dich zu
lieben. Ich habe nie aufgehört, dich zu vermissen. Es ist nicht ein Tag
vergangen, an dem ich dich nicht vermisst habe."
Mein
Herz schmerzte durch die Zärtlichkeit in ihrer Stimme. Ein Schmerz, von dem ich
gedacht hatte, dass ich ihn längst vergessen oder so tief in mir drin verborgen
hatte, dass ich ihn nicht mehr fühlen konnte. Aber er war immer noch da. Ich
liebte sie immer noch sehr. Ich hatte Tränen in den Augen. Was war passiert?
Wir hatten uns fünf Jahre nicht mehr gesehen, und doch haben die Gefühle, die
wir in den vier Jahren füreinander hatten, in denen wir uns gekannt haben,
weder an Stärke noch an Bedeutung verloren.
Und
nach dem Klang in Scullys Stimme zu schließen hatten sich die Gefühle in ihrem
Herzen in den letzten fünf Jahren auch nicht verändert. Doch ihr Leben hat sich
verändert. Und sie musste deswegen ihre Gefühle verdrängen, Gefühle für die
Vergangenheit, Gefühle für mich... Ich wusste, dass sie es ganz gut schaffte.
Ich wusste, dass sich ein Teil von ihr in den Jahren in denen wir
zusammengearbeitet haben, sehr einsam gefühlt hatte und voller Angst war. Doch
diesen Teil hat sie nie vor mir offenbart. Bis zu dem Tag, an dem wir Geliebte
wurden, wusste ich von diesem Teil, konnte sogar hier und da ein Stück davon
sehen, aber ich habe sie nie völlig gekannt, bis sie sich mir offenbarte und
mich an sich heran ließ.
"Mulder."
Sie flüsterte meinen Namen und ich schloss die Augen. Es war, als ob sie wie
vor fünf Jahren neben mir liegen würde, als ob nichts von all dem passiert
wäre. "Mulder."
Ich
machte die Augen wieder auf. Aber es war fünf Jahre später. Ich wusste gar
nichts über ihr jetziges Leben, ausgenommen das Netz von Täuschungen und Lügen,
das sie gesponnen hat, um mich zu beschützen, um Joe zu beschützen... um unsere
Tochter zu beschützen. Doch umso mehr ich darüber nachdachte, umso weniger
erschien es mir, dass es überhaupt diesen Zweck erfüllte. Es beschützte sie
selbst vor der Angst, sich jemandem hinzugeben, jemanden zu lieben und vor der
Angst, denjenigen zu verlieren. Auf einmal wurde mir klar, warum sie Joe geheiratet
hat. Es war auf eine Art und Weise ein Mittel zum Zweck. Sie hat es getan, um
sich und Samantha ein zu Hause, Liebe und finanzielle und emotionale
Unterstützung zu bieten.
Samantha.
Unsere Tochter. Ich zuckte innerlich zusammen bei dem Gedanken, dass ich
praktisch überhaupt nichts über sie wusste. Als ich gerade Scullys Haus
verlassen wollte, kam sie in den Flur, ihr kastanienbraunes Haar noch feucht
von ihrem Bad, ihre Augen, dieselben wie meine, strahlten. "Warum nennen
Sie meine Mami Scully?" hat sie mich gefragt, doch ich konnte ihr nicht
antworten. Ich konnte sie nicht einmal ansehen. Ich kannte sie nicht. Ich habe sie nicht erzogen. Sie war meine
Tochter und doch war sie es nicht.
"Scully",
sagte ich am Telefon. "Was wirst du jetzt machen?" fragte ich und
betonte das 'du'. Ich konnte ihr da nicht heraushelfen. Sie musste sich selbst
helfen.
"Ich
weiß es nicht." Sie beruhigte sich und ihre Tränen versiegten. "Ich
weiß es nicht, Mulder. Ich wünschte, ich könnte Sam einfach nehmen und gehen,
es alles hinter mir lassen. Die Erinnerungen und den Schmerz, es alles für so
lange Zeit für mich behalten zu haben."
"Kommst
du wieder zurück nach DC?" fragte ich.
"Nein,
ich gehe irgendwo hin. Weg von all dem. Weg von Joe... und von dir." Ihre
Stimme klang gequält. Gequält von einem alten Schmerz.
Mein
Herz setzte aus. Ich hatte sie gerade erst gefunden und ich war nicht willig,
sie einfach wieder gehen zu lassen. Nicht mit meiner Tochter. "Scully, du weißt, dass du das nicht tun
kannst." Meine Stimme war wieder fest. "Du kannst nicht einfach
weg."
"Ich
weiß nicht, was ich sonst tun soll, Mulder. Ich habe euch alles verdorben.
Vielleicht wäre es für alle das Beste."
"Genauso
wie es das Beste war, als du mich vor fünf Jahren verlassen hast?" sagte
ich mit zusammengebissenen Zähnen. Es klang viel schroffer, als es gemeint war.
Sie antwortete nicht. "Scully, es tut mir Leid", sagte ich und meinte
es.
"Ich
muss auflegen", sagte sie plötzlich. Panik erfasste mich. Es lag etwas in
ihrer Stimme. Etwas, das nichts Gutes verheißen sollte. Sie wollte wieder...
oh, nein, dachte ich. Nicht schon wieder. Sie wollte wieder fliehen.
"Nein,
Scully, leg nicht auf. Warte!"
"Ich
liebe dich, Mulder."
Alles
drehte sich. Es war wie eine unmittelbare Wiederholung von dem, was vor fünf
Jahren passiert war. Ich würde sie nie wieder sehen. Sie nie wieder in den
Armen halten. Nein, sagte ich zu mir. Nein!
Sie
hatte bereits aufgelegt. "Verdammt!" fluchte ich. Ich kannte ihre
Telefonnummer nicht. Ich sprang vom Bett und warf meine Klamotten über. Ich
überlegte, was schneller sein würde, nach Connecticut zu fahren oder zu
fliegen. Ich rief die Fluggesellschaft an, als ich mich anzog. Es gab einen
Last Minute-Flug von Dulles in 45 Minuten, der um 6.45 Uhr in Westchester
ankam. Der Flug dauerte weniger als eine Stunde. Ich könnte in New York einen
Wagen mieten und in 15 Minuten in Greenwich sein. "Reservieren Sie den
Platz für mich." Ich gab der Frau mein
Ausweisnummer und kritzelte eine kurze Nachricht für Mrs. Scully auf einen
Zettel, dass sie den ersten Flug nach Westchester nehmen soll, sobald sie
aufwachte. Dann lief ich aus dem Haus in die Dunkelheit der Nacht und fuhr so
schnell ich konnte nach Dulles.
Mulder:
Als
ich vor Scullys Haus vorfuhr, stand ihr Auto nicht mehr in der Einfahrt. Ich sah
in der Garage nach und hoffte, es dort stehen zu sehen. Die Garage war leer. Ich versuchte, die Tür
auf zu machen. Verschlossen.
"Verdammt!"
Ich hämmerte an die Tür. "Scully!"
Joe
kam angefahren und stellte seinen Wagen neben meinen. "Was ist hier
los?" fragte er, als er ausstieg.
"Sie
ist weg", erwiderte ich knapp und versuchte, meine Sorge zu verbergen.
"Sie hat Sam mitgenommen."
"Woher
wollen Sie das wissen?" fragte er ungehalten und schloss die Tür auf. Er
war offensichtlich sehr wütend auf mich. "Dana!" rief er durch das
Haus. Keine Antwort. Ich folgte ihm nach drinnen. "Dana!" rief er ein
weiteres Mal.
Ich
stürzte die Treppe hinauf und riss die erste Tür auf, die ich sah. Dana und
Joes Zimmer. Das Bett war ungemacht. Ich fühlte mich wie einen Eindringling und
ging rückwärts wieder aus dem Zimmer. Die nächste Tür. Sams Zimmer.
Das
Zimmer war, mit einem Wort, unglaublich. Die Wände waren hellblau gestrichen,
und an der Decke war ein professionell gemaltes Himmelszelt. Die weißen, flauschigen Vorhänge verdeckten
das Fenster, ließen die Morgensonne aber doch hindurchscheinen. Es war klar,
dass Scully für dieses Meisterwerk verantwortlich war.
Sams
Bett stand in der Ecke, die Bettdecke zurückgezogen. Ich sah in den Schubladen
nach und versuchte festzustellen, wieviel fehlte. Ich hatte ja aber keine
Ahnung, wie viele Kleider sie hatte, deswegen war es zwecklos.
Ich
konnte Joe immer noch unten Scullys Namen rufen hören. Ich lief wieder herunter
und traf ihn im Flur. "Sie ist weg", wiederholte ich. "Sie hat
Sam mitgenommen. Sie sind beide verschwunden. Wir müssen sie finden."
"Wir
müssen sie finden?" echote er. "Was geht Sie das eigentlich an?"
klagte er mich an. "Ich werde sie finden. Sie ist wahrscheinlich nur auf
einer Spazierfahrt mit Sam. Ich bin sicher, es geht ihnen gut."
"Es
geht mich sehr viel an", giftete ich ihn an. "Sam ist meine
Tochter."
"Dana
ist *meine* Frau", fauchte er im selben Ton. "Was mich betrifft denke
ich, dass Sam nur ihr natürliches Kind ist, nicht mehr. Ich habe sie
großgezogen, nachdem Sie..."
"Nachdem
ich was?" schrie ich ihn an. "Was hat Dana Ihnen gesagt? Dass ich sie
allein gelassen hab, als sie mich am meisten gebraucht hat? Ich wusste nicht
einmal, dass sie schwanger war, als sie gegangen ist. Sie hat mir lediglich
einen Brief hinterlassen, verdammt noch mal! Sie hat mir nie auf Wiedersehen
gesagt!" Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Das war offensichtlich noch
etwas, das er nicht gewusst hatte. Ich senkte meine Stimme. "Sie hat mir
so wehgetan, dass ich dachte, ich könnte nie wieder jemanden lieben. Ich habe
seitdem auch niemanden geliebt." Dieses Eingeständnis tat weh, vor allem,
weil ich diesen Mann kaum kannte.
"Wir
müssen sie finden", sagte er und nickte.
Bei
dem Wort 'wir' wurde ich ein wenig ruhiger. "Haben Sie eine Idee, wo sie
hingegangen sein könnte? Freunde in der Umgebung? Orte, zu denen sie gerne
hingeht?" Seine Stirn legte sich in Falten, als er nachdachte. Dann
hellten sich seine Augen auf. "Was?"
"Shippan. Das ist ein Strand, zu dem sie gerne geht, um
nachzudenken."
"Wo
ist das?" fragte ich.
"Stamford.
Die nächste Stadt nördlich von hier. Es ist nicht weit."
"Ok,
auf geht's", sagte ich, "ich fahre."
Wir
sagten kein Wort während der Fahrt abgesehen davon, dass er mir alle paar
Minuten sagte, wohin ich fahren sollte. "Biegen Sie hier links ab."
"Rechts
hier."
Ich
war in Gedanken. Alles, an das ich denken konnte, war Scully und Sam, unsere
Tochter, und wie ich alles wieder gut machen konnte. Ich versank in
Erinnerungen aus der Vergangenheit. Dinge, die sie und ich getan haben, als wir
noch zusammen gearbeitet hatten. Bruchstücke von Konversationen und Situationen
schossen mir durch den Kopf.
<Sie
sind die einzige, der ich vertraue.>
<Mulder,
ich würde mich für niemanden in Gefahr bringen außer für Sie.>
Ihr
Seufzen, als wir uns das erste Mal geküsst haben.
Der
Blick in ihren Augen, als wir uns das erste Mal geliebt haben und wir auf dem
Bett in ihrer Wohnung lagen. Unsere Körper berührten sich das erste Mal ohne
Schranken und Hindernisse. Wie ihre Augen geschienen haben.
<Ich
liebe dich, Mulder.>
"Genau
hier. Parken Sie hier. Wir müssen den Rest des Weges laufen." Joe riss
mich aus meiner Träumerei.
Ich
parkte den Wagen und wir sprinteten über den Rasen und dann über die kleine
Holzbrücke. Die Sonne war nun ganz aufgegangen und schien hell über Long Island
Sound. Es war kalt genug, um meinen Atem zu sehen, als ich Joe rennend auf den
Fersen folgte. Am Ufer waren Felsen. Große Felsen, die sich anscheinend über
viele Meilen erstreckten. Ich erkannte, warum Scully hier heraus fahren würde.
Es war sehr friedlich. Schnell überschaute ich die Felsen. Ich sah das Rot
ihrer Haare, bevor ich sie eigentlich sah. "Da ist sie!" schrie ich
und deutete in ihre Richtung. Joe und ich rannten gleichzeitig los.
"Dana!"
schrie er. Ich griff nach seinem Arm.
"Erschrecken
Sie sie nicht!" Ich hatte keine Ahnung, in welcher emotionalen Verfassung
sie sein würde.
Joe
ignorierte mich, riss sie los und rannte schneller. Ich hatte Mühe, mit ihm
mitzuhalten. Jetzt konnte ich Scully richtig sehen. Sie saß auf einem der
Felsen und hielt Sam in ihren Armen. Die Kleine schien zu schlafen. Sie hatten
beide dicke Mäntel an und Sam war in einen langen Schal gewickelt.
"Dana!"
brüllte er wieder. Wir waren etwa 20 Meter von ihr entfernt und Scullys Kopf
wirbelte erschrocken herum. Sie sprang auf und ich wusste, was passieren würde
in dem Moment, als es wirklich passierte.
Sie
rappelte sich auf und kletterte den Felsen weiter hinauf, Sam in ihren Armen,
um von uns zu fliehen oder uns entgegen zu kommen, ich wusste es nicht. Aber
Sam glitt aus ihren Armen und fiel.
Ich
hörte Sams Kopf auf den Felsen aufprallen, obwohl mir hinterher gesagt wurde, dass
ich es von dieser Entfernung gar nicht gehört haben könnte.
Panik
ergriff mich, als ich zusehen musste, wie ihr kleiner Körper den Felsen
hinunter glitt und im Wasser verschwand.
"Sam!"
schrie Scully voller Schrecken. Das Adrenalin schoss durch meine Adern. Ich
überholte Joe und rannte zu den Felsen. Ich erreichte Scully vor ihm. Sie
umklammerte den Stoff meines Mantels, ihre Augen weit vor Schreck. "Mulder!"
Ich
riss mich von ihr los und sprang ohne zu überlegen ins Wasser. Ich hatte keine
Ahnung wie tief oder kalt es war. Das Wasser traf meinen Körper kalt wie Eis.
Alles, das ich sehen konnte, war der kleine Körper, der mit dem Gesicht nach
unten auf dem Wasser lag. Die Kapuze ihres Mantels war von ihrem Kopf gerutscht
und ich konnte ihre roten Haare sehen, die durch das Wasser noch roter
erschienen. Ihr Mantel sog sich voll mit Wasser und begann, sie immer tiefer
unter die Oberfläche zu ziehen. Ich griff nach ihr. Sie war innerhalb meiner
Reichweite. Aber ich verfehlte sie. Das Wasser reichte mir bis zum Bauch. Ich
kämpfte, um näher an sie heran zu kommen, doch das Gewicht meines mit Wasser
vollgesogenen Mantels hielt mich zurück.
Verdammt!
fluchte ich. Sie ist doch nur ein paar Meter weg, ich muss sie kriegen!
Fortsetzung
in Teil 8/10
Nach All Den
Jahren 8/10
von Leyla
Scully:
Ich
sah, wie Mulder nach Sam griff und sie verfehlte. Ich war wie versteinert. Ich konnte
mich nicht bewegen oder etwas sagen. Ich klatschte immer noch meine Hände auf
dem Mund zusammen durch den Horror, der mich durchfuhr. Joe kam schwer atmend
an meine Seite und sah hinunter ins Wasser zu Mulder und Sam. Verzweifelt
schaute ich mich nach etwas um, das Mulder verwenden konnte, um sie näher an
sich heran zu ziehen. Ich drehte meinen Kopf zu allen Seiten und suchte nach
einem Ast oder einem Seil. Nichts. Als ich wieder zurück ins Wasser sah, konnte
ich den Felsen, auf dem Sam aufgekommen war, im Augenwinkel unter mir sehen. Er
war rot von Blut. Von ihrem Blut. Meine arme Tochter. Oh, Gott!
Tränen
strömten mir über das Gesicht und mein Atem kam stockend und schnell in der
klirrenden Kälte. Joe stand neben mir, er bewegte sich nicht und sagte auch
nichts.
Meine
Tochter, betete ich, bitte Gott, nicht meine Tochter. Bitte. Nicht sie. Ich
würde alles tun. Nimm mich, nicht sie. Bitte.
"Verdammt,
Dana, was ist mit dir los? Wie konntest du sie nur hierher bringen? Was zum
Teufel hast du dir dabei gedacht?" schrei Joe mich an. Ich weinte nur noch
mehr. Ich schluchzte so stark, dass mein Hals schmerzte und die Tränen in
meinen Augen stachen.
"Halt
die Klappe!" schrie ich ihn an. "Halt einfach die Klappe!" Ich
ignorierte ihn und kletterte vorsichtig den Felsen hinunter zu Mulder. Ich
konnte sehen, wie er sich in dem eisigen Wasser vorwärts kämpfte. Ich konnte
meine Tochter mit dem Gesicht nach unten sehen. Oh, Gott, Mulder, betete ich,
bitte...
Er
griff wieder nach ihr, bekam ihre Jacke zu fassen und zog sie näher zu sich. Er
drehte sie im Wasser auf den Rücken und prüfte ihren Atem. Mulder griff in
seine Tasche und warf mir sein Handy zu. "Ruf einen Krankenwagen!"
rief er.
"Ist
sie ok?" fragte ich. "Mulder, willst du sie nicht erst aus dem Wasser
holen?"
"Scully,
ruf einen verdammten Krankenwagen!" schrie er. Ich wählte mit zitternden
Fingern. Als ich auflegte, begann Mulder sie wieder zurück auf die Felsen zu
heben. Zurück in Sicherheit, betete ich. Er schob sie auf mich zu.
"Sie
ist bewusstlos", sagte er. Er zitterte von dem eiskalten Wasser. "Wir
müssen sie aus dem Wasser schaffen. Wir müssen sie warm halten, bis der
Krankenwagen kommt."
Ich
half ihm, sie aus dem Wasser zu ziehen. Sie war viel schwerer aufgrund der
nassen Kleider. Mulder und ich zogen sie zusammen auf die Felsen und Joe half
uns, sie auf das gefrorene Gras zu bringen. Ich ignorierte die Kälte und zog
meinen Mantel aus. Ich wickelte ihn um ihren kleinen Körper. Ihre Augen waren geschlossen. Der Schal war
immer noch um ihren Hals und würgte sie. Ich befreite sie davon. "Sei
vorsichtig mit ihrem Kopf", warnte Joe.
"Ihr
Puls rast", informierte uns Mulder. "Ihre Atmung ist flach."
Ich
prüfte ihre Atmung und versuchte, so professionell wie möglich zu bleiben. Ich bin
Ärztin, sagte ich mir. Aber meine Hände zitterten. Ob von der Kälte oder vor
Angst, ich war mir nicht sicher. Wahrscheinlich von beidem.
Ich
lehnte mein Ohr über ihr Gesicht und lauschte. Ich konnte ihre kurzen Atemzüge
hören und sah, wie sich ihre Brust hob und senkte. Aber nicht genug. "Sie
hat viel Wasser gespuckt, als ich sie umgedreht habe", sagte Mulder.
"Ich glaube nicht, dass noch etwas in ihren Lungen ist." Ich hob
meinen Kopf, kniff Sams Nase zusammen und wollte schon Luft in ihre Lungen
blasen, als...
"Was
machst du da?" fragte Joe. "Sie atmet doch!"
"Aber
viel zu schwach, Joe. Sie braucht mehr Sauerstoff." Ich konnte sehen, dass
ihre Haut ganz weiß war und ihre Lippen blau. Rasch prüfte ich ihre Nägel. Sie
waren ok, aber sie brauchte so schnell wie möglich mehr Sauerstoff. Ich blies
fünfmal Luft in ihre Lungen. Ihr Brustkorb hob sich bei jedem Male. Als ich
aufhörte, checkte Mulder ihren Puls.
"Er
ist besser."
Ich
überschaute den Park. Wo blieb bloß dieser verdammte Krankenwagen? Vorsichtig hob ich Sams Kopf um mir die Wunde
anzusehen. Ich sah, dass ihr Kopf an der Seite aufgekommen ist. Das Blut floss
immer noch an der Seite ihres Gesichtes entlang.
"Meinst
du nicht, du solltest warten, bis der Krankenwagen hier ist?" fragte Joe.
"Sie
ist Ärztin", schnappte Mulder, "sie weiß, was sie tut."
"Aber
die Sanitäter sind ausgebildet. Ihr medizinisches Fachwissen ist auf dem
neusten Stand. Alles, was Dana in den letzten drei Jahren gemacht hat, war im
Medizinischen Untersuchungszentrum im Ort an Leichen herumschnippeln."
"Ich
weiß, was ich tue", knurrte ich ihn an und sah auf. Mulder fror. Er kniete
neben mir und Sam immer noch in seinen nassen Sachen und zitterte. Seine Zähne klapperten hörbar. "Gib mir
deinen Mantel, Joe", verlangte ich.
Er
zog ihn ohne weiteren Kommentar aus und gab ihn mir. Ich knüllte ihn zusammen
und presste ihn auf die Wunde auf Sams Kopf, um das Blut zu stoppen.
"Warum
wacht sie nicht auf?" Joe fasste unser aller Gedanken in Worte. "Ich
weiß es nicht", antwortete ich und meine Stimme brach. "Ich weiß es
nicht."
Ich
konnte die Sirenen jetzt hören. Ich sah auf und konnte den Krankenwagen näher
kommen sehen. Sobald sie dicht genug waren, hielt er an und zwei Sanitäter
sprangen heraus. "Meine Tochter, sie ist vier Jahre alt, sie ist mit dem
Kopf auf einen Felsen gestoßen", informierte ich sie. Genau so, Dana,
bleib professionell. Bleib ruhig. Werd jetzt nicht schwach.
"Ihr
Puls ist 80 und wir haben sie beatmet und ihre Atmung ist besser
geworden." Ein schneller Blick auf Sam verriet mir, dass der Sauerstoff,
den ich ihr gegeben hatte, geholfen hatte. Ihre Hautfarbe ist besser geworden.
"Sie
hat eine Kopfwunde. Wir haben versucht, das Blut zu stoppen."
"War
sie im Wasser?" fragte mich einer der Sanitäter. Ich nickte. "Das ist
gut. Die Kälte hat bestimmt den Blutfluss verlangsamt." Der andere
Sanitäter funkte bereits zum Krankenhaus und beschrieb ihnen die Situation. Ich
konnte die knackende Antwort hören.
"Cochran
2, Sie können sie direkt in die Intensivstation bringen. Ein Bett steht schon
bereit. Ich wiederhole, bringen Sie sie nicht in den OP, sondern direkt auf die
Intensiv Station."
"Verstanden.
Wir sind in zehn Minuten da." Er wandte sich zu seinem Partner. "Wir
müssen sie an einen Tropf anschließen und sie direkt in den Wagen bringen."
"Bin
schon dabei", sagte der Sanitäter neben mir. Ich zeigte auf die Oberseite
von Sams rechtem Handgelenk.
"Sie
hat hier oben eine Vene." Und mir wurde mit einem Schlag klar, dass ich
absichtlich die 'guten' Venen im Körper meiner Tochter kannte, falls ihr
irgendetwas passiert.
Der
andere Sanitäter bot Mulder eine Decke an, die er dankbar entgegen nahm und
sich darin einwickelte. "Der Tropf ist drin", rief der
Sanitäter. "Bringen wir sie
rein." Er hob sie auf die Trage und fing an, sie in den Wagen zu schieben.
"Wer von Ihnen sind die Eltern? Sie können mit uns fahren."
"Das
sind wir", antwortete Joe und ich sah zu Mulder. Er war sichtlich
verletzt.
"Warum
fährst du nicht mit ihnen und ich fahre mit Mulder", sagte ich zu Joe. Er
war überrascht, aber einverstanden.
"Wir
fahren euch nach", sagte Mulder.
"Falls
Sie nicht mithalten können, wir fahren ins Stamford Krankenhaus", riefen
uns die Sanitäter zu. Ich nickte. Ich wusste, wie man da hin kam. Mulder und ich liefen zum Auto.
Als
wir das Auto erreicht hatten, ging ich zur Beifahrerseite. "Mir ist
kalt", sagte ich leise. Mulder kam herüber auf meine Seite, als ich die
Tür öffnete.
"Scully",
sagte er und griff nach meinem Arm, bevor ich ins Auto steigen konnte.
Ich
drehte mich zu ihm und fiel ihm in die Arme, als ob es die natürlichste Sache
der Welt wäre. Ich konnte seine nassen Sachen unter der Decke fühlen. Ich konnte seinen Herzschlag hören und das
Heben und Senken seiner Brust mit jedem Atemzug fühlen. Ich vergrub mein
Gesicht in seiner Brust. "Danke, Mulder", flüsterte ich und neue
Tränen formten sich in meinen Augen.
"Danke, dass du Sam gerettet hast."
"Du
hast dich auch nicht schlecht geschlagen", erwiderte er und hielt mich
fester. Er küsste mich auf den Kopf und seine Stimme war fast erstickt durch
Emotionen. "Warum wolltest du mit mir fahren?"
"Ich
wollte dir danken, und ich wollte es tun ohne dass Joe es sieht oder
hört."
"Jetzt
ist er ja nicht hier."
"Ich
weiß."
"Warum
bist du gegangen?" fragte er.
"Mulder",
drängte ich, "wir können später darüber reden. Wir müssen ins Krankenhaus."
Er
nickte und beugte sich herunter, um mich zu küssen. Mein Herz schlug schneller.
"Mulder",
flüsterte ich und hielt ihn auf, indem ich ihn mit meiner Hand von mir hielt.
"Was?
Willst du es nicht?"
Ich
konnte ihn nicht anlügen. Natürlich wollte ich es, und er wusste es.
"Ich
habe Angst", sagte ich. "Es hat sich nichts verändert. Es ist jetzt
alles viel... komplizierter. Sam..." Er nickte. Er schob meinen Arm
beiseite und küsste mich sanft und langsam und hörte viel zu schnell auf. Es
war die Art von Kuss, die mir wortwörtlich den Atem raubte. In dem Kuss war
Wärme und Zärtlichkeit und Liebe. So viel, dass ich mich geliebt und umsorgt
und völlig überwältigt fühlte. "Wir müssen zum Krankenhaus."
"Zeig
mir den Weg und wir sind im Handumdrehen da."
Mulder:
Wir
kamen am Krankenhaus an, nachdem wir nicht mehr als fünf Worte im Auto
gewechselt hatten. Es hat etwa fünfzehn Minuten gedauert. Ich konnte immer noch
ihre Lippen auf meinen fühlen und fasste einen Entschluss, als wir auf den
Parkplatz fuhren. Egal, was passierte, egal, was es kostete, Scully und ich
würden wieder zusammen sein. In den letzten anderthalb Tagen habe ich erkannt,
dass egal, wie sehr sie mir wehgetan hat, es tat mir mehr weh, ohne sie leben
zu müssen. Ich hatte fünf Jahre in schmerzvoller Einsamkeit verbracht, das war
es nicht wert. Ich wusste, dass ich so nicht weiter machen konnte.
Wir
stiegen aus, betraten das Krankenhaus und fragten nach der Intensivstation. Wir
gingen hinein und fanden Joe im Wartezimmer.
"Wo
ist Sam?" fragte Scully sofort und ging zu ihm.
"Drinnen.
Sie machen eine Computertomographie mit ihr um die Ausmaßen der Kopfverletzung
zu bestimmen." Seine Stimme war kalt. Es war offensichtlich, dass er
Scully die Schuld an dem Unfall gab. Es machte mich rasend, aber ich sagte
nichts. "Sie ist in kritischer Verfassung", fügte er hinzu und
streute somit Salz in die Wunde. Scullys Gesicht sank in sich zusammen.
"Es tut mir leid", flüsterte sie mit tränenerfüllten Augen.
"Unsere
Tochter könnte sterben", fauchte er wütend und betonte das 'unsere', weil
ich daneben stand. "Und es tut dir Leid, Dana? Das ist alles, was dir
einfällt?"
"Es
war ein Unfall", sagte ich kalt. "Es ist nicht ihre Schuld."
"Sie
hat Sam da rausgebracht. Wie kann es nicht ihre Schuld sein?"
"Sie
ist meine Tochter, Joe."
"Verdammt
noch mal, ich habe sie großgezogen. Ich liebe sie. Sie wissen überhaupt nichts
über sie."
"Ich
weiß, dass sie meine Tochter ist. Das sie aus Liebe gezeugt wurde. Die Liebe,
die Scully und ich hatten."
Scully
bekam Angst. "Mulder, jetzt nicht—"
"Doch,
jetzt. Sie ist meine Tochter, Scully. Unsere Tochter. Diese Tatsache hat sich
nie geändert."
Keiner
von uns dreien sagte mehr etwas und wir setzten uns auf die unbequemen
Plastikstühle, weit voneinander entfernt. "Warum haben sie uns noch nicht
gesagt, wie es um sie steht?" fragte Scully einige Zeit später leise und
ängstlich.
"Sie
haben gesagt, dass sie herauskommen, sobald sie uns etwas sagen können",
antwortete Joe.
Eine
Stunde verstrich.
Ein
Arzt mit Handschuhen und einem Namensschild, das ihn als Dr. Young
identifizierte, erschien aus der Intensivstation. "Sind Sie Samantha
Harmons Eltern?" fragte er und schaute uns alle an, weil er sich nicht
sicher war, ob Joe oder ich der Vater war. Wir nickten alle drei. Der Arzt trat
näher und fuhr fort. "Ich bin Dr. Young, der Stationsarzt. Ihr Zustand ist
jetzt stabil, aber sie hat ein schweres Trauma. Sie liegt im Koma. Wir machen
gerade eine Computertomographie, um es zu bestätigen, aber die Untersuchungen
bisher lassen vermuten, dass es einen starken Druck auf ihr Gehirn gibt."
Scully
drohte umzukippen und Joe und ich waren an ihrer Seite. Jeder hielt einen Arm,
um sie zu stützen.
"Bis
die Ergebnisse der Tomographie da sind, haben wir einige Möglichkeiten. Wir
können operieren, um den Druck auf ihr Gehirn zu lindern. Ich habe schon nach einem Neurochirurgen
rufen lassen, damit er sie sich ansieht. Doch die Operation ist sehr riskant.
Der Neurochirurg glaubt, dass das Ergebnis der Operation es nicht wert
ist."
"Was
nicht wert ist?" fragte Joe.
"Nicht
den Versuch wert, ihr Leben zu retten. Ich glaube nicht, dass sie die Operation
überleben wird. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie lange sie noch durchhalten
wird. Ich vermute eine große Menge Blut in ihrem Gehirn. Zu viel Blut. Das,
zusammen mit dem inneren Druck, der stetig ansteigt, schnürt die
Sauerstoffversorgung auf ihr Gehirn ab. Ich weiß, sie ist jung und ansonsten
gesund, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand so eine Verletzung überleben
könnte. Technisch gesehen glaube ich, dass sie bereits seit dem Aufprall
hirntot gewesen ist. Sie hat keinerlei Schmerzen. Das EEG hat keinerlei
Gehirnaktivitäten angezeigt. Wir behalten sie an den lebenserhaltenden
Maschinen, um in zwölf Stunden noch ein EEG durchzuführen, um sicher zu gehen.
Das ist die übliche Vorgehensweise."
"Sie
ist hirntot?" fragte Joe ungläubig. Dr. Young nickte.
"Oh,
Gott", flüsterte Scully. Ihre Augenlieder flatterten und sie versuchte,
aufrecht stehen zu bleiben. Ich legte einen Arm stützend um ihre Hüfte. Joe
merkte es nicht einmal. Sein Gesicht war eine einzige Maske von Schmerzen.
"Wie
gesagt, wir warten auf die Ergebnisse. Aber wenn sie meine Vermutung
bestätigen, hat sie nicht mehr viel Zeit. Sie können jetzt hinein und sie
sehen, wenn Sie möchten." Joe und ich nickten. Scully hatte alle Mühe
stehenzubleiben. "Es tut mir sehr leid."
Dr.
Young ging wieder zurück auf Station. Tränen strömten über Scullys Gesicht, als
sie leise anfing zu weinen. "Möchtest du reingehen?" fragte ich sie
und sie nickte.
"Mein
Baby", brach sie heraus. Unerträglicher Schmerz stach mir in die Brust.
Meine Tochter. Joes Worte echoten in meinen Ohren. Sie wissen überhaupt nichts
über sie. Und jetzt, dachte ich, werde ich auch nie etwas über sie erfahren.
Das Bild von Sams Schlafzimmer schoss mir durch den Kopf.
Wie
sie vor Scullys Haus stand. Am Esstisch. Wie sie aus dem Auto gesprungen ist.
Das waren die einzigen Erinnerungen, die ich je an sie haben würde.
"Lasst
uns rein gehen", sagte Joe mit sanfterer Stimme. "Wir sollten sie
alle sehen." Ich versuchte ein dankbares Lächeln, doch Tränen vernebelten
meinen Blick. Er versuchte auch, seine
Tränen zurückzuhalten.
Wir
nahmen Scully in unsere Mitte und betraten das Zimmer, in dem Sam lag. Sie hatte
ein Krankenhaushemd an und war mit einer Thermodecke zugedeckt. Überall waren
Schläuche, Drähte und Maschinen. Ein Schlauch steckte in ihrer Nase, ein
anderer war an ihre Lippen geklebt und führte ihren Hals herunter. Die Monitore
zeigten ihren Herzschlag und ihre Gehirnwellen an.
Zahlreiche
Tropfe steckten in ihren Venen, dessen Schläuche
hinauf zu den Behältern führten, die über ihrem Bett hingen. Die Herzmaschine
piepte gleichmäßig. Ihre kleine Brust hob und senkte sich rhythmisch, als die
Luft mechanisch in ihre Lungen gepumpt wurde. Ihr Kopf war bandagiert, aber ich
konnte Strähnen kastanienbraunes Haar sehen. Und ihre Augen waren friedlich
geschlossen.
Als
Scully das alles sah, gaben ihre Knie nach und Joe und ich hielten sie fest.
Sie schluchzte nun ganz offen, genau wie Joe.
Panik
ergriff mich. Ich konnte mich genau daran erinnern, wie ich Scully damals auf
der Intensivstation in genau demselben Zustand gesehen hatte und jetzt, wo Sam
hier so lag, war es sogar noch schlimmer. Es betäubte mein Gehirn und meinen
Körper, so dass ich nicht mehr fühlen konnte, dass ich Scully festhielt.
Tränen
strömten über mein Gesicht für dieses Kind. Das Kind, das meine Tochter war,
meine und Scullys, das schon so gut wie tot war. Es waren Tränen für Sam und es
waren Tränen, die ich damals an Scullys Bett nicht vergießen konnte.
Mrs.
Scully:
Als
ich herausgefunden hatte, was passiert war und in Connecticut ankam, nahm ich
ein Taxi und fuhr direkt zum Krankenhaus. Ich ging hoch zur Intensivstation und
wurde hineingelassen. In Sams kleinem Zimmer standen Dana, Fox und Joe an ihrem
Bett. Jemand hat Dana mit einer Decke zugedeckt und sie schlief. Joe nickte mir
grüßend zu und ich nickte zurück.
Ich
sah mein Enkelkind auf dem Bett an all diese Maschinen angeschlossen und
schluckte hart. Fox schaute auf, als ich das Zimmer betrat und wir sahen uns
an. Wir wussten beide, was der andere dachte. Es war genauso, wie Dana damals
dem Tode nahe auf dem Krankenhausbett gelegen hatte.
Fox
stand leise von seinem Stuhl auf und schob mich sanft wieder hinaus auf den
Gang. "In ein paar Stunden werden sie noch ein EEG machen... aber sie ist
hirntot. Sie ist an lebenserhaltende Maschinen angeschlossen."
"Oh,
Fox", sagte ich, mein Herz schwer vor Kummer. "Sie ist noch so
jung."
Er
nickte. Auf seinen Wangen waren immer noch Spuren von Tränen und seine Augen
waren geschwollen. "Dana nimmt es nicht gut auf. Der Arzt hat ihr ein
mildes Beruhigungsmittel gegeben, damit sie etwas schlafen kann. Er sagte, sie
sollte nicht 12 Stunden lang hier sitzen und alles mit ansehen."
Ich
nickte. Meine arme Tochter. Sie hat schon so vieles durchstehen müssen und
jetzt das. Ich konnte es mir nicht annähernd vorstellen, was das alles für sie
bedeutete. "Ich würde gerne bleiben, Fox", sagte ich mit einem Kloß
im Hals.
"Ich
habe bereits einen Stuhl für Sie bereit stellen lassen", sagte er, als ob
er gewusst hatte, dass ich im Zimmer bleiben wollte.
"Danke."
Fortsetzung
in Teil 9/10
Nach All Den
Jahren 9/10
von Leyla
Scully:
Als
ich aufwachte, versuchte ich mich daran zu erinnern, wo ich war. Ich war
benommen von dem Beruhigungsmittel und rieb meine Augen. Meine Decke glitt auf
den Boden. Joe beugte sich hinunter, hob sie auf und deckte mich wieder zu. Ich
lächelte ihn dankbar an. Ich sah zu Sam. Sie sah genau aus wie vorher.
Friedlich. Als ob sie überhaupt keine Schmerzen hätte.
Mulder
saß rechts neben mir und neben ihm meine Mutter. Ich stand auf und sie kam zu
mir und umarmte mich. "Ich bin so froh, dass du hier bist", flüsterte
ich in ihren Nacken. Sie hielt mich ganz fest.
"Ich
weiß, Dana, ich weiß."
Ich
ließ sie los und ging zurück zu meinem Stuhl und setzte mich. Ich fühlte mich
überraschend ruhig. "Ich habe geträumt", sagte ich zu allen
Anwesenden, "dass ich mit Sam im Park war. Sie war auf der Schaukel und
ich gab ihr Schwung. 'Höher, Mami', hat sie gesagt und ich gab ihr mehr
Schwung, aber nicht zu viel. Ich wollte nicht, dass sie herunterfällt und sich
weh tut, aber sie schien sich gut an den Seilen festhalten zu können. 'Bitte, Mami, noch höher. Ich möchte so nah
zum Himmel wie möglich.' Ich schwang sie höher und fester und ich konnte ihr
Lachen hören. Sie war so glücklich..." Ich hielt inne für einige Momente
und wischte ein paar Tränen von meinen Wangen. "Und ich schwang sie höher.
'Mehr, Mami, bis ganz in den Himmel', rief sie und ich drückte sie einmal ganz
fest und Sam und die Schaukel verschwanden plötzlich. Der Himmel war strahlend
blau und ich schaute auf. Es war nicht ein Wölkchen am Himmel. Sie war weg und
trotzdem konnte ich ihr Kichern hören. Sie klang so glücklich. 'Ich bin im
Himmel, Mami, und du wirst es nicht glauben, aber es ist wunderschön!' sagte
sie."
Ich
sah mich im Zimmer um. Mulder saß mit gesenktem Kopf und weinte. Joe schniefte
und meine Mutter rieb sich die Augen.
Der
Arzt kam herein. "Hallo zusammen", sagte er leise mit beruhigender
Stimme. "Wir fangen jetzt mit dem zweiten EEG an und sehen, was
passiert."
Wir
standen alle auf und stellten uns im Halbkreis um Sams Bett. Joe an einer Seite
von mir, Mulder auf der anderen und meine Mutter neben Mulder. Joe legte seinen Arm um mich. Mulder nahm
meine Hand und meine Mutter hielt seine andere Hand. Ein weiterer Arzt und eine
Schwester betraten ebenfalls das Zimmer. Die Schwester hielt Sams
Krankenbericht und einen Stift in der Hand. Ich wusste mit einer traurigen
Sicherheit, was bevorstand.
Der
Arzt schaltete einen Knopf an dem EEG-Gerät ein, an das Sam bereits angeschlossen
war. Das Papier lief durch die Maschine und die Nadeln sprangen, als die
Maschine eingeschaltet wurde. Doch dann zeichneten sie nichts weiter als eine
gerade Linie auf. Es war beklemmend still im Raum.
Sogar
das Piepen der Maschinen schien leiser. Wir alle starrten auf die Nadeln auf
dem Papier, wartend, hoffend, die Nadeln sogar gedanklich zwingend, irgendeine
Form von Kurve auf das Papier zu zeichnen. Irgendetwas, das zeigen würde, dass
es elektrische Aktivitäten in Sams Gehirn gab.
Nichts.
Die
Nadeln zeichneten eine lange gerade Linie auf das Blatt. Keine elektrischen
Aktivitäten in ihrem Gehirn.
Wir
alle standen still, sogar die Ärzte und die Schwester, und sagten gute fünf
Minuten lang nichts.
Dr.
Young räusperte sich und blickte mich an. "Es gibt keine
Gehirnwellen", bestätigte er mir.
Ich
wusste, was er von mir hören wollte. Ich wusste, was ich tun musste. Ich musste
ihm die Erlaubnis geben, Sam gehen zu lassen. Ich sagte nichts für eine ganze
Minute. Dann: "Sie können die Maschinen ausschalten", sagte ich
leise. "Schalten Sie alles aus."
"Samantha
Melissa Harmon wird nach 1737 Stunden am 11. Februar 2001 für tot
erklärt", wandte er sich zu der Schwester. Sie schrieb es in den
Krankenbericht und ließ ihn dann sinken.
"Ich
weiß, es ist für Sie alle sehr schwer, aber ziehen Sie Samantha als
Organspenderin in Betracht?" fragte Dr. Young.
Ich
nickte sofort. Das war etwas, das ich definitiv befürwortete und ich zögerte
nicht eine Sekunde mit meiner Entscheidung. "Sie können alles entnehmen,
was in irgend einer Weise von Nutzen sein kann", wandte ich mich an ihn.
"Ich
muss Sie bitten, die Formulare zu unterzeichnen, Mrs. Harmon." Ich nickte
abermals. "Wir lassen die Maschinen an, bis wir wissen, welche Organe
gebraucht werden. Wenn sie noch ein paar Minuten mit ihr haben möchten, gehen
wir raus."
"Ok",
sagte ich. Ich fühlte mich wieder sehr ruhig, obwohl ich wusste, dass mich die
Nachwirkungen später ergreifen würden. Ich musste noch mit so vielem fertig
werden, hatte noch so viele Fragen zu beantworten.
Die
Ärzte und die Schwester verließen das Zimmer. Meine Mutter verabschiedete sich
ebenfalls. Sie trat neben Sam ans Bett und küsste ihre Stirn sanft. "Auf
Wiedersehen, mein kleiner Engel", sagte sie sanft, drückte dann meinen Arm
und verließ mit Tränen in den Augen das Zimmer.
Joe
und Mulder sahen sich an, als ob sie sich nicht entscheiden konnten, wer als
nächstes gehen sollte. Joe trat letztendlich neben ihr Bett. Er berührte Sams
Hand und sah sie an. "Ich weiß, du warst nicht meine eigene Tochter. Aber
ich habe dich wie meine eigene Tochter geliebt. Ich werde dich vermissen,
Sam." Bei seinen Worten stiegen abermals Tränen in mir auf und ich hatte
Mühe, sie zurück zu halten. Er trat von Bett weg und sah mich an. "Ich warte
draußen." Seine Augen waren ebenfalls mit Tränen gefüllt. Er ging aus dem
Raum und ließ Mulder und mich allein mit unserer Tochter.
"Als
sie geboren wurde", begann ich sehr leise, aber laut genug, dass Mulder
mich verstehen konnte, "habe ich Joe nicht in das Geburtenzimmer gelassen.
Nur meine Mutter. Sobald sie aus mir heraus war und die Ärzte mir bestätigten,
sie sei gesund und es ginge ihr gut, nahmen sie sie an sich und säuberten sie.
Als sie das taten kam meine Mutter zu mir und umarmte mich so gut es auf dem Bett ging. Dann
brachten sie Sam zu mir und legten sie in meine Arme." Mulder nahm wieder
meine Hand. "Du brauchst mir das alles nicht erzählen, Scully."
"Doch,
Mulder, ich möchte es dir erzählen. Ich möchte, dass du es hörst." Er
schloss die Augen und ließ es sinken. Dann öffnete er sie wieder und nickte mir
zu. Ich fuhr fort. "Ich habe auf sie hinunter geschaut. Sie war dieses
perfekte, kleine Baby und sie gehörte mir. Mir und dir. Sie war etwas, das wir
beide geschaffen hatten. Und so glücklich ich auch war, so viel Freude ich auch
empfand, ich fühlte eine unglaubliche Traurigkeit, dass du nicht da warst, um
mit anzusehen, wie sie geboren wird. Ich war kurz davor, dich anzurufen und dir
alles zu erzählen. Für eine Sekunde habe ich gedacht, dass alles wieder gut
sein würde und ich wieder zurück nach DC könnte..." Ich rieb meine Augen
bei diesen Erinnerungen. "Aber ich habe es nicht getan. Ich konnte es
nicht tun. Und dann, Mulder, schlug sie die Augen auf. Sam öffnete ihre Augen
und sah zu mir und meiner Mutter auf. Weißt du, was Mom da zu mir gesagt
hat?"
"Nein",
sagte Mulder mit erstickter Stimme.
"Sie
sagte, 'Sie hat Fox' Augen, Dana. Sieh nur.' Und sie hatte recht. Sam hatte
deine Augen. Genau dieselbe Farbe, genau dieselbe Form... es kam mir fast vor,
als würde ich dich ansehen." Mulder drückte meine Hand. "In diesem
Moment, Mulder, wusste ich, dass ich von nun an einen Teil von dir immer bei
mir hatte. Wir waren getrennt und wir würden uns wahrscheinlich nie mehr
wiedersehen, aber ich wusste, dass ich Sam ansehen konnte und einen Teil von
dir in ihr sehen konnte."
Meine
Tränen rollten nun ungehindert über meine Wangen. Mulder umarmte mich für eine
Weile und ließ mich weinen. Ich fühlte, wie sein Körper von seiner eigenen
Traurigkeit geschüttelt wurde. Dann ließ er mich los und trat ans Bett.
Ich
sah, dass er weinte. Er beugte sich zu Sam hinunter und küsste ihre Stirn genau
wie meine Mutter es getan hatte. Er berührte ihre Hand und strich zärtlich über
ihr Gesicht. Er murmelte Worte, die ich nicht verstehen konnte, Worte, die
nicht für mich bestimmt waren. Dann trat er zurück, schenkte mir ein Lächeln
und ließ mich mit unserer Tochter allein.
Ich
setzte mich wieder auf den Stuhl am Fußende des Bettes. "Du warst immer
mein Lebensinhalt. Meine Schulter zum Anlehnen." Ich blickte auf ihren
Körper unter all den Maschinen, die ihr Herz am Schlagen hielten und Luft in
ihre Lungen pumpten. Es war falsch, sie so zu sehen, sich so in Zukunft an sie
zu erinnern. Ich wollte nicht zurückschauen und mich so an sie erinnern. Ich
stand auf und verließ das Zimmer.
Mulder:
Die
nächsten drei Tage vergingen wie in Trance. Ich checkte in ein Hotel in
Greenwich ein. Eigentlich wollte ich in irgend ein billiges Motel einchecken,
aber davon gab es nur sehr wenige in der Gegend von Fairfield County. Scully
wollte nicht wieder zurück zu ihrem Haus. Joe hatte ohne zu argumentieren
Scully, ihrer Mutter und mir Zimmer im wunderschönen Hyatt Hotel von Greenwich
gebucht. Ich nahm an, dass Joe selbst wieder im Haus wohnte. Ich konnte mir gut
vorstellen, wie das Hotel im Frühling wohl aussehen mochte, mit gepflegten
Gärten und Blumen überall. Trotz dem Protest ihrer Mutter nahm Scully sich ein
eigenes Zimmer, ein Stockwerk unter meinem. Das Zimmer ihrer Mutter war genau
neben ihrem. Scully isolierte sich völlig von uns allen. Mrs. Scully und ich
aßen zusammen im Restaurant unten, ohne sie. Sie bestellte den Zimmerservice.
Ich
musste beim FBI anrufen und meine Abwesenheit erklären. Ich sprach nur mit
Skinner und hoffte und betete, dass er es verstand.
"Agent
Mulder. Sie sollten schon vor drei Tagen zurück in DC sein. Wo zum Teufel
stecken Sie?"
"Sir,
es ist etwas dazwischen gekommen", begann ich. "Ich bin in
"
"Ich
bin bei Scully", antwortete ich. Ihr Name ist Jahre lang nicht mehr in
den Gesprächen zwischen ihm und mir
gefallen.
Stille.
"Ich habe gedacht, Sie wüssten nicht, wo sie sich aufhält, Mulder."
Er
hat mich die letzten Jahre offensichtlich genauer überwacht, als ich angenommen
hatte. Ich hielt inne. Ich wusste nicht, was ich sagen
und was ich lieber für mich behalten sollte. Es schien äußerst unlogisch, ihm
jetzt die Wahrheit zu erzählen. "Sir, es ist eine lange Geschichte. Aber
ich bin hier beim Begräbnis von Scullys Tochter."
Ich
konnte hören, wie er tief durchatmete. "Bitte richten Sie ihr mein Beileid
aus", sagte er und ich wusste, dass er es ehrlich meinte.
"Das
werde ich."
"Agent
Mulder. Es gibt da offensichtlich etwas, das ich wissen sollte."
Die
Wahrheit, dachte ich. "Sir, das Kind... es ist ebenso meines." Ich
konnte es ihm genauso gut sagen. Es gab keinen Grund, warum ich es nicht tun
könnte.
Wieder
Stille. "Ich dachte, Sie und Scully haben sich schon Jahre nicht mehr
gesehen."
"Haben
wir auch nicht, Sir." Und dann erzählte ich ihm ohne Umschweife die ganze
Geschichte. Wie Scully und ich zusammengekommen sind, dass sie schwanger
geworden ist, die Stadt verlassen hat, das Baby bekommen hat, geheiratet hat,
einfach alles. Ich erzählte ihm, wie ich sie zufällig gefunden hatte. Ich
erzählte ihm die Kurzversion der Ereignisse.
Skinner
unterbrach mich nicht ein einziges Mal, während ich erzählte. Als ich an der
Stelle angelangt war, an der Sam starb, hatte ich die größte Mühe, nicht wieder
zu weinen. Letztendlich fasste ich alles zusammen und schwieg. Ich war zu
erschöpft, um noch mehr zu sagen. "Agent Mulder", sagte er, räusperte
sich und sprach dann leiser in den Hörer, "bleiben sie dort so lange es
nötig ist. Ich kümmere mich hier um alles."
"Ich
danke Ihnen, Sir." Meine Hände haben die ganze Zeit gezittert, während ich
mit ihm sprach, weil ich annahm, dass ich zu hören bekommen würde, dass ich mir
gar nicht erst die Mühe machen sollte, zurück zu kommen. "Sir, ich weiß,
dass das, was Scully und ich getan haben, gegen alle Regel ist—"
"Agent
Mulder, Scully ist nicht mehr beim FBI. Was zwischen Ihnen passiert oder nicht
passiert ist, geht das FBI nichts an. Verstehen Sie mich?"
Es
rührte mich, dass er gewillt war, unsere Privatsphäre das sein zu lassen, was
es ist - eine private Angelegenheit. "Ja", antwortete ich ein wenig
schief, "ich verstehe."
"Rufen
Sie mich an, wenn Sie wieder in DC sind. Und, Mulder, bitte sagen Sie Scully,
dass es mir ihr Verlust sehr Leid tut. Ihr Verlust tut mir ebenfalls Leid,
Mulder." Er klang so ehrlich, dass ich es kaum glauben konnte.
Jeden
Abend vor dem Zubettgehen rief ich Scully an, um sicher zu gehen, dass es ihr
gut ging. "Hi, ich bin's", sagte ich am Telefon eines Abends. Der Abend vor dem Begräbnis. Ich wusste, dass
Scully zurück zu ihrem Haus gegangen war, um Sachen für Sam zu holen, die sie
im Sarg tragen sollte, obwohl ich sie nicht gesehen hatte. Was für eine
grausame Aufgabe, dachte ich. Ich hatte sie nicht gesehen, seit wir in das
Hotel eingecheckt hatten.
"Hi",
antwortete sie. Sie klang erschöpft.
"Wie
geht es dir?" Toll, Mulder, dachte ich. Ihr geht es wahrscheinlich genauso
wie dir. Sie ist wahrscheinlich am Ende.
"Ich
bin müde." Sie klang schwach und sehr weit weg, viel weiter als über die
eine Etage, die uns eigentlich nur trennte. "Ich habe ausgesucht, was sie
tragen wird."
Scully
nannte nicht Sams Namen, als wir am Telefon sprachen. "Was hast du
ausgesucht?"
"Ein
grünes Kleid, das sie an Weihnachten getragen hat. Grüner Samt mit weißer
Spitze. Sie sah wunderschön aus an Weihnachten."
"Das
bin ich mir ganz sicher", sagte ich und mein Herz brach. Ich wünschte, ich
hätte sie sehen können. Mrs. Scully hat mir die Bilder gezeigt, die sie immer
in ihrem Portemonnaie bei sich hatte. Eines mit Scully und Joe und Sam vor dem
Haus. Eines von Sam, das offensichtlich professionell beim Fotografen gemacht
wurde. Sie trug einen blau-weißen Overall und lächelte in die Kamera. Sie sah
genauso aus wie ihre Mutter auf dem Bild.
"Mulder?"
fragte Scully.
"Ja?"
"Könntest
du hier rüber kommen?" fragte sie. "In mein Zimmer? Ich möchte mit
dir reden - aber nicht so, nicht am Telefon."
"Ich
bin gleich da", sagte ich und sprang vom Bett. "Ich bin schon
unterwegs."
Ich
flog die Treppen hinunter und klopfte an ihre Tür. Sie öffnete. Sie hatte Jeans
und ein altes Flanellhemd an. Eines, das sie bei einem unserer Fälle angehabt
hatte. Es muss der Fall gewesen sein, als wir in den Bergen waren oder in der
Arktis. Ich wusste es nicht mehr genau, aber das Hemd kam mir sehr bekannt vor.
Sie hatte ihre Haare zusammen gebunden und ihr Gesicht war frei von MakeUp. Nicht, dass sie es überhaupt brauchen würde. Scully war eine der Frauen, die von anderen
Frauen beneidet wurden, weil sie von Natur aus wunderschön waren. Scully war
wunderschön. Wie sie so in der Türe stand, so müde und traurig sie auch
aussehen mochte, sie sah genauso phantastisch aus, wie ich es immer in
Erinnerung hatte. Ich erinnerte mich daran, wie sie in Socken und einem von
meinen Hemden durch meine Wohnung lief und uns Frühstück machte...
"Komm
rein", sagte sie und ich betrat den Raum. Das Zimmer war tadellos, aber
was hatte ich anderes erwartet? Scully war schon immer ordnungsliebend. Auf
einem der Betten stand ein großer Pappkarton. Sie winkte mich zu ihm. "Ich
habe einige Fotoalben und einige ihrer Sachen mitgenommen, als ich im Haus war.
Ich möchte, dass du einiges davon bekommst. So kannst du sehen, wie sie gewesen
ist."
Sie
setzte sich auf das andere Bett und ich setzte mich neben sie. "Ich habe
überlegt, was ich jetzt machen soll. Mit meinem Leben, meine ich." Ich
nickte. "Ich habe mit Joe geredet und wir halten es für das Beste, wenn
wir uns scheiden lassen."
Ich
versuchte, mein Gesicht nicht den Ausdruck der Freude annehmen zu lassen, die
ich bei diesen Worten empfand. Ich wusste, dass es qualvoll für sie gewesen
sein mussten. "Was wirst du tun?"
"Ich
weiß es nicht", seufzte sie. "Meine Mutter möchte, dass ich wieder
zurück in die Gegend von Washington ziehe, zu ihr womöglich."
"Was
ist mit mir?" fragte ich und biss mir auf die Zunge. Ich konnte mir nicht
helfen, es kam einfach aus mir heraus.
Sie
antwortete für eine Weile nicht. "Du und ich sind weit von einer normalen
Beziehung entfernt, Mulder." Ich wusste, dass sie damit Recht hatte. Aber
ich war bereit, zehn Runden durchzustehen, wenn sie es auch war. "Ich rede
mir ein, dass ich weg möchte, weit weg von dir." Ich wollte fragen warum,
doch hielt es zurück. Sie ist in den letzten fünf Jahren vor mir davon
gelaufen, physisch und emotional. Es muss für sie jetzt förmlich Routine sein.
"Aber ich habe etwas erkannt", fügte sie hinzu. "Ich kann nicht
vor dir davon laufen. Du findest mich jedes Mal." Sie schenkte mir ein
zögerndes Lächeln.
Ich
nahm ihre Hand. "Scully, ich würde alles tun, damit alles zwischen uns
richtig ist. Ich weiß, dass wir an vielen Dingen arbeiten müssen. Aber ich
möchte daran arbeiten."
"Ich
habe es ehrlich gemeint, als ich sagte, dass ich nie aufgehört habe, dich zu
lieben."
Plötzlich
fiel mir etwas ein. Bei unserer ersten richtigen Verabredung hatten wir uns
einen Film ausgeliehen. Die Brücken von Madison County. Ich konnte fast die
Kommentare und blöden Bemerkungen der Einsamen Schützen hören, wenn sie jemals
erfahren würden, dass ich ihn ausgeliehen hatte. Aber ich hatte ihn ganz zu
meiner Überraschung gemocht. Und als Scully am Ende des Films in Tränen
aufgelöst auf meiner Couch gesessen hatte, habe ich sie in meine Arme genommen.
Sie kuschelte sich an mich, als ob sie schon immer dort hingehören würde. Viel
zu lange, dachte ich, wir haben viel zu lange gewartet. Ich lehnte mich zu ihr
und flüsterte ihr ins Ohr. "Ich liebe dich, Scully." Mein Herz hatte
vor Nervosität gerast.
"Wie
bist du dir da so sicher?" hatte sie gefragt, ihr mit Tränen verschmiertes
Gesicht in meinem Hemd vergraben.
"Weil",
hatte ich ihr geantwortet und zitierte kühn eine Zeile aus dem Film, den wir
gerade gesehen hatten, "man sich nur bei einem Mal im Leben so sicher sein
kann."
Sie
hatte ihren Kopf gehoben, ihre Augen noch feucht. Ich werde ihren Anblick in
diesem Moment nie vergessen. Sie war wunderschön. Sie strahlte. "Oh, Mulder", seufzte sie und sagte
nach einem Moment. "Ich liebe dich auch, weißt du."
Und
dann haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Wir haben uns beide gleichzeitig
aufeinander zubewegt und unsere Lippen trafen sich. Vorsichtig und weich. Wir
hatten uns Zeit gelassen. Wir hatten schon eher am Abend den Entschluss
gefasst, dass was immer auch passiert, passiert einfach. Uns waren die Regeln
des FBI egal. Wir wollten unsere Gefühle nicht länger unterdrücken. Wir sind
uns an dem Abend darüber einig geworden, dass wir eine Chance haben wollten, um
zu sehen, ob wir auch ein Paar sein konnten, und nicht bloß Partner. Innerlich
haben wir immer gewusst, dass es das war, was wir immer gewollt haben, FBI
Regeln hin oder her.
Und
jetzt saßen wir auf diesem Hotelbett nach so vielen Jahren voller Schmerz, und
ich dachte an diese eine Zeile aus dem Film. Man kann sich nur bei einem Mal im
Leben so sicher sein. Scully *war* dieses eine Mal. Es gab keine andere für
mich. "Ich liebe dich auch." Ich wusste, meine Antwort kam einige
Minuten zu spät, aber es schien sie nicht zu stören.
"Ich
weiß, woran du gedacht hast", sagte sie.
"Das
bezweifele ich."
"Doch,
ich weiß es. Unser erster Kuss", überraschte sie mich.
"Woher
wusstest du das?" fragte ich perplex.
"Ich
weiß nicht", gestand sie. "Ich nehme an, nach einiger Zeit kennt man
sich eben."
"Sogar
nach all den Jahren?"
"Nach
den letzten paar Tagen, Mulder, kommt es mir so vor, als ob diese fünf Jahre
gar nicht passiert wären. Ich fühle mich dir genauso nahe wie damals."
"Mir
kommt es vor, als ob du ganz weit weg bist. Du hast dich von deiner Mutter und
von mir isoliert."
"Ich
weiß", sagte sie und senkte den Kopf. "Ich bin nur so..."
"Niedergeschlagen",
endete ich für sie. Sie hob ihren Kopf und nickte. "Du warst jeden Tag
ihres Lebens bei ihr. Ich war es nicht und ich fühle genauso." Ich nahm
zuerst eine ihrer Hände in meine, dann beide. Ich legte meine andere Hand auf
ihre und drückte sie sanft. "Nach der Beerdigung möchte ich, dass du
wieder zurück mit mir nach DC kommst."
Sie
nickte. "Das möchte ich auch."
Und
so war der Entschluss gefasst.
Fortsetzung
in Teil 10/10
Nach All Den
Jahren 10/10
von Leyla
Mrs. Scully:
Der
Tag des Begräbnisses war hell und kalt. Niemand bemerkte, dass es der 14.
Februar war. Valentinstag. Was für ein schreckliches Datum für ein Begräbnis.
Es
gab keine Besucher. Nur einige Leute der örtlichen Kirche. Sam sah aus wie ein
kleiner Engel in dem grünen Kleid, das ich ihr einmal zu Weihnachten gekauft
hatte. Dana saß vorne, Joe in der Reihe ihr gegenüber und Fox neben ihr. Ich
war erleichtert, dass sie für diesen wichtigen Tag zusammengefunden hatten.
Nach
der Zeremonie fuhren wir alle zum Friedhof für das Begräbnis. Ich fuhr bei
Dana, Fox und Joe im Auto mit. Es fiel kein Wort während der Fahrt. Keiner von
uns weinte. Wir waren einfach still.
Auf
dem Friedhof versammelten wir uns alle neben der kleinen Grube für den Sarg.
Ich hatte Dana nicht weinen sehen, als sie ihn zuvor an der Kirche geschlossen
hatten. Ihr Gesicht war nun von Mut und Tapferkeit geprägt, obwohl ich merkte,
dass es ihr sehr schwer fiel, diese Fassade beizubehalten. Nachdem der Priester
gesprochen hatte, legte Joe eine einzige weiße Rose auf den Deckel des Sarges,
der bereits über und über mit Blumen bedeckt war. Er trat zu Dana, umarmte sie
für einen Moment und ging.
Fox
trat an das Grab. Seine Augen glänzten von die Tränen, die er zurückhielt. Er
legte eine rote Rose auf Sams Sarg. Ich sah, dass sich seine Lippen bewegten,
aber ich wusste nicht, was er sagte. Er trat zurück, rieb sich seine Augen und
Dana trat ans Grab.
Sie
versuchte verzweifelt, stark zu sein. Oh, meine liebe Tochter, dachte ich. Es
ist in Ordnung, wenn du nicht stark sein kannst.
Sie
legte ihre rote Rose über die, die Fox soeben auf den Sarg gelegt hatte, küsste
ihre Fingerspitzen und presste sie dann zärtlich auf die beiden Rosen auf dem
Sarg. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Sie
stand auf und drehte ihren Rücken zu dem Sarg, der langsam hinunter in die Erde
gelassen wurde, und vergrub ihren Körper an Fox' Seite. Er schlang die Arme um
sie. Ich ging zu ihnen und legte meine Hand auf seine Schulter. Ich hatte keine
Ahnung, was ich zu ihnen sagen sollte. Es war so unglaublich schmerzhaft für
sie beide, in unterschiedlicher und doch in gleicher Weise. Fox umarmte mich
mit seinem freien Arm. Ich umarmte ihn auch.
20.
FEBRUAR 2001
WASHINGTON,
DC
Scully:
Mulder
und ich haben beschlossen, dass ich bei ihm wohne, aber ich machte ihm klar,
dass ich keinerlei Versprechen über irgendetwas machte. Er akzeptierte es. Es war seltsam, wieder in DC zu sein.
Mulders
Haus hatte sich nicht verändert. Wir fuhren mit dem Aufzug hoch und er schloss
seine Wohnung auf, mein Koffer immer noch in seiner Hand. Der Rest meiner
Sachen war noch zusammengepackt in Greenwich, ich wollte sie mir zuschicken
lassen, sobald ich mich entschieden hatte, wo ich wohnen würde. Die Kisten mit
Sams Sachen, die ich Mulder geschenkte hatte, habe ich bereits hierher
geschickt. Sie standen dank UPS vor der Wohnungstür.
"Ich
muss dich aber warnen, es ist etwas durcheinander. Die Putzfrau hat ein
Jahrhundert frei genommen." Es war ihm ein wenig peinlich.
"Ich
habe auch schon vorher ein Durcheinander gesehen, Mulder."
Mulder
stellte meinen Koffer ins Apartment und kümmerte sich dann um die Kisten, als
ich mich zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder in seiner Wohnung umsah. Einige
Möbel standen anders. Überall waren Blätter verstreut, auf dem Boden, auf der
Couch, auf den Tischen. Ich sah in die Küche und sah, wie sich das schmutzige
Geschirr dort stapelte. Kleider lagen ebenfalls auf dem Boden.
Mulder
bemerkte meinen kritischen Blick und wurde rot. "Vielleicht sollte ich
dich doch lieber in ein Hotel bringen."
"Nein,
Mulder", sagte ich. "Ich helfe dich aufräumen. Ich bin sicher, wir
schaffen das im Handumdrehen."
"Ich
weiß nicht, Scully. Es ist schon eine ganze Weile so."
Meine
Augen füllten sich mit Tränen als ich erkannte, dass er so gelebt hatte,
seitdem ich gegangen war. Vor fünf Jahren. Oh, Mulder, dachte ich. Was habe ich dir angetan?
Ich
schaffte es, meine Tränen zu schlucken, bevor er es bemerkte. "Das ist ok.
Wir versuchen es."
Und
wir taten es. In den nächsten zehn Stunden ordnete er seine Akten und legte sie
ab. Ich kümmerte mich um die Küche und das Badezimmer. Ich wischte Staub, er
saugte. Ich borgte seinen Wagen, fuhr einkaufen und füllte seinen Küche mit
Essen, das er wahrscheinlich nicht einmal gesehen hatte, bevor ich gegangen
bin.
Als
wir fertig waren, war es nach ein Uhr in der Nacht und wir beide fielen
erschöpft auf die Couch. Die Wohnung sah fast so aus, wie ich sie das letzte
Mal gesehen hatte. "Ich bin kaputt", sagte er und sah mich an.
"Ich
auch. Hast du Hunger? Ich könnte uns etwas zu Essen machen."
"Nein,
die Spaghetti, die wir um sechs hatten, sind genug. Ich will jetzt nur
schlafen."
Eine
ungemütliche Stille füllte den Raum. Schlafen. Das letzte Mal, als ich hier
war, haben wir zusammen in dem Bett geschlafen, von dem ich nicht gewusst
hatte, dass es existierte. Wir waren die meiste Zeit in meiner Wohnung, als wir
zusammen waren. Aber ich konnte mich ganz deutlich an das letzte Mal erinnern,
als ich hier übernachtet hatte. Ich war zu der Zeit sicher schon mit Sam
schwanger, aber ich wusste es da noch nicht. Wir haben fast die ganze Nacht mit
Reden verbracht, dann haben wir uns geliebt, dann wieder geredet, dann haben
wir uns wieder geliebt... Als wir endlich eingeschlafen waren, war es fast vier
Uhr morgens. Ich sah ihn an. Er dachte offensichtlich auch daran.
"Mulder..."
"Du
kannst das Bett haben. Ich schlafe auf der Couch. Ich habe das Bett jahrelang
nicht mehr benutzt und ich glaube nicht, dass ich mich jetzt daran gewöhnen
könnte", sagte er. Ich nickte. Ich nahm meinen Koffer und trug ihn ins
Schlafzimmer. Mulder folgt mir. "Falls du irgendetwas brauchst—"
"Ich
weiß, wo du bist", beendete ich seinen Satz. Er nickt und ließ mich allein
im Schlafzimmer. Ich überlegte kurz, die Tür hinter ihm zu schließen, doch ich
ließ sie offen. Ich schlüpfte ins Badezimmer und zog ein weißes Nachthemd mit
dünnen Trägern an, das mir bis zu den Knien reichte. Ich war erschöpft vom
Aufräumen und kroch unter die kühle Bettdecke. Nach einigen Minuten war ich
eingeschlafen.
Mulder:
Ich
lag etwa eine Stunde lang auf der Couch, als ich das Rascheln aus dem
Schlafzimmer hörte. Ich konnte nicht schlafen und konnte meine Augen nicht
schließen. Da war sie, in meinem Schlafzimmer, in dem Zimmer, in dem wir uns
vor fünf Jahren geliebt hatten, in genau demselben Bett. Und ich war hier im
Wohnzimmer auf der Couch. Ich stand auf und schlich leise ins Schlafzimmer.
Scully
lag auf der Seite unter der Decke, ihre Augen geschlossen und ihr Atem ruhig
und gleichmäßig. Die Decke reichte ihr bis zur Brust und ich konnte die weißen
Träger auf ihren weichen Schultern sehen. Ihr Haar lag offen auf dem Kissen.
Ich trat näher an sie heran. Ich wollte sie nicht wecken, aber ich wollte sie
berühren.
Sanft
streichelte ich ihre Stirn. "Ich liebe dich", flüsterte ich.
Sie
regte sich und öffnete ihre Augen in der Dunkelheit. Das Licht der
Straßenlampe, das durch die Lücken der Vorhänge hinein schien, war das einzige
Licht im Raum.
Scully:
Ich
habe geträumt, ein blasser Traum von Sam ohne Sinn. Sie rannte irgendwo, ich
war nicht sicher wo, und sie rief mich...
Ich
fühlte seine Berührung leicht wie eine Feder auf meiner Stirn und der Traum
glitt in mein Unterbewusstsein. Ich wachte auf. Ich öffnete meine Augen und sah
Mulder vor mir stehen.
"Hi",
flüsterte er sanft. "Ich wollte dich nicht wecken."
"Das
ist ok", flüsterte sie zurück. Mulder stand da und sagte nichts. Sie
wusste, was er wollte und sie wollte es auch. "Willst du nicht... mit rein
klettern?" fragte sie letztendlich. Toll, dachte sie. Mit rein klettern?
So wollte ich es eigentlich nicht sagen.
Aber
Mulder nickte dankbar und kroch zu ihr unter die Decke. Ihr Körper passte genau
neben seinen, wie schon Jahre zuvor, als ob überhaupt keine Zeit verstrichen
wäre. Er schlang seinen Arm um sie und hielt sie fest, obwohl er nur ihren
Rücken und ihre Gesichtshälfte sehen konnte.
"Scully..."
flüsterte er, "Dana?"
"Mmm?" fragte sie schläfrig.
"Ist
es zu spät, um noch einmal von vorn anzufangen?"
Scully
drehte sich in seinen Armen um, so dass sie ihm gegenüber lag. Nach all der
Zeit lagen sie wieder hier, Stirn an Stirn, Gesicht zu Gesicht. "Nein", flüsterte sie. "Ich
würde gerne."
"Ich
auch."
Und
sie küssten sich. Zögernd zuerst. Ihre Lippen berührten sich sanft und weich.
Mulder ließ seine Hand über Scullys Rücken gleiten. Sie seufzte, flüsterte
seinen Namen und küsste ihn leidenschaftlicher. Er presste seinen Körper näher
an ihren und fühlte, wie sie sich zu ihm lehnte. Sie seufzte abermals und
öffnete ihre Lippen, um ihn hineinzulassen. Mulder fuhr mit der Hand über ihr
weiches Nachthemd und konnte die Wärme ihrer Schultern fühlen, die nicht davon
bedeckt waren. Sie schlang ihre Beine um ihn und er schloss die Augen. Dies war
ein Gefühl, von dem er nicht gedacht hatte, dass er es jemals wieder fühlen
würde. Nach allem, was passiert war, das war es, wo sie beide sein wollten.
Sein mussten. Zusammen.
Sie
würden sich immer an das erinnern, was passiert war. Und sie waren nicht mehr
dieselben Menschen, die sie waren, als sie sich vor so vielen Jahren ineinander
verliebt hatten. Sie waren jetzt älter und weiser.
Aber
sie waren zusammen. Nach all den Jahren, die verstrichen waren, wussten sie
beide mit einer Sicherheit, die man nur einmal im Leben hat, dass sie zusammen
sein wollten. Für immer.
ENDE
Oh,
Mann, hat es wirklich jemand zu Ende gelesen? Wenn Ihr noch da seid, schreibt
mir doch ein paar Zeilen und lasst mich wissen, was Ihr darüber denkt... Danke!
(Anm: der Autorin bitte NUR auf Englisch schreiben - Danke!)