NACH ALL DEN JAHREN

(Originaltitel: After All These Years)

 

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. < hadyoubigtime@netcologne.de >

*** überarbeitet 2017 ***

 

Zusammenfassung: Mulder und Scully haben Jahre lang, das wissen wir alle, ihre Zuneigung zueinander geleugnet. Und in dieser Story, die in einem alternativen Universum spielt, haben sie diese Zuneigung füreinander zugegeben. Einiges in dieser Geschichte wird auch in anderen Geschichten angesprochen, und ich möchte hier betonen, dass ich niemandem in dieser Hinsicht zu nahe zu treten beabsichtige. Ich möchte das Thema hier auf eine etwas andere Art behandeln.

WARNUNG: Mulder und Scully Romance! Und außerdem Tonnen von Mulder und Scully Angst. ZUSÄTZLICHE WARNUNG: Allen Lesern, die sehr sentimental sind, wird geraten, ein Päckchen Taschentücher für diese Story bereit zu halten.  Ein *großes* Päckchen Taschentücher. Ihr seid gewarnt.

Bewertung: R (ab 16 Jahren) wegen einigen Schimpfwörtern, einigen

Anspielungen auf sexuelle Situationen und Erwachsenenthemen, aber keine detaillierten Beschreibungen in irgendeiner Weise. Wir haben hier keinen richtigen Fall, nur pure MSR.

Der größte Teil der Story wird aus der Sicht von verschiedener Personen erzählt, worauf aber jedes Mal durch deren Namen am Anfang hingewiesen wird.  Der erste und letzte Abschnitt steht in der 3. Person. Ich hoffe, niemand kommt durcheinander.

Alle Kommentare, Lob und sonstiges Feedback, bitte zu starbuck72@netaxis.ca    (bitte NUR auf Englisch!!!) Beschwerden, wie "das kann ja nie im Leben passieren, weil..." werden ignoriert. Kommentare darüber, dass ich nicht im Rahmen der Handlungen der Charaktere geblieben bin, werden ebenfalls ignoriert. Ich habe viele Geschichten geschrieben, in denen ich die Charaktere so handeln lasse, wie sie es vielleicht auch in der Serie tun würden, aber diese Geschichte ist anders. Ich bin mir dessen im Klaren, dass es hier einige unglaubhafte Situationen gibt. Ich habe sie aus dem Bauch heraus geschrieben. Vergesst bitte nicht, dass dies hier ein alternatives Universum ist und dass *alles* hier passieren kann.

Dementi (Disclaimer): Ich habe mir die Charaktere der Dana Scully, Fox Mulder und Margaret Scully von Chris Carter, 1013 Productions und Fox Television ohne Erlaubnis ausgeliehen. Alle anderen Charaktere sind Kreationen meiner eigenen Vorstellungskraft. Ich habe außerdem auch eine Zeile aus "Die Brücken von Madison County" ohne Erlaubnis zitiert. Ich bitte, mich nicht zu verklagen.... Ich kann es mir *wirklich* nicht leisten.

Ein spezielles Dankeschön an Lea für's editieren (Ich selber kann es nicht sehr gut).

Also, los...

 

Nach All Den Jahren    1/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

MITTWOCH, 5. JUNI 1996

FBI, WASHINGTON DC

 

Mulder trat in sein Büro. Er hoffte, dass Scully da sein würde. Sie war da. Aber sie sah nicht annähernd so froh aus ihn zu sehen, als er es war.

"Hi", grüßte er, als er die Tür hinter sich schloss. Er sog in sich auf wie sie aussah, wie er es immer tat. Heute trug sie einen engen Blazer mit cremefarbener Bluse darunter. Er sah die elfenbeinfarbenen Strümpfe und wie sie mit übereinander geschlagenen Beinen am Tisch saß. Und die hochhackigen Schuhe, denen er bis vor sechs Wochen keine große Beachtung geschenkt hatte.

Vor sechs Wochen waren sie ein Paar geworden.

"Hi zurück", sagte Scully. Sie blätterte gerade einige Unterlagen durch und schaute auf, als er den Raum betrat, doch wandte sich schnell wieder dem zu, das sie in den Händen hielt.

"Weißt du was?" fragte Mulder.

"Nein, sag es mir, Mulder." Er merkte sofort, dass sie müde klang. Er hoffte, dass das, was er zu sagen hatte, dem abhelfen würde.

"Ich habe gerade den Antrag zurückbekommen, den ich eingereicht hatte. Wir haben den Rest der Woche frei."

Scully sah zu ihm hoch. "Wieso haben wir den Rest der Woche frei?" fragte sie. Sie deutete auf die Akten auf ihrem Schreibtisch. "Wir müssen bis zum Ende der Woche Berichte zu sieben Fällen schreiben. Das ist ein Riesenhaufen Arbeit."

Mulder stellte sich hinter sie und massierte sanft ihren Nacken. "Komm schon, Scully, wir können das am Wochenende machen und sie Montag einreichen. Wir könnten den Rest der Woche miteinander verbringen." Seine Stimme war verführerisch. "Mir fällt bestimmt etwas ein, was wir machen können." Scully befreite sich vorsichtig aus seinen Händen und stand auf.  Sie sah ihm ins Gesicht. "Was ist los?"

"Gar nichts." Scully strich eine Strähne hinter ihr Ohr. "Ich bin bloß kaputt."

"Warum verschwinden wir nicht von hier, holen uns Mittagessen und gehen damit hinüber zu Pool für den Rest des Nachmittags."

Bei seiner Erwähnung von Mittagessen rümpfte Scully die Nase. "Ich habe eigentlich keinen Hunger, Mulder."

Mulder nahm sie in die Arme und küsste sie, doch sie erwiderte den Kuss nicht wie sie es normalerweise tat. "Dana", sagte er leise, "Was ist los? Du bist schon die ganze Woche so."

Scully konnte ihm nicht in die Augen sehen. "Mir wird das alles irgendwie zu viel."

Mulder ließ sie sofort los und trat ein paar Schritte zurück. Er war überrascht. Seit ihrem ersten Mal miteinander waren sie praktisch unzertrennlich. Sie verbrachten jede freie Minute damit sich zu lieben, zu küssen oder sich an romantischen Orten einfach nur anzuschauen. Wenn sie arbeiteten, waren sie immer vorsichtig, dass niemand im FBI bemerkt, was sich zwischen ihnen verändert hat. Mulder gab zu, es ging alles ein bisschen schnell, aber Scully hat ihn nie spüren lassen, dass es ihr etwas ausmacht.

Bis vor zwei Tagen, als sich ihr Benehmen so seltsam verändert hatte. "Bin ich der Grund?"

"Ich weiß es nicht, Mulder. Mir kommt alles nur ein bisschen zu schnell vor." Scully drehte ihr Gesicht ihm zu und bemühte sich, ihre Augen auf den seinen zu halten. Aber sie schien sich sehr sicher zu sein mit dem, was sie sagte. "Wir wissen immer noch nicht, zu was das Ganze führen kann. Ich meine, wir sind jetzt anderthalb Monate zusammen. Wird es die ganze Zeit so bleiben oder findest du, dass wir eine dauerhafte Beziehung eingehen sollten?"

Mulder versteifte sich. "Dauerhaft?" Er wusste, dass er nicht so reagiert sollte, aber der Gedanke, sich völlig an jemanden zu binden, selbst wenn dieser Jemand Scully ist, flößte ihm Angst ein. Es würde heißen, dass er sie verlieren könnte. Und da würde er nie drüber hinweg kommen. Er wusste genau, was sie wollte. Er wollte es auch, aber ihm war nicht wohl dabei. Wenn er es tun würde, würde es heißen, dass wenn er sie verlieren könnte... er hatte sie schon einmal fast verloren. Damals waren sie noch nicht einmal zusammen, und es hat ihn schon so mitgenommen.

"Ich denke, ich komme damit klar, wenn du nichts Permanentes willst." Scullys Stimme zitterte ein wenig, aber Mulder schien es nicht zu bemerken.

"Scully, ich hatte gehofft, dass wir das später bereden könnten, wenn wir nicht im Büro sind."

"Klar", antwortete sie mit, hoffte sie, fester Stimme. "Wir können gerne später darüber reden. Kein Problem."

Mulder seufzte vor Erleichterung. Sie versteht es, dachte er. "Also, wie wär's mit Abendessen, hm?"

Scully setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und mied seine Augen.

"Mulder, im Grunde denke ich, dass wir nicht jeden wachen Moment miteinander verbringen sollten. Das kann nicht sehr gesund sein."

"Und was ist mit jedem schlafenden Moment?" fragte er schelmisch. Scully sah ihn an. "Vielleicht ist es besser, wenn wir uns morgen wiedersehen."

Es war klar, sie wollte Abstand haben. Mulders Grinsen verschwand augenblicklich. "Bist du sicher, Scully?" Etwas stimmte nicht, doch er wusste nicht, was es war.

"Ja, ich bin mir sicher."

Mulder dachte kurz darüber nach. Da gab es etwas, das Scully beunruhigte, und er wollte sie nicht drängen. Er wollte sie nicht noch mehr verärgern, da es offensichtlich war. Dass sie nicht über das sprechen wollte, was ihr so zusetzte. Er konnte trotzdem das Gefühl nicht ignorieren, dass sie eigentlich mit ihm reden sollte. Es war immerhin nicht so, dass sie nur Freunde waren.

"Ich brauche ein wenig Abstand, Mulder", sagte sie und brach somit die Stille. In ihrer Stimme lag Schmerz. Mulder sah ihr ins Gesicht. Sie sah sehr beunruhigt aus.

"OK", antwortete Mulder so ruhig wie er konnte. Er hatte Recht. Irgendetwas stimmte nicht. "OK. Ich werde ihn dir geben. Aber, Scully, ich muss dich eines fragen."

"Was?" fragte sie und sah ihn an.

"Habe ich irgendetwas falsch gemacht oder gesagt?"

Sie richtete ihren Blick auf die Akten auf dem Schreibtisch, schloss ihre Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie öffnete ihre Augen wieder.  "Nein, Mulder. Es ist nichts, was du getan hast." Ihre Stimme war kontrolliert, aber er spürte trotzdem, dass sie etwas von ihm verbarg.

Sie waren beide still. Mulder trat unruhig von einem Bein auf das andere.  Sie sahen sich einen Moment an. Dann räusperte sie sich. "Kannst du das hier für mich zu Ende machen?" Sie stand auf und deutete auf die Unterlagen. "Ich muss für eine Weile hier raus."

"Sicher", nickte Mulder und wünschte sich, er könnte zu ihr gehen und sie in den Arm nehmen. Doch er wusste, dass sie das jetzt nicht wollte. Er fühlte sich distanziert von ihr. Er konnte sich nicht daran erinnern, sich seit sechs Wochen jemals so gefühlt zu haben. Mulder witzelte immer darüber, dass man sein Leben in zwei Teile teilen könnte - bevor und nachdem sie zusammengekommen waren.

Scully nahm ihre Sachen und wandte sich zum Gehen. Mulder drehte sich nicht um, um sie heraus gehen zu sehen. Als sie die Türklinke in der Hand hielt, hielt sie inne. Sie drehte sich wieder zu ihm um. "Mulder."

Er drehte sich immer noch nicht um. "Ja?"

"Ich liebe dich", sagte sie leise. Er wusste auch ohne ihr Gesicht zu sehen, dass sie weinte. Dann hörte er, wie sie die Tür öffnete und sie war weg. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, ihr zu antworten.

 

 

Mulder:

Zwei Tage sind seitdem vergangen. Scully ist den Rest der Woche nicht zur Arbeit gekommen. Ich habe sie einmal angerufen, am Donnerstagnachmittag, aber es war nur ihr Anrufbeantworter dran. Ich bin sicher, meine Nachricht darauf klang ziemlich erbärmlich. Als ich aufgelegt hatte, habe ich mir gewünscht, dass ich die Nachricht wieder löschen könnte.

"Scully, ich weiß nicht, was dich so verärgert hat, aber ich hatte gehofft, dass wir darüber reden könnten. Alles, was ich möchte, ist mit dir reden.  Bitte, Scully."

Sie hatte nicht zurückgerufen.

Ich habe bis Sonntag gewartet und die ganze Zeit mit mir selbst gekämpft.  Sie wird dich schon anrufen, sobald sie dazu bereit ist, redete ich mir ein. Aber ich muss wissen, was hier los ist, verdammt!

Sie kam auch Montag nicht zur Arbeit. Oder Dienstag. Oder Mittwoch. Am Donnerstagvormittag habe ich sie endlich angerufen. Diesmal war ein Band dran. "Es tut uns leid, aber die Nummer, die Sie gewählt haben, existiert nicht mehr. Es gibt keine weiteren Informationen über die Nummer. Dies ist eine Tonbandaufnahme."

Ich knallte den Hörer auf die Gabel. Existiert nicht mehr? Ich konnte förmlich die Angst in meinen Adern spüren. Ist ihr irgendetwas passiert?

Ich griff nach meinem Mantel und fuhr zu ihrer Wohnung. Verdammt, ich hätte nicht so lange warten dürfen. Was wenn... ich stoppte meinen Gedanken. Ich wusste, dass sie Abstand wollte. Aber ich musste wissen, dass es ihr gut ging.

Ihr Auto stand nicht auf der Straße, als ich ihre Einfahrt hinauffuhr. Ich ging in das Gebäude und zu Scullys Apartment. Ich stand für einen Moment nur vor ihrer Tür, doch dann atmete ich tief durch und klopfte.

Die Tür sprang auf durch den Druck meiner Hand. Ich zückte vorsichtshalber meine Waffe. Oh, nein, dachte ich. Scully, wir haben nur so wenig Zeit miteinander gehabt. Bitte Gott, betete ich, lass ihr nichts passiert sein. Ich machte die Türe ganz auf und erschrak.

Die Wohnung war leer. Sie wurde leer geräumt. Alle Möbel waren weg. Ich schaute auch in den anderen Räumen nach. Nichts. Einige Essensreste lagen im Kühlschrank, etwas Limonade und ein wenig Butter, sonst nichts. Auch die Kleiderschränke waren leer und es war kein Telefon angeschlossen. Alle Bilder an den Wänden waren ebenfalls weg. Keine Kleider in den Schränken, nichts im Medizinschrank. Die Wohnung war völlig leer.

Wie benommen wanderte ich durch das Apartment. Ich konnte nicht verstehen, was passiert war. Letztendlich ging ich wieder hinaus zum Auto. Ich wollte Margaret Scully auf dem Handy anrufen, doch bevor ich wählen konnte, klingelte es. Scully, schoss es mir durch den Kopf und hob sofort ab.

"Mulder, hier ist Skinner. Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass Agent Scully gekündigt hat."

Meine Hoffnungen, dass Scully am anderen Ende der Leitung sein würde, verschwanden augenblicklich. "Was?" fragte ich ungläubig. "Sie hat gekündigt?"

"Ich hatte geglaubt, dass Sie es wüssten, doch dann habe ich gesehen, dass die Unterschrift des Zeugen auf der Kündigung nicht die Ihre ist." Skinner sprach ruhig, doch ich ahnte, dass er enttäuscht war. Natürlich ist er ruhig, dachte ich. Er ist ja nicht ich. Er hat keine Ahnung, dass wir zusammen sind. Er ist nicht verliebt in sie wie ich es bin.

"Das... das wusste ich nicht", schaffte ich zu sagen. "Ich bin gerade in ihrer Wohnung und es scheint, als ob sie umgezogen ist. Ihre Sachen sind weg. Hat sie eine neue Adresse auf ihrer Kündigung hinterlassen?"

"Agent Mulder, ich habe gedacht, dass Sie mehr darüber wüssten."

"Nein, Sir", sagte ich. Ich habe gehofft, dass ich einige Antworten von Ihnen bekommen würde, dachte ich im Stillen.

"Keine neue Adresse. Sie schrieb auf das Formular, dass ihre alte Adresse ab gestern ungültig sei." Skinner hielt inne. Ich wollte ihn fragen, ob er sie gesehen hat, ob er mit ihr geredet hat, wie sie auf ihn gewirkt hat. Es musste alles ein Missverständnis sein. "Ich habe am Montag mit ihr telefoniert, nachdem ich ihre Kündigung erhalten hatte. Ich habe sie nach dem Grund ihrer Kündigung gefragt", sagte Skinner mit einer weniger als sonst formellen Stimme. "Sie sagte, dass sie es nicht mit mir besprechen wolle."

Da sind wir schon zwei, dachte ich. Offensichtlich will sie mit mir auch nicht darüber reden. "Danke, Sir."

"Es ist ein großer Verlust für das FBI", sagte Skinner wieder in seinem professionellen Tonfall.

"J-ja", stotterte ich und fühlte plötzlich die aufkommenden Tränen. "Danke, Sir."

Ich legte auf und wählte Margaret Scullys Nummer, als ich den Wagen anließ.

Sie hob beim ersten Klingeln ab. "Hallo?"

"Mrs. Scully, ich bin's, Fox Mulder." Meine Stimme war gepresst. "Ich muss mit Ihnen über Scully reden."

"Ich weiß, Fox", sagte sie. "Ich habe Ihren Anruf schon erwartet. Können Sie vorbeikommen?"

"Ich bin schon unterwegs."

 

 

Fortsetzung in Teil  2/10

 

 

 

 

Nach All Den Jahren  2/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

Margaret Scully:

Ich öffnete die Tür für Fox ungefähr 40 Minuten später. Ich war nicht überrascht gewesen, dass er angerufen hatte. Dana sagte, dass er es bestimmt tun würde. Er sah verbittert, erschöpft und müde aus. Ich wusste auf die Art, wie alle Mütter es tun, dass er geweint hatte. Seine Augenränder waren rot und geschwollen. Aber er versuchte es vor mir zu verbergen.

"Mrs. Scully, bitte sagen Sie mir, wo Scully ist", sprudelte es aus ihm heraus, noch bevor er über die Türschwelle getreten war.

Ich schluckte und dachte an das letzte Mal, als er auf meiner Türschwelle gestanden hat. Damals hat Dana mich gebeten, für sie zu lügen. Aber das letzte Mal, ja, das war etwas anderes gewesen. Das letzte Mal war Dana nicht sie selbst. Das hier war etwas anderes. "Kommen Sie herein, Fox. Wir müssen reden." Er trat herein und stand mir im Wohnzimmer gegenüber. "Warum setzten Sie sich nicht?" bot ich an und setzte mich meinerseits auf die Couch.

Er schüttelte den Kopf und blieb lieber stehen. "Wo ist sie?" fragte er.

"Ich kann es Ihnen nicht sagen", antwortete ich ihm sofort. Sein Gesicht sank in sich zusammen. "Dana hat mich gebeten, Ihnen nicht zu sagen, wo sie hingegangen ist." Es tat mir im Herzen weh, ihn so zu sehen. Er war immer wie ein Sohn für mich. Er liebte sie offensichtlich sehr.

"Warum?" fragte er mit leiserer Stimme. Ich wusste, er war kurz vor dem Weinen. Er kämpfte hart gegen seine Tränen an. "Warum nicht?"

Im Nachhinein war ich mir nicht mehr sicher, ob es so klug gewesen war, Danas Bitte anzunehmen. Aber sie war meine Tochter. Ich musste das tun, um das sie mich bat. Sie hat versichert, dass es so besser ist - für sie beide.

Ich habe versucht, ihr zu glauben, doch es war sehr schwer. Sie schien sich selbst nicht ganz sicher zu sein. Ich wusste, dass es noch viel gab, das sie ihm noch nicht gesagt hatte. "Fox, Dana hielt es für besser zu gehen. Sie musste mit so vielen Gefühlen fertig werden, dass es besser ist, wenn sie allein ist."

Er schluckte seine Tränen herunter. "Ich hätte ihr mit allem geholfen."

Ich nickte. Ich glaubte ihm. "Ich weiß, Fox. Aber wir beide wissen, dass sie einen sehr starken Willen hat."

"Sie hat Ihnen von... uns erzählt?" fragte er zögernd und nervös. Ich nickte. Sie hat mir so viel erzählt, Fox, wollte ich ihm sagen. Ich war überrascht, wieviel sie vor mir geheim gehalten hat. Und von der Welt. Er sah aus, als würde er unter einem Berg von Schuld zusammensinken, und doch hatte er keine Ahnung, was wirklich mit ihr los war. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, es ihm nicht zu sagen. Aber ich hatte es Dana versprochen.

"Ich heiße es gut, Fox, falls Sie sich deswegen Sorgen machen." Ich musste ihm dies sagen. Ich wollte nicht, dass er denkt, ich würde ihm meine Tochter nicht anvertrauen. Mir ist schon vor langer Zeit klar geworden, dass ich sie ihm mehr als irgendjemand anderem anvertrauen würde. Mir war schon seit einiger Zeit klar, wieviel sie ihm bedeutete, und dass er niemals zulassen würde, dass ihr etwas geschieht. Aber es ist ihr etwas geschehen, doch das hätte weder er noch irgendjemand anderes verhindert können. Ich weiß, dass er sich noch immer für alles die Schuld gab.  Ich wünschte mir sehnlichst, dass ich etwas zu ihm sagen konnte, das ihm ein wenig helfen würde, doch das

konnte ich nicht.

"Sie dachte, ich würde sie nicht... heiraten wollen?" fragte er.

"Ja, das hat sie gedacht", sagte ich.

"Das ist nicht wahr." Seine Antwort überraschte mich. Dana war so vom Gegenteil überzeugt gewesen.

"Ich habe Angst", gestand er mit brechender Stimme wie die eines kleinen Jungen. "Ich habe Angst, jemandem so nahe zu sein, weil... ich sie verliere. Ich hatte so eine Angst, sie zu verlieren. Und jetzt habe ich sie verloren."

Es gab nichts, was ich hätte sagen können. Die Tränen liefen ihm nun über das Gesicht. Ich dachte, ich würde jeden Moment auch anfangen zu weinen.  Ich hatte Angst, etwas zu sagen, weil ich meiner eigenen Stimme nicht traute.

"Was soll ich also jetzt machen?" fragte er und ging im Zimmer hin und her.

"Soll ich sie einfach vergessen? So tun, als ob ich sie nie gekannt hätte?

Als ob nichts von alle dem je passiert wäre?"

Er war wütend. Dana kannte ihn gut. Sie hatte vorausgesagt, dass er zuerst Angst haben würde, dann traurig sein würde und letztendlich wütend. Ich stand auf und ging zu dem Kamin, wo Dana den Brief gelassen hatte, den ich ihm geben sollte, wenn er hier her käme. "Sie hat Ihnen einen Brief geschrieben", sagte ich und reichte ihn ihm. Es tut mir so leid, Fox, dachte ich.

Er nahm ihn und nickte. "Danke", sagte er und machte sich auf den Weg zur Tür.

"Fox?" rief ich ihm nach.

Er drehte sich um. "Ja?"

"Ich werde Sie nicht wiedersehen, oder?" fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits wusste. Traurig schüttelte er den Kopf. Ich ging zu ihm und umarmte ihn. Ich wusste nicht viel über seine Familie, nur das, was Dana mir erzählt hat. Dass die Beziehung zu seiner Familie sehr gespannt sei. Ich hielt ihn fest und er hielt mich, als ob es um sein Leben gehen würde. Wir standen so eine Weile im Flur meines Hauses. Dann ließ er los und verschwand aus der Tür ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen.

 

 

Mulder:

Ich laß den Brief erst, als ich wieder im Auto saß. Ich riss den Umschlag auf, faltete ihn auseinander und erblickte Scullys klare, präzise Handschrift. Es brach mir das Herz.

Lieber Mulder:

 

Ich weiß, dass Du wütend auf mich bist, weil ich gegangen bin, aber ich musste es tun. Für Dich und für mich. Es ist wirklich das Beste für uns. Ich hoffe, dass Du es eines Tages verstehen wirst. Ich liebe Dich. Ich habe Dich schon immer geliebt, und ich werde Dich auch immer lieben. Das hat sich nie geändert. Bitte suche mich nicht. Versuche nicht, mich durch meine Mutter zu finden. Ich möchte mein Leben nicht als Flüchtling vor Dir leben. Ich hoffe, dass Du meinen Wunsch respektierst. Wir hatten eine wundervolle Zeit zusammen, Mulder. Als Dein Partner hast Du mir gezeigt, dass die Wahrheit nicht immer in wissenschaftlichen Tatsachen zu finden ist. Als Deine Freundin hast Du bewiesen, dass es Vertrauen und Glaubenskraft gibt. Und als wir zusammen waren, hast Du mir Deine unglaubliche Fähigkeit zu lieben gezeigt. Ich werde immer alles, was Du mir gegeben hast, in Ehren halten.

Scully

 

In dem Briefumschlag, ganz unten in der Ecke, war die goldene Kette mit dem Kreuz, das sie immer getragen hatte. Ich erinnerte mich daran, wie ich es selber einmal getragen hatte, in der Zeit, in der sie vermisst wurde. Ich konnte deutlich vor mir sehen, wie es an ihrem Hals hing. Sie hatte sich auf ihren Ellbogen gestützt und ihr Körper war warm neben meinem. Sie schaute auf mich herunter. Sie war glücklich gewesen und ihr Gesicht war von ihren strahlenden Augen erhellt. Ihr Kreuz baumelte an ihrem Hals. Ich nahm es zwischen zwei Finger und konnte es kühl auf meiner Haut fühlen. Kühl im Gegensatz zur Wärme ihrer Haut, die ich nur einen Moment zuvor berührt hatte. "Glaube", sagte sie eines Nachts zu mir.

"Als Du nicht mehr da warst, stand dies für meinen Glauben, dass du wieder zurückkommst", sagte ich.

"Also bedeutet es uns beiden etwas", murmelte sie.

"Es ist unser Glaube geworden. Es ist zu einer größeren Macht geworden...  worin auch immer sie besteht", fügte ich hinzu.

"Es ist unser Glaube an die Liebe geworden", sagte sie. "Der Glaube hat uns durch alles geführt." Ich lächelte und ließ das Kreuz wieder zurück fallen.  Ich küsste sie sanft und wir haben und das zweite Mal in dieser Nacht geliebt.

Jetzt holte ich das Kettchen aus dem Umschlag und legte es um meinen Hals.  Ich legte es unter mein Hemd und konnte es genauso kühl auf meiner Haut fühlen wie damals, und ich erinnerte mich an das Gefühl, das mich durchströmte, als ich sie geküsst hatte.

 

 

Fortsetzung in Teil  3/10

 

 

 

Nach All Den Jahren 3/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

FÜNF JAHRE SPÄTER

9. FEBRUAR 2001

NEW YORK CITY

 

Mulder:

Der Fall an dem ich dran war, war lächerlich. Die New Yorker Polizei verdächtigte nach vier Morden an jungen Frauen einen Serienkiller in der Gegend. Vor vier Jahren habe ich mich freiwillig zur Abteilung von Gewaltverbrechen versetzten lassen. Die X-Akten sind geschlossen worden.  Ich mochte schon gar nicht mehr daran denken. Ich hatte Glück mit diesem Job. Der Verdächtige, den ich befragt hatte behauptete, nur einen der Morde begangen zu haben. Die anderen drei Morde waren dem ersten sehr ähnlich, doch sie hingen überhaupt nicht zusammen.

Ich hatte den ganzen Abend frei, bevor ich am nächsten Morgen wieder zurück nach DC fliegen musste. Ich hatte nichts Besonderes zu tun, deswegen fuhr ich ziellos durch die Gegend und überlegte schon, mir einen Film anzusehen, als ich merkte, dass ich mich in einer nicht so angenehmen Umgebung befand.  Obdachlose standen neben dem Müll auf der Straße, als ich langsam vorbeifuhr. Auf der rechten Straßenseite standen ein paar Prostituierte.  Nein, sagte ich mir. Der Versuchung wirst du nicht nachgeben. Irgendwann sperren sie dich dafür ein.

Ich betrachtete sie genauer. Zwei blonde und eine Brünette. Nein. Nichts für mich. Ich kehrte zurück zu meinem Hotel und rief von meinem Zimmer aus die Rezeption an. "Könnten Sie mir vielleicht sagen, welche Art von Entertainment es in dieser Gegend gibt?" fragte ich den Manager. Es war ein billiges Hotel. Ich war überzeugt, dass er wusste, was ich meinte. Er kannte mich von vorher und wusste nicht, dass ich von FBI war. Es war ungefährlich. Als ich das letzte Mal hier war, habe ich es auch gemacht.

"Sir, wir haben etwas, das sie bestimmt interessieren wird. Möchten Sie etwas in der Richtung wie das letzte Mal?"

"Ja. Ist der Preis der gleiche?"

"Einhundert - plus Trinkgeld, natürlich."

"Die Preise sind gestiegen", sagte ich und schaute in meiner Brieftasche nach.

"Die Qualität ebenso, Sir."

"Sie können sich das Trinkgeld abholen kommen", sagte ich.

Er stand vor meiner Türe etwa zehn Minuten später. Ich ließ ihn herein und schloss die Türe. Ich gab ihm 100 Dollar und 75 Dollar Trinkgeld. Er strahlte. "Sie wird in etwa einer Viertelstunde hier sein", versprach er und verschwand.

Ich saß auf der Bettkante und sah mein Spiegelbild im Spiegel gegenüber. Für eine Sekunde dachte ich, wie jedes Mal, wenn ich so etwas tat, was zum Teufel machst du eigentlich? Aber dieser Gedanke verschwand bald wider. Er hatte in den vergangenen Jahren an Intensität verloren. Ich stand auf, wusch mein Gesicht und putzte mir die Zähne im Badezimmer. Ich hatte dieses Ritual jedes Mal, wenn ich in ein Hotel eincheckte. Ich nahm nie ein Zimmer, mit einer Verbindungstür zu einem anderen Zimmer. Niemals.

Ich hörte ein Klopfen an der Tür und machte auf. Vor mir stand eine zierliche Frau in engem kurzen Rock und schwarzen Strümpfen. Ich sah die Strumpfbandhalter auf ihrer cremefarbenen weißen Haut. Perfektes MakeUp.  Strahlende blaue Augen.

Und schulterlanges kastanienbraunes Haar.

"Komm rein", sagte ich und sie folgte mir ins Zimmer.

Wie armselig, dachte ich eine Stunde später, als sie dabei war sich anzuziehen, dass dies die einzige Art von Beziehung ist, die ich mir erlaubte. Sie stand vor dem Spiegel und rückte ihre Strümpfe zurecht.  Sie zog ihren Büstenhalter an und schlüpfte wieder in ihren Rock. Sie war wunderschön. Und sie war gut im Bett. Aber sie war nicht Scully. Keine von denen war es. Keine von denen hatte den Ausdruck in ihren Augen wie Scully.  Den Klang in ihrer Stimme, weich und rauchig vor Verlangen.

Zu sagen, dass ich über Scully hinweg war, wäre eine Lüge. Ich habe die letzten fünf Jahre ohne sie leben müssen und wollte es nicht wahr haben.  Ich war nicht mehr derselbe Mensch. Ich habe sie nie gesucht, weil sie es nicht wollte, doch ich habe sie immer und überall gesehen, wohin ich auch blickte. In Werbespots im Fernsehen, in Leuten, die auf der Straße an mir vorbei gingen, sogar in rothaarigen Prostituierten, die ich allen anderen vorzog.

"Danke", sagte ich höflich. Sie sammelte ihre Sachen ein, nickte mir zu und ging.

Ich sprang vom Bett auf und ging ohne Umwege in die Dusche, um den Geruch dieser Frau von mir zu schrubben.

 

 

AM NÄCHSTEN MORGEN - 10. FEBRUAR 2001

EINE MEILE VOM WESTCHESTER COUNTY FLUGHAFEN

WHITE PLAN, NEW YORK

 

Mulder:

Ich tippte leicht auf dem Lenkrad herum, als ich den Hutchinson Parkway zum Flughafen hinauf fuhr. Ich war dankbar für den Wechsel der Flughäfen. Ich flog viel lieber vom Westchester Flughafen zum LaGuardia Flughafen. Dieser Flughafen war an der Grenze von New York nach Connecticut, er war nicht sehr groß und nicht so sehr belebt. Ich sah auf die Uhr. Eine Stunde bis zu meinem Flug. Ich wollte ihn nicht verpassen.

Ja, klar, dachte ich sarkastisch, als ob du unbedingt wieder zurück nach DC willst.

Ich nahm die Ausfahrt und fuhr die Straße zum Flughafen hinunter. Dieser Weg war schneller, denn der Verkehr war nie so stark hier. Es war zwar Hauptverkehrszeit, doch die Autos standen alle auf der anderen Seite des Parkways, weil sie von Connecticut in die Stadt wollten.

Ich bog auf den Parkplatz ab. Der Flughafen war neu gestaltet worden, seit ich das letzte Mal dagewesen war und ich bog ein paar Mal falsch ab, bevor ich endlich die Einfahrt fand, die zum Parkplatz der Autovermietung führte, wo ich meinen Mietwagen abgeben wollte.

Ich verlangsamte an der Kreuzung, denn gerade stieg jemand aus einem weißen Auto neben mir aus. Die dunkelhaarige Frau, die ausstieg kam mir irgendwie bekannt vor. Ich sah zu dem Fahrer des Wagens, dann zurück zu der dunkelhaarigen Frau, dann wieder zu dem Fahrer. Ich blinzelte.

Die dunkelhaarige Frau, die auf den Terminal zuging, war Margaret Scully.

Und der Fahrer des Wagens war Scully.

Ich war mir ganz sicher.

Ich war mir natürlich hundert Mal vorher auch sicher gewesen, dass es Scully war. Aber das hier war etwas anderes. Diesmal war sie es wirklich.

Ihre Haare waren ein wenig länger, als ich es in Erinnerung hatte. Ich rutschte auf meinem Sitz herunter aus Angst, dass sie sich umdrehen und mich sehen würde. Die Frau, die ich für Margaret Scully hielt, drehte sich um und winkte ihrer Tochter. Ich sah ihr Gesicht. Sie war es hundert prozentig. Sie sah mich nicht.

Scully winkte ihrer Mutter zurück, wartete einen Moment und fuhr dann langsam davon. Ohne zu überlegen folgte ich ihr. Ihr Wagen war ein weißer Camry mit einem Nummernschild aus Connecticut.

Fünfzehn Minuten verstrichen. Sie fuhr auf den Parkway in Richtung Norden nach Connecticut. Ich folgte ihr. Sie nahm die Ausfahrt nach Greenwich, Connecticut, eine der exklusivsten und wohlhabendsten Gegenden in den USA. Ich bin froh, dass du was erreicht hast, Scully, dachte ich. Ich hielt einen gewissen Sicherheitsabstand. Weit genug entfernt, so dass sie hoffentlich nicht bemerkte, dass ihr jemand folgte, und nah genug, um zu sehen, wohin sie fuhr. Sie fuhr noch etwa zehn Minuten und bog dann auf die Einfahrt eines eher unauffälligen Hauses, im Gegensatz zu den anderen Häusern, die eher an Paläste erinnerten. Sie parkte den Wagen und stieg aus. Ich blieb etwa 25 Meter weiter weg und stieg ebenfalls aus, um sie zu beobachten.

Ihr Haar war länger. Ich konnte ihr Gesicht nicht genau sehen, aber alles andere an ihr sah gut aus. Sie trug eine Jeans und einen schwarzen Pullover. Ich beobachtete jeden Schritt, den sie machte von der Auffahrt bis zum Haus und sog ihren Anblick in mich hinein. Soweit ich es beurteilen konnte, sah sie genauso gut aus wie damals. Besser sogar.

Es gab keinen zweiten Wagen in der Auffahrt. Der Agent in mir ließ mich ihren Briefkasten überprüfen, um festzustellen, ob noch jemand mit ihr hier lebte. Aber es waren keine Briefe im Kasten und es stand auch nur die Hausnummer dran, kein Name. Kein Mr. und Mrs. Irgendwas. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Ich ging zu meinem Auto zurück und wartete. Bis um sechs Uhr abends döste ich, hörte Musik und las das ganze Handbuch von dem Mietwagen Wort für Wort - zweimal. Wenn sie verheiratet wäre, wäre ihr Mann jetzt schon von der Arbeit zurück. Niemand ist ins Haus hineingegangen oder herausgekommen.

Letztendlich fuhr ich auf ihre Auffahrt. Ich musste mit ihr reden. Musste sie sehen. Musste sie fragen, was passiert ist und warum sie gegangen ist.

 

 

Fortsetzung in Teil  4/10

 

 

 

Nach All Den Jahren  4/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

Scully:

Ich war gerade dabei, Abendessen zu machen, als es klingelte. Ich legte den Salat zur Seite, wischte meine Hände am Küchentuch ab und lief zur Tür.

Ich öffnete sie. Mulder stand vor mir.

"Oh, mein Gott!" stieß ich hervor, völlig überrumpelt. Jeder Muskel in meinem Körper verspannte sich und jeder Nerv war gespannt. Ich konnte fühlen, wie sich die Haare auf meinem Nacken sträubten und mir liefen kalte Schauer über den Rücken. Mein Gesicht wurde ganz rot vor Aufregung.

"Scully", sagte er, das eine Wort, mein Name, die einzige Begrüßung. Seine Stimme klang ein wenig ärgerlich, aber auch ein wenig neugierig. Seine Stimme brach, als er es sagte.

"Mulder", brachte ich heraus. Ich konnte nicht glauben, dass er hier stand, auf meiner Türschwelle, in meinem Leben. Nein, dachte ich. Nein, nicht in meinem Leben. Innerlich versuchte ich, die Tür wieder zu schließen, die ganzen Erinnerungen zu verbannen, wie ich es immer versucht hatte, doch es ging nicht. "Was machst du hier?"

"Ich war in der Gegend und hab dich herumfahren sehen. Also habe ich mir gedacht, ich schau mal vorbei und sag Hallo." Er war hundertprozentig sarkastisch. Ich sah auf die Auffahrt. Es war niemand zu sehen. Sein Wagen, ein typischer FBI Mietwagen, stand in der Auffahrt hinter meinem.

"Du bist mir gefolgt?" fragte ich.

"Den ganzen Weg vom Flughafen", antwortete er. Ich versteifte mich. Ich hatte meine Mutter heute Vormittag um zehn Uhr zum Flughafen gebracht. Ich konnte nicht glauben, dass er den ganzen Tag in seinem Wagen vor dem Haus gesessen hatte. Doch ich hatte das Gefühl, dass er genau das getan hat. "Wie geht es eigentlich deiner Mutter? Ich habe sie schon Jahre nicht mehr gesehen."

"Es geht ihr gut", antwortete ich knapp.

"Willst du mich nicht hinein bitten?" fragte er.

Stille. Ich stand da und starrte ihn an. Gott, sogar nach fünf Jahren sah er gut aus. Er sah müde aus, aber er sah trotzdem noch gut aus. Nervös strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. "Mulder..." fing ich an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Was soll man in so einer Situation sagen? dachte ich. Was sagt man zu dem Mann, den man verlassen hat?

"Ich möchte wissen, warum du gegangen bist, Scully." Seine Stimme war fest, jedoch konnte ich die Angst darin hören. "Ich glaube, ich verdiene wenigstens das."

Oh Mulder, dachte ich, wie in den ganzen letzten Jahren, du verdienst so viel mehr.

Das Quietschen von Reifen auf dem Kies erschreckte uns beide. Der silberne Altima kam neben Mulders Auto zum Stehen.

Mulder drehte sich nach dem Mann um, der aus dem Auto ausstieg. "Dana? Wer ist das?"

Ich spürte, wie der Kloß in meinem Hals immer größer wurde. Ich räusperte mich. "Joe, dies ist Mulder. Mein Partner, als ich noch beim FBI war.  Mulder, dies ist Joe Harmon. Mein Mann." Ich beobachtete Mulders Reaktion.

Er war weiß wie ein Geist.

 

 

Mulder:

In dem Moment, als ich Scully sagen hörte, der große, gutaussehende, dunkelhaarige Mann sei ihr Ehemann, fühlte ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust, als ob ich angeschossen worden wäre. Ich fühlte mich schwach.  Ich bemühte mich, nicht nach hinten zu taumeln. Ich konnte Scullys Augen auf mir fühlen. Ich konnte fühlen, wie sie meine Reaktion beobachtete, jede meiner Bewegungen, jeden Atemzug.

Die Beifahrerseite des Wagens öffnete sich und ein kleines Mädchen mit kastanienbraunen Haaren sprang heraus und lief auf Scully zu. Es war klar, wer sie war. Ihr Gesicht war hart wie Stein, bis sie das Kind sah. Dann wurden ihre Gesichtszüge weich.

"Hi, Mami!" rief die Kleine. Scully hob sie in ihre Arme.

"Hi, meine Süße. Hattest du einen schönen Tag?"

"Ja. Ich habe dir ein Bild gemalt. Es ist im Auto."

Scullys Ehemann trat zu mir. "Mulder. Der Mann ohne Vornamen. Schön, Sie nach all der Zeit einmal kennenzulernen." Er bot mir seine Hand an, die ich mit meiner zitternden nahm und so fest wie möglich schüttelte. "Ich habe schon viel über Sie von Dana gehört."

"Nur Gutes, hoffe ich", brachte ich heraus. Es fiel mir extrem schwer zu sprechen.

"Oh, ja", lachte Joe Harmon. "Dana mochte es, mit Ihnen zu arbeiten."

Ich wollte schon antworten, als ich meinen Blick Scully zuwandte. Über ihre Tochter hinweg warf sie mir einen Blick zu, den ich sofort verstand. Ihr Mann wusste nichts von unserer Beziehung. Sie flehte mich mit ihren Augen an, nichts davon zu sagen. Ich hatte einen Bruchteil einer Sekunde, um mich zu entscheiden, was ich als nächstes sagen sollte. "Ich mochte es auch, mit ihr zu arbeiten."

Ich konnte Scully schon fast vor Erleichterung seufzen sehen. "Und dies hier", sagte Joe und trat zu seiner Frau und seinem Kind, "ist unsere Tochter, Samantha."

Ich schluckte. "Das ist ein schöner Name." Ich hatte schon wieder Probleme zu sprechen. "Warum habt ihr euch für diesen Namen entschieden?"

"Dana war fest davon entschlossen, sie Samantha zu nennen, sogar bevor wir überhaupt wussten, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird."

"Alle nennen mich Sam", piepste das kleine Mädchen vom Arm ihrer Mutter. Ich sah zu Scully. Ihr Gesicht sah geradezu schmerzverzerrt aus.

"Also, Mulder", fing Joe an. Er merkte die Spannung zwischen Scully und mir nicht. "Haben Sie hier in der Nähe eingecheckt?"

"Eigentlich nicht, ich war mir noch nicht sicher. Ich denke, ich werde mir ein Hotelzimmer mieten."

"Unsinn. Wir haben doch ein Gästezimmer. Sie können hier bleiben. Ich bin sicher, Sie und Dana haben sich eine Menge zu erzählen. Nicht wahr, Schatz?" Joe beugte sich zu ihr und küsste sie. Ich zuckte zusammen. Nach all den Jahren, in denen ich mir jedes Szenario ausgemalt hatte, wie Scullys Leben jetzt wohl aussah, tat es immer noch weh. Ich hatte ab und zu daran gedacht, dass sie verheiratet sein muss, aber ich hatte nicht geahnt, dass es so wehtun würde, sie mit einem anderen Mann zu sehen.

"Natürlich", sagte sie und zwang ihrer Stimme einen fröhlichen Klang an. Doch sie hatte nicht viel Erfolg. "Ich habe gerade Abendessen gemacht. Warum holst du nicht deine Sachen aus dem Auto und kommst herein?"

Ich nickte und ging zurück zum Wagen, um meine Tasche zu holen. Eine Millionen Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich war aufgeregt, sie zu sehen. Sie sah unglaublich aus. Ich wollte sie in die Arme nehmen...

Sie war verheiratet. Sie hatte ein Kind. Sie hat ihr Leben ohne mich weiter gestaltet. Ich sollte in mein Auto steigen und wie der Teufel von hier wegfahren. Zurück nach DC.

Zurück wohin eigentlich? fragte ich mich. Es gab nichts, wohin ich zurück gehen könnte. Nichts, seit Scully gegangen ist.

Sie ist gegangen, erinnerte ich mich. Sie hat mich verlassen. Eine Welle von Ärger stieg in mir auf bei dem Gedanken, auf welche grausame Weise sie die Stadt verlassen hatte. Es überkam mich und ich musste mich für einen Moment ans Auto stützen.

Wenn ich bleibe, wird sie alles erklären, dachte ich. Und wenn ich sie auch nicht zurück haben kann, weiß ich wenigstens warum.

 

 

Fortsetzung in Teil  5/10

 

 

Nach All Den Jahren 5/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

Scully:

Das Abendessen verlief in höchstem Maße beklemmend. Joe hatte natürlich keine Ahnung bezüglich meiner Beziehung mit Mulder. Alles, das er wusste, war, dass ich mit einem mysteriösen Mann mit Namen Fox, dessen Nachnamen ich nie nannte, Schluss gemacht hatte kurz bevor ich Washington verließ. Er wusste auch, dass es eine schmerzhafte Trennung gewesen war, und dass ich nicht darüber reden wollte. Also taten wir es auch nicht.

Während des Essens versuchte Joe sich mit Mulder über das FBI zu unterhalten. Die ganze Zeit über konnte ich Mulders brennende Augen auf mir fühlen. Ich war wütend darüber, dass er mich gefunden hatte, doch gleichzeitig war ich aber auch erleichtert. In all den Jahren hatte ich meine Gefühle für Mulder geleugnet, doch jetzt hatte ich keine Wahl. Ich musste mit ihnen gegenüberstellen. Ich musste mich Mulder gegenüberstellen.  Er saß mir genau gegenüber am Esstisch.

"Also, warum waren Sie in der Gegend? Ein Fall?" fragte Joe.

"Ja, wahrscheinlich ein Serienmörder in New York City", antwortete Mulder.

"Die Abteilung für Gewaltverbrechen hat mich hierher geschickt."

"Abteilung für Gewaltverbrechen?" fragte ich.

"Ja, ich habe mich versetzten lassen", sagte Mulder. "Die X-Akten sind geschlossen. Für immer."

Ich versuchte, die Welle von Traurigkeit zu verbergen, die mich urplötzlich erfasste. Sie haben ihm so viel bedeutet. Ich wollte ihn wahnsinnig gerne nach seiner Schwester fragen, aber ich wusste, dass das warten musste, bis wir allein sind. Allein. Ich fürchtete mich sehr davor und konnte es andererseits kaum erwarten.

"Die X-Akten", überlegte Joe. "Ich weiß noch, wie Dana mir einmal davon erzählt hat. Das war die Abteilung, in der ihr beide gearbeitet habt, richtig?" Mulder nickte. "Das hörte sich interessant an. Und doch gefährlich. Dana hat mir einige Geschichten erzählt, die sich angehört haben, als ob ihr beide wirklich in großer Gefahr gewesen wart."

"Mami, kannst Du mir davon erzählen?" fragte Sam auf der anderen Seite des Tisches.

"Nicht bevor du 18 bist", erinnerte ich sie.

"Aber ich möchte nicht so lange warten", quengelte sie. Ich warf ihr meinen besten Mami-hat-aber-Recht - Blick und sie beruhigte sich. "Aber ich glaube, ich werde es müssen."

"Die X-Akten waren gefährlich", sagte Mulder zu Joes letztem Kommentar.

"Scully und ich hatten ein paar knifflige Fälle."

Also darauf willst du hinaus, dachte ich, doch ich sagte nichts.

"Dana hat mir von einem Mann erzählt, der Menschenlebern isst." Joe sah Mulder an. "Ich habe ihr fast nicht geglaubt."

"Igitt, ich hasse Lebern!" warf Sam ein.

Mulder nickte. "Das stimmt." Er sah mich an. Ich wusste genau, was er dachte.

<Wenn das Eistee in diesem Beutel ist, könnte es Liebe werden.>

Und wir haben noch fast drei Jahre gebraucht, um es zuzugeben, dachte ich.

"Also", seufzte Joe, "ihr zwei habt offensichtlich eine Menge zu bereden.

Ich kümmere mich um Sams Bad und ihr zwei könnt euch unterhalten."

Nicht allein, schoss es mir durch den Kopf. "Nein, Joe, ich kann Sam nehmen", unterbrach ich rasch, aber Joe wollte es gar nicht hören.

"Schatz, ich zwei habt euch schon Jahre nicht mehr gesehen. Ihr habt sicher viel zu erzählen." Mulder warf mir einen Blick zu, der sagte, dass er einverstanden war. "Ich nehme Sam mit nach oben und dann komme ich zurück und spüle ab. Warum geht ihr nicht auf die Terrasse, da habt ihr Ruhe. Ich bin nicht gerade scharf darauf, noch solche Leber-Monster Geschichten zu hören." Joe schien etwas beunruhigt.

"Papa!" schrie Sam mit verzogenem Gesicht. "Du weißt doch, dass ich Lebern nicht leiden kann!"

"Ich weiß, Sam", sagte er, hob sie aus ihrem Stuhl und über seinen Kopf.

"Joe", warnte ich ihn. Er wusste, dass ich es hasste, wenn er das tat.

"Papa, ich möchte die Sterne sehen. Können wir hoch auf den Dachboden gehen und sie anschauen, wie Mami es immer mit mir macht?"

"Nachdem du gebadet bist, Schatz." Er stellte Sam wieder zurück auf den Fußboden. "Mulder, wir sehen uns morgen. Dana", sagte er und kam zu mir herüber. Er gab mir einen Kuss auf die Lippen, "bis später." Ich erwiderte den Kuss mit so viel Emotion wie möglich.

Joe und Sam gingen nach oben und ließen Mulder und mich allein im Zimmer.

"Wieder nach draußen?" fragte er. "Ist es nicht ein wenig zu kalt dafür?"

"Wir haben einen Wintergarten. Völlig geschützt von den Elementen", sagte ich, zeigte ihm den Weg und schloss die Tür hinter mir. Ich wollte nicht, dass Joe mitbekommt, was wir zu bereden hatten. Mulder setzte sich auf die Couch und ich mich auf den Sessel.

Es herrschte Stille. Gute drei oder vier Minuten unbehagliche Stille.

"Du hast ein wunderschönes Haus", sagte Mulder letztendlich.

"Danke."

"Hast du es eingerichtet?"

Ok, dachte ich, kein so heikles Thema. "Das meiste davon."

"Habe ich mir gedacht. Es erinnert mich in vieler Hinsicht an dein altes Apartment."

"Ich weiß. Ich habe es absichtlich so eingerichtet." Um sicher zu gehen, dass ich nie den Ort vergesse, an dem wir uns zum ersten Mal geliebt haben.  Um sicher zu gehen, dass ich nie die glücklichste Zeit meines Lebens vergesse, dachte ich, doch ich sagte es nicht. Wieder Stille, doch diesmal nicht so lange.

"Du hast nicht lange gewartet, oder?" fragte er und seine Stimme war plötzlich kalt.

"Was meinst du?"

"Wie alt ist deine Tochter? Dreieinhalb? Du musst schwanger geworden sein nicht lange, nachdem du gegangen bist. Wie lange hast du gewartet, nachdem du mich verlassen hast, bevor du und Joe geheiratet habt?" fragte er.

Sie ist vier, dachte ich, aber ich antwortete nicht.

"War es Liebe auf den ersten Blick, als du hier hergezogen bist? Und dann, hast du ihn geheiratet und bist schwanger geworden? Oder wurdest du schwanger, bevor du geheiratet hast? Hat er dich deswegen geheiratet?"

"Es reicht, Mulder", fauchte ich.

"Nein, Scully, ich glaube, es reicht nicht mal annähernd. Willst du mir nicht sagen, warum du mich einfach so verlassen hast? Völlig ohne Vorwarnung? Weißt du, was du mir da angetan hast, Scully?"

"Wahrscheinlich dasselbe, was es mir angetan hat", sagte ich. "Es hat mich fast umgebracht."

"Ja, vielleicht, aber immerhin hast du mich verlassen", entgegnete er. Ich spürte, wie er der Sache näher kam. Ich hatte immer gewusst, dass er sehr gut den Dingen auf den Grund gehen konnte und immer versuchte, die Wahrheit zu finden. Und er war jetzt kurz davor. Ich wurde nervös.

"Und deine Tochter, Samantha. Ein schöner Schachzug, sie nach meiner Schwester zu benennen. Hast du geglaubt, dass ich sie je kennenlernen würde?" Er war so bitterböse, dass es mir Angst machte.

Oh, Gott, dachte ich. Das Telefon klingelte und ich sprang auf, um abzuheben, verzweifelt, diese Befragung endlich zu beenden. "Hallo?"

"Dana, hier ist deine Mutter. Ich glaube, ich habe meine Perlenohrringe oben bei dir vergessen. Ich habe mir schon gedacht, dass du sie bei dir behältst, bis wir uns das nächste Mal sehen, aber ich wollte erst nach dem Abendessen anrufen, um nicht zu stören."

"Danke, Mom, das ist nett von dir." Mulder stand von der Couch auf und stellte sich dicht neben mich. So dicht, dass ich ihn atmen hören konnte. Es machte mir Angst, aber zur gleichen Zeit war es sehr erregend. Ich wusste, dass ich nicht von ihm weichen konnte. Ich betete, dass er nicht hören konnte, was sie sagte. Was ich wusste, dass sie sagen würde, sobald ich ihr erzählte, dass er hier war. "Mom, Mulder ist hier", sagte ich. "Ich kann jetzt nicht länger reden."

Ich konnte ihren nächsten Atemzug hören. "Oh, Gott. Hast du es ihm gesagt, Dana?"

"Nein, Mom, noch nicht. Mom, ich rufe dich später an."

"Dana, Schatz, du solltest es ihm sagen—"

"Mom, ich rufe dich später an. Ich verspreche es."

Ich legte auf.

Ich drehte mich um und stand ihm genau gegenüber. Praktisch in seinen Armen. "Mulder", sagte ich leise. Ich schloss meine Augen und konnte fühlen, wie die Tränen unter meinen Lidern brannten. "Bitte tu das nicht."

"Weißt du, wie sehr ich dich vermisst habe?" fragte er genauso leise. "Weißt du, wie ich mich ohne dich gefühlt habe?"

Er berührte mein Gesicht. Ich öffnete meine Augen. "Mulder, Joe ist oben.

Ich bin verheiratet. Mulder—"

"Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, Scully. Nie."

Ich atmete tief durch. Ich auch nicht, wollte ich sagen, aber ich konnte es ihn nicht wissen lassen. Ich konnte es ihm nicht sagen. Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf die Lippen. Innerlich kämpfte ich für eine Sekunde dagegen an. Doch dann küsste ich ihn zurück. Das Gefühl seiner Lippen... es war etwas, das ich mit Joe nie gefühlt hatte. Es steckte Leidenschaft darin, eine Leidenschaft, die ich Jahre lang nicht mehr gefühlt hatte. Ich schreckte zurück. Ich war verheiratet. Joe war oben. Ich war hier unten und küsste Mulder. All die Jahre, die vergangen sind, all die Geheimnisse... "Ich kann das nicht tun", murmelte ich mit zitternder Stimme.

"Scully, ich liebe dich. Ich weiß nicht, ob du mich noch liebst—" Seine Augen waren tränenerfüllt. "Ich habe so lange gewartet—"

"Mulder, Samantha ist nicht Joes Tochter", sprudelte es aus mir heraus.

"Was?" Er starrte mich an.

"Sie wurde im Mai 1996 gezeugt und am 8. Februar 1997 geboren. Meine Mutter war letzte Woche zu Sams viertem Geburtstag hier." Er war geschockt, als ihm alles klar wurde. Ich konnte eine seltsame Erleichterung fühlen. Ich hatte die Wahrheit so lange von ihm geheim gehalten, dass es eigentlich gut war, es jetzt herauszulassen. Ich wusste, dass die Nachwirkungen alle später kommen würden. Mulder war niemand, dem es gefiel, hinters Licht geführt zu werden. Und mir war klar, dass ich mich den Konsequenzen nicht entziehen konnte.

"Sie ist..." versuchte er zu sagen, aber er konnte die Worte nicht herausbringen.

"Deine Tochter", endete ich für ihn.

Er trat zurück und setzte sich wieder auf die Couch. "Meine Tochter?"

"Wenn du ihr in die Augen siehst, Mulder... sie hat deine Augen."

Mulder schüttelte langsam seinen Kopf, immer noch ungläubig. "Du warst schwanger mit meinem Kind, als du die Stadt verlassen hast?"

Ich nickte. "Ich habe es einen Tag, bevor wir uns das letzte Mal gesehen haben, herausgefunden. Als du gesagt hast, dass du nichts Dauerhaftes möchtest..." Ich konnte die Unterhaltung von damals wieder vor mir sehen, also ob es erst gestern passiert wäre. "Ich hatte geglaubt, dass du keine Familie möchtest. Ich glaubte, du möchtest keine Kinder."

"Scully, ich hatte Angst... Angst davor, mich an jemanden zu binden... du wusstest das. Du wusstest warum."

"Mulder, ich hatte auch Angst."

"Also bist du gegangen? Also hast du es mir nie gesagt? Also hast du einfach deine Sachen gepackt und bist gegangen?" Er versuchte zusammenzusetzten, was passiert war.

"Ich habe einen Cousin, der hier wohnt. Ich habe mich entschlossen, hier herzukommen und traf Joe hier. Er war seit Jahren ein Freund der Familie.  Er kannte meinen Vater. Ich habe ihm meine Situation erklärt..." An diesen Tag konnte ich mich auch lebhaft erinnern. Ich hatte mich wie ein Teenager im Fernsehen gefühlt, wie ich so in Tränen aufgelöst vor Joe stand. Ich wollte nicht zu viel über mich preisgeben oder wie ich schwanger geworden war. Nur, dass ich Angst hatte. Dass ich unglücklich war. Unglücklich ohne Mulder. "Er ist ein guter Mann. Er bot mir an, mich zu heiraten und mir zu helfen, das Kind zu erziehen."

"Es ist also eine Zweckheirat?" fragte Mulder hoffnungsvoll.

"Joe hat sich im Laufe der Zeit in mich verliebt. Und ich habe mich in ihn verliebt. Ich liebe ihn als einen Freund." Wie konnte ich nur meine Zuneigung und Liebe für den Mann erklären, der mich respektiert hat, an mich geglaubt hat und mir hilft, Samantha großzuziehen? Ich habe mich in ihn verliebt. Er hat mir geholfen, als ich Hilfe brauchte. Er wusste zwar, dass ich immer noch den mysteriösen Fox liebte, der der Vater meines Kindes war, aber er akzeptierte es und liebte mich trotzdem. Und er liebte Samantha, als ob sie seine eigene Tochter wäre.

"Ist eure Beziehung platonisch?" fragte Mulder immer noch hoffnungsvoll.

"Nicht ganz." Meine Antwort kam zögernd. Ich hatte Angst, Mulder zu viel wissen zu lassen. Seit er hier angekommen war, war er so wütend... wütend auf mich. Ich wusste nicht, wieviel er ertragen konnte.

"Du schläfst mit ihm. Er ist dein Mann. " Mulder war aufgebracht.  "Natürlich ist es nicht platonisch. Was habe ich bloß gedacht? Du liebst ihn offensichtlich."

"Ja, Mulder, ich liebe ihn, aber nicht so wie..." Verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten. "Nicht so wie ich dich liebte." Ich hielt inne.

Ich habe gemerkt, dass ich in der Vergangenheitsform gesprochen hatte. All die Jahre in denen ich mir eingeredet hatte, dass er mir nichts mehr bedeutet. Die ganze Zeit hatte ich mir eingeredet, dass er mich letztendlich vergessen hatte. Die ganze Zeit hatte ich mir eingeredet, dass ich ihn nicht mehr liebe. Die ganze Zeit habe ich gewusst, dass es eine Lüge war. "Nicht so wie ich dich noch immer liebe, Mulder."

Er antwortete nicht. Ich stand immer noch und war so fertig nach diesem Geständnis, dass es mir vorkam, dass wenn ich mich nicht gleich setzten würde, ich auf der Stelle zusammenklappen würde. In dem Moment stand Mulder von der Couch auf und stellt sich mir gegenüber. "Du hast einen anderen Mann mein Kind großziehen lassen. Du hast mir nie gesagt, dass du schwanger warst." Er versuchte, es sich selbst klar zu machen. Ich nickte schwach.  "Weiß er es? Weiß er, wer der Vater ist?"

"Nein", antwortete ich. "Joe weiß von Mulder. Von dem Mulder, mit dem ich beim FBI zusammengearbeitet habe. Er weiß auch von einem anderen Mann. Fox.  Fox ist der Mann, den ich geliebt habe, der Mann mit dem ich zusammen war... der Mann der Samanthas wirklicher Vater ist. Er weiß nicht, dass Fox und Mulder dieselbe Person ist."

"Was hast du ihm über mich erzählt?" fragte Mulder. Seine Stimme war weder ärgerlich noch sanft. Ich hätte nicht sagen können, worauf er hinaus wollte. "Was hast du ihm über Fox erzählt?"

"Ich habe Joe gesagt, dass ich ihn sehr geliebt habe. Dass ich Angst bekommen hatte, als ich schwanger wurde und herausfinden wollte ob Fox... du... eine Familie haben wollte. Ich habe angenommen, dass dies nicht der Fall ist. Also habe ich die Stadt verlassen. Ich habe ihm gesagt, dass es uns nicht möglich war, unsere unterschiedlichen Ansichten anzugleichen."

"Weiß er, dass du mir nie gesagt hast, dass du schwanger warst?"

"Nein."

"Warum hast du es mir nicht gesagt, Scully? Warum? Ich hätte alles getan, damit wir eine funktionierende Beziehung gehabt hätten. Ich hatte gedacht, *dass* es funktioniert." Mulder wurde lauter. Er war nun richtig wütend.

"Mulder, bitte", versuchte ich ihn zu beruhigen. Ich war nicht sicher, wieviel Joe oben mitbekommen konnte.

"Bitte was, Scully? Bitte sei ruhig, dass Joe es nicht hört? Du hast uns beide angelogen, Scully. Und ich weiß nicht einmal, ob das alles, was du mir hier erzählst, wirklich wahr ist."

Tränen stachen in meinen Augen, mehr als zuvor. Ich konnte sie nicht mehr zurückhalten. "Es ist die Wahrheit, Mulder. Es ist die Wahrheit."

"Jetzt willst du also, dass wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?" fragte er und ignorierte meine Tränen völlig.

"Du bist hier her gekommen, Mulder. Ich bin nicht zu dir gekommen", erinnerte ich ihn.

"Aber du hast mir von dir aus von Samantha erzählt."

"Ich wollte dich nicht mehr anlügen. Mulder, ich liebe dich. Ich kann nicht hier stehen und dir nicht die Wahrheit sagen."

"Und wem bringt das jetzt etwas, Scully? Du hast Joe geheiratet."

Ich sank auf dem Sessel zusammen und schluchzte. Ich wusste nicht, wie es so kompliziert werden konnte. Alles, das ich wusste, war, dass ich das getan habe, was ich damals für das Beste gehalten hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich Mulder je wiedersehen würde. Ich hatte ein Foto - vier eigentlich - von ihm und mir, die wir in einem Fotoautomaten gemacht hatten, kurz nachdem wir zusammengekommen waren. Fotos von uns aus sehr glücklichen Zeiten. Ich hatte die Bilder immer bei mir in meiner Brieftasche. Und jetzt ich hatte Samantha. Jedes Mal, wenn ich sie ansah, konnte ich Mulder in ihren Augen sehen.

Und ich habe alles verdorben. Ich hatte nie erwartet, dass es jemals zu so etwas kommen würde.

Ich hörte auf zu weinen und sah auf. Mulder war verschwunden. Er war nicht mehr im Zimmer. Ich konnte ihn im Flur hören.

"Mr. Mulder?" hörte ich Samantha fragen. "Warum nennen Sie meine Mami Scully?"

Ich konnte nicht hören, ob oder was er ihr geantwortet hat. Das nächste, das ich hörte war, wie Mulder seinen Wagen anließ und mit knirschenden Reifen auf dem Kies hinaus in die Nacht fuhr.

 

 

Fortsetzung in Teil  6/10

 

 

 

 

 

 

Nach All Den Jahren  6/10

von Leyla Harrison

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Mulder:

Im Auto rief ich als erstes die Fluggesellschaft an. Ich buchte ein Ticket zurück nach DC. Ich dachte über die kleine Samantha nach, als ich zurück nach New York City fuhr. Der einzige Flug, den ich so spät noch bekommen konnte, war von LaGuardia aus, also musste ich drei Stunden fahren.

Meine Tochter. Ich war fassungslos. Mir fiel nur ein Mensch ein, der mir sagen konnte, ob das alles wahr ist. Ich musste es wissen.

In den letzten 10 Stunden ist so viel passiert, dass ich weiche Knie bekommen hatte.  Samantha war meine Tochter? Scully hatte es vor mir geheim gehalten... und das Wissen, dass sie es noch weiterhin vor mir geheim gehalten hätte, wenn ich nicht bei ihrem Haus aufgetaucht wäre, machte es noch schlimmer.

*Falls* sie meine Tochter ist.

Ich wusste nicht, ob ich Scully glauben konnte. Natürlich konnte ich ihr glauben. Aber gleichzeitig fürchtete ich mich davor. Ich hatte Angst davor, zu akzeptieren, dass das kleine Mädchen mein Fleisch und Blut war. Dass sie von einem anderen Mann großgezogen wurde. Dass Scully mich einfach vergessen und glücklich weitergelebt hatte, und sich vorgemacht hatte, dass es mich überhaupt nicht gab. Sie würde Sam aufwachsen lassen und ihr nie sagen, wer ihr wirklicher Vater ist. Scully kümmerte sich offensichtlich eine Dreck darum, wie ich mich fühlte, sie hätte es mir sonst gesagt.

Ok, das war nicht fair, bremste ich mich. Sie hat geweint, als du gegangen bist. Geweint. Wie oft hast du sie so weinen sehen?

Ich hatte dieses Bild den ganzen Flug nach DC vor Augen. Scully, ihre Schultern zusammengefallen, ihr Körper geschüttelt vom Schluchzen, als ich so rücksichtsvoll und feinfühlig aus dem Zimmer gegangen bin. Ich hätte mich dafür schlagen können, denn ich wusste, dass es ihr sehr wehgetan haben muss.

Sie hat es immerhin verdient, dachte ich. Sie hat mich ja einfach sitzen lassen.

Aber sie verdiente es nicht! schrie ein Teil von mir.

Als ich aus dem Flugzeug stieg, schoss mir ein anderes Bild durch den Kopf.  Es war eher eine sinnliches Gefühl. Wie ich Scully in ihrem Wintergarten in ihrem zu Hause in Greenwich geküsst habe. Zum ersten Mal seit Jahren ihre Lippen auf meinen. Wie sie mich zurück geküsst hat. Wie wundervoll es sich angefühlt hat, sie wieder in den Armen zu halten und sie zu küssen. Es war eine so starke Erinnerung, dass ich schauderte.

 

 

Margaret Scully:

Es war schon nach ein Uhr in der Nacht, als es klingelte. Ich saß aufrecht im Bett und laß, doch ich konnte mich nicht auf das Buch konzentrieren. Ich hoffte, dass Dana mich zurückrufen würde und mir erzählen würde, was geschehen ist. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass Fox sie wiedergefunden hat.

Ich war überrascht und doch nicht überrascht, ihn wieder auf meiner Türschwelle zu sehen. "Fox", murmelte ich in die kühle Nachtluft. "Bitte, kommen Sie herein."

"Ich weiß, es ist spät, Mrs. Scully", entschuldigte er sich.

"Das ist in Ordnung. Ich war wach." Ich betrachtete ihn von oben nach unten. Er sah so viel älter aus als ich es erwartet hatte. Ich dachte daran, dass es fünf Jahre her war, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Fünf lange Jahre.

"Mrs. Scully", begann er, "ich muss es wissen. War sie schwanger, bevor sie gegangen ist?"

"Was hat Dana Ihnen erzählt?" fragte ich. Ich war mir nicht sicher, was ich ihm sagen konnte.

"Alles." Der Blick in seinen Augen verriet mir, dass es wahr war. "Ist Sam meine Tochter?"

"Ja", seufzte ich. "Fox, ich habe sie angefleht, es Ihnen zu sagen. Ich habe es versucht." Seine Schultern sackten zusammen bei der Bestätigung.  "Es tut mir Leid, dass sie so lange gewartet hat."

Ich wollte ihn fragen, wie er sie gefunden hat, aber er hatte noch weitere Fragen. "Weiß Samantha, dass ich ihr Vater bin?"

"Nein", antwortete ich ihm. "Sie denkt, Joe ist ihr Vater. Dana hielt es für das Beste, da er sie auch großzieht."

"Aber *ich* bin ihr Vater", protestiert Mulder.

"Ich weiß, Fox. Ich weiß."

Das Telefon klingelte. Ich wusste, dass es Dana war, bevor ich den Hörer von der Gabel nahm.

"Mom, ich habe ihm alles erzählt." Sie war in Tränen aufgelöst. "Er ist einfach heraus gerannt."

"Dana, er ist hier", sagte ich ihr trotz Fox' Gesten, es nicht zu tun, sobald ich ihren Namen sagte. "Er ist gerade hier. Wir reden darüber."

"Mom, ich weiß nicht, was ich machen soll. Joe ist sauer. Er hat keine Ahnung, warum ich Mulder so kühl behandelt habe. Ich muss ihm die Wahrheit sagen."

"Dana, Schatz, soll ich wieder für ein paar Tage zu dir hoch kommen?"

"Nein, Mom, nein. Ich muss selbst damit fertig werden." Fox sah mich argwöhnisch an. Es war mir klar, dass er wissen wollte, was sie am anderen Ende der Leitung sagte. Ich hörte Dana schniefen.

"Mom, kannst du Mulder bitte sagen... kannst du ihm sagen, dass es mir Leid tut?"

"Einen Moment", sagte ich und hielt Fox den Hörer hin. "Sie will mit Ihnen sprechen." Er stand da und bewegte sich nicht. "Fox, bitte reden Sie mit ihr."

 

 

Mulder:

Ich nahm den Hörer aus ihrer Hand. Ich wusste nicht, was sie sagen würde. Ich wusste nicht, ob ich es hören wollte. "Scully?"

"Mulder..." sagte sie, "ich werde Joe die Wahrheit sagen. Jetzt gleich."

"Das ist ein guter Anfang." Ich versuchte,  meine Stimme so neutral wie möglich zu halten.

"Mulder, bitte... Es tut mir so leid. Ich hätte es dir nie vorenthalten sollen. Ich hätte dich nie verlassen sollen."

"Verdammt richtig." Sie holte tief Atem, als ich das sagte. Ich war wütend.  Sie hatte keine Ahnung, was ich in den letzten fünf Jahren durchgemacht hatte. Es hat mir das Herz gebrochen, ohne sie sein zu müssen. Aber dann beruhigte ich mich. So wütend ich auch war, ich liebte sie immer noch.

"Scully—"

"Mm-hmm?" antwortete sie, ihre Stimme gedämpft durch ihre Tränen.

"Ich komme wieder rüber. Ich muss dich sehen."

"Mulder, bitte, ich muss zuerst mit Joe sprechen. Bitte."

"Dann komme ich morgen."

Sie antwortete nicht für eine Weile. "Ok", sagte sie dann.

"Bis dann."

Ich legte auf und atmete tief durch. Mrs. Scully legte ihre Hand auf meine Schulter. "Sie braucht eine zweite Chance, Fox. Sie liebt Sie immer noch, wissen Sie."

"Dürfte ich von hier aus die Fluggesellschaft anrufen?"

"Nur zu. Und Fox?" Ich drehte mich um. "Warum bleiben Sie heute Nacht nicht hier im Gästezimmer?"

Zuerst wollte ich höflich ablehnen, doch dann sah ich Mrs. Scullys Gesicht und wusste, dass ich bleiben sollte. "Ja, danke sehr."

"Die Treppe hoch, dritte Tür rechts."

"Danke, Mrs. Scully."

Ich nahm den Telefonhörer und buchte meinen Flug.

 

 

 

Fortsetzung in Teil  7/10

 

 

 

 

 

Nach All Den Jahren  7/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

Scully:

Ich legte nach dem Gespräch mit meiner Mutter auf und ging wieder nach oben ins Schlafzimmer. Joe saß aufrecht im Bett und die Lampe war noch an. Er wartete offensichtlich auf mich. Das Ziehen in meiner Magengegend wurde stärker. Ich wusste, dass ich die Wahrheit vor ihm nicht mehr verbergen konnte, genauso wenig wie vor Mulder.

"Dana, ich würde gerne wissen, was hier los ist. Du warst total kalt zu Mulder. Ich dachte, ihr zwei seid so gute Freunde", sagte er als ich ins Bett stieg.

"Das waren wir auch", sagte ich.

"Hast du geweint?" fragte er und drehte mein Gesicht, um es näher zu betrachten.

"Ja", sagte ich, "aber es geht mir gut."

"Hat das Gespräch mir deiner Mutter geholfen?"

"Ja." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Meine Worte bestanden nur aus einzelnen Silben. Ich hasste, was es Joe antun würde. Es würde ihm das Herz brechen.

"Es herrschte eine große Spannung zwischen dir und Mulder heute Abend. Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte?"

Blanke Angst stieg in mir auf. Ich drehte mich auf dem Bett um und sah ihn geradeheraus an. "Es geht um Fox", sagte ich und versuchte, einen Anfang zu finden, der irgend einen Sinn machte.

"Liebling, du hast diesen Namen schon Jahre nicht mehr erwähnt."

"Ich weiß, Joe, aber... du musst wissen, dass ich immer noch Gefühle für ihn habe."

Joe nickte. "Ich hatte gehofft, dass du mich mit der Zeit mehr lieben würdest und Fox nur eine schwache Erinnerung bleiben würde." Ich schluckte hart. Es würde sehr schmerzhaft für ihn werden, wenn er es hörte. "Aber was hat das mit Mulder zu tun?" fragte er. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, bevor ich antworten konnte. "Eine Sekunde mal. Mulder. Der Mann ohne Vornamen. Fox... Mulder?" riet er und ich nickte.

Joe sagte nichts. Er stand auf und zog sich schnell an. "Wohin gehst du?"

"Raus", antwortete er kalt. "Du hast mich angelogen, Dana."

Warte! dachte ich. Ich musste ihm sagen, was passiert ist. "Joe, bitte, ich kann es erklären", rief ich verzweifelt, um ihn aufzuhalten. "Bitte, lass es mich erklären!"

"Ich bin nicht sicher, ob ich es hören will." Er drehte sich um. "Ich werde dir mal eins sagen, Dana. Wenn er denkt, dass er einfach hier rein marschieren kann und dich zurück haben will, und Samantha haben will, kann er das. Er kann sagen was immer er will. Aber ich will verdammt sein, wenn ich mir diese letzten fünf Jahre meines Lebens einfach so wegnehmen lasse."

Meine Augen wurden wieder feucht. "Joe, das ist es nicht, was er will."

"Ich weiß überhaupt nicht, ob du nicht die ganze Zeit herumgesessen und darauf gewartet hast, dass er zurück kommt und dich und Samantha für sich beansprucht."

"Nein, nein, das ist überhaupt nicht wahr. Du bist ein wundervoller Ehemann und Vater", rief ich.

"Aber du bist noch nicht über ihn weg", warf er mir vor. "Wenn du denkst, dass ich einfach so da stehe und sage, hey, nur zu, Fox Mulder, nimm dir meine Frau, nimm dir meine Tochter, dann hast du dich aber geschnitten, Dana. Und Sam *ist* meine Tochter. Sie ist vielleicht nicht mein Fleisch und Blut, aber ich habe sie großgezogen seit dem Moment ihrer Geburt."

"Oh, Gott", schrie ich, "das kann gar nicht passieren!" Aber es passierte und Joe rannte aus dem Zimmer und aus dem Haus.

 

 

 

Mulder:

Irgendwann nach halb drei nachts, als ich hellwach im Dunkeln in meinem Bett lag und an die Decke starrte, hörte ich das leise Klingeln meines Handys in meiner Jackentasche unter meinen ganzen Klamotten. Ich stand auf und nahm ab. Es konnte gut sein, dass es jemand vom FBI war, der sich wunderte, wo zum Teufel ich eigentlich steckte.

"Mulder."

"Mulder, ich bin's." Scully. Wie lange ist es her, dass sie sich so gemeldet hat, als ich das letzte Mal den Hörer abnahm? Sie weinte. "Mulder..."

"Scully, was ist los?" fragte ich und war plötzlich sehr besorgt. Sie hörte sich schrecklich an. Nicht nur, als ob sie nur weinen würde, sondern als ob... ich weiß nicht, als ob sie innerlich zugrunde geht. "Scully?"

"Er ist gegangen. Er hasst mich. Ihr beide hasst mich für das, was ich getan habe. Und ich verdiene es." Sie klang sehr weit weg.

"Hat er dir etwas angetan, Scully?" fragte ich und fürchtete das Schlimmste. Wenn er ihr auch nur ein Haar krümmt, bei Gott, ich werde...

"Nein", sagte sie. "Ich weiß überhaupt nicht, warum ich dich eigentlich angerufen habe."

"Scully", sagte ich sanft, "ich hasse dich nicht. Ich versuche nur, mit dem fertig zu werden, das du mir erzählt hast. Was passiert ist, als du gegangen bist. Die Gefühle, die ich während der letzten fünf Jahre versucht habe zu verdrängen, tauchen plötzlich alle wieder auf." Sobald ich das sagte, wusste ich, dass es stimmte. Ich hasste sie nicht. Mir wurde klar, warum sie solche Angst gehabt hatte, mir zu sagen, dass sie schwanger ist.  Ich hätte bestimmt genauso reagiert damals. Es gab keine Entschuldigung dafür, dass sie nicht wenigstens mit mir darüber gesprochen hatte, doch wenigstens konnte ich ihre Reaktion etwas besser verstehen. Ja, ich war wütend auf sie. Und diese Wut war gerechtfertigt. Allerdings war meine Wut auf sie nur so stark, weil meine Liebe für sie so stark war. "Ich hasse dich nicht", wiederholte ich.

"Ich habe dich verletzt. Ich habe Joe verletzt. Ich habe euch beide angelogen."

Ich konnte dies nicht abstreiten. Es stimmte. "Ja, Scully, das hast du."

Es herrschte lange Stille, unterbrochen nur durch ihr Schluchzen am anderen Ende der Leitung. "Hast du noch die Halskette?" fragte sie auf einmal.

"Ja", antwortete ich und berührte unbewusst das Kreuz, als ich es sagte. "Ich habe es noch."

"Ich liebe dich, Mulder", flüsterte sie. "Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Ich habe nie aufgehört, dich zu vermissen. Es ist nicht ein Tag vergangen, an dem ich dich nicht vermisst habe."

Mein Herz schmerzte durch die Zärtlichkeit in ihrer Stimme. Ein Schmerz, von dem ich gedacht hatte, dass ich ihn längst vergessen oder so tief in mir drin verborgen hatte, dass ich ihn nicht mehr fühlen konnte. Aber er war immer noch da. Ich liebte sie immer noch sehr. Ich hatte Tränen in den Augen. Was war passiert? Wir hatten uns fünf Jahre nicht mehr gesehen, und doch haben die Gefühle, die wir in den vier Jahren füreinander hatten, in denen wir uns gekannt haben, weder an Stärke noch an Bedeutung verloren.

Und nach dem Klang in Scullys Stimme zu schließen hatten sich die Gefühle in ihrem Herzen in den letzten fünf Jahren auch nicht verändert. Doch ihr Leben hat sich verändert. Und sie musste deswegen ihre Gefühle verdrängen, Gefühle für die Vergangenheit, Gefühle für mich... Ich wusste, dass sie es ganz gut schaffte. Ich wusste, dass sich ein Teil von ihr in den Jahren in denen wir zusammengearbeitet haben, sehr einsam gefühlt hatte und voller Angst war. Doch diesen Teil hat sie nie vor mir offenbart. Bis zu dem Tag, an dem wir Geliebte wurden, wusste ich von diesem Teil, konnte sogar hier und da ein Stück davon sehen, aber ich habe sie nie völlig gekannt, bis sie sich mir offenbarte und mich an sich heran ließ.

"Mulder." Sie flüsterte meinen Namen und ich schloss die Augen. Es war, als ob sie wie vor fünf Jahren neben mir liegen würde, als ob nichts von all dem passiert wäre. "Mulder."

Ich machte die Augen wieder auf. Aber es war fünf Jahre später. Ich wusste gar nichts über ihr jetziges Leben, ausgenommen das Netz von Täuschungen und Lügen, das sie gesponnen hat, um mich zu beschützen, um Joe zu beschützen... um unsere Tochter zu beschützen. Doch umso mehr ich darüber nachdachte, umso weniger erschien es mir, dass es überhaupt diesen Zweck erfüllte. Es beschützte sie selbst vor der Angst, sich jemandem hinzugeben, jemanden zu lieben und vor der Angst, denjenigen zu verlieren. Auf einmal wurde mir klar, warum sie Joe geheiratet hat. Es war auf eine Art und Weise ein Mittel zum Zweck. Sie hat es getan, um sich und Samantha ein zu Hause, Liebe und finanzielle und emotionale Unterstützung zu bieten.

Samantha. Unsere Tochter. Ich zuckte innerlich zusammen bei dem Gedanken, dass ich praktisch überhaupt nichts über sie wusste. Als ich gerade Scullys Haus verlassen wollte, kam sie in den Flur, ihr kastanienbraunes Haar noch feucht von ihrem Bad, ihre Augen, dieselben wie meine, strahlten. "Warum nennen Sie meine Mami Scully?" hat sie mich gefragt, doch ich konnte ihr nicht antworten. Ich konnte sie nicht einmal ansehen. Ich kannte sie nicht.  Ich habe sie nicht erzogen. Sie war meine Tochter und doch war sie es nicht.

"Scully", sagte ich am Telefon. "Was wirst du jetzt machen?" fragte ich und betonte das 'du'. Ich konnte ihr da nicht heraushelfen. Sie musste sich selbst helfen.

"Ich weiß es nicht." Sie beruhigte sich und ihre Tränen versiegten. "Ich weiß es nicht, Mulder. Ich wünschte, ich könnte Sam einfach nehmen und gehen, es alles hinter mir lassen. Die Erinnerungen und den Schmerz, es alles für so lange Zeit für mich behalten zu haben."

"Kommst du wieder zurück nach DC?" fragte ich.

"Nein, ich gehe irgendwo hin. Weg von all dem. Weg von Joe... und von dir." Ihre Stimme klang gequält. Gequält von einem alten Schmerz.

Mein Herz setzte aus. Ich hatte sie gerade erst gefunden und ich war nicht willig, sie einfach wieder gehen zu lassen. Nicht mit meiner Tochter.  "Scully, du weißt, dass du das nicht tun kannst." Meine Stimme war wieder fest. "Du kannst nicht einfach weg."

"Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, Mulder. Ich habe euch alles verdorben. Vielleicht wäre es für alle das Beste."

"Genauso wie es das Beste war, als du mich vor fünf Jahren verlassen hast?" sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Es klang viel schroffer, als es gemeint war. Sie antwortete nicht. "Scully, es tut mir Leid", sagte ich und meinte es.

"Ich muss auflegen", sagte sie plötzlich. Panik erfasste mich. Es lag etwas in ihrer Stimme. Etwas, das nichts Gutes verheißen sollte. Sie wollte wieder... oh, nein, dachte ich. Nicht schon wieder. Sie wollte wieder fliehen.

"Nein, Scully, leg nicht auf. Warte!"

"Ich liebe dich, Mulder."

Alles drehte sich. Es war wie eine unmittelbare Wiederholung von dem, was vor fünf Jahren passiert war. Ich würde sie nie wieder sehen. Sie nie wieder in den Armen halten. Nein, sagte ich zu mir. Nein!

Sie hatte bereits aufgelegt. "Verdammt!" fluchte ich. Ich kannte ihre Telefonnummer nicht. Ich sprang vom Bett und warf meine Klamotten über. Ich überlegte, was schneller sein würde, nach Connecticut zu fahren oder zu fliegen. Ich rief die Fluggesellschaft an, als ich mich anzog. Es gab einen Last Minute-Flug von Dulles in 45 Minuten, der um 6.45 Uhr in Westchester ankam. Der Flug dauerte weniger als eine Stunde. Ich könnte in New York einen Wagen mieten und in 15 Minuten in Greenwich sein. "Reservieren Sie den Platz für mich." Ich gab der Frau mein Ausweisnummer und kritzelte eine kurze Nachricht für Mrs. Scully auf einen Zettel, dass sie den ersten Flug nach Westchester nehmen soll, sobald sie aufwachte. Dann lief ich aus dem Haus in die Dunkelheit der Nacht und fuhr so schnell ich konnte nach Dulles.

 

 

 

Mulder:

Als ich vor Scullys Haus vorfuhr, stand ihr Auto nicht mehr in der Einfahrt. Ich sah in der Garage nach und hoffte, es dort stehen zu sehen.  Die Garage war leer. Ich versuchte, die Tür auf zu machen. Verschlossen.

"Verdammt!" Ich hämmerte an die Tür. "Scully!"

Joe kam angefahren und stellte seinen Wagen neben meinen. "Was ist hier los?" fragte er, als er ausstieg.

"Sie ist weg", erwiderte ich knapp und versuchte, meine Sorge zu verbergen. "Sie hat Sam mitgenommen."

"Woher wollen Sie das wissen?" fragte er ungehalten und schloss die Tür auf. Er war offensichtlich sehr wütend auf mich. "Dana!" rief er durch das Haus. Keine Antwort. Ich folgte ihm nach drinnen. "Dana!" rief er ein weiteres Mal.

Ich stürzte die Treppe hinauf und riss die erste Tür auf, die ich sah. Dana und Joes Zimmer. Das Bett war ungemacht. Ich fühlte mich wie einen Eindringling und ging rückwärts wieder aus dem Zimmer. Die nächste Tür.  Sams Zimmer.

Das Zimmer war, mit einem Wort, unglaublich. Die Wände waren hellblau gestrichen, und an der Decke war ein professionell gemaltes Himmelszelt.  Die weißen, flauschigen Vorhänge verdeckten das Fenster, ließen die Morgensonne aber doch hindurchscheinen. Es war klar, dass Scully für dieses Meisterwerk verantwortlich war.

Sams Bett stand in der Ecke, die Bettdecke zurückgezogen. Ich sah in den Schubladen nach und versuchte festzustellen, wieviel fehlte. Ich hatte ja aber keine Ahnung, wie viele Kleider sie hatte, deswegen war es zwecklos.

Ich konnte Joe immer noch unten Scullys Namen rufen hören. Ich lief wieder herunter und traf ihn im Flur. "Sie ist weg", wiederholte ich. "Sie hat Sam mitgenommen. Sie sind beide verschwunden. Wir müssen sie finden."

"Wir müssen sie finden?" echote er. "Was geht Sie das eigentlich an?" klagte er mich an. "Ich werde sie finden. Sie ist wahrscheinlich nur auf einer Spazierfahrt mit Sam. Ich bin sicher, es geht ihnen gut."

"Es geht mich sehr viel an", giftete ich ihn an. "Sam ist meine Tochter."

"Dana ist *meine* Frau", fauchte er im selben Ton. "Was mich betrifft denke ich, dass Sam nur ihr natürliches Kind ist, nicht mehr. Ich habe sie großgezogen, nachdem Sie..."

"Nachdem ich was?" schrie ich ihn an. "Was hat Dana Ihnen gesagt? Dass ich sie allein gelassen hab, als sie mich am meisten gebraucht hat? Ich wusste nicht einmal, dass sie schwanger war, als sie gegangen ist. Sie hat mir lediglich einen Brief hinterlassen, verdammt noch mal! Sie hat mir nie auf Wiedersehen gesagt!" Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Das war offensichtlich noch etwas, das er nicht gewusst hatte. Ich senkte meine Stimme. "Sie hat mir so wehgetan, dass ich dachte, ich könnte nie wieder jemanden lieben. Ich habe seitdem auch niemanden geliebt." Dieses Eingeständnis tat weh, vor allem, weil ich diesen Mann kaum kannte.

"Wir müssen sie finden", sagte er und nickte.

Bei dem Wort 'wir' wurde ich ein wenig ruhiger. "Haben Sie eine Idee, wo sie hingegangen sein könnte? Freunde in der Umgebung? Orte, zu denen sie gerne hingeht?" Seine Stirn legte sich in Falten, als er nachdachte. Dann hellten sich seine Augen auf. "Was?"

"Shippan. Das ist ein Strand, zu dem sie gerne geht, um nachzudenken."

"Wo ist das?" fragte ich.

"Stamford. Die nächste Stadt nördlich von hier. Es ist nicht weit."

"Ok, auf geht's", sagte ich, "ich fahre."

Wir sagten kein Wort während der Fahrt abgesehen davon, dass er mir alle paar Minuten sagte, wohin ich fahren sollte. "Biegen Sie hier links ab."

"Rechts hier."

Ich war in Gedanken. Alles, an das ich denken konnte, war Scully und Sam, unsere Tochter, und wie ich alles wieder gut machen konnte. Ich versank in Erinnerungen aus der Vergangenheit. Dinge, die sie und ich getan haben, als wir noch zusammen gearbeitet hatten. Bruchstücke von Konversationen und Situationen schossen mir durch den Kopf.

<Sie sind die einzige, der ich vertraue.>

<Mulder, ich würde mich für niemanden in Gefahr bringen außer für Sie.>

Ihr Seufzen, als wir uns das erste Mal geküsst haben.

Der Blick in ihren Augen, als wir uns das erste Mal geliebt haben und wir auf dem Bett in ihrer Wohnung lagen. Unsere Körper berührten sich das erste Mal ohne Schranken und Hindernisse. Wie ihre Augen geschienen haben.

<Ich liebe dich, Mulder.>

"Genau hier. Parken Sie hier. Wir müssen den Rest des Weges laufen." Joe riss mich aus meiner Träumerei.

Ich parkte den Wagen und wir sprinteten über den Rasen und dann über die kleine Holzbrücke. Die Sonne war nun ganz aufgegangen und schien hell über Long Island Sound. Es war kalt genug, um meinen Atem zu sehen, als ich Joe rennend auf den Fersen folgte. Am Ufer waren Felsen. Große Felsen, die sich anscheinend über viele Meilen erstreckten. Ich erkannte, warum Scully hier heraus fahren würde. Es war sehr friedlich. Schnell überschaute ich die Felsen. Ich sah das Rot ihrer Haare, bevor ich sie eigentlich sah. "Da ist sie!" schrie ich und deutete in ihre Richtung. Joe und ich rannten gleichzeitig los.

"Dana!" schrie er. Ich griff nach seinem Arm.

"Erschrecken Sie sie nicht!" Ich hatte keine Ahnung, in welcher emotionalen Verfassung sie sein würde.

Joe ignorierte mich, riss sie los und rannte schneller. Ich hatte Mühe, mit ihm mitzuhalten. Jetzt konnte ich Scully richtig sehen. Sie saß auf einem der Felsen und hielt Sam in ihren Armen. Die Kleine schien zu schlafen. Sie hatten beide dicke Mäntel an und Sam war in einen langen Schal gewickelt. 

"Dana!" brüllte er wieder. Wir waren etwa 20 Meter von ihr entfernt und Scullys Kopf wirbelte erschrocken herum. Sie sprang auf und ich wusste, was passieren würde in dem Moment, als es wirklich passierte.

Sie rappelte sich auf und kletterte den Felsen weiter hinauf, Sam in ihren Armen, um von uns zu fliehen oder uns entgegen zu kommen, ich wusste es nicht. Aber Sam glitt aus ihren Armen und fiel.

Ich hörte Sams Kopf auf den Felsen aufprallen, obwohl mir hinterher gesagt wurde, dass ich es von dieser Entfernung gar nicht gehört haben könnte. 

Panik ergriff mich, als ich zusehen musste, wie ihr kleiner Körper den Felsen hinunter glitt und im Wasser verschwand.

"Sam!" schrie Scully voller Schrecken. Das Adrenalin schoss durch meine Adern. Ich überholte Joe und rannte zu den Felsen. Ich erreichte Scully vor ihm. Sie umklammerte den Stoff meines Mantels, ihre Augen weit vor Schreck.  "Mulder!"

Ich riss mich von ihr los und sprang ohne zu überlegen ins Wasser. Ich hatte keine Ahnung wie tief oder kalt es war. Das Wasser traf meinen Körper kalt wie Eis. Alles, das ich sehen konnte, war der kleine Körper, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser lag. Die Kapuze ihres Mantels war von ihrem Kopf gerutscht und ich konnte ihre roten Haare sehen, die durch das Wasser noch roter erschienen. Ihr Mantel sog sich voll mit Wasser und begann, sie immer tiefer unter die Oberfläche zu ziehen. Ich griff nach ihr. Sie war innerhalb meiner Reichweite. Aber ich verfehlte sie. Das Wasser reichte mir bis zum Bauch. Ich kämpfte, um näher an sie heran zu kommen, doch das Gewicht meines mit Wasser vollgesogenen Mantels hielt mich zurück.

Verdammt! fluchte ich. Sie ist doch nur ein paar Meter weg, ich muss sie kriegen!

 

 

Fortsetzung in Teil  8/10

 

 

 

 

Nach All Den Jahren  8/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

Scully:

Ich sah, wie Mulder nach Sam griff und sie verfehlte. Ich war wie versteinert. Ich konnte mich nicht bewegen oder etwas sagen. Ich klatschte immer noch meine Hände auf dem Mund zusammen durch den Horror, der mich durchfuhr. Joe kam schwer atmend an meine Seite und sah hinunter ins Wasser zu Mulder und Sam. Verzweifelt schaute ich mich nach etwas um, das Mulder verwenden konnte, um sie näher an sich heran zu ziehen. Ich drehte meinen Kopf zu allen Seiten und suchte nach einem Ast oder einem Seil. Nichts. Als ich wieder zurück ins Wasser sah, konnte ich den Felsen, auf dem Sam aufgekommen war, im Augenwinkel unter mir sehen. Er war rot von Blut. Von ihrem Blut. Meine arme Tochter. Oh, Gott!

Tränen strömten mir über das Gesicht und mein Atem kam stockend und schnell in der klirrenden Kälte. Joe stand neben mir, er bewegte sich nicht und sagte auch nichts.

Meine Tochter, betete ich, bitte Gott, nicht meine Tochter. Bitte. Nicht sie. Ich würde alles tun. Nimm mich, nicht sie. Bitte.

"Verdammt, Dana, was ist mit dir los? Wie konntest du sie nur hierher bringen? Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?" schrei Joe mich an. Ich weinte nur noch mehr. Ich schluchzte so stark, dass mein Hals schmerzte und die Tränen in meinen Augen stachen.

"Halt die Klappe!" schrie ich ihn an. "Halt einfach die Klappe!" Ich ignorierte ihn und kletterte vorsichtig den Felsen hinunter zu Mulder. Ich konnte sehen, wie er sich in dem eisigen Wasser vorwärts kämpfte. Ich konnte meine Tochter mit dem Gesicht nach unten sehen. Oh, Gott, Mulder, betete ich, bitte...

Er griff wieder nach ihr, bekam ihre Jacke zu fassen und zog sie näher zu sich. Er drehte sie im Wasser auf den Rücken und prüfte ihren Atem. Mulder griff in seine Tasche und warf mir sein Handy zu. "Ruf einen Krankenwagen!" rief er.

"Ist sie ok?" fragte ich. "Mulder, willst du sie nicht erst aus dem Wasser holen?"

"Scully, ruf einen verdammten Krankenwagen!" schrie er. Ich wählte mit zitternden Fingern. Als ich auflegte, begann Mulder sie wieder zurück auf die Felsen zu heben. Zurück in Sicherheit, betete ich. Er schob sie auf mich zu.

"Sie ist bewusstlos", sagte er. Er zitterte von dem eiskalten Wasser. "Wir müssen sie aus dem Wasser schaffen. Wir müssen sie warm halten, bis der Krankenwagen kommt."

Ich half ihm, sie aus dem Wasser zu ziehen. Sie war viel schwerer aufgrund der nassen Kleider. Mulder und ich zogen sie zusammen auf die Felsen und Joe half uns, sie auf das gefrorene Gras zu bringen. Ich ignorierte die Kälte und zog meinen Mantel aus. Ich wickelte ihn um ihren kleinen Körper.  Ihre Augen waren geschlossen. Der Schal war immer noch um ihren Hals und würgte sie. Ich befreite sie davon. "Sei vorsichtig mit ihrem Kopf", warnte Joe.

"Ihr Puls rast", informierte uns Mulder. "Ihre Atmung ist flach."

Ich prüfte ihre Atmung und versuchte, so professionell wie möglich zu bleiben. Ich bin Ärztin, sagte ich mir. Aber meine Hände zitterten. Ob von der Kälte oder vor Angst, ich war mir nicht sicher. Wahrscheinlich von beidem.

Ich lehnte mein Ohr über ihr Gesicht und lauschte. Ich konnte ihre kurzen Atemzüge hören und sah, wie sich ihre Brust hob und senkte. Aber nicht genug. "Sie hat viel Wasser gespuckt, als ich sie umgedreht habe", sagte Mulder. "Ich glaube nicht, dass noch etwas in ihren Lungen ist." Ich hob meinen Kopf, kniff Sams Nase zusammen und wollte schon Luft in ihre Lungen blasen, als...

"Was machst du da?" fragte Joe. "Sie atmet doch!"

"Aber viel zu schwach, Joe. Sie braucht mehr Sauerstoff." Ich konnte sehen, dass ihre Haut ganz weiß war und ihre Lippen blau. Rasch prüfte ich ihre Nägel. Sie waren ok, aber sie brauchte so schnell wie möglich mehr Sauerstoff. Ich blies fünfmal Luft in ihre Lungen. Ihr Brustkorb hob sich bei jedem Male. Als ich aufhörte, checkte Mulder ihren Puls.

"Er ist besser."

Ich überschaute den Park. Wo blieb bloß dieser verdammte Krankenwagen?  Vorsichtig hob ich Sams Kopf um mir die Wunde anzusehen. Ich sah, dass ihr Kopf an der Seite aufgekommen ist. Das Blut floss immer noch an der Seite ihres Gesichtes entlang.

"Meinst du nicht, du solltest warten, bis der Krankenwagen hier ist?" fragte Joe.

"Sie ist Ärztin", schnappte Mulder, "sie weiß, was sie tut."

"Aber die Sanitäter sind ausgebildet. Ihr medizinisches Fachwissen ist auf dem neusten Stand. Alles, was Dana in den letzten drei Jahren gemacht hat, war im Medizinischen Untersuchungszentrum im Ort an Leichen herumschnippeln."

"Ich weiß, was ich tue", knurrte ich ihn an und sah auf. Mulder fror. Er kniete neben mir und Sam immer noch in seinen nassen Sachen und zitterte.  Seine Zähne klapperten hörbar. "Gib mir deinen Mantel, Joe", verlangte ich.

Er zog ihn ohne weiteren Kommentar aus und gab ihn mir. Ich knüllte ihn zusammen und presste ihn auf die Wunde auf Sams Kopf, um das Blut zu stoppen.

"Warum wacht sie nicht auf?" Joe fasste unser aller Gedanken in Worte. "Ich weiß es nicht", antwortete ich und meine Stimme brach. "Ich weiß es nicht."

Ich konnte die Sirenen jetzt hören. Ich sah auf und konnte den Krankenwagen näher kommen sehen. Sobald sie dicht genug waren, hielt er an und zwei Sanitäter sprangen heraus. "Meine Tochter, sie ist vier Jahre alt, sie ist mit dem Kopf auf einen Felsen gestoßen", informierte ich sie. Genau so, Dana, bleib professionell. Bleib ruhig. Werd jetzt nicht schwach.

"Ihr Puls ist 80 und wir haben sie beatmet und ihre Atmung ist besser geworden." Ein schneller Blick auf Sam verriet mir, dass der Sauerstoff, den ich ihr gegeben hatte, geholfen hatte. Ihre Hautfarbe ist besser geworden.

"Sie hat eine Kopfwunde. Wir haben versucht, das Blut zu stoppen."

"War sie im Wasser?" fragte mich einer der Sanitäter. Ich nickte. "Das ist gut. Die Kälte hat bestimmt den Blutfluss verlangsamt." Der andere Sanitäter funkte bereits zum Krankenhaus und beschrieb ihnen die Situation. Ich konnte die knackende Antwort hören.

"Cochran 2, Sie können sie direkt in die Intensivstation bringen. Ein Bett steht schon bereit. Ich wiederhole, bringen Sie sie nicht in den OP, sondern direkt auf die Intensiv Station."

"Verstanden. Wir sind in zehn Minuten da." Er wandte sich zu seinem Partner. "Wir müssen sie an einen Tropf anschließen und sie direkt in den Wagen bringen."

"Bin schon dabei", sagte der Sanitäter neben mir. Ich zeigte auf die Oberseite von Sams rechtem Handgelenk.

"Sie hat hier oben eine Vene." Und mir wurde mit einem Schlag klar, dass ich absichtlich die 'guten' Venen im Körper meiner Tochter kannte, falls ihr irgendetwas passiert.

Der andere Sanitäter bot Mulder eine Decke an, die er dankbar entgegen nahm und sich darin einwickelte. "Der Tropf ist drin", rief der Sanitäter.  "Bringen wir sie rein." Er hob sie auf die Trage und fing an, sie in den Wagen zu schieben. "Wer von Ihnen sind die Eltern? Sie können mit uns fahren."

"Das sind wir", antwortete Joe und ich sah zu Mulder. Er war sichtlich verletzt.

"Warum fährst du nicht mit ihnen und ich fahre mit Mulder", sagte ich zu Joe. Er war überrascht, aber einverstanden.

"Wir fahren euch nach", sagte Mulder.

"Falls Sie nicht mithalten können, wir fahren ins Stamford Krankenhaus", riefen uns die Sanitäter zu. Ich nickte. Ich wusste, wie man da hin kam.  Mulder und ich liefen zum Auto.

Als wir das Auto erreicht hatten, ging ich zur Beifahrerseite. "Mir ist kalt", sagte ich leise. Mulder kam herüber auf meine Seite, als ich die Tür öffnete.

"Scully", sagte er und griff nach meinem Arm, bevor ich ins Auto steigen konnte.

Ich drehte mich zu ihm und fiel ihm in die Arme, als ob es die natürlichste Sache der Welt wäre. Ich konnte seine nassen Sachen unter der Decke fühlen.  Ich konnte seinen Herzschlag hören und das Heben und Senken seiner Brust mit jedem Atemzug fühlen. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Brust. "Danke, Mulder", flüsterte ich und neue Tränen formten sich in meinen Augen.  "Danke, dass du Sam gerettet hast."

"Du hast dich auch nicht schlecht geschlagen", erwiderte er und hielt mich fester. Er küsste mich auf den Kopf und seine Stimme war fast erstickt durch Emotionen. "Warum wolltest du mit mir fahren?"

"Ich wollte dir danken, und ich wollte es tun ohne dass Joe es sieht oder hört."

"Jetzt ist er ja nicht hier."

"Ich weiß."

"Warum bist du gegangen?" fragte er.

"Mulder", drängte ich, "wir können später darüber reden. Wir müssen ins  Krankenhaus."

Er nickte und beugte sich herunter, um mich zu küssen. Mein Herz schlug schneller.

"Mulder", flüsterte ich und hielt ihn auf, indem ich ihn mit meiner Hand von mir hielt.

"Was? Willst du es nicht?"

Ich konnte ihn nicht anlügen. Natürlich wollte ich es, und er wusste es.

"Ich habe Angst", sagte ich. "Es hat sich nichts verändert. Es ist jetzt alles viel... komplizierter. Sam..." Er nickte. Er schob meinen Arm beiseite und küsste mich sanft und langsam und hörte viel zu schnell auf. Es war die Art von Kuss, die mir wortwörtlich den Atem raubte. In dem Kuss war Wärme und Zärtlichkeit und Liebe. So viel, dass ich mich geliebt und umsorgt und völlig überwältigt fühlte. "Wir müssen zum Krankenhaus."

"Zeig mir den Weg und wir sind im Handumdrehen da."

 

 

 

Mulder:

Wir kamen am Krankenhaus an, nachdem wir nicht mehr als fünf Worte im Auto gewechselt hatten. Es hat etwa fünfzehn Minuten gedauert. Ich konnte immer noch ihre Lippen auf meinen fühlen und fasste einen Entschluss, als wir auf den Parkplatz fuhren. Egal, was passierte, egal, was es kostete, Scully und ich würden wieder zusammen sein. In den letzten anderthalb Tagen habe ich erkannt, dass egal, wie sehr sie mir wehgetan hat, es tat mir mehr weh, ohne sie leben zu müssen. Ich hatte fünf Jahre in schmerzvoller Einsamkeit verbracht, das war es nicht wert. Ich wusste, dass ich so nicht weiter machen konnte.

Wir stiegen aus, betraten das Krankenhaus und fragten nach der Intensivstation. Wir gingen hinein und fanden Joe im Wartezimmer.

"Wo ist Sam?" fragte Scully sofort und ging zu ihm.

"Drinnen. Sie machen eine Computertomographie mit ihr um die Ausmaßen der Kopfverletzung zu bestimmen." Seine Stimme war kalt. Es war offensichtlich, dass er Scully die Schuld an dem Unfall gab. Es machte mich rasend, aber ich sagte nichts. "Sie ist in kritischer Verfassung", fügte er hinzu und streute somit Salz in die Wunde. Scullys Gesicht sank in sich zusammen. "Es tut mir leid", flüsterte sie mit tränenerfüllten Augen.

"Unsere Tochter könnte sterben", fauchte er wütend und betonte das 'unsere', weil ich daneben stand. "Und es tut dir Leid, Dana? Das ist alles, was dir einfällt?"

"Es war ein Unfall", sagte ich kalt. "Es ist nicht ihre Schuld."

"Sie hat Sam da rausgebracht. Wie kann es nicht ihre Schuld sein?"

"Sie ist meine Tochter, Joe."

"Verdammt noch mal, ich habe sie großgezogen. Ich liebe sie. Sie wissen überhaupt nichts über sie."

"Ich weiß, dass sie meine Tochter ist. Das sie aus Liebe gezeugt wurde. Die Liebe, die Scully und ich hatten."

Scully bekam Angst. "Mulder, jetzt nicht—"

"Doch, jetzt. Sie ist meine Tochter, Scully. Unsere Tochter. Diese Tatsache hat sich nie geändert."

Keiner von uns dreien sagte mehr etwas und wir setzten uns auf die unbequemen Plastikstühle, weit voneinander entfernt. "Warum haben sie uns noch nicht gesagt, wie es um sie steht?" fragte Scully einige Zeit später leise und ängstlich.

"Sie haben gesagt, dass sie herauskommen, sobald sie uns etwas sagen können", antwortete Joe.

Eine Stunde verstrich.

Ein Arzt mit Handschuhen und einem Namensschild, das ihn als Dr. Young identifizierte, erschien aus der Intensivstation. "Sind Sie Samantha Harmons Eltern?" fragte er und schaute uns alle an, weil er sich nicht sicher war, ob Joe oder ich der Vater war. Wir nickten alle drei. Der Arzt trat näher und fuhr fort. "Ich bin Dr. Young, der Stationsarzt. Ihr Zustand ist jetzt stabil, aber sie hat ein schweres Trauma. Sie liegt im Koma. Wir machen gerade eine Computertomographie, um es zu bestätigen, aber die Untersuchungen bisher lassen vermuten, dass es einen starken Druck auf ihr Gehirn gibt."

Scully drohte umzukippen und Joe und ich waren an ihrer Seite. Jeder hielt einen Arm, um sie zu stützen.

"Bis die Ergebnisse der Tomographie da sind, haben wir einige Möglichkeiten. Wir können operieren, um den Druck auf ihr Gehirn zu lindern.  Ich habe schon nach einem Neurochirurgen rufen lassen, damit er sie sich ansieht. Doch die Operation ist sehr riskant. Der Neurochirurg glaubt, dass das Ergebnis der Operation es nicht wert ist."

"Was nicht wert ist?" fragte Joe.

"Nicht den Versuch wert, ihr Leben zu retten. Ich glaube nicht, dass sie die Operation überleben wird. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie lange sie noch durchhalten wird. Ich vermute eine große Menge Blut in ihrem Gehirn. Zu viel Blut. Das, zusammen mit dem inneren Druck, der stetig ansteigt, schnürt die Sauerstoffversorgung auf ihr Gehirn ab. Ich weiß, sie ist jung und ansonsten gesund, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand so eine Verletzung überleben könnte. Technisch gesehen glaube ich, dass sie bereits seit dem Aufprall hirntot gewesen ist. Sie hat keinerlei Schmerzen. Das EEG hat keinerlei Gehirnaktivitäten angezeigt. Wir behalten sie an den lebenserhaltenden Maschinen, um in zwölf Stunden noch ein EEG durchzuführen, um sicher zu gehen. Das ist die übliche Vorgehensweise."

"Sie ist hirntot?" fragte Joe ungläubig. Dr. Young nickte.

"Oh, Gott", flüsterte Scully. Ihre Augenlieder flatterten und sie versuchte, aufrecht stehen zu bleiben. Ich legte einen Arm stützend um ihre Hüfte. Joe merkte es nicht einmal. Sein Gesicht war eine einzige Maske von Schmerzen.

"Wie gesagt, wir warten auf die Ergebnisse. Aber wenn sie meine Vermutung bestätigen, hat sie nicht mehr viel Zeit. Sie können jetzt hinein und sie sehen, wenn Sie möchten." Joe und ich nickten. Scully hatte alle Mühe stehenzubleiben. "Es tut mir sehr leid."

Dr. Young ging wieder zurück auf Station. Tränen strömten über Scullys Gesicht, als sie leise anfing zu weinen. "Möchtest du reingehen?" fragte ich sie und sie nickte.

"Mein Baby", brach sie heraus. Unerträglicher Schmerz stach mir in die Brust. Meine Tochter. Joes Worte echoten in meinen Ohren. Sie wissen überhaupt nichts über sie. Und jetzt, dachte ich, werde ich auch nie etwas über sie erfahren. Das Bild von Sams Schlafzimmer schoss mir durch den Kopf.

Wie sie vor Scullys Haus stand. Am Esstisch. Wie sie aus dem Auto gesprungen ist. Das waren die einzigen Erinnerungen, die ich je an sie haben würde.

"Lasst uns rein gehen", sagte Joe mit sanfterer Stimme. "Wir sollten sie alle sehen." Ich versuchte ein dankbares Lächeln, doch Tränen vernebelten meinen Blick. Er  versuchte auch, seine Tränen zurückzuhalten.

Wir nahmen Scully in unsere Mitte und betraten das Zimmer, in dem Sam lag. Sie hatte ein Krankenhaushemd an und war mit einer Thermodecke zugedeckt. Überall waren Schläuche, Drähte und Maschinen. Ein Schlauch steckte in ihrer Nase, ein anderer war an ihre Lippen geklebt und führte ihren Hals herunter. Die Monitore zeigten ihren Herzschlag und ihre Gehirnwellen an.

Zahlreiche Tropfe steckten in ihren Venen, dessen Schläuche hinauf zu den Behältern führten, die über ihrem Bett hingen. Die Herzmaschine piepte gleichmäßig. Ihre kleine Brust hob und senkte sich rhythmisch, als die Luft mechanisch in ihre Lungen gepumpt wurde. Ihr Kopf war bandagiert, aber ich konnte Strähnen kastanienbraunes Haar sehen. Und ihre Augen waren friedlich geschlossen.

Als Scully das alles sah, gaben ihre Knie nach und Joe und ich hielten sie fest. Sie schluchzte nun ganz offen, genau wie Joe.

Panik ergriff mich. Ich konnte mich genau daran erinnern, wie ich Scully damals auf der Intensivstation in genau demselben Zustand gesehen hatte und jetzt, wo Sam hier so lag, war es sogar noch schlimmer. Es betäubte mein Gehirn und meinen Körper, so dass ich nicht mehr fühlen konnte, dass ich Scully festhielt.

Tränen strömten über mein Gesicht für dieses Kind. Das Kind, das meine Tochter war, meine und Scullys, das schon so gut wie tot war. Es waren Tränen für Sam und es waren Tränen, die ich damals an Scullys Bett nicht vergießen konnte.

 

 

 

Mrs. Scully:

Als ich herausgefunden hatte, was passiert war und in Connecticut ankam, nahm ich ein Taxi und fuhr direkt zum Krankenhaus. Ich ging hoch zur Intensivstation und wurde hineingelassen. In Sams kleinem Zimmer standen Dana, Fox und Joe an ihrem Bett. Jemand hat Dana mit einer Decke zugedeckt und sie schlief. Joe nickte mir grüßend zu und ich nickte zurück.

Ich sah mein Enkelkind auf dem Bett an all diese Maschinen angeschlossen und schluckte hart. Fox schaute auf, als ich das Zimmer betrat und wir sahen uns an. Wir wussten beide, was der andere dachte. Es war genauso, wie Dana damals dem Tode nahe auf dem Krankenhausbett gelegen hatte.

Fox stand leise von seinem Stuhl auf und schob mich sanft wieder hinaus auf den Gang. "In ein paar Stunden werden sie noch ein EEG machen... aber sie ist hirntot. Sie ist an lebenserhaltende Maschinen angeschlossen."

"Oh, Fox", sagte ich, mein Herz schwer vor Kummer. "Sie ist noch so jung."

Er nickte. Auf seinen Wangen waren immer noch Spuren von Tränen und seine Augen waren geschwollen. "Dana nimmt es nicht gut auf. Der Arzt hat ihr ein mildes Beruhigungsmittel gegeben, damit sie etwas schlafen kann. Er sagte, sie sollte nicht 12 Stunden lang hier sitzen und alles mit ansehen."

Ich nickte. Meine arme Tochter. Sie hat schon so vieles durchstehen müssen und jetzt das. Ich konnte es mir nicht annähernd vorstellen, was das alles für sie bedeutete. "Ich würde gerne bleiben, Fox", sagte ich mit einem Kloß im Hals.

"Ich habe bereits einen Stuhl für Sie bereit stellen lassen", sagte er, als ob er gewusst hatte, dass ich im Zimmer bleiben wollte.

"Danke."

 

 

Fortsetzung in Teil 9/10

 

 

 

 

Nach All Den Jahren  9/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

Scully:

Als ich aufwachte, versuchte ich mich daran zu erinnern, wo ich war. Ich war benommen von dem Beruhigungsmittel und rieb meine Augen. Meine Decke glitt auf den Boden. Joe beugte sich hinunter, hob sie auf und deckte mich wieder zu. Ich lächelte ihn dankbar an. Ich sah zu Sam. Sie sah genau aus wie vorher. Friedlich. Als ob sie überhaupt keine Schmerzen hätte.

Mulder saß rechts neben mir und neben ihm meine Mutter. Ich stand auf und sie kam zu mir und umarmte mich. "Ich bin so froh, dass du hier bist", flüsterte ich in ihren Nacken. Sie hielt mich ganz fest.

"Ich weiß, Dana, ich weiß."

Ich ließ sie los und ging zurück zu meinem Stuhl und setzte mich. Ich fühlte mich überraschend ruhig. "Ich habe geträumt", sagte ich zu allen Anwesenden, "dass ich mit Sam im Park war. Sie war auf der Schaukel und ich gab ihr Schwung. 'Höher, Mami', hat sie gesagt und ich gab ihr mehr Schwung, aber nicht zu viel. Ich wollte nicht, dass sie herunterfällt und sich weh tut, aber sie schien sich gut an den Seilen festhalten zu können.  'Bitte, Mami, noch höher. Ich möchte so nah zum Himmel wie möglich.' Ich schwang sie höher und fester und ich konnte ihr Lachen hören. Sie war so glücklich..." Ich hielt inne für einige Momente und wischte ein paar Tränen von meinen Wangen. "Und ich schwang sie höher. 'Mehr, Mami, bis ganz in den Himmel', rief sie und ich drückte sie einmal ganz fest und Sam und die Schaukel verschwanden plötzlich. Der Himmel war strahlend blau und ich schaute auf. Es war nicht ein Wölkchen am Himmel. Sie war weg und trotzdem konnte ich ihr Kichern hören. Sie klang so glücklich. 'Ich bin im Himmel, Mami, und du wirst es nicht glauben, aber es ist wunderschön!' sagte sie."

Ich sah mich im Zimmer um. Mulder saß mit gesenktem Kopf und weinte. Joe schniefte und meine Mutter rieb sich die Augen.

Der Arzt kam herein. "Hallo zusammen", sagte er leise mit beruhigender Stimme. "Wir fangen jetzt mit dem zweiten EEG an und sehen, was passiert."

Wir standen alle auf und stellten uns im Halbkreis um Sams Bett. Joe an einer Seite von mir, Mulder auf der anderen und meine Mutter neben Mulder.  Joe legte seinen Arm um mich. Mulder nahm meine Hand und meine Mutter hielt seine andere Hand. Ein weiterer Arzt und eine Schwester betraten ebenfalls das Zimmer. Die Schwester hielt Sams Krankenbericht und einen Stift in der Hand. Ich wusste mit einer traurigen Sicherheit, was bevorstand.

Der Arzt schaltete einen Knopf an dem EEG-Gerät ein, an das Sam bereits angeschlossen war. Das Papier lief durch die Maschine und die Nadeln sprangen, als die Maschine eingeschaltet wurde. Doch dann zeichneten sie nichts weiter als eine gerade Linie auf. Es war beklemmend still im Raum.

Sogar das Piepen der Maschinen schien leiser. Wir alle starrten auf die Nadeln auf dem Papier, wartend, hoffend, die Nadeln sogar gedanklich zwingend, irgendeine Form von Kurve auf das Papier zu zeichnen. Irgendetwas, das zeigen würde, dass es elektrische Aktivitäten in Sams Gehirn gab.

Nichts.

Die Nadeln zeichneten eine lange gerade Linie auf das Blatt. Keine elektrischen Aktivitäten in ihrem Gehirn.

Wir alle standen still, sogar die Ärzte und die Schwester, und sagten gute fünf Minuten lang nichts.

Dr. Young räusperte sich und blickte mich an. "Es gibt keine Gehirnwellen", bestätigte er mir.

Ich wusste, was er von mir hören wollte. Ich wusste, was ich tun musste. Ich musste ihm die Erlaubnis geben, Sam gehen zu lassen. Ich sagte nichts für eine ganze Minute. Dann: "Sie können die Maschinen ausschalten", sagte ich leise. "Schalten Sie alles aus."

"Samantha Melissa Harmon wird nach 1737 Stunden am 11. Februar 2001 für tot erklärt", wandte er sich zu der Schwester. Sie schrieb es in den Krankenbericht und ließ ihn dann sinken.

"Ich weiß, es ist für Sie alle sehr schwer, aber ziehen Sie Samantha als Organspenderin in Betracht?" fragte Dr. Young.

Ich nickte sofort. Das war etwas, das ich definitiv befürwortete und ich zögerte nicht eine Sekunde mit meiner Entscheidung. "Sie können alles entnehmen, was in irgend einer Weise von Nutzen sein kann", wandte ich mich an ihn.

"Ich muss Sie bitten, die Formulare zu unterzeichnen, Mrs. Harmon." Ich nickte abermals. "Wir lassen die Maschinen an, bis wir wissen, welche Organe gebraucht werden. Wenn sie noch ein paar Minuten mit ihr haben möchten, gehen wir raus."

"Ok", sagte ich. Ich fühlte mich wieder sehr ruhig, obwohl ich wusste, dass mich die Nachwirkungen später ergreifen würden. Ich musste noch mit so vielem fertig werden, hatte noch so viele Fragen zu beantworten.

Die Ärzte und die Schwester verließen das Zimmer. Meine Mutter verabschiedete sich ebenfalls. Sie trat neben Sam ans Bett und küsste ihre Stirn sanft. "Auf Wiedersehen, mein kleiner Engel", sagte sie sanft, drückte dann meinen Arm und verließ mit Tränen in den Augen das Zimmer.

Joe und Mulder sahen sich an, als ob sie sich nicht entscheiden konnten, wer als nächstes gehen sollte. Joe trat letztendlich neben ihr Bett. Er berührte Sams Hand und sah sie an. "Ich weiß, du warst nicht meine eigene Tochter. Aber ich habe dich wie meine eigene Tochter geliebt. Ich werde dich vermissen, Sam." Bei seinen Worten stiegen abermals Tränen in mir auf und ich hatte Mühe, sie zurück zu halten. Er trat von Bett weg und sah mich an. "Ich warte draußen." Seine Augen waren ebenfalls mit Tränen gefüllt. Er ging aus dem Raum und ließ Mulder und mich allein mit unserer Tochter.

"Als sie geboren wurde", begann ich sehr leise, aber laut genug, dass Mulder mich verstehen konnte, "habe ich Joe nicht in das Geburtenzimmer gelassen. Nur meine Mutter. Sobald sie aus mir heraus war und die Ärzte mir bestätigten, sie sei gesund und es ginge ihr gut, nahmen sie sie an sich und säuberten sie. Als sie das taten kam meine Mutter zu mir und umarmte  mich so gut es auf dem Bett ging. Dann brachten sie Sam zu mir und legten sie in meine Arme." Mulder nahm wieder meine Hand. "Du brauchst mir das alles nicht erzählen, Scully."

"Doch, Mulder, ich möchte es dir erzählen. Ich möchte, dass du es hörst." Er schloss die Augen und ließ es sinken. Dann öffnete er sie wieder und nickte mir zu. Ich fuhr fort. "Ich habe auf sie hinunter geschaut. Sie war dieses perfekte, kleine Baby und sie gehörte mir. Mir und dir. Sie war etwas, das wir beide geschaffen hatten. Und so glücklich ich auch war, so viel Freude ich auch empfand, ich fühlte eine unglaubliche Traurigkeit, dass du nicht da warst, um mit anzusehen, wie sie geboren wird. Ich war kurz davor, dich anzurufen und dir alles zu erzählen. Für eine Sekunde habe ich gedacht, dass alles wieder gut sein würde und ich wieder zurück nach DC könnte..." Ich rieb meine Augen bei diesen Erinnerungen. "Aber ich habe es nicht getan. Ich konnte es nicht tun. Und dann, Mulder, schlug sie die Augen auf. Sam öffnete ihre Augen und sah zu mir und meiner Mutter auf. Weißt du, was Mom da zu mir gesagt hat?"

"Nein", sagte Mulder mit erstickter Stimme.

"Sie sagte, 'Sie hat Fox' Augen, Dana. Sieh nur.' Und sie hatte recht. Sam hatte deine Augen. Genau dieselbe Farbe, genau dieselbe Form... es kam mir fast vor, als würde ich dich ansehen." Mulder drückte meine Hand. "In diesem Moment, Mulder, wusste ich, dass ich von nun an einen Teil von dir immer bei mir hatte. Wir waren getrennt und wir würden uns wahrscheinlich nie mehr wiedersehen, aber ich wusste, dass ich Sam ansehen konnte und einen Teil von dir in ihr sehen konnte."

Meine Tränen rollten nun ungehindert über meine Wangen. Mulder umarmte mich für eine Weile und ließ mich weinen. Ich fühlte, wie sein Körper von seiner eigenen Traurigkeit geschüttelt wurde. Dann ließ er mich los und trat ans Bett.

Ich sah, dass er weinte. Er beugte sich zu Sam hinunter und küsste ihre Stirn genau wie meine Mutter es getan hatte. Er berührte ihre Hand und strich zärtlich über ihr Gesicht. Er murmelte Worte, die ich nicht verstehen konnte, Worte, die nicht für mich bestimmt waren. Dann trat er zurück, schenkte mir ein Lächeln und ließ mich mit unserer Tochter allein.

Ich setzte mich wieder auf den Stuhl am Fußende des Bettes. "Du warst immer mein Lebensinhalt. Meine Schulter zum Anlehnen." Ich blickte auf ihren Körper unter all den Maschinen, die ihr Herz am Schlagen hielten und Luft in ihre Lungen pumpten. Es war falsch, sie so zu sehen, sich so in Zukunft an sie zu erinnern. Ich wollte nicht zurückschauen und mich so an sie erinnern. Ich stand auf und verließ das Zimmer.

 

 

 

Mulder:

Die nächsten drei Tage vergingen wie in Trance. Ich checkte in ein Hotel in Greenwich ein. Eigentlich wollte ich in irgend ein billiges Motel einchecken, aber davon gab es nur sehr wenige in der Gegend von Fairfield County. Scully wollte nicht wieder zurück zu ihrem Haus. Joe hatte ohne zu argumentieren Scully, ihrer Mutter und mir Zimmer im wunderschönen Hyatt Hotel von Greenwich gebucht. Ich nahm an, dass Joe selbst wieder im Haus wohnte. Ich konnte mir gut vorstellen, wie das Hotel im Frühling wohl aussehen mochte, mit gepflegten Gärten und Blumen überall. Trotz dem Protest ihrer Mutter nahm Scully sich ein eigenes Zimmer, ein Stockwerk unter meinem. Das Zimmer ihrer Mutter war genau neben ihrem. Scully isolierte sich völlig von uns allen. Mrs. Scully und ich aßen zusammen im Restaurant unten, ohne sie. Sie bestellte den Zimmerservice.

Ich musste beim FBI anrufen und meine Abwesenheit erklären. Ich sprach nur mit Skinner und hoffte und betete, dass er es verstand.

"Agent Mulder. Sie sollten schon vor drei Tagen zurück in DC sein. Wo zum Teufel stecken Sie?"

"Sir, es ist etwas dazwischen gekommen", begann ich. "Ich bin in Connecticut."

"Connecticut? Was machen Sie da?"

"Ich bin bei Scully", antwortete ich. Ihr Name ist Jahre lang nicht mehr in den  Gesprächen zwischen ihm und mir gefallen.

Stille. "Ich habe gedacht, Sie wüssten nicht, wo sie sich aufhält, Mulder."

Er hat mich die letzten Jahre offensichtlich genauer überwacht, als ich angenommen hatte. Ich hielt inne. Ich wusste nicht, was ich sagen und was ich lieber für mich behalten sollte. Es schien äußerst unlogisch, ihm jetzt die Wahrheit zu erzählen. "Sir, es ist eine lange Geschichte. Aber ich bin hier beim Begräbnis von Scullys Tochter."

Ich konnte hören, wie er tief durchatmete. "Bitte richten Sie ihr mein Beileid aus", sagte er und ich wusste, dass er es ehrlich meinte.

"Das werde ich."

"Agent Mulder. Es gibt da offensichtlich etwas, das ich wissen sollte."

Die Wahrheit, dachte ich. "Sir, das Kind... es ist ebenso meines." Ich konnte es ihm genauso gut sagen. Es gab keinen Grund, warum ich es nicht tun könnte.

Wieder Stille. "Ich dachte, Sie und Scully haben sich schon Jahre nicht mehr gesehen."

"Haben wir auch nicht, Sir." Und dann erzählte ich ihm ohne Umschweife die ganze Geschichte. Wie Scully und ich zusammengekommen sind, dass sie schwanger geworden ist, die Stadt verlassen hat, das Baby bekommen hat, geheiratet hat, einfach alles. Ich erzählte ihm, wie ich sie zufällig gefunden hatte. Ich erzählte ihm die Kurzversion der Ereignisse.

Skinner unterbrach mich nicht ein einziges Mal, während ich erzählte. Als ich an der Stelle angelangt war, an der Sam starb, hatte ich die größte Mühe, nicht wieder zu weinen. Letztendlich fasste ich alles zusammen und schwieg. Ich war zu erschöpft, um noch mehr zu sagen. "Agent Mulder", sagte er, räusperte sich und sprach dann leiser in den Hörer, "bleiben sie dort so lange es nötig ist. Ich kümmere mich hier um alles."

"Ich danke Ihnen, Sir." Meine Hände haben die ganze Zeit gezittert, während ich mit ihm sprach, weil ich annahm, dass ich zu hören bekommen würde, dass ich mir gar nicht erst die Mühe machen sollte, zurück zu kommen. "Sir, ich weiß, dass das, was Scully und ich getan haben, gegen alle Regel ist—"

"Agent Mulder, Scully ist nicht mehr beim FBI. Was zwischen Ihnen passiert oder nicht passiert ist, geht das FBI nichts an. Verstehen Sie mich?"

Es rührte mich, dass er gewillt war, unsere Privatsphäre das sein zu lassen, was es ist - eine private Angelegenheit. "Ja", antwortete ich ein wenig schief, "ich verstehe."

"Rufen Sie mich an, wenn Sie wieder in DC sind. Und, Mulder, bitte sagen Sie Scully, dass es mir ihr Verlust sehr Leid tut. Ihr Verlust tut mir ebenfalls Leid, Mulder." Er klang so ehrlich, dass ich es kaum glauben konnte.

Jeden Abend vor dem Zubettgehen rief ich Scully an, um sicher zu gehen, dass es ihr gut ging. "Hi, ich bin's", sagte ich am Telefon eines Abends.  Der Abend vor dem Begräbnis. Ich wusste, dass Scully zurück zu ihrem Haus gegangen war, um Sachen für Sam zu holen, die sie im Sarg tragen sollte, obwohl ich sie nicht gesehen hatte. Was für eine grausame Aufgabe, dachte ich. Ich hatte sie nicht gesehen, seit wir in das Hotel eingecheckt hatten.

"Hi", antwortete sie. Sie klang erschöpft.

"Wie geht es dir?" Toll, Mulder, dachte ich. Ihr geht es wahrscheinlich genauso wie dir. Sie ist wahrscheinlich am Ende.

"Ich bin müde." Sie klang schwach und sehr weit weg, viel weiter als über die eine Etage, die uns eigentlich nur trennte. "Ich habe ausgesucht, was sie tragen wird."

Scully nannte nicht Sams Namen, als wir am Telefon sprachen. "Was hast du ausgesucht?"

"Ein grünes Kleid, das sie an Weihnachten getragen hat. Grüner Samt mit weißer Spitze. Sie sah wunderschön aus an Weihnachten."

"Das bin ich mir ganz sicher", sagte ich und mein Herz brach. Ich wünschte, ich hätte sie sehen können. Mrs. Scully hat mir die Bilder gezeigt, die sie immer in ihrem Portemonnaie bei sich hatte. Eines mit Scully und Joe und Sam vor dem Haus. Eines von Sam, das offensichtlich professionell beim Fotografen gemacht wurde. Sie trug einen blau-weißen Overall und lächelte in die Kamera. Sie sah genauso aus wie ihre Mutter auf dem Bild.

"Mulder?" fragte Scully.

"Ja?"

"Könntest du hier rüber kommen?" fragte sie. "In mein Zimmer? Ich möchte mit dir reden - aber nicht so, nicht am Telefon."

"Ich bin gleich da", sagte ich und sprang vom Bett. "Ich bin schon unterwegs."

Ich flog die Treppen hinunter und klopfte an ihre Tür. Sie öffnete. Sie hatte Jeans und ein altes Flanellhemd an. Eines, das sie bei einem unserer Fälle angehabt hatte. Es muss der Fall gewesen sein, als wir in den Bergen waren oder in der Arktis. Ich wusste es nicht mehr genau, aber das Hemd kam mir sehr bekannt vor. Sie hatte ihre Haare zusammen gebunden und ihr Gesicht war frei von MakeUp. Nicht, dass sie es überhaupt brauchen würde.  Scully war eine der Frauen, die von anderen Frauen beneidet wurden, weil sie von Natur aus wunderschön waren. Scully war wunderschön. Wie sie so in der Türe stand, so müde und traurig sie auch aussehen mochte, sie sah genauso phantastisch aus, wie ich es immer in Erinnerung hatte. Ich erinnerte mich daran, wie sie in Socken und einem von meinen Hemden durch meine Wohnung lief und uns Frühstück machte...

"Komm rein", sagte sie und ich betrat den Raum. Das Zimmer war tadellos, aber was hatte ich anderes erwartet? Scully war schon immer ordnungsliebend. Auf einem der Betten stand ein großer Pappkarton. Sie winkte mich zu ihm. "Ich habe einige Fotoalben und einige ihrer Sachen mitgenommen, als ich im Haus war. Ich möchte, dass du einiges davon bekommst. So kannst du sehen, wie sie gewesen ist."

Sie setzte sich auf das andere Bett und ich setzte mich neben sie. "Ich habe überlegt, was ich jetzt machen soll. Mit meinem Leben, meine ich." Ich nickte. "Ich habe mit Joe geredet und wir halten es für das Beste, wenn wir uns scheiden lassen."

Ich versuchte, mein Gesicht nicht den Ausdruck der Freude annehmen zu lassen, die ich bei diesen Worten empfand. Ich wusste, dass es qualvoll für sie gewesen sein mussten. "Was wirst du tun?"

"Ich weiß es nicht", seufzte sie. "Meine Mutter möchte, dass ich wieder zurück in die Gegend von Washington ziehe, zu ihr womöglich."

"Was ist mit mir?" fragte ich und biss mir auf die Zunge. Ich konnte mir nicht helfen, es kam einfach aus mir heraus.

Sie antwortete für eine Weile nicht. "Du und ich sind weit von einer normalen Beziehung entfernt, Mulder." Ich wusste, dass sie damit Recht hatte. Aber ich war bereit, zehn Runden durchzustehen, wenn sie es auch war. "Ich rede mir ein, dass ich weg möchte, weit weg von dir." Ich wollte fragen warum, doch hielt es zurück. Sie ist in den letzten fünf Jahren vor mir davon gelaufen, physisch und emotional. Es muss für sie jetzt förmlich Routine sein. "Aber ich habe etwas erkannt", fügte sie hinzu. "Ich kann nicht vor dir davon laufen. Du findest mich jedes Mal." Sie schenkte mir ein zögerndes Lächeln.

Ich nahm ihre Hand. "Scully, ich würde alles tun, damit alles zwischen uns richtig ist. Ich weiß, dass wir an vielen Dingen arbeiten müssen. Aber ich möchte daran arbeiten."

"Ich habe es ehrlich gemeint, als ich sagte, dass ich nie aufgehört habe, dich zu lieben."

Plötzlich fiel mir etwas ein. Bei unserer ersten richtigen Verabredung hatten wir uns einen Film ausgeliehen. Die Brücken von Madison County. Ich konnte fast die Kommentare und blöden Bemerkungen der Einsamen Schützen hören, wenn sie jemals erfahren würden, dass ich ihn ausgeliehen hatte. Aber ich hatte ihn ganz zu meiner Überraschung gemocht. Und als Scully am Ende des Films in Tränen aufgelöst auf meiner Couch gesessen hatte, habe ich sie in meine Arme genommen. Sie kuschelte sich an mich, als ob sie schon immer dort hingehören würde. Viel zu lange, dachte ich, wir haben viel zu lange gewartet. Ich lehnte mich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr. "Ich liebe dich, Scully." Mein Herz hatte vor Nervosität gerast.

"Wie bist du dir da so sicher?" hatte sie gefragt, ihr mit Tränen verschmiertes Gesicht in meinem Hemd vergraben.

"Weil", hatte ich ihr geantwortet und zitierte kühn eine Zeile aus dem Film, den wir gerade gesehen hatten, "man sich nur bei einem Mal im Leben so sicher sein kann."

Sie hatte ihren Kopf gehoben, ihre Augen noch feucht. Ich werde ihren Anblick in diesem Moment nie vergessen. Sie war wunderschön. Sie strahlte.  "Oh, Mulder", seufzte sie und sagte nach einem Moment. "Ich liebe dich auch, weißt du."

Und dann haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Wir haben uns beide gleichzeitig aufeinander zubewegt und unsere Lippen trafen sich. Vorsichtig und weich. Wir hatten uns Zeit gelassen. Wir hatten schon eher am Abend den Entschluss gefasst, dass was immer auch passiert, passiert einfach. Uns waren die Regeln des FBI egal. Wir wollten unsere Gefühle nicht länger unterdrücken. Wir sind uns an dem Abend darüber einig geworden, dass wir eine Chance haben wollten, um zu sehen, ob wir auch ein Paar sein konnten, und nicht bloß Partner. Innerlich haben wir immer gewusst, dass es das war, was wir immer gewollt haben, FBI Regeln hin oder her.

Und jetzt saßen wir auf diesem Hotelbett nach so vielen Jahren voller Schmerz, und ich dachte an diese eine Zeile aus dem Film. Man kann sich nur bei einem Mal im Leben so sicher sein. Scully *war* dieses eine Mal. Es gab keine andere für mich. "Ich liebe dich auch." Ich wusste, meine Antwort kam einige Minuten zu spät, aber es schien sie nicht zu stören.

"Ich weiß, woran du gedacht hast", sagte sie.

"Das bezweifele ich."

"Doch, ich weiß es. Unser erster Kuss", überraschte sie mich.

"Woher wusstest du das?" fragte ich perplex.

"Ich weiß nicht", gestand sie. "Ich nehme an, nach einiger Zeit kennt man sich eben."

"Sogar nach all den Jahren?"

"Nach den letzten paar Tagen, Mulder, kommt es mir so vor, als ob diese fünf Jahre gar nicht passiert wären. Ich fühle mich dir genauso nahe wie damals."

"Mir kommt es vor, als ob du ganz weit weg bist. Du hast dich von deiner Mutter und von mir isoliert."

"Ich weiß", sagte sie und senkte den Kopf. "Ich bin nur so..."

"Niedergeschlagen", endete ich für sie. Sie hob ihren Kopf und nickte. "Du warst jeden Tag ihres Lebens bei ihr. Ich war es nicht und ich fühle genauso." Ich nahm zuerst eine ihrer Hände in meine, dann beide. Ich legte meine andere Hand auf ihre und drückte sie sanft. "Nach der Beerdigung möchte ich, dass du wieder zurück mit mir nach DC kommst."

Sie nickte. "Das möchte ich auch."

Und so war der Entschluss gefasst.

 

 

Fortsetzung in Teil  10/10

 

 

 

 

Nach All Den Jahren 10/10

von Leyla Harrison

( starbuck72@netaxis.ca )

 

 

Mrs. Scully:

Der Tag des Begräbnisses war hell und kalt. Niemand bemerkte, dass es der 14. Februar war. Valentinstag. Was für ein schreckliches Datum für ein Begräbnis.

Es gab keine Besucher. Nur einige Leute der örtlichen Kirche. Sam sah aus wie ein kleiner Engel in dem grünen Kleid, das ich ihr einmal zu Weihnachten gekauft hatte. Dana saß vorne, Joe in der Reihe ihr gegenüber und Fox neben ihr. Ich war erleichtert, dass sie für diesen wichtigen Tag zusammengefunden hatten.

Nach der Zeremonie fuhren wir alle zum Friedhof für das Begräbnis. Ich fuhr bei Dana, Fox und Joe im Auto mit. Es fiel kein Wort während der Fahrt. Keiner von uns weinte. Wir waren einfach still.

Auf dem Friedhof versammelten wir uns alle neben der kleinen Grube für den Sarg. Ich hatte Dana nicht weinen sehen, als sie ihn zuvor an der Kirche geschlossen hatten. Ihr Gesicht war nun von Mut und Tapferkeit geprägt, obwohl ich merkte, dass es ihr sehr schwer fiel, diese Fassade beizubehalten. Nachdem der Priester gesprochen hatte, legte Joe eine einzige weiße Rose auf den Deckel des Sarges, der bereits über und über mit Blumen bedeckt war. Er trat zu Dana, umarmte sie für einen Moment und ging.

Fox trat an das Grab. Seine Augen glänzten von die Tränen, die er zurückhielt. Er legte eine rote Rose auf Sams Sarg. Ich sah, dass sich seine Lippen bewegten, aber ich wusste nicht, was er sagte. Er trat zurück, rieb sich seine Augen und Dana trat ans Grab.

Sie versuchte verzweifelt, stark zu sein. Oh, meine liebe Tochter, dachte ich. Es ist in Ordnung, wenn du nicht stark sein kannst.

Sie legte ihre rote Rose über die, die Fox soeben auf den Sarg gelegt hatte, küsste ihre Fingerspitzen und presste sie dann zärtlich auf die beiden Rosen auf dem Sarg. Meine Augen füllten sich mit Tränen.

Sie stand auf und drehte ihren Rücken zu dem Sarg, der langsam hinunter in die Erde gelassen wurde, und vergrub ihren Körper an Fox' Seite. Er schlang die Arme um sie. Ich ging zu ihnen und legte meine Hand auf seine Schulter. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu ihnen sagen sollte. Es war so unglaublich schmerzhaft für sie beide, in unterschiedlicher und doch in gleicher Weise. Fox umarmte mich mit seinem freien Arm. Ich umarmte ihn auch.

 

20. FEBRUAR 2001

WASHINGTON, DC

 

Scully:

Mulder und ich haben beschlossen, dass ich bei ihm wohne, aber ich machte ihm klar, dass ich keinerlei Versprechen über irgendetwas machte. Er akzeptierte es.  Es war seltsam, wieder in DC zu sein.

Mulders Haus hatte sich nicht verändert. Wir fuhren mit dem Aufzug hoch und er schloss seine Wohnung auf, mein Koffer immer noch in seiner Hand. Der Rest meiner Sachen war noch zusammengepackt in Greenwich, ich wollte sie mir zuschicken lassen, sobald ich mich entschieden hatte, wo ich wohnen würde. Die Kisten mit Sams Sachen, die ich Mulder geschenkte hatte, habe ich bereits hierher geschickt. Sie standen dank UPS vor der Wohnungstür.

"Ich muss dich aber warnen, es ist etwas durcheinander. Die Putzfrau hat ein Jahrhundert frei genommen." Es war ihm ein wenig peinlich.

"Ich habe auch schon vorher ein Durcheinander gesehen, Mulder."

Mulder stellte meinen Koffer ins Apartment und kümmerte sich dann um die Kisten, als ich mich zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder in seiner Wohnung umsah. Einige Möbel standen anders. Überall waren Blätter verstreut, auf dem Boden, auf der Couch, auf den Tischen. Ich sah in die Küche und sah, wie sich das schmutzige Geschirr dort stapelte. Kleider lagen ebenfalls auf dem Boden.

Mulder bemerkte meinen kritischen Blick und wurde rot. "Vielleicht sollte ich dich doch lieber in ein Hotel bringen."

"Nein, Mulder", sagte ich. "Ich helfe dich aufräumen. Ich bin sicher, wir schaffen das im Handumdrehen."

"Ich weiß nicht, Scully. Es ist schon eine ganze Weile so."

Meine Augen füllten sich mit Tränen als ich erkannte, dass er so gelebt hatte, seitdem ich gegangen war. Vor fünf Jahren. Oh, Mulder, dachte ich.  Was habe ich dir angetan?

Ich schaffte es, meine Tränen zu schlucken, bevor er es bemerkte. "Das ist ok. Wir versuchen es."

Und wir taten es. In den nächsten zehn Stunden ordnete er seine Akten und legte sie ab. Ich kümmerte mich um die Küche und das Badezimmer. Ich wischte Staub, er saugte. Ich borgte seinen Wagen, fuhr einkaufen und füllte seinen Küche mit Essen, das er wahrscheinlich nicht einmal gesehen hatte, bevor ich gegangen bin.

Als wir fertig waren, war es nach ein Uhr in der Nacht und wir beide fielen erschöpft auf die Couch. Die Wohnung sah fast so aus, wie ich sie das letzte Mal gesehen hatte. "Ich bin kaputt", sagte er und sah mich an.

"Ich auch. Hast du Hunger? Ich könnte uns etwas zu Essen machen."

"Nein, die Spaghetti, die wir um sechs hatten, sind genug. Ich will jetzt nur schlafen."

Eine ungemütliche Stille füllte den Raum. Schlafen. Das letzte Mal, als ich hier war, haben wir zusammen in dem Bett geschlafen, von dem ich nicht gewusst hatte, dass es existierte. Wir waren die meiste Zeit in meiner Wohnung, als wir zusammen waren. Aber ich konnte mich ganz deutlich an das letzte Mal erinnern, als ich hier übernachtet hatte. Ich war zu der Zeit sicher schon mit Sam schwanger, aber ich wusste es da noch nicht. Wir haben fast die ganze Nacht mit Reden verbracht, dann haben wir uns geliebt, dann wieder geredet, dann haben wir uns wieder geliebt... Als wir endlich eingeschlafen waren, war es fast vier Uhr morgens. Ich sah ihn an. Er dachte offensichtlich auch daran. "Mulder..."

"Du kannst das Bett haben. Ich schlafe auf der Couch. Ich habe das Bett jahrelang nicht mehr benutzt und ich glaube nicht, dass ich mich jetzt daran gewöhnen könnte", sagte er. Ich nickte. Ich nahm meinen Koffer und trug ihn ins Schlafzimmer. Mulder folgt mir. "Falls du irgendetwas brauchst—"

"Ich weiß, wo du bist", beendete ich seinen Satz. Er nickt und ließ mich allein im Schlafzimmer. Ich überlegte kurz, die Tür hinter ihm zu schließen, doch ich ließ sie offen. Ich schlüpfte ins Badezimmer und zog ein weißes Nachthemd mit dünnen Trägern an, das mir bis zu den Knien reichte. Ich war erschöpft vom Aufräumen und kroch unter die kühle Bettdecke. Nach einigen Minuten war ich eingeschlafen.

 

 

Mulder:

Ich lag etwa eine Stunde lang auf der Couch, als ich das Rascheln aus dem Schlafzimmer hörte. Ich konnte nicht schlafen und konnte meine Augen nicht schließen. Da war sie, in meinem Schlafzimmer, in dem Zimmer, in dem wir uns vor fünf Jahren geliebt hatten, in genau demselben Bett. Und ich war hier im Wohnzimmer auf der Couch. Ich stand auf und schlich leise ins Schlafzimmer.

Scully lag auf der Seite unter der Decke, ihre Augen geschlossen und ihr Atem ruhig und gleichmäßig. Die Decke reichte ihr bis zur Brust und ich konnte die weißen Träger auf ihren weichen Schultern sehen. Ihr Haar lag offen auf dem Kissen. Ich trat näher an sie heran. Ich wollte sie nicht wecken, aber ich wollte sie berühren.

Sanft streichelte ich ihre Stirn. "Ich liebe dich", flüsterte ich.

Sie regte sich und öffnete ihre Augen in der Dunkelheit. Das Licht der Straßenlampe, das durch die Lücken der Vorhänge hinein schien, war das einzige Licht im Raum.

 

 

Scully:

Ich habe geträumt, ein blasser Traum von Sam ohne Sinn. Sie rannte irgendwo, ich war nicht sicher wo, und sie rief mich...

Ich fühlte seine Berührung leicht wie eine Feder auf meiner Stirn und der Traum glitt in mein Unterbewusstsein. Ich wachte auf. Ich öffnete meine Augen und sah Mulder vor mir stehen.

 

 

 

"Hi", flüsterte er sanft. "Ich wollte dich nicht wecken."

"Das ist ok", flüsterte sie zurück. Mulder stand da und sagte nichts. Sie wusste, was er wollte und sie wollte es auch. "Willst du nicht... mit rein klettern?" fragte sie letztendlich. Toll, dachte sie. Mit rein klettern? So wollte ich es eigentlich nicht sagen.

Aber Mulder nickte dankbar und kroch zu ihr unter die Decke. Ihr Körper passte genau neben seinen, wie schon Jahre zuvor, als ob überhaupt keine Zeit verstrichen wäre. Er schlang seinen Arm um sie und hielt sie fest, obwohl er nur ihren Rücken und ihre Gesichtshälfte sehen konnte.

"Scully..." flüsterte er, "Dana?"

"Mmm?" fragte sie schläfrig.

"Ist es zu spät, um noch einmal von vorn anzufangen?"

Scully drehte sich in seinen Armen um, so dass sie ihm gegenüber lag. Nach all der Zeit lagen sie wieder hier, Stirn an Stirn, Gesicht zu Gesicht.  "Nein", flüsterte sie. "Ich würde gerne."

"Ich auch."

Und sie küssten sich. Zögernd zuerst. Ihre Lippen berührten sich sanft und weich. Mulder ließ seine Hand über Scullys Rücken gleiten. Sie seufzte, flüsterte seinen Namen und küsste ihn leidenschaftlicher. Er presste seinen Körper näher an ihren und fühlte, wie sie sich zu ihm lehnte. Sie seufzte abermals und öffnete ihre Lippen, um ihn hineinzulassen. Mulder fuhr mit der Hand über ihr weiches Nachthemd und konnte die Wärme ihrer Schultern fühlen, die nicht davon bedeckt waren. Sie schlang ihre Beine um ihn und er schloss die Augen. Dies war ein Gefühl, von dem er nicht gedacht hatte, dass er es jemals wieder fühlen würde. Nach allem, was passiert war, das war es, wo sie beide sein wollten. Sein mussten. Zusammen.

Sie würden sich immer an das erinnern, was passiert war. Und sie waren nicht mehr dieselben Menschen, die sie waren, als sie sich vor so vielen Jahren ineinander verliebt hatten. Sie waren jetzt älter und weiser.

Aber sie waren zusammen. Nach all den Jahren, die verstrichen waren, wussten sie beide mit einer Sicherheit, die man nur einmal im Leben hat, dass sie zusammen sein wollten. Für immer.

 

ENDE

Oh, Mann, hat es wirklich jemand zu Ende gelesen? Wenn Ihr noch da seid, schreibt mir doch ein paar Zeilen und lasst mich wissen, was Ihr darüber denkt... Danke!

(Anm: der Autorin bitte NUR auf Englisch schreiben - Danke!)