PORTIONS OF ETERNITY

by Dianora 1/13

 

 

 

Begonnen: Juni 1998

Beendet: 28 September 1998

 

Kategorie: Lasst uns einfach S sagen, obwohl es hier definitiv einen Plot gibt.

Unterkategorien: R, A

Rating: NC-17 für Sex, außerdem Sprache, Gewalt, ein bisschen Mulderqualen, ein bisschen Scullyqualen, die Misshandlungen Schlüsselwörter: MSR ( obwohl ich glaube, dass der Energiequotient minimal ist)

Archivierung: ja, im Gossamer, woanders bitte erst fragen Spoiler: einfach alles, einschließlich des Films Zusammenfassung: In einer Welt nach der Kolonisation kämpfen ein sehr veränderter Mulder und eine sehr veränderte Scully darum, ihren Weg zueinander wieder zu finden - sowohl physisch als auch emotional.

 

Disclaimer: Copyright-Verletzungen waren nicht beabsichtigt, aber es hat Riesenspaß gemacht...

 

Feedback: Das ist die längste, ehrgeizigste Sache, die ich je geschrieben habe, und ich würde deshalb Feedback lieben. Bitte. Schreibt mir an Dianora2@aol.com Besucht meine Homepage unter http://members.aol.com/dianora2/main.htm

 

Diese Story profitiert überaus von dem unschätzbaren Rat und Beitrag von Nicole Perry. Nic, danke dafür, dass du mich genervt hast, dir den ersten Entwurf zu schicken. Du bist - ganz einfach - hart. Danksagungen gehen ebenfalls an das Café UST dafür, dass die Leute dort so genörgelt und mich ermutigt haben, und speziell an Allegra, die mich angestoßen hat, wenn ich es brauchte, und an MD1016 für all ihre bedingungslose Unterstützung.

 

Ich muss auch zwei Freunden danken, die das hier möglicherweise niemals lesen werden: Genny, die mit mir Brainstorming veranstaltet hat, auch wenn sie denkt, ich wäre verrückt, Fanfics zu schreiben, und Ami, die geduldig all meine bizarren medizinischen Fragen beantwortet hat.

 

Dies hier ist meinen verehrten Wisconsin Spice Girls gewidmet: MD1016, Nic Perry und Karen Rasch. Es war unsere Fanfic-Diskussion in der Hotelbar in Chicago, die mich zuerst inspiriert hat. Es gibt keine Hoffnung, dass Santa Fe je unser bestes Abenteuer wird. "Da sind Regeln!"

 

 

 

 

 

"Große Wahrheiten sind Teile der Seele eines Mannes; große Seelen sind Teile der Ewigkeit."

Sonnet VI, James Russell Lowell, 1819-1891

 

 

 

 

 

 

Es war lange her, seit er das letzte Mal hier gewesen war.

 

Irgendwie war er schockiert herauszufinden, dass die Kirschblüten immer noch blühten oder dass der Potomac immer noch dahinfloss. Ja sogar, dass die Sonne immer noch am Himmel schien. Für ihn war jeder Tag nun grau. Aber der blaue Himmel über ihm war unangenehm strahlend, beinahe heiter. Es verbitterte ihn, dass es so war.

 

Nur die Tatsache, dass er einen Job zu erledigen hatte, hielt ihn davon ab, dem Ärger und der Verzweiflung nachzugeben. Dennoch fraß es am ihm, mit winzigen, schmerzvollen Bissen - nach so langer Zeit wieder hier zu sein, hier wo sie zusammen gewesen waren, wo sie ihn wieder und wieder gerettet hatte, wo er, ein einziges Mal in seinem Leben, ein vollkommener Mensch gewesen war - es war beinahe zu viel, um es zu verarbeiten.

 

Aber er hatte einen Job zu erledigen.

 

Er wog die schwere schwarze Tasche, die er trug, streifte das kugelförmige Alienschiff, das in einer permanenten Position über dem Weißen Haus schwebte, mit einem kurzen Blick und setzte dann seinen Weg fort.

 

 

 

 

 

Dana hasste Partys.

 

Eine der Drohnen - es musste Lisette gewesen sein - hatte äußerst gewissenhaft das Abendkleid herausgelegt, dass sie bald an diesem Abend zu tragen hatte, so als wollte sie Dana daran erinnern, dass sie nicht in der Lage sein würde, sich dem Empfang heute Abend zu entziehen. Nun strich sie das Kleid auf ihrer Haut glatt: ein seidiges, knöchellanges, schulterfreies Kleid; ziemlich enganliegend, aber nicht unbedingt billig aussehend. Es war weiß, natürlich. Sie war die Farbe Weiß so leid.

 

Als ihre Limousine vor den Stufen des Cooperative Centers ausrollte - des Kennedy-Centers erinnerte sie sich grimmig - atmete sie tief ein und stärkte sich selbst für das, was kommen musste. Nur ein paar Stunden und dann kannst du nach Hause gehen, leierte sie in ihrem Kopf. Du hast das schon früher gemacht, du kannst es wieder tun.

 

Ihr Fahrer öffnete die Tür und sie stieg auf den Gehweg aus, halb die Blitze der Kameras von Paparazzi auf ihrem Gesicht erwartend, wie bei einem Filmstar von früher. Aber da war nur das schweigende, wuchtige Sicherheitspersonal - Morphers, Hybriden, Drohnen; sie war sich nicht sicher, noch immer konnte sie es nicht genau sagen und vermutete, dass es nicht wirklich zählte - das geduldig darauf wartete, dass sie ihren Weg die Marmorstufen hinauf nahm. Wartete, um sicherzustellen, dass sie nicht versuchen würde, irgendwo anders hinzugehen. Sie identifizierte einen der beiden Handlanger, die ihr zugeteilt waren, um sie im 24-Stunden-Rhythmus zu beobachten, der sie ausdruckslos observierte. Es war Freddie. Freddie und Felix nannte sie sie im Geist in dem Bemühen, sie zu erniedrigen oder um sie letztlich menschlich klingen zu lassen, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass sie in der Tat Hybriden waren. Bevor sie ihren Weg zum Eingang fortsetzte, warf sie Freddie einen schalkhaften Blick zu. Sie wusste, dass es keine Wirkung auf ihn haben würde, aber dessen ungeachtet musste sie dieses Statement abgeben.

 

Das strahlende Oberlicht badete sie in Wärme, als sie den Bankettsaal betrat. Tiefrote Samtvorhänge verhüllten die weiten Erkerfenster, roter Plüschteppichboden hüllte ihre Füße ein und weiße und rote Leinentischdecken schmückten die mit Porzellan und Kristall beladenen Tische. Es war, als käme man in eine Gebärmutter gefüllt mit Blut hinein.  Der scharfe, beinahe metallische Geruch, der die Anwesenheit der Kolonisten immer begleitete, durchdrang die gefilterte Luft und sie hoffte, dass sie sich heute Abend schnell daran gewöhnen würde.

 

Überall in dem großen, hohen Saal verteilt berieten sich Kolonisten mit ihren menschlichen Lakaien, während hiesige Speichellecker darin bedienten, sich um jeden kleinen Brocken Macht rangelnd und sich gegenseitig den Rücken tätschelnd, um sicherzugehen, dass es dort keine scharfkantigen Messer gab. Verzweiflung, Angst und List hingen in dem Raum wie greifbare Präsenzen und gingen ihr auf die Nerven.

 

Hier und dort entdeckte sie Drohnen, gelb gekleidet und für verschiedene Bedürfnisse da: dienen, saubermachen spionieren. Sie vermutete, dass sie dankbar sein müssten, zu Haushaltsdiensten herangezogen zu sein statt zu harter Arbeit in den Minen oder auf den Farmen, wie so viele andere, wenn sie sich noch ein bisschen Bewusstsein für die Realität bewahrt hatten. Die Farbe ihrer Kleidung stand in scharfem Kontrast zum Rot in dem Raum. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, warum "Sie" gelb ausgewählt hatten. Niemand sah gut aus in gelb. Offensichtlich eine Entscheidung, die von Männern getroffen worden war. Und noch nicht einmal von menschlichen Männern. Der Gedanke amüsierte sie ein wenig und sie lächelte beinahe.

 

Sie entdeckte ein paar Kolonisten und hiesige Führer, aus denen sie wahrscheinlich ein paar Informationen herausholen konnte, aber aus irgendeinem Grunde war sie heute Abend nicht mit dem Herzen dabei. Statt dessen ging sie einfach zu der Tischgruppe an der Seite für die anderen Mütter und versuchte, nicht zusammenzuzucken, als ein Kolonist hinter ihr vorbeischlitterte und ein leises Zischen von sich gab. Die Frauen am Tisch begrüßten sie warm wie immer, sahen sie von oben bis unten an und blickten dann über ihre Schulter, um einen Blick auf Freddie zu erhaschen. Dana war die einzige Mutter mit "Bodyguards" und sie beneideten und bemitleideten sie gleichzeitig deswegen. Sie hatte es nie für notwendig erachtet, den Frauen zu erzählen, dass Freddie und Felix nicht so sehr Bodyguards waren, sondern Spitzel, um sie bei der Stange zu halten. Diese Art von Information würde auf ihren sterilen Teeparties nicht so gut ankommen.

 

"Dana." Die Frau, die Dana nur als Kristina kannte, deutete auf den leeren Platz neben sich. Dana glitt dankbar darauf und schenkte der Frau ein wohlwollendes Lächeln. Kristina war die einzige Mutter, die noch wie ein normales menschliches Wesen zu handeln schien. Die anderen fürchteten zu sehr, ihren Status bei den Kolonisten zu verlieren oder irgendwie eine Sünde zu begehen, die ihren Status als Mutter annullieren würde.

 

"Werden wir noch Spaß haben?" murmelte Dana und erntete dafür ein kurzes Lachen von ihrer Freundin.

 

"Sobald das passiert, wirst du es wissen, da bin ich mir sicher," entgegnete sie.

 

"Was also ist exakt heute Abend auf der Tagesordnung? Ich habe nichts gehört."

 

Kristina schob ihr reichliches blondes Haar aus dem Gesicht in einer, wie Dana erkannte, nervösen Geste. "Sie sagen, ein hohes Tier von früher wird heute Abend sprechen. Ein Gouverneur? Sogar ein Präsident? Niemand scheint es zu wissen. Aber ich höre, er hat große Neuigkeiten. Vielleicht irgend etwas über Greenland?"

 

Greenland. Danas Magen zog sich zusammen, aber sie zwang sich dazu, gelangweilt zu gucken. "Haben sie es endlich geschafft, den letzten Kampf dort zu beenden?"

 

Kristina zuckte mit den Achseln. "Wie ich schon sagte, ich weiß es nicht." Sie sah Dana aus trüben grauen Augen fest an und Dana konnte die unausgesprochene Botschaft darin sehen: Lass uns hoffen, dass wir gewinnen.  Sie glaubte nicht, dass Kristina ein Mitglied des Widerstandes war, aber sie verdächtigte die blonde Frau, dass sie wenigstens ihre Meinung teilte, auch wenn sie niemals verrückt genug wäre, es zu sagen.

 

"Ich muss mal auf die Toilette," sagte Dana abrupt, plötzlich hatte sie Schwierigkeiten, normal zu atmen. Sie betete darum, dass sie keine neue Panikattacke erleben würde - schließlich war es Monate her, seit sie eine gehabt hatte - erhob sich von ihrem Stuhl und durchschritt flink die Breite des Bankettsaals, nur innehaltend, als der Raucher ihren Weg kreuzte.  Frostig starrte sie an ihn, erwiderte sein falsches Lächeln zur Begrüßung nicht und rauschte an ihm mit soviel Würde vorbei, wie sie aufbringen konnte.

 

Sie konnte seine Augen auf ihrem Po spüren, als sie davonging.

 

Einmal in der Toilette, schloss sie die Tür hinter sich und dann lehnte sie sich dagegen, legte ihre Stirn an das kühle Metall und atmete tief und gleichmäßig. Greenland. Skinner war in Greenland. Skinner war in Greenland auf ihre Bitte hin - zur Hölle, auf ihr Flehen hin - und leitete die Dinge an diesem Ende, während sie hier ihre medizinische Forschung und ihre Vernetzungsarbeit fortsetzte.

 

Hatten sie ihn letzten Endes geschnappt?

 

Dana glaubte, sie würde etwas gehört haben, aber die Kommunikationskanäle von dort nach hier waren bestenfalls fraglich in den letzten paar Monaten.  Nein. Sie lehnte es ab, die Hoffnung aufzugeben. Es war alles, was sie jetzt noch hatte, abgesehen von ihren Erinnerungen.

 

Sie ging zum Waschbecken und spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht, ohne sich darum zu kümmern, ob es vielleicht ihr Make-up ruinierte. Mit dem bereitgestellten Handtuch betupfte sie ihr Gesicht und atmete wieder tief, ein durch die Nase, aus durch den Mund. Noch einmal sah sie sich im Spiegel an. Ihr Make-up war in Ordnung, aber wenn irgendwer, der sie gut genug kannte, näher hinsah, konnte er die Sorge in ihren Augen sehen.

 

Aber es war niemand da. Es war seit sehr langer Zeit niemand da.

 

Sie unterdrückte einen Seufzer und verließ die Toilette.

 

 

 

 

 

Noch einmal überprüfte er seine Waffe, sich dessen sehr bewusst, als er es tat, dass er es gezwungenermaßen tat. Er hatte recht, nervös zu sein, sagte er sich. Nie zuvor hatte er einen so hoch angesetzten Anschlag ausführen müssen. Zugegeben, er machte sich wenig Sorgen darum, erwischt zu werden.  Es waren genug Männer vom Syndikat heute Abend hier vor Ort, um zu garantieren, dass er nicht verhaftet wurde, und sein aktueller Posten hoch in den Dachsparren war sowohl vorteilhaft als auch diskret. Aber er machte sich dennoch Sorgen darum, den Job zu vermasseln. Er wusste, was passieren würde, wenn er es tat.

 

Also überprüfte er das Gewehr noch einmal.

 

Und als er wieder aufblickte, sah er einen Traum laufen.

 

Er nahm an, dass er dankbar sein sollte, dass es kein Geist war. Dana Scully war direkt unter ihm, gekleidet in ein wunderbares weißes Abendkleid, das Haar perfekt frisiert, das Make-up geschickt aufgetragen.  Lächerlich großartig, wahrscheinlich hasste sie dieses Ensemble. Für ein ungeübtes Auge war sie die vollkommene Verkörperung einer Mutter und wenn sie irgend jemand anderes gewesen wäre, würde er vermuten, dass sie ihre unfruchtbare Gebärmutter mit Stolz trug. Aber das war nicht irgendeine Mutter. Das war Scully. Seine Scully.

 

Er verfluchte sich selbst. Nicht noch einmal, Arschloch. Nicht noch einmal.

 

Der Mann zog sich noch mehr hinter die Dachsparren zurück, obwohl er wusste, dass sie in unmöglich sehen konnte. Gleichzeitig ging ein Beben durch seinen Körper. Sie sah gesund aus. Sie war in Sicherheit. und nun konnte er sie unbeobachtet betrachten. Es war ein unglaublicher Luxus, einer, den er nicht erwartet hatte. Sie hatten ihm gesagt, dass sie in diesen Tagen in Louisiana sei, als er das letzte Mal gefragt hatte.

 

Er unterdrückte ein bitteres Lachen. Strughold? Lüge? Oh, daran darf man gar nicht denken.

 

Hungrig nahm er sie in sich auf, entschlossen, den Anblick in sein gut trainiertes Gedächtnis aufzunehmen. Das hauchdünne weiße Kleid umspannte ihren Körper in einer Art, wie es ihre FBI-Kostüme nie getan hatten, und ihr teurer, aber nicht übertriebener Schmuck glitzerte im strahlenden Licht des Saales. Das intensive Rot ihrer Haare stach sogar gegen den überwältigenden dunkelroten Hintergrund des Mobiliars ab. Sie trug ihren Kopf hoch, als sie den Raum durchquerte, furchtlos wie eine Löwin, ihren Teil würdigender Blicke der Menschen in dem Raum auf sich ziehend, jedoch anscheinend dadurch unberührt. Darin hatte sie eine Menge Übung, erinnerte er sich grimmig. Sie war niemals jemand gewesen, der es genoss, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Er fragte sich, wie sie die Anspannung aushielt. Und dann fragte er sich, ob sie jemals an ihn dachte, spät in der Nacht, oder ob sie sich an einen bestimmten Kuss erinnerte...

 

Der Mann schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Eine Straße der Erinnerung hinabzugehen, war keine Option für einen Job. Aber welche Wahl hatte er mit dem Gegenstand all seiner Phantasien im Wachen und im Schlafen so nahe bei sich, jedoch vollkommen unerreichbar?

 

Sie war zurück zu ihrem Platz gegangen, bemerkte er, als er wieder hinsehen konnte. Sie beugte sich herüber und flüsterte der blonden Frau neben ihr etwas zu, die darauf lachte. Ungeachtet der Leichtfertigkeit spürte er, dass Scully sich über irgend etwas Sorgen machte. Er erkannte die Spannung an der Art, wie sie ihre Schultern hielt.

 

Ich muss sie sehen, erkannte er. Wenn ich sie nicht sehe, bevor ich abreise, weiß ich nicht, was ich tun werde. Zum Teufel mit den Konsequenzen. Er war gehalten, gleich nach diesem Job nach Denver zurückzukehren, aber er konnte es vielleicht geschickt anstellen, wenn er schnell genug redete. Marita benutzen, um ihn bei Strughold zu decken. Sie hatte diesen verdammten Deutschen um den Finger gewickelt.

 

Gott verdammt, es war drei Jahre her. Wie konnte er sie nicht sehen, mit ihr reden... sie berühren? Es war das Risiko wert. Oder nicht?

 

Das Risiko wert für dich, schalt er sich. Aber war es das Risiko für Scully wert?

 

Oberflächlicher Applaus brachte seine Konzentration zurück auf den Gegenstand in Reichweite. Robert Stanton Boston, früherer Sprecher des Kongresses der Vereinigten Staaten, betrat das Podium an der Spitze des Bankettsaals. Mulder legte die Waffe an und zielte.

 

 

 

 

 

Dana musste sich bewusst daran erinnern, zu atmen, als sie Boston die Treppe erklimmen sah. In den chaotischen Tagen nach der Ankunft hatte sich der ältere Staatsmann aus Virginia radikal gegen jede Art der Komplizenschaft mit den Kolonisten ausgesprochen. Sie hatte angenommen, dass er schon vor langer Zeit hingerichtet worden war und war um so mehr überrascht herauszufinden, dass er nicht einmal eine Drohne war, die man in die eine oder andere Mineneinrichtung geschickt hatte. Was bedeutete seine Anwesenheit hier für den Widerstand? Für sie alle?

 

Der ältere Mann räusperte sich und lächelte sein Publikum an. "Senioren, Damen und Herren, Mütter, es ist mir eine Ehre, heute Abend bei Ihnen zu sein. Ich habe Ihnen aufregende Neuigkeiten mitzuteilen, Neuigkeiten, von denen ich mir sicher bin, dass Sie Ihnen sehr viel Freude bereiten werden." Wieder hielt er inne und räusperte sich, tastete in den Karten vor ihm herum und richtete seine leuchtend rote Krawatte. Er schwitzte sichtlich , ein leichter Schweißfilm bildete sich auf seiner Glatze.

 

Er ist zu nervös, dachte Scully. Irgend etwas stimmt nicht. Folgte er nicht "Ihrem" Programm, was immer das auch war?

 

"Damen und Herren," sagte Boston wieder und dann schien er innere Reserven aufzurufen. Als er weitersprach wurde seine Stimme stärker, beinahe schrill. "Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass wir den Kampf nicht aufgeben können..." Er beendete den Satz nicht, eine Kugel durchschoss seine Stirn Sekunden nach dem lauten Knall einer Schusswaffe aus den Dachsparren. Der ältere Mann fiel zu Boden und Scully hätte keine Ärztin sein müssen, um zu wissen, dass er bereits tot war.

 

Inmitten der Schreie und des schockierten Gemurmels der zusammengelaufenen Menge sprang Scully von ihrem Sitz auf und lief zum nächstgelegenen Notausgang in der Hoffnung, wenigstens einen flüchtigen Blick auf den Täter erhaschen zu können, so dass sie vielleicht entscheiden könnte, ob er Freund oder Feind war. Boston war offensichtlich dabei gewesen, ein terroristisches Widerstandsstatement in direkter Gegnerschaft zu den Kolonisten abzugeben, die ihn heute Abend hier her gebracht hatten, und es wäre ungemein interessant herauszufinden, welche Seite ihn so sehr zum Schweigen bringen wollte, dass sie so eine öffentliche Szene machte.

 

Ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht, eine große, dunkle Gestalt glitt gerade durch den Notausgang, als sie ihn erreichte. "Warten Sie!", schrie sie instinktiv, dann hielt sie an und verfluchte sich selbst dafür, so ein Idiot zu sein. Ihre Zeit beim FBI war lange vorbei und sie war natürlich unbewaffnet. Aber sie musste wissen, auf welcher Seite der Attentäter stand, für nichts anderes als für ihre eigenen Zukunftsstrategien. Für ihr Team. Für Skinner, wenn er noch am Leben war. Sie hoffte nur vage, dass der Mann sich nicht entscheiden würde, sie zu töten.

 

Verblüffenderweise blieb er stehen und drehte sich um, um sie anzusehen.

Und ihr Herzschlag setzte aus.

 

Gott sei Dank, es geht ihm gut, Gottseidankgottseidank.

 

"Mulder?" flüsterte sie heiser. Ihre Hände kamen hoch und griffen an ihre eigenen Schultern, ihre Nägel gruben sich durch die Seide in ihr Fleisch, als sie verzweifelt gegen das Gefühl ankämpfte, das sie mitzureißen drohte.

 

Fox Mulder sah wunderbar aus. Fit, gesund - ein bisschen zu dünn - und gutaussehend wie immer. Ganz in schwarz gekleidet und bewaffnet.

 

Ihre Augen trafen sich und ein heißes Feuer lief über ihren Rücken. Sie musste sich auf die Lippe beißen, um nicht zu schreien. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, seine Augen so stürmisch wie ihre, als sie Schritte hörten, eine Menge Schritte. Er sah nervös in die Richtung des Geräusches, bevor er sie wieder ansah. "Heute Nacht," krächzte er und glitt zur Tür hinaus.

 

Scully stolperte zurück in den Bankettsaal, ohne zu sehen und ohne zu hören, bis ihr Fahrer sie schließlich am Ellbogen nahm und sie nötigte, nach Hause zu fahren und sich nach all der Aufregung ein wenig auszuruhen.

 

"Ausruhen," murmelte sie. Als ob das jetzt möglich wäre.

 

 

 

 

 

Mulder konnte so leicht verschwinden, wie er es gewusst hatte, zu seinem Wagen eskortiert von den Undercover-Schlägern des Syndikats. Ein Kinderspiel, wie üblich - jeder hätte diesen Job erledigen können, seine persönlichen Dienste wurden nur benötigt als erniedrigende Erinnerung an seinen permanenten Mangel an Optionen. Die Alientruppen zogen eine Show ab und suchten draußen ein Weilchen herum, aber sie gaben schnell auf.  Exekutionen wie die von Boston waren zu normal, um für allzu viel Unruhe zu sorgen, und der Verlust eines weiteren Menschen bedeutete den Kolonisten überhaupt nichts.

 

Die Unbequemlichkeit, dass ihre Party unterbrochen wurde, war das größere Ärgernis.

 

Sie vermuteten wahrscheinlich sogar, dass ihre "Verbündeten" im Syndikat eigentlich hinter dem Mord steckten. Die Kolonisten waren starke Gläubige darin, einem genug Seil zu geben, um sich selbst zu hängen. Mulder fragte sich einfach, wie lange es dauern würde, bis Strughold und der Rest reif für den Galgen waren.

 

Mulder verließ den Tatort nicht wie geplant. Er saß wie ein Idiot in seinem Fluchtwagen, bis er Scullys feuriges Haar erblickte, als sie in eine schwarze Limousine stieg. Und dann folgte er ihr, sorgfältig darauf bedacht, einen sicheren Abstand zu ihren offensichtlichen Bewachern zu halten, bis sie ihr Herrenhaus in Chevy Chase erreichten. Perfekt. Weder ein Mensch noch ein Kolonist hatte bisher ein Sicherheitssystem installiert, dass er nicht knacken konnte.

 

Während er sich eine Zigarette anzündete und es sich bequem machte, um den richtigen Moment abzuwarten, um sich hereinzuschleichen - vorzugsweise, wenn dieser wuchtige Typ, der ihr nach Hause gefolgt war, eingeschlafen war - wanderten seine Gedanken zu ihren letzten gemeinsamen Momenten zurück. Er hatte sie so viele Male durchlebt, dass er die ganze Unterhaltung auswendig kannte.

 

 

 

 

 

"Ich bin mir deswegen immer noch nicht sicher, Mulder. Es sieht zu sehr nach weglaufen aus."

 

Nur eine Lampe brannte in ihrem Wohnzimmer und ihr blasses Gesicht sah nun in dem gedämpften Licht gequält aus. Er trat näher zu ihr, nahm ihre Hände in seine und sprach so überzeugend wie möglich. "Wir haben keine Wahl, Scully. Wir können eine Menge mehr Gutes tun, wenn wir von hier verschwinden, irgendwohin weit weg, als wenn wir hier herumhängen und darauf warten, dass der ganze Mist losgeht. In diesem Augenblick versprechen uns die Kolonisten Frieden und Glück und Heilung für jede Krankheit, die die Menschheit kennt, aber wir wissen, was wirklich passieren wird. Sie schinden nur Zeit, bis die Bienen freigelassen sind.  Wir müssen dieses Wissen zu unserem Vorteil nutzen, solange wir noch können." Der Zigaretten rauchende Bastard hatte ihm vor ein paar Tagen einen kalten wissenden Blick zugeworfen auf dem Flur des J. Edgar Hoover Gebäudes, der ihn zu Tode erschreckt hatte, obwohl er seiner Partnerin nichts davon gesagt hatte. Er wollte ihr nicht noch mehr Sorgen bereiten, als er musste.

 

"Ich weiß. Ich... ich weiß," sagte sie mit einem Krächzen in der Stimme.

Sie sah von ihm fort. "Ich habe bereits meiner Familie Bescheid gegeben.  Bill und Charlie haben Mom und ihre Frauen und die Kinder eingesammelt und sind nach Irland gefahren, solange die Reise noch erlaubt war. Wir haben einige entfernte Verwandte dort und Gott weiß, sie werden dort nicht so in Gefahr sein, wie sie es wahrscheinlich in diesem Land wären. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mir vollkommen geglaubt haben, aber wie können sie es sich leisten, die Möglichkeit anzunehmen, dass ich mich irre, nicht wahr?" Sie versuchte beinahe ein Lächeln, aber dann hielt sie inne und er konnte sehen, wie ihre Kiefer arbeiteten, als sie die drohenden Tränen herunterschluckte. "Mom wollte nicht ohne mich gehen, aber ich konnte sie überzeugen, dass ich sicher bin bei dir."

 

"Ich habe Angst, Mulder," sagte sie leise und sah ihm schließlich in die Augen, so dass er die Angst in ihren sehen konnte. "Ich mag es nicht zugeben, aber ich fürchte mich schrecklich."

 

Sein Herz zog sich zusammen, als er ihren hilflosen Gesichtsausdruck sah.  "Ich weiß, dass du das tust. Ich auch." Er streckte seine Hände aus und versuchte, sie an sich zu ziehen, aber sie schob ihn weg.

 

"Nein. Du kapierst es nicht." Sie nahm eine weiße Schachtel vom Kaffeetisch auf. "Das kam heute morgen an." Sie hielt sie ihm mit zitternden Händen hin. "Mach es auf."

 

In der Schachtel lag ein bodenlanges weißes Abendkleid aus feinen Fasern in Scullys Größe. "Was zur Hölle ist das?" fragte er und befühlte das Material voller Entsetzen.

 

"Ich weiß es nicht," sagte Scully. "Aber es ängstigt mich zu Tode, Mulder.

Sieh dir den Boden der Schachtel an."

 

Er drehte sie um und sein Herz machte einen Satz, als er die roten Insignien dort sah, wenngleich er nicht überrascht war. Er hatte Gerüchte gehört... "Das ist ein Kolonisten-Logo."

 

"Denkst du, das weiß ich nicht?" fragte sie, praktisch schreiend. Sie brach ab und hielt bestürzt die Hände vor ihr Gesicht. "Es tut mir leid. Ich bin nur..."

 

"Es ist gut," sagte er und warf die Schachtel auf den Boden. Diesmal ließ sie sich von ihm an sich ziehen und er legte seine Arme um sie, den Duft ihres Haares einatmend. "Wir werden von hier verschwinden und alles wird gut, Scully," sagte er an ihrem Ohr. "Ich verspreche es."

 

"Mach keine Versprechungen, die du nicht halten kannst," sagte sie, ihre Worte verzweifelt, ihre Stimme gedämpft an seiner Brust.

 

Er zog sich zurück und nahm ihr Gesicht in seine Hände. "Worüber machst du dir Sorgen? Scully, wenn wir als Team arbeiten, ist alles möglich."

 

Sie lächelte ein wenig. "Du überschätzt uns vielleicht ein bisschen."

 

"Niemals," sagte er grinsend und fühlte sich seltsam schwindlig ungeachtet des Ernstes ihrer Lage. Vielleicht war es ihr Lächeln, dass niemals seine Wirkung auf ihn verfehlte. Er liebkoste ihre Wange mit seinem Handrücken und sie legte ihre Hand darauf, um sie dort zu halten und lehnte sich in seine Berührung.

 

Sie fühlten beide, wie sich der Augenblick veränderte. Es war, als würde die Luft vor kosmischer Energie prasseln und sie einander entgegen drücken, und bevor Mulder überhaupt wusste, was er tat, beugte er sich herab und drückte seine Lippen auf ihre, zart, vorsichtig. Sie zögerte zuerst, aber dann öffnete sich ihr Mund unter seinem und sie erwiderte den Kuss vollkommen, nahm seine fragende Zunge auf und liebkoste sie mit ihrer eigenen. Ihre Hände wanderten über seinen Rücken und ihr Körper verschmolz mit seinem. Das Gefühl ihres beschleunigten Atems an seiner Wange machte ihn schwindelig. Er zog sie noch enger an sich, sich nur des Duftes, des Gefühls und des Geschmacks von ihr bewusst. Endlich. Gott.

 

Sie küssten sich wie es schien eine Ewigkeit, hungrig, mit wachsender Leidenschaft, bis Scully zurückwich. Sie legte ihre Hände auf seine Brust und versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen. "Mulder, ich..."

 

Er schnitt ihr das Wort ab, indem er ihr einen Finger auf die Lippen legte.  "Was immer du sagen willst, Scully, sag es nicht. Nicht jetzt. Wir haben den Rest unseres Lebens dafür. So wie es nun mal ist."

 

Sie zögerte und wollte offensichtlich irgendwie fortfahren, dann nickte sie zustimmend. "Ich sehe dich morgen früh."

 

"Sonnenaufgang," verbesserte er. "Sachen gepackt und bereit." Er streichelte ihr zärtlich übers Haar und dann, mit einem letzten Blick in ihr besorgtes Gesicht, verließ er ihr Apartment.

 

 

 

 

 

 

Mulder schlug in der Erinnerung daran mit der Faust auf das Armaturenbrett.  Sie waren sich so nahe gewesen, so verdammt nahe... Und dieser Kuss... er hatte seine Träume heimgesucht und seine Phantasien über Jahre hinweg entflammt. Dieser Kuss war ein Versprechen gewesen, mehr als seine Worte, und sie hatte an ihn geglaubt. Aber was empfand sie jetzt für ihn?  Verdammt, er war sich nie ganz sicher gewesen, was sie für ihn empfand nach allem, obwohl er gern glaubte, dass er eine ganz gute Ahnung davon hatte.  Aber wie hatte das Leben unter dem immerwährenden Blick der Kolonisten sie verändert? Obwohl viele Frauen unter ihrem neuen höheren Status aufblühten, hatte er Geschichten von Müttern gehört, die den Selbstmord als letzten Ausweg aus einem Leben gewählt hatten, in das sie gestoßen worden waren.  Jede Geschichte, die ihm zu Ohren gekommen war, hatte die Angst in seinem Herzen über Scullys eigene mentale Gesundheit begründet. Hatten sie es geschafft, ihre Seele so zu beeinflussen, wie sie ihr soziales Ansehen beeinflusst hatten?

 

Er hatte Angst, es herauszufinden. Aber das zählte nicht. Er musste es wissen.

 

Als er einen Wechsel des Wachmanns für Scullys Bespitzelung bemerkte, nutzte er den Vorteil der Ablenkung und schlüpfte aus seinem Wagen in die Nacht hinein.

 

Er ging an das entfernte Ende des Grundstücks und prüfte den Bereich um das Sicherheitstor, indem er einen Stock vom Boden aufhob und ihn gegen die geschmiedete Eisenstruktur schleuderte. Tatsächlich knisterte das Tor und löste eine Explosion aus und der Geruch von verbranntem Holz füllte die Luft augenblicklich. Gut, dass er daran gedacht hatte, seine Werkzeugausrüstung neben anderen Sachen in seiner schwarzen Allzwecktasche mitzubringen. Er holte den sehr seltenen und geschmuggelten Neutralisator hervor, richtete ihn auf das Tor und drückte den Aktivierungsknopf. Der gelbe Strahl explodierte in dem kurz sichtbaren blauen elektrischen Feld des Tores, dann hörte er auf und ließ die Nacht einmal mehr schweigend zurück.

 

"Kinderspiel," flüsterte er voller Befriedigung. Er liebte die Ironie:

einfache menschliche Elektrizität, gestohlen von einem Menschen, machte Alientechnologie zunichte.

 

Nun hoffte er, dass da nicht noch ein ausgeklügeltes System im Haus selbst angebracht war. Alienproduzierte Haussysteme waren ein bisschen komplizierter. Und sehr viel tödlicher.

 

 

 

 

 

Dana widerte es an, zu erkennen, dass ihre Hände zitterten, als sie ihre Nachtbekleidung anzog. Lisette hatte versucht, ihr zu helfen, sich für das Bett fertig zu machen, aber sie hatte die ältere Frau angefaucht, dass sie sie allein lassen sollte und für den Rest der Nacht nicht wiederkommen sollte. Obwohl alle Drohnen eine gehörige Portion Angst vor ihr hatten, ungeachtet ihrer Programmierung, war es sehr schwierig gewesen, sie loszuwerden. Dana verriegelte die Tür hinter ihr und dann prüfte sie zwanghaft alle paar Minuten die Klinke. Einer der schlimmsten Aspekte der Mutterschaft war die Tatsache, dass man sich niemals wirklich allein fühlte, nicht einmal in seinem eigenen persönlichen vergoldeten Käfig.

 

Also was zur Hölle machte Mulder in Washington? Er sollte drüben sein in...  Denver, dachte sie war es. Er sollte in Sicherheit sein. Ein Angestellter, hatte ihr der Raucher erzählt, das eine Mal, als sie den Nerv hatte, ihm eine Pistole an den Kopf zu setzen. Ein Bleistiftspitzer in einer der Minenanlagen, die das Syndikat geholfen hatte, für die Kolonisten einzurichten. Wann war er ihr Botenjunge für so etwas geworden? Und konnte sie ihm noch vertrauen? Sollte sie es?

 

Und was wollte er von ihr nach all den Jahren? Was wollte sie eigentlich von ihm? Wie konnte er ihr und dem Widerstand helfen? Würde er es überhaupt wollen?

 

Zu viele Fragen. Sie verbannte sie unter Aufbietung ihres Willens aus ihren Gedanken und schlüpfte in ein bequemes Seidennachthemd, dann hüllte sie sich in einen voluminösen Frotteebademantel. In der Öffentlichkeit mussten Mütter immer weiß tragen, im Privaten schmückte sie sich mit edlen Farben:

eiskaltes Blau und kräftiges und feuriges Rot. Das was sie jetzt trug, war von einem Grün, dunkel wie die Wälder.

 

::Komm schon, Scully. Das wird ein hübscher Ausflug in den Wald.::

 

Hör auf damit, befahl sie sich selbst. Tu dir das nicht an. Lass ihn dir das nicht antun. Zuviel Zeit ist vergangen, zuviel stand jetzt auf dem Spiel.

 

Ein Geräusch am Fenster holte sie aus ungehemmten Träumereien.

 

"Haben "Sie" kein Sicherheitssystem am Haus installiert?" fragte er, als er aus der Dunkelheit hereinkletterte. Er warf einen schwarzen Matchsack auf den Teppich und rieb sich die Hände an seinen Jeans ab.

 

"Natürlich, ich habe es ausgestellt. Sie wissen nicht, dass ich weiß, wie es geht," sagte sie.

 

"Nicht die klügste Idee," sagte er missbilligend. Wie in alten Zeiten.

 

"Die Menschen brechen nicht in das Haus einer Mutter ein," sagte sie leise.

 

Er nickte und bestätigte die Wahrheit dessen. "Wanzen?"

 

Sie schüttelte den Kopf. "Frohike checkt das jede Woche für mich."

 

"Frohike?" wiederholte er mit großen Augen. "Er ist noch hier?"

 

"Er wird hier sein bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, er und die Küchenschaben," sagte sie, unwillkürlich lächelnd.

 

Er lachte, dann winselte er, als wäre ihm der Klang nicht vertraut.

 

Dann sahen sie einander nur an. Scully konnte Tränen in ihren Augen fühlen.  Sie verfluchte sich selbst dafür, versuchte zu verhindern, dass sie herunter liefen, aber sie konnte es nicht. "Mulder..."

 

Und dann hielt er sie fest, drückte sie an sich, als wäre sie das Einzige, was ihn aufrecht hielt. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, atmete den nie vergessenen, vertrauten Duft von ihm ein, getraute sich kaum zu glauben, dass sie ihn tatsächlich noch einmal berührte, nach all dieser Zeit. Das kühle Leder seiner Jacke stand in scharfem Kontrast zu der Hitze seines Körpers an ihrem.

 

Bevor sie über irgend etwas nachdenken konnte, was sie ihm sagen sollte, hob er ihr Kinn, eroberte ihre Lippen, strich seinen Mund darüber und das daraus entstehende Feuer schockierte ihr System und schob alle zusammenhängenden Gedanken beiseite, sogar als sie erschrocken feststellte, dass er scharf nach Zigaretten schmeckte. Sie klammerten sich aneinander voller Verzweiflung, küssten und küssten und küssten sich, bis sie sich selbst wiederfand, wie sie wild nach seinen Sachen griff und ihm sein Hemd über den Kopf zerrte, während er am Gürtel ihres Bademantels zog. Da waren keine Worte oder sanfte Zärtlichkeiten oder Versuche schlagfertiger Antworten, nur das Bemühen, sich zu berühren, Haut an Haut, sich das zurückzuholen, was ihnen gewaltsam genommen worden war, bevor es überhaupt begonnen hatte.

 

Als ihr Bademantel als Haufen auf den Boden fiel, presste er sie roh gegen die Wand, nahm ihr so den Atem und dann begann er mit entschlossener Hast an seinem Gürtel und an seinem Reißverschluss zu reißen. Sie half ihm mit ungeschickten Händen, dann schob sie ihr Nachthemd für ihn hoch über ihre Hüften, während er seine Hände auf ihren Po legte, sie hochhob und in einer einzigen gekonnten Bewegung mit seinem harten, geschwollenen Penis aufspießte. Augenblicklich begann er in sie zu pumpen und triumphierend in sie zu stoßen, vor Anstrengung ächzend. Sie hielt um ihr Leben durch, die Augen geschlossen und ließ die köstliche, lange verleugnete Spannung und Fülle sie entflammen. Er war überall, füllte sie aus, verzehrte sie mit seinen Händen, seinem Mund, seinem Penis, seinem Atem, wieder und wieder und wieder, bis ihre Nägel blutige Spuren auf seinem Rücken hinterließen.

 

Sie kamen zusammen, schnell, leise, atemlos. Er fiel gegen sie, barg sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und atmete schwer. Dann glitt er aus ihr heraus und stellte sie wieder auf den Boden. Er streichelte ihr Haar, küßte sie auf den Kopf, wieder und wieder und sie schloss ihre Augen und gönnte sich noch einen Moment mehr. Einen vollkommenen Moment mehr, um ihn auszukosten und ihn hinter geschlossenen Lidern wieder durchzuspielen, nachts wenn sie sich selbst unter der Decke berührte.

 

"Warum bist du hier, Mulder?" fragte sie.

 

Er verspannte sich ein wenig und die Küsse hörten auf. "Ich hatte einen Job zu erledigen," antwortete er in einem kontrollierten, gleichbleibenden Ton.

 

"Boston zu töten."

 

Eine Pause. "Ja."

 

"Für wen?" Lustig, dass der Mord an sich sie nicht so sehr zu ärgern schien; sie musste einfach wissen, wo er stand. Und wie sie es möglicherweise zu ihren eigenen Gunsten nutzen konnte.

 

Seine Hand glitt über ihren Arm, hinauf und herunter. "Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann."

 

Sie sah zu ihm auf. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er zu ihr herabsah, war kompliziert, aber niemand kannte ihn so gut, wie Dana. Sie sah die Angst darin und den Konflikt.

 

Und den kleinen Hoffnungsschimmer. Wenigstens war die nicht gestorben. Noch nicht.

 

"Mulder. Ich denke, nach allem, was wir füreinander gewesen sind," sagte sie fest, "schulden wir einander, wenn schon nichts anderes, die Wahrheit.  Meinst du nicht?"

 

"Du weißt sehr gut, wie man ein schmutziges Spiel spielt, Scully." Er seufzte, trat von ihr zurück und setzte sich auf das Bett, sich nicht einmal damit befassend, seine Jeans zuzumachen. "Ich arbeite für Strughold und den Rest des Syndikats, sowohl in Verbindung mit den Kolonisten als auch gegen sie," sagte er, ohne sie anzusehen.

 

Ihr Atem gefror in ihren Lungen. "Warum?" war alles, was sie zustande brachte.

 

"Es ist ein Deal, Scully, wie alles mit diesen Leuten," spuckte er aus.  "Ich töte die Menschen, die zu gefährlich sind, um am Leben zu bleiben, oder die Menschen, die sie in einer protzigen Art ausschalten wollen. Und im Gegenzug..." Er brach ab.

 

"Sag es mir."

 

Er sah sie an. "Und im Gegenzug bist du immer noch am Leben."

 

Scully schüttelte ungläubig den Kopf, obwohl sie irgendwie auf einer bestimmten Ebene spürte, dass sie es die ganze Zeit gewusst hatte. Sie setzte sich neben ihn aufs Bett und zog ihre Beine unter sich. "Mulder, ich bin eine der originalen Mütter, erinnerst du dich? Meine Rückzahlung für all die Jahre der Entführungshölle ist es, nun im Schoß des Luxus zu leben, von allen verehrt, während die Welt um mich herum spuckt und stirbt.  Betrachtet man die Hunderte von Geschöpfen, die mit meiner DNA in ihren Zellen herumlaufen und der Ausweitung des Imperiums der Kolonisten dienen, ist es das wenigste, was "Sie" tun konnten. Das Aliengesetz der Ehre und das alles," sagte sie sardonisch.

 

"Du bist nicht irgendeine Mutter, Scully. Ich habe deinen Beschatter bemerkt."

 

"Meinen...? Oh, Freddie." Sie seufzte. "Freddie und sein Gegenstück Felix sind dein Vermächtnis an mich, Mulder. Einmal Mrs. Spooky, immer Mrs.  Spooky, auch wenn man einmal der Sache gegen seinen Willen glorreich gedient hat." Sie nahm seine Hand und zeichnete die ungewohnten Schwielen nach. "Du sagst mir die Wahrheit nicht wahr? Sie haben dir tatsächlich gedroht, mich umzubringen, wenn du nicht kooperierst." Die Tatsache, dass der Gedanke sie überhaupt erschreckte, unterstrich nur, wie sie sich an ihr neues Leben gewöhnt hatte. Nein. Nicht gewöhnt. Angepasst.

 

Er drückte ihre Hand so fest, dass sie beinahe aufschrie. "Nicht nur gedroht. Sie haben es einmal versucht."

 

Kalte Angst. "Was?"

 

"Vor ungefähr einem Jahr, wollten sie, dass ich etwas tue... etwas, wozu ich mich nicht durchringen konnte. Etwas, wofür ich mich immer noch hasse, dass ich es getan habe. Also habe ich abgelehnt. Oder es versucht. Und dann..."

 

"Mein Autounfall," flüsterte sie. Er nickte. "Aber Mulder, das war ein Unfall, die alte Frau tauchte aus dem Nichts auf..."

 

"Verdammt, Scully, sei nicht so naiv," schnappte er. "Du hättest tot sein können, wegen mir."

 

"Aber ich bin nicht tot," flüsterte sie. "Ich habe nur dieses Souvenir von dem Vorfall." Sie zog ihr Nachthemd hoch, nahm seine Hand und legte sie auf ihren Oberschenkel, wo sie eine kleine rosa Narbe trug. "Die Technologie der Kolonisten ist unglaublich. Mein Bein war aufgerissen, von oben bis unten. Und das ist alles, was nun davon übrig ist."

 

Sein Daumen strich ehrfürchtig über die ganze Länge der Narbe. "Ich könnte nicht mehr leben, wenn dir irgend etwas passiert wäre."

 

"Was haben sie mit dir gemacht?"

 

Ein langes Schweigen folgte, so lange, dass sie glaubte, er würde ihr die Antwort verweigern. Dann: "Ich... äh... lebe mit Marita Covarrubius zusammen."

 

Danas Kopf drehte sich, in ihm wirbelten Bilder von Mulder mit dieser Blondine im Bett, die Glieder miteinander verflochten... "Aber warum?"

 

Er schnaufte geringschätzig. "Als Entschädigung für sie, für ihre Dienste.  Augenscheinlich wollte sie mich aus irgendeinem Grund. Sie bereut es jetzt wahrscheinlich schon." Er versuchte, zu lächeln, es gelang nicht.

 

Schlafen mit Marita. Mord war leichter zu akzeptieren. "Liebst du sie?"

 

Sein Gesicht erstarrte. "Was zur Hölle ist das für eine Frage?" stieß er hervor. "Natürlich nicht. Ich... du bist die..."

 

"Macht nichts. Ich weiß," flüsterte sie. Sie tat es. Nicht dass es ihnen beiden gut tat. Sie lehnte sich an ihn und legte ihre Wange an seine Schulter. "Mulder, was ist passiert? An dem Tag, an dem wir weggehen wollten."

 

Er seufzte abgerissen, legte sein Kinn auf ihren Kopf und streichelte ihr Haar fortwährend, als er sprach. "Ich ging nach Hause, packte, machte alles fertig und schlief schließlich gegen drei Uhr morgens ein. Das nächste, was ich wusste war, dass ich hinten auf einem Lastwagen war und Gott weiß wohin raste, mit höllischen Kopfschmerzen. Schließlich wurde ich in irgendeiner Art Gefängnis abgesetzt, einem Zuchthaus, das in eine Hölle weitaus spezifischerer Natur verwandelt worden war. Sie schlugen mich eine Weile, verhörten mich, misshandelten mich, bis schließlich Strughold selbst auftauchte und mich zwang, ihr Spiel zu spielen. Ich stimmte zu, wollte einfach nur da raus und hoffte, dass ich irgendwie in der Lage sein würde, zu dir zurück zu kommen." Sein Halt an ihr wurde fester und sie konnte den Haken in seiner Stimme hören, als er fortfuhr. "Aber sie waren verdammt noch mal zu gründlich. Sie hatten dich da bereits gefunden, dich in dein neues Zuhause gebracht, zur selben Zeit sammelten sie alle anderen Mütter ein und zeigten ihnen ihr neues Leben. Mir wurde gesagt, wenn ich auch nur daran denken würde, dich zu kontaktieren oder irgendwohin zu gehen, wo sie mich nicht finden konnten, würdest du innerhalb einer Stunde tot sein.  Sie... sie zeigten mir Fotos von dir, als Beweis."

 

Sie versteifte sich. "Fotos wovon?"

 

"Von dir, in Weiß, den pflichtgemäßen Part einer Mutter spielend," sagte er, mit einer Kante in seinen Worten.

 

Gott verdammt. Worauf zur Hölle wollte er hinaus? "Du hast getan, was du tun musstest, um zu überleben," sagte sie kühl. "Genau das habe ich auch getan. Glaubst du, ich genieße es, mit solchen Wesen verbunden zu sein? Mit Kolonisten zu tun zu haben, mit Frauen, die ihre Seelen für das Privileg verkauft haben, ihre DNA zu verstreuen, mit Menschen wie diesem Bastard mit der schwarzen Lunge, der darauf besteht, mir jede Woche einen Besuch abzustatten? Es frisst an mir in jeder Sekunde, die ich lebe. Aber wenigstens lebe ich, um es zu fühlen." Sie wich vor ihm zurück und stand vom Bett auf, dann begann sie, umherzulaufen, ihren Ärger abreagierend, empört darüber, dass sie immer noch seinen Samen auf ihren Schenkeln spüren konnte. "Willst du wirklich wissen, wie ich meine Zeit verbringe, Mulder?  Willst du es?"

 

"Ich will alles wissen, Scully," sagte er gebrochen. "Alles, was du bereit bist, mir zu erzählen."

 

Sie kreuzte ihre Arme vor der Brust und versuchte, den überlegenen wütenden Blick von ihrem Gesicht zu halten, aber es funktionierte nicht. "Ich bin der gottverdammte Kopf des Widerstandes an der Ostküste, Mulder. Und was hast du getan?"

 

"Wie bitte?" fragte er ausdruckslos.

 

"Ich habe in den letzten zwei Jahren jeden Tag mein Leben aufs Spiel gesetzt," sagte sie kühl. "Sie erlaubten mir, weiterhin Ärztin zu sein - die meisten Mütter sind zufrieden damit, herumzusitzen und von Teeparty zu Teeparty gebracht zu werden, aber wie du selbst sagtest, ich bin nicht wie die meisten Mütter. Ich brauchte etwas, irgend etwas, um meinem Leben ein Stückchen Bedeutung zu geben, neben meinem Dasein als wandelnder gebrauchter Inkubator. Also praktiziere ich privat, sorge für die Elite und ich nutze jeden freien Moment dort, um an der Entwicklung eines Virus zu arbeiten, einer biologischen Waffe, geschaffen um die Schleimer ein für alle mal auf unserem Planeten auszurotten. Und ich bin kurz davor, Mulder.  Ich bin kurz davor, dieses ganze Kolonisationsprojekt in den Himmel zu schießen. Aber wenn der Kampf in Greenland nicht zur Ruhe kommt und unsere Gruppe zerstört ist, ist es alles umsonst. Und ich weiß nicht einmal, was da drüben vorgeht!" Sie hörte ihre Stimme lauter werden und senkte sie sofort aus Angst vor Entdeckung.

 

"Skinner ist dort drüben, Mulder. Skinner koordiniert die Bewegung dort und es lief alles gut, aber die letzten Offensiven haben uns Verluste eingebracht. Die Kälte dort ist hilfreich, natürlich, aber es ist kein endgültiges Mittel zum Schutz. Und ich war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu ihm durch zubringen oder von ihm zu bekommen."

 

Mulders Kiefer arbeitete, als er nach etwas suchte, irgend etwas, was er sagen konnte. Schließlich: "Ich kann dir Informationen aus Greenland besorgen."

 

Sie blieb mitten im Umherwandern stehen. "Wie? Diese Hure?"

 

Zu seiner Ehre schreckte er nicht vor ihrem Ausdruck zurück. "Ja. Sie und Strughold stehen... sich nahe, wenn du verstehst, was ich meine. Und sie vertraut mir weitaus mehr, als sie sollte. Ich kann dir die Informationen besorgen, die du brauchst. Gib mir nur ein paar Tage, wenn ich erst einmal zurück bin."

 

Sie nickte langsam. "Das würde... das wäre großartig." Dana spielte mit dem Saum ihres Nachthemdes. "Wie willst du mir die Informationen zukommen lassen?"

 

Mulder dachte schwer nach. "Gib mir Frohikes e-mail-Adresse. Ich kann wahrscheinlich eine sichere T1-Leitung finden und ihn darüber kontaktieren."

 

"Danke," sagte sie und spürte einen seltenen, unvorsichtigen Moment des Optimismus, dennoch fragte sie sich gleichzeitig, ob sie ihm tatsächlich vertrauen konnte. Aber wenn sie Mulder nicht trauen konnte, sogar nach all dieser Zeit, dann hatte sie wirklich niemanden. "Also, wann musst du zurück?"

 

"In ein paar Stunden, oder es gibt wirklich Ärger." Seine Augen bohrten sich in ihre und sie konnte sein Verlangen nach ihr quer durch den Raum spüren.

 

"Dann lass uns nicht noch mehr Zeit vergeuden," sagte sie mit heiserer Stimme. Sie ging zu ihm, setzte sich rittlings auf ihn und half ihm, in sie hineinzugleiten, als er ihren Namen flüsterte und nach ihren Brüsten griff und sie ergaben sich noch einmal dem Vergessen.

 

 

 

 

 

Die Informationen herauszubekommen, die Scully brauchte, war schwieriger, als Mulder erwartet hatte. Er vermutete, es war teilweise der Tatsache geschuldet, dass er Schwierigkeiten hatte, sich auf die Feinheiten seines Jobs zu konzentrieren; er war ständig durch Erinnerungen an Scully und ihre viel zu kurze gemeinsame Nacht abgelenkt und wollte nichts mehr, als sich jeden wachen Moment darin zu verlieren. Und zu allem Überfluss war Marita in einer besonders gehässigen Stimmung - mehr als üblich. Seit Wochen endeten alle seine halbherzigen Versuche, sie aus der Reserve zu locken, in der stummen Handhabung und er begann paranoid zu werden, dass sie irgendwie auf einer seltsamen psychischen Ebene wusste, dass er Scully gesehen hatte.  Er musste zu drastischeren Maßnahmen greifen.

 

Und so, spät in der Nacht, als die Lichter aus waren, schluckte er seinen Stolz und seine Würde und seinen Abscheu herunter und legte seine Hand auf ihre Brust.

 

Es war beinahe peinlich, wirklich, wie sie nicht einmal nach seinen Motiven fragte, wie sie mit Begeisterung mitmachte, über ihn kriechend und ihn wie ein halbwildes Pferd reitend. Er legte sich zurück, schloss seine Augen und konzentrierte sich auf Scully, versuchte sich verzweifelt daran zu erinnern, wie sie sich an ihm angefühlt hatte, an die Wärme ihrer Lippen, an den weichen Flaum ihrer Haare.

 

Er dachte darüber nach, dass er nun endlich wusste, wie sich die Frauen über die Jahrhunderte gefühlt haben mussten: wie Gefäße, die benutzt wurden.

 

Als es vorbei war - und es dauerte grauenvoll lange, weil seine Reaktion rein physisch war und ihm nicht zu irgendeiner Art Leidenschaft verhalf - nahm er sie in die Arme und verwickelte sie in ein Bettgeflüster, dessen Worte er sorgfältig wählte.

 

Es funktionierte. Es funktionierte so gut, dass es seinen Widerwillen ihr gegenüber nur verstärkte. Wer ahnte, dass alles was sie brauchte, ein mittelmäßiger Sexpartner war?

 

Zwei Tage später schlich er sich in Maritas Heimbüro und benutzte ihre sichere Modemverbindung, um eine Nachricht zu Frohike zu schicken.

 

 

 

 

 

Dana sah auf das kleine Stück Papier herab, das Rico ihr gegeben hatte, sobald sie das Labor neben ihrem Arztbüro betreten hatte. Die Nachricht war in Frohikes furchtsamer Krakelschrift hingekritzelt; sie war leicht überrascht darüber, dass er erlaubt hatte, irgend etwas von ihm selbst von Hand Geschriebenes aus seiner Umklammerung herzugeben.

 

"Gemeinsamer Freund rief an. Invasion droht in Paamiut. Ganz schnell Hermes warnen."

 

Sie knüllte das Papier zusammen und kämpfte eine Welle von Panik zurück.  Hermes war ihr Codename für Skinner; Paamiut ihre Hauptoperationsbasis. Er musste sein Team in eine der anderen verstreuten Städte an der Küste von Buffin Bay verlegen, aber wohin genau, würde seine Entscheidung sein müssen. Es gab nur so wenig, das sie von dieser Seite des Atlantiks tun konnte.

 

Durch den Schleier ihrer Angst konnte sie nichts dagegen tun, sie spürte einen Stich, dass es keine persönliche Nachricht von Mulder gab. Es sah ihm nicht ähnlich, nicht wahr? Vielleicht kannte sie ihn nicht mehr so gut, wie sie dachte. Sie glättete das Papier wieder, drehte es in ihrer Hand und sah, dass Frohike tatsächlich einen Nachtrag hingekritzelt hatte.

 

"Eistee??"

 

Ungewollte Tränen schossen in ihre Augen und nahmen ihr den Atem. Wie konnte es möglich sein, dass er sich an die Nacht vor so langer Zeit erinnerte?

 

::Mulder, ich würde mich für niemanden in Gefahr bringen, außer für dich.::

 

Sie verkniff sich ein ironisches Lachen über die Erkenntnis, dass sie nun ihr Leben für Millionen von Menschen, die sie nicht einmal kannte, aufs Spiel setzte. Für einen Moment lag das Gewicht der Welt schwer auf ihr, dann zuckte sie mit den Schultern.

 

Aber das sentimentale Gefühl ließ ihr Herz gleichzeitig höher schlagen. Sie spürte ein unbekanntes Ziehen in ihrer Seele und erkannte, dass es Zuneigung war. Es war sehr, sehr lange her, dass sie es sich gegönnt hatte, irgend etwas in dieser Art zu erleben. "Rico?"

 

Er war sofort da, ihr kontinuierlicher Helfer. Seine bedingungslose Loyalität ihr gegenüber hatte vor langer Zeit aufgehört, entnervend zu sein; jetzt zählte sie nur noch auf seine Hingabe an sie und zog sogar ihren Vorteil daraus. Sie sah in seine dunklen braunen Augen und gab ihm das Papier. "Ich weiß, wie schwer die Kommunikation zuletzt gewesen war, aber wir müssen diese Information irgendwie zu Hermes durchgeben, sofort.  Er muss umziehen. Augenblicklich. Der Ort liegt in seinem Ermessen, vorausgesetzt er meldet es uns, wenn sie sich wieder niedergelassen haben.  Ich zähle auf dich, Rico."

 

Rico nickte und nahm ihr das Papier ab, sein schneller Verstand suchte ohne Zweifel bereits nach möglichen Wegen, um die Basis in Greenland zu kontaktieren. "Betrachte es als erledigt," murmelte er. Sie berührte dankbar seinen Arm und er lächelte angesichts dieser Gunst.

 

Als er gegangen war, wandte sie sich wieder ihrem Laborbuch zu und studierte die letzten Daten, die dort aufgezeichnet waren. Sie war so nahe an einem Durchbruch, dass sie es beinahe schmecken konnte, nahe daran, ein Virus oder Antigen zu konstruieren, das sich als fatal für die Kolonisten und die Hybriden erweisen würde. Die Drohnen würden vermutlich sicher sein, weil sie nur mit dem schwarzen Öl infiziert waren; sie hatte bereits den Impfstoff dupliziert, den das Syndikat vor einiger Zeit entwickelt hatte, und das Labor in Greenland arbeitete daran, Massen davon für die weltweite Verteilung zu produzieren. Das Syndikat mochte zuviel Angst vor den Repressalien der Aliens haben, um das Zeug tatsächlich zu benutzen, aber sie hatte keine solchen Gewissensbisse. Aber die Zeit war noch nicht reif, sie brauchte zusätzlich das Virus zu dem Impfstoff, andernfalls machte es keinen Sinn. Es hatte eine zweizinkige Attacke zu sein oder gar keine.  Dennoch konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie kontinuierlich gegen die Uhr arbeitete und niemand hatte ihr den Endtermin mitgeteilt.

 

"Dr. Scully."

 

Sie wirbelte herum und schloss dabei das Buch. "Was zur Hölle wollen Sie?"

 

Der Bastard mit der schwarzen Lunge rauchte zur Abwechslung mal nicht.  Vielleicht war sogar er clever genug zu kapieren, dass ein medizinisches Labor nicht der beste Ort für Aufwiegler war. "Ich wollte nur fragen, wie Sie mit Ihrer Arbeit vorankommen."

 

Meine medizinische Praxis läuft recht gut," sagte sie glatt. "Sind Sie hier für eine ärztliche Untersuchung?"

 

"Leider nein, so sehr ich Ihre... Technik auch genießen würde."

 

Dana unterdrückte ihren Abscheu und bis sich auf die Innenseite ihrer Wange, um sich davon abzuhalten, ihn mit bloßen Händen umzubringen. Sie wusste einfach, dass sie es könnte, wenn sie es müsste. "In dem Fall bin ich beschäftigt. Verschwinden Sie." Sie drehte ihm den Rücken zu und gab vor, die Blutwerte eines Patienten aufzuschreiben, in der Hoffnung, dass er das Interesse verlieren würde.

 

"Erzählen Sie mir. Wie geht es Fox? Ich habe ihn seit so langer Zeit nicht gesehen."

 

Einen Moment versteifte sie sich, aber es gab eine Sache, die sie erreicht hatte seit der Ankunft, nämlich den Akt, kühl zu bleiben, zu einer Kunst zu erheben. "Wenn Sie auf Fox Mulder anspielen, so weiß ich es nicht. Ich habe ihn nicht gesehen, seit Ihr Bastards ihn weggebracht habt, erinnern Sie sich?" Sie schaffte es kaum, sich davon abzuhalten, die Worte zurückzuhalten, die ihr auf der Zunge lagen: weg von mir.

 

"Da höre ich etwas anderes."

 

"Nun, dann haben Sie etwas falsches gehört." Sie bewegte sich näher zu der Schublade am Ende des Labortisches. sie war sich ziemlich sicher, dass sie da drin einen zusätzlichen Revolver zurückgelassen hatte.

 

"Wenn Sie beide Ihre Bekanntschaft wieder aufleben lassen sollten," sagte er leise, "könnten die Folgen tödlich sein. Für Sie und Mulder."

 

Sie drehte sich um, um ihn anzusehen, ihre Hand griff nach hinten, um den Griff der Schublade zu umfassen. "Drohen Sie mir? Einer Mutter? Sie vergessen Ihre Stellung in dem neuen Schema der Dinge. Krümmen Sie mir ein Haar und die Kolonisten werden Sie beim Wickel haben, bevor Sie auch nur blinzeln können. Glauben Sie, ich weiß nicht, dass ich in erster Linie deswegen noch am Leben bin?" Sie begann, die Schublade aufzuziehen, Zentimeter für Zentimeter.

 

"Unfälle passieren, Dr. Scully. Doch Sie wissen bereits alles darüber, nicht wahr?" Er nahm eine Zigarette aus seiner Tasche und betrachtete sie liebevoll. "Ich werde in Kontakt bleiben. Nur zur Kontrolle, natürlich." Er schlenderte zur Tür hinaus und zündete sich dabei die Zigarette an.

 

Dana senkte den Kopf, schloss die Augen, nur für einen Moment, und atmete tief ein. Dann streckte sie sich und machte sich wieder an die Arbeit.

 

 

 

Mulder nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, bevor er sie in dem Aschenbecher neben seinem Ellbogen zerdrückte. Er hatte es sich vor etwa einem Jahr wieder angewöhnt und bestand hartnäckig darauf, zum Teil weil er es nicht fertig brachte, damit aufzuhören, zum Teil, weil es Marita wahnsinnig ärgerte. An diesem Punkt seines Lebens hatte er das Gefühl, dass es gleichwertige Gründe waren.

 

Im Wohnzimmer war es dunkel. Er hatte das Licht nicht eingeschaltet, hatte sogar die Vorhänge vorgezogen, um so viel Sonnenlicht wie möglich draußen zu lassen. Er brauchte die Dunkelheit, um nachzudenken.

 

In Gedanken ließ er die Ereignisse der letzten drei Jahre seines Lebens noch einmal Revue passieren und zwang sich dazu, brutal in seiner Erinnerung zu sein. Unbarmherzig prüfte er seinen anfänglichen Widerstand und den hohen Idealismus, die nur allzu leicht verdrängt wurden durch Inaktivität, Mangel an Motivation, schweigende Zustimmung. Akzeptanz der armseligen Karte, die er im Pokerspiel des Lebens gezogen hatte.

 

Einmal hatte er zu Scully gesagt, dass er nicht glaubte, er könnte allein weitermachen, ohne sie. Er hatte recht gehabt. Durch sie *war* er ehrlich geblieben und als sie sie von ihm fortrissen, nahmen sie auch alles, was ihm wichtig war.

 

Scully auf der anderen Seite... Scully hatte sich der Lage gewachsen gezeigt, obwohl er sich um den Preis Sorgen machte. Es schien, dass es sie emotional mitgenommen hatte. Ihre Zähigkeit und ihre Energie beschämten ihn unsäglich.

 

Er sah die Art, wie sie ihn angesehen hatte. Voller Mitleid und etwas anderem, ähnlich Widerwillen. Damit konnte er nicht leben. An diesem Punkt konnte er mit so ziemlich allem leben – aber nicht mit ihrer Verachtung.

 

Er wollte ihr beweisen. dass der wahre Mulder immer noch irgendwo in ihm steckte. Dass sie ihn ungeachtet des verzweifelten, beinahe unpersönlichen Charakters ihrer Vereinigung mit ihren Worten und mit ihrem Körper in dieser Nacht wieder zum Leben erweckt hatte. Das erste Mal seit Jahren hatte er sich lebendig gefühlt, alles wegen ihr.

 

Und nun, wo er lebendig war, wollte er nie wieder beschämt sein.

 

Das Telefon klingelte. Er wollte nicht abheben. Er wusste, wer es sein würde.

 

Aber er hatte keine Wahl.

 

Er griff nach dem Hörer. „Mulder.„

 

„Wir haben einen Job für Sie,„ sagte die Akzentstimme am anderen Ende der Leitung ohne Einleitung.

 

Der letzte, schwor sich Mulder. Das ist der letzte, nur damit sie nicht misstrauisch werden, nur um Zeit zu gewinnen. Und dann gehe ich, um mit Scully zusammen zu sein, komme was da wolle. Ich werde einen Weg finden.

„Erzählen Sie.„

 

 

 

 

 

„Dana, ich muss mit dir sprechen.„

 

Dana blickte von ihrer Tasse Tee auf und sah Frohike, der im Türrahmen des Wohnzimmers stand und seine Hände in einer untypischen Geste des Unbehagens rang. Und er hatte die Vordertür benutzt? Irgend etwas musste los sein.  Gott sei Dank war Kristina nach ihrem späten Lunch bereits gegangen. Lisette hielt sich hinter ihm im Türrahmen auf und betrachtete den kleinen Mann mit einer Spur Misstrauen. „Geh,„ befahl Dana der Drohne und wartete, bis sie gehorsam wegging. „Was ist los, Frohike?„

 

Er blickte sich nervös um, bevor er in dem Louis XIV Sessel ihr gegenüber Platz nahm. „Deine Überwachung ist verstärkt worden,„ sagte er in einem verschwörerischen Tonfall. „Ich glaube, ‚Sie‘ sind misstrauisch geworden. Mulder zu sehen, war ein großer Fehler.„

 

Sie schüttelte augenblicklich den Kopf. „Sie können es unmöglich wissen. Du wirst paranoid.„

 

„Tue ich das? Wie ist dann Freddie in den letzten Tagen zu einigen neuen Freunden gekommen?„ schoss er zurück. „Hast du an deinem Schlafzimmerfenster eine Show geliefert und mich nicht eingeladen? Ich bin getroffen.„

 

„Mehr Hybriden?„ fragte sie und spürte das erste Mal einen Funken Sorge.

„Ich hätte es bemerkt, ich...„

 

„Eben nicht,„ sagte er, sie unterbrechend. Er zappelte auf seinem Sitz herum und  fummelte an seinen patentierten fingerlosen Handschuhen herum. „Sie sind Morphers. Sie haben Morphers auf dich angesetzt, Dana. Ich weiß, du möchtest das nicht hören, aber ich glaube, es ist an der Zeit, Plan Hippolyta zu aktivieren.„

 

Dana schüttelte den Kopf und leugnete die Panik, die nun von ihr Besitz zu ergreifen drohte. „Nein. Unmöglich. Ich bin so nahe dran, Frohike. Ich werde meine Arbeit nicht aufgeben. Ich werde meine Leute nicht aufgeben –sie brauchen mich *hier*.

 

„Sie brauchen dich lebendig,„ sagte er hart.

 

Einen Augenblick betrachtete sie und sann darüber nach, wie nahe sie diesem Mann gekommen war. Sie wusste, wie er sich fühlte – seit Byers und Langly infiziert und zu den Minen verschifft worden waren und Mulder gegangen war, war sie alles, was Frohike geblieben war. Aber sie hatte eine Verantwortung, die größer war, als ihre Freundschaft mit ihm. „Ich werde nicht gehen,„ sagte sie leise in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

 

Müde seufzte Frohike. „Gut. Aber ich möchte, dass du das hier nimmst.„ Er legte einen Mikrochip in ihre Handfläche und faltete ihre Finger darüber.  „Es ist ein Verzerrer, frisch vom Schwarzmarkt. Stört jede Wanze, also selbst wenn meine Jungs eine übersehen haben sollten, wird niemand in der Lage sein, die Verzerrung zu übersetzen. Ich möchte, dass du ihn in dein Schlafzimmer tust.

 

Dana fühlte eine ungewohnte Röte gefährlich dicht unter der Oberfläche ihrer Wangen. „Mulder ist gegangen, Frohike. Er wird so bald nicht wieder in mein Fenster klettern.„

 

„Nimm ihn einfach,„ verlangte er. „Ich werde noch mal alles nachsehen, wenn ich schon hier bin.„

 

„Rico hat es erst gestern getan,„ protestierte sie.

 

„Ich bin nicht Rico.„

 

„Das habe ich bemerkt.„ Sie teilten ein kleines Lächeln. „Okay, Merlin, zeig deine Kunst,„ sagte sie nachgebend.

 

 

 

 

 

Mulder konnte sein Glück nicht fassen, sie schickten ihn wieder nach D.C.  Er studierte das Dossier, das ihm Strughold zugesandt hatte, mit geübtem Auge. Dieser Job war ein wenig ungewöhnlich und er bereitete ihm ein bisschen Sorge. Mord war eine Sache, ein Haus voller Menschen in die Luft sprengen war etwas ganz anderes. Dort würde es weitaus mehr Verluste an Menschenleben geben, als er normalerweise gewöhnt war, zuteil werden zu lassen. Aber wann immer er daran dachte abzulehnen, erinnerte er sich an die faltige rosa Narbe auf Scullys Oberschenkel.

 

Nur noch einmal sagte er sich wohl zum tausendsten Mal. Und dann... Nun, er wusste nicht, was dann. Hatte noch nicht einmal herausgefunden, wie er wieder zu Scully zurückgehen und ihr seine Dienste anbieten sollte, ohne dass irgend jemand seine Ziele herausfand. Er hatte in drei Jahren keinen idiotensicheren Plan entwickelt; er wusste nicht, warum er optimistisch genug war zu glauben, dass er jetzt irgendeinen entwickeln würde.

 

Mulder sah zurück auf die Akte vor ihm und versuchte, seine Gedanken zu offensichtlicheren Angelegenheiten zurückzubringen. Augenscheinlich war ein kleiner lokaler Politiker identifiziert worden, der Mitglied des Widerstandes war, und Strughold hatte die Information erhalten, dass die Person plante, nächste Woche an einer Dinner-Party im Hause eines provisorischen Gouverneurs teilzunehmen. Die Idee war, eine Bombe zu zünden und jeden innerhalb des Hauses zu töten, um es eher wie eine terroristische Aktion aussehen zu lassen als wie einen Mord. Obwohl es die Akte so nicht aussagte, vermutete Mulder, dass dort auch Kolonisten sein würden, deshalb die Notwendigkeit des Täuschungsmanövers.

 

Wie immer, wenn er einen neuen Job übernahm, gönnte er sich selbst nur einen Moment, darüber nachzudenken, wie sehr sein Moralkodex heruntergekommen war und wie schnell. Aber in diesem Leben war Moral ein Luxus, den er sich nicht länger leisten konnte. Die einzige Maxime, die überhaupt noch zählte, war Dana Scully.

 

 

 

 

 

„Ich möchte wirklich nicht dorthin gehen,„ murmelte Dana und blickte mürrisch auf die geprägte Einladung, die sie in den Händen hielt.

 

Rico wies mit dem Finger darauf. „Wenn du ablehnst, wirst du nur noch verdächtiger aussehen.„

 

Dana warf ihm einen frustrierten Blick zu, sie wusste, dass er recht hatte, aber sie wollte es nicht zugeben. Statt dessen fächelte sie sich mit der Einladung Luft zu und wünschte, sie wäre wieder drinnen im klimatisierten Gebäude. Die Hitze in D.C. schien in diesem Juni schlimmer als üblich zu sein und sie war überraschend schnell gekommen. Gut für die Kolonisten, schlecht für die Menschen. Ihr weißes ärmelloses Baumwollkleid klebte an ihr an allen verkehrten Stellen und ließ sie sich so auffällig fühlen wie ein Stripper in einem Kloster. Ricos verstohlene Blicke auf ihren Körper waren auch nicht hilfreich.

 

Sie hatten beschlossen, einen Spaziergang am Reflecting Pool entlang zu machen, nahe der Farce, die das Lincoln-Denkmal war, in dem Versuch, allen möglichen zuhörenden Geräten zu entgehen. Felix lauerte ein paar Dutzend Meter entfernt und versteckte sich hinter dem vereinzelten Baum, als ob sie nicht ganz genau wüssten, dass er da war. Er hielt an der Charade fest, sie musste ihm das zugestehen. Gruppen von Kolonisten schlitterten von Zeit zu Zeit an ihnen vorbei, aber ihre weiße Kleidung gewährleistete wirklich gut, dass niemand sie belästigen würde; einer der vielen Gründe, warum die Privilegien ihres Ranges von Zeit zu Zeit nützlich waren. Dieses Gebiet von D.C. war auch eine der wenigen Gegenden, in denen Menschen noch erkannt werden konnten; viele der hohen Regierungsangestellten und Politiker waren ringsherum gehalten, zu helfen für Ordnung zu sorgen unter diesen wenigen verbliebenen Amerikanern, die nicht mit dem Virus infiziert oder zu den Minen oder Farmen oder Wäldern oder anderen gemischten Lagern transportiert worden waren, um Rohstoffe für den Heimatplaneten der Kolonisten zu gewinnen.

 

Sie nahm an, dass sie irgendwie dankbar sein sollte – es gab viele Teile in der Welt, insbesondere die heißesten Regionen Afrikas und Südamerikas, die komplett überrannt worden waren von den wilderen und grausameren entwicklungsmäßigen Verwandten der Kolonisten, jenen auf die Mulder in den Behältern in dem Alienschiff in der Antarktis gestoßen war. Wenigstens diese Geschöpfe hatten die Vereinigten Staaten nicht erreicht und hier und da waren Menschen zurückgeblieben.

 

Aber Dana fragte sich manchmal, ob alle, die sie in ihrem früheren Leben gekannt hatte - ihre Verwandten, ihre Collegefreunde, ihre Kollegen von der Akademie und vom FBI – jetzt unter der Erde schufteten oder Weizen ernteten oder Bäume fällten oder Gott weiß welche Art harter Arbeit leisteten, während das schwarze Öl in ihren Augen schwamm und sie langsam aufgrund der schlechten Behandlung verhungerten.

 

Und dann hoffte sie, dass sie statt dessen alle tot waren, wie ihre Mutter. Oder dass sie eines Tages in der Lage sein würde, sie alle zu retten.

 

Sie seufzte müde und reagierte schließlich auf Rico. „Du hast recht, natürlich. Ich werde ihn selbst anrufen und Bescheid geben.„

 

„Gut. Ich werde dich als deine Eskorte begleiten.„

 

Sie schüttelte den Kopf. „Kommt nicht in Frage.„

 

„Dana, ich lasse dich dort nicht allein hingehen. Nicht mit...„ Er sah sich um, dann beugte er sich zu ihrem Ohr herab und senkte seine Stimme. „Nicht mit den Befürchtungen, die Frohike geäußert hat.„

 

„Du nicht auch noch,„ seufzte sie. Sie sah zu ihm auf und lächelte. „Sieh mal, ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Aber mir wird es gut gehen. Ich weiß, was ich tue.„

 

Seine dunklen Augen blitzten und er schürzte seine vollen Lippen. Gott, er hatte sexy Lippen. Sie hatte sich oft gewünscht, sie würde sich mehr physisch zu ihrem kubanischen Freund hingezogen fühlen; es war bestimmt nicht auf einen Fehler seinerseits zurückzuführen. „Ist das ein Befehl?„ fragte er mit sorgfältig emotionslos gehaltener Stimme und blickte auf seine Halbschuhe herab.

 

„Rico, sei nicht so. Ich weiß, dass du nur um meine Sicherheit besorgt bist und ich schätze das. Aber du musst mir vertrauen. Ich kann damit umgehen.„

 

Die Spannung zwischen ihnen verschwand so schnell, wie sie gekommen war; er war niemals in der Lage, lange mit ihr böse zu sein. Rico hob den Kopf und traf ihren Blick. „Okay. Wenn du es sagst, Superfrau,„ erwiderte er widerwillig. „Nun lass uns wieder hineingehen. Es ist verdammt zu heiß hier draußen.„ Er erwiderte ihr Lächeln und einen Augenblick dachte sie, er würde sie berühren, sogar nach ihrer Hand greifen. Aber er war nicht Mulder, er brachte niemals den zufälligen, zärtlichen physischen Kontakt zustande, den Mulder so mühelos hatte aussehen lassen.

 

Sie rieb sich abwesend die Arme und erkannte gerade, wie sehr sie es vermisste.

 

 

 

 

 

Mulder ließ sich in einem verkommenen Motel in den Randbezirken von D.C., passend zur Vorbereitung seines nächsten Schlags, nieder. Obwohl in seine Arbeit versunken, hatte ihn allein der Gedanke, Scully möglicherweise wiedersehen zu können, in eine bessere Stimmung versetzt, als er seit Jahren gewesen war; tatsächlich erwischte er sich sogar an einer Stelle beim Pfeifen.

 

In seinem Hinterkopf bemerkte er die Ironie dessen, während er eine Bombe bastelte zu pfeifen, weigerte sich aber, es näher zu untersuchen.

 

Als er fertig war, nahm er sich einen Moment, um sich zurückzulehnen und seine handwerkliche Arbeit zu begutachten. Nicht schlecht für jemanden ohne irgendeine frühere Ausbildung an Sprengstoffen. Die Verbrecher vom Syndikat hatten ihn gut unterrichtet. Der Zeitmechanismus war eine Sache von Schönheit und Geschick; Bobby, sein Mentor in dieser Sache, wäre stolz gewesen.

 

Scully wäre es wahrscheinlich nicht.

 

Mulder verbannte den Gedanken aus seinem Kopf. Er tat dies *für* Scully, um bei Scully zu sein, sie in Sicherheit zu halten und diese Fakten aus dem Auge zu verlieren, würde nur zu Dummheiten führen.

 

Er fragte sich, was sie in diesem Moment machte und ob es irgendeine Chance gab, dass sie an ihn dachte.

 

 

 

 

 

„Ich glaube, er kommt wieder auf die Beine,„ sagte Dana gespannt.

 

Die kleine Gruppe von Männern und Frauen beobachtete mit gequältem Atem, wie das schwarze Öl langsam aus Harrison Fields Augen wich. Er blieb noch einen langen Moment auf dem Klappbett liegen, dann schoss er kerzengerade hoch und blickte wild um sich. Dana ergriff seinen Arm. „Es ist in Ordnung,„ sagte sie beruhigend. „Sie sind unter Freunden. Sie sind jetzt in Sicherheit. Sitzen Sie einfach still.„

 

Eine Minute lang kämpfte er mit ihr, bevor sein Bewusstsein schließlich einsetzte, dann erschlaffte er unter ihren Händen. „Wo... wo bin ich?„ fragte er.

 

Dana legte ihre Finger auf sein Handgelenk, um seinen Puls zu fühlen. „Sie sind im Hinterzimmer eines Bekleidungsgeschäfts, das exklusiv Mütter bedient. Was die meisten Menschen nicht wissen ist, dass es auch als Boxenstop des Widerstandes dient. Niemand denkt zweimal über mein Herkommen nach und ich möchte, dass es weiterhin so bleibt.„ Ihre Augen wanderten zu Maggie Collins, der Inhaberin des besagten Geschäfts, die nur zustimmend nickte.

 

„Sie fühlen sich desorientiert, weil Sie mit einem Impfstoff, den ich entwickelt habe, von dem Alienvirus geheilt wurden. Sie können sich entspannen, Sie sind nun unter Verbündeten.„

 

Seine braunen Augen verschoben sich, während er sich um Antworten bemühte. „Ich habe Erinnerungen an einen dunklen Schacht...„

 

„Sie haben in den Kohlengruben in den Appalachen gearbeitet,„ warf Rico ein, während sich Dana auf ihre Arbeit konzentrierte, die Vitalfunktionen des Mannes prüfte, seinen Herzschlag und seine Lungen mit dem Stethoskop abhörte. „Unsere Spitzel an Ihrem Aufenthaltsort nahmen Sie eines Nachts mit und brachten Sie zu uns. Wir haben bessere Verbindungen, als Sie vielleicht glauben.„

 

„Aber warum?„

 

Dana betrachtete ihre neueste Errungenschaft und würdigte die Tatsache, dass er auf eine raue Art ganz gut aussah. Dem Wetter trotzend. Eingelebt, wie ihre Mutter es nennen würde. Sie schloss kurz ihre Augen, um Margaret Scully aus ihren Gedanken zu verbannen. „Wir brauchen mehr Wissenschaftler, die mir helfen, unser eigenes Virus zu entwickeln. etwas, das diesen Planeten für die Kolonisten vergiften oder sie direkt umbringen wird. Sie sind ein brillanter Wissenschaftler, Dr. Fields und nun haben Sie eine zweite Chance erhalten, es zu beweisen.

 

Er erwiderte ihren Blick mit strahlenden Augen. „Wie kann ich es ablehnen? Sie haben mich gerettet.„

 

Der Ausdruck auf seinem Gesicht war nur allzu vertraut. Die Dankbarkeit und Bewunderung wurde an diesem Punkt beinahe lästig. Sie blickte zu Rico hinüber, der, sich ihres Unbehagens bewusst, ein amüsiertes Grinsen unterdrückte. „Und ich beabsichtige, mir den Gefallen von Ihnen voll und ganz zurückzahlen zu lassen,„ sagte sie zu Fields, ihr Ton war kühler, als sie wollte.

 

Aber er lächelte nur und nahm ihre Hände in seine. „Ich stehe zu Ihrer Verfügung.„

 

„Gut.„ Sie erwiderte sein Lächeln mit einiger Mühe. „Weil ich heute Abend zu einer Party gehen muss und ich möchte, dass Sie ein paar Arbeiten in meiner Abwesenheit erledigen.„

 

 

 

 

 

Mulder suchte Schutz hinter einer Reihe wilder Büsche und setzte sich nieder, um zu warten. Er verlor das imposante Tudorhaus auf der anderen Seite der Straße nie aus den Augen. Die Dinge waren bisher ohne Zwischenfälle gelaufen; Strughold hatte ihm den Tipp gegeben, dass alle zum Haus gehörenden an diesem Morgen an einer Bildungsveranstaltung teilnehmen würden und so war es unter diesen Umständen keine schwierige Angelegenheit gewesen, die Bombe zu placieren. Da dieses Haus das einzige im Block war, das noch von Menschen benutzt wurde, war es kein Diskussionspunkt, von den Nachbarn beobachtet zu werden. Eine vereinzelte Ratte oder besonders große Küchenschabe, die über den Gehweg flitzte, war seine einzige Gesellschaft in der Stille.

 

Er zündete sich eine Zigarette an und zog den Rauch in seine Lungen. Es gab nichts mehr zu tun, als zu beobachten und zu warten.

 

 

 

 

 

Dana ging den Plan der Möglichkeiten noch einmal in ihrem Kopf durch, während ihre Limousine den Weg zu Howards Besitz zurücklegte. Rico hatte darauf bestanden, sich auf einige Strategien vorzubereiten für den Fall, dass die Dinge an diesem Abend nicht so gut liefen. Er tat es jedes Mal, wenn sie woanders hinging als zur Arbeit oder nach Hause oder zum Hauptquartier, und sie hatte keine Wahl, als ihm nachzugeben. Er hatte recht, und nebenbei, sie schuldete ihm so viel, wenn sie berücksichtigte, wie nervös er wegen heute Abend war. Und so war eine kleine Anzahl ihrer operativen Kräfte ein paar Blocks entfernt in Bereitschaft, in einer der Metrostationen, die sich in eine Zwischenstation für Flüchtlinge und befreundete Mitglieder des Widerstandes verwandelt hatte.

 

Sie erwartete jedoch nicht, dass es notwendig sein würde, zu fliehen.  Martin Howard war ein in sich selbst verliebter Despot, so beschäftigt mit dem bisschen Macht über das, was von Washington D.C. übrig geblieben war, die ihm die Kolonisten zugeteilt hatten, dass er wenig Zeit oder Neigung hatte, viel weiter als über seine Nasenspitze hinaus zu sehen. Ihre Anwesenheit bei seinem offiziellen Dinner heute Abend diente zur Zierde und dem Prestige. Wenn man eine Mutter bei seinen Angelegenheiten dabei hatte, sah man nicht nur bei den Kolonisten gut aus, die Mütter über alles werteten, sondern es zeigte auch, dass man das neue Regime unterstützte und sich nicht davor fürchtete, es offen zu zeigen. Sie war offensichtlich ausgewählt worden, Howards Ärztin zu sein, um diese Rolle für ihn zu erfüllen, und wie Rico angedeutet hatte, würde es ein schlechtes Licht auf sie werfen, wenn sie die Einladung abgelehnt hätte. Sie hoffte, dass sie wenigsten ein anständiges Essen bekommen würde als Gegenleistung.

 

Als das Auto am Gehsteig vor Howards stattlichem Haus ausrollte, blickte sie zum Fahrersitz hin; Rico hatte darauf bestanden, sie anstelle ihres üblichen Fahrers zu chauffieren. So paranoid war er. Er erinnerte sie manchmal, nur ein wenig, an Mulder.

 

Mulder.

 

Sie hatte viel zu oft an ihn gedacht, seit ihrer kurzen gemeinsamen Nacht.  Gott, seine neugewonnenen Talente und Kenntnisse würden ein mächtiger Vorteil für ihre Sache sein, und sie meinte nicht nur seine bemerkenswerten Fähigkeiten im Bett. Wie konnte sie Strughold überlisten und Mulder zu sich holen, um ihr zu helfen, um unter ihren Bedingungen bei ihr zu bleiben, trotz der Drohungen des Syndikats? Es musste einen Weg geben. Ihre Gefühle für ihn waren immer noch kompliziert, gelinde gesagt, aber sie musste zuerst an den Widerstand denken. Und der Widerstand brauchte ihn.

 

Nun, jetzt wo sie Fields geheilt hatte, würde sie mehr Zeit und mehr Denkkraft haben, sich solchen Dingen zu widmen. Sie hatte diesmal eine gute Wahl getroffen. Fields hatte Glück, dass sie an ihn gedacht hatte.

 

Sich nicht damit befassend, darauf zu warten, dass Rico herumkam, öffnete sie die Autotür und stieg aus. Sie war bereits später dran als schicklich.

 

 

 

 

 

Von seinem Versteck über die Straße blickte Mulder voller Entsetzen hinüber.

 

Dana Scully stieg aus der Limousine, die gerade vor Howards Haus gehalten hatte und eilte den Weg zur Eingangstür entlang. Auf die Eingangstür eines Hauses zu, das dazu bestimmt war, dank seines Könnens in ungefähr fünf Minuten ins Jenseits befördert zu werden.

 

Mulder dachte nicht nach, hielt nicht eine Minute inne, um die möglichen Konsequenzen seines Handelns abzuwägen. Er schoss einfach mit einem Wahnsinnstempo über die Straße und betete, dass er nicht zu spät kam.

 

„SCULLY!„

 

Sie wirbelte herum, bevor sie die Eingangshalle erreichte, ihr Kiefer klappte nach unten, als sie ihn sah und als er näher kam, konnte er sehen, dass sie unhörbar fluchte. „Da ist eine Bombe,„ schrie er.

 

Er riss seine Waffe heraus Sekunden, bevor ihr allgegenwärtiger Bewacher aus seinem Auto sprang und in ihre Richtung startete. Mulder zielte über Scullys Kopf und schoss. Seine Treffsicherheit war beinahe perfekt geworden während seiner Zeit als Killer. Die unbestimmbare Person fiel zu Boden und stand nicht wieder auf. Scully ging instinktiv in Deckung, ihr langes weißes Kleid war durch Schmutz und Gras verdorben, als sie wieder auf den Füßen schwankte.

 

„Steig in das Auto!„ schrie der Fahrer vom Vordersitz aus, der Motor bereits laufend. Mulder blickte über die Motorhaube und entdeckte zwei Morphers, die aus der Dunkelheit auftauchten und von der anderen Straßenseite mit gezogenen Waffen herankamen. Wo zum Teufel kamen die her?

 

„Scully, steig in das Auto!„ ahmte er den Fahrer nach, dann zielte er und feuerte auf die Aliens, obwohl er wusste, dass es nichts bewirken würde. Es würde sie wenigstens ablenken. Er duckte sich in den Schutz der Limousine, als ein Laserblitz über seinen Kopf hinweg zischte. Natürlich hatte er ein Stilett in seiner Tasche, aber er hatte nicht vor, nahe genug an sie heranzukommen, um es zu benutzen. „Verdammt Scully, steig in das Auto!„

 

Scully schaffte es schließlich zu dem Fahrzeug, warf sich hinein und ließ die hintere Tür für Mulder offen. Er sprang hinter ihr her und atmete erst aus, als die Limousine auf dem Asphalt kreischend in die Nacht entschwand.

 

Sie waren etwa einen Block entfernt, als das Haus in die Luft flog, die lärmende Explosion Rauch und Asche und Flammen ausspuckte und die Nacht mit einem gelben und orangefarbenen Schein erleuchtete. Scully und er duckten sich bei der ersten Explosion instinktiv in den Rücksitz, dann streckten sie sich und beobachteten die Detonation durch die Heckscheibe.  Unwillkürlich stieß er einen leisen, anerkennenden Pfiff für einen gut ausgeführten Job aus. So sehr er Feuer hasste, er hegte eine objektive Bewunderung für das reine Spektakel.

 

„Christ,„ flüsterte Scully. „War das... hast du das getan, Mulder?„

 

Er sah sie an und nickte, eine bizarre Mischung aus Stolz und Scham durchfloss ihn angesichts der Überraschung in ihren Augen.

 

„Neuerdings pyrotechnischer Experte,„ sagte sie abwesend, als sie wieder nach vorn sah. Sie sah so aus, als würde sie diese Information zu einer in ihrem Kopf existierenden Liste hinzufügen. „Interessant.„

 

„Dana, bist du in Ordnung?„ fragte der Fahrer.

 

„Mir geht es gut, Rico. Bringst du uns zur Zwischenstation?„ Da war eine solche beruhigende Vertrautheit in ihrer Stimme, als sie mit ihm sprach, dass Mulder eine intensive, irrationale Welle von Eifersucht verspürte. Wer war dieser Typ? Er war augenscheinlich mehr für sie als nur ihr Chauffeur.

 

„Wir müssen, Dana. Ich glaube... ich glaube, es ist Zeit für Plan Hippolyta.„ Sogar ohne den Mann zu kennen, konnte er die Bestürzung in seiner Stimme hören. Er konnte es mit dem Gefühl verbinden, das daher kam, Scully etwas zu sagen, von dem man wusste, dass sie es nicht hören wollte.

 

„Verdammt, nein!„ schrie sie mit solcher Vehemenz, dass Mulder in einem Reflex vor ihr zurückwich. „Ich muss hier bleiben. Jetzt, wo wir Fields haben, wird unsere Arbeit rasch vorankommen, ich weiß es. Rico, wir sind *nahe dran*...„

 

„Nein.„ Das Wort wurde mit solcher Entschlossenheit gesprochen, dass sich Mulder fragte, wie Scully fortfahren konnte, es in Frage zu stellen. „Deine Tarnung ist aufgeflogen, Dana,„ stellte Rico sachlich fest. „Glaubst du, dass die Morphers, die auf unserem Weg waren, nicht gesehen haben, dass Mulder dich gerettet hat? Nicht gesehen haben, dass du mit ihm geflohen bist? Es ist vorbei, Dana. Du kannst Skinner in Greenland helfen gehen. Er braucht dich da drüben sowieso. Du hättest wahrscheinlich schon früher gehen sollen. Du weißt, dass Frohike und ich die Dinge von hier aus regeln können.„

 

Sie klopfte mit ihren Fingern auf die Armlehne. „Zur Hölle mit dir, Fox Mulder.„

 

Mulder zuckte betroffen zusammen. „Wie bitte?„

 

Sie warf ihm einen solch giftigen Blick zu, dass er innerlich zusammenschrumpfte. „Das ist alles deine Schuld. Ohne deinen Blödsinn und deine Laufburschentaktik wäre ich jetzt nicht in dieser Situation. Ich hätte aus Martin Howard die letzten Neuigkeiten herausgequetscht wie eine Professionelle, ein nettes Dinner gehabt und dann wäre ich nach Hause gegangen und hätte ein paar neue Laborversuche überprüft, die ich heute Nachmittag entwickelt habe. Verdammt!„

 

„Prima. Ich entschuldige mich dafür, dir das Leben gerettet zu haben. Es wird nicht wieder vorkommen,„ sagte Mulder scharf. „Vielleicht hätte ich mich auch nicht damit aufhalten sollen, dasselbe in der Antarktis zu tun, hä?„

 

Schweigen hüllte sie ein. Sie sah ihn nicht an. „Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, Mulder,„ sagte sie schließlich.

 

„Deiner auch.„

 

Touché.„ Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wer war heute Abend dein Ziel?„ fragte sie leise, als wenn ihr gerade etwas eingefallen war.

 

„Ich weiß nicht...„ Erkenntnis setzte ein und er schluckte schwer an dem Kloß in seinem Hals. „Sie haben es mir nicht genau gesagt. Nur ein Führer des Widerstands, von dem sie wussten, er würde heute Abend in Howards Haus sein. Jesus, Scully..."

 

„Du warst das Ziel, Dana,„ unterbrach ihn Rico. „*Madre de dios.* Wir müssen dich von hier wegbringen, je eher desto besser.„

 

„Sieht so aus, nicht wahr?„ sagte sie knapp. „Gut, Mulder, ich bin mir nicht sicher, ob es zählt, mir das Leben zu retten, wenn du mich eigentlich umbringen solltest.„

 

Mulder hatte keine Antwort darauf. Er saß einfach da und katalogisierte alle Arten, auf die er Strughold umbringen würde, wenn er ihm jemals wieder über den Weg laufen sollte.

 

Scully warf ihm einen bösen Blick zu und lenkte ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf Rico. „Sind wir noch nicht da?„

 

„Das ist der Ort,„ antwortete er.

 

Das Auto hielt an einer Metrostation in einer besonders verlassenen und heruntergekommenen Gegend der Stadt. Mulder bezweifelte, dass sogar die schlimmsten Aasfresser sich trauen würden, sich hierher zu wagen.  Elektrizität existierte in diesem verwüsteten Teil der Stadt nicht mehr, das einzige Licht ging von den Scheinwerfern des Autos und dem Vollmond, der am Nachthimmel schien, aus. Das Dunkel und die Verwüstung waren spürbar und entnervend.

 

„Du musst die nächsten Tage hier bleiben, bis wir für euch beide Überseearrangements treffen können,„ sagte Rico. „Ari ist da unten und wartet. Ich werde mich bei ihr melden, so schnell ich kann.„

 

Mulder öffnete die Tür an seiner Seite, aber Scully rührte sich nicht. „Du kommst nicht zurück, nicht wahr?„ fragte sie den Mann im Fahrersitz sanft.

 

„Ich... weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich es riskieren kann,„ sagte er.

 

Sie sah auf ihre Hände herab, fummelte einen Moment am Gürtel ihres Kleides herum, dann, als hätte sie Angst, sie würde ihre Meinung ändern, wenn sie nicht sofort handelte, beugte sie sich zum Fahrersitz hin und küßte ihn rasch auf die Wange. „Danke,„ hörte Mulder sie flüstern. „Für alles.„

 

Rico betrachtete sie fest. „Du weißt, ich würde alles für dich tun.„

 

Sie nickte. „Ich weiß.„ Die beiden sahen sich einen Moment länger an und eine schmerzhafte Welle von Eifersucht rollte wieder über Mulder hinweg.  Warum musste dieser Typ so verdammt gut aussehen?

 

Schließlich drehte sich Scully zu ihm um. „Lass uns gehen,„ sagte sie und zog ihren Rock um sich zusammen. Ihre Stimme war plötzlich frei von Emotionen, als wenn sie einen Ein-/Ausschalter hätte. Vielleicht hatten die Kolonisten einen eingebaut?

 

Sie verließen das Auto und stiegen langsam die feuchten, zerbrochenen Treppen der Metrostation hinab, sich widerwillig in der Dunkelheit an dem glitschigen Geländer festhaltend. Als sie die untere Stufe erreichten, erstarrten sie. Da war nichts als vollkommene Schwärze in jeder Richtung.  „Was nun?„ flüsterte Mulder. Die feuchte, klebrige Luft ließ ihn trotz der sommerlichen Hitze bis auf die Knochen frösteln und er musste ein Zittern unterdrücken.

 

„Einfach warten,„ kam die ruhige Erwiderung.

 

Sekunden später konnte er eine gute alte Taschenlampe ausmachen, die sich auf sie zu bewegte, auf und ab tanzend in dem Schwarz. „Identifizieren Sie sich,„ kommandierte eine laute, raue, weibliche Stimme.

 

„Daphne und Apollo,„ sagte Scully, sich augenscheinlich auf eine Art vorher festgelegten Code berufend.

 

„Dana?„ Die Taschenlampe kam näher, bis sie tatsächlich seine Trägerin sehen konnten, eine hochgewachsene Frau mit olivefarbener Haut und Aknenarben, deren ebenholzfarbenes Haar mit der Dunkelheit um sie herum verschmolz. Mulder vermutete, dass sie Ende dreißig und griechischer Herkunft war. Ihre dunklen Augen hatten eine kalte, misstrauische Schärfe, die man in dieser Zeit nur allzu oft antraf.

 

Und in diesem Moment war das Misstrauen direkt gegen ihn gerichtet. „Wer ist er?„ fragte sie mit einem Ruck ihres Kopfes. „Wo ist Rico?„

 

„Rico ist zurück ins Hauptquartier gegangen, um ein Überseepaket für uns  zusammenzupacken,„ sagte Scully. „Es ist Zeit für Operation Hippolyta. Leider.„

 

„Was?„ Die Frau warf Mulder nun einen wirklich bösen Blick zu. „Es ist seine Schuld, nicht wahr? Ist das Fox Mulder?„

 

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite,„ sagte Mulder trocken, verbittert über die Verachtung, die sie zum Ausdruck brachte, und fragte sich dennoch gleichzeitig, welche Art von Horrorstories Scully ihr über ihn erzählt hatte, dass er solch einen Ruf verdiente.

 

„Mulder kommt mit mir,„ sagte Scully. Mulder sah auf sie herab, ein wenig überrascht, dass sie es einfach vorausgesetzt hatte. Nicht dass sie falsch lag, natürlich nicht. Ungeachtet des Entsetzens über ihren Beinahetod und der hastigen Aktion, die sie nun durchführten, fand er sich übermäßig erregt: endlich mit Scully. Für immer. Wo er hingehörte.

 

Die Frau betrachtete ihn von oben bis unten, dann zwang sie sich zu einem kleinen Lächeln. „In diesem Fall: willkommen an Bord, Mr. Mulder. Jedem Freund von Dana kann man vertrauen, da bin ich mir sicher. Sie können mich Ari nennen.„

 

Sie reichte ihm die Hand und er schüttelte sie, die harten Schwielen an ihren Händen bemerkend. Er fragte sich, ob sie eine Zeit lang in einem Alienarbeitscamp zugebrachte hatte, bevor sie sich Scully anschloss. „Einfach Mulder, bitte. Es ist schön, Sie kennenzulernen, Ari.„

 

„Ari ist eine frühere Militärwissenschaftlerin und Munitionsexpertin höchsten Ranges,„ informierte Scully ihn. „Sie und ihre Findigkeit haben unsere Verstecke bei zahlreichen Gelegenheiten gerettet. Sie half, die Kitovas-Kugel zu entwickeln.„

 

Mulder fuhr überrascht hoch. Die Kitovas-Kugel war das einzige von Menschen entwickelte Projektil, das es ermöglichte, den Panzer des Alienkörpers zu durchdringen. Nun war es an ihm, sie von oben bis unten zu betrachten.

„Also Sie sind...„

 

„Ariadne Kitovas, ja. Wenn ihr mir nun folgen wollt...„ Sie drehte sich um und eilte zurück in die Dunkelheit. Mulder und Scully hielten sich so dicht hinter ihr wie möglich, um nicht im Dunkeln verloren zu gehen. Als er in der Dunkelheit nach Scullys Hand griff, war er erleichtert, dass sie sich ihm nicht entzog.

 

 

 

 

 

Dana packte Mulders Hand fest und unterdrückte den Schrei, der in ihrer Kehle saß. Es war irgendwie wie ein Alptraum im Wachzustand, so plötzlich ihr Heim hinter sich lassen zu müssen – so wie es war; ihre Freunde – so wie sie waren – Rico, Frohike... ihre Arbeit... Sie hatte immer gewusst, dass es eine sehr reale Möglichkeit war, aber sie hatte gehofft, dass sie vorher wenigstens irgendwie gewarnt werden würde. Sie fragte sich, ob es eine Chance gab, dass Rico in der Lage sein würde, einige ihrer persönlichen Sachen zusammenzupacken, bevor sie gehen musste. Sie wusste, er würde es tun, wenn es überhaupt möglich war.

 

Es war tatsächlich erschütternd, wie sehr der Gedanke, Rico zurücklassen zu müssen, schmerzte. Sie hatte gedacht, dass sie sich ausreichend dagegen gewappnet hatte, so dass diese Dinge sie nicht länger berühren würden.

 

Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wusste sie sehr genau, warum sie sich in dieser Zeit so leicht gerührt war. Wusste sie, was passiert war, das sie einmal mehr so schwach gegenüber Gefühlen und Traurigkeit machte.  In ihrer einen gemeinsamen Nacht hatte Mulder Dinge offengelegt, die sie lange Zeit tief in sich verborgen gehalten hatte. Sie wusste nicht, ob sie zornig darüber oder dankbar dafür sein sollte. Sie war immer noch wütend auf ihn, wütend auf die Situation, aber gleichzeitig musste sie sich daran erinnern, dass seine Anwesenheit hier kein Traum oder eine besonders lebhafte Phantasie war. Es war alles qualvoll verwirrend.

 

„Wir sind da.„ Aris Altstimme holte sie zurück in die Realität, Sekunden bevor sie um die Ecke bogen und von einem Bad elektrischen Lichts begrüßt wurden. Dana blinzelte in der Helligkeit nach der vollkommenen Dunkelheit und fühlte Mulders Hand widerwillig ihre loslassen.

 

Irgendwie hatten sie es geschafft, dass die Notbeleuchtung in den Tunneln funktionierte. Gelbes Licht erhellte die verlassene Metrostation mit einem unnatürlichen Schein und warf seltsame Schatten an die Wandverkleidung und die veralteten Werbetafeln und ließ die vernachlässigten Drehkreuze schimmern. „Wo sind die anderen?„

 

„Wir müssen in den Tunnel gehen,„ erklärte Ari. „Wir haben da hinten ein Lager eingerichtet, außerdem sind da all diese verlassenen Schaltstationen und Versorgungsräume, aus denen wir eine Art bewohnbare Räumlichkeiten gemacht haben. Es ist ein geregeltes Heim weg von Zuhause.„ Sie schnaufte angewidert. „Kommt, folgt mir.„ Sie hockte sich an den Rand des Bahnsteigs, dann sprang sie hinab, ihre Taschenlampe einschaltend. „Vorsicht, nicht das dritte Gleis berühren. Wir sind uns nicht sicher, wie aktiv es noch ist, aber sicher ist sicher.„

 

Mulder und Dana folgten ihrem Beispiel, wenn Scully auch ihre hochhackigen Schuhe in die Hand nehmen musste, bevor sie es tat. Ari stieß ein rohes Lachen aus. „Wir haben hinten zusätzliche Schuhe, glaube ich. Und ein einige nicht weiße Kleidungsstücke, so dass du dich wie wir einfache Bürger kleiden kannst. Wenn du willst, natürlich nur.„

 

„Wenn ich jemals wieder weiß tragen sollte, wird es nicht so bald sein,„ flüsterte Scully, als sie ihre Schuhe wieder anzog. Sie warf Mulder einen flüchtigen Blick zu und bemerkte, welch eine Studie für Unterschiede sie abgeben mussten: ihre zierliche, helle Gestalt in weiß gekleidet, seine große, dunkle Gestalt total in schwarz gekleidet. Sie bemerkte auch, dass er sie anstarrte.

 

„Hell und dunkel,„ flüsterte er.

 

Zum Teufel damit, dass er ein Gedankenleser war.

 

Sie stapften durch die Tunnel, Dana versuchte, nicht zu stolpern, als sich ihre Absätze in Schlamm und Matsch und Gott weiß was verfingen. Ari ging schnell und zielsicher voran und Dana fragte sich nur, wie lange die ältere Frau hier unten schon eingesperrt war. Die Mitglieder ihrer Gruppe neigten dazu, die Örtlichkeiten zu wechseln. Sie war sich nicht sicher, wann Ari Baltimore verlassen hatte, um hierher zu kommen. Sie hatten den Kontakt verloren, als Ari in den Untergrund ging. Rico hatte sich von dem Punkt an um die Kommunikation gekümmert.

 

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie einen geräumigen Platz, eingebettet zwischen zwei Gleisen erreichten. Dort war sorgfältig eine Art Lager errichtet worden: Zelte aus Armeebeständen, batteriebetriebene Laternen, sogar ein transportabler Grill oder zwei. Ein altmodischer Plattenspieler erzeugte die einsamen Klänge einer erlesenen Billy Joel Melodie. Männer und Frauen bewegten sich ruhig, sprachen leise miteinander, reinigten ihre Waffen, spielten um eine der Laternen herum Karten. Als sie das Geräusch des sich annähernden Trios vernahmen, sprangen sie alle wachsam, die Waffen im Anschlag, auf.

 

„Wir sind es nur,„ rief Ari ihnen sofort zu und ließ sie sich rühren. Die Waffen wurden gesenkt und halbherzige Grüße wurden zu ihnen durch die stinkende Luft herübergeschickt. Als sie das Herz des Camps selbst erreichten, bildete sich schnell ein Kreis von Menschen um sie herum. Dana konnte ihren Namen hören, der von einem Lippenpaar zum nächsten flog.

 

„Ja, ich bin es,„ sagte sie laut und beendete damit jede weitere Spekulation. Blicke wurden untereinander ausgetauscht und sie fragte sich, ob sie welchen auch immer unrealistischen Hoffnungen entsprach, die sie sich vielleicht gemacht hatten. Sie erwiderte den Blick und betrachtete sie kritisch. Das Wort von Kreti und Pleti schien mit dieser Gruppe im Sinn erfunden worden zu sein. Sie zählte zehn Männer und acht Frauen verschiedener Rassen und mit unterschiedlichem Hintergrund, gekleidet in Jeans und ausgeblichenem Flanell, mit schlaffen Haaren und schmutzigen Fingernägeln. „Es tut mir leid, dass ich die meisten von euch nicht kenne, dennoch erkenne ich einige befreundete Gesichter.„ Sie versuchte zu lächeln, optimistisch auszusehen. Versuchte sich daran zu erinnern, wie es war zu Menschen zu sprechen, die keine geheimen Tagesordnungen hatten. „Ich hatte nicht vor, heute Nacht hierher kommen zu müssen, aber die Pläne haben sich geändert,„ fuhr sie fort. Sie zeigte auf Mulder. „Das ist Fox Mulder.„

 

Daraufhin setzte unter ihnen wieder überraschtes Gemurmel ein. Mulder würde wahrscheinlich ganz schön erschrocken gewesen sein, wenn er wüsste, dass ohne ihr Zutun, sein Name im Untergrund zu einer Legende geworden war, so etwas wie König Arthur. Sie hielten sich an ihm als dem Märtyrer fest, der eines Tages zurückkommen würde, um sie alle zu retten. Wenn sie nur die Wahrheit kennen würden, dachte sie sauer. „Er wird bei mir bleiben... bei uns, bis Rico für uns beide die Passage nach Greenland gesichert hat. Ich muss zu Hermes gehen und meine Arbeit von dort aus weiterführen,„ sagte sie, Skinners Codename benutzend, weil nicht jedermann erlaubt war, den Namen des Mannes zu kennen, der die internationale Widerstandsbewegung anführte. „Ich... werde mich bemühen, euch bis dahin alle kennenzulernen,„ schwindelte sie. Sie hatte diesen Menschen nichts mehr zu sagen. Die Ansprache war vorbei, sie sah zu Ari für weitere Instruktionen und fühlte sich seltsam ohne Kontrolle.

 

Professionell wie sie war, verstand Ari den Hinweis. „Okay Leute, das war’s. Keisha?„ Eine junge schwarze Frau im Vordergrund der versammelten Menge nickte. „Ich werde heute Nacht mit in deinem Zelt schlafen, so dass die beiden mein Quartier im Wachraum haben können.„

 

„Ari, ich will dich nicht verdrängen...„ begann Dana.

 

„Dana, keine Diskussion. Es ist das Mindeste, was ich für dich tun kann, nicht wahr?„

 

Dana erkannte den Ausdruck in den Augen der Frau, denselben Ausdruck hatte sie so oft bei Rico gesehen, den Ausdruck, den sie nur ein paar Stunden früher bei Harrison Fields gesehen hatte. Es ergab keinen Sinn, mit den Gläubigen zu argumentieren. „Danke,„ sagte sie statt dessen.

 

Ari salutierte flüchtig. „Folgt mir.„

 

Sie führte sie zu einer schmutzigen Metalltür, die in eine Seite des Tunnels eingelassen war und auf der in schablonierten Buchstaben ‚Versorgungsstation‘ geschrieben stand. „Dies war früher eine Utensilienkammer für die Metro-Bautruppen,„ erklärte Ari, als sie die Tür öffnete und hineinging. „Wir haben die Ausrüstung rausgeräumt und es geschafft, es irgendwie wohnlich zu machen. Dabei haben wir sogar einige nützliche Geräte für uns organisiert.„ Sie zog an einer Schnur und eine nackte Glühlampe erhellte den winzigen Raum.

 

Dana versuchte, nicht die Nase zu rümpfen über den Anblick, der sich ihnen bot. Ein verbeultes Bett war in eine Ecke geschoben, der Rest des Raumes wurde von einem metallenen Aktenschrank, sortierter Munition, Karten, ein paar Vitaminshakes und einem winzigen Kühlschrank eingenommen.

 

„Home sweet home,„ sagte Ari, eine Grimasse ziehend, und begriff, wie es für jemanden wie Dana aussehen musste.

 

„Es ist perfekt,„ schwindelte Dana. „Danke nochmals.„

 

„Kein Problem. Seid ihr hungrig, möchtet ihr etwas essen?„

 

Dana blickte zu Mulder, der nickte. „Egal, was du hast, es wird gut sein,„ sagte sie zu der anderen Frau.

 

„Das meiste sind Konserven, aber sie sind genießbar. Ich bin gleich zurück. Und ich bringe dir auch ein paar Sachen, Dana,„ erwiderte sie.

 

Stille umgab sie auf einmal, als Ari gegangen war. Mulder, der bei all dem untypisch still gewesen war, sprach schließlich. „Es tut mir leid.„

 

Dana blinzelte für einen Augenblick überrascht, aber sie fand sich schnell wieder. „Was tut dir leid? Der heutige Abend? Dass du meine Pläne und mein Leben vermasselt hast? Nun, das sollte es wohl.„

 

Er schabte mit den Schuhen auf den Zementboden. „Dies sollte mein letzter Job werden,„ sagte er leise. „Ich hatte vor, gleich danach zu dir zu kommen. Ich hatte mich entschlossen, meine Chance zu nutzen, um bei dir zu sein.„

 

Das erwischte sie kalt. „Obwohl sie mir gedroht haben?„

 

Er zuckte mit den Schultern, unfähig, sie anzusehen. „Ich habe gedacht, dass ich irgendwie in der Lage sein würde, dich zu beschützen, wenn ich bei dir bin.„

 

„Nun, bis jetzt hat du einen Bombenjob getan,„ entgegnete sie abfällig.

 

Er ging auf die Tür zu. „Sieh mal, ich werde heute Nacht einfach bei einem Typen da draußen schlafen, okay?„

 

„Mulder, nicht.„ Er zögerte, seine Hand hing über der Türklinke. „Ich...  ich möchte nicht, dass du gehst.„ Welche Anstrengung es sie kostete, das zuzugeben.

 

„Scully...„ Er wurde durch das Wiederauftauchen von Ari unterbrochen, die mit einem Tablett voller Essen beladen war. Mulder nahm es ihr ab, damit sie die Sachen, die sie über dem Arm hatte, Dana geben konnte.

 

„Hier. Die sind von Keisha. Sie ist die kleinste hier, so werden sie hoffentlich passen.„

 

Dana verdrehte die Augen. „Danke.„ Sie sah auf die Sachen. Jeans. Wann hatte sie das letzte Mal Jeans getragen? „Ich bin sicher, sie werden in Ordnung sein. Bitte, danke Keisha von mir.„

 

„Wie sind alle glücklich, helfen zu können,„ versicherte Ari ihr. „Schlaft gut.„ Und dann war sie wieder gegangen.

 

Mulder stellte das Tablett auf den Boden und setzte sich mit gekreuzten Beinen davor. „Nun, das ist besser als das Zeug, das ich normalerweise selbst für mich mache,„ meinte er, offensichtlich bemüht, die Stimmung zu heben.

 

„Marita kocht nicht für dich?„ stichelte sie, bevor sie sich zurückhalten konnte. Der verletzte Ausdruck in seinen Augen ernüchterte sie. „Vergiss es,„ murmelte sie. Sie sah auf das Tablett, auf dem erwärmte Konservenravioli, ein paar Dosenmohrrüben und eine Flasche Wasser für jeden von ihnen standen. „Wir können uns glücklich schätzen, überhaupt etwas zu haben,„ sagte sie und versuchte, ihre Bestürzung über das armselige, geschmacklose Essen, das sie heute Abend zum Dinner essen würde anstelle des Fünfgängemenüs bei Howards, zu verbergen. Sie stand auf und zog ihr offizielles Kleid über den Kopf, dann schüttelte sie die Jeans und das T-Shirt aus.

 

„Ich weiß,„ hörte sie ihn sagen, gefolgt von einem schnellen Atemzug. Oh.  Sie hatte nicht daran gedacht, vorsichtig zu sein, begriff aber zurückblickend, dass sie es wahrscheinlich hätte sein sollen angesichts der Spannung zwischen ihnen. Nun war es zu spät. Sie zog Keishas Sachen an, dann drehte sie sich um und sah, dass er sie anstarrte, der Schimmer von Verlangen in seinen Augen war zu offensichtlich. Sie spürte etwas in ihrem Unterleib in Erwiderung darauf pochen.

 

„Lass uns essen,„ sagte sie, löste ihre Augen von seinen und setzte sich ihm gegenüber hin.

 

 

 

Mulder versuchte mit aller Willenskraft und jedem mentalen Trick, den er in seinem Arsenal hatte, seine Erektion zu bezwingen. Der Anblick Scullys, die nichts weiter trug als einen weißen Spitzen-BH und Höschen, war beinahe genug gewesen, um ihn über den Rand zu katapultieren. Er wurde immer verärgerter und verwirrter durch ihr Verhalten, aber das machte nicht die Tatsache zunichte, dass er sie immer noch verzweifelt wollte. Doch er wünschte, es würde so sein.

 

Statt dessen versuchte er sich auf sein Essen zu konzentrieren. Mulder war so hungrig, dass Chef Boyardee in diesem Augenblick beinahe wie Gourmetessen schmeckte. Er blickte Scully schief an und sah dass sie es schwerer hatte, damit klarzukommen. Das Essen war wohl weitaus langweiliger, als sie es gewohnt war, in ihrem goldenen Käfig serviert zu bekommen. Klugerweise behielt er diesen Gedanken für sich.

 

Schweigend aßen sie, keiner von ihnen wusste, was zu sagen war, wo zu beginnen war. Mulder war verlegen, verletzt und durcheinander. Und er wusste nicht, wie er ihr klarmachen sollte, was er durchgemacht hatte oder woher er kam. Alles schien so viel einfacher vor ein paar Stunden.

 

Als sie mit dem Essen fertig waren, schob er das Tablett beiseite und sah sie an. „Wir müssen wirklich reden,„ sagte er schließlich. Er griff in seine Tasche nach einer Marlboro und seinem Feuerzeug, zündete sie sich an und sog den Rauch tief ein.

 

„Ich weiß.„ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Musst du das hier drin tun?„

 

Mulder warf ihr einen wütenden Blick zu. Was zur Hölle machte eine Zigarette für einen Unterschied? Er zog noch ein paar Mal tief an der Zigarette, ihren steinernen Gesichtsausdruck ignorierend, dann drückte er sie auf dem Tablett aus. Was er wirklich wollte war etwas Hartes zu trinken, aber irgendwie glaubte er nicht, dass Ari die Minibar aufgefüllt hatte.

 

Er blickte zurück zu Scully, die offensichtlich darauf wartete, dass er anfing. Eine scharfe Bemerkung kam ihm in den Sinn, aber er unterdrückte sie. Was statt dessen herauskam, war, „Ich weiß nicht mehr, wer du bist, Scully.„ Es war nicht das, was er sagen wollte, aber als die Worte einmal heraus waren, erkannte er, was ihn die ganze Zeit seit dieser Nacht in ihrem Schlafzimmer beschäftigt hatte. Diese neue Scully erschreckte ihn, verursachte ihm Unbehagen, schüchterte ihn sogar ein, und das mochte er gar nicht. Scully hatte immer einen starken Willen gehabt und war mutig gewesen, und oft auch emotional kühl, aber niemals so hart und kalt.

 

Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft, während Scully sichtlich umeine Erwiderung rang. „Eine Menge ist passiert in den letzten drei Jahren,„ entgegnete sie mit einem erschreckend neutralen Ton in der Stimme. „Ich musste einiges verändern, um zu überleben. Um durchzukommen.„ Sie sah ihm in die Augen. „Wenn ich es nicht getan hätte, hätte ich mich wahrscheinlich schon umgebracht.„

 

Die Worte waren ein Messer in seinem Herzen. „Der Gedanke, dass du irgendwo am Leben warst, war das einzige, das mich davon abhielt, dasselbe zu tun,„ sagte er ehrlich.

 

„Mulder...„ Sie stand auf und ging von ihm fort, verloren die Arme um sich legend. Die Geste ließ sie überraschend mädchenhaft aussehen und erinnerte ihn mit einem Mal, dass sie tatsächlich ein paar Jahre jünger war als er. „Wie soll ich darauf reagieren?„ fragte sie mit dem Rücken zu ihm. „Ich hasse es, wenn du Dinge wie diese sagst. Es liegt nicht in meinerVerantwortung, wenn du entschieden hast, dass ich dein einzige Grund zum Leben bin. Ich habe dich nicht darum gebeten. Ich will es nicht einmal.„Sie hielt inne und als sie wieder sprach, war ihre Stimme rau vor Emotionen. „Es ist zuviel von mir verlangt, besonders nach allem, was passiert ist.„

 

„Ich habe niemals etwas von dir verlangt, Scully,„ sagte er und bemühte sich, zu verstehen.

 

Es folgte ein sehr langes Schweigen. Dann: „Vielleicht ist das das Problem,„ sagte sie und schniefte laut. „Vielleicht hättest du es sollen. Oder vielleicht hätte ich mehr von dir verlangen sollen. Vielleicht hättest du dann einen Weg gefunden, um bei mir zu sein, anstatt mich diesem Leben zu überlassen, das die Kolonisten mir aufgezwungen haben.„

  

Das also war der Kern der Sache. „Ich dachte, ich tue das Richtige. Das Einzige, was dich am Leben erhalten würde,„ entgegnete er ernst. „Ich dachte... du warst immer die Starke. Ich wusste, du könntest ohne mich weitermachen.„

 

„Und das habe ich.„ Sie drehte sich schließlich zu ihm zurück und ihre Augen waren eiskalt. „Ist es das, was dich ärgert, Mulder? Die Tatsache, dass ich in dieser Hölle so etwas wie ein Leben für mich selbst geschaffen  habe, dass ich Sinn und Zweck gefunden habe, obwohl ich nicht dich hatte, um mich auf diesem Wege zu führen?„

 

„Das ist es überhaupt nicht, was mich ärgert,„ erwiderte er leise. „Was mich ärgert ist, dass du es zugelassen hast, dass dieses Leben aus dir, einer mitfühlenden, mutigen, inspirierenden  Frau ein gefühlloses, megalohmanisches, egozentrisches Weibsstück gemacht hat.„

 

Es brauchte einen Moment, bis sie seine Worte verinnerlicht hatte, und als sie es getan hatte, verzog sich ihr Gesicht vor Wut. „Wie kannst du es wagen, in dieser Art mit mir zu reden!„ schrie sie. „Weißt du nicht, wen du vor dir hast? Du sprichst mit einer Mut... einer... oh Gott.„ Sie schlug die Hände vors Gesicht, betastete sich selbst, als müsste sie sich erinnern, wer sie war. „Oh Gott.„ Nach Luft schnappend fiel sie auf das Bett, verbarg ihr Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen.

 

„Jesus, Scully.„ Dana Scully auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Wer hätte das gedacht? Mulder erhob sich, setzte sich neben sie aufs Bett und nahm sie in die Arme. Sie weinte an seiner Brust, durchnässte sein T-Shirt, während er sie auf den Kopf küßte und sinnlose beruhigende Worte flüsterte.  Shh. Es ist okay. Es ist okay. Lass es einfach raus.„ Er konnte Tränen in seinen Augen spüren und machte keine Anstalten, sie zurückzuhalten.

 

Eine Weile weinte sie noch, an ihn geklammert, bis ihre hochgezogenen Schultern sanken und sie in der Lage war, tiefe, zitternde Atemzüge zu tun.  Er ließ sie nur so lange los, um eine Serviette von ihrem Essentablett zu angeln, dann hielt er sie wieder, während sie sich die Nase putzte und ihre Tränen abwischte.

 

„Es ist mir so peinlich,„ flüsterte sie, ohne ihn anzusehen.

 

Mit dem Daumen liebkoste er ihre Wange. „Du weißt, dass dir vor mir nichts peinlich sein muss. Und nebenbei, du brauchtest das, denke ich.„

 

„Vielleicht.„ Sie entzog sich seiner Umarmung und hatte immer noch Schwierigkeiten, ihm in die Augen zu sehen. „Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal geweint habe.„

 

„Das überrascht mich nicht. Sieh mal, es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe. Ich war nicht ganz beieinander.„

 

Scully schüttelte den Kopf. „Nein, das stimmt nicht. Alles, was du gesagt hast, ist wahr. Ich habe mich so daran gewöhnt, dieser Führungskopf zu sein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich selbst noch weiß, wer ich überhaupt bin. Das ist eine unbequeme Erkenntnis.„

 

„Du bist nicht die einzige, die ein wenig Gemütsforschung betreiben muss,„entgegnete er nach einer Pause. „Ich bin nun schon seit langer Zeit mein eigener persönlicher Punchingball. Scully, du hast soviel getan und ich... ich zerbrach ohne dich. Genauso, wie sie es immer gewusst haben.„

 

„Wir haben alle einige Dinge getan, auf die wir nicht stolz sind,„ sagte Scully leise.

 

„Ich mehr als die meisten,„ beharrte er. „Aber ich spüre es, tief in mir,dass ich immer noch derselbe bin, wie vor drei Jahren. Das mag nicht mehr als Selbstbetrug sein, aber ich hoffe, es ist wahr. Kannst du dasselbe sagen?„

 

Lange Zeit antwortete sie ihm nicht. „Ich weiß es nicht. Du bist der Einzige, der mich früher wirklich kannte. Warum sagst du es mir nicht?„

 

„Warum lässt du es mich nicht herausfinden?„ Er ergriff ihre Hände und lehnte sich dichter zu ihr, versuchte sie dazu zu zwingen, ihm in die Augen zu sehen. „Lass mich herein, Scully,„ bat er. Mulder dachte daran, dass er sie das letzte Mal, als sie zusammen waren, gründlich gebumst hatte, heute Nacht wollte er nichts mehr, als sie zu lieben. Er musste es tun, um die Mauern, die sie so fleißig um ihr Herz aufgebaut hatte, zu durchbrechen.

 

Scully blickte ihn an und sah ihm direkt in die Augen. Sie schien in seinen Augen nach dem Mann zu suchen, den sie einmal kannte, und er versuchte sein bestes, sie davon zu überzeugen, dass er immer noch derselbe Mann war, der einmal ihr Partner und ihr engster Freund gewesen war. Dass er sich immer noch um sie sorgte. Sie hoffnungslos liebte. Und dass sich das niemals ändern würde.

 

Schließlich flackerte etwas wie Erkenntnis in ihrem Blick. Zitternd atmete sie ein und streckte die Hand aus, um die Linie seines Kiefers nachzuzeichnen. „Mulder...„

 

Mulder stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Womöglich gab es letztlich doch noch Hoffnung für sie. Er legte eine Hand auf ihren Nacken und senkte seine Lippen zu ihren für einen sanften, zärtlichen Kuss. Ihr Mund arbeitete zart unter seinem mit überraschender Sensibilität. Er drängte sie nicht, bewegte nur seinen Mund sanft an ihrem, strich mit seiner Zunge über ihre Lippen, nahm sie in sich auf. Er streichelte ihr Haar unter seinen Fingern in einer Art Ehrfurcht. Sie lehnte sich an ihn, presste ihren Körper an seinen und ihre Hände vergruben sich in seinen Nackenhaaren. Sie fühlte sich so zerbrechlich und schmal an, dass er plötzlich von einem irrationalen Verlangen überwältigt wurde, sie festzuhalten und zu beschützen, obwohl sie wahrscheinlich die letzte war, die jemand anderen brauchte, der auf sie aufpasste.

 

Obwohl, überlegte er, vielleicht brauchte sie es. Vielleicht musste sie vor sich selbst beschützt werden. Er kannte dieses Gefühl mit Sicherheit nur zu gut.

 

Seine Lippen wanderten von ihrem Mund zu ihrer Wange, ihrer Nase, ihrer Stirn, ihren Schläfen und badeten sie mit Küssen, jeder davon eine Liebeserklärung, die er nicht in Worten ausdrücken konnte. Sie stieß einen gehauchten Seufzer aus und kuschelte sich an ihn. Sein Mund wanderte über ihren Hals, knabberte an der sensiblen Haut dort und brachte sie dazu, schwer in sein Ohr zu atmen.

 

Mulder half ihr, sich ihr Shirt über den Kopf zu ziehen, gefolgt von ihrem BH, ihren Hosen, ihrer Unterwäsche, bis sie nackt auf dem Bett lag und ihn erwartungsvoll ansah, während er rasch aufstand und sich seiner eigenen Sachen entledigte. Als er fertig war, legte er sich neben sie, stöhnte zufrieden, als sie ihn umarmte und seine Rückenmuskeln mit ihren geschickten Händen massierte.

 

„Du weißt genau, was du tun musst, um mich verrückt zu machen, nicht wahr?„ flüsterte er ihr ins Ohr und wurde mit einem leisen Lachen belohnt. Er legte seine Handfläche auf eine ihrer Brüste, die Fülle in seiner Hand liebend, und als sie sich ihm entgegenbäumte, nahm er das als Einladung, um seinen Mund auf ihre korallenfarbene Brustwarze zu senken.

 

Gemächlich leckte er sie, saugte und neckte sie, bis er ihr Wimmern über sich vernahm. Anstatt loszulassen, widmete er sich der anderen Brust mit derselben Aufmerksamkeit, nahm die Brustwarze zwischen seine Zähne, ließ seine Zunge darumwirbeln, als ihr Stöhnen an Intensität und Volumen zunahm.  Er fühlte sich von dem Verlangen verzehrt, jeden Zentimeter von ihr zu lieben, die Scully, die er kannte, wieder zum Leben zu erwecken, sie mit seinen Händen und seinem Mund ins Leben zurückzubringen. Und so glitten seine Lippen zwischen ihren Brüsten entlang, über ihren Bauch und ihren Bauchnabel. Er knabberte an ihren Hüften und seine Hände legten sich um ihre exquisiten Pobacken. Seine Zunge schlängelte sich an ihren Beinen herab, schmeckte das Salz in ihren Kniekehlen, überschüttete ihre Knöchel mit seiner Hingabe, sogar ihre Zehen, dann wanderte sie wieder hinauf zu ihren Schenkeln, die ganze Zeit beinahe verrückt von ihrem fortgesetzten wortlosen Flehen und den Schwingungen.

 

Als er schließlich seine Lippen zwischen ihre Schenkel platzierte, keuchte sie vor Überraschung und Lust, dann spreizte sie ihre Beine noch mehr für ihn und vergrub ihre Finger in seinem Haar. Er zeichnete die Falten ihres Fleisches mit seiner Zunge nach, saugte an ihrem Zentrum, ließ seine Zunge in sie hinein und heraus gleiten und genoss den rauchigen Geschmack, den er dort fand.

 

„So lange... ich habe vergessen... wie das ist,„ flüsterte sie, während sie seinen Kopf zwischen ihren Schenkel drückte.

 

Er reagierte, indem er seine Hände ausstreckte, um ihre Brüste zu kneten und das Tempo seiner arbeitenden Zunge erhöhte und sie schleckte, die feuchten Geräusche seiner Fürsorge erfüllten den Raum zusammen mit ihrem fortgesetzten Stöhnen. Ihre Hüften begannen sich sanft zu heben und zu senken, als sie gegen ihn stieß, sich immer noch an seinem Haar festhaltend, als ginge es um ihr Leben, bis sie schließlich ihr Orgasmus überrollte. Und sie stieß eine Reihe kurzer, scharfer Schreie aus und bäumte sich unkontrolliert gegen ihn auf.

 

Mulder ließ seinen Mund dort, die Woge mit ihr reitend, bis der Höhepunkt vorbei war, dann schob er sich hoch und glitt in einer einzigen raschen Bewegung in sie hinein, bevor ihre Kontraktionen vollkommen aufhörten. Sie zog sich um ihn herum noch ein paar Mal zusammen und er zwang sich dazu, stillzuhalten, umgeben von dieser vorzüglichen heißen, engen Feuchtigkeit, während er darauf wartete, dass sie sich vollkommen beruhigte, obwohl er glaubte, dass es ihn umbringen würde, wenn er noch länger wartete. Als er überzeugt davon war, dass sie wieder ganz zu sich gekommen war, bewegte er sich mit unendlicher Langsamkeit einmal hinein und wieder heraus aus ihr, durch die süße Reibung stöhnend.

 

„Oh...„ Sie keuchte und zog ihre Beine an, ihn dazu drängend, tiefer in sie einzudringen. Als Erwiderung stieß er wieder in sie, härter diesmal, befriedigt durch ihr heiseres Stöhnen, das als Antwort kam. Dann begann er, einen langsamen stetigen Rhythmus aufzubauen, in sie pumpend und mit jeder Bewegung seiner Hüften ihren Namen ausstoßend. Sie drängte sich ihm entgegen, passte sich seinen Bewegungen an, hielt seinen Po fest und erhob sich, um ihn wieder und wieder in perfekter Synchronie zu treffen, als wenn sie Partner in einem langerprobten Tanz wären. Als er sie ansah, bemerkte er, dass sie ihn, trotz ihrer offensichtlichen Lust, aufmerksam aus gequälten blauen Augen beobachtete, als wenn sie fürchtete, dass er plötzlich in einer Rauchwolke verschwinden würde.

 

Er beschleunigte seine Stöße und begann, atemlos mit ihr zu reden, ohne Unterbrechung, ihr versichernd, dass sie sich die Dinge nicht einbildete. „Ja, Scully, ich bin hier. Ich bin dein, immer und immer und Gott, du fühlst dich so gut an, ich habe solange davon geträumt, du glaubst gar nicht, was du mit mir machst, Scully, Scully, Scully, Gott...„

 

„Mulder...„ Sie stöhnte und ihre Hände glitten seinen Rücken hinauf, ihre Nägel drückten sich in sein Fleisch, sie hob ihren Kopf, um in seine Schulter zu beißen, mischte Lust mit Schmerz und, oh Jesus, sie war dabei, ihn umzubringen...

 

Und dann begann sie schließlich, wieder zu kommen, sich an ihn klammernd und seinen Namen rufend, und beinahe sofort ließ er selbst los, sich in sie mit einem gutturalen Stöhnen und glückseliger Erlösung ergießend.

 

Mulder brach auf ihr zusammen, in ihr bleibend, bis sie beide aufhörten, zu zittern. Dann zog er sich sanft aus ihr zurück, legte seine Arme um sie und drückte Kuss auf Kuss auf ihre Schläfe. „Okay, ich glaube, ich bin nun überzeugt davon, dass du immer noch meine Scully bist,„ sagte er leicht.

 

Scully gab einen erstickten Laut, irgendwo zwischen einem Lachen und einem Schluchzen, von sich. „Ich bin froh, dass es einer von uns ist.„ Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust und drückte winzige Küsse in die Haare dort.

„Halt mich einfach, Mulder. Ich möchte in diesem Moment an nichts anderes

als das denken.„

 

„Okay.„ Er ließ seine Finger leicht ihren Arm herauf und hinab gleiten und schlang seine Beine um ihre. „Jetzt sind hier du und ich, Scully. Du und ich.„

 

„Du und ich,„ flüsterte sie.

 

 

 

 

 

Scully erwachte in der Dunkelheit, wenngleich das nichts bedeutete, wenn man in Betracht zog, dass es keine Fenster in ihrem behelfsmäßigen Schlafzimmer gab. Sie versuchte, Mulders Uhr zu erkennen, die am Handgelenk der Hand war, die im Moment auf ihrem Bauch lag, aber ihre Augen konnten sie in der Dunkelheit nicht entziffern.

 

Mulder bewegte sich im Schlaf, sein Arm legte sich um ihre Taille, sein Kopf kuschelte sich in ihre Halsbeuge. Wehmütig lächelte sie. In der letzten Nacht hatte er so viele Mauern durchbrochen, war so nahe daran gekommen, sie mit seiner Berührung, seiner Wärme zu heilen und ja, eben mit seiner Liebe – unausgesprochen, aber nichtsdestotrotz offensichtlich.

 

Aber sie wusste, dass die Dinge nicht einfach so leicht in Ordnung zu bringen waren. Sie hatten beide noch einen langen Weg vor sich.

 

Dennoch fühlte sie sich freier, als sie es seit langer Zeit getan hatte, trotz der Ernsthaftigkeit ihrer Situation. Nach Greenland zu gehen war nicht Teil ihres direkten Planes gewesen, aber es war eine machbare Lösung eines Problems. Ihre Forschung, ihre Arbeit konnte in Greenland weitergehen. Und nun hatte sie Mulder an ihrer Seite. Das würde nicht so schlecht sein. Oder?

 

Zärtlich küßte sie sein weiches braunes Haar und zog federleichte Kreise auf seiner Schulter, während er schlief. Es war mehr als seltsam, so lange von ihm getrennt gewesen zu sein und dann so unmittelbar in eine Phase in ihrer Beziehung vorzurücken, vor der sie sich zu sehr gefürchtet hatten, um sie in ihrem früheren Leben in Betracht zu ziehen. Sie hatten keine Zeit gehabt, in ihre alte Freundschaft zurückzugleiten. Nicht dass sie sich beschwerte, es war nur... eigenartig. Auf eine angenehme Art. Eine sehr, sehr angenehme Art. Sie schloss ihre Augen und schwelgte in der sinnlichen Erinnerung.

 

Er erschreckte sie, als er neben ihr zusammenzuckte, dann abrupt erwachte und sich im Bett in einem Abwehrreflex aufsetzte.

 

„Hey, alles okay?„ fragte sie, ihm den Rücken reibend.

 

„Ja. Ich glaube, ich hatte einen Traum. Trotzdem ich mich nicht daranerinnere.„ Er gähnte und legte sich wieder neben sie. „Wie spät ist es?„

 

„Keine Ahnung. Ich habe versucht, deine Uhr zu lesen, aber es ist zu dunkel.„

 

„Nun, dann...„ Er begann, ihre Hüfte unter der Decke zu streicheln, und sie konnte seine Erektion spüren, die sich gegen sie presste.

 

Sie lachte leise auf. „Du bist unersättlich.„

 

„Wir werden sehen.„ Er senkte seinen Mund auf ihren und küßte sie innig und sie erwiderte den Kuss, legte ihre Hand in seinen Nacken und zog ihn noch enger an sich. Ihr Körper reagierte sofort, bäumte sich ihm wie aus eigenem Willen entgegen. Seine Hände waren warm und rau an ihrem Fleisch, seine Berührung geschickt und diesmal war es leiser und sanfter, als sie sich liebten, von einer süßen Intensität, die sie beide atemlos machte.

 

Sie hatten kaum begonnen, wieder zusammenhängend zu denken, als es an der Tür klopfte. „Aufstehen,„ kam Aris Stimme zaghaft durch das dicke Metall.

 

Scully räusperte sich. „Wir sind wach!„ rief sie.

 

Mulder kicherte. „Sozusagen, irgendwie.„

 

Sie stieß ihm als Verweis ihren Ellbogen in die Seite. „Wir haben wahrscheinlich dem ganzen Camp letzte Nacht ein Riesenkonzert gegeben,„ erkannte sie mit einem Stöhnen.

 

„Mach dir keine Sorgen, Scully, du warst nicht sooo laut,„ neckte Mulder sie.

 

Scully zog eine Augenbraue hoch. „Sieh mal, wer da spricht. Das menschliche Nebelhorn.„ Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr ungekämmtes Haar und grinste plötzlich. Es tat so lächerlich gut, einfach mit ihm herumzualbern.  Sie hatte vergessen, wie sehr sie es vermisste.

 

„Glaubst du, sie haben hier so etwas wie eine Dusche?„ fragte er, sich seinen Bauch unbewusst kratzend.

 

„Gute Frage. Ich wette, sie haben irgend etwas improvisiert.„ Scully schob sich aus dem Bett und begann, ihre Sachen von der Nacht zuvor überzuziehen – also, diese Sachen von Keisha – sich dessen bewusst, dass Mulder sie dabei beobachtete. Es war ihr nicht so unangenehm wie letzte Nacht, in Wahrheit musste sie zugeben, dass es ihr gefiel, nur ein bisschen.

 

„Ich werde sehen, ob ich irgendwie helfen kann,„ sagte sie zu ihm.

 

Er nickte, sich die Augen reibend. „Ich komme bald nach.„

 

Scully öffnete die Tür und ging hinaus in den Tunnel, der bereits vor Aktivitäten summte. Der Duft von Schinken – Schinken! – griff ihre Nasenflügel an und brachte ihren Magen zum Knurren. Sie legte einen kurzen Stop an der transportablen Toilette ein, die sie Gott weiß wo gestohlen hatten, und ging dorthin, wo Keisha einen tragbaren Grill bediente, den sie an eine Batterie angeschlossen hatte. Neben dem wohlriechenden Schinken brutzelten ein paar Pancakes auf der heißen Oberfläche.

 

„Es riecht wunderbar,„ sagte Scully als Gruß.

 

Keisha schenkte ihr ein Lächeln. „Es ist nichts besonderes, aber es schmeckt ganz gut. Es sind die einfachen Pancakes – einfach Wasser an die Mischung. Perfekt, wenn man nicht so viele Zutaten zur Auswahl hat.„

 

Scully zupfte an ihrem T-Shirt, plötzlich unbehaglich. In den letzten drei Jahren war sie eine Meisterin der sinnlosen, leeren Unterhaltung geworden, aber sie wusste nicht, wie man eine einfache menschliche Verbindung herstellte. „Ich wollte dir für die Sachen danken, Keisha. Besonders, da ich nicht glaube, dass wir uns schon mal gesehen haben.„

 

Keisha sah sie mit einem Blick an, den Scully nicht ganz interpretieren konnte. „Natürlich weiß ich, wer Sie sind, Dr. Scully.„

 

Scully versteifte sich; erinnerte sich aber dann daran, dass das Mädchen wahrscheinlich nichts damit sagen wollte. Nicht jeder ist darauf aus, dich zu kriegen, Dana. „In dem Fall solltest du wissen, dass du mich Dana nennen sollst.„ Scully studierte die Frau sorgfältig; ihre kaffeebraune Haut war glatt und ohne Falten und ihr Haar war superkurz geschnitten, ob aus praktischen Erwägungen oder weil sie es so mochte, wusste sie nicht. Sie sah toll aus und hätte früher Model sein können. Scully bemerkte, dass sie noch sehr jung war, höchstens 22, 23 Jahre alt. „Wie bist du hier unten gelandet, Keisha?„ fragte sie abrupt und bemühte sich dann, ihrer Annäherung die Härte zu nehmen. „Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich frage.„

 

Keisha zuckte mit den Schultern. „Ich bin eine von den Glücklichen – von Natur aus immun gegen das Virus. Als ich gestochen wurde – an dem Tag, als sie die Bienen freiließen – habe ich mich in mein Apartment eingeschlossen, war ein paar Tage lang wirklich krank und dann wurde es besser. Natürlich war unterdessen jeder weg, den ich kannte, entweder tot oder...  fortgebracht.„ Sie hielt inne und Scully konnte sehen, dass die junge Frau Tränen der Erinnerung niederkämpfte. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte.  Alles war durcheinander, erinnern Sie sich? Jeder, der gestochen worden war, war von den Speichelleckern zusammengetrieben worden, und die, die nicht gestochen worden waren, waren auf der Straße niedergeschossen worden.  Ich wusste nicht, wo ich hin sollte... eine Weile lebte ich in den hinteren Gassen, wurde ein wahres Talent darin, den Abfall zu durchwühlen. Das habe ich zwei Jahre lang gemacht. Und dann, eines Tages, lief ich Rico in die Arme, der unterwegs auf einer seiner berühmten ‚Erkundungstouren‘ war.„ Sie lächelte und Scully konnte nicht anders, sie lächelte zurück angesichts der Zuneigung in der Stimme der anderen Frau. „Er brachte mich in ein Camp, genau wie dieses hier, und ich... machte mich nützlich, glaube ich. Genau wie jeder andere es tut. Ich bin jetzt seit zwei Monaten in dem Camp von Ari. Es ist mit Sicherheit besser, als die Minen oder Farmen oder Gott weiß was, richtig?„ Sie sah Scully um Bestätigung an.

 

„Natürlich ist es das,„ entgegnete Scully unbehaglich. Sie hielt inne, überlegte sich ihre nächsten Worte sorgfältig. „Keisha? Hättest du etwas dagegen, mir eine Blutprobe von dir zu geben? Wenn du von Natur aus immun bist, kommt mir der Gedanke, dass da vielleicht etwas in deinem Blut ist, das uns helfen könnte, eine Biowaffe zu entwickeln, die giftig für die Aliens ist. Ich hatte bisher nie genug Glück, jemanden zu treffen, der von Natur aus immun ist.„ Sie erkannte, welche Anstrengung es sie kostete, höflich zu sein, es als Bitte zu formulieren und nicht als Befehl.

 

„Wir sind wirklich selten,„ gab Keisha zu, sich Scullys inneren Konflikts nicht bewusst. Einen Moment dachte sie nach, während sie der Schinken wendete, der auf dem Grill brutzelte. „Ja, okay. Ich gebe einen halben Liter ab, wenn Sie glauben, dass es hilft.„

 

„Danke,„ sagte Scully. Und war dankbar dafür, herauszufinden, dass sich die Formulierung nicht vollkommen fremd auf ihrer Zunge anfühlte.

 

 

 

 

 

Mulder griff sich den ersten Typen, den er sah, als er in den Tunnel ging, und fragte ihn nach einer Möglichkeit zum Waschen. Obwohl der befragte Mann sie selbst nicht allzu oft zu benutzen schien, erklärte er, dass es am Eingang zum Tunnel einen Umkleideraum mit Duschen gab, der augenscheinlich früher von Transitpersonal benutzt worden war.

 

Nachdem er sich eine Taschenlampe gegriffen und gewünscht hatte, dass er Sonnenblumenkerne hätte anstelle von Brotkrumen, um eine Spur zu hinterlassen, sich aber dann doch darauf verlegte, eine Zigarette zu rauchen, machte sich Mulder auf die Suche nach der versprochenen Dusche.  Die rostigen, vergammelten Duschvorrichtungen waren nicht das Ritz, aber er hatte schon schlimmeres erlebt. Feucht und irgendwie erfrischt ging er zurück ins Camp.

 

Er entdeckte Scully, die von den anderen entfernt dasaß, unsicher auf einem umgestürzten Eimer hockend. Sie sah verlegen aus, als sie die Männer und Frauen um sich herum betrachtete, zögerlich, sich auf eine Unterhaltung mit ihnen einzulassen. Hast ein bisschen Schwierigkeiten damit, dich zu den kleinen Leuten zu verhalten, hä, Scully?

 

Als hätte sie seine Gedanken gehört, blickte Scully auf und sah ihn, und als sie ihm ein breites Lächeln schenkte, schlug sein Herz schneller. Sie schien beinahe glücklich zu sein. Erstaunlich, dass er irgend etwas damit zu tun hatte.

 

Mulder ging zu ihr hinüber und kämpfte gegen das plötzliche absurde Verlangen an, sie in seine Arme zu reißen und mit ihr herumzuwirbeln.  „Hey,„ sagte er sanft und kniete sich neben ihr nieder.

 

„Hey.„ Ihre Braue kräuselte sich. „Du hast schon geduscht?„

 

„Warum hast du noch nicht?„

 

„Ich wurde durch den Duft von Schinken angelockt,„ sagte sie grinsend. Sie streckte die Hand aus und fuhr durch sein feuchtes Haar.

 

„Wenn Sie clever sind, Dana, essen Sie jetzt und springen dann unter die Dusche, während die anderen essen,„ sagte die kleine schwarze Frau, die am Grill stand und Schinken auf einen Teller stapelte. Keisha, sagte Mulders Erinnerung ihm.

 

„Äh, okay. Danke.„ Sie verputzte den Rest ihres Frühstücks, während Mulder sich selbst einen Teller griff, als sein Magen ein Sinfonie knurrte. Er war skeptisch, ob das Essen gut schmecken würde angesichts der stinkenden Luft im Tunnel, aber er war erleichtert, als er herausfand, dass er sich irrte.  Es schmeckte großartig – so großartig, wie Pancakes aus der Tüte eben schmecken konnten.

 

Als andere Mitglieder der Gruppe begannen, vor Keisha eine Reihe zu bilden und sich etwas zum Essen zu holen, stand Scully auf und ergriff Mulders geborgte Taschenlampe. „Duschzeit für mich.„

 

Mulder nickte, darüber nachdenkend, dass das nun eine gute Möglichkeit wäre, sich hier umzusehen, ohne Scully, die genau erkennen würde, wie misstrauisch er wirklich war. Mit dem Gedanken sah er sich nach Ari um, die auf einer Milchkiste saß und liebevoll ihre Waffe im Licht einer Batterielampe putzte. „Morgen.„

 

Sie blickte zu ihm auf. „Morgen. Gut geschlafen?„

 

Ihr Blick war fest. Mulder konnte nicht sagen, ob sie tatsächlich in der Lage gewesen war, sie beide letzte Nacht überhaupt zu hören. „Ich habe großartig geschlafen. Nochmals danke dafür, dass Sie uns Ihren Raum überlassen haben.„

 

Ari zuckte mit den Schultern. „Danken Sie mir nicht. Dana ist unsere Führerin, ihr steht der beste Platz zu. So einfach ist das.„

 

„Seit wann kennen Sie Scully schon?„ fragte er. Er sah auf den Boden, im Geiste in Betracht ziehend, sich in den Dreck zu setzen, dann dachte er, was soll’s. Behutsam setzte er sich nieder, sorgfältig darauf bedacht, nichts von dem zu verschütten, was er auf seinem Teller hatte, und war dankbar dafür herauszufinden, dass sich der Boden nicht ganz so eklig an seinem Hinterteil anfühlte, wie er befürchtet hatte.

 

Ari warf ihm einen Blick zu. „Seit sie mich geheilt hat,„ erwiderte sie.

 

Also hatte er recht gehabt mit der Verehrung, die er in Aris Augen sah, wenn sie Scully anblickte. „Sie bedeutet Ihnen eine Menge, nicht wahr?„

 

„Sie hat mein Leben gerettet,„ sagte sie kurz und bündig, als ob das die Frage mehr als beantwortete, was es, wie Mulder annahm, wahrscheinlich tat. Ari begann, den Lauf ihrer Waffe abzureiben. „Und was ist mit Ihnen, Mulder? Wieviel bedeutet sie Ihnen?„

 

Oh Mann. Mulder erkannte einen beschützenden Ton in einer Stimme, wenn er einen hörte. Er erwog und verwarf ein halbes Dutzend Erwiderungen, dann erwischte er sich dabei, wie er die Wahrheit herausposaunte. „Sie bedeutet mir mehr als jeder andere auf der Welt. Mehr als mein Leben.„

 

„Gut. Weil sie Sie einfach darum bitten könnte.„

 

Gott, Scully, wer zur Hölle bist du jetzt? Mist. Er beschloss, Aris geheimnisvolle Erwiderung zu ignorieren und zum Geschäft zu kommen. „Was macht Ihr alle hier unten? Wie ist das für den Widerstand hilfreich?„

 

Sie schnaufte. „Sie wissen nicht, wie wir arbeiten? Was haben Sie in den letzten paar Jahren getan? Auf Ihrem Hintern gesessen?„

 

Mulder wurde bleich. „Ich war in Denver,„ sagte er vorsichtig. „Die Dinge dort sind anders.„

 

Dankbarer Weise schien sie diese Erklärung zu akzeptieren. „Wir sind hier meistens Mädchen für alles. Wir tun, was getan werden muss, worum immer uns Dana oder Rico oder jemand anderes bittet. Nahrung beschaffen, Versorgungsgänge, gelegentlich einen Hinterhalt legen oder einen Überfall auf eine Kolonisteneinrichtung. Es mag nicht viel erscheinen, wenn man jeden Fall einzeln betrachtet, aber wenn man alles zusammennimmt, macht es schon einen Unterschied.„

 

„Also haben wir Ihnen für den Schinken zu danken?„ fragte er.

 

Sie erlaubte sich ein kleines Grinsen. „Das war Franks Coup. Hier in der Gegend gibt es eine Menge verlassener Lebensmittelgeschäfte, wenn man weiß, wo man suchen muss. Er fand den Schinken tiefgefroren. An diesem Tag machte er einen Riesengewinn – alles Sachen, an die wir normalerweise nicht herankommen. Obwohl wir es schnell aufessen müssen, damit es nicht verdirbt. Nicht dass das hier ein Problem zu sein scheint. Besonders, da es sehr, sehr selten ist, dass wir so etwas Gutes bekommen.„

 

„Darauf wette ich. Also, wann ist der nächste Überfall?„

 

Ari kniff die Augen zusammen. „Warum wollen Sie das wissen?„

 

Er zuckte mit den Schultern, sein offensichtlicher Anfängerstatus war ihm unangenehm. „Scully und ich werden womöglich ein paar Tage hier sein, also wenn Sie irgend etwas geplant haben, würde ich gern helfen.„

 

Ari betrachtete ihn, als wäre er ein seltenes und abstoßendes Insekt unter einem Mikroskop. „Es ist nichts in Arbeit, aber wenn sich das ändert, werde ich es Sie sicher wissen lassen,„ erwiderte sie vorsichtig.

 

Mulder nickte und kam sich immer noch vor, wie ein Idiot. Sie arbeitete ein paar Minuten schweigend, während er versuchte, darüber nachzudenken, was er sonst sagen sollte.

 

„Sie nennen sie Scully?„

 

Sein Kopf flog bei der unerwarteten Frage hoch. „Oh, ja, habe ich immer getan, seit wir das erste Mal Partner waren. Warum?„

 

„Ich habe sie auch einmal so genannt. Meistens nenne ich die Leute bei ihrem Nachnamen, es ist ein Überbleibsel aus der Militärzeit. Jedenfalls, als ich sie Scully nannte, war sie verdammt nahe daran, mir den Kopf abzureißen. Sagte, dass ich sie niemals so nennen sollte. Ich denke, ich weiß jetzt warum.„

 

„Oh.„ Mulder war sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte. Waren die Erinnerungen an ihn wirklich so qualvoll gewesen, dass sie überhaupt nicht mehr daran denken wollte? Er wand sich bei diesem Gedanken. „Es... es scheint ihr jetzt nichts mehr auszumachen,„ sagte er schließlich.

 

„Jedenfalls nicht bei Ihnen. Nun, ich habe immer geglaubt, dass Dana es einfach braucht, flachgelegt zu werden, damit sie ein bisschen lockerer wird. Ich denke, Sie haben bewiesen, dass ich recht hatte, hä?„ Ari kicherte über Mulders äußerst peinlich berührten Gesichtsausdruck. „Hey, machen Sie sich nichts daraus, wir sind schließlich alle erwachsen.„

 

„Hätte mich zum Narren machen können,„ murmelte er.

 

„Das ist nicht fair, sich ohne mich auf Mulders Kosten zu amüsieren,„ erklang eine raue Stimme hinter ihnen. Er sah auf und erblickte Scully, die sich ihr feuchtes Haar rubbelte. Immer noch ein bisschen mehr als feucht von der Dusche klebte ihr Shirt in einer Weise an ihr, von der Mulder sicher war, dass sie damit jeden Wettbewerb für feuchte T-Shirts gewinnen würde. Er tat sein bestes, sie nicht anzustarren.

 

„Es ist nicht fair, Regeln wie diese aufzustellen, wenn es so einfach ist, es zu tun,„ kam Aris Gegenschlag.

 

Scullys Mundwinkel gingen ein wenig nach oben, dann wurde sie plötzlich ernst, als wenn sie sich schuldig für den Leichtsinn fühlen würde. „Ich frage mich, ob wir heute etwas von Rico hören werden.„

 

Ari schüttelte den Kopf. „Ich würde nicht damit rechnen. Diese Dinge brauchen Zeit, Dana. Du weißt das. Gefälschte Reisepapiere, eine sichere Passage, ein genaues Zeitfenster – das braucht eine Weile, sogar mit Frohikes Hilfe.„

 

Scully seufzte und trat dichter an Mulder heran, ihre Hand auf seine Schulter legend. „Du hast recht. Ich hasse nur den Gedanken, Zeit zu verschwenden. Besonders jetzt. Ich glaube wirklich, dass wir nahe daran sind, eine effektive Biowaffe zu entwickeln.„

 

„Gut,„ entgegnete Ari grimmig. „Je eher wir die Erde von diesen Speichelleckern befreien, desto besser.„

 

„Außerdem könnte ich einen Stift und ein Blatt Papier gebrauchen,„ sagte Scully gedankenvoll. „Mir ist ein neuer Gedanke für einen Labortest gekommen, als ich unter der Dusche stand, basierend auf den Blutuntersuchungen, die wir an Keishas Probe durchführen werden. Ich möchte diese Informationen so schnell wie möglich Dr. Fields zukommen lassen. Das wichtigste sind eine Spritze und ein Teströhrchen, so dass ich ihm Keishas Blut zukommen lassen kann.„

 

„Du willst es, du bekommst es,„ sagte Ari automatisch und machte sich im Geiste eine Notiz.

 

„Was ist so besonderes an Keishas Blut?„ fragte Mulder.

 

„Sie ist von Natur aus immun gegen das Virus,„ erklärte Scully. Ich hoffe –ich wette, in der Tat – dass etwas in ihrem Blut arbeitet, das uns hilft zu verstehen, warum sie es ist. Und vielleicht kann diese Information uns helfen, ein Virus, das gegen die Kolonisten funktioniert, zu entwickeln.„

 

„Großartig. Ich werde Frank auf eine medizinische Versorgungsmission schicken,„ meinte Ari, stand auf und legte ihre Waffe vorsichtig auf der Milchkiste ab. Und dann war sie weg.

 

Diese Frau schafft die schnellsten Abgänge und Auftritte, die ich je gesehen habe, überlegte Mulder. Er sah zu Scully auf, deren Brauen sich in Sorge runzelten. „Und was jetzt?„ fragte er.

 

„Jetzt warten wir.„

 

 

 

 

 

Die nächsten Tage vergingen für Scully und Mulder in qualvoller Langsamkeit, während sie darauf warteten, dass eine Nachricht von Rico eintraf, dass das Tunnelteam einen neuen Auftrag jenseits der Suche von Nahrungsmitteln für ihre täglichen Mahlzeiten erhielt, dass etwas – irgend etwas passierte. Der wunderbare, findige Frank hatte es geschafft, die medizinische Ausrüstung, die Scully benötigte, heranzuholen, und sie verwahrte Keishas Blutprobe in dem Gefrierschrank in ihrem Schlafraum, bis ein Kurier von Rico sie in das Labor zu Harrison schaffen konnte. Sie fragte sich, ob der irgendwelche Fortschritte mit den neuen Versuchen machte, die sie vorgeschlagen hatte, bevor sie verschwinden musste. Dann musste sie aufhören, darüber nachzudenken, weil nachzudenken und es nicht zu wissen sie langsam krank machte. Um allem die Krone aufzusetzen, schien es so, wann immer Mulder versuchte, sie zu beruhigen, sie sich selbst dabei erwischte, wie sie ihn zusammenstauchte und ihm vorwarf, dass er nicht in der Lage war, das zu verstehen. Die neue Dana und die alte Scully führten Krieg gegeneinander, und sie war sich nicht einmal sicher, welche von beiden sie nicht mehr sein wollte.

 

An einem langweiligen Abend kam Ari zu ihr und bat sie um Hilfe für einen aus ihrem Team, einen Mann namens Bennett, der krank geworden war. Obwohl es zweifelhaft war, dass sie viel ausrichten konnte ohne die richtige Ausrüstung, stimmte Scully nichtsdestotrotz zu, ihn sich anzusehen, und sei es nur aus dem Grunde, die Monotonie zu unterbrechen.

 

Der Mann lag zusammengerollt auf einer Decke in einer Ecke in der Nähe eines Lagerfeuers, das ihn trotz der sommerlichen Hitze wärmen sollte. Ari und Mulder standen unbehaglich hinter ihr, während sie die Vitalfunktionen des Mannes überprüfte. „Was scheint das Problem zu sein, Bennett?„ fragte sie beiläufig, als wenn er ein Patient in ihrer Praxis war.

 

Der kleine, abgemagerte Mann, der aussah, als wäre er so um die Fünfzig, setzte sich mit einiger Anstrengung auf, bevor er antwortete. „Da ist ein Kribbeln und eine Taubheit in meinen Händen und Füßen, und ich habe Schwierigkeiten beim Atmen. Und ich bin auch die ganze Zeit müde.„

 

„Wie lange geht das schon so?„

 

„Ungefähr eine Woche, denke ich. Aber ich bin schon seit langer Zeit müde. Mein Magen tut auch sehr weh.„

 

Scully nahm die Arme des Mannes und untersuchte sie genau. Die Haut hatte teilweise einen eigenartigen bläulichen Farbton angenommen. „Haben Sie diese blaue Pigmentierung auf Ihrer Haut schon vorher bemerkt?„

 

Der Mann sah überrascht auf seine Arme. „Nein, ich habe es bis jetzt nicht bemerkt.„

 

Die Symptome formten sich in Scullys Kopf zu einem Bild, aber sie verstand nicht, wie das sein konnte... „Das ist sehr seltsam.„

 

„Was ist los?„ fragte Mulder.

 

Sie richtete ihre Antwort an ihren Patienten. „Nun, ausgehend von den Symptomen, Bennett, würde ich sagen, Sie leiden an der Reisesserkrankheit. Ich hätte nicht gedacht, dass daran heute noch jemand erkrankt.„

 

„Bennett lebt seit Monaten hier unten,„ bemerkte Ari in scharfem Tonfall.

 

„Ja, aber...„

 

„Scully, hier gibt es nicht unbedingt ein Staatsdiner zu futtern,„ meinte Mulder.

 

Richtig. Scullys Blick verschwamm und ihr Atem stockte in ihrer Brust. Oh Gott, nicht wieder... „Entschuldigt mich,„ murmelte sie und rannte in den Versorgungsraum, in dem Mulder und sie sich aufgehalten hatten, die schockierten Proteste ihrer Freunde hinter ihr ignorierend.

 

Scully setzte sich auf das Bettgestell, senkte den Kopf zwischen ihre Beine und spürte, wie das Blut in ihr Gehirn schoss. Atme, atme einfach. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge. Du hast keinen Anfall von Panik, du hast keinen Anfall von Panik...

 

Gott. Was passierte mit ihnen allen?

 

Sie sah nicht auf, als die Tür aufging. „Scully?„

 

„Mulder... dieser Mann...„

 

Er setzte sich neben sie und begann, sanft ihren Rücken zu reiben. „Was ist los?„

 

„Ich habe nur... manchmal erwischt es mich, weißt du? Dieser Mann, dieser Mann, den ich nicht einmal kenne, der sein Leben riskiert, genau wie der Rest von uns, stirbt an Unterernährung, während ich seit Jahren eifrig bedient worden bin.„

 

„Stirbt er wirklich?„

 

Sie entspannte sich, machte noch ein paar tiefe Atemzüge, um sicherzustellen, dass sie nicht anfing, zu hyperventilieren. So weit, so gut. „Es könnte sein, wenn wir ihm nicht ein bisschen Thiamin geben.„

 

„Mist.„

 

„Ich bin mir sicher, dass er in Ordnung kommt. Ari ist wahrscheinlich bereits dabei.„

 

„Wahrscheinlich.„ Er legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. „Du solltest dich nicht dafür verantwortlich machen, Scully. Es ist nicht deine Schuld, dass du in dieses Leben gepresst worden bist, das du geführt hast. Und du hast es zu eurem Vorteil genutzt. Du hast es genutzt, um Menschen zu helfen.„

 

Sie gestattete sich ein kleines Lächeln. „Weißt du, ich erinnere mich nicht, dass du emotional so einfühlsam gewesen bist, als wir Partner waren.„ Mulder stieß ein bitteres, selbstverachtendes Lachen aus. „Ich glaube, das ist deswegen, weil ich in den letzten drei Jahren niemanden hatte, der es wert war, mit ihm zu reden. Das hat mich empfänglicher für das gemacht, was die Menschen, um die ich mich sorge, zu sagen haben.„

 

Also war bei alledem doch etwas Gutes herausgekommen: er hörte ihr jetzt tatsächlich zu. Diesem Zynismus folgte eine unerwartete, kraftvolle Woge von Gefühlen, und das nächste, was sie wusste war, dass sie ihn wild küßte.  Sie wollte ihn heftig, brauchte ihn, sie brauchte ihn, um die bläulichen Zeichen auf den Armen dieses Mannes aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie zupfte am Hosenschlitz seiner Jeans.

 

„Scully,„ flüsterte er überrascht.

 

Shh. Sag nichts. Ich will jetzt nicht reden,„ entgegnete sie und zog sich ihr Shirt über den Kopf.

 

Er redete nicht.

 

Kurze Zeit später kuschelten sie sich im Bett aneinander, die Gliedmaßen miteinander verschlungen, Scullys Kopf auf Mulders Brust. „Scully?„ fragte Mulder mit einem Hauch von Nervosität.

 

Mmm.„ Sie spreizte ihre Finger auf seinem Bauch und beobachtete, wie sich seine Rippen hoben und senkten, für den Augenblick zufrieden.

 

„Ich möchte wissen, was du gemacht hast. Nachdem ich weg war. Was ist mit dir passiert?„

 

Sie schloss die Augen. Gott verdammt. Konnte er es nicht einfach sein lassen? „Ich glaube nicht, dass du irgend etwas davon hören willst.„

 

„Warum lässt mich das nicht beurteilen?„

 

Gut. Sei vorsichtig bei dem, was du dir wünschst, Mulder. Sie räusperte sich und versuchte, all das in Worte zu fassen; eine schwierige Aufgabe, weil sie nie zu jemandem darüber gesprochen hatte.

 

„Als du fortgingst, wusste ich, dass es gegen deinen Willen gewesen sein musste. Ich wusste, sie mussten dich geholt haben, weil du mich niemals freiwillig aufgegeben hättest. Ich wusste das, oder wenigstens glaubte ich, dass ich es wusste.„

 

Seine Lippen strichen über ihr Haar. „Ich höre irgendwie ein ‚Aber‘ darin.„

 

„Aber gleichzeitig konnte ich nichts gegen das Gefühl tun, dass du mich im Stich gelassen hast. Auch wenn du es nicht absichtlich getan hattest.

Ergibt das irgendeinen Sinn?„

 

„Ergibt irgend etwas in der Welt, in der wir jetzt leben, einen Sinn?„ entgegnete er.

 

Sie zog eine Grimasse. „Richtig. Mulder, ich habe nach dem Sinn gesucht, unmittelbar nachdem du fort warst, und fand keinen. Ich suchte nach einem Grund, weiterzumachen und entdeckte nichts. Ich... ich ließ die Mutterschaft mechanisch über mich ergehen, nachdem sie mich einmal eingesammelt hatten. Sie waren höflich, auf eine Art sogar unterwürfig, aber sie hielten immer noch ihre Laserpistolen auf mich gerichtet. Zuckerbrot und Peitsche und all das. Also wurde ich still, ließ mich inmein neues ‚Heim‘ bringen, hörte zu, als sie mir erzählten, dass ich inihrer neuen Gesellschaft verehrt werden würde, und dass ich nie mehr arbeiten müsste, es sei denn, ich wollte es. Zu der Zeit verstand ich meine Mittäterschaft in ihrer neuen Welt nur als eine feige Art, dem Unausweichlichen zuvorzukommen. Aber dann, eines Nachts, ein paar Monate, nachdem du verschwunden warst, erwischte ich mich selbst, wie ich im Badezimmer mit einem Rasiermesser an meinem Handgelenk dastand.„

 

Mulders Arme legten sich fester um sie, aber er unterbrach sie nicht. Auf eine Art hasste sie es, ihm das anzutun, zu wissen, dass er darunter leiden musste, das zu hören, aber gleichzeitig musste sie ihm die ganze Geschichte erzählen, wenn er verstehen sollte, was in ihrem Kopf und in ihrem Herzen vorgegangen war.

 

Und sie erkannte zu ihrer Überraschung, dass ihr sehr viel daran lag, dass er sie verstand. Sie wollte, dass es jemand wusste, es irgendwie bestätigte.

 

Rasselnd atmete sie ein und fuhr fort. „Ich war so nahe daran, Mulder. Ich begann tatsächlich, diese dünne rote Linie über meine Venen zu ziehen. Aber dann erinnerte ich mich an etwas. Etwas, das mich dazu brachte, aufzuhören. Etwas, das du einmal zu mir gesagt hast, und dass ich dann zu dir sagte, nachdem du mein Leben zum zigsten Mal gerettet hattest.„

 

„Wenn ich jetzt aufgebe, gewinnen die.„

 

Ein erstickter Laut kam aus Mulders Kehle. „Gott, Scully...„

 

Sie streckte ihre Hand aus, ohne hinzusehen, und legte einen Finger auf seine Lippen. Er nahm ihre Hand und küßte sie, dann hielt er sie weiter an seiner Wange. Seine Bartstoppeln waren rau und seltsam erregend unter ihrer Handfläche.

 

„Wie es in der Vergangenheit so oft der Fall gewesen war, waren es deine Worte, deine Suche, die mir die Energie zurückgaben, meine Entschlossenheit, weiterzumachen. Ich wusste, wenn ich aufgeben würde - weil ich an diesem Punkt davon überzeugt war, dass du tot warst – hätten sie uns geschlagen, ein für allemal. Und ich konnte das nicht zulassen.  Nicht, nach dem, was sie dir angetan hatten. Was sie *uns* angetan hatten.  Ich wollte für dich weitermachen, Mulder. Aber auf diesem Weg musste ich dich loslassen. Es war einfach zu qualvoll. Ich musste dich zurücklassen. Da war kein Platz in meinem Leben, um mich an die Erinnerungen an dich zu klammern, obwohl ich niemals in der Lage war, mich vollkommen von ihnen zu lösen. Es gab viele Nächte mit den Gedanken an diese letzte Nacht... diesen ersten Kuss..., in denen mich all das vor dem Horror beschützte, der mich erwartete, wenn ich einschlief.„

 

„Ich habe auch viel an diese Nacht gedacht,„ flüsterte Mulder. „Wie weich deine Lippen waren...„

 

„Du musst wissen, dass ich dich da schon geliebt habe,„ sagte sie, die Worte praktisch herauspressend. Die Sentimentalität fühlte sich platt auf ihrer Zunge an.

 

„Ich habe dich vom ersten Moment an, in dem wir uns getroffen haben, geliebt,„ erwiderte er. „Ich habe mich umgedreht und dich gesehen und es war, als hätte ich zum ersten Mal begonnen, zu atmen. Obwohl du und das, was du repräsentiert hast, mir große Angst gemacht haben.„

 

Scully musste darüber kichern. „Ich war so jung und so naiv. Mächtig furchteinflößend.„

 

„Das denkst du. Du warst ein Schrecken in vernünftigen Schuhen, Scully.„

 

„Oh, sicher. Du warst der Einschüchternde, der über mir aufragte und seine Theorien über das da draußen vor sich hin brummte.„

 

„Glaubst du an die Existenz Außerirdischer?„ zitierte er sie.

 

Sie schnaufte an seiner Brust. „Ich vermute, diese Auseinandersetzung hast du gewonnen, hä?„

 

„Ich wünschte, ich hätte es nicht.„

 

Sie wurden beide ernst bei seinen Worten. „Ja, ich auch,„ flüsterte sie.

 

Es folgte ein langer Augenblick des Schweigens. „Wie bist du in die Widerstandsbewegung gekommen?„ hakte er schließlich nach.

 

Sie seufzte und kehrte zu ihrer Erzählung zurück. „Ich begann, diskrete Fragen zu stellen, anderen Müttern, meinen Patienten. Ich war sehr vorsichtig, um nicht etwas Belastendes zu sagen, aber ich formulierte meine Fragen so, dass ich wusste, die Menschen, die ich erreichen wollte, würden meine Absichten verstehen. Aber es kam nicht wirklich etwas dabei heraus.  Jeder schien zu ängstlich oder zu selbstzufrieden zu sein. Es war sehr frustrierend.

 

Und dann, eines Tages, tauchte Frohike aus dem Nichts auf. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass er noch da war. Er erzählte mir, dass er Teil einer informellen Gruppe war, die sich zusammengeschlossen hatte, um zu versuchen, die Kolonisten zu unterminieren, auf welch geringe Weise auch immer sie es tun konnten. Und sie brauchten jemanden innerhalb der Kolonisten, sozusagen. Und jemanden, der sie anführte. Aus irgendeinem Grunde hatte Frohike entschieden, dass ich für diesen Job die passende Besetzung wäre,„ sagte sie trocken.

 

„Er kann ziemlich charmant sein, wenn es sein muss.„

 

„Wem sagst du das,„ meinte Scully, in der Erinnerung daran lächelnd. „Jedenfalls, so fing alles an. Ich begann, alle Informationen, zu denen ich Zugang hatte, zu sammeln und sie ihnen zukommen zu lassen, und als die Gruppe größer wurde, wurde ich immer mehr in Sachen wie die Planung von Überfällen, das Einschleusen von Spionen in die Lager und so etwas einbezogen. Sie wollten jemanden, zu dem sie aufschauen konnten, der ihnen den Weg wies... und sie wollten, dass ich diese Person war. Also übernahm ich den Part.„

 

„Und wann hast du herausgefunden, dass ich am Leben war?„ fragte er zögernd.

 

Oh, sie wollte nicht darauf eingehen. Es war sehr eigenartig, reflektierte sie, dass sie es, als sie Partner waren, sehr sorgfältig vermieden hatten, ihre Gefühle oder Erlebnisse zu intensiv zu diskutieren. Und nun schien es alles zu sein, was er tun wollte. „Ungefähr ein Jahr, nachdem... nachdem du gegangen warst. Ich hörte zufällig, wie dieser rauchende Bastard über dich sprach. In diesen Tagen war er oft in der Nähe, lag auf der Lauer, um sicherzustellen, dass ich ‚nichts Unbedachtes‘ tat, wie er es ausdrückte.  Also wartete ich, bis wir das nächste Mal allein waren, warf ihn zu Boden und nahm seine Waffe an mich. Ich hätte ihn beinahe umgebracht, Mulder. Ich hielt diese Waffe auf ihn gerichtet und forderte, dass er mir die Wahrheit über dich erzählen sollte oder ich würde ihm das Gehirn auspusten.„ Sein rasches Einatmen zeigte ihr, dass er über die Vorstellung schockiert war.

 

„Es war ganz offensichtlich für uns beide, dass ich keinen Spaß machte, also begann er ziemlich schnell zu reden. Er erzählte mir, dass du in Denver warst, dass sie dir einen Schreibtisch-Job verpasst hatten. Dass du ein so normales Leben führen würdest, wie es unter diesen Umständen zu erwarten war. Dass... dass du mich nicht sonderlich zu vermissen schienst.„

„Scully, du musst wissen, dass ich...„

 

Sie unterbrach ihn. „Ich wusste es bis zu einem gewissen Grad, Mulder, aber wie konnte ich sicher sein? Du warst nicht da. Er gab mir den Beweis für alles, was er mir erzählt hatte – einen Dienstausweis, deine Reisepapiere, die deinen ständigen Wohnsitz auswiesen – die ganze Chose. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu glauben. *Du warst nicht da.* Und so, nach einem Jahr Trauer um dich, musste ich wieder um dich trauern, musste ich den Verlust des Mannes, der du einmal warst, betrauern, den Verlust von dir in meinem Leben. Den Verlust von uns und unserer Freundschaft. Das war wirklich eine dunkle Zeit für mich. Wenn Rico nicht gewesen wäre...„

 

„Erzähl mir von ihm,„ sagte Mulder. Sie glaubte, einen Hauch von Eifersucht in seiner Stimme zu erkennen, aber sie war sich nicht sicher.

 

„Rico ist mein Fels in der Brandung,„ sagte sie mit einem Lächeln. „Er war der erste, den ich mit dem Serum heilte, das ich entwickelt habe. Es war nicht unbedingt ein sorgfältiger Auswahlprozess; er war eine Drohne im Labor, der spät in dieser Nacht da war, als ich eine Versuchsperson brauchte. Aber Gott war mit mir an diesem Tag, glaube ich. Rico war augenblicklich treu, ehrgeizig und einfallsreich und ich sollte ihm jeden Tag meines Lebens dankbar sein für alles, was er für mich getan hat.„

 

„Das muss ja ein Typ sein.„ Oh, das war Eifersucht, dessen war sie sich sicher.

 

„Das ist er.„ Sie hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Ja, er hat dich ersetzt, Mulder, als mein bester Freund, mein Partner, mein Vertrauter. Und ich möchte nicht, dass du es ihm verübelst.„

 

Mulder konnte ihr nicht antworten, nur nicken statt dessen. Scully vermutete, dass es funktionieren würde. Sie legte ihren Kopf wieder auf seine Brust und lauschte seinem Herzschlag unter ihrem Ohr, als sie fortfuhr.

 

„Jedenfalls half mir Rico durch eine schwere Zeit und Frohike...„ Sie hielt inne und dachte über ihn nach. „ Es ist seltsam, wie sehr ich diesen Mann jetzt verehre. Er ist nur noch ein Drittel von dem, der er einmal war, seit Byers und Langly fort sind, aber irgendwie war er immer da, wenn ich ihn brauchte. Ich glaube, es war die Tatsache, dass wir beide ohne unsere Seelenverwandten waren, die uns wirklich verband. Wir waren wandelnde Schatten. Aber wir haben es durchgestanden.„

 

„Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war, Scully,„ sagte Mulder und ergriff sie fest wie ein Schraubstock. „Ich hätte es sein sollen. Ich wünschte, ich wäre es gewesen.„

 

„Ich weiß das jetzt,„ sagte sie. „Wahrscheinlich wusste ich es damals schon, obwohl ich mich so sehr bemühte, nicht einmal an dich zu denken. Du bist nicht leicht zu vergessen, Fox Mulder.„ Sie machte eine Pause, wohl wissend, dass sie ihre nächsten Worte sorgfältig wählen musste.

 

„Aber worauf ich hinaus will... um was ich herumrede, was mich davon abgehalten hat, mich dir jetzt vollkommen hinzugeben, ist die Tatsache, dass ich versucht habe, dich zu hassen. Dafür, dass du mich verlassen hast, dafür, dass du dieses neue Leben, das der rauchende Bastard und seine Spießgesellen für dich geschaffen hatten, gelebt hast, dafür, dass du nicht versucht hast, mich zu finden. Ich konnte nicht glauben, dass du nie versucht hast, mich zu finden, Mulder.„ Sie spürte, dass ihr die Tränen kamen und sie blinzelte schnell, um sie zurückzudrängen. Sie wollte nicht weinen, nicht schon wieder. „Und ich war beinahe verdammt erfolgreich mit dem Versuch, dich zu hassen. Und es ist nicht leicht, loszulassen, ein für allemal. Nicht einmal, wenn du hier bist und mich liebst und uns hilfst.

Und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich weiß nicht, was ich vielleicht tun oder sagen könnte, um das zu ändern oder es besser zu machen. Es ist einfach so.„

 

Ein langes Schweigen folgte ihrer Rede und sie fürchtete, dass sie das Falsche getan hatte, dass sie seine Fähigkeit falsch eingeschätzt hatte, die Ereignisse der letzten drei Jahre in Betracht zu ziehen und sie nicht für ihren Selbsterhaltungstrieb zu verachten.

 

Als er schließlich sprach, waren die Worte wie Dolche in ihrem Herz. „Wie kann ich dir vorwerfen, mich zu hassen, wenn ich nichts anderes getan habe, als mich selbst zu hassen?„

 

Scully schloss ihre Augen und dachte darüber nach, dass sie nichts lieber täte, als in den Schlaf abzudriften und zu vergessen, dass diese Unterhaltung je stattgefunden hatte. „Wir haben beide getan, was wir tun mussten, Mulder. Dich selbst zu hassen ist verschwendete Energie. Das hast du mir selbst gesagt. Du willst hassen? Dann hasse ‚Sie‘. Sie sind die einzigen, die ich statt deiner in all den Monaten hätte hassen sollen. Ich denke, ich weiß das jetzt.„

 

„Aber ich...„

 

Er beendete seinen Satz nicht, ein vorsichtiges Klopfen an der Tür erschreckte sie beide. Sie zogen die raue Decke über ihre nackten Körper, bevor Scully rief, „Alles in Ordnung, Ari.„

 

Die Tür wurde einen Spalt geöffnet und Ari steckte ihren Kopf herein. „Entschuldigt die Unterbrechung,„ sagte sie trocken mit Blick darauf, dass sie unbekleidet waren, „aber es ist Zeit für euch, umzuziehen.„

 

„Jetzt?„ fragte Mulder überrascht.

 

„Das Schiff nach Greenland legt morgen früh ab, also müssen wir euch heute Nacht an Bord schmuggeln. Gerade kam die Nachricht von Rico. Er hat euch auch ein paar Klamotten geschickt. Hier.„ Sie öffnete die Tür ganz und warf zwei unglaublich große Seesäcke auf den Zementboden. „Außerdem die zweifellos gefälschten Ausweise, Reisedokumente, Bargeld – wir haben Sachen, Erste-Hilfe-Päckchen, unverderbliche Lebensmittel, sogar ein paar Laserpistolen zusammengepackt. Ihr wisst, wie knapp diese Dinger sind, also nutzt sie mit Bedacht. Ihr habt zehn Minuten, bevor wir zu unserem Rendezvous aufbrechen.„

 

Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sahen sich die beiden ehemaligen Partner schockiert an, versuchten die Tatsache aufzunehmen, dass sie ohne Vorwarnung so schnell umziehen mussten und mit soviel immer noch Unausgesprochenem zwischen ihnen. „Wir ziehen uns besser an,„ meinte Scully leise, ohne ihm in die Augen zu sehen.

 

Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, dass er ihr einen seiner patentierten Mulderblicke zuwarf: es begann mit seinem in Protest leicht geöffneten Mund und endete mit widerwilliger Akzeptanz. „Denke ich auch.„

 

Scully wühlte sich durch die Seesäcke und war überglücklich zu sehen, dass Rico daran gedacht hatte, ihre Sachen von Zuhause einzupacken, passend für das Wetter in Greenland: bequeme Strickjacke und Kordsamthosen, Pullover und langärmelige Shirts, dicke, warme Socken. In allen Farben des Regenbogens. Sie schlüpfte dankbar in einen burgundfarbenen Baumwollpullover und schwarze Leggings. Die Sachen rochen sauber, frisch gewaschen. Himmel.

 

Rico hatte auch für Mulder etwas zusammengestellt und sie konnte nicht anders als sich zu fragen, ob er seine eigene Garderobe dafür geplündert hatte. Ihr Liebhaber trug nun ein graues T-Shirt und Blue Jeans, die wie angegossen passten... okay, Dana, lass die anzüglichen Gedanken und wende dich wieder den wesentlichen Dingen zu.

 

Er bemerkte, dass sie ihn ansah. „Habe ich die Inspektion bestanden?„

 

„Hast du,„ erwiderte sie, verlegen darüber, beim Anstarren erwischt worden zu sein, besonders, da er die Aufmerksamkeit sichtlich genoss.

 

Sie wollte gerade hinausgehen, als ihr ein Gedanke kam, und sie schaute noch einmal in die Seesäcke. Ja. Rico hatte ihre Erwartungen erfüllt. Sie zog eine kleine, handgearbeitete Holzschachtel hervor und öffnete sie. Darin lagen ein paar persönliche Dinge, ohne die sie nicht leben konnte: der Ehering ihrer Großmutter, die Kameebrosche ihrer Mutter, eine Halskette von Melissa und ein kleines Foto von Mulder und ihr, vor Jahren bei einem Fall aufgenommen. Und ihr Kreuz. Sie nahm es heraus und hielt es in ihrer Handfläche, als ob sie es abschätzen würde.

 

„Ich habe bemerkt, dass du es nicht trägst,„ sagte Mulder zögernd. „Darf ich fragen, warum?„

 

Scully zuckte mit den Schultern. „Es scheint nicht unbedingt einen Grund dafür zu geben. Gott hat mich verlassen. Und die Tatsache, dass die Kolonisten öffentlichen Gebeten nicht zu freundlich gegenüberstehen, war auch nicht gerade hilfreich.„ Sie zeichnete die äußere Linie des Anhängers mit dem Finger nach. „Ich weiß, dass ich nicht bereit bin, es wieder anzulegen. Noch nicht.„

 

Mulder streckte seine Hand aus und liebkoste ihre Wange in einer unendlich zärtlichen Berührung. „Eins nach dem anderen, Scully.„

 

Scully atmete tief ein. „Richtig.„ Sie legte die Kette zurück in die Schachtel und diese zurück in den Seesack, dann zog sie den Sack zu.

„Fertig?„

 

„Lass uns gehen, G-woman,„ sagte er und sie konnte nicht anders als sein Grinsen zu erwidern.

 

Ari wartete auf sie, als sie hinaus in den Tunnel traten, ihre Taschenlampe in der Hand und ein Gewehr über ihre Schulter geworfen, zweifelsohne mit einer frischen Ladung Kivotakugeln geladen. „Habt ihr eure Waffen bereit? Gut. Wir wollen nichts riskieren,„ meinte sie lebhaft. „Frank und Jim werden mit uns kommen, als Rückendeckung.„ Mulder und Scully nickten den beiden stämmigen Männern dankbar zu. „Lasst uns hinausgehen. Dana, ist es in Ordnung, wenn ich die Führung übernehme?„

 

Scully zog überrascht über die Zurückstellung die Augenbrauen hoch. Ihre Spezialität war das Leben in einem prächtigen Haus, nicht die Navigation der Schützengräben. Aber für Ari war das Protokoll alles. „Natürlich, Ari. Es gibt niemanden, dem ich mehr vertrauen würde und du kennst dich hier viel besser aus als ich.„

 

Aris Finger zuckten, als würde sie einen Salut unterdrücken. „Na, dann los.  Bleibt zusammen und seid leise.„ Frank und Jim gingen am Ende, als sie sich auf den Weg aus dem Tunnel machten. Niemand im Lager war wach, außer dem Wachposten, und die Stille war unheimlich, als sie in der Dunkelheit dahinschlichen.

 

Die Nachtluft war erstaunlich kühl nach den geschlossenen Quartieren im Untergrund und Scully sog sie gierig auf, während ihre Augen sich an das Mondlicht anpassten. Es war offensichtlich, dass Mulder über die frische Luft genauso begeistert war, wie ein Junky, der eine neue Droge entdeckte.  Gleichmütig gegenüber ihrer Reaktion führte Ari sie zu einem ungekennzeichneten schwarzen Van, der am Bordstein wartete.

 

Rico saß hinter dem Lenkrad.

 

Scully wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, ihn umarmen oder ihm eins auf die Nase geben. Vielleicht alle vier Dinge auf einmal? „Was zur Hölle tust du hier?„ forderte sie in einem scharfen Flüsterton, nachdem sie zum Fenster auf der Fahrerseite gelaufen war. „Du weißt, wie gefährlich es für dich ist, hier zu sein.„

 

Er schüttelte den Kopf und seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. „Ich musste sicherstellen, dass du sicher hier herauskommst, Dana. Das schulde ich dir. Bitte schick mich nicht weg. Ich denke sowieso nicht, dass du es könntest.„ Sein Blick wanderte zu Mulder, den sie hinter sich spüren konnte. „Ich habe bis jetzt auf dich aufgepasst, oder nicht?„ Die Herausforderung in seinen Worten war allzu offensichtlich. Sie hörte Mulder leise einen Fluch ausstoßen.

 

Guter Gott, sie war wieder in der Grundschule. „Ja, Rico, das hast du,„ sagte sie fest. „Und du weißt, wie sehr ich es begrüße. Aber du schuldest mir gar nichts. Nicht mehr.„

 

„Ich werde nicht gehen,„ blieb er hartnäckig.

 

„Ich hasse es, das Wiedersehen zu unterbrechen, aber wir haben wirklich keine Zeit zum Streiten,„ warf Ari ein. „Wir müssen los, *jetzt*.„

 

„Sie hat recht,„ sagte Rico.

 

Sie sahen sich einen Moment länger in die Augen. „Fein,„ sagte Scully schließlich. „Lasst uns hier verschwinden.„ Und trotz ihres Ärgers konnte sie nicht anders als dankbar für zu sein, dass sie ihn noch einmal sehen konnte.

 

 

 

Mulder durchwühlte die Tasche, die Rico ihm gebracht hatte, während der Van in Richtung Annapolis und des Schiffes, das sie nach Greenland bringen würde, rumpelte. „Wonach suchst du?„ fragte Scully leise von ihrem Platz auf der mittleren Sitzbank aus.

 

„Ich hoffe, hoffe, hoffe, ja! Gott sei dank.„ Erleichtert lächelnd hielt er eine Packung Dramamine hoch.

 

Scully grinste ihn an, aber ihre nächsten Worte galten ihrem Freund, nicht ihm. „Rico, woher wusstest du, dass Mulder unter Seekrankheit leidet?„

 

„Frohike,„ erwiderte er vom Fahrersitz aus.

 

Frohike. Gesegnet sei sein kleines Koboldherz. Nun, die Tabletten werden von gutem Nutzen sein, dessen war er sich sicher. Verdammter schwacher Magen...

 

Mist. Sein schwacher Magen war das geringste seiner Probleme. Er hatte wichtigere Dinge im Kopf. Solche wie Dana Scully.

 

Und die Tatsache, dass sie ihn hasste. Sie hatte es ihm einfach gesagt, direkt ins Gesicht.

 

Sie hasste ihn und dennoch schlief sie mit ihm, hielt ihn fest, flüsterte ihm die verrücktesten Zärtlichkeiten ins Ohr, während er in der Dunkelheit zwischen ihren Beine schwelgte.

 

Was für eine neue Hölle war das?

 

Mulder konnte es ihr nicht übel nehmen, er hatte sie schließlich im Stich gelassen, egal ob es gegen seinen Willen geschehen war oder nicht. Und er hasste sich selbst dafür, jeden Tag, jedes Mal wenn er an sie dachte oder mit Strughold redete oder sich von Marita bumsen ließ. Er war ein Experte in Selbstverachtung und Selbstbeschuldigung geworden.

 

Also warum war er so verärgert darüber, dass sie denselben logischen Weg gegangen war? Hatte er wirklich von ihr erwartet, dass sie an irgendeiner Art romantischer Hingabe an ihn festhalten würde? Es ihm nicht übel nehmen würde, dass er sie allein gelassen hatte in einem lebenden Alptraum?

 

Die Vorstellung von ihr in einem feuchten Badezimmer, ein Rasiermesser an ihren Handgelenken würde ihn für den Rest seiner Tage heimsuchen. Wenn er irgendwie dafür verantwortlich war, dann ging er davon aus, dass er ein bestimmtes Maß an Hass verdiente. Und er würde ihr das nicht missgönnen.  Auch wenn es ihn umbrachte, Stück für Stück.

 

„Wir sind da.„ Ricos Stimme unterbrach ihn in seiner Träumerei. Scully und er packten ihre Sachen zusammen und warteten darauf, dass Frank die hintere Tür öffnete, bevor sie ausstiegen.

 

Die Docks lagen im Dunkeln, nur beleuchtet von verstreuten Straßenlampen, die wenig Licht gaben. Ihr trüber Schein verursachte aufsteigende Schatten und eine geisterhafte Lumineszenz, die das Drama ihrer Situation noch unterstrichen. In der Entfernung zeichnete sich das Frachtschiff ab, ein wuchtiger Riese gegen den Hintergrund die schimmernde Nacht. Mulder fühlte sich kurz wie ein Darsteller aus einem Schwarz-Weiß-Film aus den vierziger Jahren und wünschte sich, er hätte einen Trenchcoat, um ihn enger um sich zu ziehen, während er gierig an einer Zigarette zog. Da gerade davon die Rede war...

 

Auf der Suche nach seinen Zigaretten ab klopfte er seine Taschen ab, als sich eine einsame Gestalt in der Dunkelheit abzeichnete, die wie ein Geist aufgetaucht war. „Sind sie das?„ grollte eine leise Stimme.

 

Die Gestalt trat näher ins Licht  und Mulder schätzte den Neuankömmling vorsichtig ab. Er war äußerst dünn, sein knochiges Gesicht rau von seinem Fünf-Uhr-Bart, feines dünnes braunes Haar, das ihm in die Stirn fiel. Seine dunklen Augen waren hart und unerbittlich. Mulder mochte den Mann auf den ersten Blick nicht.

 

Bishop.„ Rico trat nach vorn und schüttelte dem Mann die Hand. „Das sind Ihre beiden Passagiere, Apollo und Daphne,„ sagte er, auf Mulder und Scully zeigend. „Das ist John Bishop, euer Kontaktmann auf dem Schiff. Er ist dafür zuständig, euch ungesehen an Bord und wieder herunter zu bringen.„

 

Bishop nickte ausdruckslos. Mulder erwiderte die Geste.

 

„Es ist mir ein Vergnügen,„ sagte Scully und hielt ihm die Hand hin, die Bishop ohne Begeisterung schüttelte. „Danke für Ihre Hilfe.„

 

Wieder ein Nicken. Augenscheinlich würden sie die Überfahrt nicht in einer angeregten Unterhaltung mit ihrem neugewonnenen Helfer verbringen.  Vermutlich musste man nehmen, was man bekam, wenn man jemanden finden wollte, der willens war, Widerstandsführer übers Meer zu schmuggeln.

 

„Ihr werdet in einem Frachtraum des Schiffes untergebracht,„ sagte Rico, sich an Scully wendend. „Also, es ist nicht das Ritz. Aber es ist alles, was wir kriegen konnten.„

 

„Es wird uns gut gehen,„ versicherte sie ihm. Sie berührte kurz seinen Arm und Mulders Herz zuckte angesichts der Zuneigung, die in dieser Geste lag.

 

Rico lächelte Scully an, als wären sie die beiden einzigen Menschen hier. „Ich weiß, dass es dir gut gehen wird. Okay, das war’s dann,„ sagte er, in die Hände klatschend. „Nun denkt dran...„

 

Das Heulen eine Laserexplosion, das Zischen von Fleisch und Rico brach zusammen, ein klaffendes schwarzes Loch in der Brust.

 

„RICO!„ schrie Scully und beugte sich über seinen am Boden liegenden Körper.

 

„Runter!„ rief Mulder und zog seine Laserwaffe aus dem Gürtel seiner Jeans.  Ari hatte ihre Waffe bereits im Anschlag und sich hinter den Van geduckt, sich hinter dem Vorderrad vorbeugend, um das Feuer sporadisch zu erwidern.  Frank und Jim nahmen die andere Seite des Fahrzeugs und brachten ihre eigenen Waffen ins Spiel. Bishop rannte hinter ihnen, unbewaffnet, und versuchte, aus der Schusslinie zu bleiben.

 

In die Dunkelheit spähend, während er selbst in den Schutz des Van rannte, konnte Mulder kaum die Umrisse einer kleinen Einheit einer Alientruppe ausmachen, die sich am Eingang zu den Docks versammelte. Waren sie auf Streife oder hatten sie einen Tipp bekommen?

 

„Woher zur Hölle wussten die das?„ schrie Mulder über das Röhren von Aris Gewehr. Sie schüttelte den Kopf in Unwissenheit. Er sah hinüber zu Scully, aber sie war sich seiner nicht bewusst, ihre Aufmerksamkeit war vollkommen auf Rico konzentriert, während sie sein Hemd aufriss und vergeblich versuchte, etwas für seine Wunde zu tun. Es war mehr als offensichtlich für Mulder, dass Rico bereits tot war, aber Scully schien es nicht wahrzunehmen oder sie wollte es nicht zugeben.

 

„Komm weg da!„ rief er ihr zu. „Du kannst nichts mehr für ihn tun.„

 

„Du kannst mich mal!„ schrie sie zornig zurück. Sie zog ihre eigene Waffe unter ihrem Shirt hervor und feuerte einmal in die Dunkelheit und für eine halbe Sekunde dachte Mulder wirklich, dass sie auf ihn zielte. Er folgte der Linie der Laserkugel mit den Augen und sah überrascht zu, wie einer aus der Truppe umfiel. Verstehe. Scully hatte offensichtlich ihre Hand unter Kontrolle.

 

Prima. Deine Freundin kann auf sich selbst aufpassen, wollte sie ihm das damit sagen? Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Gefecht. Die übriggebliebene Alientruppe griff weiter an und näherte sich langsam den Rebellen. Das Heulen von Laserwaffen hing laut in der Luft und Funken flogen, als Energiekugeln über den Van splitterten, der ihnen als Barrikade diente. Das Feuer von Aris, Franks und Jims Automatikwaffen hämmerte gegen seine Trommelfelle, bis sie platzten. Er feuerte wie ein Wahnsinniger zurück, in den Rauch schielend, während Ari einen gleichmäßigen Strom von Flüchen neben ihm ausstieß in irgendeiner Art seltsamer selbstanregenden Kampfmethode.

 

Schließlich erstarb das Laserfeuer nach einer, wie es schien, Ewigkeit, was aber wahrscheinlich nicht mehr als ein paar Minuten waren. Mulder spähte in die Nacht, sah aber keinen mehr von der Truppe.

 

„Haben wir sie alle erwischt?„ fragte Mulder.

 

Ari schüttelte grimmig den Kopf. „Weiß nicht.„

 

Verdammt. Er blickte zu Scully hinüber, die wieder begonnen hatte, zu versuchen, Rico zu verarzten, dann sah er zurück in die Dunkelheit. Er strengte seine Augen an auf der Suche nach einer Bewegung, konnte aber nichts entdecken. Ari und er hatten gerade ihre Waffen weggesteckt, als ein weiteres Laserheulen die Luft erfüllte und Scully einen erschütterten Schrei ausstieß.

 

Mulder drehte sich um und fand sie auf der Seite liegend und sich die Hüfte haltend. Sofort war er an ihrer Seite, sich nur dunkel dessen bewusst, dass seine drei Landsmänner noch einmal das Feuer erwiderten. „Scully, bist du in Ordnung?„

 

„Mir geht es gut,„ keuchte sie.

 

„Christ, Scully...„ Er hob ihr Shirt an und erblickte eine brutale, schwarze Brandwunde über ihrer Hüfte. „Wir müssen dich zu einem Arzt bringen...„

 

„Ich bin Ärztin,„ flüsterte sie. „Dummkopf.„ Sie machte Späße zu einer Zeit wie dieser? Jesus, es war wieder wie in der Antarktis.

 

„Apollo, du hast keine Zeit,„ sagte Ari hinter ihm. Das Gewehrfeuer hatte aufgehört; sie mussten den letzten von der Truppe erwischt haben. „Bishop muss euch beide jetzt an Bord bringen, bevor die Crew aufwacht und kommt, um nachzusehen.„

 

„Aber sie ist verwundet!„ protestierte Mulder.

 

„Ihr habt Erste-Hilfe-Ausrüstungen in euren Taschen,„ meinte Ari, ihre Stimme scharf, aber gleichzeitig freundlich. „Es ist nur eine Laserverbrennung. Die hatte ich selbst schon. Sie weiß, wie sie mit solchen Verletzungen umgehen muss. Sie wird es überleben, wenn Sie einfach tun, was sie Ihnen sagt.„ Ari ging hinüber zu Dana und kniete sich neben ihrem Kopf nieder. „Bist du in Ordnung, Boss?„

 

Scully nickte. „Hilf mir, aufzustehen,„ krächzte sie schwach.

 

„Nein...„ begann Mulder, aber ein Blick von Ari brachte ihn zum Schweigen. Zusammen halfen sie Scully auf die Beine, während Bishop schweigend zusah. Scully gab ein qualvolles Zischen von sich, als sie gerade stand.

 

„Kannst du gehen, wenn dir jemand hilft?„ fragte Ari überraschend sanft. Scully ächzte zustimmend und lehnte sich schwerer an Mulder.

 

Er beugte die Knie, damit sie ihren Arm um seine Schultern legen konnte. „Ich halte dich,„ sagte er leise.

 

Sie hob den Kopf und schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Ich weiß.„

 

„Okay, Bishop, bring sie weg von hier,„ sagte Ari im Kommandoton.

 

„Rico...„ keuchte Scully. „Ihr müsst ihn... bergen...„

 

„Wir werden uns für dich um ihn kümmern, Daphne,„ versprach Ari ihr. „Nun geh. Er würde wollen, dass du gehst, bevor Verstärkung eintrifft.„

 

Scully warf einen letzten langen Blick auf ihren gefallenen Freund, bevor sie ihn von ihm losriss und sich wieder Ari zuwandte. „Danke.„

 

Ari ergriff Scullys Arm, dann schlug sie Mulder auf den Rücken. „Passen Sie auf sie und auf sich auf.„

 

„Das werde ich. Da können Sie sicher sein,„ erwiderte Mulder.

 

„Immer.„ Sie salutierte ihnen ernst, dann drehte sie sich um und half, Ricos Leiche in den Van zu legen.

 

Mulder, Scully und Bishop eilten auf das Schiff zu, das vor ihnen in der Dunkelheit aufragte. Bishop machte keine Anstalten, Scully zu helfen und das passte Mulder gerade gut. Er mochte den verschlossenen Mann immer noch nicht, trotz Ricos Meinung.

 

„Alle haben sich zur Ruhe gelegt, also sollten wir keine Probleme haben, Sie an Bord zu schmuggeln, es sei denn, das Feuer hat sie aufgeweckt,„ sagte Bishop plötzlich.

 

Mulder blinzelte angesichts des langen Satzes. „Gibt es eine Nachtwache?„

 

„Ich bin die Nachtwache.„

 

Aha. Keiner von ihnen sprach weiter, als sie die Landungsbrücke so leise wie möglich hinaufkletterten, dann fanden sie ihren Weg durch die Korridore des unbekannten Schiffs mit Bishop ein paar Meter vor ihnen als Anhaltspunkt. Als sie eine Metalltreppe erreichten, zögerte Scully.

 

„Ich bin mir nicht sicher, dass ich da hinunter komme,„ bemerkte sie unwillig.

 

„Wir müssen da hinunter,„ sagte Bishop, nicht hilfreich.

 

„Ich werde dich tragen,„ sagte Mulder.

 

„Ich muss nicht getragen werden. Ich muss einfach...„

 

„Was?„

 

Ihr Kiefer arbeitete, während sie offensichtlich versuchte, über eine Alternative nachzudenken. „Ich muss nur getragen werden,„ entgegnete sie nach einem müden, geschlagenen Blick auf den Boden.

 

Er wusste, dass es falsch war, zu lächeln, aber er tat es trotzdem.  Glücklicherweise erwischte sie ihn nicht dabei. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und er hob sie behutsam hoch, sorgfältig darauf bedacht, nicht mehr als notwendig an ihre Hüfte zu stoßen. Trotzdem keuchte sie vor Schmerz.

 

„Entschuldige,„ flüsterte er.

 

„Ist schon okay.„ Sie legte ihren Kopf an seine Brust.

 

Danach kamen sie stetig voran, obwohl Mulders Muskeln nach den ersten paar Treppenabsätzen nach Erlösung schrieen. Schließlich, nach fünf Treppenabsätzen führte sie Bishop aus dem Treppenhaus heraus in einen dunklen Korridor.

 

„Du kannst mich jetzt herunterlassen,„ sagte Scully schwach.

 

„Und nehme mir selbst die Trainingsmöglichkeit? Keine Chance.„ Er hielt sie nur noch fester.

 

Sie seufzte und gab ihm halbherzig einen leichten Klaps auf die Brust, aber die Tatsache, dass sie keinen weiteren Protest einlegte, unterstrich nur, wie schwach und unter Schmerzen sie sein musste. Bitte, bitte, bitte, lass sie wieder in Ordnung kommen...

 

Mulder schluckte, als Bishop am Ende des Korridors vor einer massiven Eisentür Halt machte. Das sah nicht gut aus. Als die Tür aufging, ließ die stinkende Luft darin beinahe sein Essen wieder hochkommen. „Mmm, riecht wie zu Hause,„ scherzte er.

 

Scully seufzte verärgert in einer Weise, die wie die guten alten Zeiten klang. Er trug sie hinein, Bishop zeigte immer noch den Weg, dann wartete er in der Dunkelheit, bis Bishop eine kleine batteriebetriebene Lampe anknipste, die er gleich hinter der Tür gelassen hatte.

 

„Das ist Ihr Licht,„ sagte er.

 

„Das ist es?„ protestierte Mulder. „Wir müssen endlose Tage in der Dunkelheit sitzen? Sind Sie verrückt?"

 

„Nehmen Sie sie oder lassen Sie es,„ erwiderte Bishop selbstlos.

 

„Wir nehmen sie,„ sagte Scully über Mulders Protest. Er schüttelte frustriert den Kopf, schwieg aber und stellte Scully sanft auf die Beine, so dass sie beide einen Blick auf ihre Umgebung werfen konnten. Nicht dass es unbedingt unter den Umständen eine gute Idee war, genauer hinzusehen.  Als sie es taten, hörte er sie einen leisen Fluch ausstoßen.

 

Sie standen in einem großen Laderaum tief im Innern des Schiffes, ein großer Raum umgeben von Stahlwänden, dazu bestimmt, Unmengen großer Holzkisten zu lagern, die übereinander gestapelt waren. Mulder war sich nicht sicher, was sich in den Kisten befand, aber die gestanzten Beschriftungen an deren Außenseiten, die ‚Verderbliche Waren‘ lauteten, waren kein gutes Zeichen.

 

„Du hast recht, es riecht wie dein altes Apartment,„ sagte Scully trocken. Er warf ihr einen bösen Blick zu.

 

Bishop ignorierte ihre Reaktionen – natürlich – und griff hinter eine Verpackungskiste. Dort zog er zwei Decken und ein Kisten hervor. „Hier.„

 

Mulder nahm ihm die Sachen ab. „Sie braucht bessere Medikamente,„ sagte er. „Können Sie uns ein paar bringen?„

 

Bishops Augen flatterten über Scully hinweg. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Da ist eine Toilette am Ende des Ganges, benutzen Sie sie nur, wenn es unbedingt nötig ist. Die Leute kommen nicht oft hier herunter, aber man weiß nie. Nachts ist es sicherer, wie ich schon sagte.„

 

Mulder wollte eine schneidige Erwiderung geben, konnte sich aber nicht dazu durchringen angesichts der längsten Rede, die er von dem Mann die ganze Nacht gehört hatte. „Danke.„

 

Bishop nickte und verließ den Lagerraum, die Stahltür schlug hinter ihm zu und ließ sie in der Dunkelheit stehen, nur beleuchtet von dem gedämpften Licht der Batterielampe.

 

Mulder blickte verlegen auf die Decken in seiner Hand, bis ein Stöhnen von Scully seine Aufmerksamkeit erregte. „Mulder... ich glaube, ich muss mich... hinlegen.„

 

Er breitete rasch die Decken auf dem kalten Boden aus, dann half er ihr, sich darauf hinzulegen, voller Sympathie mit ihr mitwinselnd, als sie sich vor Schmerz auf die Lippe biss. „Wie ist es?„ fragte er.

 

„Es tut weh... sieh mal nach.„

 

Er hob ihr Shirt an und verzog das Gesicht beim Anblick, den er vorfand.

Die Verbrennung hatte eine schwarze, faulige Farbe angenommen, die ihm Angst ins Herz jagte. „Es sieht schlimm aus, Scully.„

 

Sie hob ihren Kopf, um sich die Wunde anzusehen und schloss kurz ihre Augen, als sie sie sah. „Ja. Ich, äh, werde dich später um etwas bitten müssen, Mulder. Aber im Moment kann ich es nicht. Wir werden uns dem nach ein paar Stunden Schlaf widmen.„

 

„Was?„ Angst kroch seinen Rücken herab. „Was willst du mir nicht sagen?„

 

Scully schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt. Ich kann nicht. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut.„ Sie versuchte, beruhigend zu lächeln, aber es funktionierte nicht richtig.

 

„Wenn du es sagst,„ meinte er zweifelnd. Er angelte nach seinem Seesack und  durchwühlte ihn auf der Suche nach dem versprochenen Erste-Hilfe-Paket. Erleichtert atmete er aus, als sich seine Hände um eine flache Plastikbox schlossen. „Lass mal sehen, was wir hier haben,„ murmelte er. Er öffnete die Schachtel und suchte nach etwas, irgend etwas, das helfen würde. „Hier ist etwas Verbandsmull... und etwas Sulfadiazinsalbe,„ sagte er, die medizinischen Fachbegriffe herausfindend. „Was ist das?„

 

„Das macht man auf Laserverbrennungen,„ sagte sie. „Ist da so etwas wie Aspirin?„

 

Gott, er war ein Idiot. Schmerzmittel, Schmerzmittel... „Ja, wir haben... oh, wir haben Kodein, Scully. Das ist dein Glückstag.„

 

„Ich muss die harten Sachen lieben,„ meinte sie, ein müdes Lächeln schaffend. „Gibt mir was. Nur eine fürs erste.„

 

Mulder gab ihr die Tablette, dann holte er den Wassercontainer aus seinem Seesack und gab ihn ihr ebenfalls. Sie schob sich in eine sitzende Position, um die Medizin einzunehmen, dann legte sie sich wieder hin und gab ihm den Wasserbehälter wieder.

 

„Sollte ich ein bisschen Salbe drauftun?„ fragte Mulder.

 

Scully schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Es macht noch keinen Sinn. Hilf mir einfach, meine Hosen auszuziehen und dann verbinde die Verbrennung ein bisschen, okay?„

 

Er tat, worum sie ihn gebeten hatte und versuchte, ihr nicht mehr weh zu tun als nötig. Dann hockte er sich hin, sah sie an und fühlte sich unsäglich hilflos. Gott, er wollte eine Zigarette. „Gibt es irgend etwas, was ich tun kann?„

 

Sie griff nach seiner Hand. „Nein. Ich denke... ich brauche ein bisschen Schlaf.„

 

Ihm wurde plötzlich bewusst, dass sie mitten in der Nacht geweckt worden waren, bevor sie die Chance gehabt hatten, zu schlafen. Er schaute auf seine Uhr und erblasste, als er sah, dass es vier Uhr früh war. Erschöpfung überfiel ihn wie ein Mack-Truck. „Das ist keine schlechte Idee. Irgendwie bezweifle ich, dass unser Freund heute nacht noch einmal zurückkommt.„

 

„Wahrscheinlich nicht,„ erwiderte sie schläfrig.

 

Mulder schaltete die Lampe aus, dann legte er sich neben sie an ihre gesunde Seite und stützte sich auf seinen Ellbogen, auf sie herabblickend, während er darauf wartete, dass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.

 

„Willst du nicht schlafen?„ fragte sie.

 

Er streichelte ihr Haar so leicht, wie er konnte, in einem stetigen Rhythmus. „Ich werde. Du fängst an.„

 

Gehorsam schloss sie gehorsam die Augen. Er streichelte weiter ihr Haar, bis er überzeugt war, dass sie eingeschlafen war. Dann legte er sich neben sie und barg sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, tat ihre Körper zusammen, so dass er in der ganzen Länge an sie gedrückt da lag. Als die Wärme ihres schlanken Körpers in seinen flutete, fiel er schnell in den Schlaf.

 

 

 

 

 

Scully erwachte am Anfang eines Alptraums, der so schnell verschwand, wie er gekommen war. Die plötzliche Bewegung erschütterte ihre Hüfte und sie stieß ein leises Jaulen aus, bevor sie es verhindern konnte. Ihr Blick streifte Mulder, aber der lag vollkommen weggetreten auf dem Rücken, die Lippen leicht geöffnet, eine Hand ausgestreckt, um ihr Bein zu berühren, als fürchtete er, keine physische Verbindung zu ihr zu haben, sogar im Schlaf.

 

Scully brauchte einen Moment, um sich ihrer Situation und ihres Aufenthaltsortes gewahr zu werden, und als es soweit war, musste sie das heftige Brennen ihrer Tränen wegblinzeln.

 

Rico war tot.

 

Rico war wegen ihr tot. Weil er versucht hatte, ihr zu helfen. Sie hatte immer befürchtet, dass seine Hingabe an sie ihn umbringen würde, und sie hatte recht behalten.

 

Gott.

 

Sie bedeckte ihre Augen mit der Hand und kämpfte die Tränen um den Mann zurück, der so loyal ihr gegenüber gewesen war, der alles für sie geopfert hatte. Und was hatte sie ihm dafür gegeben? Befreiung von dem Virus, sicherlich, aber was sonst? Sie fragte sich, ob sie weit mehr genommen hatte, als sie bereit gewesen war zu geben. Nicht dass Rico das jemals angedeutet hatte. Loyal bis ans Ende. Immer.

 

Und was war mit dem Mann, der neben ihr lag? Würden ihre Verpflichtungen ihn auch umbringen? Sie würde nicht noch einmal um ihn trauern können.  Nicht jetzt, nicht nach allem, was zwischen ihnen geschehen war. Es würde einfach zuviel sein. Vielleicht hätte er in Denver bleiben, sich ihr niemals anschließen sollen.

 

Nein. Der Gedanke war nicht fair. Wenn er in Denver geblieben wäre, würde er immer noch tot sein, emotional gesehen. Sie sah die Art, wie sein Zusammensein mit ihr, mit der Gruppe, ihn wiederbelebt hatte, ihm einen Lebensfunken zurückgegeben hatte, von dem er offensichtlich geglaubt hatte, er hätte ihn für immer verloren. Sie hätte ihm sagen können, dass so eine starke Flamme niemals verlöschen könnte, bloß eine Weile kleiner werden.  Nicht dass er ihr geglaubt hätte. Die Männer in ihrem Leben schienen ihr niemals zu glauben.

 

Und sie hatte ihm erzählt, wie sie ihn gehasst hatte. Sie seufzte und wischte eine einzelne Träne von ihrer Wange. Das war wahrscheinlich ein Fehler gewesen. Er würde nicht in der Lage sein, zu verstehen, dass nicht er es gewesen war, den sie so sehr gehasst hatte, sondern die Leere, die er in ihrem Leben zurückgelassen hatte. Und konnte er die Tatsache begreifen, dass sie ihn trotz ihrer selbst, trotz allem, immer noch liebte? Trotz der komplizierten Gefühle, die in ihr kochten? Wie konnte sie ihn davon überzeugen?

 

Und wie zur Hölle sollten sie beide das durchstehen, was ihnen heute noch bevorstand? Ihre Hüfte pochte als Gedächtnisstütze dafür und ihr Magen flatterte vor Angst. Bitte, Gott, wenn es dich gibt, dann hilf mir da durch. Hilf uns.

 

Mulder rührte sich neben ihr und sie wischte sich hastig die immer noch fließenden Tränen weg. Ein lautes Gähnen signalisierte sein Wachsein.  „Hey,„ sagte er leise.

 

„Hey.„ Sie atmete tief ein und konnte ihr Beben dabei hören.

 

„Bist du in Ordnung?„ Er berührte ihre Wange mit seinem Handrücken und spürte die Feuchtigkeit. „Scully...„

 

„Ich habe an Rico gedacht,„ sagte sie.

 

„Oh. Es tut mir leid, Scully. Ich weiß, dass er dir eine Menge bedeutet hat.„

 

„Er ist für mich gestorben, Mulder. Wie soll ich das je wieder an ihm gut machen?„

 

Mulder schob seinen Arm unter ihre Schultern und umarmte sie, die Finger seiner freien Hand mit ihren verflechtend. Er drückte einen Kuss auf ihre Schläfe. „Indem du gewinnst,„ flüsterte er in ihr Haar.

 

Sie drückte seine Hand fest. „Das ist das mindeste, was ich tun kann,„ entgegnete sie bitter.

 

„Es war nicht deine Schuld,„ behauptete Mulder. „Rico hat die Entscheidung getroffen, dort zu sein. Du hast ihm gesagt, dass er gehen soll, aber er hat sich entschieden zu bleiben. Er hat seine Wahl getroffen."

 

„Das sage ich mir auch, aber das macht es nicht einfacher.„

 

„Ich weiß. Aber es ist wahr.„

 

„Die Wahrheit war niemals ein Trost für mich so wie sie es für dich war, Mulder,„ schnappte sie, unnötig heftig.

 

Daraufhin löste er sich von ihr, setzte sich auf und ließ die kalte Luft hinter sich, um sie zuzudecken. „Sie hat auch für mich nicht mehr denselben Wert, wie sie einst hatte.„ Sie konnte hören, wie er sich mit den Händen das Gesicht rieb und den Schlaf davonjagte.

 

Verdammt. Scully streckte die Hand aus und berührte in der Dunkelheit die Krümmung seines Rückens und bemerkte, nicht zum ersten Mal, dass er magerer war, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie bekam Gewissensbisse, brachte es aber nicht fertig, nett zu sein. „Dann sind wir zur Abwechslung mal quitt, nicht wahr?„

 

„Ich nehme es an.„ Er beugte sich vor, weg von ihrer Berührung, und schaltete die Lampe an, badete sie in bleichem weißem Licht. „Ich frage mich, wo zur Hölle Bishop bleibt.„

 

Wechsle das Thema. Großartig. „Er wird kommen, sobald er kann,„ meinte sie geduldig.

 

„Vielleicht. vielleicht auch nicht. Ich mag den Typen nicht.„

 

„Ich würde auch nicht sagen, dass er meine bevorzugte Person ist, aber wir müssen ihn nicht mögen. Wir müssen ihm nur vertrauen.„

 

Mulder drehte sich um, um sie anzusehen, sein Gesicht entnervend gespenstisch in der schwachen Beleuchtung. „Vertraust du ihm?„

 

„Ich vertraue – vertraute – Rico.„

 

Für einen langen Augenblick hielt er ihren Blick fest, dann nickte er. „Dann ist es okay.„

 

Scully ertappte sich dabei, dass sie unmäßig gerührt war von seinem immer noch treuen Glauben in sie. Was hatte sie getan, um das heute zu verdienen?  „Danke,„ flüsterte sie.

 

Mulder beugte sich näher zu ihr, langsam, beinahe als wäre es gegen seinen Willen. „Wofür?„

 

„Für dein Vertrauen.„

 

Er schüttelte den Kopf, leichter Ärger erkennbar in seinem Gesichtsausdruck. „Ich habe dir immer vertraut.„

 

Scully lächelte ihn an und ihr Zorn von vorher schwand plötzlich dahin. Sie streckte ihre Hand aus, um seine Wange zu berühren und er schmiegte sich in diese Geste, seine Bartstoppeln an ihrer Handfläche reibend. Dann beugte er sich über sie und küsste sie sanft, zögerlich, um sicherzugehen, dass zwischen ihnen wieder alles in Ordnung war.

 

Ihre Hand glitt um seinen Nacken und sie zog ihn zu sich herunter, erwiderte seinen Kuss und nutzte ihn als Entschuldigung. Seine Zunge schnellte in ihren Mund, um mit ihrer zu spielen und sie war überrascht von der Leidenschaft, die sie durchschoss trotz der Schmerzen. Seine Hand schlüpfte auf ihrer unverletzten Seite unter ihr Shirt und sie stöhnte leise, als er ihre Brust durch ihr Shirt hindurch liebkoste.

 

„Ich wünschte, ich könnte in diesem Augenblick mit dir schlafen,„ flüsterte er an ihren Lippen.

 

„Ich auch.„ Es schien, als wäre es Tage her, seit sie das letzte Mal zusammen waren, obwohl es wirklich nur eine Sache von Stunden war.

 

Mulder hob den Kopf, um ihr in die Augen zu sehen und sie zog eine Augenbraue hoch, als sich ein teuflisches Grinsen über sein Gesicht stahl.

„Was?„

 

„Nichts. Entspann dich einfach.„ Wieder küsste er sie wieder und knabberte an ihrer Unterlippe, dann kuschelte er sich an ihren Hals, zog die Haut zwischen seine Zähne und saugte zärtlich daran. Als seine Hand unter den Bund ihrer Hosen und dann tiefer glitt, atmete sie heftig ein.

 

„Entspann dich,„ wiederholte er. Er schob seinen anderen Arm unter ihre Schultern und zog sie enger an sich, dann ließ er vorsichtig einen Finger in sie hineingleiten. „Halt einfach still,„ murmelte er in ihr Haar.

 

Scully gehorchte, sich auf die Lippe beißend und die Augen schließend. Er bewegte seinen Finger in einem sanften, köstlichen Rhythmus, dann glitt ein zweiter Finger in sie und verdoppelte den Druck. Sie seufzte vor Vergnügen bei dem Gefühl. Oh, was für eine kreative Seele dieser Mann war. Er beschleunigte das Tempo, hinein und heraus, mit genau dem richtigen Maß an Kraft und Geschwindigkeit. Als er begann, mit seinem Daumen ihr gieriges Zentrum zu umkreisen, glaubte sie, sie müsse vergehen vor Lust. Mit einer köstlichen massierenden Bewegung brachte er sie auf den Gipfel der Erregung und sie kämpfte gegen das Verlangen an, ihre Hüften gegen seine Hand zu stoßen. Seine Lippen tanzten über ihr Gesicht, ihren Hals, ihr Ohr, und sie spürte, wie sich ihr Atem beschleunigte und hörte wie aus weiter Ferne ihr eigenes beinahe unhörbares Stöhnen bei seiner Berührung. Er hielt sie fester, um ihren Körper so bewegungslos wie möglich zu machen, als er seine Bewegungen in  ihr beschleunigte.

 

Mulder legte seinen Mund auf ihren, als sie kam, und nahm ihre leisen Schrei in seinen Mund auf, ihr Körper bewegte sich kaum an seinem. Als sie fertig war, entzog er ihr sanft seine Hand und seinen Mund, strich mit seinen feuchten Fingern über ihre Lippen und dann küsste er sie wieder.

 

„Die beste Medizin der Welt,„ flüsterte sie, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten.

 

„Und ich habe nicht einmal die Medizinschule besucht,„ entgegnete er mit einem Grinsen.

 

„Du hättest mich glatt zum Narren halten können.„ Sie bog seinen Kopf zu sich herab und küsste ihn auf die Stirn. „Danke.„

 

„Das Vergnügen war... nun, nicht *ganz* meinerseits,„ meinte er verschmitzt.

 

„Das ist mal sicher.„

 

Sie war dabei, ihn wieder zu küssen, als es ein Geräusch an der Tür gab.  Mulder rollte von ihr weg und griff nach seiner Laserpistole und seiner Taschenlampe, schaltete sie ein und zielte mit beiden Händen auf den Eingang. Er senkte seine Waffe, als Bishop eintrat – allein. „Es war auch Zeit, dass Sie kommen,„ sagte Mulder.

 

„Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte,„ erwiderte Bishop in seinem patentierten gelangweilten Ton. „Hören Sie auf, mich zu blenden.„ Mulder schaltete die Taschenlampe aus und Bishop trat näher. „Hier.„

 

Scully hob den Kopf, um zu sehen, was ihnen der kurz angebundene Mann gebracht hatte. Ein paar Flaschen Quellwasser, Brot und Käse, Verbandszeug und Klebeband, Tylenol und antibiotische Salbe. „Danke,„ sagte sie dankbar.

 

„Bitte,„ knurrte er. Mulder sagte nichts. Bezaubernd. „Weiß nicht, wie oft ich in der Lage sein werde, zu kommen.„

 

Wielange wird die Reise dauern?„ fragte Scully.

 

„Wahrscheinlich ungefähr fünf Tage. Plus minus ein Tag. Hängt von den Kontrollen der Kolonisten ab.„

 

„Bloß gut, dass uns Rico etwas zum Essen eingepackt hat,„ grollte Mulder.

 

Scully schloss die Augen bei der Erwähnung ihres Freundes. „Er hatte immer das Talent, an alles zu denken,„ sagte sie.

 

Bishop knurrte wieder. „Muss gehen. Seien Sie vorsichtig.„ Er nickte Scully ernst zu , dann zog er sich zurück und schloss die Tür leise hinter sich.

 

Nachdem er gegangen war, schafften sie einen kurzen Gang zur Toilette, danach aßen sie ein wenig von dem Brot und dem Käse, was Bishop ihnen gebracht hatte. Sie wollten ihre Vorräte nicht zu bald verbrauchen. Mulder schluckte eine der Dramamine-Tabletten und schickte ein Dankgebet an Frohike, dann legte sich Scully wieder auf die Decken.

 

„Ich brauche wirklich dringend eine Zigarette,„ sagte Mulder plötzlich.

 

Scully runzelte verwirrt die Brauen. „Ich denke, es würde mir nichts ausmachen, wenn du rauchst, obwohl es wahrscheinlich nicht die beste Idee ist, in einem Raum ohne Fenster.„

 

„Das ist es nicht. Ich hab keine mehr,„ entgegnete er, an seiner Unterlippe kauend. „Ich habe die letzte geraucht und hatte keine Zeit mehr, Ersatz zu organisieren.„

 

„Ich bin mir sicher, Bishop wäre in der Lage, dir welche an Bord zu besorgen,„ meinte Scully.

 

Mulder schüttelte den Kopf. „Ich möchte ihn um nichts bitten, wenn ich nicht muss. Nebenbei, vielleicht ist es gut so. Es ist sowieso eine widerliche Angewohnheit.„ Er sah beinahe so aus, als würde er es glauben.

 

„Mulder, es besteht keine Notwendigkeit, dass du dich jetzt solchem Verlangen aussetzt.„

 

Mulders Unterkiefer wurde hart „Ich will aber. Ich werde es überwinden. Es wird mir gut gehen.„

 

Sie musterte ihn zweifelnd. „Das berühmte letzte Wort.„

„Du wirst sehen. Nun muss ich es tun, und wenn es nur dazu ist, dir zu beweisen, dass ich es kann.„ Er grinste kurz, dann wurde er wieder sachlich. „Ich wollte dich etwas fragen... ich weiß, es ist irgendwie fehl am Platze, aber ich habe darüber nachgedacht und nun... ich würde gern wissen, wie du mit Skinner zusammengekommen bist,„ meinte er zögernd. „Du hast mir nie davon erzählt und ich würde es gern wissen. Wenn das okay für dich ist.„

 

Scully lächelte schwach. Wo zur Hölle kam das jetzt her? Sie mussten wirklich dringend anfangen, ihre Wunde zu behandeln anstatt zu reden, aber sie dachte, sie müsste ihm die Antworten geben, die er brauchte, bevor sie vor lauter Schmerzen nicht mehr dazu in der Lage war. „Skinner. Er, äh, er war in eine Minenanlage in West Virginia gebracht worden, nachdem er mit dem Virus infiziert worden war. Dort war er fast anderthalb Jahre, bevor ich in der Lage war herauszufinden, wo er sich befand und meine Leute hatte, um ihn dort herauszubekommen. Es stand... nicht gut um ihn. Sie haben ihn hart angefasst, und sogar, nachdem der Virus seinen Körper verlassen hatte, blieb sein Geist düster und schwach. Es war so traurig, Mulder. Er war so stark gewesen, in mehr als einer Hinsicht...„ Sie verstummte in der Erinnerung an den geschlagenen Körper ihres früheren Vorgesetzten und das ängstliche Leuchten in seinen Augen, als er aus seiner Sklaverei erwachte. Etwas in ihr war weich geworden bei diesem Anblick und sie hatte ihn bis weit in die Nacht hinein gehalten und versucht, ihn davon zu überzeugen, dass alles gut werden würde. Gelinde ausgedrückt war es die Erinnerung an eine der surrealsten Nächte ihre Lebens.

 

„Aber er erholte sich schnell genug,„ mutmaßte Mulder. „Nun, schnell genug für dich, um ihm so zu vertrauen, dass du hier bleiben konntest.„

 

Sie nickte. „Die Dinge in Greenland spitzten sich zu. Mehr und mehr Menschen versammelten sich dort, organisierten sich, und ich wusste, dass unser Team dort sein musste, um die Verantwortung zu übernehmen und den Impfstoff zu verteilen. Wir hatten einen Weg ausgearbeitet, ungefähr zwanzig Leute dorthin zu schicken, aber wir brauchten jemanden, der sie anführte. Ich wollte, dass Ari geht, aber sie lehnte es ab, sie sagte, sie wollte in Amerika bleiben, in Freud und Leid.„ Scully zuckte mit den Achseln. „Ich erwog, ihr den Befehl zu erteilen zu gehen, aber ich wollte sie nicht auf diese Art ausnutzen. Gott weiß, ich habe sie alle ein bisschen ausgenutzt, von Anfang an.„ Sie atmete tief ein und erinnerte sich an den Ausdruck von Verrat in Aris Augen, als Dana ihr gesagt hatte, dass sie darüber nachgedacht hatte, aus der Bitte einen Befehl zu machen. Heftig schüttelte sie den Kopf, um die Erinnerung zu verdrängen. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Und dann kam Skinner zu mir. Und ich wusste aus der Art, wie er mich ansah, mit solcher Entschlossenheit und Stärke, von der ich glaubte, er hätte sie verloren... ich wusste, er war bereit. Und so ging er.„

 

„Ihr beide müsst euch sehr nahe gekommen sein,„ sagte Mulder. Eine Frage, keine Feststellung und da war definitiv Nervosität in seiner Stimme.

 

Seit wann war Mulder der eifersüchtige Typ? Erst Rico, jetzt Skinner? Sie konnte sich an kein einziges Mal von früher erinnern, dass er es war – gut, da war dieser Sheriff in Pennsylvania, der Vampir oder was immer zur Hölle er auch war. Und Ed Jerse. Zählte Ed Jerse? Sie sah nicht, wie. „Das sind wir,„ antwortete sie schließlich auf die unausgesprochene Frage. „Fragst du mich, ob ich mit ihm geschlafen habe?„

 

Mulder versteifte sich. „Das geht mich nichts an.„ Er sah sie nicht an, studierte seine aufgerauten Hände.

 

„Nein, das tut es nicht.„ Sie hielt inne, halb dazu verleitet, ihn es sich einfach fragen zu lassen. „Nur einmal, Mulder. Ein einziges Mal. Und es bedeutete gar nichts, für keinen von uns.„

 

Die Farbe wich aus seinem Gesicht und er zog die Luft ein, als wenn er gerade einen Schlag in den Magen bekommen hätte. „Ich verstehe.„

 

„Es war...„ Warum hatte sie das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen? „Es war ein Bedürfnis, Mulder. Bedürfnis und Einsamkeit und Verzweiflung. Nicht mehr. Nicht weniger.„

 

Mulder schluckte schwer. „Wie das erste Mal zwischen dir und mir vor ein paar Monaten?„

 

Sie starrte ihn mit offenem Mund an. „Mulder...„

 

„Vergiss es,„ meinte er abrupt. „Es zählt nicht. Und du schuldest mir keine

Erklärungen.„

 

„Nein, das tue ich nicht,„ sagte sie leise. „Komm her.„ Sie breitete ihre Arme aus und er kam. umfasste sie zart mit seinen Armen und legte sich neben sie. Er war weich und warm und beruhigend. „Du weißt, dass ich dich liebe,„ sagte sie.

 

„Ich weiß.„

 

„Gut.„ Sie kuschelte ihr Gesicht an seine Brust, atmete ihn tief ein. „Jetzt musst du etwas für mich tun.„

 

Mulder versteifte sich und sie konnte seine plötzliche Angst spüren. „Ist es das, was du mir letzte Nacht nicht sagen wolltest?„

 

„Ja.„ Sie atmete tief ein und hoffte, zusammen mit dem Sauerstoff Mut aufzunehmen. „Diese Verbrennung, Mulder. Das Schwarze, was du siehst – es ist totes Gewebe. Wenn es nicht entfernt wird, wird es faulen und Wundbrand verursachen. Es muss weg. Sofort. Wir hätten es letzte Nacht tun sollen, aber ich konnte es einfach nicht ertragen, uns das gerade da durchmachen zu lassen.„

 

Einen Moment herrschte Schweigen, während er die Information in sich aufnahm. Ein erschreckter Ton kam aus seiner Kehle. „Scully, willst du mir damit sagen, dass ich... deine Haut wegschneiden soll?„

 

„Totes Gewebe,„ korrigierte sie ihn automatisch. „Und ja, ich fürchte es. Hast du ein Messer bei dir?„

 

„Ja, ich hatte eins in der Nacht, als wir hinunter in den Tunnel stiegen und seitdem habe ich es nicht aus der Hand gegeben,„ entgegnete er.

„Aber... das kannst du nicht ernst meinen. Scully, ich bin kein Arzt. Ich kann nicht einmal Blut sehen, das weißt du.„

 

„Ich werde dir sagen, was du tun musst,„ erwiderte sie in einer Ruhe, die sie nicht empfand. „Erhitze einfach dein Messer mit dem Feuerzeug, um es steril zu machen, schneide alles Schwarze an der Wunde ab und lege einen Verband an. Weiter nichts.„ Oh Gott, sie wurde krank, wenn sie nur daran dachte.

 

„Ohne Betäubung? Nein. Das werde ich nicht tun.„ Er löste sich aus ihrer Umarmung und begann, vor ihr auf und ab zu gehen, sich frustriert mit den Fingern durchs Haar fahrend. „Ich kann dir das nicht antun, Scully. Verlang das nicht von mir.„

 

Sie holte ihre beste Kommandostimme hervor. „Mulder, wenn du es nicht tust, wird es zu Wundbrand führen und höchstwahrscheinlich werde ich an Bord dieses Schiffes sterben. Würdest du dieses Szenario bevorzugen?„

 

Er hielt mitten in der Bewegung inne und sah sie betroffen an. „Das sind nur zwei Auswahlmöglichkeiten, Scully. Ich ziehe wirklich die ‚keine von beiden‘ Möglichkeit vor.„

 

„Tut mir leid, Mulder, die zwei Möglichkeiten sind alles, was du hast. Wähle eine.„ Das ist es Dana, gelogenes Draufgängertum, weiter so.

 

Mulder schloss kurz die Augen, sichtbar sich selbst stärkend, dann öffnete er sie wieder. „Okay. Sag mir, was ich tun soll.„

 

 

 

 

 

Mulder schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und knipste sein Feuerzeug an. Die kleine Flamme brauchte eine Weile, um die gesamte Länge des Blattes zu erhitzen, aber schon bald glühte es und war bereit. Er legte das Feuerzeug beiseite und sah auf Scully herab. Sie hatte ihre Hosen ausgezogen und ihr T-Shirt bis knapp unter ihre Brüste hochgezogen. Sie schien ihren Blick nicht von dem glühenden Stahl, das er in der Hand hielt, losreißen zu können.

 

Vor einer Weile hatte er ihr etwas von dem Kodein gegeben, aber er wusste nicht, ob das sehr viel helfen würde. Verzweifelt wünschte er, wenigstens etwas Alkohol zu haben, sowohl zur Sterilisation als auch um Scully betrunken zu machen, damit sie keinen Schmerz fühlte. Statt dessen packte sie seinen Ledergürtel in einer Hand, bereit darauf zu beißen, wenn der Schmerz zu intensiv wurde. Er sollte sich ebenfalls rittlings auf ihre Beine setzen, um sie davon abzuhalten, dass sie zu sehr um sich schlug während der ‚Operation‘. Mulder konnte den Mut gar nicht fassen, den das hier von ihr forderte.

 

Und unterschwellig wollte er nur eine verdammte Zigarette.

 

„Okay,„ sagte er und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit von dem Messer zurück auf ihn. „Bist du bereit?„

 

„Nein,„ sagte sie reflexartig. Dann versuchte sie, ihm ein mutiges Lächeln zu schenken. „Ja. Ich bin bereit, wie ich es immer bin. Ich werde... ich werde in Ordnung kommen, Mulder. Ich vertraue dir.„

 

„Ich bin froh, dass es wenigstens einer von uns tut,„ murmelte er leise. Er zog die Batterielampe heran, so dass sie das betroffene Gebiet direkt beleuchtete. „Was wenn...„ Er kämpfte die Galle nieder, die ihm die Kehle hochzukommen drohte. „Was ist, wenn ich zuviel wegschneide? Wenn ich zu tief schneide?„

 

„Das wirst du nicht,„ entgegnete Scully fest. „Mach es einfach so, wie ich es dir gezeigt habe.„ Sie schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief und gleichmäßig ein, sich vorbereitend.

 

Mulder setzte sich auf ihre Beine, wie vorgesehen. Seine Hand lag auf ihrer Hüfte und würde sich nicht bewegen.

 

„Mulder, bitte.„ Ihre Stimme klang ruhig – zu ruhig. „Ich muss das hinter mich bringen.„

 

Richtig. Er biss sich auf die Lippen, drückte das Messerblatt in das schwarze Gewebe und begann zu schneiden.

 

Ihre Schreie schmerzten so in seinen Ohren, dass er erleichtert war, als sie schließlich ohnmächtig wurde vor Schmerzen und er seine Arbeit in der Stille beenden konnte.

 

Scully war für den Rest des Tages ziemlich oft bewusstlos, während er besorgt an ihrer Seite Wache hielt. Er tat die Salbe auf die Wunde und verband sie, genau wie sie es ihm gesagt hatte, aber er wusste nicht, ob es genug sein würde. Hier waren nicht gerade ideale sanitäre Bedingungen.  Wenigstens war er froh darüber, dass sie in der Lage war zu schlafen und den Schmerzen zu entkommen, die sie erwarteten.

 

Gelangweilt und vor Sorge von Sinnen wanderte er umher, kaute an den Nägeln, schlug gegen Verpackungskisten und vor allem beschloss er, dass er beinahe alles für eine Zigarette tun würde. Wenn er seine Augen schloss und fest genug daran dachte, konnte er beinahe den Rauch spüren, der durch seine Lungen zog.

 

„Gott verdammt,„ fluchte er, dann blickte er schuldbewusst zu Scully, die immer noch ohne Bewusstsein war. Er würde glatt jemanden ermorden für eine Zigarette.

 

Und dann blieb er urplötzlich stehen bei diesem Gedanken. Wer war er, dass er mit dem Wort ermorden so lässig um sich warf?

 

Mörder. Das war es, was er geworden war. Da ließ sich nichts beschönigen. All diese Leben, genommen von seiner Hand.

 

War er wirklich besser als ‚Sie‘ es waren?

 

Er fiel an Scullys Seite auf die Knie und verbarg sein Gesicht in seinen Händen, schließlich dem Schluchzen nachgebend, weinend um sie, um sich, um alle.

 

 

 

 

 

Scully driftete an diesem und dem folgenden Tag immer wieder in die Bewusstlosigkeit und versuchte, so viel wie möglich zu schlafen, um dem Schmerz zu entgehen, der mit jedem Atemzug durch ihren Körper schoss. Wenn sie wach war, versuchte sie mit Mulder zu reden, aber er schien zu zögern, sie dazu zu bringen, die Anstrengung auf sich zu nehmen. Er war so aufmerksam und besorgt, dass es ihr geradezu unheimlich war.

 

„Bist du... sicher, dass du keine Medizinische Schule besucht hast?„ schaffte sie es, ihn an einer Stelle zu fragen.

 

Er schenkte ihr ein kleines Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreichte. „Du hast mich erwischt, Scully. Ich habe es vor dir geheim gehalten.„

 

„Besser... du machst es wieder gut,„ sagte sie.

 

„Das werde ich,„ sagte er mit unerwarteter Vehemenz und nahm ihre Hand. „Ich verspreche es.„

 

 

 

 

 

Als Mulder am dritten Morgen aufwachte, wusste er augenblicklich, dass etwas nicht stimmte. Scullys Körper war alarmierend heiß neben seinem und sie stöhnte leise im Schlaf.

 

Oh Gott, dachte er. Oh Gott, Mist, nein. Er kämpfte damit, sie zu wecken; die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als sie ihre Augen aufschlug.

 

„Mulder...„ Sie leckte sich die Lippen und rieb sich die Augen. „Fühl... mich nicht so gut.„

 

Er legte seinen Handrücken auf ihre Stirn. „Du hast Fieber, Scully. Lass mich besser einen Blick auf deine Wunde werfen.„

 

Sie nickte schwach und er hob die Decke an, dann entfernte er vorsichtig den Verband. Und atmete heftig ein. Die Wunde war böse gerötet und grüner Eiter sickerte an einer Seite hervor. „Mist, Scully, ich glaube, es ist entzündet.„

 

Behutsam richtete sie sich auf ihren Ellbogen auf, um an sich herabzusehen. Nachdem sie die Wunde einen Augenblick studiert hatte, ließ sie ein gar nicht scullymäßiges Wimmern hören. „Ja, es ist entzündet. Haben wir noch... von der Sulfidsalbe?„

 

Mulder griff nach der Erste-Hilfe-Box. „Ja, haben wir. Nicht viel, aber wir haben welche. Ich gehe in den Waschraum, um mir die Hände zu waschen. Dann komme ich wieder und mache etwas mehr darauf, okay?„ Er küsste sie auf die Stirn und eilte in den Waschraum, dabei versuchte er, nicht an die Komplikationen zu denken, die die Entzündung verursachen könnte. Scully krank mitten auf dem Atlantischen Ozean und niemand, der ihnen half, außer Bishop... und wenigstens noch zwei Tage auf ihrer Reise vor sich. Nun, wenn es einfach wäre, würde es nicht mein Leben sein, dachte er grimmig.

 

Und hinter all dem: rauchen, rauchen, rauchen. Ich brauche eine Zigarette. Er schüttelte ungeduldig den Kopf. Diese Gedanken führten nur zum Wahnsinn.

 

Als er zurückkehrte, versuchte er, die Salbe so sanft wie möglich aufzutragen, aber dennoch schrie sie jedes Mal vor Schmerz auf, wenn seine Finger mit der schmerzenden und faulenden Haut in Kontakt kamen.

 

„Mulder, ich brauche... Antibiotika,„ sagte sie zu ihm. „Penicillin wäre das wenigste, Ancef wäre besser.„

 

„Ich könnte versuchen, mich hinauszuschleichen und Bishop zu finden,„ schlug er vor, aber sie schüttelte den Kopf.

 

„Nein. Warte einfach, bis er kommt. Ich will nicht, dass du irgendein Risiko eingehst. Bitte bleib hier.„

 

Er wollte protestieren, wollte hinauslaufen, so dass er etwas, irgend etwas produktives tun konnte, um ihr zu helfen. Aber er wusste, dass sie recht hatte. „Okay,„ versprach er. „Ich werde hier bei dir bleiben.„

 

„Danke.„ Sie schloss die Augen. „Ich werde jetzt ein bisschen schlafen.„ Und das obwohl sie erst vor ein paar Minuten aufgewacht war.

 

Mulder streckte seine Hand aus und schob seine Finger in ihre. „Schlaf ruhig. Ich bin da.„

 

Als Bishop spät am Abend auftauchte – und Gott sei dank gab es Armbanduhren, weil Mulder ansonsten schon vor langer Zeit jedes Zeitgefühl in den dunklen Winkeln des Schiffes verloren hätte – war er kaum eine Hilfe. Was nicht überraschend war.

 

„Ich kann keine Schmerztabletten aus der Apotheke stehlen. Sie würden es merken.„

 

Mulder stand nur Zentimeter von dem Mann entfernt, die zu Fäusten geballten Hände an der Seite und versuchte, ihn nicht zu schlagen. „Es ist mir egal, wenn sie es merken! Sie ist krank! Sie muss die Medizin haben oder Gott allein weiß, was mit ihr passiert!„

 

Bishops Blick glitt hinüber zu Scully, die trotz ihres Fiebers sittsam die Decke bis zu ihrer Taille hochgezogen hatte. „Ich kann nicht.„

 

Gottverdammt, der erste Mensch, den er fand ohne irgendeine irrationale Hingabe an Scully und der erste, der ein wenig davon haben sollte. Er packte Bishop an seinem T-Shirt, zog ihn näher heran, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Sie bringen ihr die Medizin, die sie braucht, oder ich bringe Sie um,„ sagte er. Monoton.  Emotionslos. Der Ton professionell, gepeinigt von Schuld, obwohl es nicht so ein sollte. Er konnte Scullys gemurmelten Protest hinter sich hören, aber er ignorierte ihn. Bishop und er mussten zu einer Einigung kommen, verdammt. Der Mann war verrückt, auch nur daran zu denken, sich mit jemandem anzulegen, der gerade auf die kalte Tour das Rauchen aufgegeben hatte.

 

Bishops Mund öffnete und schloss sich ein paar Mal, bevor er ihn zu einem schmalen Strich zusammenpresste. „Ich werde sehen, was ich tun kann,„ sagte er schließlich. „Aber Sie müssen warten, ich werde nicht gleich dorthin rennen.„

 

Mulder ließ den Mann widerwillig los, spießte ihn aber weiterhin mit seinem Blick auf. „Das hört sich schon ein bisschen besser ab. Aber ich warne Sie, Bishop. Machen Sie keinen Scheiß mit mir. Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie sich anlegen.„

 

Bishop starrte ihn an, ging aber ohne ein weiteres Wort hinaus.

 

„Du hättest ihn nicht verärgern sollen,„ meinte Scully müde. „Alles was du erreichst ist, dass er dich hasst, und das wird uns wenig helfen.„

 

Er kniete sich neben sie, strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sein Magen zog sich zusammen bei ihrem Anblick. Ihre Haut war käseweiß und Schweiß lag auf ihrer Stirn und ihrem Nasenrücken. „Mach dir darüber keine Sorgen. Ich kenne diesen Typ. Dem muss man nur ein bisschen drohen, damit er seinen Hintern bewegt.„

 

„Ich hoffe, du hast recht,„ flüsterte sie.

 

„Ich wünschte, ich könnte mehr tun,„ entgegnete er hilflos.

 

„Das kannst du,„ sagte sie einen Taktschlag später.

 

Mit dem Handrücken berührte er ihre Wange und versuchte nicht daran zu denken, wie klamm sich ihre Hand anfühlte. „Alles,„ schwor er.

 

Sie sah ihn aus blauen Augen, die im Fieber leuchteten an. „Sprich mit mir,„ sagte sie. „Lenk... mich ab.„

 

„Äh... wie wäre es mit diesen Yankees?„ fragte er und ihr schwaches Lachen erwärmte sein Herz.

 

„Ich erinnere mich, dass du das zu mir gesagt hast, als ich im Krankenhaus lag,„ sagte sie leise. Er nahm ihre Finger in seine und strich mit seinem Daumen über ihren Handrücken, während sie sprach. „Du wolltest mich damals auch von meiner Krankheit ablenken, aber ich wollte nicht, dass du es tust.„

 

Er schluckte den Klos in seinem Hals herunter und erinnerte sich. „Ich sehe zurück und kann mir nicht vorstellen, wie ich es geschafft habe, das zu überleben.„

 

Ein schwaches Glucksen. „Mulder, ich weiß nicht, wie du solange überlebt hast. Wie oft habe ich... deinen bedauernswerten Hintern gerettet?„

 

Der Retrovirus...„

 

Ellens Air Force Base...„

 

„Die Moosmänner in Florida...„

 

„Die Sache mit der Künstlichen Intelligenz, mit Esther Nairn...„

 

„Oh Gott, die KI,„ sagte Mulder grinsend. „Ich habe dir nie erzählt, wie das war, nicht wahr?„

 

„Erzähl es mir jetzt,„ sagte sie einfach.

 

Und also tat er es, schmückte die Geschichte mit Scherzen aus und malte ein lebhaftes Bild seiner Armstümpfe, der pornografischen Krankenschwestern und der Prinzessin-Ninjitsu-Vorstellung der Phantasie-Scully, während ihr gelegentliches Lachen ihn zu mehr Einzelheiten anspornte.

 

„Erzähl mir mehr,„ bat sie, immer noch lächelnd, als er fertig war.

 

„Mehr wovon?„

 

„Mehr von den alten Zeiten,„ sagte sie. „Du und ich. Fälle lösend. Erzähl mir davon. Erinnere mich daran.„

 

„Was, etwa wie wir diese Schafe gehütet haben, um die Peacock-Jungs abzulenken?„ fragte er und drückte ihre Hand.

 

Sie lag einen Moment lang still, sammelte Kraft, dann nickte sie. „Erzähl mir.„

 

Also begab er sich auf einen humorvollen Bummel über die Strasse der Erinnerungen, übertrieb wann immer es möglich war, obwohl sie nur zu gut wusste, dass er es tat. Er erzählte bis weit in die Nacht hinein von vom Himmel regnenden Kröten und galanten Vampiren und Abnormitäten der Sideshows und formwandelnden Möchtegern Don Juans, bis er heiser war, seine Finger mir ihren verschränkt. Scully schien damit zufrieden zu sein, einfach zuzuhören, obwohl sie hin und wieder eine Augenbraue hochzog, wann immer er eine unbewiesene Seltsamkeit in einem Fall als angenommene Tatsache ausgab. Dass sie sich nicht die Mühe machte, tatsächlich mit ihm zu debattieren, unterstrich ihre Schwäche irgendwie mehr, als alles andere und die Angst wuchs in seinem Herzen mit lähmender Intensität.

 

Als sie schließlich in den Schlaf fiel, saß er weiter da und betrachtete sie, ihr Gesicht war geisterhaft im Licht der Batterielampe, die einzigen Geräusche kamen von gelegentlich vorbeihuschenden Ratten und ihren tiefen, rasselnden Atemzügen.

 

 

 

 

 

Scully erwachte fiebergebadet.

 

Ihre Haut war heiß, so heiß und sie trat nach der Decke, wollte sie von sich weghaben. Warum war es so heiß?

 

Als sie einen tiefen Atemzug versuchte, erinnerte sie der stechende Schmerz in ihrer Hüfte. Die Infektion. Oh Gott. Wie sollte sie die überstehen?  Selbst wenn Bishop ihr ein paar Antibiotika brachte, brauchte sie ernsthaft medizinische Behandlung, und zwar bald. Aber sie wagte es nicht, Mulder gegenüber zuzugeben, wie grässlich die Situation war. Er war schon außer sich vor Sorge.

 

Scully drehte den Kopf, um ihn neben sich schlafend zu betrachten. Letzte Nacht war er so süß gewesen, hatte sinnloses Zeug geredet, sie von dem Schmerz in ihrem Körper abgelenkt und der Hitze auf ihrer Stirn. Sie konnte sich nicht einmal an die Hälfte von dem erinnern, was er erzählt hatte; nach einer Weile hatte sie einfach ihre Augen geschlossen und dem Klang seiner Stimme gelauscht, sich von ihr wie Balsam beruhigen lassen.

 

Gut, fein. Er hatte eine Möglichkeit erhalten, ihr die letzten drei Jahre zurückzuzahlen. Es würde wahrscheinlich heilsam für sie beide sein, in einer kranken und verdrehten Art.

 

Oh Gott, es war so heiß...

 

Mulder bewegte sich und erwachte mit einem Ruck, reflexartig nach ihr greifend und seine Hand zurückreißend, als er spürte, wie heiß und verschwitzt sie war. „Wie fühlst du dich?„ murmelte er, stützte sich auf und gab ihr einen zarten Kuss auf die Stirn.

 

„Heiß. Es... tut weh, Mulder,„ schaffte sie zu keuchen. Sogar das Reden war an diesem Punkt schmerzhaft.

 

„Ich bin gleich zurück. Bleib ruhig.„

 

Ja, als wenn sie irgendeine andere Wahl hätte. Sie sah ihm zu, wie er sich ein T-Shirt griff und ging. Was tat er?

 

Sie bekam ihre Antwort eine Minute später, als er mit dem tropfenden T-Shirt zurückkam. Er setzte sich neben sie und legte ihr das kalte Shirt auf die Stirn als behelfsmäßige Kompresse. „Fühlt sich großartig an,„ sagte sie. „Danke.„

 

„Wir haben auch noch ein paar Kodein-Tabletten übrig. Halt durch.„ Er half ihr, eine der Tabletten und einen Schluck Wasser zu nehmen, dann legte sie ihren Kopf wieder zurück und schloss ihre Augen.

 

„Immer noch müde?„

 

Scully schüttelte den Kopf. „Nein. Nur meine Augen ausruhen.„ Sie spürte, wie er ihre Hand nahm und mit seinem Daumen ihre Handfläche rieb. Zärtlich und sanft, es fühlte sich so gut an...

 

Als sie wieder erwachte, fand sie Mulder, der sie anstarrte und mit einem kleinen Behälter in seinen Händen herumfuchtelte.

 

„Starrst du mich immer an, wenn ich schlafe?„ fragte sie trocken.

 

Er hatte den Anstand, verlegen dreinzuschauen. „Entschuldigung. Nein, das tue ich nicht. Na ja, nicht immer.„ Ein Grinsen und er hielt den kleinen Behälter hoch. „Bishop war hier, während du geschlafen hast. Hat uns ein bisschen Penicillin gebracht. Sagte, es wäre alles, was sie haben. Ich wollte dich nicht wecken deswegen.„

 

„Danke,„ Sie hielt ihre Hand auf für die weißen Tabletten und er half ihr, sich aufzusetzen und sie mit etwas Wasser zu nehmen. „Das ist gut, Mulder, das wird helfen,„ sagte sie und hoffte, ihn zu beruhigen, etwas von der Sorge aus seinen Augen zu nehmen.

 

„Großartig,„ meinte er, aber sein Ton war zweifelnd und sein Gesichtsausdruck noch mehr.

 

„Hat Bishop gesagt, ob wir ihm Zeitplan liegen?„ fragte sie.

 

Mulder setzte sich mit gekreuzten Beinen neben sie und sah angesichts des Themawechsels erleichtert aus. „Ein bisschen hinken wir hinterher, aber wir sollten in drei Tagen dort sein. Ich hoffe, das ist bald genug.„ Die Sorge erschien wieder in seinen Augen und machte sie dunkel.

 

Scully streckte ihre Hand aus und er nahm sie, drückte sie so fest, dass es wehtat. „Ich werde wieder in Ordnung kommen, Mulder. Du musst mir darin vertrauen. Okay?„

 

Als wollte er protestieren, öffnete er den Mund, schloss ihn aber wieder und nickte stattdessen. „Okay,„ meinte er mit schmalen Lippen. Scully wusste, dass er ihr nicht glaubte, aber es gab nicht viel, was sie dagegen tun konnte. Sie hatte nicht die Energie zu versuchen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

 

„Du solltest etwas essen. Einer von uns muss bei Kräften bleiben.„

 

„Was bringt dich dazu, zu denken, ich habe nicht...„ Er verstummte angesichts ihres Gesichtsausdrucks. „Du kennst mich einfach zu gut,„ sagte er vorwurfsvoll.

 

„Das ist ein Fluch.„

 

Sie teilten ein kleines Lächeln. „Machen wir einen Deal,„ meinte Mulder. „Ich werde essen, wenn du es auch tust.„

 

Ihr Magen zog sich bei dem Gedanken zusammen. „Ich glaube nicht, dass ich in der Lage bin, etwas herunterzubringen,„ sagte sie.

 

„Versuch es.„

 

Der Versuch, ein bisschen von dem Konservenessen herunterzubringen, erwies sich als Fehler und kurze Zeit später hielt er ihren Kopf, als sie sich in einen Eimer übergab, den er aus dem Waschraum organisiert hatte. Er hält meinen Kopf, während ich kotze, dachte Scully verschwommen. Das muss Liebe sein.

 

„Das nächste Mal höre ich auf den Doktor,„ sagte Mulder, als sie wieder zurücksank.

 

Sie schüttelte schwach ihren Kopf. „Du hattest recht, mich dazu zu bringen, es zu versuchen. Unglücklicherweise habe ich wahrscheinlich das Penicillin mit rausgebracht, das ich vorher genommen habe.„

 

„Mist. Soll ich dir noch etwas geben?„

 

„Nein. Für alle Fälle sollte ich ein paar Stunden warten, damit ich nicht zuviel nehme,„ erklärte sie. „Es wird in Ordnung sein. Lass mich nur noch ein bisschen ausruhen...„ Und dann erinnerte sie sich an nichts mehr.

 

 

 

 

 

Mulder durchwanderte den Laderaum, vor Sorge außer sich und frustriert angesichts seiner Machtlosigkeit. Scully hatte am Tag zuvor noch zweimal versucht, das Penicillin einzunehmen, und beide Male kam es sofort zurück.  Sie brauchte intravenöse Medikation, je schneller desto besser, und es gab Gott verdammt nichts, was Mulder dafür tun konnte. Bishop war während seiner täglichen Kontrolle unnachgiebig dabei geblieben, dass es Scully zum Verhängnis werden würde, sie in die Krankenabteilung zu bringen und Mulder musste widerwillig zugeben, dass er wahrscheinlich recht hatte. Blinde Passagiere waren unter normalen Umständen schon nicht willkommen; ungewollte Passagiere unter dem herrschenden Kolonistenregime waren undenkbar. Wenn man sich versteckte und seine Identität verbarg, entzog man sich wahrscheinlich den Kolonisten; und wenn dem so war, war man ein erlaubtes Jagdziel für irgendeinen sich selbst bedienenden Söldnertypen, um einen zu verhaften und ein bisschen Sicherheit für sich selbst in dem Geschäft zu erreichen. Mulder würde nicht erlauben, dass das Scully passierte, nicht wenn ‚Sie’ nun höchstwahrscheinlich von Scullys Aktivitäten im Widerstand wussten.

 

In der Zwischenzeit blieb Mulder keine andere Wahl, als zuzusehen, wie sie mehr und mehr krank wurde. Ihr Fieber war nicht gesunken und womöglich schien es mit jeder Stunde, die verging, zu steigen. Sie warf sich laufend hin und her und bewegte sich unregelmäßig unter der Decke, im Schlaf murmelnd. An diesem Tag war sie noch nicht aufgewacht, obwohl es beinahe Mittag war nach seiner Uhr. Leise fluchte er; er war sich nicht sicher, wieviel er ertragen konnte: die Dunkelheit, die Platzangst, die Nikotinanfälle, der sich bildende Gestank ihrer ungewaschenen Körper und ihre Krankheit. Er wusste, dass es kleinlich von ihm war, von solchen Sachen genervt zu sein, aber es drohte ihn trotzdem zu überwältigen.

 

Nichtsdestotrotz tat es gut, ihr zu helfen. Jemandem zum Leben anzuhalten, war besser als sie zum Sterben zu bringen.

 

„Mulder...„ stöhnte Scully in ihren Träumen.

 

Er war sofort an ihrer Seite, nahm ihre Hand und strich ihre Stirn glatt. „Wach auf, Scully. Komm schon, du hast einen Alptraum, wach auf...„

 

Langsam kam sie wieder zu Bewusstsein, ihre Augenlider flatterten, ihre Pupillen konzentrierten sich langsam. „Mulder?„

 

„Ja. Du hast einen schlechten Traum gehabt. Wie fühlst du dich.„

 

„Heiß. Was tust du hier„

 

Er runzelte die Stirn. „Wo sollte ich sonst sein?„

 

Ihre Augen waren glänzend und glasig über den dunklen Ringen, die darunter lagen. „Musst du nicht bei dem Hearing sein?„

 

Das Blut gefror in seinen Adern. „Welches Hearing?„

 

Blevins,„ murmelte sie und warf ihren Kopf auf die Seite. „Hast du... sag, dass ich es war... lass mich dich retten.„

 

Jesus Christ. Sie musste glauben, sie war wieder im Krankenhaus, an Krebs sterbend, während das Büro ihn wegen Mordes anklagte. „Scully, das... das war vor langer Zeit. Sieh mich an, Scully. Dana.„ Ihr Vorname von seinen Lippen erregte ihre Aufmerksamkeit und sie drehte den Kopf zurück, um ihn anzusehen. „Welches Jahr haben wir, Dana?„

 

Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „1997,„ sagte sie schließlich.

 

„Nein. Nein, Scully, es ist 2003, erinnerst du dich?„ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und liebkoste ihre Wangen mit seinen Daumen. Ihre Haut glühte unter seinen Fingerspitzen.

 

Scully leckte sich die Lippen und er nahm die Tasse Wasser, die er für sie bereitgestellt hatte. Er hielt ihren Kopf, damit sie einen kleinen Schluck nehmen konnte, dann legte er sie sanft zurück auf die Decke. „Mulder... ich will nicht sterben,„ flüsterte sie.

 

Sein Kopf drehte sich. Meinte sie ihre Wunde oder ihren Krebs, von dem sie glaubte, dass er in ihrem Körper wütete, oder einfach allgemein? „Du wirst nicht sterben, Scully,„ sagte er, zusammenzuckend, als seine Stimme bei ihrem Namen krachte.

 

„Verlass mich nicht,„ flüsterte sie und griff nach seiner Hand.

 

Er nahm sie, sanft aber fest. „Ich werde dich nicht verlassen.„ Gott, sie war so heiß. „Niemals.„

 

„Süßer Mulder,„ murmelte sie und er hatte das unheimliche Gefühl, dass sie nicht länger mit ihm sprach, sondern mit sich selbst. „So loyal... aber warum kannst du mir nicht sagen, dass du mich liebst? Sogar wenn ich sterbe, kannst du es nicht sagen...„

 

Er konnte fühlen, wie ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach und wusste nicht, ob es von der Angst kam, dem Gefühl, das ihre schmerzlichen Worte auslösten, oder ob es eine Art Sympathiefieberphänomen war. Vielleicht war es von allen drei Dingen etwas. „Aber ich liebe dich wirklich, Scully. Ich hatte nicht den Mut, es dir zu sagen. Du kennst mich, ich gehe lieber mit formwandelnden Kopfjägern um als mit meinen eigenen Gefühlen. Nebenbei, niemand jagt mir mehr Angst ein als du.„ Er hatte auf irgendeine Art amüsierter Reaktion von ihr darauf gehofft, aber ihr leerer Gesichtsausdruck grub die Angst tiefer in sein Herz.

 

„Ich hätte es dir sagen sollen, Scully,„ fuhr er fort, dunkel wahrnehmend, dass er an diesem Punkt brabbelte. „Ich habe so viel Zeit vergeudet. Wir beide haben es getan. Du weißt, Scully, es hätte dich nicht umgebracht, wenn du es zuerst gesagt hättest.„ Er biss sich auf die Lippe angesichts seiner gedankenlosen Wortwahl. Nicht dass sie ihn überhaupt zu hören schien. „Du bist diejenige, die mir die Augen öffnen sollte, richtig? Nur dieses eine Mal hast du deinen Job nicht erledigt. Dieses eine Mal hast du mich nicht darauf hingewiesen, was genau vor meiner Nase lag und ausgerechnet das musste so etwas wichtiges sein.„

 

„Mulder...„ Ihr leises Stöhnen unterbrach ihn. „Worüber... worüber brabbelst du?„

 

Er lachte erleichtert und strich ihr die Haare aus der Stirn. „Willkommen zurück.„

 

„Zurück von wo?„ fragte sie irritiert.

 

„Du warst ungefähr eine Minute nicht klar – du dachtest, du wärst wieder im Krankenhaus, Jahre zurück... als du Krebs hattest.„

 

„Oh Gott,„ stöhnte Scully schwach. „Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.„

 

„Das ist in Ordnung. Jetzt bist du besser drauf.„ Wieder drückte er sanft ihre Hand. „Ich hole dir eine neue Kompresse – bin gleich zurück.„ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und dann lief er zum Waschraum mit einem erleichterten Lächeln auf seinem Gesicht.

 

Er war gerade damit fertig, das Shirt in kaltem Wasser nass zu machen, als sie sich auf ihn stürzten.

 

Mulder kämpfte mit all der Präzision und der Geschicklichkeit, die ihn die letzten drei Jahre gelehrt hatten, ganz zu schweigen von seiner FBI-Ausbildung, aber manchmal konnte man nur wenig tun gegen brutale Gewalt. Sie waren zu dritt und er war allein, und jeder von ihnen wog sehr viel mehr als er.

 

Und allzu schnell umgab ihn Dunkelheit.

 

 

 

 

 

Als eine halbe Stunde vergangen war und Mulder immer noch nicht vom Waschraum zurück war, schlug Scullys Angst in totale Panik um.  Unglücklicherweise gab es wenig, was sie dagegen tun konnte, wenn man bedachte, dass sie kaum atmen konnte, ohne vor Schmerzen zu keuchen. Was konnte ihm passiert sein? Er würde nicht entscheiden, auf eine improvisierte Erkundungstour zu gehen, ohne ihr vorher bescheid zu geben.  Und wenn er auf Bishop getroffen wäre, hätte er den Mann mit sich hierher zurückgebracht.

 

Mulder musste in Schwierigkeiten stecken. Was, wenn er entdeckt worden war? Erwischt? Den Kolonisten übergeben?

 

Und was war mit ihr? Wenn Mulder gefasst worden war, würde Bishop dann Angst bekommen haben und ihr nicht helfen, das Schiff zu verlassen? Sie würde es wahrscheinlich nicht allein schaffen, hier herauszukommen. Scully versuchte, sich auf die Ellbogen zu stützen, um ihre Kräfte einzuschätzen, aber sie war nur in der Lage, für dreißig Sekunden in dieser Position zu verbleiben, bevor sie zurück auf die Decke fiel, schwer atmend und schwitzend und vor Schmerz wimmernd.

 

Scully versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass Bishop nach ihr sehen musste. Musste er nicht? Konnte Rico einen seltenen Fehler gemacht haben, als er diesen verschlossenen Mann für diese Mission aussuchte?  Eigentlich hatte sie keine Möglichkeit gehabt, selbst ein paar Informationen über Bishop einzuholen, wie sie es routinemäßig mit neuen Rekruten oder Kontaktpersonen tat. Vielleicht war Rico nicht der einzige, der diesmal einen Fehler gemacht hatte.

 

Oh Gott Mulder, dachte sie verzweifelt, bitte, bitte sei in Sicherheit. Ich weiß nicht, ob ich das hier allein tun kann.

 

 

 

 

 

Mulder wachte mit hämmernden Kopfschmerzen auf und einem überraschenden Sonnenstrahl, der ihm in die Augen schien – und der seinem pochenden Schädel nicht half. Langsam setzte er sich auf, bewegte seinen Kopf so wenig wie möglich und versuchte, seine Umgebung  aufzunehmen.

 

Die Kabine war winzig, nur mit der Koje, auf der er saß, einer Toilette, einem Waschbecken und einem hässlichen hölzernen Nachttisch mit einer Tasse Wasser darauf ausgestattet. Das Bullauge über seinem Kopf hatte Eisenstäbe, die den Blick einengten. Mit sich zusammenziehendem Magen erkannte er, dass er im Bunker war.

 

Okay, Spooky, wie willst du hier herauskommen?

 

Eigentlich ging es darum, wie er Scully hier herausbringen konnte. Sie war zu schwach und krank, um allein irgendwo hinzugehen, und er vertraute Bishop nur so weit, wie er ihn sehen konnte, ungeachtet Scullys Glauben in Rico. Mulder war der einzige, der eine Chance hatte, Scully lebend nach Greenland zu bringen. Und er würde sie nicht im Stich lassen. Nicht noch einmal.

 

Mulder inspizierte jeden Zentimeter der kleinen Kabine, suchte vergeblich nach etwas, das man als Waffe benutzen konnte oder womit man das Schloss knacken konnte, aber er fand nichts. Als er neugierig aus dem Bullauge spähte, sah er nichts als blaues Meer in alle Richtungen. Schließlich hämmerte er halbherzig gegen die Tür, er wollte insbesondere keine Konfrontation mit wer auch immer ihn hier festhielt, aber verzweifelt, dass etwas passierte. Keine Reaktion. Er stieß einen leisen Fluch aus und setzte sich zurück auf die Koje, frustriert auf seiner Unterlippe kauend. Wenn sie erst einmal Greenland und den nächsten Außenposten der Kolonisten erreicht hatten, war er ein toter Mann. Deswegen machte er sich nicht so viele Sorgen, aber er sollte verdammt sein, wenn er Scully mit ins Verderben riss.

 

Mulder hatte gerade zum fünften Mal die Länge und Breite des Bunkers durchkämmt, als er das Geräusch eines Schlüssels hörte, der ins Schloss gesteckt wurde. Er setzte sich zurück auf das Bett und versuchte, so unschuldig wie möglich auszusehen.

 

Ein hochgewachsener, stämmiger Mann unbestimmbarer Herkunft füllte den Türrahmen aus, der hitzige Ausdruck auf seinem Gesicht wurde betont durch seinen drahtigen, schwarzen Vollbart und seine buschigen Augenbrauen. „Wer sind Sie?„ fragte er ohne Einleitung mit grollender Stimme voll von einer Art osteuropäischem Akzent.

 

„Greenpeace,„ antwortete er ohne nachzudenken, dann wappnete er sich, als der Mann mit großen Schritten auf ihn zukam. Mom hat immer gesagt, dass mich meine große Klappe in Schwierigkeiten bringen würde...

 

Sein Eroberer studierte ihn einen Moment lang und Mulder zwang sich, dem größeren Mann in seine dunklen Augen zu sehen, ohne zurückzuweichen. Dann, mit ruhiger, beinahe zwangloser Miene schlug er Mulder mit seinem Handrücken ins Gesicht.

 

Mulder fiel zurück aufs Bett, vor Schmerz taumelnd, und tastete mit der Hand nach seinem Mund. Der kupferartige Geschmack von Blut badete seine Zunge; er hoffte, dass er ihm nicht die Nase oder den Wangenknochen gebrochen hatte. Er lag einfach da, versuchte seinen Atem ruhig zu halten und schluckte den Schwall von Flüchen, der hervorzubrechen drohte, herunter.

 

„Sie werden uns sagen, wer Sie sind und was Sie hier machen,„ sagte der Mann und seine Finger zuckten. „So oder so. Und wenn wir es nicht herausbekommen, bis wir Nuuk erreichen, dann werden die Kolonisten mehr als glücklich sein, es selbst herauszufinden.„

 

Mulder starrte auf die grobe Decke herab und lehnte den Köder ab.

 

„Mit wem treffen Sie sich in Greenland? Leute vom Widerstand?„

 

Ein verachtungsvolles Schnaufen war Mulders einzige Reaktion.

 

„Sehr gut. Ich werde in Kürze zurück sein. Sie sollten bis dahin Ihren Standpunkt überdenken, oder Sie werden die Konsequenzen vielleicht nicht mögen.„ Er verließ den Raum und schloss die Tür mit einem widerhallenden Klang hinter sich.

 

Gut, ich werde in die Mangel genommen, dachte Mulder. Er wusste aus eigenem Erleben, dass er unter Folter nicht sehr lange durchhielt. Natürlich war er nie zuvor gefoltert worden, wenn Scully in Gefahr war und er vermutete, dass ihm das in seiner Motivation lange Zeit helfen würde. Er stand auf und stolperte zum Waschbecken, spuckte Blut auf das weiße Porzellan, dann spülte er seinen Mund mit dem Wasser aus dem Wasserhahn aus. Er betastete seine Nase und sein Gesicht und war erleichtert herauszufinden, dass nichts gebrochen schien. Dann untersuchte er seinen Mund mit der Zunge und entdeckte, dass ein Backenzahn lose war. Wunderbar. Irgendwie glaubte er nicht, dass er so schnell zahnärztliche Hilfe erhalten würde.

 

Nuuk. Der stämmige Mann hatte gesagt Nuuk. Das war nicht ihr planmäßiger StopNuuk war die kleine Insel vor der Küste, die als Basis der Kolonisten für ihre Aktionen dort diente, dürftig wie sie war. Skinner und der Rest hatten ihr Lager irgendwo an der Küste der Hauptinsel aufgeschlagen, hatte Scully gesagt. Wohin sie weiterfahren würden nach dem kurzen Boxenstop, um ihn den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, oder sie würden in Nuuk bleiben, bis Scully mehr und mehr krank wurde und...

 

Nein. Er lehnte es ab, auch nur daran zu denken.

 

Mulder setzte sich zurück auf die Koje, vergrub sein Gesicht in seinen Händen und wünschte flüchtig, dass er noch an einen Gott glauben würde.

 

 

 

 

 

Scully tauchte in ein Meer von Feuer, ihr Kopf dehnte sich aus wie ein Heißluftballon und die Wunde an ihrer Hüfte pochte in einem schmerzhaften Rhythmus. Sie griff nach einem Glas Wasser und schaffte es nur, es über sich auszuschütten. Sie wimmerte, als sie durch den Schleier ihres Fiebers erkannte, dass sie nicht in der Lage sein würde, sich selbst neues Wasser zu besorgen, und verfluchte sich für ihre Hilflosigkeit.

 

Rico. Wo war Rico? Warum war er nicht hier?

 

Nein, nicht Rico, erinnerte sie sich. Mulder. Mulder war hier irgendwo, nicht wahr? Er war gegangen, um ihr kaltes Wasser zu holen, oh, sie wollte das kalte Wasser so sehr, brauchte es, um ihre brennende Haut zu beruhigen.

 

Ein Geräusch an der Tür fesselte ihre Aufmerksamkeit und sie versuchte, ihren Kopf zu heben, um zu sehen, wer dort war, aber es nützte nichts. Sie war zu schwach. Die Tür wurde geöffnet und sie hörte Schritte auf dem kalten, harten Boden, die sich ihr näherten.

 

„Mulder...?„

 

 

 

 

 

Aus irgendeinem Grund hatten Mulders Fänger beschlossen, ihn für den Rest der Reise nicht weiter zu verhören. Augenscheinlich nahmen sie an, dass die Kolonisten das besser selber konnten, oder sie wollten es nicht darauf ankommen lassen, etwas zu zerstören, was womöglich eine wichtige Ladung war.

 

Er würgte ein bitteres Lachen ab. Oh, wenn sie wirklich wüssten, welch kostbare Ladung sie mit sich führten...

 

Mulder verbrachte zwei Nächte in diesem kleinen Raum, die Monotonie des sich Sorgens um Scully und des Wartens auf sein Schicksal nur unterbrochen durch periodische Besuche eines anderen Osteuropäers, gebaut wie ein Schrank, der ihm Konserventhunfisch zum Essen brachte. Mulder entschied, dass er nie wieder Fisch essen würde, wenn er mit dem Leben davon käme.

 

Am dritten Morgen seiner Gefangenschaft enthüllte ihm sein täglicher Blick aus dem Bullauge eine felsige, imposante Insel, die sich vor ihnen abzeichnete. Nuuk. Ein mittelgroßes Raumschiff blockierte einen Teil der Sonne, während es über dem Horizont hing, das Licht glitzerte auf der Metalllegierung seines Rumpfes. Sein Herz rutschte irgendwo in die Knie, als ihm die Realität der Situation mit aller Härte klar wurde. Hier würde er sterben. Und mehr noch, Scully auch.

 

Vorwärts, Mannschaft.

 

Als sie kamen, um ihn einzusammeln, wehrte er sich, ging den ersten aus der Crew an und versetzte dem zweiten ein paar deftige Schläge, aber der dritte hatte einen Baseballschläger dabei. Er hatte keine Chance.

 

Der letzte Gedanke, den er hatte, bevor er bewusstlos wurde, war, dass er Scully letztlich doch wieder im Stich gelassen hatte. Und wahrscheinlich zum letzten Mal.

 

 

 

 

 

Jemand half Scully, einen Schluck Wasser zu trinken, aber sie konnte nicht herausfinden, wer es war. Alles war verschwommen, als wenn sie die Welt durch Vaseline sehen würde. Dankbar schluckte sie die lauwarme Flüssigkeit herunter und sank zurück auf die Decke. Beneidenswert kalte Finger berührten die Innenseite ihres Handgelenks. „Mulder...„

 

„Mulder ist nicht hier,„ sagte die tiefe Stimme. „Schlaf jetzt.„

 

Scully schloss die Augen und konnte nicht die Kraft aufbringen, nicht zu gehorchen.

 

 

 

 

 

Als Mulder wieder zu sich kam, fand er heraus, dass er bereits ins Hauptquartier der Kolonisten gebracht worden war. Er erkannte es augenblicklich an dem organischen Charakter der Zelle, in der er festgehalten wurde; die Wände waren porös und grün und schienen mit einer dünnen Schicht von Schleim bedeckt zu sein, obwohl sie sich trocken anfühlten. Er lag auf einer dünnen Metallplatte, die aus der Wand herausragte und das diffuse Oberlicht hatten einen warmen gelben Ton. Aber der kälteste Teil war die vollkommene Stille. Kein Summen künstlichen Lichts, keine Geräusche von draußen, nichts das auf die tägliche Routine des Lebens hinwies. Es war, als wäre man in einem Grab gefangen. Worin, wie er bitter dachte, dieser Raum wahrscheinlich enden würde.

 

Der plötzliche Gedanke an Scully verschlug ihm den Atem. War sie in Sicherheit? War sie überhaupt noch am Leben? Sie war so krank gewesen, als er sie das letzte Mal sah, und ohne jemanden, der ihr die nötigen Antibiotika gab, würde es ihr wahrscheinlich schnell schlechter gehen.  Natürlich, wenn die Kolonisten es schafften, ihren Aufenthaltsort aus ihm herauszubekommen, würde es in jedem Fall sinnlos sein. Er hatte Geschichten über die Verhörmethoden der Kolonisten gehört und die Erinnerung daran sandte Kälteschauer über seinen Rücken und eine kalte Faust drückte seinen Magen zusammen.

 

Er musste gegen sie kämpfen. Scullys Leben hing davon ab – wenn sie nicht bereits tot war.

 

Die Tür glitt geräuschlos auf – er hatte nicht einmal bemerkt, dass dort ein Spalt in der Wand war, bevor sie sich zur Seite bewegte – und zwei Kolonisten betraten den Raum. Ihre eiförmigen, schwarzen Augen schauten ihn ausdruckslos an, aber er konnte die Bosheit spüren, die ebenso von ihnen ausging. Der erste streckte einen dürren Arm nach ihm aus, die gestreckten Finger griffen in die Luft.

 

//Du wirst mit uns kommen,// erklang die Stimme in seinem Kopf und plötzlich wusste er von dem Schatten von Braun, den die Worte in seinem Kopf erzeugten, dass das Geschöpf männlich war.

 

Mulder ballte die Fäuste an seiner Seite. „Ich werde Ihnen nichts sagen,„ fühlte er das Bedürfnis, zu sagen. Ein kühner Akt im Angesicht des Unausweichlichen.

 

//Du wirst uns alles sagen,// entgegnete der erste Alien leidenschaftslos, während der Kolonist hinter ihm seine Laserwaffe auf Mulder richtete.

 

Der Betäubungsblitz, der Mulder genau in die Brust traf, ließ ihn zuckend und bewegungsunfähig zurück, während die Aliens ihn aus der Zelle trugen und in das bereitstehende Verhörzimmer brachten.

 

 

 

 

 

Scully spürte, dass sie getragen wurde, aber sie konnte nicht klären, ob es tatsächlich Wirklichkeit war, was sie erlebte oder eine Art durchsichtiger Traumzustand. Sie hatte gehofft, dass es Mulder war, der sie hielt, aber der männliche Körper, der gegen sie gepresst war, war zu mager, die Brust nicht breit genug. Sie wusste, dass sie draußen war, und dass es dunkel und still war.

 

Und dann hörte sie eine Stimme, die irgendwie den Nebel, der ihr Gehirn einhüllte, durchdrang, eine Stimme, die sie lange nicht gehört hatte.

 

„Jesus, was ist mit ihr passiert?„

 

„Skinner...,„ murmelte sie und griff blind nach ihm. Sie spürte, wie seine große, raue Hand ihre nahm.

 

„Wurde verwundet. Infiziert. Krank,„ kam die lakonische Erwiderung von irgendwo über ihrem Kopf.

 

„Wo ist Mulder?„ fragte Skinner. Sie spürte, wie ihr Körper von einer Umarmung in die andere genommen wurde, während Skinner sie an sich zog. Sie bewegten sich nun schnell, Schwaden kalter Nachtluft wie eisige Stachel auf Scullys glühender Haut.

 

„Mulder... kann ihn nicht zurücklassen... Mulder,„ stöhnte sie an seiner Brust.

 

„Wurde gefangen genommen,„ erwiderte der Mann, den sie schließlich als Bishop erkannte. „Haben ihn zu den Kolonisten auf Nuuk gebracht.„

 

Scullys Augen flogen auf, als Bishops Worte durch den Schleier von Schmerz drangen. „Was? Mulder! Nein! Wir müssen ihm helfen...„ Sie krümmte sich in Skinners Armen, Terror legte sich um ihr Herz. „Skinner, nein, bitte, wir müssen Mulder retten. Sie werden ihn umbringen...„

 

„Dana, beruhige dich,„ befahl Skinner. „Wir werden Mulder dort herausholen. Aber du musst dich jetzt ausruhen, okay?„

 

„Mulder...„ protestierte sie schwach, aber ihr Ausbruch hatte ihr all ihre Kraft geraubt, und unwillkürlich glitt sie zurück in einen ungleichmäßigen Schlummer.

 

 

 

 

 

Mulder kauerte in einer Ecke seiner Zelle und konzentrierte sich auf das Atmen, sog die Luft tief in seine Lungen, dann atmete er lang und gleichmäßig aus. Lass deinen Geist nicht wandern. Erinnere dich nicht an das, was sie dir angetan haben. Denk nicht an Scully.

 

Sein Gehirn fühlte sich wie eine Pfütze Schmiere an, die aus seinen Ohren lief und sein Blick war an den Rändern immer noch nicht klar. Die Aliens hatten seinen Geist genommen, ihn von innen nach außen gedreht und ihn dann nach draußen zum Trocknen gehangen. Er grub seine Fingernägel in seine Handflächen, dann biss er sich auf die Unterlippe, bis er Blut schmeckte und konzentrierte sich auf den Schmerz als einen Anker der Realität. Seine Kehle war trocken und rau vom Schreien und das Blutrinnsal auf seiner Zunge ließ ihn husten, bis er würgte.

 

Die Bilder, die sie in sein Gehirn injiziert hatten, flatterten sporadisch durch sein Gedächtnis: alptraumhafte Gräuel, der Körper seiner Schwester zerstört und verstümmelt, Scully lebendig gehäutet...

 

Mulder schlug gegen die Wand mit all seiner Kraft und schrie auf, als er spürte, wie ein Knochen in seiner Hand brach. Er brach auf dem Boden zusammen und rollte sich in Fetusstellung zusammen, konzentrierte sich wieder auf seine Atmung und klammerte sich an einen Gedanken.

 

Wenn sie dich immer noch quälen, bedeutet das, dass sie Scully nicht gefunden haben. Dieses Mantra war die einzige Sache, die ihn vor dem Wahnsinn bewahrte.

 

Die Zellentür glitt auf und drei Kolonisten traten schweigend ein und näherten sich ihm mit ihren kleinen, gleichmäßigen Schritten. Es erschreckte ihn, ein Winseln zu hören, das aus seinem Mund drang und er schluckte ein Schluchzen herunter. „Nein...„ flüsterte er. „Nicht noch einmal...„ Er rollte sich noch mehr zusammen und hielt sich die Arme vors Gesicht.

 

Sie beugten sich herunter und packten ihn grob an den Ellbogen, dann begannen sie ihn über den Boden zu schleifen, seinen Protest außer Acht lassend. „Nein,„ schrie er. „Nicht noch mehr, bitte, ich *kann* nicht...„

 

Als sie schließlich wieder den Verhörraum erreichten, war sein Flehen zu sinnlosem Schreien degeneriert.

 

 

 

 

 

„Du siehst schon viel besser aus.„

 

Scully schaffte es, Skinner ein schwaches Lächeln zu schenken. „Das sind die Medikamente. Sie täuschen.„

 

Skinner grinste, dann setzte er sich auf den Matratzenrand und blickte verstohlen auf die piependen Monitore zu beiden Seiten des Bettes, während er das tat. Scully musste zugeben, dass sie beeindruckt war von der medizinischen Ausrüstung, die sie hier zusammengebaut hatten. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie geschworen, dass sie Patientin in einem wirklichen Krankenhaus war und nicht bei irgendeinem erschöpften Widerstandsführer in einer verlassenen Grundschule in Narsaq, Greenland.  Der Venentropf in ihrer Hand war allzu authentisch und sogar der Arzt, der nach ihr sah, pflegte einen Hauch von Professionalismus, der beinahe unter den gegebenen Umständen fehl am Platze schien. Und es gab die erstaunliche Tatsache, dass der erwähnte Arzt es geschafft hatte, ad hoc eine Hauttransplantation an Scullys Hüfte vorzunehmen. Es schmerzte unerträglich, aber wenigstens würde es verdammt viel besser aussehen, als wenn es man es vernarben hätte lassen.

 

„Ernsthaft, wie fühlst du dich?„ bestand Skinner darauf, zu erfahren.

 

„Mir geht es gut. Im Moment mache ich mir viel mehr Sorgen um Mulder,„ erwiderte sie grimmig.

 

Er nickte und sie sah etwas über sein Gesicht huschen, aber es war sofort wieder weg. „Ich werde ein Team zusammenstellen, um ihn da rauszuholen. Aber es wird eng werden. Wir haben niemals jemanden erfolgreich retten können von einem Außenposten der Aliens.„

 

„Nun, dann wird es das erste Mal sein, nicht wahr?„

 

Er sah sie nicht an. „Das wird es.„

 

Sie legte ihre Hände auf ihren Bauch, als wenn das irgendwie die Schmetterlinge daran hindern könnte, darin herumzuflattern. Sie hatte Geschichten davon gehört, was man Gefangenen der Kolonisten angetan hatte.  Wenn auch nur die Hälfte davon wahr war... Sie schloss ihre Augen, ihr war plötzlich schwindlig bei dem Gedanken an Mulder in den Klauen der Aliens. Verletzt, vielleicht sogar schon tot. Nein. „Wann macht ihr euch auf den Weg?„

 

Skinner sah sie wieder an. „Morgen Nacht.„

 

„Morgen?„ fragte sie, ihre Stimme wurde laut. „Skinner, er ist dort schon zwei Tage. Wir können von Glück reden, wenn er nicht... wenn er nicht...„ Sie brachte es nicht fertig, es zu sagen, verlegte sich stattdessen darauf, Skinner den abscheulichsten Blick zuzuwerfen, den sie fertigbrachte.

 

Der zuckte zusammen. „Wir müssen das sehr sorgfältig planen. Es ist nicht irgendein Überfall wegen Konserven oder auch Waffen. Das geht genau ins Herz der Bestie. Eine falsche Bewegung und wir sind alle tot. Das weißt du. Scheiße, das ist Wissen aus dem ersten Jahr an der Akademie, Dana.„

 

Er hatte recht. Natürlich hatte er recht. Und vor einem Monat hätte sie ihm sofort zugestimmt. Aber nun war alles, was zählte, den Mann, den sie liebte in einem Stück zurückzubekommen. Sie seufzte. Sie wurde definitiv weich. Zu blöd.

 

Aber sie hatte immer noch die Verantwortung und Skinner tat gut daran, sich daran zu erinnern. „Ich möchte, dass du die gesamte Aktion mit mir durchgehst, bevor du irgendwohin gehst,„ sagte sie in ihrer besten Kommandostimme. „Ich habe das letzte Wort, wie die Sache vonstatten geht und ja, das ist ein Befehl. Alles klar?„

 

Sein Kiefer arbeitete. „Ja, Ma’am.„

 

Scully lehnte sich zurück in die Kissen, plötzlich unglaublich müde. „Gut. Dann geh jetzt, bitte.„

 

Skinner atmete heftig aus, protestierte aber nicht. Seine Schritte klangen schwer und laut auf dem Linoleum, als er hinausging.

 

Scully schloss die Augen und versuchte, nicht an eine Welt ohne Mulder zu denken. Die hatte sie vorher gehabt. Und sie sollte verdammt sein, wenn sie die wieder haben sollte.

 

 

 

 

 

Die heulenden Sirenen brachten Mulder dazu, vor Schmerz zu schreien und sich die Hände auf die Ohren zu pressen. Was war passiert? War das irgendeine neue Form von Folter? Hatten sie von ihren ausgeklügelten Kopfsonden abgelassen und wandten nun etwas einfacheres an? Ohne einen zusammenhängenden Gedanken fand er sich unter der Metallplatte, die ihm als Bett diente, zusammengerollt und versuchte, der Quelle des Geräuschs zu entkommen. Er rollte sich in Fetusposition zusammen, die beinahe seine stetige Lage geworden war und betete darum, dass einfach alles... vorbei wäre.

 

Als die Tür aufglitt, füllten sich seine Augen mit Tränen. Sie kamen wieder zu ihm. Und es gab keine Möglichkeit, dass er diesmal in der Lage war, irgend etwas vor ihnen zu verbergen. Seine Abwehr war schließlich vollkommen zerstört worden. Er hoffte nur, dass wenn Scully wirklich tot war, es ihm erlaubt war, sich ihr bald zuzugesellen.

 

„Wo zur Hölle ist er?„ erklang eine klare menschliche Stimme. Ein Hauch von Hoffnung lief über Mulders Rücken.

 

„Da. Unter der Koje.„ Ein anderer Mensch?

 

Mulder drehte den Kopf und sah ein Paar Stiefel direkt vor seinem Gesicht.  Aliens trugen neuerdings Schuhe? Hä? „Bitte, lassen Sie mich allein,„ schaffte er zu krächzen.

 

Das nächste, was er sah, war das letzte, was er erwartet hatte zu sehen: ein vertrautes Gesicht, obwohl er es nicht einordnen zu können schien. In seinem Kopf schwammen Bilder und namenlose Gräuel, während er nach der Antwort suchte. Er gab auf, schloss seine Augen, rammte seinen Kopf sanft gegen den Boden und konzentrierte sich stattdessen auf den Schmerz. Wenn es wehtut, bin ich immer noch am Leben...

 

„Mulder, ich bin es, Walter Skinner. Wir holen Sie hier raus. Können Sie hervorkommen? Können Sie stehen?„

 

Er hörte auf, sich selbst zu quälen und blickte den Mann wieder an. Skinner hatte er gesagt. Er war... „Skinner?„ fragte er leise und wagte nicht, es zu glauben.

 

Erleichterung zeigte sich in den Augen des älteren Mannes. „Ja Mulder, Ihr alter Boss, erinnern Sie sich? Nun befehle ich Ihnen, da unten vorzukommen. Wir haben nicht viel Zeit. Oder wollen Sie, dass die Schleimlinge uns finden, bevor wir Sie hier herausbringen können?„

 

Bei dem Gedanken daran, wieder in den Klauen der Aliens zu sein, zwang sich Mulder zum Handeln. Er biss die Zähne zusammen und kroch auf Händen und Knien unter der Koje hervor. Skinner half ihm, aufzustehen, aber er schwankte unbeständig hin und her.

 

„Jesus, sehen Sie ihn an,„ meinte ein weiblicher Soldat.

 

„Halt die Schnatter und dann los,„ schnappte Skinner. „In Ordnung Mulder, mal sehen, ob mein Gewichtheben sich bezahlt macht.„ Er bückte sich und warf sich Mulder in Feuerwehrmannsart über die Schulter. Mulder kämpfte eine Welle von Übelkeit nieder, als der Boden ihm entgegenzukommen schien und sein Blick verschwamm.

 

 

 

„Deckt mich, Leute,„ forderte Skinner.

 

Die Flucht aus dem Hauptquartier der Aliens heraus lief in einem lauten, unharmonischen und verschwommenen Bild vorbei von Mulders vorteilhaftem Punkt aus. Das Zischen von Laserfeuer, das blutgerinnende Geräusch der Schmerzensschreie von Menschen und Aliens, der Gestank von verbranntem Fleisch – er war sich nicht sicher, ob das alles überhaupt real war oder nur eine neue Taktik der Aliens, um seinen verwundbaren Geist zu quälen.

 

„Bewegung Leute, Bewegung, Bewegung!„ schrie Skinner und als sich seine Schritte beschleunigten, glaubte Mulder wirklich, ihm würde schlecht werden. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, sich nicht zu übergeben.

 

Als er seine Augen wieder öffnete, entdeckte er ein Lasergeschoss beinahe direkt vor seinem Gesicht und zuckte zusammen angesichts der Hitze, die das Ding an seiner Haut erzeugte. Das Bild von Scullys verbranntem Fleisch unter seinen Händen drang in sein Gehirn und er kämpfte darum, es loszuwerden, ohne Erfolg.

 

„Herr im Himmel,„ hörte er Skinner von irgendwo über ihm murmeln. Sein alter Boss schoss herum – Mulder kam das Essen wieder hoch – und feuerte eine Lasersalve ab. Aus den Augenwinkeln sah Mulder die graue Gestalt zu einem zerfallenen Haufen zusammenfallen. Er erlaubte sich ein grimmiges Lächeln, bevor er schließlich bewusstlos wurde.

 

 

 

 

 

Der Tumult auf dem Flur vor ihrem Zimmer weckte Scully aus einem unruhigen Schlaf. Sie blinzelte in der Dunkelheit und fand sich zurecht, als sie Skinners Stimme vernahm, die einen Befehl brüllte. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie zerrte an dem Venentropf an ihrer Hand, riss ihn heraus und warf in auf das Bett. Dann schwang sie die Beine über die Bettkante und stellte sich langsam auf die Beine. Zuerst schwankte sie, aber nachdem sie angehalten hatte, um ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen und sich zu festigen, fühlte sie sich gut genug, um sich zu bewegen. Sie stolperte hinaus auf den Flur.

 

Eine Gruppe von Frauen und Männern, die Skinner bei dem Überfall begleitet hatten, hatten sich im Türrahmen des Zimmers neben ihrem versammelt.  Ungeachtet ihres gemurmelten Protestes drängte sie sich an ihnen vorbei.

 

Das Zimmer war beinahe identisch mit dem, in dem sie lag: Monitore, Tropfständer, ein Bett mit Seitengittern. Skinner und Dr. May beugten sich über die stille, dunkle Gestalt auf dem Bett.

 

„Mulder?„

 

Skinner und Dr. May drehten sich zu ihr um. „Sie sollten im Bett sein, Dana,„ sagte Dr. May vorwurfsvoll. Scully starrte die ältere Frau nur an und fegte an ihr vorbei, ihre Gedanken waren auf die dunkle Gestalt auf dem Bett konzentriert.

 

Es war Mulder, dunkle Ringe unter seinen geschlossenen Augen, Kerben an seinen Händen, fettige Haare, eine böse Schnittwunde an der Lippe. Sie spürte die Tränen kommen, als sie ihm das Haar aus der Stirn strich und zärtlich seine Wange liebkoste. „Was haben sie dir angetan?„ flüsterte sie und betrachtete sein Gesicht.

 

„Er war völlig durcheinander, als wir ihn fanden,„ sagte Skinner leise. „Zu einem Ball zusammengerollt unter seiner Koje, ohne Reaktionen, desorientiert... sie haben einen Bombenjob an ihm geleistet.„

 

Scully blickte Dr. May scharf an. „Wird er wieder in Ordnung kommen?„

 

Die Ärztin steckte die Hände in die Taschen ihres Laborkittels und sah Scully unbehaglich an. „Physisch ist er in Ordnung, nur unterernährt und ausgetrocknet. Mental...„ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Dana. Nur die Zeit wird es zeigen.„

 

Scully lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Liebhaber, der sich zu bewegen begann. „Mulder? Mulder, ich bin es. Du bist jetzt in Sicherheit, niemand wird dir mehr wehtun...„

 

Seine Augenlider flatterten, dann öffneten sie sich. Sein Blick war leer, bis er sich mit Mühe auf ihr Gesicht zu konzentrieren schien. Sein Mund arbeitete und er leckte sich die Lippen. „Sc... Scully?„

 

Scully blinzelte heftig, die Tränen liefen über ihre Wangen. „Ja, ich bin es. Gott sei Dank bist du in Ordnung...„ Sie beugte sich über ihn und legte ihren Kopf auf seine Brust. Das Schlagen seines Herzens war die lieblichste Musik, die sie jemals gehört hatte. Sie atmete ihn ein und flüsterte ein lange vergessenes Gebet aus dem Katechismus. Einen Moment später spürte sie seine Hand, die sich auf ihren Hinterkopf legte und ihr Haar fest griff.

 

Auch nachdem Skinner und Dr. May das Zimmer verlassen hatten, verweilten sie so noch lange, lange Zeit.

 

 

 

 

 

Mulder wanderte durch die Korridore der alten Schule, machte sich mit dem Terrain vertraut und versuchte vorzugeben, dass alles einfach in Ordnung war. Dr. May hatte ihm gesagt, dass sie keinen Grund sah, ihn im Bett zu halten, da er physisch in Ordnung war und da es keinen Psychiater auf dem Gelände gab, gab es leider verdammt wenig, was sie tun konnte, außer ihm ein freundliches Ohr zu schenken und ihm vielleicht ein paar Antidepressiva zu verabreichen, wenn er glaubte, dass er sie braucht. Mulder versicherte ihr, dass im Grunde die am meisten qualifizierte Person, um mit seinem Problem umzugehen in der Tat er selbst war, und wenn er glaubte, er bräuchte ein paar Glückspillen, würde er es sie wissen lassen. Und dann drehte er sich um und ging aus dem Zimmer, weil er plötzlich davon überzeugt war, dass kleine Spinnen über ihr Gesicht liefen.

 

Die Halluzinationen waren ärgerlicher als alles andere, er wusste, dass sie nur das waren: gefälschte Visionen, aber es fiel ihm manchmal schwer, den mehr viszeralen Teil seiner Psyche davon zu überzeugen. Skinner behauptete, er hätte gehört, dass die Halluzinationen mit der Zeit verschwanden, aber er war sich nicht sicher, welche Art von Zeitrahmen man erwarten musste.  Scully hatte er nichts davon erzählt, obwohl er das Gefühl hatte, dass Skinner sie über jeden seiner Schritte unterrichtete.

 

Skinner. Er war überrascht gewesen von seiner Reaktion auf den Mann; als er ihn das erste Mal, nachdem er gerettet worden war, gesehen hatte, war Mulders erster Gedanke nicht Dankbarkeit, sondern eher, dass Scully mit ihm schlief. Nein, um genauer zu sein, mit ihm geschlafen hatte. Er hatte zuerst mit Scully geschlafen. Ziemlich territorial von ihm und oh so reif.

 

Skinner schien genauso misstrauisch zu sein und schätzte ihn mit offensichtlichem Misstrauen ab und überwachte seine Reaktionen. Gut, verdammt. Entweder sie würden in der Lage sein, zusammenzuarbeiten oder nicht. Scheiße.

 

Er hielt in der Bewegung inne und erkannte, dass sein sinnloses Umherwandern ihn von dort fernhielt, wo er wirklich sein wollte: Scullys Zimmer. Seit er gerettet worden war, hatten sie so viel Zeit miteinander verbracht wie möglich, wenigstens so viel, wie Dr. May jedem von ihnen erlaubte. Es war, als ob sie die ständige Bestätigung brauchten, dass sie beide in Sicherheit und am Leben und zusammen waren. Es war der Gedanke an Scully, der es ihm jeden Morgen erlaubte, aufzustehen und seine Augen am Abend zu schließen, trotz der Alpträume, die bestimmt kamen. Es musste ihm wieder besser gehen, und wenn es nur dazu diente, für sie da zu sein, ihr bei ihrer Suche zu helfen, wie sie einst ihm bei seiner geholfen hatte.

 

Er seufzte müde und lief zu ihrem Zimmer.

 

 

 

 

 

„Also, wann kommst du aus diesem Bett raus?„ fragte Mulder.

 

Scully lächelte schwach angesichts Mulders Versuch, normal zu sein. „Morgen, wurde mir versprochen, obwohl ich mich bereits gut fühle. Dr. May ist ein richtiger Tyrann.„

 

„Das habe ich bemerkt.„

 

Scully betrachtete ihn kritisch, als er sich in den Sessel neben ihrem Bett warf. Er sah immer noch verdammt schlecht aus, obwohl sie sich eher die Zunge abbeißen würde, als es ihm zu sagen. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren immer noch nicht verschwunden, nicht einmal jetzt, eine Woche später, und sie fürchtete, dass die Zerstörung, die die Kolonisten an seiner Psyche begangen hatten, nicht mehr zu reparieren war. Sie eilte beinahe jede Nacht an seine Seite, wenn er im Schlaf schrie, und selbst die stärksten Medikamente, die Dr. May ihm widerwillig in dem Versuch, seine Träume zu unterdrücken, verabreichte, waren nicht sehr hilfreich.

 

Mulder lehnte es ab, darüber zu sprechen, was ihm passiert war, er gab nur zu, dass die Aliens sein Gehirn mit grausamen Bildern jenseits der schlimmsten Vorstellungen von jedermann infiltriert hatten, in dem Versuch, Informationen aus seinem Kopf zu bekommen. Er beschrieb es damit, in einem Bosch-Gemälde zu stecken, aber mit dem vollen Wissen, dass man es alles auf sich selbst bezog. Scully unterdrückte ein Zittern bei der Erinnerung an den glasigen Ausdruck in seinen Augen, als er es ihr gegenüber zugab.

 

Sie wusste aus den Geschichten anderer, die die Verhörmethoden der Kolonisten erlebt hatten, dass es eine ‚Ihrer’ Spezialitäten war, den Geist zu verdrehen, so dass man in dem ständigen Zustand war, nicht zwischen Alptraum und Realität unterscheiden zu können. Mulder hatte nicht davon gesprochen und sie wollte ihn nicht drängen. Seit seiner Ankunft in der Basis hatte es nur zwei Zwischenfälle gegeben (von denen sie wusste), über die sie sich wunderte: er war eines Nachts in der Kantine ausgeflippt und hatte sein Dessert durch den Raum geschleudert (Skinner war Zeuge dieser beunruhigenden Vorstellung gewesen und hatte ihr in einem sorgfältig neutralen, festen Ton davon berichtet); und das andere Mal, als er sie besuchte, hörte er plötzlich mitten im Satz auf, versteifte sich und sagte, „Scully, da ist eine Schlange...„ Dann begriff er, was er da gesagt hatte und rannte aus dem Zimmer. Er war an diesem Tag nicht mehr zurückgekommen.

 

Nun saß er geduldig unter ihrem prüfenden Blick, an ihre kurze Untersuchung gewöhnt, der sie ihn jedes Mal unterzog, wenn sie sich sahen. „Habe ich die Inspektion heute morgen bestanden?„ fragte er leise, mit einem Hauch von Zorn in seiner Stimme.

 

„Wie hast du letzte Nacht geschlafen?„ entgegnete sie.

 

„Was denkst du, wie ich geschlafen habe?„

 

Sie hielt seinem Blick einen Moment stand, dann senkte sie ihren und betrachtete stattdessen die armeegrüne Decke über ihrem Schoss. Sie wusste nur zu gut, dass er nicht geschlafen hatte, er hatte sie ebenfalls fast die ganze Nacht wachgehalten. „Hast du heute Morgen etwas gegessen?„

 

„Ja, Frau Doktor.„ Diesmal schaffte er es, Zorn und Zuneigung gleichzeitig in seiner Stimme zu mixen.

 

„Gut.„ Sie seufzte und erkannte, wie sie sich anhörte. „Ich will keine Glucke sein,„ sagte sie, „aber du weißt, dass ich mir Sorgen um dich mache.„

 

„Ich weiß.„ Er grinste. „Ich... muss zugeben, dass ich es irgendwie mag.„

 

Scully rollte mit den Augen. „Das hast du früher nie.„

 

„Ja nun, die Dinge ändern sich.„ Sein Gesichtsausdruck war einen Moment unlesbar, dann schien er heiterer zu werden. Er stand aus seinem Sessel auf und kam zu ihr herüber, setzte sich neben sie aufs Bett und zog sie in seine Umarmung, sorgfältig darauf bedacht, nicht an den Venentropf zu stoßen, der immer noch in ihrer rechten Hand steckte oder an seinen eigenen kaputten Finger, von dem er behauptete, er hätte ihn sich bei einem Unfall gebrochen. Sie waren auch damit beschäftigt, einen Zahnarzt aufzutreiben, der seinen losen Backenzahn behandelte. Gott, dieser Mann war das reinste Chaos. Sie lehnte sich an ihn, als er seine Arme um sie schlang und seine Hände auf ihre legte. Er roch nach der billigen Industrieseife, die sie in der Basis benutzten, aber es kümmerte sie nicht. Was sie betraf, so roch er großartig. Er war ein Chaos, aber er war ihr Chaos.

 

„Warst du heute bei Dr. May?„ fragte sie.

 

Mit den Lippen strich er über ihr Haar. „Ja. Sie versucht immer noch, mich mit Tabletten zu versorgen.„

 

„Mulder, wenn du glaubst, dass sie vielleicht helfen könnten...„

 

„Nein,„ sagte er fest. „Sie werden nicht. Ich komme in Ordnung, Scully. Es dauert nur einfach seine Zeit, das ist alles.„

 

„Ich hoffe es,„ murmelte sie.

 

„Ich weiß es. Jetzt,„ sagte er, schob ihr Haar zur Seite und senkte seinen Kopf, um seine Lippen auf ihren Hals zu drücken,„ habe ich im Moment wichtigere Dinge in meinem ziemlich bedenklichen Kopf...„

 

Scully schloss die Augen und lächelte. Seine Lippen waren warm und weich und fühlten sich oh so gut an...

 

„Entschuldigung, ich wollte nicht stören.„

 

Ihre Augen flogen auf und sie sah Walter Skinner, der in der Tür stand und überaus verlegen aussah. Mulders Lippen lösten sich von ihrem Hals und sie wischte die kühle Feuchtigkeit fort, die sie auf ihrer Haut hinterlassen hatten. „Das ist okay,„ erwiderte Scully und streckte sich in Mulders Umarmung. Mulder ließ sie nicht los.

 

Skinners Blick flog zu Mulder, dann zurück zu ihr. „Es gibt ein paar Dinge, die wir besprechen müssen.„

 

„Ja?„

 

Skinner sah wieder zu Mulder. „Unter vier Augen.„

 

Mulders Hand legte sich so fest um ihr Handgelenk, dass sie sich fragte, ob er sich dessen überhaupt bewusst war, dass er es tat. „Wenn es sich um Widerstandsdinge handelt, die du besprechen musst, sehe ich keinen Grund dafür, dass Mulder gehen sollte,„ antwortete sie ruhig. Sie konnte spüren, wie Mulder sich verspannte und sie verfluchte Skinner innerlich dafür, dass er den Stresslevel ihres Liebhabers erhöhte.

 

„Es wäre mir angenehmer, wenn ich mit dir allein reden könnte,„ bestand Skinner darauf, aber sie konnte den Zweifel in seiner Stimme hören.

 

„Ich bin kein Verräter,„ stieß Mulder hervor. Sein Daumennagel presste sich in das zarte Fleisch auf der Unterseite ihres Handgelenks und Scully unterdrückte ein schmerzvolles Stöhnen.

 

„Ich habe nicht gesagt, dass Sie einer sind.„

 

„Blödsinn.„ Mulder ließ Scully mit überraschender Sanftheit aus seiner Umarmung gleiten und ging hinüber zu Skinner. Er stellte sich ihm gegenüber in einer Pose, die, wie Scully annahm, machohaft sein sollte, die Hände in die Seiten gestemmt. „Sie wollen mir irgendetwas vorwerfen Skinner, dann los, sagen Sie es. Tanzen Sie nicht um den heißen Brei herum. Ich habe es nicht getan. Ihnen etwas erzählt. Gar nichts.„ Er atmete nun schwer, seine innere Wut nach außen sichtbar.

 

„Woher wissen Sie das?„ entgegnete Skinner. „Wie können Sie wissen, ob Sie ihnen etwas erzählt haben oder nicht? Als ich Sie fand, wussten Sie nicht einmal, wo oben und unten war.„

 

„Das reicht,„ sagte Scully scharf und beide Männer drehten sich um und sahen sie an, als hätten sie vergessen, dass sie da war. „Wir haben keine Zeit für diesen pubertären Mist. Mulder, Skinner hat eine Meinung. Aber,„ fuhr sie über seinem erstickten Protest fort. „Ich denke, diese Meinung ist strittig, Skinner. Mulder wusste nicht, wo sich die Basis befindet, also konnte er es ihnen nicht erzählen, selbst wenn er es gewollt hätte. Abgesehen davon...„ Sie zuckte mit den Schultern. „Was gab es sonst noch zu erzählen? Ich bin hier, oder? Wir sind so sicher, wie wir sein können, nicht wahr? Mulder ist jetzt genauso ein Risiko, wie wir alle. Es macht keinen Sinn, ihm irgendetwas vorzuenthalten, besonders wenn man berücksichtigt, was er gerade unseretwegen durchgemacht hat.„

 

Skinners Kiefer wurde starr, als er ihre Worte überdachte. „Gut,„ sagte er einen Herzschlag später. „Du willst, dass ich ihm vertraue, also tue ich es.„

 

„Uh, danke,„ meinte Mulder sarkastisch, aber Scully bändigte ihn mit einem Blick. Es war seltsam genug, mit den beiden allein zu sein, nachdem so viel zwischen ihr und jedem dieser Männer passiert war; sie brauchte ihre Eifersucht nicht, um das Problem noch zu vergrößern.

 

„Also, worüber möchtest du sprechen,„ forderte Scully Skinner auf und versuchte, sie zurück zur Sache zu bringen. Mulder kehrte auf seinen Platz auf ihrer Bettkante zurück. Sie griff nach seiner Hand und er nahm sie unwillig und präsentierte Skinner Einigkeit. Scully drückte seine Hand aufmunternd und war erfreut, als er den Druck erwiderte.

 

Skinner strich sich mit einer Hand über seinen kahlen Schädel, bevor er antwortete. „Ich wollte wissen, wie weit du mit deinen Bemühungen um die Entwicklung eines biologischen Faktors bist. Ich wollte dich damit nicht früher behelligen, aber es ist entscheidend für all unsere Zukunftspläne.

Ich muss wissen, wann ich all die Lager auf der Insel zusammenführen kann.„

 

Scully seufzte. „Ich weiß es nicht. Als ich wegging, hatte ich ein paar neue Versuche gestartet, ebenso konnte ich eine Blutprobe von jemandem bekommen, der von Natur aus immun gegen den Virus ist. Ich habe alle Informationen an einen Wissenschaftler weitergegeben, den ich kürzlich befreit habe, ein gewisser Harrison Fields. Ich hatte gehofft, dass mich ein paar Neuigkeiten von ihm erwarten würden, als ich hier ankam.„ Sie hielt inne und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. „Rico hätte mir schon eine Nachricht zukommen lassen.„ Die Trauer um Ricos Tod begann, an diesen dunklen Platz in ihrem Herzen zurückzuweichen, wo bereits ihre Mutter war, wo die Erinnerung an den Mulder, der sie den Wölfen überlassen hatte immer noch vorhanden war. Sie würde sich darum kümmern, auf ihre eigene Art, zu ihrer eigenen Zeit.

 

Mulder liebkoste ihren Handrücken mit seinem Daumen. „Vielleicht wartet Fields mit seinem Bericht, bis er ein paar gute Neuigkeiten hat.„

 

„Vielleicht.„ Skinner blickte skeptisch drein.

 

Scully war dabei, darauf zu beharren, dass Fields den Durchbruch erzielen würde und wenn nicht, würde sie selbst wieder Laborversuche vornehmen, als Skinners rechte Hand, Richard Yoo, in den Raum platzte.

 

„Neuigkeiten,„ sagte er atemlos. „Wir haben gerade herausgefunden, dass das Frachtschiff, das Sie beide hierher gebracht hat, am selben Tag, an dem wir Mulder retteten, draußen auf dem Atlantik explodiert ist. Ein Mutterschiff der Kolonisten zerstörte es.„

 

Scully sah aus den Augenwinkeln, wie Mulder bleich wurde. „Dann bedeutet das...„

 

„... dass ich denen erzählt habe, dass du auf dem Schiff bist,„ beendete Mulder den Satz. „Oh Gott.„ Er machte sich von ihr los und rannte aus dem Zimmer, trotzdem Scully seinen Namen rief und ihn anflehte, zu bleiben.

 

Es herrschte ein kurzes Schweigen. „Auch auf die Gefahr hin, dass ich es dir gesagt habe...„

 

„Halt die Klappe, Skinner. Das bedeutet immer noch nicht, dass man Mulder nicht trauen kann.„

 

Skinners Gesicht war ausdruckslos. „Wir werden sehen.„

 

 

 

 

 

Mulder verbrachte die nächsten paar Tage hinter in einem Dunst aus Schuld und Selbstmitleid, trotz Scullys Bemühungen sein Gewissen zu beruhigen.  Natürlich war es nicht seine Schuld, dass die Kolonisten Informationen aus seinem Kopf holten, egal wie hart er gegen sie ankämpfte; aber die Tatsache blieb, dass alle auf dem Frachtschiff nun wegen ihm tot waren. Um die von der Mannschaft, die ihn eingesperrt hatten, machte er sich keine Sorgen, aber Bishop war am Ende doch für Scully dagewesen, und in tausend Stücke zerfetzt worden zu sein, schien keine angemessene Bezahlung dafür.

 

War es nicht lächerlich für einen arbeitslosen Killer, dass ihn solche Gedanken beschäftigten? Mulder war sich der Absurdität der Situation nur allzu bewusst. Aber er hielt sich selbst nicht mehr länger für einen kaltblütigen Henker. Er hatte sich verändert. Leben bedeutete ihm jetzt wieder etwas.

 

Und so blieb er weiterhin auf Distanz, auch als Dr. May Scullys Bettruhe aufhob, wollte er in seinem Kokon aus Selbstverachtung gehüllt bleiben, ohne gestört zu werden. Und dann, eines Nachts, kam sie zu ihm, als er schlief und schlüpfte zu ihm ins Bett.

 

Er erwachte allmählich, weil ihre Zunge ohne Unterlass über sein Ohrläppchen glitt, und es schockierte ihn, dass sein Körper beinahe sofort mit voller Erregung reagierte. Obwohl das auch etwas mit der Tatsache zu tun gehabt haben könnte, dass ihr schlanker nackter Körper an seinen gepresst war und sehr, sehr warm war.

 

„Ich habe keinen Zimmerservice bestellt,„ schaffte er zu krächzen.

 

„Es ist ein zusätzlicher Gabenteller,„ schlug sie zurück und küsste ihn auf die Lippen.

 

Mulder erwiderte den Kuss, insgeheim erfreut darüber, dass sie zu ihm gekommen war, obwohl er so eine Nervensäge in der letzten Zeit gewesen war.  Er war außerdem dadurch erregt, dass sie sich schließlich so gut fühlte, um mit ihm so zusammenzusein, und er glaubte, die Tatsache, dass es ihr gut ging, war alles, was am Ende zählte.

 

„Du solltest wissen, dass ich aus rein uneigennützigen Gründen hier bin,„ murmelte Scully in seinen Mund.

 

Er zog sich ein wenig zurück und zog seine Augenbrauen hoch. „Oh?„

 

Sie nickte und ihre blauen Augen waren dunkel und ernst in der Dämmerung des Raumes. „Mulder, ich glaube, du warst so besessen davon, mich zu heilen und sicherzustellen, dass ich in Ordnung bin, dass du dir nicht die Zeit genommen hast, selbst zu heilen. Und ich war so in mein eigenes Melodrama verfangen, dass ich mir nicht die Zeit genommen habe, dir dabei zu helfen. Und ich möchte, dass das aufhört. Sofort. Es *muss* aufhören.„

 

„Scully, du musst nicht...„

 

„Was?„ fragte sie, ihn unterbrechend. „Dir nicht helfen? Mich um dich sorgen? Dich nicht brauchen oder dich lieben? Ist es das, was du sagst?„

 

Er schüttelte mit großer Anstrengung den Kopf. „Du weißt, was ich meine, Scully.„

 

Sie sah ihn mit solcher Traurigkeit an, dass er seine Worte sofort bereute. „Ich weiß, was du meinst. Du meinst, du hast so wenig Liebe für dich selbst, dass du dir nicht vorstellen kannst, dass da Raum ist für jemand anderen, dich zu lieben. Du bist so versessen darauf, dich selbst zu bestrafen, dass du dir nicht vorstellen kannst, dass da jemand ist, der dich heilen möchte. Du lehnst mich genauso ab, wie du die Tabletten ablehnst, die dir Dr. May anbietet.„

 

„Das ist nicht wahr...„ sagte er hilflos.

 

„Nun, dann lass es uns herausfinden, oder?„ meinte sie, ihr Ton plötzlich leicht. Sie setzte sich rittlings auf seine Hüften, dann beugte sie sich über ihn und knabberte mit ihren Lippen an seinen. „Lass mich dich lieben, Mulder. Lass mich dir zeigen, dass all der Hass fort ist. Lass mich dir zeigen, wie sehr ich dich liebe, wie du mich fühlen lässt, wie du es verdienst, zu fühlen. Du hast es für mich getan, öfter als ich zählen kann.

Es ist mehr als an der Zeit, dass ich dir diesen Gefallen zurückgebe.„

 

„Ich habe dir schon einmal gesagt, du schuldest mir gar nichts,„ stieß er hervor, gerade als Feuer seine Leistengegend bis zu dem Punkt entflammte, an dem er kaum noch zusammenhängend denken konnte. Er unterdrückte das Verlangen, sich ihr entgegenzubäumen, sich selbst sinnlos an diesem zierlichen Körper zu reiben, der seinem so nahe war.

 

Sie nahm sein Ohrläppchen in den Mund und saugte zärtlich daran und entlockte damit seinen Lippen ein raues Keuchen. „Du begreifst es immer noch nicht, nicht war?„ flüsterte sie ihm ins Ohr, ihr warmer Atem kitzelnd und erregend an der sensiblen Haut. „Es geht nicht darum, jemandem etwas zu schulden, Mulder. Es geht um Gleichheit. Partnerschaft. Dich und mich. In allen Dingen. Wie früher, nur mit Gewinn.„ Ihre Hand wanderte unter sein T-Shirt und begann, seine Brust zu liebkosen. „Verstehst du?„

 

Hatte sie an diesem Punkt eine klar erkennbare Antwort erwartet? Er entschied sich für ein Nicken und sie lächelte. „Gut,„ schnurrte sie praktisch. Sie küsste ihn wieder, langsam und tief. Ihre Hände setzten währenddessen ihr Expedition fort, kitzelten über seinen Bauch zu seinem Rippenbogen, und als sich ihre Finger um eine sensible Brustwarze schlossen, atmete er heftig in ihren Mund aus. Sie rieb die harte Brustwarze zwischen Daumen und Zeigefinger, während sie fortfuhr, ihn zu küssen; ihre Zunge war heiß an seiner, glitt über seine Zähne und seine Lippen in demselben gemächlichen Rhythmus, den ihre Hand an seiner nun extrem empfindlichen Brustwarze benutzte. Schließlich löste sie ihren Mund von seinem, schob sein Shirt zu seinem Hals hoch und ersetzte ihre Hand durch ihre Zunge und ihre Zähne.

 

„Gott, Scully...„ flüsterte er, sich beinahe davor fürchtend, sie zu berühren oder irgendetwas zu tun, das sie ablenken könnte oder den Zauber brechen. Er entschied sich dafür, seine Hände behutsam auf ihre Schultern zu legen, während er sie beobachtete, wie sie an ihm saugte. Seine Erektion schaffte es, sogar noch mehr anzuschwellen und beinahe schmerzhaft gegen seine Boxershorts zu drücken.

 

Scully hob den Kopf und sah ihn mit einem räuberischen Schimmer in ihren Augen an. Sie zog ihm grob das Shirt über den Kopf und warf es beiseite, bevor sich ihr Kopf wieder senkte. Er stöhnte, als sie begann, ihn mit ihrer Zunge zu baden, ihren Mund über seine Brustmuskeln, seine Brustwarzen, seine Rippen, seinen Nabel wandern ließ. Es schien ihm, als würde nicht ein einziger Quadratzentimeter seiner entflammten Haut ihrer sorgfältigen Aufmerksamkeit entgehen. Er krümmte sich schamlos unter ihr, als sie die Haut an seinem Unterkörper zwischen ihre Zähne nahm und sanft daran saugte. „Versuchst du... mir Knutschflecke zu verpassen?„ schaffte er hervorzustoßen.

 

Ihr Glucksen als Antwort führte nur dazu, ihn noch mehr zu erregen.  „Zeichen der Achtung, Mulder,„ antwortete sie kehlig. „Zeichen der Achtung.„ Sie knabberte wieder an ihm, genau über seinem Hüftknochen und er schrie beinahe auf.

 

Ihre Hände stahlen sich zum Bund seiner Boxershorts. „Sind im Weg,„ murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm. Und dann zogen ihre geschickten Finger sie über seine Beine herab und das nächste, was er wusste, er war nackt unter ihr. Sie schob seine Beine ein wenig auseinander und kniete sich dazwischen, ihre Hände glitten an den Muskeln seiner Schenkel herauf und herab. Als wenn sie beschlossen hatte, ihn zu quälen, beugte sie ihren Kopf herab und küsste ihn überall, nur nicht dort, wo er es am meisten wollte und brauchte. Ihre Zunge wanderte an seinem Hüftknochen entlang herab zu der empfindlichen Mulde zwischen seinem Schenkel und seinem geschwollenen Penis. Ihr Atem kitzelte in dem groben Haar dort und er zuckte unter ihr.

 

Ihr Kopf hob sich bei seiner Bewegung. „Geduld...„ zischte sie leise. Und dann nahm sie ihn gänzlich in den Mund.

 

„Jesus,„ flüsterte er, ihr unwillkürlich seine Hüften entgegenstoßend. Er streckte seine Hände aus, um sie auf ihren Kopf zu legen und strich ihr übers Haar, während sie sich auf und ab bewegte, ihn in einem ruhigen, einfachen Rhythmus mit dem Mund verwöhnend. Ihr Mund war heiß und feucht und ihre Zunge war so sanft und ihre Zähne streiften nur leicht über ihn, leicht genug, um zu erregen und nicht wehzutun. Und oh Gott, es fühlte sich so gut an, dass er es nicht ertragen konnte, wollte nur daliegen und sie sollte niemals aufhören solange er lebte oh Gott Scully seine Scully...

 

„Kann nicht...„ Er konnte die Worte nicht herausbringen, konnte nicht einmal herausfinden, was er sagen wollte. „Kann nicht... Gott. Ich will...  aber...„ Schließlich erkannte er, was er wollte, er wollte, dass sie aufhörte, weil er in *ihr* und nicht in ihrem Mund kommen wollte, aber oh Gott, er wollte auch in ihrem Mund kommen, weil es sich einfach zu gut anfühlte und er nicht wollte, dass sie aufhörte... „Scully,„ krächzte er.

 

Scully hielt inne, hob ihren Kopf und hielt seine Erektion mit ihrer nun klebrigen Hand. „Sag mir, was du willst, Mulder. Was immer du willst.„ Ihre Stimme klang gespannt, rau vor Verlangen.

 

„Dich,„ stieß er hervor. „In dir sein, jetzt.„

 

Sie ließ seine Erektion los und er schrie beinahe auf, weil er den Kontakt verlor. Aber sie bewegte sich schnell und bevor er es mitbekam, saß sie wieder rittlings über ihm und umschloss seine Schenkel mit ihren eigenen.  Sie beugte sich herab, um ihn zu küssen, ihre Finger glitten über seine Brust, dann ergriff sie wieder sein steifes Glied und führte es in sich hinein, dabei lösten sich ihre Augen nie von seinen. Sie biss sich auf die Lippe und seufzte, als er sie ausfüllte.

 

Perfektion. Das war immer sein erster Gedanke, wenn Scully und er sich vereinten; er konnte sich nichts vorstellen, was sich besser anfühlte, als dieser Moment der Einheit. Er öffnete den Mund und versuchte, etwas zu sagen, irgendetwas, als sie sich erhob und dann wieder auf ihm herabglitt, und alles, was stattdessen von seinen Lippen kam, war ein ersticktes Stöhnen.

 

„Gut?„ hauchte sie.

 

„Oh ja...„ Gut musste die Untertreibung des Jahrhunderts sein. Sie war so heiß und feucht und Gott, wie machte sie das mit ihren Muskeln, und sie bewegte sich nun stetig, auf und ab, baute das Feuer und die Reibung auf und hin und wieder stieß er seine Hüften aufwärts, um sie mehr und mehr auszufüllen und jetzt ihre Brüste, ja, er berührte ihre Brüste und nahm sie in die Hand, drückte ihre Brustwarzen und Gott, wenn sie so stöhnte, war es beinahe genug gleich hier und jetzt loszulassen...

 

„Mulder,„ sagte sie, ihre Stimme hoch und kratzig. „Oh Gott, Mulder.„ Sie zog sich wieder um ihn herum zusammen – vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass sie Ärztin war, dachte er irrational, sie weiß einfach, welche Muskeln sie beeinflussen muss – und er stöhnte laut, ihre Unbarmherzigkeit dadurch ausgleichend, dass er ihr schneller entgegenkam und wild in sie pumpte, während sie ihn heftig ritt und zwischen dem Wiederholen seines Namens stetig stöhnte.

 

Es war immer sein Name, der ihn gefangen nahm, die Art, wie sie ihn aussprach, wenn sie im Bett waren, mit diesem heiseren, beinahe ehrfurchtsvollen Ton, der ihn jedes Mal umhaute, wenn er ihn hörte. Dana Scully, die wegen ihm schrie, nur wegen ihm... Gott, sie war so schön, ihre Wangen gerötet, ihr Mund geöffnet, ihr Haar fiel ihr ins Gesicht, während sie fortfuhr, sich krampfhaft auf ihm zu bewegen, ihre Augen immer noch auf seinem Gesicht. Er betrachtete sie noch einen Moment, dann zog er sie zu sich herab, so dass er eine ihrer unwiderstehlichen Brustwarzen in den Mund nehmen konnte und sie war nur zu glücklich, ihm zu folgen.

 

„So gut... du bringst mich dazu, mich so gut zu fühlen, Mulder,„ sagte sie, als er ihre Brustwarze in den Mund zog und hart daran saugte. „Weißt du, wie gut ich mich fühle durch dich?„

 

Er ließ ihre Brust los und zog ihren Kopf zu sich herab, küsste ihren Mund und trank sie gierig. „Zeig es mir,„ stieß er hervor, als sie sich voneinander lösten. „Komm für mich.„

 

Sie nickte und setzte sich wieder auf, dann sah sie zu, wie er seine Hand ausstreckte und ihre Klitoris im Rhythmus ihrer Körper mit dem Finger rieb.  Er bearbeitete das heiße, klebrige kleine Nervenbündel heftig und beinahe sofort konnte er die physischen Veränderungen in ihr sehen, der sich beschleunigende Atem, den Schleier, der sich über ihre Augen legte. Sie stieß wieder und wieder gegen ihn und dann kam sie für ihn, herrlich, ihre Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes in ihren Haaren vergraben, Stöhnen über Stöhnen und sein Name – Gott, die Art, wie sie seinen Namen herausschrie –der aus ihrem Mund kam und ihre Vagina, die sich um ihn herum zusammenzog und an ihm zerrte, bis er ihr ins Nichts folgte. Er schrie ihren Namen, als er sich in sie mit glühendheißer Intensität entleerte.

 

Als seine Hüften nachließen, unwillkürlich zu zucken, klappte sie auf ihm zusammen und ließ kleine Küsse über seine Brust regnen. Er nahm sie in die Arme und atmete sie ein und versuchte, das heftige Schlagen seines Herzens zu beruhigen. Jesus, er zitterte. „Ich liebe dich so sehr,„ flüsterte er heftig. „Ich weiß nicht, warum ich so lange gebraucht habe, es dir zu sagen.„

 

„Das macht nichts,„ sagte sie und legte ihre Wange auf seine Brust. „Ich wusste es immer.„

 

Danach schwiegen sie lange, nahmen den Augenblick in sich auf, genossen die Gegenwart des anderen und die Wärme und die Sicherheit ihrer verbundenen Körper. Mulder begann gerade, in den Schlaf zu driften, als Scully mit kleiner, leiser Stimme sprach.

 

„Wir werden wieder in Ordnung kommen, nicht wahr, Mulder?„

 

Er umarmte sie fester und hatte das Gefühl, dass er sie nie fest genug halten konnte. „Erinnerst du dich nicht daran, was ich dir schon vor langer Zeit gesagt habe, Scully? Wenn wir zusammen sind, ist alles möglich.„ Sie gab ein leises, unglaublich erotisches Lachen von sich. „Weißt du was, Mulder? Dieses Mal denke ich, dass ich es glaube.„

 

„Ich auch,„ flüsterte er. Und zum erster Mal seit langer, langer Zeit schlief er mit einem Lächeln auf dem Gesicht ein.

 

 

 

 

 

Zwei Wochen später erhielt Scully eine verschlüsselte Nachricht von Harrison Fields, der genaue Wortlaut dessen, was dazu bestimmt war, in die Geschichte einzugehen.

 

„Biologischer Faktor entwickelt,„ stand da, als sie entschlüsselt worden war. „ Der Test verlief erfolgreich. Hochgiftig für die Schleimigen.

Erbitte Rat.„

 

 

 

ENDE