RICHTUNG
NIRGENDWO 2 - DURCHREISE
(Originaltitel: Passing Through)
von Nicole Perry
( nvgrim@aol.com )
Datum:
06. Januar 1996
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. < hadyoubigtime@netcologne.de
>
*** überarbeitet 2017 ***
Wort der Autorin: Die
folgende Geschichte ist eine Fortsetzung meiner Story RIGHTUNG NIRGENDWO (GOIN'
NOWHERE) und dessen Epilog. (...) Wenn Ihr diese hier vor dem ersten Teil lest
ist es, als ob man Nachtisch vor dem Mittagessen hätte—zwar gut, aber es ist
nicht dasselbe. ;-) Einen Berg von
Dankeschöns an alle von Euch, die sich die Zeit genommen haben, mir zu
schreiben—ganz ernsthaft, für mich gibt es *nichts* Schöneres, als eine Mail
über eine meiner Storys in meiner Mailbox zu finden! Ich bin vor allen Dingen
neugierig, ob dieses Geschichtchen ein würdiger Nachfolger der vorangegangenen
ist... um den Autor (mich) ruhig schlafen zu lassen oder in Rage zu bringen,
können alle möglichen Kommentare an nvgrim@aol.com
geschickt werden. Ok, jetzt
haltet mich auf, ich gerate ins Schwatzen...
Spoiler Warnung: Diese Geschichte
hat eine eigene Richtung eingeschlagen, und zwar
was-zum-Teufel-ist-mit-Scully-passiert-als-sie-drei-Monate-verschwunden-war. Dazu beziehe ich mich auf Informationen aus
der Duane Barry- Trilogie, Anasazi und den vier weiteren Verschwörungsfolgen
aus der 2. Staffel.
Dementi: Wie immer, ein
Dankeschön und tiefste Anerkennung an Chris Carter, 1013 und Fox Inc., dafür
dass ich in der wundervollen Welt, die sie kreiert haben, spielen darf :) Ein
spezielles Dankeschön an David und Gillian (beide für den Golden Globe nominiert - Glückwunsch!), die Woche für Woche Mulder
und Scully mit viel emotionaler Tiefe und Feingefühl darstellen— es bleibt
einem nichts anderes übrig, als bei ihren schauspielerischen Leistungen kreativ
inspiriert zu werden. Genug gesagt...
DURCHREISE (1/3)
von
Nicole Perry nvgrim@aol.com
Der Mann klappte sein
Handy auf und wählte. Ungeduldig blickte er auf seine Armbanduhr, als er auf
den Anschluss wartete. Er lehnte sich gegen seinen Mietwagen und hörte, wie
jemand nach dem dritten Klingeln abnahm.
"Ja?" Die Stimme
war trotz der Entfernung laut und klar.
"Nebraska",
sagte der Mann. "Bestätigt."
Nach einem Moment
antwortete die Stimme. "Sollen die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet werden?"
"Umgehend",
befahl der Mann. "Und ich möchte kontinuierlich über den Verlauf
unterrichtet werden."
Er drückte den 'Ende'-Knopf auf seinem Handy und schob die Antenne wieder
ein. Gemächlich steckte er das Gerät in
die Tasche seines Trenchcoats und drückte nach einem letzten Zug die Zigarette,
seinen ständigen Begleiter, aus. Er ging auf den Helikopter zu, der bereits mit
rotierenden Blättern auf dem offenen Feld vor ihm stand.
Es ist klar, dachte er während
er ging, dass diese Kellnerin mehr weiß, als sie zugeben will. Es war sein Job,
unausgesprochene Wahrheiten zu erkennen und sie unter Umständen vor ungewollten
Mitwissern geheim zu halten. Es war sei Aufgabe, schiefgelaufene
Aktionen wieder in Ordnung zu bringen. Dafür würde er sogar töten, wenn die
Situation es nicht anders erforderte.
Er war ein Mann, der sehr
gut in seinen Aufgaben war.
Er kommt gerade durch die
Tür schnell schnell wenn du rennst wirst du ihn
einholen verdammt die Tür ist zu wie hat er das bloß gemacht? Am anderen Ende
des Gangs muss noch ein Eingang sein hier ist immerhin die Mitte des Gebäudes
es muss einfach einen anderen Weg geben was ist das für ein Lärm hinter mir
laute Schritte jemand schreit mich die ganze Zeit an—
< ScullyhaltnichthinterihmheresisteineFalle
> --
Er greift nach meinem Arm
und zieht mich mit sich—
< Lassloslassloslassloserkommtdavon
>
< LassihngehenScullywirmüssenweg
> --
Kämpfe, tritt
fest zu, er soll von mir runter—
< Muldergehvonmirrunter
>--
Trete ihn ganz fest jetzt
stolpert er und fällt wie habe ich das geschafft egal lauf weiter ich kann den
Mann nicht entkommen lassen da ist noch eine Tür sie ist offen los rein und
mach die Tür hinter dir zu wo bin ich hier?
in einem Labor? ist das das Labor, wo sie es gefunden haben? Aber wo ist
er hin wo ist der Arzt? ein Hämmern hinter mir an der Tür—
< ScullymachverdammtnochmaldieTürauf
> --
Ignoriere es einfach—
< DukannstmichjetztnichtaufhaltenMuldernichtjetztnichtjetzt
> --
Los untersuch die Wände es
muss irgendwo noch einen versteckten Ausgang geben ich weiß dass er hier ist wo
soll er auch sonst hingegangen sein was ist das für ein Geräusch?
< OhmeinGottohmeinGott
> --
So grell so grell so
grell—
< estutwehestutwehestutweh
>--
Sie schrie aus tiefster
Seele, als Scully kreidebleich aufwachte.
Krampfhaft hielt sie sich an dem Bettlaken fest und keuchte außer Atem,
als ihr Unterbewusstsein versuchte einzuordnen, wo sie sich befand.
< WobinichdasistnichtmeinBettwarumistessodunkel
>
Sie hatte nicht gemerkt,
dass sie laut gesprochen hatte, und ihre Stimme war ein leises Wimmern. Sie war
sich nur der beklemmenden Dunkelheit und ihrer rasenden Panik bewusst. Sie fiel
und fiel... Dann fühlte sie, wie sich Arme um sie legten, stark und
beschützend. Sie umarmten sie fest und zogen sie an einen Körper. Sie fühlte
warmen Atem an ihrer Wange und wurde sich einer Stimme bewusst, die leise und
beruhigend auf sie einredete.
"Schhh,
Scully, es ist okay... ich bin ja hier... du bist okay... es ist alles in
Ordnung..."
Nach einigen langen
Momenten kam sie wieder zu Atem. Langsam entspannte sie sich neben ihm und ließ
ihren Kopf auf seine Schulter fallen. Sie spürte, wie seine Finger
beschwichtigend ihr Haar streichelten.
Dann herrschte Stille,
eine tiefe Stille, die den Raum erfüllte.
Als sie ihrer Stimme
wieder trauen konnte, saß Scully auf und löste sich von ihm. "Danke",
sagte sie ruhig.
"Kein
Problem", antwortete er. "Bist du okay?"
"Ja." Scully
glitt wieder unter das Laken und ließ Mulder die Decke über sie legen. Sie
hörte das Rascheln der Laken, als er sich selbst wieder hinlegte und eine Hand
sanft auf ihren Arm legte, um ihr zu zeigen, dass er für sie da war.
Scully spürte die Tränen
in ihren Augen und ein stechendes Gefühl in ihrem Rachen. Wann, fragte sie
sich, war sie endlich imstande, mehr als ein paar Stunden am Stück zu schlafen?
Anders als Mulder versprochen hatte, hatten die Alpträume nicht aufgehört. Um
ehrlich zu sein, sie waren sogar noch schlimmer geworden. Aber dabei waren es
nicht einmal die Träume selbst, die sie so erschreckten—es war das Aufwachen.
Weil sie in ihren
Alpträumen immer noch sehen konnte.
Mulder lag still und
hörte, wie der Schlaf über sie kam und ihre hastigen Atemzüge schlichtete.
Obwohl sich sein Körper zu entspannen begann, arbeitete sein Verstand immer
noch messerscharf, um Anzeichen möglicher Unruhe wahrzunehmen.
Es ist schlimmer denn je,
dachte er, und der Gedanke war dumpf in seinem Gehirn.
Die Alpträume sind ein
Bestandteil ihrer Reise geworden, und Mulder hatte sich inzwischen daran
gewöhnt, durch ihr Schluchzen geweckt zu werden. Als es das erste Mal passiert
war, hatte er es nicht geschafft, sie wieder zu beruhigen und sie haben eine
Zeit nebeneinander gesessen, und er hatte ihre Hand gehalten, bis ihr Körper
sich dem Befehl ihres Gehirns unterwarf und sie einschlief. Seit diesem Vorfall
schlief er in jedem neuen Zimmer neben ihr, damit ihr durch seine Nähe eine
Ruhepause von dem Horror erlaubt wurde, den sie durchlebte.
Er fühlte mit einem Mal
eine Welle von Beschützerinstinkt für die Frau neben ihm, der ein intensives
Gefühl der Ungleichheit folgte. Er wusste nicht, was er sonst noch für sie tun
konnte, wie er ihr durch diese Zeit helfen konnte. Mulder brauchte keinen Titel
in Psychologie um zu verstehen, was mit ihr geschah. Scully wollte nicht über
das sprechen, was ihr zugestoßen war. Sie wollte ihm ihren Schmerz nicht
mitteilen und war fest entschlossen, ihre Emotionen darüber bei sich zu
behalten—er wusste genau, wie gut sie ihr Bewusstsein kontrollieren konnte. Und
er wusste, dass es nur im Schlaf geschah, dass ihre Fassade bröckelte.
Mulder musste zugeben,
dass es ihre Stärke war, die sie beide bis zu diesem Punkt gebracht hatte.
Nicht seine. In der ersten Nacht, als sie in dem gestohlenen Auto aufgewacht
war und merkte, dass sie das Augenlicht verloren hatte, hatte sie den
schrillsten Angstschrei losgelassen, den er je gehört hatte, und ihn so fest am
Arm gehalten, dass er beinahe die Kontrolle über den Wagen verloren hätte. Sie
hatten beide wahnsinnige Ängste gehabt, als das passiert war. Mulder hatte hart
mit sich kämpfen müssen, um nicht auf der Stelle kehrt zu machen und ins
nächste Krankenhaus zu fahren. Aber er hatte trotz seiner Panik gewusst, dass
es ihre einzige Chance war, zu entkommen. Er hatte ihr seinen Plan erklärt,
wenn man es überhaupt als einen solchen bezeichnen konnte, und sie gehalten,
bis ihr Schluchzen verstummt war.
Dann hatte er sie mit
fester, klarer Stimme gefragt, was sie wollte. Wenn sie aus irgendeinem Grund
zurück gewollt hätte, wäre er ohne zu Zögern umgekehrt.
Aber sie war genau wie
Mulder dafür, es darauf ankommen zu lassen. Die Gefahren vor ihnen konnten
nicht schlimmer sein, als die Dämonen, die sie hinter sich gelassen hatten.
Von da an hatte Scully nie
geweint. Nicht einmal. Zumindest nicht in seiner Gegenwart. Sie war stark
gewesen, wie ein Fels in der Brandung. Hart wie Stahl. Während er sich
unbeholfen seinen Weg ertastete, war sie immer genau und direkt gewesen und hatte
ihm immer erklärt, was sie gerade brauchte.
Als ob ihre Blindheit nur eines der Probleme sei, das wissenschaftlich
mit Gesetzen der Mathematik und Physik gelöst werden könnte.
Bis jetzt hat sie sich
verdammt gut geschlagen, dachte Mulder und es gab ihm einen Stich ins Herz.
Als er das nächste Mal
aufwachte, war sie nicht länger neben ihm im Bett. Sein Herz begann zu rasen, bis er das
Geräusch von laufendem Wasser aus dem Badezimmer hörte. Erleichtert sank er
zurück in die Kissen.
Einige Zeit verging und
sie erschien aus dem Badezimmer. Sie hatte Jeans und den schwarzen
Rollkragenpullover an, den er ihr vor dem Schlafengehen herausgelegt hatte. Sie
hatte eine Bürste in einer Hand, während sie die andere tastend vor sich hielt,
um beim Laufen nicht anzustoßen. Sie ging langsam zu dem Stuhl am anderen Ende
des Raumes. Mulder sagte nichts, er sah ihr nur still zu. Er bewunderte die
Grazie, mit der sie immer noch ihren Weg meisterte.
Scully setzte sich auf den
Stuhl und begann, sich die Haare zu bürsten. Die ersten Striche waren ein wenig
ungeschickt, doch dann fand sie einen Rhythmus. Sie drehte sich zum Bett um und
sagte, "Guten Morgen, Mulder."
"Eigentlich Guten
Abend", sagte er automatisch, als er auf die Uhr sah. "Es ist fast
halb acht." Nach einer kurzen Pause fragte er, "Woher hast du
gewusst, dass ich wach bin?"
"Deine Atemzüge hören
sich anders an, wenn du schläfst", antwortete sie.
Er sah noch eine Weile zu,
wie sie ihr Haar kämmte und stieg dann aus dem Bett. Als er auf seinem Weg ins
Badezimmer an ihr vorbeiging, sah er, dass es doch kein Lichtspiel gewesen war;
die Ansätze ihrer Haare waren zu sehen. Sie schienen in einem wunderschönen
gold-roten Farbton. "Ich glaube, es ist wieder an der Zeit, dass ich das
Rot aus deinen Haaren waschen muss", neckte er.
Sie runzelte die Stirn und
senkte die Bürste und fühlte mit beiden Händen nach ihrem Haaransatz. "Ist
es schon so schlimm? Jetzt schon?"
"Es ist ja auch schon
was her", sagte er. "Schon fünf Wochen." Mulder trat neben sie
und strich die Strähnen glatt, die sie verwirrt hatte. "Wir gehen bei der
nächsten Gelegenheit etwas holen."
Sie nickte widerwillig und
nahm wieder die Bürste. "Wenn du meinst. Aber diesmal eine andere Marke.
Das Zeug vom letzen Mal hat furchtbar gestunken." Scullys Finger tasteten
auf dem Tisch nach der Haarspange, die sie immer benutzte. Er konnte die Spange
sehen, genau zu ihrer Linken, und er wollte sie ihr schon reichen. Aber er
wartete und sie schaffte es selbst, sie zu finden.
"Los, ab in die
Dusche, Mulder", sagte sie. "Ich bin am Verhungern."
Er fühlte sich ertappt,
dass er sie so beobachtet hatte und verschwand beschämt im Badezimmer.
Scully hielt fest an
Mulders Arm, als sie die Straße herunter gingen. Sie konnte die Geräusche
vorbeigehender Passanten hören und nahm an, dass die Straßen belebt waren. Der
Boden unter ihr war uneben; die Witterung hatte viele Risse und Spalten in den
Boden gerissen und sie passte auf, wo sie hintrat. Sie versuchte, sich Mulders
Schritten anzupassen und hörte aufmerksam zu, wie er ihr von Zeit zu Zeit die
Richtung erklärte. Der Abend war kühl und sie fühlte, wie eine kalte Brise ihre
Haut streifte. Sie war froh, auf ihn gehört zu haben und hatte eine Jacke
angezogen.
"Rick", sagte
sie und benutzte sein Alias, um sicher zu gehen. "Wo sind wir noch
einmal?"
"Ganz in der Nähe von
Cordell, Oklahoma", kam die Antwort.
"Und?"
fragte sie. "Wie ist es?"
Sie hörte ihn kichern.
"Genau wie überall sonst." Sie hörte zu, wie er die Stadt beschrieb:
heruntergekommene Gebäude mit deutlichen Anzeichen des Verfalls und einige
modernere Einrichtungen, wie der Videoladen, an dem sie vorbeigingen. "Wir
sind jetzt gerade auf einer der Hauptstraßen", sagte er, "und wir
kommen gleich an einen Lebensmittelladen, genau gegenüber einer Bar namens 'Smokehouse'."
Scully nickte und malte
sich nach seinen Worten ein Bild von der Stadt in ihrem Kopf aus. Sie merkte,
wie er anhielt und dann eine Tür aufdrückte.
"Hier herein", sagte er und sie griff seinen Arm fester und
folgte ihm hinein.
Der Geruch von Staub lag
in der Luft. Ganz anders als in einem großen Supermarkt, dacht sie und folgte
Mulder durch die Gänge. Er war sehr vorsichtig mit ihr und führte sie achtsam
um die Sachen, die mitten in den Gängen lagen. Scully war immer noch gegen
einen Blindenstock. Sie fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, einen in der Hand
halten zu müssen, sie fühlte sich dadurch noch schlimmer. Und sie erinnerte ihn
immer wieder daran, dass sie nirgendwo hin ohne ihn gehen würde. Zumindest
vorerst nicht.
Sie folgte Mulder, als er
einen kleinen Korb mit einigen Sachen füllte, die sie brauchen würden, und
teilte ihm ihre Meinung mit, wenn er sie etwas fragte. Sie war sehr dankbar,
dass er sie in alle Entscheidungen einbezog, angefangen von der Strecke, die
sie fuhren, bis hin zum Essen. Er versuchte mit allem Mitteln zu erreichen,
dass sie sich immer noch gleichwertig fühlte, dass sie immer noch seine
Partnerin war.
Scully segnete ihn im
Stillen dafür.
Sie umrundeten eine
weitere Ecke und sie fühlte, wie Mulder plötzlich anhielt. Er schaut wohl
gerade in den Regalen nach, dachte sie. Eine Sekunde verging und dann noch
eine, bevor sie fragte, "Rick? Was ist los?"
Er klang ein wenig
verwirrt und verloren. "Ähhmm, ich... du
sagtest, es soll eine andere sein, aber..."
"Was?"
"Die Auswahl ist so
groß", gestand er. "Dieses Haarfärbemittel—das letzte Mal habe ich
einfach die erstbeste Schachtel genommen, die ich gesehen habe, aber..."
"Was?"
wiederholte sie neugierig.
"Nun ja..."
zögerte er, "möchtest du Ebenholz oder Asch-Braun? Granat oder Eiche? Und
das deckt noch nicht einmal die ganze 'Essens'-Auswahl
- da gibt es Kakao, Espresso, Muskatnuss, Rhabarber, Haselnuss..." er
verstummte und plötzlich konnte sie es nicht mehr zurückhalten.
Sie fing an zu lachen. Es
begann mit einem leisen Kichern, das dann schnell in schallendes Gelächter
ausartete.
"Lisa?"
fragte er, "Was ist los?"
Sie konnte ihm nicht
antworten, sie konnte einfach nicht aufhören zu lachen.
Die
Sorge in seiner Stimme wich Neugierde. "Was... was ist so lustig?"
"Es ist nur... der
Gedanke daran, dass... dass ich dir vertraue—" ein weiterer Lachschwall
überkam sie und sie musste sich Selbstkontrolle erkämpfen, um fortzufahren.
"Jemand, der nicht einmal eine passable *Krawatte* aussuchen kann, soll
die Farbe für meine Haare bestimmen..."
Sie hörte, wie er
ebenfalls anfing zu lachen und fühlte, wie er die Arme um sie legte und sie
nahe sich heran zog. Sie wusste, dass sie albern war, das waren sie beide, und
das war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnten. Aber das war ihnen egal. Es war schön zu
lachen, wenn auch nur für einen Moment.
Sie einigten sich auf
einen Farbton und gingen zur Kasse, an der Mulder das Geld zählte. Scully
schickte ein stilles Dankeschön an die Einsamen Schützen, die es durch
Manipulation komplizierter Systeme, die sie überhaupt nicht näher verstehen
wollte, geschafft hatten, eintausend Dollar für einen Mr. Rick Wilder zu
überweisen.
Scully folgte Mulders
Führung aus dem Geschäft hinaus. Sie freute sich mehr denn je auf ein Abendessen.
Es schien, als ob aus jedem Geschäft, an dem sie vorbei gingen, die
köstlichsten Aromen strömten. Doch auf halbem Wege hielt Mulder inne und sie
spürte die Spannung, die in ihm aufkam.
"Verdammt", fluchte er. "Ich habe eine Tasche auf der
Kasse liegen lassen..."
"Dann geh' sie
holen", sagte sie. "Ich warte hier."
Sie fühlte wie er zögerte,
obwohl er nichts sagte. "Okay..." sagte er dann und führte sie zur
Wand des nächsten Gebäudes. "Warte hier. Ich bin
in zwei Sekunden zurück."
"Ich komm schon
klar... Rick", sagte sie und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand
und hörte auf seine immer leiser werdenden Schritte.
In der Sekunde, in der er
fort war, spürte sie wieder Panik in sich aufsteigen und sie versuchte, ruhig
zu bleiben. Sie kam sich vor, als würden sie alle Leute anstarren, und sie
fühlte sich nackt und verletzlich und unsicher. Bist du denn nicht fähig hier
eine halbe Minute allein zu warten? fragte sie sich selbst. Sie wollte diese
Frage gar nicht beantworten und richtete ihren leeren Blick auf den Boden. Bloß
keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.
Es kam ihr vor, als seien
schon etwa zwei Minuten vergangen, doch Mulder war immer noch nicht zurück
gekehrt. Dann hörte Scully, wie sich Stimmen näherten. Zwei junge Männer, nahm
sie an. Zu ihrer Bestürzung kamen die Stimmen näher und sie hörte, wie eine von
ihnen sie direkt ansprach.
"Hey, kleines
Fräulein. Hast du dich verlaufen?"
Sie zwang sich zum
Sprechen. "Nein, ich bin okay, danke. Wirklich."
Die Schritte kamen näher
und sie drückte sich noch mehr an die Wand.
"Siehst aber gar
nicht so aus", sagte die zweite Stimme. "Sieht aus, als könntest du
Gesellschaft gebrauchen."
Scully versuchte, in das
Gebäude zu kommen und sich so weit wie möglich von den Fremden zu entfernen.
Sie konnte Zigarettenrauch riechen und den säuerlichen Gestank von Bier.
Unwillkürlich ballte sie ihre Hände zu Fäusten.
"Heute nicht ",
sagte sie und zwang sich zu einer festen Stimme. "Ich
warte hier auf einen Freund."
"Wir sind deine
Freunde", lallte die erste Stimme.
"Ja... das hier ist
eine sehr freundliche Stadt", echote die zweite.
Scully merkte, wie sie
noch näher kamen und brach beinahe in Panik aus, doch dann hörte sie Mulders
Stimme, dunkel und ruhig.
"Die Dame gehört zu
mir", sagte er und sie spürte Spannung in der Luft.
Mulder nahm sie beim Arm
und ging mit ihr an den beiden Männern vorbei, die er vor sich hingrummelnd
stehen ließ.
"Bist du okay?"
fragte er, und jetzt war die Angst und Sorge deutlich in seiner Stimme zu
erkennen. "Es tut mir Leid... Ich hätte nicht gedacht..."
"Ja..." sagte
sie und versuchte trotz ihrer rasenden Herzschläge, ihm zu versichern, dass es
ihr gut ging. "Ich bin okay."
Sie fühlte, wie er
beschützend den Arm um sie legte, als er sie weiter die Straße hinunter führte.
"Fünf-null-fünf,
fünf-fünf-fünf, acht-drei-sechs-null." Mulder
legte den Hörer auf die Gabel und drehte sich nach Scully um. Sie lehnte gegen
die Plastikverkleidung der Telefonzelle, eine Hand auf dem silbernen Ausschubfach unter dem Telefon. Das Zittern ihrer Finger
verriet ihre Nervosität.
Idiot, Idiot, Idiot,
schimpfte Mulder mit sich selbst.
Laut
sagte er, "Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?"
"Ja, alles in
Ordnung", wiederholte sie und der genervte Unterton in ihrer Stimme ließ
ihn die Frage bereuen.
Die Stille zwischen ihnen
wurde abrupt durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Mulder riss es aus
seiner Halterung. "Hey."
"Wir haben diesmal
nur drei Minuten." Langley hielt sich nicht lange mit Höflichkeiten auf.
"Ist sie bei dir?"
"Ja."
"Gib sie mir."
"Mulder gab Scully
den Hörer. "Hi",
war alles, was sie sagte.
Mulder sah sie besorgt an,
während sie zuhörte. "Ja, ich bin mir sicher." Eine Pause. Dann,
"Nein. Ich habe sie nur für einen Moment gesehen. Aber sie hatten alle die
gleiche Aufschrift." Sie hörte wieder zu, diesmal etwas länger und
wiederholte dann ihre erste Behauptung. "Ich bin mir ganz sicher. Ihr
solltet es noch einmal überprüfen."
Scully gab Mulder den
Hörer zurück und wandte sich ab. Frustriert fuhr sie sich mit einer Hand durch
ihre dunklen Locken. Mulder konzentrierte sich wieder auf das Gespräch und
fragte, "Wie sieht unsere Lage aus?"
"Nicht gut",
sagte Byres dieses Mal. Er war knapp und ernst. "Sie haben euch bis nach
Nebraska aufgespürt."
"Was?" Scully
griff vor Schreck nach seinem Arm, als er sich so erschreckte, und er hielt ihr
seine Hand hin. "Wie das?"
"Wir sind uns nicht
sicher", antwortete Frohike.
Mulder sank zurück gegen
das Plastik der Telefonzelle. Er war überzeugt gewesen, dass sie so vorsichtig
gewesen waren... "Irgendwelche Vorschläge?"
"Änderung in der
Vorgehensweise", sagte Byres. "Es ist an der Zeit, sich auf dem
offenen Feld zu verstecken."
"Und das
heißt..."
"Verlasst die
Kleinstädte. Irgendwohin, wo große Menschenmengen sind, viele Leute",
sagte Langley. "Taucht für eine Weile unter."
Mulder nickte auf diese
Logik hin. "Ich bin für alle Vorschläge offen."
Nach einem Moment sagte
Byres, "Ich würde sagen, mal so, mal so."
Mulders fotografisches
Gedächtnis hatte keine Mühe, eine Karte der Vereinigten Staaten hervorzukramen,
und er begann, entsprechende Berechnungen zu machen. "Alles klar. Ich rufe
wieder an."
"Reicht das Geld
noch?" fragte Frohike.
"Wir werden noch
etwas brauchen, wenn wir ankommen."
"Verlass dich
drauf."
Mulder legte auf und
trennte somit die Leitung kurz bevor der Zeiger auf seiner Uhr seinen dritten
Umlauf beendet hatte. "Komm, Lisa", sagte er und nahm sie beim Arm.
"Verschwinden wir von hier."
"Rick?"
fragte sie. "Was haben sie gesagt?"
Er seufzte. Er wollte sie
nicht mit dieser Bürde belasten und doch er brachte es nicht fertig, sie
anzulügen. "Sie sind hinter uns her. Nebraska", sagte er. "Wir
müssen für eine Weile untertauchen." Sie sagte nichts, aber er fühlte, wie
sich ihr Griff an seinem Arm verstärkte.
Still ging sie neben ihm
die Straße hinunter auf das Café am anderen Ende des Blockes zu. Als sie
endlich sprach, war es so leise, dass er sich zu ihr lehnen musste, um sie zu
verstehen. "Wir haben noch nichts gefunden", sagte sie. "Es ist
als ob es nie existiert hätte."
Er war sich nicht sicher,
was er sagen sollte und antwortete langsam, "Aber es hat existiert—du hast
es gesehen."
Mulder konnte ihr deutlich
ihre Zweifel ansehen. "Ich weiß... aber nur für einen Moment. Was wäre,
wenn ich wirklich die Aufschrift falsch gelesen habe..." sie brach ab.
Was wäre, wenn... echote
er im Stillen und wusste genau die Antwort, die ihm gar nicht gefiel.
In diesem Moment
erreichten sie das Café, und Mulder konzentrierte sich darauf, Scully sicher
hinein zu führen.
DURCHREISE (2/3)
von
Nicole Perry nvgrim@aol.com
Tyler fummelte
geistesabwesend mit seinem kleinen goldenen Stern, als er zu Ende frühstückte.
Er fühlte sich gut in seinen Fingern an, und es machte ihn stolz. Obwohl er
nicht vor Anfang der nächsten Woche zu arbeiten anfangen würde, kam er sich
bereits jetzt schon vor, als sei er Teil von etwas Großem und Wichtigem. In den
letzten Tagen hatte er seine Freizeit fast immer in der Station verbracht, um
einfach nur die Atmosphäre in sich aufzunehmen. Er wollte immerhin nicht wie
ein Frischling an seinem ersten Tag aussehen.
"Tyler?"
rief seine Mutter aus dem Nebenzimmer. "Gehst du in die Stadt?"
"Wenn es sein
muss", rief er zurück und wurde von Vorfreude ergriffen. Ein Ausflug in
die Stadt wäre eine prima Entschuldigung, wieder einmal vorbei zu schauen.
"Wir haben kein
Reinigungsmittel mehr", rief seine Mutter.
"Kein Problem,
Ma", sagte er und stellte seine Schüssel achtlos in die Spüle. Er
schnappte sich die Schlüssel des Trucks von dem Brett an der Tür und zog sich
ein Baseball Cap an, bevor er ging.
Seine Schwester Emily
sprang draußen in der Einfahrt Seil. Sie war ganz geschwitzt vor Anstrengung.
Sie war erst neun und fünfzehn Jahre jünger als er, und er konnte es kaum
glauben, dass er auch mal so jung gewesen war.
"Was treibst du denn
da, Em?" fragte er, als er die Autotüre
aufschlug.
"Ich übe", rief
sie und ihr Pferdeschwanz hüpfte mit ihren Sprüngen auf und ab.
"Aha", machte
Tyler und erwies ihrer Übung den nötigen Respekt. "Sieht gut aus."
"Danke", keuchte
sie, als er den Truck startete und auf die Einfahrt fuhr.
Scully rutschte rastlos
auf ihrem Sitz hin und her und tastete nach dem Fenstergriff. Sie fand ihn und
rollte das Fenster ein Stück weiter nach unten und genoss die frische Luft, die
ihr ins Gesicht blies.
"Zieht es dir?"
fragte sie.
"Überhaupt
nicht", erwiderte er und konnte hörte am Ton seiner Stimme hören, wie müde
er war.
Sie hatten das Café schon
kurze Zeit später nach einer kleinen Mahlzeit verlassen und waren jetzt Stunden
unterwegs. Scully war ein paar Mal während der Nacht eingeschlafen, aber Mulder
hat keine Pause eingelegt. Bei Sonnenaufgang hatten sie kurz angehalten, um Donuts und Kaffee zu holen und sind dann in fortwährendem
Tempo weitergefahren. Durch Oklahoma, einen Teil von Arkansas und nach
Louisiana. Hunderte von Meilen auf dem Highway, die für Scully nur Wind und das
Geräusch von Reifen auf der Straße waren. Sie war nervös und müde und
gelangweilt. Und sie machte sich Sorgen um Mulder.
"Mulder...
sollten wir nicht kurz anhalten?"
"Nein", war die
knappe Antwort.
Scully sagte nichts
weiter, um keinen Druck auszuüben, aber sie wünschte sich zum tausendsten Mal,
dass sie auch eine Strecke hinter dem Steuer übernehmen könnte.
Er schien seine
vorschnelle Antwort zu bereuen und fügt erklärend hinzu, "Ich möchte nur
vor Sonnenuntergang ankommen und Zeit haben, um einen Platz für die Nacht zu
finden."
"Wie weit ist es
noch?" fragte sie. "Sollten wir nicht schon längst da sein?"
"Das wären wir auch, wenn
wir uns leisten könnten, direkt die Autobahn zu nehmen."
Scully nickte und hoffte,
dass er gerade hinsah. Sie lehnte sich nach vorne, fand den Radioknopf und
schaltete ihn ein. Sie suchte einen Sender, der nicht gerade eine Talk Show
nach der anderen oder Countrymusik spielte. Aber der 74er Plymouth Valiant
war nur mit einem einfachen Radio ausgestattet und die Auswahl war nicht sehr
groß. "Das nächste Mal kaufen wir uns einen Wagen", seufzte sie,
"irgend etwas mit einem CD Player."
"Einverstanden",
sagte er und sie meinte, ein verstecktes Lächeln aus seiner Stimme
herauszuhören.
"Montag Morgen,
direkt als erstes", kündigte Tyler stolz an. Er lehnte lässig gegen den Pickup und zeigte sein goldenes Abzeichen.
"Cool!" Louis
starrte auf das glänzende Stück Metall. "Kann gar nich'
glauben, dass du das echt geschafft hast, dass die dich echt mitmachen
lassen!"
"Hey!"
protestierte Tyler, obwohl er wusste, dass sein Freund ihn bloß ärgerte.
"Ich hab' das Teil verdient. Wer sagt denn, dass man seine ganze Freizeit
damit verbringen muss, an irgendwelchen alten Rostkarren 'rumzuschrauben."
"Mein Freund",
sagte Louis, "du hast keine Ahnung, was du verpasst." Mit diesen
Worten nahm Louis die Flachzange zur Hand und machte sich wieder an die
Reparatur des Wagens, an dem er gerade arbeitete.
Tyler blickte sich in der
Tankstelle um. Sie war nicht besonders groß, nur zwei Zapfsäulen, ein Mini-Mart und die kleine Werkstatt, in der sie standen. Er
konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sich sein bester Freund diesen
Job antun konnte, wo es doch so viel bessere Dinge gab, die man machen könnte.
Aber auf der anderen
Seite, wenn Louis damit glücklich war, sollte es ihm auch recht sein.
"Hey", sagte er, "wie wär's mit was zu trinken?"
"Jetzt?" fragte
Louis und blickte nicht von seiner Arbeit auf. "Wie spät ist es?"
"Kurz nach
zwölf", antwortete Tyler. "Komm schon, feier'
mit mir meine letzten Tage in Freiheit."
"Okay, okay. Ich
mach' das hier nur grad' zu Ende."
Tyler grinste. Er musste
Louis nie lange überreden. "Bin sofort wieder zurück." Er machte sich
auf den Weg zu dem Mini-Mart.
In dem Laden angekommen,
ging er zu dem Kühlschrank im hinteren Ende des Geschäftes und studierte die
Auswahl. Weil das Bier sowieso aufs Haus ging, konnte er auch gleich einen
draufmachen. Er schnappte sich zwei der teureren Sorte und ging zur Kasse.
Dort stand ein Mann, der
auf den Kassierer wartete. Er drehte sich nach Tyler um, als er näherkam, und
fragte, "Arbeitest du hier?"
"Nee",
antwortete Tyler. "Aber was brauchen Sie denn?"
"Volltanken",
erwiderte er.
"Kein Problem",
sagte Tyler und zwang sich hinter die Theke, um den Schalter für die Tanksäulen
umzulegen. "Bezahlen Sie einfach, wenn Sie fertig sind."
Der Mann nickte.
"Danke", sagte er und ging wieder heraus zu seinem Auto.
Tyler marschierte mit den
beiden Bieren wieder in die Garage und öffnete sie mit seinem Schweizer
Armee-Messer. Er bot Louis eins an und nahm selber einen langen Zug von seinem
und genoss das Gefühl, wie das Bier ihm die Kehle herunter rann.
"Danke, Kumpel",
sagte Louis, doch Tyler erwiderte nichts. Er ging zum anderen Ende der Garage,
um einen besseren Blick auf den Mann zu werfen, der seinen Tank auffüllte.
Irgendwie kam der Mann ihm
bekannt vor, aber Tyler war sich nicht sicher, wo er ihn schon mal gesehen
haben könnte. Er sah nicht besonders auffällig aus, genau wie jeder andere von
einer langen Reise mitgenommene Autofahrer mit Ringen unter den Augen.
Doch dann sah er sie und
es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.
Eine Frau saß auf dem
Beifahrersitz, ein kleines Ding mit dunklen Haaren in einem Pferdeschwanz. Sie
steckte ihren Kopf aus dem Fenster, um dem Mann etwas zu sagen und verschwand
dann wieder im Inneren des Wagens. Aber er war genug für Tyler, zwei und zwei
zusammen zu zählen und sich an die Fahndungsfotos zu erinnern, die auf der
Wache die Runde machten.
Tyler wäre beinahe sein
Bier aus der Hand gefallen. "Louis!" zischte er, der sich vor Schreck
den Kopf an der Motorhaube stieß.
"Verdammt
Tyler... was denn?"
"Los, geh rein",
befahl Tyler in einem geradezu autoritären Ton. "Wenn der Typ rein kommt,
um zu bezahlen, halt ihn auf. Lass ihn bloß nicht gehen."
"Warum das
denn?" Louis war durcheinander und Tyler dachte, dass sein Freund nie bei
der Polizei anfangen könnte.
"Weil die gesucht
werden, darum." Tyler musste zufrieden grinsen. Zur Hölle mit dem, was
andere Deputies behaupteten, er sei zu jung und
unerfahren. Er würde zwei Flüchtige stellen, bevor er überhaupt einen Tag als
Polizist gearbeitet hatte. "Jetzt mach, dass du rein kommst und mach, was
ich sage!"
Louis war immer noch
durcheinander, aber er wurde jetzt auch von dem Enthusiasmus seines Freundes
ergriffen. Er legte sein Werkzeug beiseite und tat wie ihm geheißen.
Tyler sah, wie er den
Laden betrat und ging zufrieden zu dem Münztelefon hinter dem Haus, eine Hand
dem Abzeichen in seiner Tasche.
Mulder fuhr sich
ungeduldig mit der Hand durch die Haare. Wie lange braucht der bloß, um
Wechselgeld zu holen? Der Typ war mit seinen 50 Dollar im hinteren Bereich des
Ladens verschwunden und bis jetzt nicht wieder aufgetaucht.
Mulder blickte noch mal
aus dem Fenster. Er sah Scully auf dem Beifahrersitz, ihren Kopf gegen das
Fenster gelehnt. Er runzelte die Stirn, als er merkte, dass der junge Mann an
dem Münztelefon Scully immer noch beobachtete. Mulder hasste es, wenn die Leute
sie anstarrten, als ob sie die Attraktion irgendeines Volksfestes wäre. Obwohl
er wusste, dass sie sie nicht sehen konnte, machte es ihn rasend. Dieser Typ
war sogar schlimmer als die anderen—er schien geradezu fasziniert von ihr zu
sein...
Der Tankstellenwart kam
zurück und riss Mulder aus den Gedanken.
"Entschuldigung, dass Sie warten mussten, Mister", lallte er
und fingerte an dem Namensschild seines Overalls herum, das ihn als 'Louis' identifizierte. "Also... das wären zwei Mal Limonade,
eine Packung Brezeln und ein voller Tank—sagen Sie, wie viel war der Tank noch
mal? Der Zähler hier ist kaputt."
"Genau
vierzehn", antwortete Mulder und beäugte ihn misstrauisch. Louis war fast
noch ein halbes Kind. Mulder schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Sein rundes
Gesicht war leicht gerötet und als Mulder genau hinsah, konnte er die
Schweißperlen auf seiner Stirn sehen.
"Genau,
richtig", sagte Louis. "Ich zähle das dann schnell zusammen und gebe
Ihnen das Wechselgeld."
Mulder nahm ihn kaum wahr,
denn plötzlich war er hellwach. Irgendetwas stimmte nicht. Er sah noch einmal
nach draußen. Der Typ war immer noch am Telefon und starrte Scully immer noch
an. Er hatte irgendetwas in der Hand, das im Sonnenlicht blitzte und blinkte.
Der Typ drehte seine Hand etwas und jetzt konnte Mulder das Objekt deutlich
erkennen. Panik überfiel ihn und das Adrenalin schoss ihm durch die Adern.
"Behalten Sie das
Wechselgeld", schrie er. Er ignorierte seinen Einkauf auf der Theke und
war mit fünf schnellen Schritten aus der Tür und beim Wagen.
"Rick??" Mulder
hörte die Angst in Scullys Stimme, als er den Zündschlüssel drehte und das Auto
in Gang brachte. "Was ist los?"
"Polizei", sagte
er und steuerte den Wagen weg von den Zapfsäulen und aus der Tankstelle. Er sah
zurück und musste trotz allem grinsen, als er sah, dass der Typ am Telefon, der
mit dem Polizeistern, tierisch sauer war, weil sie so Hals über Kopf die
Tankstelle verließen. Er schrie in das Mundstück des Hörers und gestikulierte
wie wild.
Doch seine Zufriedenheit
hielt nicht lange an. Als er den Wagen wieder auf die Straße brachte, konnte er
zwei Polizeiwagen ausmachen, die schnell näher kamen. Er sah rasch zu Scully
und überprüfte den Sitz ihres Sicherheitsgurtes. Sie atmete hastig und krallte
sich an der Armlehne fest. "Halt
dich fest", sagte er und drückte das Gaspedal bis ganz auf den Boden.
Das provisorische
Hauptquartier pulsierte nur so vor beschäftigten Leuten, doch der Mann konnte
trotz des Lärms das Klingeln des Telefons hören. Er wusste instinktiv, dass es
für ihn war. Er blieb wo er war und blickte über die Schultern der Männer des
Untersuchungsteams auf die Karten. Sie waren gute Agenten, loyale Helfer der
Regierung, die auf ihr Leben geschworen hatten, in Regierungsangelegenheiten
zu helfen. Er wusste, dass ein Fall wie dieser sehr schwer für sie war—sie
hassten den Gedanken, dass es welche gab, die aus der Reihe tanzten und schwach
wurden und sich den Kriminellen anschlossen, die sie eigentlich bekämpfen
wollten. Sie hassten die Aufgabe, Kollegen stellen zu müssen.
Es war gut, dachte der
Mann, als er sich eine weitere Zigarette anzündete, dass diese Agenten, schlau
wie sie nun mal sind, nach einer einfachen Erklärung der Lage nicht weiter
nachfragten, sondern lediglich taten, was man von ihnen verlangte. Fußsoldaten
in einem Kampf, von dem sie nicht einmal wussten, dass sie ihn kämpften. Ihre
Loyalität manipuliert nicht nur durch die Regierung, wie sie sie kannten,
sondern durch eine größere, globale Kraft, die von eigenen Interessen lebte...
Wie erwartet kam einer der
jüngeren Agenten auf ihn zu. "Sir", sagte der junge Mann, "wir
haben eine bestätigte Sichtung der Objekte."
"Wie weit von
hier?" Der Mann ließ die Luft aus seinen Lungen und eine Wolke von Rauch umringte
ihn.
"Zwanzig Minuten auf
dem Luftweg", berichtete der Agent. "Der Helikopter wird soeben
vorbereitet."
"Gut", sagte der
Mann. Vielleicht findet diese lächerliche Jagd nun endlich ein Ende. Er hatte
nicht erwartet, dass sie so lange dauern würde.
Er drückte die Zigarette
in einem der nebenstehenden Aschenbecher aus und trat aus dem Gebäude in die
helle Morgensonne.
Tyler saß auf dem Rücksitz
des Autos mit seinem Gesicht gegen das Metallgitter gepresst, das den vorderen
von dem hinteren Teil des Einsatzwagens trennte. Ellis fuhr den Wagen, worüber
er im Stillen froh war; Ellis respektierte ihn genug, um ihn abzuholen und ihn
zum Einsatz mit zu nehmen. Er hatte immerhin die Flüchtigen identifiziert, die
schon seit sechs Wochen gesucht wurden.
Tyler fühlte abermals, wie
er vor Stolz rot wurde und fragte, um Ellis' Aufmerksamkeit über das Krächzen
des Funkgerätes zu erlangen, "Wohin glaubst du, fahren die?"
Ellis' Partner Deverell antwortete statt ihm mit triefendem
Sarkasmus. "Weißt du, Tyler, die sind
vielleicht vollauf damit beschäftigt, wie sie das Gesetz brechen können, und es
ist ihnen völlig egal, wohin sie gerade fahren." Deverell
war fast doppelt so alt wie Tyler und er hatte einen Bauch, der von mehr als
zwanzig Jahren Donut-Patroullie kündete.
Tyler kümmerte sich nicht
um eine Antworte auf diesen Kommentar, sondern wandte seine Aufmerksamkeit
stattdessen dem Wagen vor ihnen zu. Für die Verhältnisse eines alten Plymouth
schlug er sich ziemlich gut. Tyler nahm an, dass der Mann das Letzte aus dem
alten Teil herausholte. Immerhin stand die Tachonadel ihres Wagens auf weit
über achtzig Meilen und der Streifenwagen war noch gut in Form.
Ellis nahm nicht für eine
Sekunde den Blick von der Straße, als er den anderen seine Theorie mitteilte.
"Wenn ich er wäre, würde ich so schnell wie möglich von der Hauptstraße
verschwinden. Er hätte eine Chance im Kisatchie."
Tyler nickte eine stumme
Anerkennung an Ellis' Weisheit. Der Kisatchie
Nationalpark erstreckte sich von Saline und Glenmora
und es waren sehr viele kleine Straßen darin. Es wäre ein Leichtes, von ihrer
Position aus dorthin abzubiegen und genau in die Wälder zu fahren.
"Tja", sagte Tyler, "wir sollten sie besser kriegen, bevor sie
da verschwinden."
Ellis sagte nichts, aber
er schenkte Tyler ein kleines Lächeln im Rückspiegel. Tyler konnte in seinen
Augen etwas schimmern sehen, doch er wusste nicht genau, was es war. Es gab ihm
ein unwohles Gefühl. Es kannte Ellis nun schon seit
Jahren—er hatte sogar mit ihm zusammen Football gespielt—aber er hatte noch nie
eine solche Intensität bei ihm gesehen.
Es war, als ob er durch die Jagd angetrieben würde, als ob ihn das
Erlebnis der Hetzte faszinierte.
Tyler unterdrückte eine
plötzliche Übelkeit und erwiderte das Lächeln im Rückspiegel.
Mulder versuchte, den
Wagen auf der Straße zu halten, als er um eine weitere Kurve schnellte. Die
Straße wurde immer steiler und er wusste, dass er den Reifen das Äußerste
abverlangte. Die Polizeiwagen hinter ihm holten langsam auf und der Lärm der
Sirenen wurde mit jeder Sekunde zunehmend lauter.
Er blickte zu Scully. Sie
saß zusammengekauert auf ihrem Sitz und biss sich auf die Unterlippe.
"Alles klar?" fragte er und wandte seinen Blick wieder auf die
Straße.
"Ja."
Das Wort war ein einziges Keuchen. "Sie holen auf, oder?"
Er nickte, doch dann
merkte er, was er tat und suchte nach Worten. "Ja... aber es ist noch nicht vorbei."
In diesem Moment nahm noch
ein dritter Wagen die Verfolgung auf und Mulder stockte das Herz. Anders als
die Einsatzwagen war dieser kein übliches Polizeifahrzeug. Er war schwarz mit
leicht verdunkelten Fenstern. Als er das Auto beobachtete, wurde eines der
Fenster heruntergerollt. "Scully, runter!" schrie er gerade noch
rechtzeitig, bevor sie ein Kugelhagel befiel und die Heckscheibe in tausend Stücke
zerschellte. Sie schrie vor Angst und rutschte noch weiter in ihrem Sitz
herunter, bis ihr Kopf auf der Höhe des Handschuhfaches war.
Mulder überzeugte sich
schnell, dass sie unverletzt war und warf dann den Wagen herum von der Straße
auf einen älteren Seitenpfad. Sie war nicht breit genug für normalen Verkehr,
es muss wohl irgendein Touristenweg sein, nahm er an. Aber es reichte.
Ohne sich umschauen zu
müssen wusste er, dass seine Verfolger ihm dieses gefährliche Manöver
nachgemacht hatten, und ihnen immer noch auf den Fersen waren. Er konnte das
Quietschen ihrer Reifen in der scharfen Kurve hören und schickte ein Stoßgebet
zum Himmel, als er auf dem steilen Weg beschleunigte.
"Wo zum Teufel fährt
der hin?" Deverell klang ärgerlich und verwirrt zugleich.
"Wie ich gesagt
habe", sagte Ellis. "Er versucht es im Wald."
Tylers Herz schlug
schneller, als sie dem Valiant den Anstieg hinauf
folgten. Er wusste, wo sie waren, er kannte hier die Straßen. Jedes Kind aus
der Gegend kannte sich hier aus, es gab hier nämlich viele schöne Stellen, an
die man Mädchen zu Mondscheinausflügen mitnehmen konnte. Aber er war noch nie,
nicht einmal wenn er sturzbetrunken war und mit
Kumpels einen draufmachte, diese Straßen mit dieser Geschwindigkeit hoch
gefahren. Niemand, der einigermaßen
richtig im Kopf war, würde das versuchen.
Tyler saß in dem
vordersten der drei Verfolgerwagen. Sogar der schwarze Sedan
war nun hinter ihnen, stellte Tyler zu seiner Erleichterung fest. Als die
Insassen des Sedans das Feuer auf den Plymouth
eröffnet hatten, war ihm das Blut ins Gesicht geschossen. Tyler hätte nicht
gedacht, dass sie schießen würden, jedenfalls nicht so.
Der Valiant
kam jetzt an die höchste Stelle der Steigung und begann nun, die abfallende
Gegenseite des Berges hinunter zu fahren. Nun würden die Verfolgerautos wegen
ihrer besseren Motoren und Reifen im Vorteil sein. Sie waren jetzt so nahe,
dass Tyler die beiden Insassen des Autos sehen konnte. Der Mann saß zusammengekauert am Steuer, als
ob er durch schieren Willen das Auto zu einer schnelleren Geschwindigkeit
bringen könnte. Die Frau saß ganz klein auf ihrem Sitz, so dass Tyler lediglich
ihren Kopf sehen konnte.
Sie flogen um eine Kurve
und Ellis musste den Wagen herumschleudern, um ihn auf der Straße zu halten.
Und dann passierte es.
Tyler musste mit Schrecken
zu sehen, wie der alte Plymouth mit quietschenden
Reifen ins Schleudern geriet. Er drehte sich um 180 Grad und krachte gegen die
Absperrung, die durch die Wucht zerschellte und dem unvermeidlichen Sturz des
Wagens keinen Halt mehr bot.
Tyler nahm wie benommen
das Quietschen der eigenen Reifen wahr, als Ellis scharf auf die Bremse trat.
Er sah, wie der Plymouth mit seinen Insassen über den Abhang hinaus schnellte
und in den Wald darunter stürzte. Einige Sekunden später vibrierte das
knallende Scheppern von Stein gegen Metall in seinen Ohren und er fühlte, wie
sich ein Kloß in seinem Hals bildete.
Auf einmal war sich Tyler
gar nicht mehr so sicher, ob er wirklich noch Polizist werden wollte.
DURCHREISE (3/3)
von
Nicole Perry nvgrim@aol.com
Die Stille war
ohrenbetäubend.
Scully fuhr sich mit der
Zunge über die trockenen Lippen und versuchte, sich aufzurichten. Ihr tat alles
weh; sie fühlte sich wie nach einer Tracht Prügel, aber es schien nichts
gebrochen zu sein. Sie versuchte, Klarheit in ihr hämmerndes Gehirn zu bringen
und nach einigen Sekunden fiel ihr alles wieder ein.
Die Hetzjagd.
Der Unfall.
Mulder…
Sie kam wieder zu völligem
Bewusstsein und bemühte sich zu sprechen. "Rick?"
Ihre Stimme war leise und
schwach. "Rick?... Mulder?"
Doch als sie keine Antwort
erhielt, bekam sie Angst. Zitternd tastete sie nach ihrem Sicherheitsgurt. Sie
löste den Verschluss und rutschte über den Sitz. Der Wagen wackelte bereits durch
diese leichte Bewegung. Sie streckte ihre Hände aus und tastete nach ihm, bis
sie ihn fand und sein Flannelhemd unter ihren Fingern
fühlte. Sie schüttelte ihn leicht. "Mulder... Mulder..."
Ihre Finger tasteten an
seinem Körper entlang bis zu seinem Gesicht. Sein Mund war offen und sie
stellte mit Erleichterung fest, dass sie seinen Atem an ihrer Haut spürte.
Seine Augen waren geschlossen und seine Lider wie Federn unter ihrer Berührung.
Sie erschrak, als sie eine warme Flüssigkeit an seiner Stirn fühlte. Sie hob
ihre Hand zu ihrem Mund und schmeckte den bitteren
Geschmack seines Blutes.
"Oh nein... nein nein nein nein..."
ihre Stimme überschlug sich in einem Panikschrei. "Mulder..
bitte... wach auf... wach auf..."
Wieder keine Antwort und
sie fühlte, wie die Angst sie übermannte und drohte, ihr den Verstand zu
rauben. Doch der Geruch hielt die Panik im Zaum -- der Geruch von Benzin, und
dazu das Geräusch einer tropfender Flüssigkeit.
Scully hatte nicht viel
Ahnung von Autos, aber sie wusste, dass der Wagen jederzeit explodieren konnte.
Dem Geruch und dem Tropfen nach zu urteilen, konnte die Explosion irgendwann
zwischen Sekunden und einigen Minuten passieren. Sie musste Mulder hier
herausbringen. Sofort.
Dieser Gedanke trieb sie
zur Tat an und sie kroch zurück auf ihre Seite des Wagens. Wieder rumpelte er
durch die Bewegung und sie versuchte, die Situation abzuschätzen. Sie befanden
sich definitiv in einer gekippten Position und Mulders Seite war unten. Aber
waren sie auf festem Boden? Sie wusste es nicht.
Sie fand den Türgriff und
öffnete die Tür, indem sie ihr Körpergewicht dagegen einsetzte. Sie drehte sich
auf den Bauch und rutschte mit den Füßen voran aus dem Wagen. Sie hielt sich am
Sitz fest und tastete mit den Füßen nach festem Boden, doch sie trat ins Leere.
Was soll ich machen, wenn sich unter mir nichts als Luft befindet? dachte sie
für eine Schrecksekunde. Sie weigerte sich, diese Frage zu beantworten, nahm
allen Mut zusammen und ließ sich fallen.
Scully landete auf dem
Boden und war trotz des harten Aufpralls erleichtert, dass sie auf festem Boden
war. Sie versuchte, nicht zu weit von dem Auto weg zu rollen. Wackelig stand
sie auf, ihre steifen Muskeln zuerst kaum fähig, ihr Körpergewicht zu tragen.
Sie legte ihre Hände auf die kalte Karosserie des Wagens und ging tastend um
ihn herum zur anderen Seite.
Sie erreichte die
Fahrertür als letztes und versuchte, sie auf zu ziehen, doch es ging nicht.
Abgeschlossen! dachte sie verzweifelt. Für einen kurzen Moment dachte sie
daran, wieder zurück zu ihrer Seite zu gehen, und diese zu öffnen, aber der
Geruch des Benzins wurde stärker und sie hatte nicht mehr viel Zeit.
Sie zog den Ärmel ihres
Pullovers über ihre Faust und schlug die Scheibe ein, hoffend, dass Mulder
nicht durch die Glassplitter weitere Verletzungen erlitt. Sie griff nach dem
Schloss und zog die Tür auf.
Mulders Körper war nun
nicht mehr auf die Tür gestützt und wurde nur durch den Sicherheitsgurt
gehalten. Er fiel ihr auf halbem Weg entgegen. Sie fand den Verschluss seines
Gurtes und öffnete ihn. Er fiel auf den Boden und landete neben ihren Füßen.
Sie hoffte, dass er durch den Fall das Bewusstsein wieder erlangt hat, und sie
hockte sich neben ihn und betastete sein Gesicht. Sie hörte auf seine Atmung,
die ruhig und beständig blieb, als ob er schlafen würde. Sie legte zwei Finger
auf seien Hals und fühlte nach seinem Puls. Er raste, aber er war gleichmäßig.
Gott sein Dank!
Ungebetene Tränen
begannen, ihre Wangen herunter zu rinnen und sie wischte sie sich mit dem
Handrücken weg. Sie versuchte, einen Plan aufzustellen. Weg von dem Wagen, weg, weg, weg! schrie eine
Stimme in ihrem Kopf. Sie trat um Mulder herum, um ihn besser nehmen zu können
und wand ihre Arme unter seine Schultern. Sie richtete sich auf und zog ihn
hinter sich her. Sei Körper war jetzt
schon schwer, obwohl sie noch keinen einzigen Schritt gegangen war.
Sie wollte schon losgehen,
als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss. Woher sollte sie wissen, dass sie
sich nicht im Kreis drehen würde und sie sie am Ende kein Stück vom Unglücksort
wegbringen würde? Scully suchte trotz ihrer Panik nach einer Antwort. Die
Sonne. Sie konnte die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht spüren, am intensivsten
auf ihrer rechten Wange. Nach dem zu urteilen, dass es etwa später Nachmittag
sein müsste, müsste sie ungefähr gen Süden gerichtet sein. Solange sie die
Sonne auf ihrer Wange fühlen konnte, müsste sie etwa eine gerade Linie
einhalten.
Erfüllt mit dieser
Erkenntnis fing sie an, Mulder hinter sich her zu ziehen. Sie kam nur sehr
langsam vorwärts und tastete jedes Mal nach dem Boden vor sich, bevor sie ihren
Fuß aufsetzte. Sie achtete immerzu auf die Wärme auf ihrem Gesicht.
Sie war keine zehn
Schritte voran gekommen, als Mulders Gewicht drohte, zu viel für sie zu werden.
Aber sie biss die Zähne zusammen und quälte sich weiter.
Scully hatte keine Ahnung,
wie weit sie gekommen war, als die Explosion mit ohrenbetäubendem Lärm und
einer gewaltigen Hitzewelle die Luft zerriss.
Sie konnte nicht einmal
ihre eigenen Schreie hören, als sie fiel.
Nach einigen Momenten
wurde es wieder stiller, aber sie konnte immer noch die prasselnden Flammen
hören und der Rauch stach ihr in Augen und Nase. Sie stand wieder auf, festigte ihren Griff um
Mulder und kämpfte sich weiter vorwärts. Sie stolperte mehr als ihr lieb war,
doch sie fand ihren Rhythmus und kam vorwärts.
Und in dem Moment, als sie
das Gefühl hatte, nicht mehr weiter zu können, spürte sie die Sonne nicht mehr.
Verwirrt blieb sie stehen,
doch als sie umhertastete merkte sie, dass die Bäume hier dichter waren und die
Äste einfach die Sonne blockieren mussten.
Sie hatte jetzt keinen Richtungsweiser mehr und entschied sich dafür
anzuhalten.
Sie sank zusammen und
lehnte sich gegen den nächsten Baum. Ihre Hände fanden Mulder und sie zog
seinen Kopf in ihren Schoß. Sie strich mit ihren Fingern durch sein Haar und
vermied seine Wunde, die immer noch feucht vor Blut war. Sie betete zu jedem,
der es hören wollte und begann, immer und immer wieder seinen Namen zu flüstern
in der Hoffnung, dass er aufwachte. Sie
fürchtete sich davor, wenn es nicht passieren würde.
Tyler stand mit seinen
Kollegen und mit zwei Männern aus dem schwarzen Fahrzeug am Rande des Abgrunds.
Sie redeten nicht viel, sondern sahen lediglich dem Feuer zu und dem Rauch, der
stetig von dem verbrannten Wagen unten im Tal aufstieg. Einige nebenstehende
Bäume hatten ebenfalls angefangen zu brennen und drohten, einen richtigen
Waldbrand zu entfachen. Der Wagen selbst war kaum sichtbar, denn er war hinter
einige Felsen geknallt, die das Wrack fast ganz verdeckten.
Tyler hatte noch nie so
etwas Schreckliches gesehen. Seine eigene Stimme hörte sich in seinen Ohren
fremd an, als er fragte, "Glauben Sie, dass sie irgendwie überlebt haben
könnten?"
Ellis, sein Held und
Mentor, drehte sich zu ihm um, sein Ausdruck kalt wie Stein. "Nie im
Leben", war alles, was er sagte. "Nie im Leben."
In diesem Moment hörte er
das Quietschen von Reifen eines anderen Wagens und Tyler drehte sich um, um ihn
zu sehen. Vier Männer stiegen aus, doch nur einer erfasste Tylers Aufmerksamkeit.
Er war groß und auf eine dunkle und beängstigende Weise beeindruckend. Er
kümmerte sich offenbar überhaupt nicht um das Feuer, denn er hatte eine
Zigarette in der Hand, an der er in langen Zügen zog, als er näher kam.
Der Mann ging direkt auf Ellis
zu. "Was ist passiert?" fragte er.
Ellis antwortete ihm nicht
sofort und Tyler konnte sehen, wie seine Oberlippe unter seinem Schnurrbart
zitterte. "Wir haben sie hier herauf verfolgt und dann ist er da
runtergestürzt. Der Typ muss wohl verrückt gewesen sein zu denken, dass er
diese alte Karre in diesen Kurven im Griff hat. Sie können diesen Sturz nie im
Leben überlebt haben."
Vielleicht war es, weil
Tyler sich absolut sicher war, dass Ellis recht hatte, dass der Mann ihn mit
seinen nächsten Worten völlig überraschte. "Ich will ein Suchteam da
unten. Sofort. Schießen Sie, wenn Sie sie finden."
"Aber Sir..."
Ellis war genauso verwirrt wie Tyler. "Keine Chance, dass da unten noch
jemand lebt."
"Suchen Sie
gründlich." Der Mann klang kalt wie Eis. "Jetzt gleich."
Ellis nickte und winkte
seinen Männern.
Mulder regte sich. Sein
ganzer Körper tat ihm weh und sein Kopf war ein einziger ratternder
Presslufthammer. Er wollte in beruhigenden Schlaf versinken, aber etwas zog ihn
davon weg, etwas Hartnäckiges—
< MulderMulderMulderbitte
>
etwas von dem er wusste,
dass er es tun musste. Er regte sich abermals und versuchte, wieder Bewusstsein
in sein müdes Gehirn und in seinen Körper zu bringen—
< bittebittewachaufichbrauchedich
>
noch eine kleine Bewegung
und ein Drehen des Kopfes und seine Augen öffneten sich. Alles, was er sah,
waren Bäume. Er fühlte die schmerzhafte Festigkeit von dreckigem Boden mit
Zweigen und Steinen unter sich. Und dann hörte er Worte, er hörte sie diesmal
wirklich.
"Mulder... Mulder...
bitte wach auf..."
"Scully?"
krächzte er rau.
"Mulder—Mulder??"
Ihre Stimme überschlug sich fast und ihre Hände glitten über sein Gesicht und
über seine Brust.
Er versuchte aufzustehen
und nahm ihre Hände, um zu verhindern, ins Gesicht geschlagen zu werden. "Schhhh... Scully.... Ich bin ja hier", versicherte er
ihr.
"Oh—Mulder!" war
alles, was sie sagte, aber der starre Griff um seinen Nacken sprach für sich.
Er ließ sich von ihr
umarmen und spürte ihr warmes Gesicht neben seinem. Sein Kopf hämmerte immer noch und sein
Verstand stellte ihm tausend Fragen auf einmal. Als er merkte, dass sie langsam
aufhörte zu zittern, löste er sich von ihr und hob mit einer Hand ihr Kinn an,
um sie anzusehen.
"Scully?"
fragte er sanft. "Was ist passiert?"
Er konnte spüren, wie sie
von Angst und Anstrengung geschüttelt wurde und wartete, bis sie ihre Fassung
wieder gewonnen hatte. Ihr Atem kam rasch in kurzen Stößen. Langsam fing sie
an, ihm alles zu erzählen, was passiert war, an was sie sich erinnern konnte
und was sie getan hatte.
Er sah sie die ganze Zeit
an, während sie redete. Ihre blicklosen Augen waren rot umrandet und
tränennass. Ihr Gesicht war schmutzig, voller Dreck und Schweiß und eine
hässliche Wunde reichte von ihrem Ohr bis fast zu ihrem Kinn. Ihre Haare waren
zerzaust und ihre Haarspange hin nur noch an einigen wirren Strähnen. Er
entfernte sie aus ihren Haaren und ballte seine Faust darum, während er ihr
zuhörte.
Als sie endete blickte er sich
überwältigt um. Er nahm den scharfen Geruch von Rauch wahr und doch war der Ort
der Explosion so weit entfernt, dass er keine direkte Gefahr von dem Feuer
ausgehen sah.
Er starrte sie sprachlos
an. Er fand keine Worte für die Emotionen, die er in dem Moment empfand.
"Scully, du..." begann er und versuchte zu äußern, was er ihr sagen
wollte.
"Mulder—" sie
schnitt ihm das Wort ab, ihre Stimme fest und ernst. "Sag es nicht. Ich
hätte dich *nie* zurückgelassen."
Er spürte einen Kloß in
seinem Hals und nahm sie in seine Arme.
Schutzsuchend sank sie gegen ihn. Sie saßen eine Weile so da, und er
dankte im Stillen ihrem Schicksal.
Dann hörte er Schritte in
der Ferne. Sie hörte sie ebenfalls, er sah es an dem Ausdruck auf ihrem
Gesicht.
Er nahm sie bei der Hand
und stand auf wackeligen Beinen auf. Ein Schmerzensstich durchfuhr seinen Kopf
und die Benommenheit brachte ihn fast zu Boden, doch er kämpfte entschlossen
dagegen an. "Komm, Scully", sagte er und zog sie hoch.
Sie nickte und er war
froh, sie so entschlossen zu sehen. Es gab ihm Mut.
Er hielt ihre Hand und
begann, sich einen Weg durch die Bäume zu bahnen.
Der Mann stand rauchend
da, als er beobachtete, wie das Suchteam unter ihm die Wälder durchkämmte. Bis
jetzt hatten sie noch nichts gefunden und ein kleiner Teil von ihm wollte
glauben, dass die beiden Menschen, die er suchte, wirklich in dem Wrack
umgekommen waren.
Aber er kannte diese
Leute. Auf irgendeine Weise kannte er sie besser als sich selbst. Er hatte sie
studiert und hatte eine Vorstellung davon, worauf sie aus waren. Er musste
zugeben, dass er sie für ihr Durchhaltevermögen bewunderte, wenn nicht noch
wegen vielem mehr. Er ließ das Team weitersuchen, eben weil er sich dieses
Durchhaltevermögens sehr wohl bewusst war.
Der Mann bemerkte den jungen
Polizisten, der am Rande des Kliffs stand und fasziniert das Drama unten
beobachtete. Er wusste, dass er derjenige war, der sie entdeckt hatte und war
bei dieser Gelegenheit neugierig, ob sich nicht noch etwas herausfinden ließ.
Er winkte den jungen Mann
zu sich, und übersah den Anflug von Angst nicht, der über sein Gesicht huschte
als er näher kam, seine Hände fest um einen Polizeistern gepresst. "Sir?
Kann ich Ihnen helfen?"
"Ich würde gerne
wissen", flüsterte der Mann, "ob Sie mir noch etwas über diese
Angelegenheit sagen können. Haben Sie noch irgendetwas bemerkt?"
"Ähm...". Der
junge Mann zögerte. "Ich bin mir nicht sicher, aber..."
"Was!" Ein
Befehl, keine Aufforderung.
"Die Frau, Sir. Ich
habe sie an der Tankstelle gesehen." Er trat nervös von einem Bein aufs
andere, dann fuhr er fort. "Ich glaube... ich glaube, dass sie vielleicht
blind ist."
"Danke." Der
Mann entließ den Jungen ohne ein weiteres Wort. Das war eine äußerst
interessante Information... und sie passte wunderbar zu einigen anderen Berichten,
die er gehört hatte.
Dana Scully... blind. Der
Mann lächelte in sich hinein, doch sein kalter Gesichtsausdruck zeigte
äußerlich keine Anzeichen der Genugtuung, die er empfand. Er hätte nicht nach
besseren Spielkarten fragen können, um das Spiel zu beginnen.
Er zündete sich seine
nächste Zigarette an und ließ die Suche in seiner Abwesenheit fortfahren.
Und das ist alles, das sie
schrieb... ;-) Vielen Dank fürs bleiben— bitte schreibt mir Eure
Meinung—Kommentare, Kritik und Komplimente werden freudig angenommen bei nvgrim@aol.com - Danke!