(Originaltitel: Ahead Of Twilight)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. < hadyoubigtime@netcologne.de
>
*** überarbeitet 2017 ***
2. März 1999
Disclaimer: Wenn Fox
Mulder mir gehören würde, würde ich ihn mit anderen Dingen beschäftigen als mit
dem Lösen von Fällen. Wenn Dana Scully mir gehören würde, würde ich immer mit
ihr shoppen gehen. Ich kann auch weder Skinner noch
die Schützen mein Eigen nennen oder irgendjemand anderes, den Ihr
wiedererkennt. Sie gehören alle Chris Carter, 1013, Fox Broadcasting
und all den anderen glücklichen Gestalten.
Spoiler: Alles bis zu
Biogenesis kommt hin.
Ein GROSSES Dankeschön an
meine schon-ewig-leidende beta-Leserin,
Julie, die die Geschichten verständlich macht, und die praktisch die Szene mit
Mulder, Byers und Skinner allein geschrieben hat, aber dann auf Co-Autor Rechte
verzichtet hat.
Wertung: R für Sprache.
WARNUNG: Tod einer Figur.
ZUSAMMENFASSUNG: Mulders
Leben hat sich unwiderruflich verändert und jetzt muss er auf Skinners Hilfe
hoffen, sich von einem schrecklichen Fehlurteil zu erholen.
Das Urteil war schnell
gefällt, nachdem die Jury nur drei Stunden für ihre Entscheidung gebraucht
hatte. Ein Bundesagent war des Mordes beschuldigt worden. Es war klar, dass
dieser Fall alle Schlagzeilen in den Zeitungen und jede Nachrichtenstation füllen
würde.
Reporter des ganzen Landes
standen dicht gedrängt im Gerichtssaal, alle Augen auf einen Mann gerichtet,
der bewegungslos da stand und Angst hatte zu atmen, während er auf sein Urteil
wartete. Heute würde er erfahren, was aus ihm geworden war. Der Moment war
gekommen, in dem ihm sein ganzes Leben aus den Händen gerissen wurde.
Bis jetzt hatte er noch
Hoffnung gehabt, dass sie ihm einfach nur eine Heidenangst einjagen wollten—es
war immerhin nicht das erste Mal, dass er verarscht worden war—aber jetzt war
das letzte Krümelchen Hoffnung geschwunden. Das Urteil stand, und als es mit
tonloser, gelangweilter Stimme
vorgelesen wurde, brach die ganze Welt über ihm zusammen. Endlich verstand er,
dass sie viel zu mächtig waren und er ein Nichts war. Jemals anders gedacht zu
haben, war ein idiotischer Fehler gewesen.
Seine Schultern zuckten,
als der Richterhammer fiel und sein Leben endete. Von jetzt an war das Leben da draußen für ihn
nichts weiter als kalte Existenz. Es würde selbstverständlich Einsprüche geben,
aber Mulder wusste tief in seinem Innern, dass es vorbei war. Er war jetzt ein
toter Mann, obwohl sein Herz in seiner Brust die kommenden Jahre weiter
schlagen würde.
Es war einfach passiert,
aber nicht urplötzlich. Die Zeit hatte sich seit Monaten unerbittlich bis zu
diesem Moment geschleppt, aber erst jetzt erkannte er, als er der Realität ins
Auge blickte, dass er nie wirklich an diesen Moment geglaubt hatte.
Schuldig.
Schuldig des Mordes.
Es kam ihm vor, als ob
sich die ganze Welt um ihn herum schwarz färbte, als sich sein Blickfeld zu
einem schmalen Streifen verengte, der auf dem Richterhammer endete. Wie konnte
das passieren? Wie konnte sein Leben jetzt schon vorbei sein? Es war allen
egal, dass er unschuldig war. Der Richter würde alles sagen, was 'Die' ihm
befahlen und 'Die' hatten ihn zu Lebenslänglich verdammt. 'Die' würden ihn
nicht einfach so umbringen. Wo war da der Spaß? 'Die' wollten, dass er litt.
Und welcher Weg war wohl einfacher und besser, dieses Ziel zu erreichen, als
ihn in Ketten zu legen und abzuführen, weg von seiner Familie, seinen Freunden
und der Welt, die er nie wieder sehen würde?
Eine Hand berührte seinen
Arm und er drehte sich um, immer noch unter Schock, um dem Menschen ins Gesicht
zu sehen. In ihren Augen standen die Tränen, die sie hier vor all den Reportern
und Schaulustigen nicht vergießen wollte, und ihr Gesicht war ein Spiegelbild
ihrer Qualen—genau wie seines.
Wortlos legte sie ihre
Arme um seine Hüften und ihren Kopf auf seine Brust. Benommen wollte er seine Hände heben, um sie
zu umarmen doch er fühlte den Widerstand, als sie hinter ihm zusammengehalten
wurden.
Jetzt schon? Sie wollten
ihn jetzt schon abführen? Aber er hatte doch noch keine Gelegenheit gehabt.....
Bevor er überhaupt seinen
Gedanken beenden konnte, fesselten sie seine Hände hinter seinem Rücken; das
scharfe Zuschnappen des Metalls ließ sie beide zusammenfahren. Das eiskalte
Messer der Wirklichkeit durchschnitt Mulders Seele. Es war seine allerletzte
Gelegenheit gewesen, sie zu umarmen, und er hatte sie verstreichen lassen.
Stolpernd, und für einen Moment widerstehend, versuchte er soweit zu Atem zu
kommen, um nach ihr zu rufen.
"Scully..."
murmelte er, als sie ihn bei den Armen nahmen und ihn grob wegführten. Seine Füße
wollten dem Pfad nicht folgen, den die Männer für ihn bestimmt hatten, um ihn
zu zermürben. Er fand mit einem Mal wieder seine Stimme, als er immer weiter
weg von ihr gedrängt wurde. "Scully!" rief er, und wollte sich seinen
Weg zu ihr erkämpfen. Die beiden bulligen Wärter rissen ihn zurück und
schleiften ihn auf die Tür zu, als hinter ihm der ganze Gerichtssaal laut
wurde. Sie erreichten den Ausgang und er schaffte es noch einmal, soweit von
ihnen loszukommen, dass er einen letzten Blick auf die Frau werfen konnte, die
ihm alles bedeutete.
Eine einzelne Träne
entwich ihr, die ihm auf ihrem Weg über ihre Wange das Herz brach. Skinner
spürte, dass sie Trost brauchte und legte einen Arm um ihre Schulter. Mulder
sah zu, wie er sie weg führte.
Sein Atem ging heftig und
flach und der Schmerz in seiner Brust war am Rande der Unerträglichkeit, doch
Mulder warf noch einen Blick in den Saal.
Das letzte Bisschen Freiheit. Der letzte Mensch, den er sah, bevor die
Tür sich hinter ihm schloss, war der Raucher, der am Richtertisch lehnte und
sich gemächlich eine seiner Höllen-Zigaretten anzündete. Ihre Blicke trafen
sich für einen Moment und der alte Mann lächelte, nickte Mulder zu. Mulder
wandte seinen Kopf und alles wurde ihm entrissen.
Vier Jahre später
Die Freiheit hat schon was
Seltsames an sich, dachte Mulder, als er zusah, wie sich die Szene vor ihm
abspielte. Man kann sie nie für selbstverständlich nehmen. An einem Tag hat man
sie, und am nächsten Tag kann man sie schon wieder verlieren, sie wird einem einfach
ohne Vorwarnung genommen. Für ihn hatte es alles mit einem Hämmern an der Tür
angefangen. Die Polizei hatte an einem späten Abend mit einem Haftbefehl gegen
ihn Einlass verlangt. Er würde nie die nackte Angst vergessen, die ihn befiel,
als sie ihm Handfesseln umlegten und ihn aus dem Haus in den Streifenwagen
begleiteten. Trotzdem er wusste, dass er unschuldig war, hatte er Angst gehabt.
Er hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt. Irgendwie hatte er geahnt,
dass das hier mehr war, als nur ein belangloses Missverständnis.
Die folgenden Wochen und
Monate hatte er wie durch einen Schleier erlebt. Er musste lange Zeit sinnlos eingesperrt in
einer Zelle eines kleinen Gefängnisses verbringen. Mulder wusste, dass ein
harter Kampf um seine Freiheit außerhalb dieser Mauern stattgefunden hatte,
aber in seiner drei mal drei Meter großen Welt konnte
er nichts dazu beitragen. Die Zeit war viel zu langsam für ihn hingekrochen.
Sie war wie ein Herzschlag, der mit jeder Sekunde wertvolles Leben verlor,
langsamer und langsamer und langsamer, bis zu dem Tag, an dem im Gerichtssaal
das Urteil verlesen wurde und die Kraft des Lebens völlig versiegte.
Die nächsten vier Jahre
würde er damit verbringen, den Rest seiner Zeit auf Erden zu vergessen. Ein
Großteil der Tage (eintausendsiebenhundertunddrei,
rechnete Mulder) war in relativer Finsternis vergangen, zu viele in
Abgeschiedenheit—zum Teil, um ihn zu schützen, zum Teil weil Mulder, der
ohnehin nicht gerade von gehorsamer Natur war, herausgefunden hatte, dass
es ohne Hoffnung auf
Entlassung keinen Unterschied machte, ob man sich an Regeln hält oder nicht. Er
arbeitete von Zeit zu Zeit wie er sollte, um ein wenig von den Leuten
wegzukommen. Es wäre vielleicht quälend einsam gewesen, aber es war besser für
ihn so. Als Bundesagent einzusitzen war keine schöne Sache. Da würde ihm jeder
zustimmen. Trotz dieser Sicherheit gab es Nachteile. Die Tage in Isolation
hatten sich sogar noch langsamer dahin geschleppt und Mulder hatte
festgestellt, dass sein Leben zwar zu Ende war, seine Existenz sich aber weiter
quälte.
Eine vierundzwanzigstündige
Periode hängte sich unmerklich an die nächste, jede verschmolz unumgänglich mit
der nächsten und der nächsten, bis Mulder sich vorkam, als ob man ihn aus dem
Leben in die Hölle gestoßen hätte, in der es den Tod als Ausweg nicht gab. Ein
Moment zog sich erbarmungslos in den nächsten - Zeit, die ihn mit ihrer
Hartnäckigkeit folterte und ihm zusetzte. Er war sich sicher gewesen, dass er
im Gefängnis nicht überleben würde, und er hatte Recht behalten. Der einzige
Faktor, mit dem er sich verschätzt hatte war, wie lange ein Organismus brauchte
um zu sterben, wenn die Seele aufgegeben hatte.
Einige Momente der
vierjährigen Monotonität hatte er immer noch
kristallklar vor Augen, und das waren genau die Momente, die Mulder für alle
Ewigkeiten aus seinem Gedächtnis verbannen wollte. Fragmente von ihnen drängten
sich immer noch in sein Bewusstsein, in einer Serie von
Standbildern—Erinnerungen, wie er von einem anderen Häftling gefesselt wurde,
während ihm ein Wärter die Seele aus seinem Leib prügelte; wie zwei der
schlimmsten Mörder, die er je erlebt hatte, ihn während einer Übung in die Ecke
getrieben hatten… wie er an der Betonwand der Zelle festgesetzt wurde… als er
verzweifelt versuchte, sich herauszuwinden, während…… Er verdrängte diese
Erinnerung wie ein Dutzend ähnliche. Es hatte keinen Sinn, diese Torturen noch
einmal durchzustehen. Es war vorbei. Er war ein freier Mann.
Mulder warf Skinner einen
Blick zu, der hinter dem Steuer saß. Der ältere Mann erhaschte ihn und
lächelte. Mulder starrte ihn verblüfft an. Skinner konnte lächeln? Er war sich
sicher in all den Jahren, in denen er für ihn gearbeitet hatte, er diese Lippen
nie anderes gesehen hatte als fest zu einer Linie zusammengepresst bei Gelegenheiten,
in denen er ihn zur Sau gemacht oder Kommentare über seine und Scullys neueste
Eskapade zurückgehalten hatte. Nicht, dass Skinner je einer gewesen war, der
viel zurückgehalten hatte, grübelte er und seine Gedanken drifteten zu Scully. Er war in den letzten anderthalb Jahren gut
darin geworden, jegliche Gedanken an sie zu vermeiden --
(vierhundertvierundneunzig Tage, flüsterte sein Unterbewusstsein), und obwohl
er wusste, dass er jetzt nach seiner Freilassung um das Thema 'Scully' nicht
herumkommen würde, schien es im Moment einen auszeichnete Idee, es fürs erste
zu vergessen. Später hatte er noch genug Zeit, sich darum zu kümmern. Im Moment
war er zu genüge damit beschäftigt sich zu erinnern, wie sich Freiheit
anfühlte.
Sie näherten sich jetzt
einem dicht bewohnten Gebiet, in dem Geschäfte und Restaurants die Aussicht
zierten, und Mulder ertappte sich dabei, wie er sich die Menschen ansah—er
suchte Gesichter, die nicht von den Strapazen gezeichnet waren, die seine
Mitgefangenen in den letzten Jahren erleben mussten. Mütter mit kleinen Kindern
faszinierten ihn; er starrte schamlos aus dem Fenster und nahm die Eindrücke
der Freiheit in sich auf.
"Haben Sie
Hunger?" Skinners Stimme erschreckte ihn ein wenig. Mulder dachte über die
Frage nach. Er konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, an dem er ein
Hungergefühl verspürt hatte. Er hatte schon seit langem seinen Appetit
verloren, und er war sich sicher, dass er nie wieder welchen bekommen würde.
Doch er konnte nicht abstreiten, dass das Angebot von echtem Essen
(Freiheits-Essen) sich nicht schlecht anhörte. Also nickte er und Skinner fuhr
in die Einfahrt des nächsten Burger Kings. Als sie den Lautsprecher erreichten,
in den man seine Bestellung sprechen konnte, warf Skinner Mulder einen Blick
zu—er verstand, dass nach all den Jahren, in denen fast jede Entscheidung n von
anderen für ihn getroffen worden war, Mulder jetzt beim besten Willen keine
schnelle Wahl treffen konnte. Er bestellte zwei Burger, Pommes Frites und etwas
zu trinken und rückte dann mit dem Wagen auf. Mulder lehnte sich währenddessen
in seinem Sitz zurück, schloss die Augen und zog erwartungsvoll den Geruch ein,
der durch das offene Fenster ins Auto strömte. Gerüche der Stadt. Die Abgase
der Autos in der Warteschlange, und der alles übertrumpfende Lärm der Kinder
auf dem Spielplatz. Mulder versuchte den Kloß in seinem Hals, der sich auf
einmal gebildet hatte, herunterzuschlucken und hoffte, dass Skinner nicht
gerade jetzt ein Gespräch mit ihm anfangen wollte.
Dem schien jedoch nicht so,
und Skinner fuhr Stück für Stück weiter bis zum Ausgabefenster, bei dem er
bezahlte und Mulder etwas Kaltes zu Trinken und eine wohlriechende Papiertüte
reichte. Er nahm seinen eigenen Becher und stellte ihn in der dafür
vorgesehenen Halterung vor ihm ab. Dann fuhr er langsam über den Parkplatz. Als
er eine freie Parklücke direkt vor dem Spielplatz gefunden hatte, stellte er
den Wagen ab und schaltete den Motor aus. Mulder öffnete die Augen, die bis
jetzt geschlossen waren, als er den Duft des Fastfoods
inhaliert hatte, und sah wie Skinner ihn fragend ansah. Es war ihm peinlich, als er feststellte, dass
er die Tüte fest an sich drückte, als ob er vermeiden wollte, dass jemand sie
ihm wegnahm. Er hielt sie Skinner hin, der sich einen Burger und Pommes daraus
nahm und sie dann zurückgab. Mulder nahm sich seine Mahlzeit und schob zögernd,
aber froh wie ein Schneekönig die erste Pommes Frites in den Mund. Es gab
nichts, entschied Mulder, das auch nur im Entferntesten mit Pommes und Burgern aus einem schmierigen Fastfood-Laden
mithalten konnte.
Skinner hielt sich nicht
lange mit seinem Essen auf, doch Mulder ließ sich Zeit und genoss es. Als sie
fertig waren, sammelte Skinner den Müll auf und warf ihn in einen Papierkorb
neben dem Auto. Als er sich wieder zu Mulder wandte, blickte dieser
gedankenverloren auf die spielenden Kinder vor ihnen. Da war ein kleines
Mädchen, ungefähr vier Jahre alt, mit rotblonden Haaren. Skinner seufzte
innerlich. Er wusste, dass er sich quälte, weil er Scully einfach nicht
loslassen konnte. Er fragte sich, wie lange ein Mann brauchen würde, um über
die Frau hinwegzukommen, die er leidenschaftlich und mit all seiner Hingabe
liebte—denn das empfand Mulder zweifellos für seine frühere Partnerin.
"Mulder", sagte
er und fasste ihn leicht am Arm. Mulder drehte sich mit einem Blick zu ihm um,
der dermaßen gequält aussah, was Skinner noch nie zuvor gesehen hatte. Er
dachte, er hätte in Vietnam schon alles gesehen, doch damit lag er falsch. Kein
Anblick traf ihn tiefer als der des blanken Schmerzes in diesen braunen Augen.
Einen Moment später war er jedoch schon verschwunden, als Mulder Scully aus
seinem Kopf verdrängte. Er konnte den Gedanken an sie jetzt nicht ausstehen. Er
würde sich später damit auseinandersetzen.
Wortlos fuhren sie weiter.
Nach einer halben Stunde wurde Mulder langsam müde. Er lehnte seinen Kopf auf
die lederne Kopfstütze und merkte, dass er zum ersten Mal einschlafen konnte
ohne fürchten zu müssen, im Schlaf weggeschleppt und... verletzt zu werden. Er
blickte zu Skinner und ein seltsam ungewohntes Gefühl befiel ihn. Es war so
lange her, dass er einen Moment brauchte, um zu erkennen, was es für ein Gefühl
war. Sicherheit. Es war ein Gefühl der
Sicherheit. Bei Skinner fühlte er sich sicher.
Mulder erwachte mit einem
Mal, als der Wagen zum Stehen kam. Perplex sah er sich in der Tiefgarage um.
Skinner war bereits dabei, seine große Tasche aus dem Kofferraum zu ziehen, als
Mulder zögerlich aus dem Auto stieg.
"Sir?" begann er
stotternd, aber Skinner war anderer Meinung.
"Mulder, Sie arbeiten
nicht mehr für mich, und Sie brauchen mich nicht so formell anzureden. Nennen
Sie mich Walter." Er knallte den Kofferraum zu und schob Mulder in
Richtung des Aufzugs.
"Wo sind wir,
Sir—Walter?" fragte Mulder. Er hatte Mühe mit dieser ungewohnten Anrede.
Er würde wohl etwas Zeit brauchen, bis es saß.
"Wir sind bei meiner
Wohnung. Sie bleiben erst mal eine Weile bei mir, bis Sie wieder auf die Füße
gekommen sind und das Geld erhalten haben."
Das Geld. Mulder wusste,
dass er einiges geerbt hatte, als seine Mutter gestorben war—Scully hatte ihm
bei einem ihrer letzten Besuche über den Willen seiner Mutter unterrichtet. Teena Mulder war zuversichtlich gewesen, dass Skinner und
Senator Matheson irgendwann Erfolg haben und ihren
Sohn aus dem Gefängnis holen würden, und hatte ihm all ihren nicht zu
verachtenden Besitz hinterlassen. Sie hatte ihrerseits sowohl von ihren Eltern
als auch von ihrem verstorbenen Mann Geld geerbt. Sie hatte jedoch ein
bescheidenes Leben geführt, also hatte sich mit den Jahren durch Investitionen
und Zinsen eine beträchtliche Summe angesammelt. Sie betrug, laut Scully, etwas
über dreieinhalb Millionen Dollar. Mulder hatte das glatt umgehauen. Er hatte
keine Ahnung gehabt, dass seine Eltern oder Großeltern so reich gewesen waren.
Sie hatten überhaupt nicht den Anschein gemacht, aber rückblickend konnte er
sich an eine oder zwei Gelegenheiten erinnern, an denen sie sich etwas gegönnt
hatten, was bei dem Einkommen seines Vaters kaum möglich gewesen wäre.
Er war überrascht gewesen,
dass sie nichts für Samantha hinterlassen hatte. Seine Mine verdunkelte sich, als er erkannte,
dass seine Mutter zweifellos über einige streng geheime Dinge Bescheid gewusst
hatte. Er fragte sich, ob es damit zu tun hatte, dass sie sich sicher gewesen
war, dass Sam nie zurückkommen würde. Er fragte sich auch, ob seine Mutter mit
Scully darüber gesprochen hatte.
Jetzt, wo er aus dem
Gefängnis war, sollte ihm das Geld legal überwiesen werden. Allerdings nahm
Mulder an, dass es wie so vieles andere im Rechtssystem eine ganze Weile dauern
würde. Nach dem Geständnis des wirklichen Mörders hatte es Monate gedauert, bis
Skinner und Matheson seine Freilassung durchgebracht
hatten. Es war eine neue Verhandlung nötig gewesen, und obwohl sie rasch
verlaufen war, sobald sie einmal in Gang gesetzt war, hatten sie sich auf den
Kopf stellen müssen, um sie erst einmal einberufen zu lassen. Mulder schien es,
als ob das Rechtssystem nur widerwillig jemanden wieder loslässt, den es erst
einmal eingekerkert hatte -- als ob man sichergehen wollte, dass dieser Jemand
hundertprozentig etwas Unrechtes getan hatte und dementsprechend genau dort
war, wo er hingehörte.
Mulder lag nicht sehr viel
daran, mit einem Mal so viel Geld zu bekommen, aber während der Zeit, in der er
sich entschied, was er mit dem Rest seines Lebens anstellen sollte, würde er
Mittel brauchen um zu leben. Er konnte nicht wieder zurück zum FBI, das war
klar. Irgendwie hatte Mulder seine Zweifel daran, dass das Bureau ihn wieder
einstellen würde, trotzdem seine Unschuld bewiesen worden war. Und er war sich
nicht sicher, ob er überhaupt zurückgehen wollte. Es würde nicht dasselbe sein
ohne Scully.
Nichts war dasselbe ohne
Scully.
Er folgte Skinner in den
Aufzug und sie fuhren wortlos bis in den siebten Stock, wo sie ein
menschenleerer Flur erwartete. Skinners Wohnung war nur ein Stück den Gang
hinunter. Er schloss die Tür auf und ließ Mulder herein. Mulder war ziemlich beeindruckt, dass die
Wohnung seines früheren Chefs groß, geräumig und eigentlich ganz ordentlich und
einladend war.
Skinner sah Mulder seine
Überraschung an. "Eine Haushälterin kommt zweimal die Woche hierher."
Skinner hängte seinen Mantel an den Haken hinter der Tür, als Mulder immer noch
unschlüssig in der Tür stand.
Er gehörte nicht hierhin.
Er gehörte nirgendwo hin. Es stimmte ihn missmutig, dass Skinner so viel dran
setzen musste, um ihn aus dem Knast zu holen und jetzt wusste er nicht wohin er
sollte. Er räusperte sich, "Si—
Walter, ich weiß
nicht..."
"Was ist,
Mulder?" fragte Skinner und sah ihn fragend an. Er wusste, dass es in der
ersten Zeit sehr schwer für Mulder sein würde, und er hätte nicht im Traum
daran gedacht, ihn in dieser Situation allein zu lassen. Er hatte genug in
Mulders Freilassung investiert, um sich jetzt nicht für seinen ehemaligen
Agenten verantwortlich zu fühlen.
"Ich möchte Ihnen
nicht zur Last fallen", sagte Mulder mit gesenktem Blick und einer Stimme,
die gerade etwas lauter als ein Flüstern war.
Skinner betrachtete den
gebrochenen Mann vor ihm und wollte diejenigen auf der Stelle umbringen, die
den willensstarken Menschen zerstört hatten, der Mulder einmal gewesen war.
Eine Welle purer, blinder Wut durchfuhr ihn und er atmete tief durch, um sich
im Zaum zu halten. Mulder brauchte jetzt keine Wut, es würde ihm nur Angst
machen. Skinner musste jetzt ruhig und gelassen sein, so ruhig und gelassen wie
er nur sein könnte. Sogar wenn der Drang ihn fast verbrannte, dem Raucher und
allen anderen, die für Mulders Gerichtsverhandlung verantwortlich waren, ein
für alle Male einen Strick um den Hals zu legen und ihn langsam Stück für Stück
zuzuziehen.
"Sie sind keine Last,
Mulder. Ich freue mich sogar über ein wenig Gesellschaft. Ich habe ein
Gästezimmer mit Bad, also ist es nicht so, dass wir uns auf der Pelle hocken
werden." Er hob Mulders Tasche auf. "Jetzt kann ich wenigstens mit
jemandem samstagabends Football gucken", rief er über seine Schulter, als
er den Flur herunter ging. Mulder folgte ihm nach kurzem Zögern, weil er nicht
wusste, was er sonst machen sollte.
Sie gingen in das
Gästezimmer, das Mulder wie benommen in Augenschein nahm. Einige seiner Sachen
waren bereits hier—Bücher, persönliche Gegenstände, sogar sein Computer. Er war
vollkommen geplättet, als er sah, wie viel Skinner augenscheinlich daran lag,
dass er es hier gemütlich hatte. Es war offensichtlich keine Entscheidung von
jetzt auf gleich gewesen. Skinner hatte genug Zeit gehabt, es sich anders zu
überlegen und etwas anderes für ihn beschaffen können. Vielleicht hieß das ja,
dass Skinner wirklich seine Gesellschaft wollte. Das Gefühl, erwünscht zu sein,
war völlig neu für ihn.
Skinner warf seine Tasche
auf das Bett und öffnete sie. "Ich habe heute Morgen einige Ihrer Sachen
aus ihrem Bekleidungsbestand geholt", erklärte er. "Sie sind
vielleicht ein wenig groß, bis Sie wieder etwas zunehmen, aber sie sind besser
als das." Er deutete auf das nichtssagende Outfit, dass
Mulder bei seiner Entlassung bekommen hatte.
Mulder sah sich im Zimmer
um. Sein Blick blieb an dem großen Bett hängen— war das wirklich für ihn? -- und
hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Er versuchte, seine überschäumenden
Emotionen unter Kontrolle zu halten und atmete zitternd und tief durch.
Skinner, der zu verstehen schien, dass er gerne allein sein wollte, nickte in
Richtung des Nebenzimmers. Das sei sein Bad, sagte er zu Mulder, dann
verschwand er in der Tür.
Sobald die Tür hinter
Skinner ins Schloss gefallen war, gab Mulder den Kampf auf und ließ seinen
Tränen freien Lauf. Er wurde von seinen Emotionen überwältigt. Allen voran
empfand er ein fast erdrückendes Gefühl der Dankbarkeit Skinner gegenüber—ein
Gefühl, das Mulder nach der langen Zeit in der Rolle des Opfers überhaupt nicht
umsetzten konnte. Skinner hatte nie aufgegeben, bis Mulder freigelassen wurde.
Er hatte nie aufgehört, an seine Unschuld zu glauben. Es wäre mit der Zeit so
einfach für Skinner gewesen, Mulder im Gefängnis vor sich hin rotten zu lassen
und sich um seinen eigenen Sachen zu kümmern. Aber das hatte er nicht
getan. Skinner hatte sein Vorhaben mit
einer Entschlossenheit fortgesetzt, die Mulder einmal besessen hatte, und
anders als er hatte Skinner in seinen Bemühungen Erfolg gehabt. Senator Matheson hatte zwar seinen Teil dazu beigetragen und die
Schützen waren auch nicht untätig gewesen, aber Mulder wusste, dass Skinner der
Grundstein der ganzen Operation gewesen war.
Hand in Hand mit der
Dankbarkeit kam auch Traurigkeit, als er erkannte, was er alles verloren hatte.
Dinge, die er nie zurückbekommen würde, oder die er sich nie zurückholen
könnte. Seinen Job, seine Mutter, die letzten vier Jahre seines Lebens und vor
allem.....
Langsam ließ es sich auf
das Bett nieder und vergrub sein Gesicht in dem Laken, um die Tränen
aufzufangen und das Schluchzen zu ersticken, als er rasch seine hart erkämpfte
Kontrolle verlor. All die Angst, der Frust und die Verzweiflung brachen mit
einem Male durch. Mulder konnte die Flut nicht mehr aufhalten. Wie ein Kind
weinte er lange; jedes Mal, wenn er dachte, dass er sich gefangen hatte,
übermannte ihn eine weitere Welle des Schluchzens, der er sich nur hilflos
hingeben musste. Dann, endlich, streckte er sich völlig erschöpft auf dem Bett
aus, genoss dessen Größe und schlief ein.
Skinner sucht in der Küche
nach etwas nicht allzu Schwerem, das Mulder zumAbendessen
zu sich nehmen könnte. Er wusste, dass er einen empfindlichen Magenhatte. Scully hatte sich immer Sorgen über die
Appetitlosigkeit ihres Partners gemacht, und er fürchtete, dass Mulder nach dem
Emotionsausbruch, den er aus dem Schlafzimmer hören konnte, lediglich eine
leichte Mahlzeit zu Abend essen könnte. Die meisten Leute würden es gar nicht
mitbekommen, aber er stand den beiden so nahe wie eh und je, und nachdem Mulder
mit Scullys Hilfe seinen Hintern mehr als einmal gerettet hatte, waren sie
regelrecht Freunde geworden. Freunde kümmern sich umeinander, so ist er erzogen
worden, und genau aus diesem Grunde hatte er Mulder nie aufgegeben. Das, und weil es sich absolut sicher war,
dass Mulder unschuldig war. Sein Gesicht verhärtete sich, als das gedämpfte
Schluchzen nicht enden wollte und immer weiter und weiter ging. Er ballte seine
Hände zu Fäusten und musste dem Drang widerstehen, sie in die nächste Wand zu
rammen.
Ein Klopfen an der Tür
weckte Mulder. Er bemerkte, dass es schon spät war. Draußen war es bereits
dunkel und sein Blick zur Uhr wanderte, war es 18.30 Uhr. Er setzte sich auf
und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Augen waren rot und
geschwollen, seine Nase zu und in seinem Kopf trieb ein Presslufthammer sein
Unwesen.
"Herein", rief
er und schnüffelte verstohlen, als Skinner den Kopf zur Tür hereinsteckte.
"In ein paar Minuten
ist das Abendessen fertig", verkündete er und ignorierte die
offensichtliche Tatsache, dass Mulder geweint hatte. "Wenn Sie möchten,
können Sie duschen und sich umziehen."
Mulder saß bewegungslos
auf dem Bett, unsicher was er als nächstes tun sollte. Skinner sah ihm seine
Unentschlossenheit an, machte die Tasche auf und händigte ihm ein paar Sachen
zum Umziehen. Mulder nahm die Kleidung dankbar an, stand auf und streckte seine
steifen Gliedmaßen.
"Ich lasse Sie dann
allein", sagte Skinner und zog sich zurück. Mulder öffnete neugierig die
Tür zu dem Badezimmer und stellte erfreut fest, dass es recht geräumig war.
Doch als er die große Wanne entdeckte, befielen ihn plötzlich wieder
Erinnerungen an die Gefängnisduschen. Er kniff die Augen zusammen und für einen
Moment war er wieder dort - er spürte den Drang, so schnell wie möglich sauber
zu werden und wieder da rauszukommen, bevor jemand ihn findet, der nicht das
Geringste dagegen hat, ihn leiden zu sehen. Mulder hasste es, dass die simple
Aufgabe sich zu waschen tagein tagaus ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen
gewesen war. Mit einem tiefen Seufzen ließ er diesen weiteren unerfreulichen
Gedanken fallen und schwor, nie im Leben wieder eine Dusche zu nehmen. Er
steckte den Stöpsel in die Wanne und ließ das Wasser so heiß wie möglich
laufen. Von nun an bräuchte er sich auch nie wieder beeilen, bevor das lauwarme
Wasser eiskalt wurde. Nie wieder.
Mulder schloss die Tür zum
Badezimmer und sank mit dem erfreulichen Gedanken, endlich wieder Privatsphäre
im Bad zu haben, dankbar in die Wanne. Natürlich dachte er nichts Falsches von
Skinner, aber alte Vorsichtsmaßnahmen waren schwer wegzulegen. Es fiel ihm
schwer, sich zu entspannen wenn die Tür nicht abgeschlossen war. Er hatte nicht
viele Dinge in seinem Leben so genossen, dachte er, als er untertauchte und das
heiße Wasser den Gefängnisgestank von seinem Körper waschen ließ. Dann griff er
nach dem Shampoo, das Skinner bereitgestellt hatte, und nahm sich vor, gleich
morgen früh zum Friseur zu gehen. Der Gefängnisfriseur war ein gutherziger
Mensch, aber seine Haarschnitte waren keinen müden Dollar wert. Sein viel zu kurzer Haarschnitt—für Mulders
Geschmack—war zudem noch ungleich und zackig. Er wollte sich erst mal einen
ansehnlichen Haarschnitt verschaffen und dann es solange wachsen lassen wie es
ihm gefiel. Um die Bekleidungsvorschriften des Bureaus
brauchte er sich immerhin keine Sorgen mehr zu machen.
Eine Dreiviertelstunde später
erschien Mulder in frischen und bequemen Klamotten wieder in der Badezimmertür
und sog den Duft des Essens ein, der ins Zimmer hineinströmte. Nach seinem
Zusammenbruch zuvor hatte er gedacht, dass er seinen Appetit für den Rest des
Abends los sein würde, aber Skinner hatte es mit was auch immer er vorbereitet
hatte geschafft, dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Als Mulder in die
Küche kam, fand er ihn in Jeans und T-Shirt am Herd vor, und er konnte sich ein
Lächeln kaum verkneifen. Selten hatte er ihn so legier gesehen.
"Fühlen Sie sich
besser?" fragte Skinner nonchalant, wobei er innerlich über Mulders
kleines Grinsen einen Freudentanz aufführte.
"Viel besser."
Noch ein Fast-Lächeln. "Ich hätte nie gedacht, dass Sie so häuslich
sind", sagte Mulder leise und senkte seinen Blick.
"Tja, niemand
entkommt der Hausarbeit", sagte Skinner philosophisch.
"Setzen Sie sich,
Mulder."
Mulder nahm an dem kleinen
Küchentisch platz und beobachtete Skinner, der jeweils die Hälfte der Suppe in
die beiden Schüsseln goss und den leeren Topf in die Spüle stellte. Mulder
hatte bereits das Sandwich auf seinem Teller beäugt. Es war Mortadella mit Käse
und einer dicken Schicht Mayonnaise und sah sehr verlockend aus.
Skinner setzte sich und
deutete auf den Löffel neben Mulders Schüssel.
"Hauen Sie rein", sagte er und biss in sein eigenes Sandwich.
"Es ist nichts Besonderes, aber es schmeckt."
"Es riecht gut",
sagte Mulder schüchtern und rührte ein wenig in seiner Suppenschüssel herum,
bevor er kostete. Er nippte langsam und genoss den salzigen Geschmack. Skinner
nickte zufrieden.
Nachdem er ein paar Löffel
gegessen hatte, wobei er nicht einmal vom Tisch aufgeschaut hatte, sagte Mulder
endlich etwas. Er kam sich wie der letzte undankbare Volltrottel vor, weil er
Skinner nicht ausreichend gedankt hatte dafür, dass er ihm das Leben gerettet,
ihn zu sich genommen hatte und ihm das Gefühl von Sicherheit wiedergegeben
hatte,
aber Worte schienen hier
so unzureichend. Er holte tief Atem und versuchte sein Bestes.
"Sir, ich—Walter—ich
weiß nicht, was ich sagen soll. Wie ich Ihnen danken soll..." begann er,
doch Skinner schüttelte nur langsam den Kopf.
"Sie brauchen mir
nicht zu danken, Mulder." Skinners Augen waren hinter seinen
Brillengläsern freundlicher, als er sich je vorstellen konnte.
"Aber Sie haben so
viel getan, so hart gearbeitet, um mich da rauszuholen..." protestiert
Mulder. Er spielte betreten mit der Ecke der Tischdecke.
"Ich hasse
Ungerechtigkeit, Mulder", schnitt Skinner ein. "Das ist der Grund,
warum ich überhaupt beim FBI bin." Als Mulder nichts erwiderte, fuhr er
gedämpfter fort, und Mulder merkte, dass Skinner selbst schmerzhafte
Erfahrungen darüber gemacht hatte. "Außerdem hätte es genauso gut mich
treffen können. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der Sie mir genauso
heraus geholfen hätten, wenn ich für einen Mord, den ich nicht begangen hatte,
ins Gefängnis gekommen wäre. Ich finde, ich war es Ihnen schuldig."
Mulders Kopf schoss bei
diesem Kommentar in die Höhe. "Sie haben mir gar nichts geschuldet",
sagte er verwirrt, "Sie haben uns mehr als einmal geholfen, Scully und
mir..." Er verstummte, konnte den Satz nicht zu Ende führen.
Skinner seufzte innerlich.
Er wusste, dass das der schwerste Teil sein würde. Früher oder später musste
Mulder der Tatsache ins Auge sehen, dass Scully jetzt unerreichbar für ihn war.
Er hoffte nur, dass er stark genug sein würde, damit umzugehen. "Mulder,
ich weiß nicht, was zwischen Ihnen beiden passiert ist, warum Sie wollten, dass
sie Sie nicht mehr besuchen kommt, aber ich weiß, dass sie, nachdem Sie fort
waren.... fertig mit der Welt war. Sie hat Sie
geliebt, Mulder, egal was Sie vielleicht denken."
Mulder hatte größte Mühe,
seine Tränen im Zaum zu halten, doch wieder einmal verlor er den Kampf. Er
wischte sie ärgerlich fort, als sie unaufhaltsam seine Wangen hinunter liefen
und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er hasste es, dass er sein
Schluchzen nicht zurückhalten konnte. Skinner stand auf und legte versichernd
seine Hände auf Mulders Schultern und tröstete seinen alten Freund mit einer
Umarmung. Skinner musste grinsen bei dem Gedanken, dass er hier in seiner
eigenen Küche saß und einen weinenden Mann umarmte. Es war gut, dass er sehr
weit oben wohnte und so vor neugierigen Blicken durch das Küchenfenster
verschont blieb. Das würde nämlich völlig seinen Ruf als gestandener Ex-Marine
ruinieren.
Er war noch nie jemandem
mit einem mit einem so zerbrechlichen Gemüt begegnet, wie es der Mann vor ihm
hatte. Für einen Moment fragte sich Skinner, ob Mulder das alles seelisch
jemals überstehen würde. Doch gleich darauf schüttelte er diesen Gedanken
ärgerlich ab, denn Mulder war stark und er hatte schon Krisen über Krisen in
seinem Leben hinter sich gebracht. Mit Sicherheit würde er diese letzte, größte
Hürde meistern, ohne daran zugrunde zu gehen.
"Wie soll
ich...." stammelte Mulder unter Schluchzen, "... je ohne sie weiter
machen? Ich brauche.... sie.... so sehr...."
"Ich weiß es
nicht", sagte Skinner. Er wusste nicht, was er sagen sollte, "aber
Sie werden es. Irgendwo in Ihnen ist die Stärke, die Ihnen in schweren Zeiten
immer geholfen hat. Sie sind ein Kämpfer, Mulder."
"Aber was passiert.... wenn ein Kämpfer.... nicht mehr kämpfen will?"
fragte Mulder, als er allmählich seine Kontrolle wieder erlangte. Er wischte
sich mit den Handrücken über das Gesicht und starrte auf den Boden, während er
auf die Antwort wartete.
Skinner hatte keine.
Er hatte an dem Tag so
viel geschlafen, erst im Auto und später nachdem er sich ausgeweint hatte, dass
er am Abend hellwach war. Nachdem er eine Stunde ohne ein Auge zuzumachen in
dem frisch gemachten, komfortablen Bett gelegen hatte, setzte sich Mulder auf
und machte die Nachttischlampe neben sich an. Er ging hinüber zum
Bücherschrank, doch er fand nichts Interessantes. Ironisch grinsend ging er die
Titel der Bücher durch, die ihm einmal gehört hatten. Bevor alles passiert war.
Mulder schüttelte mit amüsiertem Ekel den Kopf als ihm auffiel, für welche
Dinge er sich damals interessiert hatte. Jetzt schien es alles so unwichtig.
Irgendwann wandte er sich
von den Büchern ab und setzte sich an den Computer. Er fragte sich, wie das
Gerät nach all den Jahren wohl laufen würde. Als der Computer hochfuhr,
erhellte sich die Mattscheibe und Mulder erstarrte. Das Bild, das er als
Hintergrundbild ein paar Monate vor seiner Verhaftung installiert hatte, war so
klar und deutlich wie am ersten Tag.
Ihre Mutter hatte das Bild
gemacht, erinnerte er sich, als er die Augen schloss und tiefe, kontrollierte
Atemzüge durch die Nase atmete. Sie waren zu dritt Mittagessen gegangen, um
Scullys Geburtstag zu feiern, und er hatte ihr einen neuen Fotoapparat
geschenkt. Mrs. Scully wollte ihn unbedingt als erste testen und verlangte,
dass sie sich nebeneinander stellen und lächeln. Mulder erinnerte sich, wie er
in der letzten Sekunde, bevor das Bild gemacht wurde, seinen Arm um Scullys
Hüfte gelegt hatte, und wie Mrs. Scully ihm konspirativ zugezwinkert hatte kurz
bevor sie auf den Knopf gedrückt hatte, der diesen Moment festhalten würde. Er
hatte seinen Abzug des Bildes zu Frohike gebracht, der es gescannt und
bearbeitet hatte und es ihm per e-Mail zugeschickt hatte. Mulder hatte es
sogleich installiert, also war es das erste, das er sah, wenn er seinen
Computer hochfuhr. Er hatte Scully nie davon erzählt.
Rasch fiel Mulder ein, wie
man es einstellt und änderte das Bild in der Systemsteuerung, so dass er jetzt
auf einen makellos weißen Bildschirm starrte. Er konnte jetzt noch nicht mit
dieser Erinnerung umgehen. Er konnte das Bild aber auch nicht ganz löschen.
Mulder konnte sich nur
vage an die Dateien erinnern, die er auf seiner Festplatte hatte, also sah er
sie einer nach der anderen durch, um unbrauchbare zu löschen und sich wieder an
das Arbeiten am Computer zu gewöhnen. Auf einmal saß er kerzengerade und zog
scharf die Luft ein.
Er hatte sein Tagebuch
völlig vergessen.
Er hatte nicht jeden Tag
etwas herein geschrieben, nur wenn ein Fall besonders interessant oder
aufwühlend war. Andere Gelegenheiten in seinem alltäglichen Leben waren auch
mit Eintragungen vorhanden, und als er so auf den Bildschirm starrte, fühlte
sich Mulder um Jahre zurückversetzt in seinen Erinnerungen, von denen er
wünschte, sie genauso einfach aus seinem Gedächtnis löschen zu können, wie die
Dateien von seiner Festplatte.
Er lag in einem
Krankenhausbett, nachdem er kurz vor dem Ertrinken aus dem Wasser gezogen
worden war, und das plötzliche Verlangen, Scully zu sagen wie er fühlte, hatte
ihn überwältigt. Es war vielleicht den Medikamenten zuzuschreiben, die man ihm
gegeben hatte, redete er sich zynisch ein. Aber dieses Gefühl hatte er ganz
sicher nicht aufgrund der Mittel empfunden.
Nachdem er die Worte gesagt
hatte, wusste er, dass er es nicht sollte. "Ich liebe Sie", hatte er
gesagt, und ihre Reaktion war so vorhersehbar scullyhaft
gewesen, dass er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, als sie aus seinem
Zimmer gegangen war. Er wusste, dass sie ihm zwar glaubte, es sich aber nicht
eingestehen wollte. Sie liebte ihn auch. Dessen war er sich sicher. Es musste
einfach so sein, nach allem, was sie zusammen gesehen und getan hatten. Die
Hingabe, die sie füreinander hatten, war viel stärker als die in einer normalen
freundschaftlichen Beziehung. Es war unumstritten. Er hatte sie nach ihrer
Entführung nicht aus der Antarktis zurückgeholt, und sie hatte ihn nicht aus
dem Bermuda Dreieck gerettet, weil sie gute Freunde
waren, oder weil sie es als berufliche Pflicht empfunden hatten. Sie hatten es
getan, denn indem sie den anderen bewahrten, bewahrten sie sich selbst. Mit einem Mal erkannte Mulder, dass er bis
zum Ende gehofft hatte, dass Scully und er eines Tages zusammenkommen würden.
Es brannte ihm in den
Fingern, sein Tagebuch zu öffnen und es zu lesen, irgendwie sein altes Leben
wieder zu berühren. Vielleicht konnte er einige erfreuliche Momente
zurückholen, die zwar selten gewesen waren, die es aber gegeben hatte. Es waren
zwar nur wenige gewesen und sie lagen immer weit auseinander, aber es hatte auf
jeden Fall solche Momente gegeben - meistens hatten sie mit ihr zu tun gehabt.
Er dachte ernsthaft darüber nach und gab schon fast nach, aber im Grunde wusste
er, dass es keine so gute Idee war. Er
würde nie wieder Special Agent Fox Mulder vom FBI sein. Nie wieder würde er mit
Dana Scully an seiner Seite die X-Akten untersuchen. Diese Zeit war für immer
vorbei, entrissen und unerreichbar. All diese Tage und all diese Fälle, die er
mit Scully verbracht und erlebt hatte, schienen ihm jetzt wie ein Traum, als ob
sie nie passiert wären.
Ein Kloß machte sich in
seinem Hals breit und er dachte wieder zurück an den Tag, an dem sie zum ersten
Mal in sein Leben gekommen war. Sie war in seine Welt getreten mit einem
Ausdruck der Verwunderung auf ihrem Gesicht.
War es Verwunderung über seine Arbeit, oder Zweifel an seiner
Zurechnungsfähigkeit? Sogar jetzt war er sich nicht sicher. Scully hatte nie
wirklich an die Dinge geglaubt, die sie gesehen hatten, denn ihre rationale
Denkweise hielt sie einfach davon ab. Sie war jedoch eine echte Partnerin
gewesen, die immer zu ihm hielt und ihm half, sogar wenn sie nicht unbedingt
verstand, was vor sich ging. Sie waren so jung gewesen, so unschuldig, und das
Wissen, das sie besessen hatten, hatte gerade mal an
der Oberfläche von den Tiefen geschabt, die sich bis heute aufgetan
hatten. Die Kriminellen waren nichts
weiter als das—Kriminelle. Nicht wirklich böse. Rückblickend konnte er den
genauen Moment nennen, in dem sie für ihn böse geworden waren. Es war der
Moment, in dem er erkannt hatte, dass 'Die' ihm Scully weggenommen hatten. Dass
es nicht nur Duane Barrys verrückte Aktion gewesen war. Und in genau der
Sekunde ist es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen.
Sein Blick glitt über die
Eintragungen von 1998. Er wusste genau, in welcher seine Gedanken über sein
Geständnis zu Scully standen. Er war so froh darüber gewesen, dass er endlich
den Mut gefunden hatte, es ihr zu sagen, doch er war gleichzeitig auch
enttäuscht gewesen, dass sie ihn danach nie darauf angesprochen oder es
irgendwie sonst erwähnt hatte.
Vielleicht hatte sie es ihm
nicht geglaubt, vielleicht hatte er seine Hoffnungen zu hoch geschraubt. Scully
hatte ihn geliebt, verdammt, das wusste er. Sogar, als er sie aus seinem Leben
geworfen hatte, hatte er ihre Liebe noch lange danach spüren können. Und dann
war eines Tages Skinner gekommen, der ihm die schrecklichen Neuigkeiten
gebracht hatte...
Er bewegte den Cursor zu
dem Tagebuch-Icon. Übelkeit kam in ihm auf und er überlegte, ob er es sich
überhaupt antun sollte. Wenn er es jetzt lesen würde, würde er sie glatt noch
einmal verlieren. Entschlossen schüttelte er den Kopf und ließ es bleiben. Er
klickte auf den Ordner mit den Tagebuch-Einträgen und löschte ihn
unwiderruflich. Genau wie das Leben, das sie repräsentierten. Genau wie Scully.
Letztlich hatten sie sich
doch nicht gegenseitig retten können.
Mulder starrte für einen
Moment auf den leeren Fleck, auf dem zuvor etwas gewesen war, das für all die
schönen Dinge in seinem Leben stand. Alles zusammen in sechs—viel zu
kurzen—Jahren. Gott, nur ein so kleiner Prozentsatz seines Lebens war glücklich
gewesen. Es war sie. Sie war der Grund. Ihre Freundschaft war die einzige, die
ihm etwas bedeutet hatte. Erinnerungen wallten ungebeten auf, Erinnerungen an
die Meinungsverschiedenheiten, die Fälle, ihr seltenes Lächeln... der Schmerz
war fast unerträglich.
Und dann schlug es ein wie
eine Bombe aus dem Nichts.
"Oh, Gott, Scully,
was habe ich getan?" Er sprang von dem Computer zurück und verlor fast das
Gleichgewicht. Er starrte auf den Monitor und seine Augen füllten sich mit noch
mehr Tränen. Weg. Sein ganzes Leben war mit einem einzigen Klick einer Maus
weggewischt. 'Oh Scheiße!' schoss es ihm durch den Kopf. 'Oh Gott NEIN!'
Ein gellender Schrei aus
Mulders Zimmer riss Skinner aus seinem Bett. Er rannte den Flur hinunter und
alle Sorge, Mulder eventuelle Peinlichkeiten zu ersparen, verließen
ihn bei der Verzweiflung, die er hörte. Er warf die Schlafzimmertür auf und
suchte nach der Ursache, aber soweit er sehen konnte, war alles in Ordnung.
Kein Blut, keine Explosion, nichts. Nur Mulder, der wie wahnsinnig auf die
Tastatur seines Computers hämmerte.
"Mulder, was ist los?
Was ist passiert?" Nichts. Mulder schien gar nicht zu merken, dass er im
Zimmer war. Skinner kam auf Mulder zu und merkte, dass er etwas vor sich hin
sprach. Was sagte er da? Er wurde nicht ganz schlau daraus.
"Oh Gott nein! Das
hab ich nicht gewollt! Scheiße! Gib's wieder
her!" Mulder holte mit dem Arm aus, um den Computer vom Tisch zu fegen,
doch Skinner ergriff noch rechtzeitig und drehte Mulder in dem Stuhl zu ihm.
"Mulder, was ist los?
Was zum Teufel ist passiert?"
Doch Mulder starrte ihn
nur an. Sein Mund öffnete und schloss sich, doch kein Ton kam heraus. Skinner
griff seine Schultern und sah ihm mit festem Blick in die Augen, um ihn zum
Reden zu bringen. "Beruhigen Sie sich. Atmen Sie tief durch. Nochmal. Und noch einmal." Mulders Augen wurden wieder
klarer und zu Skinners Erleichterung fügte er sich. Als sich Mulder wieder
gefasst hatte, fragte er noch einmal, "Was ist los?"
"Ich.... ich... hab's gelöscht. Alles! Ich wollte es nicht und
jetzt ist alles weg.... einfach so..."
Skinner blickte verwirrt
auf den Computer, dann wieder auf Mulder. "Es ist
nicht gelöscht, Mulder, es
ist nur im Papierkorb. Da kann man es wiederherstellen."
Doch Mulder schüttelte den
Kopf. "Nein, ich habe keinen Papierkorb, ich habe es so eingestellt, dass
alles sofort ganz gelöscht wird."
"Okay, nur die Ruhe,
keine Panik. Gerade Sie müssten wissen, dass nichts wirklich
verschwindet." Er ging zum Telefon und wählte. Nach einer kurzen Pause,
"Hi, ich bin's. Bitte kommen Sie schnell her.
Ja, gut, es gibt nur ein Problem mit seinem Computer."
Zwanzig Minuten später
öffnete er einem verschlafenen Byers die Tür. Die Schützen waren ihm während
der Zeit, in der Mulder im Gefängnis war eine große Hilfe gewesen - sie waren
eine unglaublich große Hilfe gewesen in moralischen und technischen Dingen. Sie
hatten sich mit Skinner abgewechselt, so dass Mulder jeden Samstag Besuch
hatte, um Unterlagen durchzugehen und zu helfen wo sie nur konnten. Und im
Laufe der Zeit waren sie ebenso Freunde von Skinner geworden.
"Hey, Mulder, wie gehts?" war alles, was Byers von sich gab, als er ins
Zimmer kam.
Mulder seufzte und
erklärte, was passiert war. Byers hörte genau zu.
"Also, du hast ihn
nicht ausgemacht?"
"Nein." Mulder vergrub
sein Gesicht in seinen Händen. "Ich kann nicht glauben, dass ich so etwas
Idiotisches gemacht habe."
"Ach, kein
Problem", sagte Byers heiter. "Das passiert jedem mal."
Er schob Mulder vom Computer weg und setzte sich davor. Mit lautem
Geklapper der Tastatur verließ er Windows und ging ins DOS-System. Er machte
ein paar Mal 'uh-huh, hmmm',
aber das war auch das einzige, was man im Raum außer der Tastatur hören konnte.
"Hier", kündigte
er ein paar Minuten später an. "Welche Ordner willst du wieder haben?"
"Du hast sie
gefunden?" fragte Mulder eifrig und beugte sich über den Computer."Ich weiß nicht mehr genau, wie sie heißen,
aber sie fangen alle mit einem 'j' an und enden auf '.txt'."
Wieder flogen Byers Finger
über das Keyboard und ein paar weitere Minuten später war alles
wiederhergestellt.
"Fertig",
grinste er, stand auf und winkte Mulder zurück in den Stuhl.
Mulder begann sofort, ein
paar Dateien zu öffnen und überzeugte sich, dass auch wirklich alles da war.
"Danke", warf er über seine Schulter, als Skinner und Byers sich
leise zurückzogen.
"Wie geht es
ihm?" fragte Byers, als sie ins Wohnzimmer kamen. "Wir haben uns
gedacht, dass es das Beste wäre, wenn wir ihn nicht gleich am ersten Tag
überfallen."
Skinner seufzte abermals.
"Besser als erwartet, aber nicht so gut, wie ich's gehofft hatte. Ich
versuche, ihn zu beruhigen."
"Scully?" fragte
Byers neugierig, doch Skinner schüttelte warnend den Kopf.
"Im Moment kein gutes
Thema für eine Unterhaltung."
"Sie hat nicht
angerufen?"
"Nein, und ich
bezweifle, dass sie es tun wird. Ich würde sie sowieso nicht
mit ihm reden lassen,
selbst wenn sie anruft. Er wäre noch zu viel für ihn."
Byers gähnte ausgiebig,
nickte und machte sich auf zu Gehen. Skinner blickte noch einmal über den Flur
auf das Gästezimmer, doch ging dann schließlich in sein eigenes Zimmer, um zu
schlafen und ließ Mulder in Ruhe.
Mulder hatte schon eine
Woche Freiheit genossen bevor Skinner endlich den Nerv gefunden hatte, das
Thema anzuschneiden. Er freute sich überhaupt nicht auf Mulders Reaktion; er
fürchtete, dass er denselben Ausdruck in seinen Augen sehen würde, den er
hatte, wenn Scully ins Gespräch kam.
Skinner kannte und fürchtete diesen Ausdruck, denn er wusste, dass
Mulder sich stundenlang ohne etwas zu sich zu nehmen in seinem Zimmer
einschließen würde. Seufzend und mental die Daumen drückend sprach Skinner das
Thema eines Tages nach dem Frühstück an. Jetzt, wo Mulder wieder frei war,
würde er einer Menge Probleme ins Auge sehen müssen—und dieses war eines der
schlimmsten.
"Mulder, ich habe
über etwas nachgedacht."
Mulder hob den Kopf von
seinem Teller, auf dem er sein Rührei hin und her geschoben und so getan hatte,
als würde er essen. Er legte die Gabel beiseite und sah Skinner erwartungsvoll
an.
Er hatte eine schlimme
Nacht mit Alpträumen hinter sich, und Skinner fragte sich insgeheim, wie viele
davon vom Gefängnis und wie viele von anderen grausamen Erinnerungen handelten,
die ihn nicht losließen. Er hatte die Schreie in Mulders Zimmer gehört und
zuerst geschwankt bei der Entscheidung, zu ihm zu gehen und ihn zu beruhigen
oder ihn allein zu lassen, damit er selbst damit fertig werden konnte. Die
Antwort auf die Frage bekam er, als er vor Mulders Tür gestanden hatte und sein
gedämpftes Schluchzen mitanhören musste, das von dem
Kissen nicht völlig verschluckt werden konnten. Skinner hatte sich umgedreht
und war leise zurück in sein Zimmer gegangen, um ihm seine Würde zu lassen. Er
konnte nichts für ihn tun.
"Sie waren noch nicht
beim Grab Ihrer Mutter", sagte Skinner ruhig. "Soll ich Sie
hinfahren?"
Mulder wich alle Farbe aus
seinem Gesicht und er begann, nervös seinen Toast in kleine Stücke zu
zerreißen, die er auf den Teller neben den ungegessenen Rühreiern fallen ließ.
Mulder starrte auf das Durcheinander auf seinem Teller und nickte stumm.
Eigentlich wollte er, nachdem er freigelassen worden ist so früh wie möglich zu
seiner Mutter gehen, aber Skinner hatte schon so viel für ihn getan, da wollte
er nicht fragen. Er hatte kein eigenes Auto mehr und er wollte Skinner nicht um
seinen Wagen bitten. Außerdem war er sich nicht sicher, ob er nach all den
Jahren überhaupt noch fahren konnte—obwohl man so was eigentlich nie ganz
verlernt.
Der Gedanke daran, sich
hinters Steuer zu setzen und mit dem Stadtverkehr herumzuschlagen, macht Mulder
Angst. Und die Idee, am Grabe seiner Mutter zu stehen, gezwungen ihren Tod zu
akzeptieren, erschreckte ihn ins Unermessliche. Bis jetzt hatte er es
geschafft, diesen Gedanken genauso wie viele andere schmerzhafte Erinnerungen
zu verdrängen, und er hatte sich eingeredet, dass sie am Leben war und dass es
ihr gut ginge. Es war ja nicht so, als ob er sie oft gesehen oder mit ihr
geredet hatte, bevor.... Trotzdem - er
wusste, dass sie immer für ihn da gewesen war, wenn er sie brauchte. Und
jetzt.....
Er schluckte. Er wollte
jetzt auf keinen Fall wieder anfangen zu heulen. "Ja, das würde ich gerne tun, Sir."
Er konnte sich nicht daran gewöhnen, seinen ehemaligen Chef mit seinem Vornamen
anzureden, und ihn einfach 'Skinner' zu nennen, stand außer Frage.
Skinner seufzte innerlich
bei dem 'Sir'. Wann würde Mulder endlich dazu übergehen, ihn als Freund
anzusehen, und nicht als strikten Vorgesetzten?
Er nahm an, dass es schwer für ihn war, im selben Haus mit dem Mann zu
leben, der vorher eine zu respektierende Autorität war, doch er hoffte, es
würde sich mit der Zeit geben.
"Gut, dann können wir
fahren, sobald wir hier fertig sind", sagte Skinner und aß weiter.
"Es ist nicht weit. Wir haben sie hier in der Nähe begraben. Ich dachte mir, dass Sie es so vorziehen
würden."
Mulder musste lächeln. Es
versetzte ihn immer wieder in Erstaunen, dass Skinner weder in seiner
Entschlossenheit sein Gewissen zu beruhigen nachgab, noch aufhörte, fest daran
zu glauben, dass er ein es eines Tages schaffen würde. Mulder hatte die
Hoffnung jemals frei zu kommen schon lange aufgegeben, als Skinner mit der
unglaublichen Nachricht gekommen war, dass der wirkliche Mörder gefasst worden
sei. Er hatte offensichtlich wieder zugeschlagen—dieses Mal aus eigenen
Motiven—und als man seine Wohnung durchsucht hatte, hatte man Beweisstücke
gefunden, die auf den Mord verwiesen, wegen dem Mulder einsaß. Weil sie ihn bei
seinem letzten Mord auf frischer Tat ertappt hatte, hatte ihn das D.A., beeinflusst durch einen hoch stehenden Senator und
einem Assistant Director des FBI, zu einem Geständnis bewegt, das sowohl seinem
Seelenfrieden, als auch—in seinem Fall—seiner Gesundheit wohl tat. Sie
versicherten ihm, dass wenn er gestehen und demzufolge Mulder entlasten würde,
er der Todesstrafe entkommen würde. Der Anwalt des Verdächtigen war sich im
Klaren, dass sein Klient höchstwahrscheinlich einer Verurteilung oder sogar
einer Exekution nicht entkommen würde, also hatte er ihm geraten, auf den Deal
einzugehen und alle Hebel für Mulders Freilassung wurden in Bewegung gesetzt.
Das war alles, was man
Mulder über die ganze Geschichte erzählt hatte. Er wollte auch gar nicht mehr
wissen. Jedes Mal, wenn Skinner ihn darauf ansprach, wechselte Mulder das
Thema. Manche Dinge, fand Mulder, vertrugen keine Diskussionen. Er wusste nur,
dass es jetzt ein freier Mann war und dass er lieber sterben würde, als jemals
wieder zurück zu müssen.
Als sich ihr Wagen dem
Friedhof näherte, fühlte Mulder wie die Kälte in ihm mehr und mehr zunahm, bis
er sich schließlich vorkam, als wäre er völlig gelähmt. Sein Verstand versuchte
verzweifelt dem zu entkommen, was Mulder eigentlich zu akzeptieren versuchte.
In seinen Händen hielt er einen Strauß pinkfarbener Rosen fest umklammert—es
waren die Lieblingsblumen seiner Mutter gewesen. Die spärliche Unterhaltung,
die er und Skinner während der Fahrt gehabt hatten, hatte sich vor einigen
Meilen ganz verlaufen. Jetzt befiel ihn wieder die gewohnte Tunnelvision. Sein
Atem ging schwerer, und er wusste, dass er den Rest des Tages brauchen würde,
um sich von diesem Alptraum wieder zu erholen.
"Sie liegt hier
drüben", sagte Skinner und zeigte auf einen großen Grabstein nicht weit
von ihnen entfernt. "Sieht aus als ob S....
jemand kürzlich hier gewesen ist." Gerade noch rechtzeitig konnte er es verhindern,
Scullys Namen zu äußern. Was Mulder jetzt am wenigsten brauchte, war eine
Erinnerung an die Liebe, die er verloren hatte. Skinner merkte, dass er jetzt
die einzige Verbindung zu Mulders vorherigem Leben war, und er fragte sich, wie
lange es dauern würde, bis Mulder auch die Stricke zu ihm durchtrennen würde,
um wirklich so viele Erinnerungen wie möglich auszulöschen. Irgendwie schien es
ihm unumgänglich. Er hatte den Mann immer gut leiden können, aber erst durch
die letzte Woche hatte er erkannt, wie sehr er ihn in den vier Jahren vermisst
hatte. Wie sehr ihm die Diskussionen gefehlt hatten, die sie immer in seinem
Büro über Fälle geführt hatten, wie sehr er seinen leidenschaftlichen Einsatz
und brennende Intensität vermisst hatte. Mulder war einer der stärksten
Persönlichkeiten, die er jemals getroffen hatte—zumindest war er es einmal
gewesen. Als er nun beobachtete, wie er über den Friedhof zum Grab seiner
Mutter ging, machte er einen sehr müden Eindruck. Müde und traurig. Kein Funke
des alten Mulders war mehr in ihm zu sehen, obwohl Skinner Spuren von ihm
während der einen Woche in Freiheit schon gesehen hatte. Er war davon
überzeugt, dass der Mulder, den er gekannt hatte, noch irgendwo in ihm
schlummerte, und er war fest entschlossen alles zu tun, um ihn wieder hervor zu
holen. Andererseits, Mulder war ohne Scully irgendwie... 'unvollständig'. Das
war ein zu banales Wort, um zu beschreiben, was Mulder jetzt war. Zerbrochen.
Ja, das war es. Mulder war zerbrochen. In Stücke gerissen.
Mulder näherte sich
beklommen dem Grab seiner Mutter. Er wusste, dass er sich verdammt nochmal zusammenreißen musste, aber er wusste auch, dass es
ein richtiger Zug war. Etwas, dass er tun sollte. Etwas, dass er tun
musste. Neben dem Grabstein stand ein
Topf mit Nelken und Mulder fragte sich, wer die wohl gebracht hatte. Doch nicht
etwa....?
Diesem Gedanken ging er
ebenfalls aus dem Weg und kniete neben dem Stein, auf dem er die Konturen der
Buchstaben sanft mit dem Finger nachfuhr. Teena
Mulder. 'Geliebte Mutter' stand dort. Er dachte über diese Worte nach. Ja, er
hatte sie geliebt, wie jeder Sohn seine Mutter liebt. Er wollte auch glauben,
dass sie ihn ebenfalls geliebt hatte, er sehnte sich nach Zuwendung und
Zärtlichkeiten. Wenn sie doch nur da gewesen wäre an seiner Seite, wären die
schrecklichen Erfahrungen der letzten zehn Jahre vielleicht leichter zu
ertragen gewesen. Doch sie war einfach nicht diese Art Mutter gewesen. Sie
schien immer eher zurückhaltend und kühl - erst recht nach Samanthas
Verschwinden. Wenn die Dinge anders gelaufen wären, wäre er jetzt vielleicht
nicht da, wo er nun mal war. Er hätte vielleicht nicht etliche Jahre damit
verbracht, eine schwer zu ergreifende Wahrheit zu suchen, die er nie gefunden
hatte. Eine Wahrheit für seine Schwester, von der er jetzt wusste, dass er sie
nie finden würde.—dann hätte er vielleicht nicht die letzten vier Jahre seines
Lebens verloren. Dann hätte er vielleicht nicht Scully verloren.
"Mom", flüsterte
er leise, fast ängstlich zu laut zu sprechen, doch er empfand das Bedürfnis,
mit ihr zu reden. "Ich vermisse dich. Ich wünschte, dass alles zwischen
uns..... anders gewesen wäre, einfacher. Ich wünschte... ich wäre für dich da
gewesen, Mom. Ich wünschte.... " seine Stimme schwankte und er musste
aufhören, bevor er zusammenbrach. Er ließ sich aus der Hocke auf den Boden
nieder, zog die Knie an seine Brust und legte seine Arme darum. Mulder starrte
ins Leere, als er sich schutzsuchend umschlang und an die Zeiten in seinem
Leben dachte, in denen seine Mutter ihre Liebe für ihn gezeigt hatte. Davon hat
es nicht viele gegeben, doch jetzt hielt er verzweifelt an den wenigen Malen
fest, an die er sich erinnern konnte. Er musste an die schönen Dinge an ihr
denken. Er konnte sie fast nach ihm rufen hören, als er sich seinen Erinnerungen
hingab, die so greifbar waren, dass sie ihn reizten und unaufhörlich plagten.
So saß er da für eine
lange Zeit, in der er gelegentlich die Augen schloss, wenn es zu schmerzhaft
wurde, bis er nach und nach wieder zurück zur Wirklichkeit gelangte und
schuldbewusst an Skinner dachte, die persongewordene
Geduld, die auf ihn wartete. Er blickte hinüber zu dem Wagen, wo Skinner still
für sich ein Buch las. Mulder bewunderte immer noch alles, was sein früherer
Boss für ihn getan hatte. Er war sich nie sicher gewesen, ob Skinner ihn je
gemocht hatte, aber jetzt hatte er den Eindruck, dass er es wirklich tat. Der
Gedanke gab ihm etwas innerliche Wärme, die er nach der Kälte des Morgens
dankbar willkommen hieß.
Mulder erhob sich und
klopfte den Schmutz von seiner Hose. Es war an der Zeit sich zu verabschieden.
Traurig stellte er fest, dass er sie im Grunde kaum gekannt hatte—er vermisste
sie mit einer schmerzenden Einsamkeit, die er nie erwartet hätte. Als er zurück
zum Auto ging, dachte er beiläufig, dass er sich neue Sachen zum Anziehen
besorgen musste. Diese hier waren immer noch viel zu groß.
Skinner sah auf und
steckte wortlos sein Buch weg, als er ihn kommen sah. Er bemerkte Mulders feuchte Augen, doch er
sah auch, dass sein Gesicht frei von vergossenen Tränen war. Skinner schickte
innerlich ein Dankesgebet zum Himmel—er hatte befürchtet, dass dieser Besuch zu
viel für ihn sein könnte, doch offensichtlich war er so stark, wie vermutet
hatte. Es war vielleicht sogar das, was Mulder gebraucht hatte, um wieder
anfangen zu leben, dacht er, als er den Wagen nach Hause lenkte.
"Wissen Sie, wer die
Blumen an ihr Grab gebracht hat?" fragte Mulder plötzlich. Skinner dachte
nach, bevor er antwortete.
"Nein", log er
ohne eine Miene zu verziehen. Er hatte nicht vor, Scully in Mulders Gegenwart
zu erwähnen. Nicht heute. Sogar jetzt nicht, wo Mulder gerade so stark war. Ein
Mann kann nur ein gewisses Maß an Schmerz ertragen. Er biss die Zähne zusammen,
als er sich bemühte, einen plötzlichen Emotionsstoß vor dem Mann an seiner
Seite zu verbergen.
Gott verdamme sie alle,
dachte er mit innerlich rasender Wut. Sie sollen alle zur Hölle fahren. Mulder
hat das nicht verdient. Scully hat das nicht verdient. Zusammen hätten sie so
viel erreichen können, wenn man ihnen nur die Chance gegeben hätte.
Mulder hatte seit Jahren
viel für Scully empfunden, so viel war klar.
Mulders Gefühle waren oftmals wie ein offenes Buch. Skinner war sich
nicht sicher gewesen, ob sie auch so fühlte. Bis zu dem Tag von Mulders Gerichtsverhandlung.
Ihre Hingabe zu ihrem Partner in der Zeit und ihre ausgesprochene
Niedergeschlagenheit, nachdem Mulder in Ketten von ihr weg geführt worden war,
haben alle möglichen Zweifel vernichtet. Scully liebte Mulder ebenfalls.
Deshalb war es so schwer
zu verstehen, warum sie getan hatte, was sie getan hatte.
Ende TEIL Eins
WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 2/9
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
( laurita_castellano@yahoo.com )
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. < hadyoubigtime@netcologne.de
>
Dana Scully Morrow saß
noch lange nach Mitternacht in ihrem Zimmer am Schreibtisch. Alles war nun
still im Haus, ihr Mann und ihre Stieftochter schliefen. Sie war nach
stundenlangem Herumwälzen aus ihrem Bett gekrochen, denn sie hatte einfach
keinen Schlaf gefunden. Es war soweit. Morgen musste sie den Anwalt anrufen,
der Mulders Treuhandvermögen verwaltete und sie musste ein Treffen mit Mulder
und dem Anwalt arrangieren, um dem rechtmäßigen Besitzer die Vollmacht über das
Geld zu übertragen. Nach diesem Treffen würde ihre letzte Verbindung zu Mulder
durchtrennt sein.
Das Bild in ihrer Hand
wies schon Spuren der Abnutzung auf. Dana hielt es immer gut versteckt. Es
hatte einen besonderen Platz in ihrer dritten Schreibtischschublade, zwischen
den Seiten der 'M'-Worte in ihrem Wörterbuch. 'M' für
Mulder. Es war ein Foto von den beiden, das ihre Mutter einmal gemacht hatte,
auf dem Mulder spielerisch einen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte. Sie wusste,
dass Mulder das Bild auf seinem Computer hatte—
Frohike hatte er ihr vor
Ewigkeiten geflüstert. Sie wusste auch, dass sie eigentlich überhaupt nichts
von dem Bild wissen sollte. Sie lächelte traurig, als sie sich an die alten
Zeiten erinnerte. Dann lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und blickte
wehmütig ins Leere, als sie die Pfade der Erinnerung zurück ging zu ihrer
Partnerschaft, die sich in Freundschaft und letztendlich in Liebe vertieft
hatte. Wären sie ein normales Paar gewesen, hätten sie zweifellos geheiratet
und bis jetzt einige Kinder gehabt, doch bei Mulder war nichts normal. Sie
hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass den regulären Alltag zu opfern der
Preis dafür war, ihn in ihrem Leben zu haben. Sie hatte schon oft daran
gedacht, sich jetzt zur Ruhe zu setzen und über die Dinge zu schreiben, die sie
in der Zeit—relativ kurzen Zeit— erlebt hatten, und vom Schreiben zu leben. Sie
beide hatten sicherlich mehr ungewöhnliche und unerklärbare Dinge gesehen, als
irgendjemand anderes.
Sie dachte an die Zeiten,
in denen sie niemand anderem vertraut hatten, sondern nur sich gegenseitig; nie
wissend, wer auf ihrer Seite stand, aber immer mit der Sicherheit des
unerschütterten Vertrauens ineinander. Es hatte ihnen geholfen, als nichts
anderes es tat—das Gewissen, dass wenn alles drunter und drüber ging, es immer
noch diese eine Konstante gab, auf die sie sich immer verlassen konnten. Dana
wusste, dass sie nie die Kraft oder den Mut dazu gehabt hätte, gegen ihren
Krebs zu kämpfen, wenn Mulder sie nicht ununterbrochen mit seiner
Entschlossenheit dazu gebracht hätte, alles Menschenmögliche zu tun, um zu
helfen. Letzten Endes war er derjenige, daran glaubte sie fest, der ihr das
Leben gerettet hatte. Er hätte bestimmt nicht das erste Jahr im Gefängnis
überlebt, wenn es nicht ihre Besuche gegeben hätte, auf die er sich regelmäßig
freuen konnte, und ihre Liebe, auf die er sich verlassen konnte. Zumindest
hatte er das, bis....
Entschieden legte sie das
Bild wieder zurück, schloss die Schublade vor neugierigen Augen ab und verließ
den Raum.
Die alten Zeiten waren
jetzt vorbei.
Sie schlenderte in die
Küche, und weil sie immer noch nicht müde war, machte sie sich eine Tasse
Kakao. Während sie am Tisch saß und an dem Getränk nippte, sah sie ihr
Spiegelbild, das sich im Glas zum Innenhof spiegelte. Wer war diese Frau? Sie
sah so alt aus, irgendwie, und traurig.
Mit einem Kopfschütteln merkte Dana, dass sie älter und betrübter war
als vor einigen Jahren. Seit Mulder im Gefängnis war, hatte sie mehr und mehr
das Interesse am Leben verloren. Stattdessen hatte sich eine weite Leere in
ihrem Inneren breit gemacht, die sie mit allen Mitteln zu füllen versuchte.
Doch mit nicht sehr großem Erfolg. Die Beziehung zu ihrer Mutter ist seit ihrer
Heirat mit Zachary Morrow etwas angespannter geworden, aber Margaret Scully
hatte es schließlich akzeptiert und ihr viel mit ihrer neuen Enkeltochter
geholfen. Zachs Tochter war liebenswert und eine kleine Schönheit und Maggie hatte
sie ebenso schnell lieb gewonnen wie Dana. Mit der Zeit hatte sich ihre übliche
Mutter-Tochter Verbundenheit wieder gefunden, doch beide wussten voneinander,
dass sie trotzdem nicht anders über die Sache dachten. Maggie Scully hatte sich
so sehr Fox Mulder als Schwiegersohn gewünscht, und sie hatte Zachary nie
völlig akzeptiert. Dana wurde es klar,
dass es nie anders sein würde, und alsbald sie sich über diese Angelegenheit
einigermaßen ausgesprochen hatten, war dieses Thema nie wieder zur Sprache gekommen.
Dana wusste, dass sie großes Glück hatte, eine Mutter zu haben, die sie liebte
und die zu ihr hielt, sogar wenn sie Dinge tat, die sie enttäuschten.
Niedergeschlagen fragte sie sich, ob für Mulder vielleicht nicht alles anders
gelaufen wäre, wenn seine Mutter ähnlich hinter ihm gestanden hätte.
Sie hatte schon immer eher
undankbare Gedanken gehabt, was Mrs. Mulder anging. Ihr Kontakt mit ihr war
immer beschränkt gewesen und in den Zeiten, in denen eine Mutter immer an der
Seite ihres Sohnes sein sollte—wenn Mulder krank oder verletzt gewesen war—war
sie nie da gewesen. Sie wusste, dass die Beziehung zwischen ihrem Partner und
seinem einzigen Elternteil mehr als nur gespannt gewesen war, und es war nie
ein Gesprächsthema gewesen, über das sie sich beide gerne ausgelassen
hätten. Wegen dieser Erkenntnis war Dana
auch so überrascht gewesen, als Teena Mulder nicht
lange nach der Inhaftierung ihres Sohnes zu Besuch aufgetaucht war.
"Ich bin gekommen, um
mit Ihnen über eine sehr ernste Angelegenheit zu sprechen, Miss Scully",
hatte sie gesagt, nachdem Scully ihr in der kleinen Küche ihres Apartments
Kaffee eingeschenkt hatte.
Scully hatte sich
überrascht mit hochgezogenen Augenbrauen zurück gelehnt und gewartet. Sie
konnte sich nicht vorstellen, was Mrs. Mulder mit ihr besprechen wollte, das
sie als 'ernste Angelegenheit' betrachtete.
"Ich weiß, dass Mr.
Skinner mit ein wenig Unterstützung von Ihnen, wie ich vermute, versucht, die
Unschuld meines Sohnes in diesen lächerlichen Anschuldigungen zu
beweisen", war die Frau fortgefahren. Scully nickte und in ihr tat sich
die Frage auf, ob die nicht aufhörende Hilfe und Liebe, die sie für Mulder
hatte, als 'ein wenig' Beitrag zählte.
"Ich habe keine
Zweifel daran, dass er eines Tages Erfolg haben wird, doch ich bin dennoch
realistisch. Es könnte Jahre dauern, bis Fox wieder hier ist, und auch wenn er
nach Hause kommt, wird er nicht in der Lage sein, für sich selbst zu
sorgen—zumindest nicht für die erste Zeit. "
"Mrs. Mulder, ich
verstehe nicht... "
"Dann lassen Sie es
mich Ihnen erklären, junge Dame", hatte Teena
sie abrupt unterbrochen. "Ich werde nicht ewig leben. Ich hoffe, dass ich
dann noch leben werde—ich habe es sogar vor—wenn Fox frei gelassen wird, aber
falls das nicht der Fall ist... "
"Möchten Sie, dass
ich mich um Mulder kümmere?" hatte Scully verwirrt gefragt.
Mrs. Mulder seufzte leise.
"Ich habe mein Testament gemacht. Etwas, das ich noch nie zuvor gemacht
habe." Sie zuckte leicht mit den Schultern. "Ich habe immer gedacht,
dass Fox sich um solche Details kümmern würde. Er war eine so große Hilfe, als
sein Vater gestorben ist. Und jetzt scheint es, als ob er nicht da sein
wird."
Scully rutschte beklommen
auf ihrem Sitz. Sie fragte sich, ob Mrs. Mulder sie bitten würde, sich um das
Begräbnis zu kümmern, falls die alte Dame sterben sollte.
"Ich habe ihm
natürlich alles hinterlassen, da er ja mein einziger lebender Verwandter
ist", fuhr sie fort. Ihr Blick war gesenkt und Scully wusste, dass sie
genauso wie sie selbst an Samantha gedacht hatte. Sie hatte schon fast den Mund
aufgemacht, um die Frage zu stellen, doch dann hatte sie sich eines besseren
besonnen.
"Ich weiß, dass Sie
meinen Sohn lieben", sagte Teena urplötzlich und
ihr durchdringender Blick richtete sich wieder auf Scully, als ob ihre blauen Augen
direkt in ihre Seele sehen würden. "Ich weiß, dass man sich auf Sie
verlassen kann, dass Sie ihm nie weh tun könnten. Deswegen würde ich Ihnen
gerne die Erbschaftsverwaltung übergeben, wenn ich sterben sollte, bevor Fox
wieder frei ist."
Scully fühlte sich, als ob
ihr der Hals zugeschnürt würde. Sie hatte sicher nicht erwartet, dass Mrs.
Mulder ihr eine derartige Verantwortung wie diese überlässt—sie hatte nicht
einmal gedacht, dass die Frau sie überhaupt mochte.
"Wie ich aber schon
sagte, ich hoffe an diesem Tag noch am Leben zu sein", sprach Mrs. Mulder
weiter und ignorierte Scullys Erstaunen, "aber falls es nicht so sein
wird, bin ich gekommen, um Sie zu bitten, diese Bürde auf sich zu nehmen als
die engste und vertrauteste Freundin meines
Sohnes."
Scully schluckte merklich.
Sie wusste nicht, ob sie durch den emotionalen Moment so gerührt war, oder weil
Mrs. Mulder wohl hingenommen hatte, dass es im Falle ihres Sohnes nie
Gerechtigkeit geben würde. So unterschiedlich die beiden Frauen auch waren, sie
glaubten beide fest an Mulders Unschuld und wünschten sich sehr, dass er wieder
freigelassen würde.
"Es ist keine
Bürde", sagte sie, als sie ihre Stimme wieder fand. Ihr kam es vor, als
würde sie sich von der anderen Seite des Raumes beobachten, wie in einem Traum.
"Ich würde mich sehr freuen, Ihnen und Mulder nach meinen Möglichkeiten zu
helfen."
Mrs. Mulder hatte ihr ein
schiefes Grinsen geschenkt und ihre Hand dankbar gedrückt. "Mein Anwalt
wird Sie anrufen", sagte sie schon im Aufstehen, als sie ihre steife
Formalität wieder gewonnen hatte, da der Moment vorbei war. Sie hatte Scully
allein gelassen mit diesen neuen Umständen.
Nachdem Mrs. Mulder
gegangen war, hatte Dana wie benommen in die Schwärze ihres Kaffees gestarrt.
Sie dachte über Mulders Familie nach und über die Allianz, die sie nun mit ihr
hatte. Sie fragte sich, wie viel Kontrolle genau Mrs. Mulder ihr in dieser
Sache gegeben hatte (nicht sehr viel, so stellte es sich später heraus; das
meiste wurde über die Anwälte abgewickelt, doch Scully wurde für die ein oder
andere Unterschrift verlangt) und um wie viel Geld es eigentlich ging. Mrs.
Mulder hatte offensichtlich keine Geldbeträge für Samanthas Rückkehr bestimmt,
das wunderte Scully. Vielleicht hatte sie sich irgendwann damit abgefunden, dass
ihre Tochter umgekommen ist. Oder vielleicht wusste sie, dass wenn Samantha
jemals wieder auftauchen würde, ihr älterer in sie vernarrter Bruder dafür
sorgen würde, dass sie versorgt sein würde. Oder vielleicht, kam es Scully in
den Sinn, vielleicht wusste sie einfach, dass Samantha nie von denjenigen, die
sie entführt hatten, zurück gebracht werden würde.
Es war nicht vor Teena Mulders Tod ein Jahr später, als Scully die genauen
Ausmaße von Mulders Erbe erfahren hatte, und die zusätzlichen, ziemlich überraschenden
Zusätze im Testament der Frau. Das Geld sollte verwahrt werden, worum sich Mrs.
Mulders Anwälte und Scully kümmern sollten, bis zu Fox' Entlassung aus dem
Gefängnis. Falls er im Gefängnis sterben sollte, ohne sein Vermögen je antreten
zu können, soll der ganze Besitz—die
ganzen dreieinhalb Millionen Dollar—Dana Katherine Scully zukommen.
Dana schüttelte sich aus
ihren Gedanken und vergrub müde ihr Gesicht in ihren Händen. Zachary hatte das
Geld gewollt, sie konnte es in seinen Augen lesen, wenn er dachte, sie würde
nicht hinsehen. Sie hatte ihm allerdings natürlich nie solch persönliche
Angelegenheiten erzählt, da sie absolut nicht geneigt war, so etwas mit ihm zu
diskutieren. Doch nach ihrer Heirat hatte sie herausgefunden, dass ihr Bruder
Bill seinem Freund die ganze Story erzählt hatte. Sie war sehr wütend gewesen,
als sie es herausgefunden hatte, doch da war es schon passiert. Sie und Zach
hatten deswegen eine ihrer schlimmsten Auseinandersetzungen, und sie sind sich
tagelang aus dem Weg gegangen. Irgendwann hatte Dana dann beschlossen um ihrer
Stieftochter Willen die Wogen wieder zu glätten. Es war zwischen ihr und ihrem
Mann nie sehr einfach gewesen, aber seit dem Vorfall war es nie so gut wie es
hätte sein können.
Sie war immer gewissenhaft
gewesen mit ihren Besuchen bei Mulder. Ohne Ausnahme war sie jeden Samstag mit
Klatsch und Neuigkeiten hingegangen und der besten Laune, die sie aufbringen
konnte. Mulder hatte sich anscheinend gefreut, sie zu sehen, dankbar für
jeglichen Kontakt mit der Außenwelt und besonders für ihre Gesellschaft. Sie
wollte ihn so gerne berühren, seine Hand nehmen, bei ihm sein, aber sie waren
jedes Mal durch eine dicke Glaswand getrennt gewesen. Manchmal sah sie diese
Wand als ein Symbol ihrer ganzen Beziehung. Sie konnten sich sehen, miteinander
reden, Witze machen, sich gegenseitig unterstützen, aber jedes Mal, wenn sie
nach mehr griffen, war da eine Barriere zwischen ihnen. Manchmal war es eine
selbst erbaute, und manchmal, wie jetzt, war es eine, die ihnen aufgezwungen
worden war. Und das Hindernis war stark genug, egal, wie es entstanden war.
Mit der Zeit hatte sie
gemerkt, dass Mulder sich mehr und mehr von ihr distanzierte, und es hatte ihr Angst gemacht. Sie glaubte nicht, dass sie noch mehr von
ihm verlieren könnte, sie war jetzt schon so unsäglich einsam ohne ihn. Sie
hatte ihren Job als Agentin beim FBI weiter gemacht, nachdem Mulder weg war,
doch schließlich hatte sie sich zurück nach Quantico
versetzen lassen, wo sie jetzt unterrichtete. Zuweilen kam es ihr vor, als ob
sie nie gegangen wäre und ihre lange Partnerschaft mit Mulder nichts als nur
eine Illusion gewesen war. Jedes Mal, wenn er sich ein Stück weiter zurückzog,
starb ein kleiner Teil von ihr. Sie wusste, dass die empfindliche Beziehung,
die sie zueinander hatten, mehr und mehr in sich zusammenfiel, und sie hatte
Angst, dass sie hilflos dastehen ihrem Verfall zusehen musste. Ihr Herz
verkümmerte mit jedem Besuch ein Stückchen mehr, bis sie sich irgendwann davor
fürchtete, anstatt sich darauf zu freuen.
Manchmal fand sie ihn
krank oder verprügelt vor, und sie fragte sich, wie viel er vor ihr geheim
hielt. Es war klar, dass es im Gefängnis Prügeleien gab, und sie betete, dass
sich Mulder nicht auf Probleme einließ und sich zurück hielt. Doch so war Mulder
nie gewesen. Schon bald war ihr klar, dass er ein geeignetes Ziel für jemanden
war, der nach Opfern suchte. Er war kleiner als viele der Insassen—und sein
Appetitschwund und gleichgültige Einstellung trug nur zur Verminderung seiner
Statur bei—und das Bewusstsein, dass er einmal ein Bundesagent gewesen war,
machte ihren Hass auf ihn noch größer. Wenn sie ihn darauf ansprach, wechselte
Mulder jedes Mal hastig das Thema. Er wollte nicht mit ihr über die Situation
reden. Letztendlich ließ sie davon ab,
obwohl es ihr das Herz brach, die Schwellungen und Prellungen auf seinem Körper
sehen zu müssen.
Seine Zurückgezogenheit
von ihr wurde jedoch immer mehr offensichtlich, bis sie es irgendwann nicht
mehr leugnen konnte. An einem Samstag, sechzehn Monate nach seinem Urteil, riss
ihr der Geduldsfaden.
"Mulder, sag mir, was
los ist." Ihre Stimme war tastend und kontrolliert gewesen, obwohl sie bei
seinem Anblick weinen wollte. Er war wieder verprügelt worden, und dieses Mal
sah nicht nur sein Gesicht schlimm aus, sondern er hielt zudem noch einen Arm
an seinen Körper. Zuerst konnte sie nicht entscheiden, ob sein Arm oder seine
Brust verletzt war, doch dann wurde es klar, dass es seine Rippen waren, die
ihm höllisch weh taten. Sie fragte sich, ob der Gefängnisarzt ihn untersucht
hatte. Wahrscheinlich nicht. Mulder
würde nie nach einem Arzt fragen, und hier gab es niemanden, der ihn dazu
antrieb, wie sie es immer getan hatte.
Er schnaubte entrüstet.
"Nichts ist los, Scully", grummelte er. "Alles bestens. Ich
bekommen drei leckere Malzeiten am Tag, habe ein bequemes Bett zum schlafen,
und ich muss nicht arbeiten. Was kann man schon mehr verlangen?"
Sie schluckte den bissigen
Kommentar herunter, der ihr auf der Zunge lag. Mulder hatte es schon einmal an
ihr ausgelassen, als er wütend war. Es hatte ihr damals nichts ausgemacht, und
sie würde es jetzt auch nicht zulassen.
"Ich meine",
erklärte sie vorsichtig, "warum ziehst du dich von mir zurück? Du warst in letzter Zeit nicht sehr
gesprächig, wenn ich dich besuchen kam, und vor zwei Wochen wolltest du mich
gar nicht erst sehen!"
"Mir ging's nicht
gut", murmelte er ohne ihr in die Augen zu sehen.
Sie sagte nichts einen
Moment lang. "Okay", schließlich. "Es ging dir nicht gut. Das
akzeptiere ich. Was ich allerdings nicht akzeptieren kann, ist die Art, wie du
dich von mir distanzierst." Frust drang in ihrer Stimme durch. "Was ist anders, Mulder? Es kommt mir
vor, als würde ich dich gar nicht mehr kennen."
"Vielleicht tust du
das auch nicht", entgegnete er bitter und hob seinen Blick, der sich durch
das Glas in ihre Augen bohrte. "Du hast überhaupt keine Ahnung, Scully, du
hast keinen blassen Schimmer, wie es hier drin ist! Jede Woche machst du deinen
Mitleidsbesuch und dann gehst du wieder zurück in dein schönes, bequemes, sicheres
Leben, und ich bleibe hier mit einer weiteren Woche in der Hölle vor mir!"
Seine Worte trafen sie wie
ein Hammerschlag. Sie hätte nie gedacht, dass er ihre Besuche als
"Mitleid" betrachtete. "Dem ist nicht so, und du weißt das,
Mulder!" widersprach sie aufbrausend. "Ich komme her, um dich zu
sehen, weil ich es will—nicht weil ich muss. Du bedeutest mir etwas."
"Ich habe dich nie
darum gebeten." Seine Stimme war kalt geworden, und sie zuckte als ob er
sie geschlagen hätte.
Nach einem stillen Moment
versuchte sie es noch einmal. "Du weißt, dass wir alles tun, um dich hier
raus zu holen", erinnerte sie ihn verzweifelt. "Es braucht nur seine
Zeit..."
"Es dauert viel zu
lange." Er schnaubte kurz in freudlosem Lachen.
"Andererseits, ich
habe ja jetzt genug Zeit, was?"
Sie beugte sich vor zu ihm
und ihre Seele schmerzte, als er von ihr zurück wich. "Du hast mich,
Mulder", hatte sie gesagt. "Du wirst mich immer haben."
"Nein, Scully, ich
werde dich nie haben", sagte er schneidend. "Nicht dich oder
irgendjemand anderen. Und weißt du was? Das ist okay so. Ich brauche niemanden,
und vor allem nicht dein Mitleid." Er hatte sich umgedreht und sich mit
den Händen durch seine kurz geschnittenen Haare gestrichen, deshalb hatte er
ihren Blick tiefsten Verrats nicht gesehen.
"Hör auf, dir um mich
Sorgen zu machen, Scully", sagte er, als er sah, dass sie ihre Tränen
zurück hielt. Der Anblick verschaffte ihm eine gewisse wütende Befriedigung. Er
hatte heute fast sein Ziel erreicht. Wenn er noch einen drauf setzte, würde er
erfolgreich sein. "Hör auf, auf mich zu warten. Hör auf mich zu
besuchen." Er nahm einen langen, tiefen Atemzug, als ob seine nächsten
Worte all seine Kraft kosten würde, und sagte, "Ich will dich nicht mehr
sehen. Vergiss einfach, dass wir uns je kannten."
Scully griff blind nach
hinten zu ihrem Stuhl, denn ihre Knie begannen nachzugeben. Sie wusste genau,
was Mulder da tat. Sie konnte die Taktik nicht genau benennen, aber sie
erkannte sie. Er fühlte sich schuldig, weil sie so viel in ihn und seinen Fall
hineinsteckte, und er versuchte sie herauszuhalten, sie abzudrängen, sie
freizulassen. Von seinem eigenen, egozentrischen Standpunkt aus glaubte Mulder,
dass wenn sie ihn los wäre, er ihr einen Gefallen tun würde. Und in einem
Moment absoluter Wut fragte sie sich, ob er es um ihretwillen tat oder nur sein
Schuldbewusstsein lindern wollte.
"Mulder—" ihre
Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, kaum wahrnehmbar in dem Raum.
"Nein",
erwiderte er resolut mit seinem üblichen "es hat keinen Zweck"
Gesichtsausdruck. "Es ist vorbei. Was auch immer wir vielleicht gehabt
haben ist vorbei. Wir hatten nie eine Chance."
Als sie ihre Stimme
wiedererlangt hatte, gab ihr ihre Wut Kraft. "Ich werde es nicht
zulassen", sagte sie mit wallenden Emotionen in ihren Worten. "Ich
werde nicht zulassen, dass du mich aus irgendeinem verqueren Selbstmitleid aus
deinem Leben streichst. Du kannst mich nicht so einfach loswerden."
Er schenkte ihr ein
Lächeln, das sie mit seiner Schärfe durchteilte. "Doch, das kann ich,
Scully. Es ist das letzte, worüber ich noch entscheiden kann."
Er drehte sich zu dem
Wärter um, der sorgsam das Gespräch ignorierte, und Scully fragte sich
insgeheim, wie viele solcher Szenen wie diese er im
Laufe der Jahre schon gesehen hatte. "Bringen Sie mich zurück",
kommandierte Mulder, und der Wärter machte sich daran, die Tür zu öffnen.
"Nein. Warten
Sie!" rief Scully und drückte ihre Hand gegen das Glas, das sie trennte,
als er von ihr entfernte.
Er hielt für einen Moment
an, doch drehte sich nicht zu ihr um. "Es ist vorbei, Scully", sagte
er zur Wand. "Geh, und lebe dein Leben. Ich kann nicht für dich da
sein."
"Mulder, du musst gar
nichts für mich sein", flehte sie. "Das ist nicht etwas, das ich von
dir erwarte. Ich habe ein Leben, und ein Teil davon ist hier bei dir."
"Ich will nicht, dass
du mich wieder besuchen kommst", wiederholte er grimmig. Er hatte seine
Zähne fest zusammen gepresst, und sie wusste irgendwie trotz ihres eigenen
Leids, wie viel ihn diese Worte gekostet hatten. "Ich will dich nicht mehr
sehen."
"Mulder, tu mir das
nicht an. Sag mir nicht, wie ich mein Leben leben
soll", hatte sie gerufen, zitternd vor Angst und Wut. Das eiskalte Gefühl
in ihrer Magengegend sagte ihr, dass wenn er jetzt gehen würde, sie ihn für
immer verlieren würde.
Er griff nach der Türklinke
und drehte sich ein wenig zurück zu ihr. Sie sahen sich einige Sekunden an, in
denen sie den Schmerz in seinen Augen sehen konnte, bevor er dem Wärter
zunickte und leise durch die Tür glitt.
Fort.
Sie sah ihm nach, schwer
atmend. Jahrelange Erfahrung ermöglichte es ihr, ihre Tränen im Zaum zu halten,
die ungebrochen über ihr Gesicht strömen wollten. Sie würde hier nicht weinen,
sagte sie sich fest entschlossen, und schaffte es, sich zusammenzureißen, bis
sie im Auto war. Dort hatte sie für ein paar Minuten vollkommen die Kontrolle
über ihre Emotionen verloren - schreiend, weinend, auf das Lenkrad hämmernd aus
purer Wut auf ihn, auf sich selbst, auf den Raucher—auf die ganze Welt, die ihn
ihr weggenommen hatte und ihm alles genommen hatte, ihn zu einer leeren Hülle
gemacht hatte, die sie gerade verlassen hatte.
Nach ein paar Wochen fast
unerträglichen Leidens, in denen sie erkannt hatte, dass Mulder sie nicht
wirklich aus seinem Leben haben wollte, sondern dass er sich lediglich wie
Mulder benahm, war sie wieder ins Gefängnis gegangen, um ihn wieder regelmäßig
zu besuchen. Doch er wollte sie nicht sehen.
Er war ihr seitdem nicht
mehr unter die Augen getreten.
Mit der Zeit hatte es
Scully geschafft, ihre Wut auf ihn immer weiter hochzukochen,
die die anderen Gefühle übertraf, die sie hin und wieder übermannen wollten.
Mulder war ein Idiot, sagte sie sich abweisend. Ein selbstsüchtiger Bastard,
der ihre Zeit nicht wert war. Er wollte sie nicht, und er hatte es ihr
unmissverständlich gesagt. Ihre Beziehung zu beenden— wenn man es überhaupt als
Beziehung bezeichnen konnte—war das Beste für sie beide. Sie versuchte die
leise innere Stimme davon zu überzeugen, die drohte, anderer Meinung zu sein.
Sie würde ihm geben, was er wollte. Gar
kein Problem. Ihn zu verlassen war einfach.
Es war das Fernbleiben,
das unmöglich war.
Walter Skinner setzte
seine Brille ab und rieb sich müde den Nasenrücken. Er hatte gerade ein höchst
unbehagliches Gespräch mit Scully hinter sich (er konnte sich einfach nicht
daran gewöhnen, sie als 'Dana Morrow' zu bezeichnen, nicht einmal nach all der
Zeit) und jetzt war er ein Mann mit einem Problem. Scully hatte am nächsten Tag
ein Treffen mit dem Anwalt vereinbart, der sich um Mulders Erbschaft kümmern
sollte. Er sollte sicherstellen, dass Mulder bei diesem Treffen erscheinen
würde, um alle Formulare zu unterzeichnen, die ihn zum rechtmäßigen
Bevollmächtigten über das Geld machen würden. Es musste sein. Es war
unumgänglich. Es würde die Hölle für Mulder werden.
Skinner war müde, das Thema
Scully ständig vor sich herzuschieben, aber er wollte Mulder nicht unnötig
aufregen. Der Blick in den Augen seines Freundes, wenn er an Scully dachte, war
herzzerreißend und erschreckend, als ob Mulder in jenen dunklen Abgrund sehen
würde, von dem in der Literatur so oft gesprochen wird, und ihn angesichts
seines eigenen Schmerzes lächerlich fand.
Es war nicht eine Woche
nach ihrer Verlobung mit Zachary Morrow, als Mulder abermals in Einzelhaft
gesteckt worden war - länger als er bisher dort verbracht hatte. Skinner war
gerade für seinen Besuch zwei Mal im Monat gekommen, nur um darüber informiert
zu werden, dass sein früherer Agent "verrückt geworden" sei. Er hatte
einen Mitgefangenen in der Halle attackiert und geschlagen, bevor die Wärter
ihn aufhalten konnten. Erst mehr als einen Monat später hatte Skinner ihn
wieder sehen dürfen, und als es soweit war, war es ihm nicht möglich, eine
Erklärung für sein gewalttätiges Verhalten zu bekommen. Mulder hatte über die
ganze Sache Stillschweigen behalten und Skinner wusste, dass er ihn nicht
drängen durfte.
Scully hatte ihn nach
ihrem letzten Treffen mit Mulder angerufen, als sie ihre Gefühle wieder unter
Kontrolle und zu ihrer üblichen kühlen, zuversichtlichen Art zurückgefunden
hatte. Skinner hatte engagiert versucht, sie zu überreden Mulder nicht fallen
zu lassen - wie er fand -, doch es hatte nichts gebracht. Als Scully daraufhin
versuchte hatte, mit Mulder Frieden zu schließen und er sie drei Samstage
hintereinander nicht sehen wollte, hatte sie Skinner wissen lassen, dass sie
nicht mehr zu ihm gehen würde. Sie gab Mulder was er wollte. Er konnte in ihren
Augen sehen, dass sie über die Wahrheit bezüglich Mulders Verhalten Bescheid
wusste, aber sie war zu tief unter ihrem eigenen Schmerz vergraben, dass er bezweifelte,
dass es etwas änderte.
Gut ein Jahr später hatte
sie ihre Verlobung bekannt gegeben. Sie war zu ihm gekommen, um es ihm unter
vier Augen zu sagen. Sie wusste, dass er es an Mulder weiterleiten würde.
Skinner hatte die Tränen hinter ihrem Lächeln gesehen, aber Scully hatte sie in
ihrer Eigenart abgeschüttelt.
"Er will mich
nicht", hatte sie in neutralem Ton auf seine unausgesprochene Frage
geantwortet. "Ich habe ihm genug Zeit gelassen, um damit fertig zu werden,
aber er will mich immer noch nicht sehen. Er schickt meine Briefe zurück."
Sie hatte tief und beruhigend durchgeatmet. "Ich kann Mulder nicht dazu
zwingen, eine Beziehung mit mir einzugehen, Sir. Er hat es mehr als deutlich
gemacht, dass es vorbei ist."
Aber Skinner wusste, dass
es für Mulder nicht vorbei war - dass es nie vorbei sein würde.
Mulder die Neuigkeit zu
berichten war eine der schwierigsten Aufgaben, um die Skinner je gebeten wurde.
Mulder hatte Skinner angestarrt, mit toten Augen, hatte sich dann weggedreht
und sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Skinner hatte still und wie auf
heißen Kohlen da gesessen in dem Bewusstsein, dass der andere Mann mit den
Tränen kämpfte, bis Mulder endlich den Kopf gehoben hatte. Sein Gesicht war
kreideweiß gewesen. Skinner hatte dieses
Gesicht viele, viele Male gesehen, normalerweise wenn Mulder verbal von
Kollegen oder Vorgesetzten attackiert wurde, aber er hatte es noch nie gesehen,
wenn Mulder die Tiefe seiner Emotionen zu verbergen versuchte. Er war
aufgestanden, Hände in den Taschen, und hatte Mulder ruhig gefragt, "Gibt
es etwas, was ich diese Woche für Sie tun kann?"
Bringen Sie mich um,
hatten diese gequälten Augen gebeten, doch Mulder hatte nur kurz den Kopf
geschüttelt und seinen Blick stur auf die Wand gerichtet, als Skinner die Besucherkabine
verlassen hatte. Er wusste, dass früher oder später Mulders sorgsam
aufgerichtete Fassade bröckeln würde, und er hoffte, dass Mulder allein sein
würde, wenn das passierte. Jetzt, als er sich daran zurück erinnerte, stellte
sich Skinner die Frage, ob Mulder sich absichtlich in Einzelhaft verlegen
lassen hatte, um in Einsamkeit um Scully zu trauern.
Seit seiner Freilassung
hatte es Mulder gewissenhaft vermieden, das Thema Ex-Partnerin anzuschneiden, und
Skinner war sich sicher, dass er ein Wiedersehen nach Möglichkeit für immer
aufschieben würde. Doch leider war es nicht möglich, und jetzt war die Zeit
gekommen.
Skinner legte seinen Kopf
auf seine Arme und dachte für einen Moment an die Komplikationen innerhalb
Mulders Familie. Teena Mulder hatte ihren Sohn
geliebt, zweifellos. Es war bei den Treffen, die er mit ihr nach Mulders
Verhaftung gehabt hatte, offensichtlich gewesen - jedoch hatte sie ihren Sohn
nicht ein einziges Mal im Gefängnis besucht. Er nahm an, dass sie den Anblicks ihres inhaftierten Sohnes nicht ertragen konnte. Es
würde für jede Mutter
schwer sein, und Teena hatte in ihrem Leben
sicherlich mehr als genug Probleme und Schrecken erleben müssen, wenn es um
ihre Familie gegangen war.
Obwohl sie Mulder nie
besucht hatte, hatte sie mit Skinner immer Kontakt gehalten, und er war froh
gewesen, ihr regelmäßig Berichte über sein Befinden
und über jegliche Versuche ihn zu befreien zu erteilen. Es war eine sehr
schwere Zeit gewesen, und als er so über das Leben und den Tod nachdachte,
fragte sich Skinner, ob Teena jetzt an einem Ort war,
von dem sie sehen konnte, dass sie letzten Endes ihr Ziel erreicht hatten. Sie
war immer eine starke Frau gewesen, bis zu ihrem Ende.
Er konnte sich noch an den
Tag erinnern, an dem sie ihn angerufen und gebeten hatte, ob er ihr helfen
könne, Mulders Sachen zu packen. Skinner hatte innerlich gestöhnt, und mit
einem kalten Schauer am Rücken zugesagt. Er wollte nicht durch Mulders Sachen
wühlen, er käme sich viel zu sehr wie ein Eindringling bei jemandem vor, der
bereits genügend durchmachen musste. Vor allem wollte er nicht bei Mrs. Mulder
sein, wenn sie irgendwann unvermeidlicherweise zusammenbrechen würde. Jedoch
war er dazu bestimmt der "Stärkere" zu sein, und er war noch nie
jemand gewesen, der sich vor seinen Pflichten drückte. Sie hatte ihn allerdings
überrascht, indem sie ruhig und entschlossen durch die Habseligkeiten ihres
Sohnes gegangen war, ohne auch nur eine einzige Träne zu vergießen. Sie hatten
Seite an Seite mit nur geringem Wortwechsel stundenlang gearbeitet, und als sie
fertig waren, hatte sie bemessen die Möbelpacker kommen lassen, die alles an
den Aufbewahrungsort bringen sollten.
"Ich glaube, ich muss
seinen Wagen verkaufen", hatte sie Skinner leise gesagt, "aber ich
fürchte, alles andere kann ich nicht abgeben. Er wird es brauchen, wenn er frei
kommt."
"Mrs. Mulder—"
begann er, doch sie schüttelte entschlossen den Kopf.
"Ich habe vollstes
Vertrauen, dass Sie meinen Sohn retten werden, Mr. Skinner. Ich muss daran
glauben. Ich kann ihn nicht auch noch verlieren." Mit diesen Worten
schritt sie entschlossen aus dem Zimmer und Skinner sah ihr mit Bewunderung
nach. Mumm, hätte es sein Vater genannt. Sie hatte Mumm.
Er ließ sich auf Mulders
Couch nieder und blickte sich im Zimmer um, das nun von allen persönlichen
Gegenständen befreit war, und er dachte an den Mann, der hier gewohnt hatte.
Wie viele Jahre hatte er in dem kleinen Apartment gelebt? Skinner wusste es
nicht. Mulder war hier gewesen, als sie sich getroffen hatten, aber es war zu
lange her, um einen Eindruck zu hinterlassen.
Er war nicht oft hierher
gekommen, obwohl einige seiner Besuche denkwürdig gewesen waren. Er hatte noch
genau vor Augen, wie er auf dieser Couch gesessen hatte, während Scully ihre
Waffe auf ihn gerichtet hatte. Sie hatten die Waffen aufeinander gerichtet—er
wusste, dass sie ihn nicht umbringen würde, doch er hätte ihr zugetraut zu
schießen, um sich zu schützen, sogar vor ihm --, als ein Geräusch an der Tür
sie abgelenkt hatte. Zu ihrer größten Verwunderung war der Mann hineingekommen,
von dem sie beide gedacht hatten er sei mit einem Container in New Mexico in
die Luft gejagt worden. Der Ausdruck auf Scullys Gesicht bei Mulders
unerwartetem Auftreten hatte er in den nächsten angespannten wenigen Minuten
gar nicht wahrgenommen, aber als er sich später daran erinnerte, erkannte er,
was er bedeutet hatte. Er fragte sich, wann sie sich ineinander verliebt
hatten, und wie er so blind gewesen war es nicht zu bemerken.
Er konnte sich daran
erinnern wie er an dem Morgen nach Mulders Selbstmord hierher gekommen war, und
er wusste noch, wie er gefürchtet hatte, den Blick des Mannes, der nur wenige
Wochen vorher sein Leben gerettet hatte, zu Gesicht zu bekommen. Und
Scully—Scully war kontrolliert wie immer gewesen, und er hatte geglaubt, dass
sie innerlich auseinander fiel.
Natürlich hatte er später herausgefunden, dass das ganze nur gestellt
war, aber er zweifelte, dass unter anderen Umständen ihre Reaktion anders
gewesen wäre. Er blickte nach oben an die Decke und ein Zittern durchlief ihn,
als er sich an die Überwachungsmaßnahmen für Mulder erinnerte. Wie hatte der
Mann all diese Dinge überlebt, die ihm angetan worden waren? Und die Scully
angetan wurden? Sein Blick glitt zum Fenster—Scully ist an genau diesem Fenster
angeschossen worden, obwohl man jetzt davon nichts mehr sehen konnte. Keinem
von ihnen blieb mehr als Erinnerungen—gute und schlechte.
Es war so schwer gewesen,
ihr Vertrauen zu gewinnen, und am Anfang war er sich gar nicht so sicher, warum
er es überhaupt haben wollte. Er war ihr Vorgesetzter, sie arbeiteten für ihn,
das sollte genügen. Aber irgendwann in der ganzen Zeit hatte er diese beiden
Agenten wie keine anderen respektieren gelernt, und er verspürte den Wunsch,
dass sie ihn ebenfalls in dieser Hinsicht respektierten. Letztendlich hatte er
sein Ziel erreicht, und mit der Zeit kam ihm der Gedanke an die beiden als
seine Freunde, trotzdem Skinner eher ein Einzelgänger war. Er hatte kein
einziges Mal weder Mulder noch Scully angerufen, um sie zum Essen einzuladen,
aber er wusste, dass wenn er sie je brauchen würde, er auf sie zählen konnte.
Und genau das, das war seine Meinung, machte einen treuen Freund aus. Er
wusste, dass seine Loyalität den beiden gegenüber zeitweise in Frage gestellt
worden war, aber Mulder—und Scully auch auf eine gewisse Weise— hatte ihm
geglaubt. Deshalb half er Mulder jetzt. Skinner hob den Kopf von seinen Armen
und griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch, um Mulder über das Treffen
zu informieren, doch dann entschied er sich anders. Solche Neuigkeiten sollte
man besser persönlich bringen, dachte er. Auf die Art konnte Mulder auch nicht
weg laufen. Er musste dieses Treffen mit Scully hinter sich bringen, um mit
seinem neuen Leben anzufangen. Skinner wusste, dass Mulder sich dagegen wehren
würde, und er würde ihn besser überreden können, wenn er Auge in Auge vor ihm
stand. Mulder war das ganze Wochenende nach dem Besuch am Grab seiner Mutter in
einem labilen Zustand gewesen, und Skinner war bedacht gewesen, ihm viel
Freiraum zu lassen. Letzten Abend schien es ihm erheblich besser gegangen zu
sein, er hatte bis spät in die Nacht Fußball mit ihm gesehen, und er hatte noch
geschlafen, als Skinner am nächsten Morgen zur Arbeit gefahren war. Er lehnte sich
in seinem Stuhl zurück und begann zu überlegen, wie er Mulder diese schlechten
Neuigkeiten am besten überbringen könnte.
"Mulder, Sie müssen
ihr irgendwann gegenüber treten."
"Warum?" fragte
Mulder stur. "Nennen Sie mir einen guten Grund warum."
Skinner schüttelte
verärgert den Kopf. "Weil das Problem nicht aus der Welt geschafft ist und
Sie sie nicht für immer meiden können. Weil sie früher oder später ihren Weg
kreuzen werden und Sie können sich genauso gut jetzt mit ihr treffen. Weil
diese Dokumente unterzeichnet werden müssen, und es für alle Beteiligten
einfacher ist, wenn Sie und Dana sich zusammen mit einem Anwalt treffen."
Mulder spitzte die Lippen,
sagte aber nichts weiter. Skinner ging in sein Schlafzimmer, um sich
umzuziehen. Mulder hatte eine Diskussion angefangen, als er ihm sagte, dass der
Anwalt ihm genauso gut die Sachen zum Unterzeichnen zuschicken könnte, aber
Skinner war fest entschlossen, Mulder nicht einfach so aus dieser Sache
herauszulassen. Er wollte mehr als jeder andere dieses Treffen zwischen Mulder
und Scully hinter sich bringen.
Vielleicht konnte Mulder dann die Fragmente seiner
Selbst wieder zusammenbauen.
In dem Augenblick, als
Skinner aus der Tür war, sank Mulder erschöpft auf einen Stuhl, weil seine
Beine ihn nicht mehr halten wollten. Sie nach all dieser Zeit wiedersehen? Wie
würde er reagieren? Wie würde sie reagieren?
Würde sie kühl und distanziert sein, order ihm nett wie einen alten
Freund begrüßen? Mulder wusste nicht, was schlimmer wäre. Seine Erfahrung sagte
ihm, dass ihr eisiges Äußeres ihn scharf kritisieren konnte, aber so zu tun als
ob.... Er schüttelte den Kopf. Sie konnten nicht einfach so tun, als wäre alles
beim alten. Sie konnten die stechenden Worte bei ihrem Abschied nicht leugnen.
Alles, was sie jetzt tun konnten war zu versuchen, die Vergangenheit hinter
sich zu lassen. Scully hatte ihr Leben weiter gelebt, reflektierte er grimmig.
Es war höchste Zeit, dass er es auch tat. Mulder rieb sich sein Gesicht und
verdrängte stur eine Welle der Emotionen. Dann stand er entschlossen auf.
Skinner hatte recht gehabt. Er konnte es nicht weiter auf die lange Bank
schieben.
"Wann ist der
Termin?" fragte er, als Skinner aus dem Schlafzimmer kam, und Skinner
atmete innerlich erleichtert aus.
"Morgen", sagte
er ohne große Worte, seine autoritäre Haltung verriet nicht das kleinste
Anzeichen seiner Sorge. "Zehn Uhr. Nehmen Sie meinen Wagen, ich fahre mit
dem Taxi zur Arbeit."
Mulder zögerte. Er war
seit über vier Jahren nicht mehr Auto gefahren, und jetzt bot ihm Skinner seinen
Wagen ohne mit der Wimper zu zucken an. Ihm wurde ganz mulmig. Was, wenn er
einen Unfall baute? Andererseits würde er nach dem Treffen mit Scully Zugriff
auf eine große Menge Geld haben. Wenn er Skinners Auto zu Schrott fahren würde,
würde er ihm einfach ein neues kaufen, sagte er sich. Veilleicht würde er sich
selbst auch eins kaufen. Vielleicht war es schon höchste Zeit dafür.
Mulder war am nächsten
Morgen früh auf den Beinen und lief in der Wohnung ruhelos umher. Skinner
nervte das ziemlich, brachte ihn aber nicht aus der Ruhe. Skinner frühstückte
und sah zu, wie Mulder mit seinem Frühstück herumspielte, aber nicht einen
Krümel davon nahm. Er würde Mulder sowieso keinen Gefallen damit tun, wenn er
ihn zum Essen überreden und er Scully mit einem vollen Magen treffen würde.
Nicht mit seiner Neigung zu Übelkeit bei viel Stress. Erst als er aufstand, um
zur Arbeit zu fahren, warf er Mulder seinen Autoschlüssel hin mit der
Ermahnung, "Zehn Uhr, Mulder. Seien
Sie pünktlich."
Mulder fing den Schlüssel
mit einem Kloß im Hals und ging auf sein Zimmer, um sich fertig zu machen.
Scully das erste Mal seit Jahren zu sehen würde ihm eine Extraportion an
Zuversicht abverlangen, von dem er in letzter Zeit leider nicht sehr viel
hatte. Er beschloss ein Bad zu nehmen und etwas von seinen neuen Sachen
anzuziehen. Zumindest hingen die nicht so lasch an ihm herunter wie seine alten
Klamotten. Er hoffte, dass sobald dieses Treffen hinter ihm lag, er endlich
seinen Appetit wiederfinden würde. Er konnte es überhaupt nicht leiden so dünn
zu sein und kränklich auszusehen.
Nachdem er sich rasiert
hatte, kämmte er sich und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Seine Rippen
standen zu sehr hervor, aber sie würde es unter einem locker sitzenden Hemd
nicht sehen. Seine Arme und Beine waren ebenfalls dünner als gewöhnlich, und er
nahm sich vor, ein wenig zu trainieren. Wieder mit dem Laufen anzufangen hörte
sich wundervoll an, und durch regelmäßiges Training würde er auch mehr essen
und Muskeln ansammeln. Als sie am Montag Abend Fußball im Fernsehen gesehen
hatten, hatte Skinner vorgeschlagen, einige seiner alten Basketball-Freunde
anzurufen, aber Mulder hatte ihm etwas sarkastisch zu Verstehen gegeben, dass
es sich nicht gerade einladend anhörte, sich mit ein paar Typen zu messen, die
größer, stärker und in besserer Form waren. Skinner hatte kurz gelacht und sich
wieder dem Spiel zugewandt, was Mulder mehr zu schätzen wusste, als Skinner je
geahnt hätte. Er wollte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, er wollte
einfach normal sein. Zumindest so normal wie möglich, gegeben den Umständen.
Skinner hatte ihm
fünfhundert Dollar geliehen, so dass er sich ein paar Kleider und einige andere
persönliche Gegenstände kaufen konnte. Mulder hatte das Geld für einen Moment
verdattert angesehen, bevor er es mit einem wohlbekannten Gefühl von
Dankbarkeit vermischt mit einer kräftigen Dosis Schuldgefühle in seine
Jeanstasche gestopft hatte. Skinner sollte das alles nicht für ihn tun. Er war
so eine Last für ihn. Betreten hatte er sein Dankeschön gemurmelt und Skinner
hatte einfach anerkennend genickt und ihm lediglich gesagt, er könne es wieder
zurückzahlen, wenn er ein reicher Mann wäre. Mulder konnte sich immer noch
nicht richtig mit dem Gedanken abfinden, dass ihm einmal so viel Geld gehören
würde. Für einen Moment überlegte er, einen beträchtlichen Teil davon zu
verschleudern, wie zum Beispiel für einen brandneuen Ferrari, aber er verwarf
diese Idee rasch wieder. Das war einfach nicht seine Art.
Mit einer Einladung zum
Mittagessen hatte er Langly dazu überredet, ihn zu
einem nahe gelegenen Einkaufszentrum zu fahren, damit er sich beim dortigen
Friseur einen vernünftigen Haarschnitt zulegen konnte. Sie waren einige Zeit in
verlegener Stille gefahren, dann hatte Mulder
geseufzt und beschlossen, das Eis mit seinem alten Freund zu brechen.
"Tut mir leid, aber
ich bin keine gute Gesellschaft", fing er an, aber Langly
schüttelte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass seine Entschuldigung völlig unnötig
war. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
"Wir sind nur froh,
dass du zurück bist, Mulder. Sorry, dass wir dich noch nicht besucht hatten,
aber wir wollten dich nicht in Verlegenheit bringen. Wir haben uns gedacht, dass wenn du soweit
bist, du es uns wissen lässt, und ich glaube, damit hatte ich recht."
Mulder lächelte.
"Tja, es gab eben niemand anderen, den ich hätte fragen können mich für
eine Weile mitten in der Woche herumzukutschieren", witzelte er.
"Alle meine anderen Freunde arbeiten um diese Tageszeit."
"Klar, Mulder, du musst
sie dir sicher mit Müh und Not vom Leibe halten, was?" sagte Langly ironisch. Mulder musste lachen, weil es so absurd
war, und schon bald lachte Langly mit. Langly ergriff die Gelegenheit Mulder zu fragen, ob er
nicht 'mit den Jungs rumhängen wollte am Freitag'—sie vermissten seinen Witz
und seine Gesellschaft.
Wieder musste Mulder
grinsen. "Ihr vermisst doch nur das Bier, das ich euch bringe", sagte
er, aber er willigte ein. Für einen Moment überlegte er, ob er Skinner nicht
mit einladen sollte, aber dann dachte er sich, dass Skinner sicherlich froh
sein würde, wenn er ihn für einen Abend mal los würde. Es war wirklich höchste
Zeit, wieder zu leben.
Langly hatte angeboten, mit Mulder rein zu gehen, doch
Mulder dankte ihm und sagte, dass er dieses kleine Abenteuer außerhalb seines
sicheren Heims wohl alleine hinbekommen müsse. Es war ein komisches Gefühl für
Mulder, in der Warteschlange an der Kasse zu stehen. Er fragte sich, ob die
Verkäuferin an der Kasse merken würde, wo er die letzten vier Jahre gewesen
war. Er fühlte sich fehl am Platz, als ob das Wort "Ex-Sträfling" auf
seiner Stirn gestempelt wäre. Er war im Gefängnis dazu gezwungen gewesen, jeden
als eine mögliche Bedrohung zu betrachten, so dass er nun jedem einzelnen
misstrauisch gegenüber war. Er hatte extra eine
Geschäft ausgesucht, das um diese Zeit nicht so voll sein würde. Egal, er würde
jedenfalls froh sein, wenn dieses Unterfangen vorbei war.
Bridgette, das süße junge Ding, das ihm die Haare geschnitten
hatte, hatte sich mit ihm unterhalten wollen, aber er konnte keinerlei
Smalltalk aufbringen. Neckend hatte sie verlangt, wo er sich das Desaster, das
sie da vor sich fand, wohl eingefangen hätte. Mulder hatte lediglich gegrint. "Frank."
"Frank?" fragte
sie mit einer erhobenen Augenbraue.
"Ja. Ein alter Freund
meines Vaters", log er todernst. "Er hat meine Haare geschnitten seit
ich ein kleiner Junge war. Frank wird langsam alt und sein Sehvermögen ist
nicht mehr das, was es einmal war, aber ich kann mich nicht dazu durchringen ihn
einfach so abzuservieren."
"Und
warum sind Sie dann hier?" fragte Bridgette, als
sie flott schnippelte und kämmte und das Durcheinander, das sein Haarschnitt
war, unter ihrer magischen Schere bezwang.
"Ich
kann mich auch nicht dazu durchringen, mit so einem schlimmen Haarschnitt
herumzulaufen."
Sie lachte. Das kichernde
Lachen einer jungen Frau, die noch nicht erfahren hatte, wozu Menschen fähig
waren, und die wegen ihrer Entschlossenheit und Sturheit sicher nie zur
Zielscheibe durchtriebener Leute sein würde. Mulder seufzte innerlich und
genoss den Gedanken daran, dass es noch Unschuld auf der Welt gab, während er
zugleich den Verlust derselben in ihm selbst betrauerte. Es war so lange her,
seit er das letzte Mal wirklich gelacht hatte.
Nachdem er sich mit neuen
Sachen und neuem Haarschnitt endlich wieder wie ein Mensch fühlte, rief Mulder Langly von einem Münztelefon an. Langly
war binnen weniger Minuten da und Mulder hatte den Verdacht, dass er gar nicht
von dem Parkplatz des Einkaufszentrums gefahren war, aber er stellte keine
Fragen. Er wusste, dass er sich glücklich schätzen konnte mit Freunden wie den
Einsamen Schützen und Skinner - Freunde, die sich für ihn ins Zeug gelegt und
Opfer gebracht hatten, und die ihn nie im Stich lassen würden.
Nur schade, dass man das
von ihr nicht behaupten konnte.
Dana sah zum zwanzigsten
Mal an diesem Morgen auf die Uhr. Es war immer noch erst 8.45 Uhr, und sie
hatte noch etwa eine Stunde totzuschlagen, bevor sie Mulder treffen würden. Die
Fahrt zum Büro des Anwalts würde nur etwa zehn Minuten dauern. Jeden Morgen
spülte sie das Frühstücksgeschirr ab und machte die Betten, aber jetzt hatte
sie nichts anderes zu tun als zu sitzen und zu warten. Mitten im Wohnzimmer saß
ihre Stieftochter auf dem Boden und spielte zufrieden mit ihren Puppen. Sie
musste lächeln beim Anblick der kleinen Vierjährigen und dachte über ihr
jetziges Leben nach. Es war nicht toll,
aber Nymphe, wie Dana sie nannte, war der Lichtblick in ihrer Existenz. Als
Dana schließlich die Spannung nicht länger aushalten konnte, fragte sie die
Kleine, "Hast du Lust auf einen Spatziergang im Park?"
Die Augen des kleinen
Mädchens leuchteten auf und Dana hüpfte das Herz. Sie liebte dieses Kind.
Manchmal fragte sie sich, ob Zachary ihr seine Tochter so zeitig in ihrer
Beziehung vorgestellt hatte, um ihre Entscheidung ihn zu heiraten zu
beeinflussen. Ihr Bruder Bill war ebenfalls behilflich gewesen, da Zach ein
alter Freund von ihm war. Er hatte schon seit Jahren versucht, sie und Zach zu
verkuppeln, aber er hatte sich zurückgehalten, weil sie Mulder zum Partner
hatte. Doch seit Mulders Verhaftung hatte Bill nicht eine einzige Gelegenheit
verpasst sie darauf aufmerksam zu machen, dass Zach ein gesunder, zuverlässiger
und unverheirateter Mann war, was andererseits auch ein verdeckter Seitenhieb
an Mulder war. Scully hatte sich während der ersten zwei Jahre standhaft
geweigert, bis sie schließlich einwilligte und mit dem eisernen Entschluss, mit
ihrem Leben weiterzumachen, mit ihm ausging.
Nachdem Mulder sie
abgewiesen hatte, hatte sie sich zuerst gegen den Gedanken gesträubt, mit
anderen Männern auszugehen, weil sie noch zu sehr an ihm hing. Doch als die
Zeit verstrich, und er stur den Kontakt mit ihr verweigerte, hatte Dana
letztlich eingesehen, dass es eine ausweglose Situation war. Es war Mulders
Entscheidung gewesen, und er hatte sie getroffen. Sie musste ebenfalls eine
Entscheidung treffen - entweder herumsitzen, ihre Wunden lecken und auf ihn
warten, oder sich um etwas Zufriedenheit (wenn schon nicht großes Glück) in
ihrem Leben zu bemühen. Als Zachary ihr
nach einem Monat einen Heiratsantrag gemacht hatte, hatte Dana ein paar Tage
darüber nachgedacht. Ein oder zwei Mal war sie sogar drauf und dran gewesen,
Mulder zu besuchen, um mit ihm darüber zu reden - aber sie hatte sich umentschieden, als sie sich an den Schmerz erinnerte, den
sie nach ihrem letzten Besuch durchgestanden hatte. Mulder wollte sie nicht,
rief sie sich stur ins Gedächtnis. Er hatte keinen Blatt vor den Mund genommen,
um es ihr deutlich zu machen. Sie würde nicht noch mehr ihrer Zeit wegen ihm
verschwenden. Sie und Zach hatten eine kleine, aber schöne Hochzeit gehabt, und
Dana hatte nie zurückgeblickt - zumindest nicht in der Öffentlichkeit.
Als sie jetzt mit ihrer
Tochter auf dem Rücksitz in Richtung Park fuhr, versuchte sie sich abermals
davon zu überzeugen, dass sie keine Gefühle mehr für Mulder hatte.
Mulder musste zugeben,
dass es ihm gut tat, wieder hinter dem Steuer eines Autos zu sitzen. Nach
einigen Minuten gewöhnte er sich langsam wieder daran und schon bald fuhr er
bequem und ohne Probleme, wenn auch etwas vorsichtiger als gewöhnlich, in die entgegengesetzte Richtung der Adresse, die Skinner ihm
gegeben hatte. Für kurze Zeit zog Mulder in Erwägung abzuhauen und einfach
nicht zu hinzugehen, doch dann gestand er sich reuevoll ein, dass Skinners
Wagen zu stehlen ihm nicht gerade gute Karten bei seinem Gastgeber bescheren
würde—und wenn man ihn schließlich fände, würde Skinner ihn wahrscheinlich für
so eine Aktion eigenhändig umlegen. Er hatte deutlich gemacht, dass er
keinerlei Entschuldigungen für ein Nichterscheinen akzeptieren würde. So
versuchte Mulder damit zurechtzukommen, dass er ihr heute gegenübertreten
musste. Ohne Wenn und Aber. In seiner Verzweiflung redete er sich ein, dass die
ganze Geschichte wohl nicht länger als eine halbe Stunde dauern würde. Dreißig
kurze Minuten. Gerade mal lang genug, um eine alte Wiederholung von Night
Gallery im Fernsehen zu gucken. Mit dem Unterschied, dass es hier keine
Werbeunterbrechung geben würde - und keine Gnadenfrist. Er hatte bereits
beschlossen, dass ein kräftiger Drink nach diesem Treffen genau das Richtige
sein würde.
Er blickte auf die Uhr und
stellte fest, dass er noch über eine Stunde hatte, bis er im Anwaltsbüro sein
musste. Eine rasche Entscheidung getroffen, schwang er den Wagen auf den Freeway. Mit ziemlich dem gleichen Gefühl, das er hatte,
als er seine alten Tagebucheintragungen auf seinem Computer gelesen hatte,
näherte er sich seiner alten Wohngegend. Und er stellte sich dieselbe Frage -
wollte er sich das wirklich antun? Doch mit jeder Minute, die er näher zu
seiner früheren Wohnung kam, wurde die Antwort für ihn klarer. Ja, er würde
sich das antun, und er würde es mit ziemlicher Sicherheit später bereuen.
Doch man musste Auf
Wiedersehen sagen können, und Mulder wollte es hinter sich bringen. Er wollte
alle Geister austreiben, die ihn in seinen Träumen verfolgten, und ihn mit den
Erinnerungen an das, was er verloren hatte, verspotteten. Stelle dich deinen
Ängsten, sagte er sich entschlossen.
Stelle dich und lasse sie hinter dir. Alles schön und gut, behauptete
sein Ich, doch je näher er zum Hegal Place gelangte,
desto stechender wurde der Schmerz in seiner Magengegend, bis er fürchtete, er
müsse anhalten und sich übergeben. Als er endlich vor seinem alten Wohngebäude
parkte, zitterten seine Hände stark und er fühlte sich schwindelig. Er lehnte
sich zurück an die Kopfstütze und kniff die Augen fest zusammen, um für etwas
Mut zu sammeln, wovon er bereits wusste, dass es keine gute Idee war.
Schließlich, nach einer
intensiven innerlichen Auseinandersetzung, in der sein Verstand seinen Gefühlen
einhämmerte, dass dieser Schritt für eine Heilung nötig war, stieg Mulder
entschlossen aus dem Wagen aus und ließ nicht zu, dass seine Feigheit ihn von
seinem Vorhaben abbrachte. Er war jetzt hier. Es würde nicht einfach werden,
aber er musste sehen, wie...
Mulder klopfte an die Tür
des Vermieters und blickte sich in dem bekannten Korridor um. Er sah genauso
aus wie der oben. Plötzlich überkam ihn eine Vision ohne Vorwarnung - er konnte die Szene fast wie einen Film vor
sich sehen, der sich in einer transparenten Realität, wie ein Hologramm, vor
ihm abspielte. Scully... er... der Korridor vor seinem Apartment... Er ballte
die Fäuste und ließ sich von dem Schmerz wieder zurück in die Wirklichkeit
treiben. Einen Moment später löste er die Fäuste und bemerkte, dass so stark
gedrückt hatte, dass er an einer oder zwei Stellen blutete. Er wischte seine
Hände an seiner Jeans ab, als die Tür sich öffnete und er starrte in das
Gesicht seines früheren Vermieters.
"Mr. Mulder?"
fragte der Mann sichtlich erstaunt.
Mulders Augen trafen nur
kurz auf seine, dann senkte er seinen Blick zu Boden. Natürlich wusste Mr.
Perrino wo er die letzten Jahre gewesen war.
Jeder wusste es. Mit einem gemurmelten "Es tut mir Leid",
drehte er sich um und wollte gehen, als die Stimme der
alten Mannes ihn aufhielt.
"Schön Sie zu
sehen", sagte er aufrichtig. "Ich habe in der Zeitung über ihre
Verfahren gelesen. Wie geht es Ihnen?"
Mulder drehte sich langsam
zu ihm zurück, Ungläubigkeit auf seinem Gesicht. Mr. Perrino war froh ihn zu sehen? Warum? Er
war nicht gerade ein Mustermieter gewesen - Schießereien, unbefugte
Überwachungen und der Vorfall mit dem Wasserbett, das er gar nicht haben
durfte. Mulder war überzeugt gewesen, dass sein Vermieter froh war, ihn los zu
sein.
"Ich habe sowieso nie
daran geglaubt, dass sie schuldig waren bei diesen an den Haaren
herbeigezogenen Anschuldigungen", fuhr Mr. Perrino lebhaft fort und
ignorierte Mulders sichtliche Zweifel. "Sie waren immer ein Mieter, der
allen auf den Geist gegangen ist, aber Sie waren trotzdem immer ein netter
junger Mann. Sie hätten nie das tun können, was die behauptet haben."
Immer noch auf den Boden
starrend nickte Mulder unmerklich und murmelte ein geflüstertes "Danke
sehr. Ich weiß das sehr zu schätzen. Jeglicher Ärger, den ich damals verursacht
habe, tut mir sehr leid."
"Oh, machen Sie sich
deswegen keine Sorgen", sagte der alte Mann frohgestimmt.
"Das ist doch alles schon ewig her. Brauchen Sie eine Wohnung? Wie das
Schicksal so will, ist Ihr altes Apartment gerade leer. Allerdings muss ich Sie darauf aufmerksam
machen", sagte er mit erhobenem Zeigefinger, "keine
Wasserbetten."
Bei seinen Worten stockte
Mulder der Atem. Konnte er das tun? Sollte er das tun? Doch die Entscheidung
nahm ihm Mr. Perrino selbst ab, der bereits den Schlüssel vom Schlüsselbrett
neben seinem Schreibtisch gegriffen hatte und Mulder sanft aus seiner Tür
schob.
"Lassen Sie uns einfach
hoch gehen und Sie können es sich ansehen, in Ordnung? Ich weiß, dass der
letzte Mieter die Wände gestrichen hat, vielleicht mögen Sie die Farbe nicht,
aber wir können es ja jederzeit ändern, nicht wahr?"
Mit einem Gefühl der
Resignation, wie ein Mann auf dem Weg in den Todestrakt, folgte er Mr. Perrino
gehorsam in den Aufzug bis in den vierten Stock, seine alte Etage. Als er hier
gewohnt hatte, hatte er meistens die Treppen genommen, weil er üblicherweise
viel zu sehr in Eile war, und keinen Nerv auf den langsamen alten Lift hatte.
Aber Mr. Perrino war Mitte achtzig und Mulder nahm an, dass Treppensteigen wohl
zu viel für ihn sein würde. Seine Vorahnung verstärkte sich, als sie sich der
Tür näherten, hinter der er so viele Jahre gelebt hatte. Während Mr. Perrino
mit dem Schlüssel beschäftigt war, streckte Mulder vorsichtig eine Hand aus und
berührte leicht die "2" an der Tür. Sie glänzte viel mehr als die
"4", offensichtlich war sie vor nicht allzu langer Zeit erneuert
worden. Er grinste ein wenig, als er sich daran erinnerte, wie viele Nerven ihn
diese "2" gekostet hatte.
"Ich muss Ihnen
allerdings sagen, dass die Mieten etwas gestiegen sind in der Zeit, in der Sie
fort waren, aber ich..." Mr. Perrino hielt inne und sah Mulder etwas
verlegen von der Seite an. "Haben Sie bereits einen Job gefunden, Mr.
Mulder?"
Mulder schüttelte leicht
den Kopf, seine Augen klebten an der Stelle, wo seine Couch so lange gestanden
hatte. "Ich wohne bei einem Freund", sagte er gedankenverloren und
ging weiter in das Zimmer hinein. Er war erleichtert, dass er nicht unter einer
solchen Spannung stand, wie er erwartet hatte, sein Körper schützte sich selbst
vor dem Leiden, das er auch beim Grab seiner Mutter empfunden hatte. Er ahnte,
dass seine Nerven ihn zu einem späteren Zeitpunkt nicht vor einem emotionalen
Zusammenbruch bewahren würden, aber das wichtigste war, dass es nicht hier
passierte. Nicht jetzt. Nicht vor dem
Mann, der ein Symbol seines vorherigen Lebens war. Sein Gesicht hellte sich
wieder auf, denn er erinnerte sich mit einer gewissen Freude an seine Fische,
und er fragte sich, was wohl aus ihnen geworden war. Er würde Skinner heute
Abend fragen. Er wusste, dass Skinner sich ihrer angenommen hatte, aber er
hatte in der Wohnung kein Aquarium gesehen.
Er ließ sich von Mr.
Perrino durch das ganze Apartment schieben und beachtete das Gerede des Mannes
nicht besonders, als Welle um Welle an Erinnerungen über ihn hinwegrollten. Er
bemerkte, dass der Teppich im Schlafzimmer erneuert worden war, und ihm fiel
der Ozean wieder ein, in den er eines Morgens getreten war—wieder und wieder,
obwohl ihm das niemand geglaubt hatte—als sein Wasserbett ein Loch hatte. In
der Küche schloss er seine Augen und sah sich selbst eine Pizza in den Ofen
schieben, während Scully im Wohnzimmer mit Akten, Computer und Notizen
beschäftigt und darauf wartete. Dann hatten sie sich zusammen gesessen mit der
Pizza und Unterlagen und bereiteten einen Bericht für Skinner vor.
Das war nicht lange nach
ihrer Rückkehr von ihrer Entführung gewesen, und er war noch immer erfreut und
aufgewühlt wegen ihrer Rückkehr gewesen.
Mulder ging zurück ins Wohnzimmer und starrte an die Decke. Er war
definitiv auf der sicheren Seite, wenn er behauptete, dass seine Nachmieter nie
überwacht worden waren und niemand jede ihrer Bewegungen beobachtet hatte.
Seine Augen schweiften über
die nackte Wand, an der seine Ledercouch gestanden hatte, und Mulder fuhr es
kalt den Rücken herunter. Für eine Sekunde konnte er fast Scullys Hand über
seine Haare gleiten fühlen, als er erschöpft und müde dort gelegen hatte. Was
hatten sie an diesem Tag gemacht? Scully hatte von seinem Telefon aus
angerufen, daran konnte er sich erinnern. Sie hatte nicht laut gesprochen, um
ihn nicht zu stören, als er mit geschlossenen Augen und gekreuzten Armen da lag
und einfach ihre Anwesenheit genoss. Es war ein schlimmer Tag gewesen, das
wusste er auch noch. Sie waren wieder einmal drauf und dran, alles zu
verlieren. Doch wie ausweglos die Situation sein mochte, das bloße Streicheln
ihrer Hand über seine Stirn hatte sehr geholfen.
Abermals schüttelte er den
Kopf und zwang sich wieder in die Wirklichkeit zurück.
"Möchten Sie es
haben? " fragte Mr. Perrino und sah ihn erwartungsvoll an, und für eine
kurze Sekunde hatte Mulder bereits das Wort "ja" auf der Zunge.
Doch zum Glück siegte sein
Verstand und er schüttelte wieder den Kopf - dieses Mal langsamer. "Es tut
mir Leid, Mr. Perrino, aber ich weiß nicht, ob es eine so gute Idee ist, jetzt
wieder hier einzuziehen. Hier gibt es so viele Erinnerungen..."
"Natürlich, ich
verstehe." Mr. Perrino war nicht sauer und ohne ein weiteres Wort drehte
sich Mulder um und verließ die Wohnung.
Er kam nicht weit, bevor
die Wucht der Erinnerung ihn erfasste und er sich nach Luft schnappend an die
Wand lehnen musste. Genau hier. Es war genau die Stelle, und Herr im Himmel, er
konnte immer noch ihre Hände an seinem Nacken spüren, wie sie ihn festgehalten
hatte, ihre weichen Lippen an seiner Stirn, konnte immer noch die Akzeptanz und
Liebe in ihren mit Tränen angefüllten Augen leuchten sehen, als er sich näher
heran beugte, und näher und näher, und fast ihren Mund berühren konnte, ...
"Mr. Mulder! Wir
brauchen einen Krankenwagen!" hörte er Mr. Perrino aus weiter Ferne rufen.
Mulder hielt sich seinen
linken Arm und kämpfte gegen den stechenden Schmerz an, der durch seine Brust
schoss und glitt langsam zu Boden. Er zwang sich zu ruhigen Atemzügen, stetig
und gleichmäßig. "Nein", keuchte er, aber sein ehemaliger Vermieter
ignorierte ihn und hämmerte bereits an die Tür des Nachbarn.
"Nein!" brachte
er hervor, dieses Mal etwas lauter. Der Schmerz fing bereits an nachzulassen.
"Mr. Perrino, es geht mir gut."
"Es geht Ihnen nicht
gut, sie haben einen Herzinfarkt!" Mr. Perrino ließ nicht locker. Er
bearbeitete die Tür neben Mulder.
"Nein", sagte er
schwach, und sammelte dann seine Kräfte. Der hämmernde Schmerz in seinem ganzen
Körper war jetzt fast ganz weg. "Es ist kein Herzinfarkt, es ist eine
Panik-Attacke." Er versuchte zu grinsen, um ihn zu überzeugen, doch sein
Grinsen verzog sich augenblicklich zu einer schmerzverzerrten Grimasse, als ein
letzter Stich seinen Körper durchschoss. "Das passiert mir manchmal. Es
geht vorbei. Wirklich."
"Sind Sie
sicher?" fragte Mr. Perrino zweifelnd. Er wollte immer noch den Notarzt
rufen, aber mit einem schnellen Blick auf seine Uhr, bestätigte Mulder seinen
Verdacht. Er würde zu spät zu dem Treffen kommen, wenn er nicht sofort fahren
würde. Er wollte Skinner heute Abend nicht gegenübertreten, wenn er es
versäumen würde.
Höflich lehnte er die
Bemühungen des alten Mannes ab und stand auf, wobei er sich immer noch an der
Wand anlehnte. Er brachte ein Lächeln für Mr. Perrino fertig und ging
bedachtsam den Korridor hinunter. Jetzt war er für den Aufzug dankbar. Mr.
Perrino sah, dass er nichts weiter tun konnte und folgte ihm, eine Hand
ausgestreckt, sollte Mulder sein Gleichgewicht verlieren, aber Mulder gewann
mit jedem Schritt mehr Trittsicherheit. Als sie im Erdgeschoss ankamen, fühlte
sich Mulder wieder soweit normal, dass er Gott sei Dank Mr. Perrino davon
überzeugen konnte, dass er imstande war, Auto zu fahren. Der Mann sah ihm nach,
als er davon fuhr, und winkte ihm, und Mulder fühlte eine Welle unerwarteten
Wohlgefühls. Es gab jemanden außerhalb seines kleinen Freundeskreises, der froh
war ihn wieder als freien Mann zu sehen. Mr. Perrino war wirklich freudig
überrascht über seinen Besuch gewesen, und Mulder konnte erleichtert ein
schwieriges Unternehmen von seiner Liste der zu erledigenden Dinge streichen.
Er fragte sich, ob er es je fertig bringen würde, in Scullys frühere Wohngegend
zu fahren.
Um nicht von der drohenden
Traurigkeit übermannt zu werden, die er bereits in sich aufbauen fühlte,
schaltete Mulder das Radio an und entschied, dass bei Scullys Wohnung
vorbeizufahren eine ausgesprochen bescheuerte Idee sei. Die Panik-Attacke saß ihm immer noch in den
Knochen und er musste auch noch zu diesem Treffen.
Er hatte keine Probleme,
das Anwaltsbüro zu finden und stellte Skinners Wagen auf dem Parkplatz neben
der Straße ab. Er stieg aus und nahm einen tiefen Atemzug der kühlen Morgenluft
- und wieder überkam ihn das Gefühl, frei zu sein. Es war erstaunlich, was man
alles vergessen kann. Zum Beispiel, nicht mehr jede Sekunde wachsam über seine
eigene Schulter sehen zu müssen, und einfach aus dem Bauch heraus zu
entscheiden wo man gerade hingehen möchte. Mulder hatte sogar kein Handy mehr,
das ihn nervte, und er empfand dieses Gefühl der Privatsphäre und Freiheit als
äußerst wohltuend.
Sie hielt den Atem an und
vergaß für einen Moment, die Schaukel zu schwingen, bis ein Quietschen des
kleinen Mädchens sie wieder in die Wirklichkeit holte.
Mulder war hier.
Er stand neben seinem Auto
und blickte die Straße herunter. Sie hatte ihn gut im Blick. Gedankenverloren
schob sie die Schaukel weiter an und sog seinen Anblick hungrig in sich auf. Er
hatte abgenommen, was ihn sogar noch größer aussehen ließ. Seine Haare waren
kürzer als gewöhnlich, doch es unterstrich sein Profil sehr gut. Er trug
schwarze Kleidung, und sie fragte sich, ob das Absicht
war. Sie konnte sich daran erinnern, ihm einmal ein Kompliment ausgesprochen zu
haben -- das war mindestens hundert Jahre her -- wie gut er in Schwarz aussehen
würde. Seine Jeans saß eng an seinen Beinen, doch nicht zu eng, und sein Hemd
hing locker an ihm herunter, nicht im Hosenbund wie üblich. Als sie ihn so
beobachtete, nahm er seine Sonnenbrille ab und warf sie in den Wagen, bevor er
die Tür zuknallte. Er drehte sich um, um auf den Eingang des Gebäudes
zuzugehen, und sie ertappte sich dabei, wie sie nach ihm rief.
"Mulder!"
Er erstarrte. Nach einer
Sekunde drehte er sich um und suchte, woher der Ruf gekommen war, und sah wie
Scully ihm von der anderen Straßenseite zuwinkte. Er schluckte und weigerte
sich zuzulassen, dass sein Herz heute zusammenbrach. Er ignorierte sie und betrat
das Gebäude.
Scully starrte ihm
schockiert nach. Sie wusste nicht, welche Reaktion sie von Mulder zu erwarten
hatte, aber sie hatte sicherlich nicht gedacht, dass er sie überhaupt nicht
beachten würde.
"Mami, wer ist
das?" fragte das Mädchen auf der Schaukel.
"Es ist nur ein
Freund, Nymphe. Ein alter Freund", antwortete Scully wie in Trance, ihr
Blick immer noch auf die Tür gerichtet, in der Mulder verschwunden war. Sie schüttelte den Gedanken an ihn ab, lächelte
das kleine Mädchen an und streckte eine Hand nach ihm aus. "Wir müssen
jetzt zu Mamis langweiliger Verabredung gehen, aber ich verspreche, dass wir
danach zum Mittagessen zu McDonald's gehen, okay?"
Die Kleine nickte
glücklich, sprang eifrig auf die Beine und nahm Scullys Hand.
Nachdem sie achtsam die
Straße überquert hatten (und Nymphe sie ernst daran erinnerte, dass sie nach
beiden Straßenseiten gucken mussten), öffnete Scully die Glastür und führte
ihre Tochter hinein. Die Sekretärin am Empfang begrüßte sie mit einem Lächeln.
"Mrs. Morrow?"
fragte sie und nach fast unmerklichem Zögern nickte Scully. Morrow. Sie hatte sich noch nicht dazu
durchgerungen ihren Namen ändern zu lassen, und bevorzugte es, 'Dr. Scully'
genannt zu werden. Nur wenige sprachen sie mit 'Mrs. Morrow' an, so dass sie
sich noch nicht an diesen Namen gewöhnt hatte.
"Einfach durch diese
Tür, bitte." Die Sekretärin deutete ihr den Weg. "Mr. Mulder ist
bereits eingetroffen."
Scullys Herz hüpfte in
ihren Hals, als die Frau seinen Namen sagte. Sie schob das Mädchen vor sich in
das Büro und half ihr auf einen der Stühle in dem Konferenzzimmer. Aus ihrer
Handtasche holte sie ein Malbuch und eine kleine Schachtel mit
Wachsmal-Stiften, an die sie in letzter Minute noch gedacht hatte, bevor sie losgefahren
war. Während der ganzen Zeit beschäftigte sie sich nebenbei mit ihrer Tochter,
um Mulder nicht ansehen zu müssen. Aber sie spürte seine Anwesenheit, die über
den Tisch hinweg nach ihr strebte, und für einen Moment konnte sie schwören,
dass sie das Aftershave roch, das er immer getragen hatte.
Jetzt, wo Nymphe mit ihrem
Buch beschäftigt war, hatte sie keine Ausrede mehr wegzuschauen und
letztendlich ruhten ihre Augen auf Mulder, der nun versuchte wegzusehen. Keiner
von beiden hatte mit der Frühreife des Kindes gerechnet.
"Sind Sie ein Freund
von Mami?" fragte sie und blickte Mulder nachdenklich mit großen Augen
unter ihren dunklen Zöpfen an.
Als Mulder nicht
antwortete, half Scully aus. "Er ist ein sehr alter Freund von Mami,
Emmie. Sein Name ist Mulder."
Sie sah ihn für einen
Moment an und wandte sich dann wieder an Scully. "Er sieht aber nicht so
alt wie Opa aus."
Der Anwalt kam gerade
rechtzeitig zur Tür herein, um diesen Kommentar mitzubekommen, und sein Lachen
brach etwas von der Spannung im Raum. Mulder lachte nicht wirklich, aber der
Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen. Endlich sah er Scully an, aber er
mied trotzdem noch ihren Blick.
"Emily?" fragte
er mit seltsam erschrockener Stimme.
"Emmaline, Emmie ist
die Kurzform", korrigierte sie ihn ruhig, und sah ihm dabei ebenfalls
nicht in die Augen. Scully würde es nie zugeben, nicht einmal vor sich selbst,
aber die Ähnlichkeit der Namen von Zacharys Tochter und ihrer eigenen waren ein
weiterer Grund für ihre Entscheidung gewesen ihn zu heiraten. Doch sie war
wahrlich nicht so oberflächlich. Es war ihr wohl bewusst, dass es einen
Unterschied zwischen den beiden Mädchen gab.
Emily war blond gewesen und hatte ein rundliches Gesicht. Emmie hingegen
besaß das dunkle Haar und die Augen ihrer Mutter, und ein fein gezogenes
Gesicht. Emmie würde einmal eine richtige Schönheit werden, dachte Scully. Es würde nicht viele Jahre dauern und die
Jungs würden sich um sie reißen.
Als die lange Pause in
betretene Verlegenheit auszuarten drohte, räusperte sich der Anwalt. Er wusste
nicht recht das Karma zwischen diesen beiden Menschen zu deuten, aber es war
fast greifbar. "Lassen Sie uns zur Sache kommen, in Ordnung?"
forderte er auf und Mulder und Scully wandten ihm dankbar ihre Aufmerksamkeit
zu.
"Hier ist ihre Kopie
aller Unterlagen, Mrs. Morrow", sagte er und reichte ihr eine Mappe.
Mulder zuckte unmerklich bei dem Namen.
Als sich Scully über den
Tisch lehnte, um die Unterlagen anzunehmen, bemerkte Mulder einen dunklen Fleck
auf ihrem Oberarm. Instinktiv streckte er seine Hand danach aus, doch er konnte
sie im letzten Moment zurückziehen. Er wollte sie nicht berühren. Wenn er ihre
Haut unter seinen Fingerspitzen spürte, würde er diese Nacht wohl kein Auge zu
machen.
Scully entging sein
fragender Blick nicht und versicherte, "Es ist nichts schlimmes. Ich bin
gestern gegen ein Regal gerannt. Ich hab nicht hingesehen und bin ziemlich hart
dagegen gestoßen. Ich habe mich auch am Kopf gestoßen, aber ich bin okay."
Er riskierte einen kurzen
Blick in ihr Gesicht und wäre fast erstarrt, als sie ihn anlächelte. Er sah die
Falten unter ihren Augen und erkannte mit einer gewissen Traurigkeit, dass sie
zu seinen passten. Sie waren beide älter geworden in den letzten vier Jahren.
"Also, sie ist jetzt
bei ihm, was?" fragte Bill Scully und schob Zach ein weiteres Bier zu.
Sein Freund war ziemlich fertig gewesen wegen der Tatsache, dass seine Frau
heute Morgen Mulder sah, so dass Bill aus Norfolk hergefahren war, wo er dieser
Tage stationiert war, um den Tag mit ihm zu verbringen. Es war eine lange Fahrt
gewesen, aber Bill und sein Schwager waren schon seit Schulzeiten gute Freunde.
Die Kilometer auf seinem Tacho und das Spritgeld machten Bill nichts aus, wenn
es bedeutete, dass er bei Zach sein konnte, wenn es ihm schlecht ging.
Zach war wirklich fertig
heute, und es störte Bill ein wenig, dass er nicht den genauen Grund wusste.
War es, weil Dana bei Mulder war, oder war es die Tatsache,
dass Mulders Entlassung aus dem Gefängnis jegliche Chance für Dana zunichte
machte, das Geld zu erben? Zach hatte sich schon über eine Stunde über
beide Themen ausgelassen.
"Als Dana mir sagte,
dass der Wille der alten Dame..." er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. "Ich hätte nie geglaubt, dass dieses Arschloch je aus
dem Knast kommt."
"Er hätte nie
entlassen werden dürfen", meinte Bill dazu und starrte in sein Bierglas.
Sie hatten jeder sein Drittes und sie hatten keineswegs vor, bald mit dem
Trinken aufzuhören. Jedes Mal, wenn Bill an Mulder dachte und daran, wie sehr
seine Familie wegen ihm hatte leiden müssen, nahm er einen weiteren Schluck.
Bis jetzt hatte er es geschafft, Mulder für jedes Unglück, dass der
Scully-Familie in den letzten zehn Jahren widerfahren war, die Schuld zu geben.
Je mehr er trank, desto kreativer wurde er. Nur mit Mühe konnte er seine
Aufmerksamkeit auf seinen Freund wenden.
"Weißt du, was das
Schlimmste daran ist?" fragte Zach stocksauer. "Als wir geheiratet
haben, wollte sie ihm helfen raus zu kommen! Sie hat sich gegen sich selbst
gestellt. Gegen *mich* gestellt! Du kannst deinen Arsch darauf wetten, dass ich
dem ein Ende gesetzt habe", sagte er zufrieden zu seinem Freund.
"Wie hast du das
gemacht?" fragte Bill, während er wieder einen Schluck nahm.
"Ich habe meine
Möglichkeiten, sie im Zaum zu halten", sagte Zach geheimnisvoll und
unterstrich es mit einem hämischen Grinsen. "Dana macht normalerweise
immer das, was ich ihr sage."
"Wird auch Zeit, dass
sie einen echten Mann gefunden hat, der ihr zeigt wo es lang geht",
nuschelte Bill.
"Oh, und ich bin genau
dieser Mann, mein Freund, ich bin genau so einer." Zach nahm einen langen
Schluck von seinem Bier, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und
rülpste. "Dieser Schweinehund hätte in dem Loch verrecken sollen",
tönte er.
"Ja, das hätte
er", stimmte Bill zu und fragte sich, warum Mulder immer auf seinen Füßen
zu landen schien.
Zach lehnte sich
konspirativ zu Bill und flüsterte, "Ich hab versucht, das zu arrangieren,
aber leider läuft nicht immer alles wie man will."
Bill starrte seinen Kumpel
nur an, er stelle lieber keine Fragen. Er wusste, dass Mulder während seiner
Inhaftierung einiges an Prügel hatte einstecken müssen, einmal sogar so
schlimm, dass er einige Wochen im Krankenhaus verbringen musste. Seine
Schwester hatte diese Information von Skinner bekommen und an ihn
weitergegeben. Er hatte angenommen, dass das eben das Leben im Gefängnis mit
sich brachte, aber jetzt... Zach redete, als ob er damit etwas zu tun gehabt
hatte. Aber das war absurd. Zach war ein netter, normaler Kerl mit Frau und Kind
und einem Job. Er war nicht jemand, der verwickelt sein könnte in... oder doch?
Mit einem weiteren ordentlichen Schluck Bier beschloss Bill, es gar nicht
wissen zu wollen. Sicherlich war es nur
der Alkohol, der hier sprach. Zach wurde immer zu einem unglaublichen
Prahlhans, wenn er trank.
"Jetzt ist es also
weg. Die ganze Kohle, einfach weg", trauerte Zach der Erbschaft nach.
"Hm, vielleicht auch
nicht", meinte Bill nach einem Moment benebelter Erkenntnis. "Du hast
vielleicht immer noch eine Chance da ranzukommen, aber dann wirst du
wahrscheinlich ein sehr alter Mann sein—"
"Was redest du
da?" wollte Zach wissen. Er wirkte plötzlich viel nüchterner als ein paar
Sekunden zuvor.
Bill zuckte die Schultern.
"Ich weiß, dass bevor Mulder eingelocht wurde, er Dana zu seiner Erbin
gemacht hat, für den Fall, dass seine Mutter ins Gras beißt solange er noch
hinter schwedischen Gardinen ist", erklärte er. "Natürlich war sein Vermögen damals noch
lange nicht so groß wie jetzt, wahrscheinlich weniger als zehntausend Dollar."
Er lehnte sich näher, als ob er ihm eine wichtige und äußerst geheime Tatsache
eröffnen wollte. "Denn jetzt ist es eine ganze Menge mehr."
Zachary starrte Bill lange
an. Lange genug, dass es Bill unbehaglich wurde. Dann stand er auf einmal auf. Er holte Geld
aus seiner Tasche und warf Bill einige Scheine hin. "Ich muss gehen",
sagte er und klopfte ihm auf die Schulter. "Danke, dass du hergekommen
bist und mir moralische Unterstützung gegeben hast, alter Freund."
"Wo gehst du
hin?" rief Bill, aber Zach war bereits aus der Tür.
Es war vorbei. Die Papiere
waren unterzeichnet, signiert und besiegelt und Mulder war ein reicher Mann.
Zumindest für seine Verhältnisse. Das Wissen, dass er jetzt all das Geld zu
seiner Verfügung hatte, war ein seltsames Gefühl für ihn, und irgendwie war es
auch beängstigend. Nichtsdestotrotz hatte er bereits entschieden, dass die
erste Anschaffung ein Auto sein würde. Dann würde er sich vielleicht nach einem
Haus umsehen. Skinner hatte sich sehr gut um ihn gekümmert, ihn wie einen
Freund behandelt anstatt wie einen Psychopaten oder Außenseiter. Doch früher
oder später würde seine Anwesenheit zur Last werden.
Mulder verließ das Büro
rasch, während Scully Emmie half, ihre Sachen zusammenzupacken. Er hoffte, dass
er einen Abgang machen könnte, ohne mit ihr reden zu müssen. Dann plante er,
sich irgendwo in eine nahegelegene Bar zu verziehen und den Nachmittag damit zu
verbringen, sich gehörig einen hinter die Binde zu kippen. Das Gefühl in ihrer
Nähe zu sein war unerträglich gewesen, viel schlimmer als er es sich je
vorgestellt hatte. Er war fix und alle von den Anstrengungen, seine Emotionen
unter Kontrolle zu halten. Er hatte während des ganzen Alptraums keine Mine
verzogen, und als es vorüber war, hatte er schnellstens seine Sachen gepackt
und war regelrecht zur Tür heraus gerannt.
Scully beobachtete ihn mit
einem Ausdruck ärgerlichen Unglaubens auf ihrem hübschen Gesicht. Sobald das
Meeting begonnen hatte, hatte Mulder seine Business-Fassade übergezogen, sich
völlig darauf konzentriert und sie ignoriert. Sie hatte keine Möglichkeit
gehabt, privat mit ihm zu sprechen, und als er in der Tür verschwand wusste
sie, dass wenn sie ihn jetzt gehen lassen würde, sie nie wieder eine Chance
dazu haben würde. Sie hatte nicht vor, all die Jahre ihrer Freundschaft
wegzuwerfen, nur weil Zach und Emmie jetzt im Spiel waren. Scully warf die
Wachsmal-Stifte ungeordnet in die Tasche und hob Emmie hoch, obwohl sie langsam
zu schwer wurde, um getragen zu werden, und eilte ihm nach.
Mulder war schon bei
Skinners Wagen angekommen, öffnete die Tür und stieg erleichtert ein. Ohne
hinzusehen tastete er nach der Sonnenbrille, die er vorher aufs Armaturenbrett
geschmissen hatte—es ist wohl besser, seine leicht feuchten Augen vor
neugierigen Blicken zu verbergen. Gott, sie war immer noch so schön. Der
Meinung war er trotz allem. Sie war dünner als er sich erinnern konnte, aber
nicht so schrecklich knochig wie damals, als sie mit ihrem Krebs zu kämpfen
hatte. Ihr Gesicht hatte etwas gealtert ausgesehen, doch als sie gelächelt
hatte... Mulder zog die Luft ein, um den plötzlichen Schmerz in seiner Brust zu
vertreiben. Als sie Emmie angesehen hatte, hatte er die alte Zufriedenheit an
ihr gesehen und es brach ihm fast das Herz, dass nicht er der Grund dafür war. Es
war sogar einem Außenstehenden klar, dass Scully dieses Kind liebte.
Offensichtlich liebte sich auch den Vater des Kindes, fiel ihm zu diesem Thema
ebenfalls ein. Sie hatte ihn geheiratet.
Er griff nach hinten, um
die Autotür zu schließen und sein Magen drehte sich um. Sie stand da. Sie war
ohne einen Mucks bis zum Auto gekommen.
"Mulder", begann
sie, und er umgriff eisern das Lenkrad.
"Verschwinde,
Scully", murmelte er.
"Nicht bevor wir
miteinander gesprochen haben." Sie
blieb standhaft. "Du kannst nicht einfach so vor mir weg laufen."
"Warum nicht?"
rief er aufbrausend, unfähig sich im Zaum zu halten. "Hast du das nicht
auch gemacht?"
Sie starrte ihn mit roten
Wangen an. "Du hast nicht mich nicht gewollt!" erinnerte sie ihn
wütend. "Du hast darauf bestanden, dass ich gehe, und als ich versucht
habe, dich zu besuchen, wolltest du mich nicht sehen! Meine Briefe kamen
zurück... du hast mich total aus deinem Leben gestrichen." Sie atmete
schwer vor Entrüstung, doch er ignorierte es.
"Oh, komm schon,
Scully, du kanntest die Situation. Du kanntest *mich*. Du musst doch gewusst
haben, dass das nicht das ist, was ich wirklich wollte." Er sah hinter
seiner Brille zu ihr auf und sie verspürte auf einmal den Wunsch, sie ihm von
der Nase zu reißen und ihn zu zwingen, sie anzusehen.
"Das habe ich sehr
wohl gewusst, Mulder, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass du mich
absolut nicht an dich heran gelassen hast."
Er drehte sich ein wenig
weg, ertappt. Er wusste, dass es stimmte, was sie sagte, er hatte sie ausgeschlossen,
aber verdammt noch mal, sein Ego bestand darauf, er hätte auf sie gewartet,
wäre er an ihrer Stelle gewesen! Als er
seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte, sagte er ruhig, "Es war falsch,
Scully. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du dein Leben damit vergeudest,
auf mich zu warten."
'Habe ich ja auch nicht!'
wollte sie keifen, aber sie tat es nicht, als sie merkte, dass sie mit den
Tränen kämpfte. Es berührte sie plötzlich, dass Mulder sie immer noch liebte.
Sie hatte es bis jetzt nicht wirklich geglaubt. Dieses Treffen musste eine
wahre Tortur für ihn gewesen sein.
Scully ließ Emmie auf den
Boden herab, behielt aber immer noch einen festen Griff an ihrer Hand, und
lehnte sich an den Wagen. Ihre Züge waren sanft, als sie ihm den Rücken zuwandte.
"Aber ich wollte auf dich warten, Mulder", sagte sie leise. "Ich
wollte nichts anderes. Und ich war bereit zu warten, aber du hast mich nicht
gelassen. Wenn du mich nicht völlig ausgeschlossen hättest, wenn du mir nur
einen Funken Hoffnung gelassen hättest, an dem ich hätte festhalten
können..."
"Scully..."
"Ich war einsam,
Mulder." Ihre Stimme hatte einen dunkleren Ton angenommen, und ihm fiel
auf, dass sie ihre Tränen zurückhielt. "Ich habe dich bereits damals schon
so vermisst, und als du mich zurückgestoßen hast, hatte ich erst recht das
Gefühl, dich verloren zu haben." Sie hielt inne und sah mit leerem Blick
auf die andere Straßenseite, wo Kinder im Park spielten. "Zach war auf
einmal da. Er war fürsorglich, seine Gesellschaft war nett, und er hatte eine
Tochter, die ich sehr mochte." Sie drückte die Hand der Kleinen und
lächelte sich versichernd an. Das kleine Mädchen sah ein wenig erschrocken aus
wegen dem ernsten Ton der Unterhaltung. Scully bemerkte mit einer gewissen
Traurigkeit, dass Emmie schon so viele Auseinandersetzungen zwischen
Erwachsenen gesehen hatte, dass sie nicht besonders überrascht aussah. Sie
zuckte die Schultern und fuhr fort, "Es tat einfach zu weh zu hoffen, dass
wenn du frei kommst, du irgendetwas mit mir zu tun haben wolltest. Ich habe
wirklich gedacht, dass ich dir nichts mehr bedeute."
Es kam ihm vor, als würde
eine Last von der Schwere eines Elefanten auf ihn fallen und für einen Moment
konnte er nichts weiter tun, als zu keuchen.
"Willst du damit sagen, dass es meine Schuld ist?" fragte er
schließlich mit erstickter Stimme. "Ich habe dich dazu gebracht,
Scully?"
Sie sah zu ihm hinunter,
und das Leiden, das sie in seinem halb verdeckten Gesicht sah, erschreckte sie
zutiefst. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, um ihn zu beruhigen, doch er
schreckte zurück als hätten ihre Finger seinen Arm verbrannt.
"Ich konnte nicht in
Ungewissheit leben, Mulder", sagte sie und in ihrer Stimme lag eine Bitte
nach Verständnis. "Ich musste mich entscheiden. Als du mir deutlich
gemacht hast, dass ich dich nicht haben kann, habe ich mich für Zach
entschieden."
"Und für Emmie."
Trotzig hob sie ihr Kinn.
"Ja, und für Emmie. Ich liebe Zach vielleicht nicht so wie ich dich
geliebt habe, aber wir kommen gut miteinander aus."
Jetzt drehte er sein
Gesicht wieder etwas zu ihr, doch sein Blick war immer noch gesenkt.
"Geliebt?" fragte er mit erstickter Stimme, als er versuchte, seinen
innerlichen Schmerz unter Kontrolle zu halten.
Sie sah ihn geradewegs,
aber kurz an. "Ich habe diese Gefühle verborgen, Mulder. Ich musste es
tun, um weitermachen zu können."
Sie hatten sich nichts
mehr zu sagen. Nachdem Scully Emmie in den Wagen gesetzt hatte, stieg sie
selbst ein und fuhr los.
Mulder sah sie davon
fahren und wünschte sich die Stumpfheit und Trübheit, die er manchmal empfand.
Doch dieses Mal empfand er nicht die willkommene Gefühllosigkeit, die ihm über
den Emotionswirbel hinweg half. Da er viel zu aufgewühlt war, um jetzt Auto zu
fahren, riss er sich die Sonnenbrille von den Augen, warf sie beiseite und
stieg aus. Er schlug die Tür so fest er konnte zu und schlug mit den Händen in
den Hosentaschen und gesenktem Blick den Weg zum Park auf der anderen
Straßenseite ein.
Zachary hatte eigentlich
nicht vor gehabt zu tun was er tat als er aus der Bar herauskam. Er war auf dem
Weg nach Hause, nachdem Bill mit seinem Gerede über das Drecksschwein Mulder an
die Grenzen seiner Geduld gestoßen war, als es ihn wie ein Blitz traf. Warum
sollte er sich das Arschloch nicht mal ansehen? Er hatte Fotos von ihm gesehen,
die meisten unscharf und grieselig aus
Zeitungsberichten über die beiden Verhandlungen. Soweit Zach es beurteilen
konnte, gab es nichts an dem berühmten Mulder, das das stetige und
unerklärliche Interesse seiner Frau an ihm rechtfertigen würde. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass wenn er
sich beeilen würde, er es noch rechtzeitig zum Anwaltsbüro schaffen würde,
bevor das Treffen zu Ende war. Er bog an der nächsten Ampel rechts ab und schlug
die Richtung seines neuen Ziels ein.
Als er den Häuserblock
erreicht hatte, wo sich das Büro befand, fuhr er langsamer und näherte sich mit
aufmerksamem Blick dem Parkplatz. Er blickte sich um und sah, wie die Tür des
Hauses sich plötzlich öffnete. Ein großgewachsener, dunkelhaariger Mann ließ
die Tür hinter sich zufallen und ging mit großen Schritten auf das Auto zu, das
neben Danas parkte. Gerade als er eingestiegen war, sah Zach wie seine Frau mit
Emmie auf dem Arm aus der Eingangstür herauskam. Rasch fing sie den Mann ab.
Zach fuhr in einer Parklücke, um die Unterhaltung zu beobachten. Er konnte
natürlich nichts hören, aber es war durch ihre Mimik ersichtlich, dass ihre
Unterhaltung recht hitzig verlief. Zach lächelte selbstgefällig mit der
Zuversicht, dass Dana ihren Ex-Partner gerade verabschiedete. Doch dann sah er,
wie seine Frau eine Hand nach ihm ausstreckte. Selbst aus der Entfernung konnte
er sehen, dass es eine hingebungsvolle Geste war, und
sein Grinsen verzog sich zu einer Grimasse der Eifersucht. Im nächsten Moment
steckte Dana Emmie auch schon hastig ins Auto und war bald mit dem Auto außer
Sichtweite.
Zach beobachtete die Szene
weiter und sah wie der Mann, der kein anderer als Fox Mulder sein konnte, aus
seinem Auto ausstieg, die Tür zuschlug und auf den Park zu ging. Später sagte
er sich, dass es einfach eine zu gute Gelegenheit war, um sie verstreichen zu
lassen. Er hatte noch Bill Scullys Stimme im Ohr: 'Es ist jetzt viel mehr
Geld'. Er fühlte nichts als Wut. Ohne
Vorwarnung trat er das Gaspedal durch und fuhr direkt auf den Mann zu, der
gerade die Straße überquerte.
Mulder sah verwirrt durch
den Lärm auf, gerade noch bevor der Truck ihn erwischte und er durch die Luft
geschleudert wurde. Er kam hart auf dem Asphalt auf und blieb nach Luft
schnappend liegen. Er hörte jemanden schreien, doch als er unter Schmerzen
seinen Kopf nach dem Truck drehte, der ihn gestreift hatte, bemerkte er, dass
der Fahrer gar nicht aus seinem Fahrzeug gestiegen war. Stattdessen musste er
mit Schrecken zusehen, wie der Truck langsam zurückfuhr. Mulder versuchte sich
aufzusetzen, doch er sank von Schmerzen gepeinigt wieder zurück. Das Stechen in
seiner Brust war so plötzlich und so stark und keine seiner Muskeln wollten ihm
gehorchen. Er kämpfte gegen das Hämmern
in seinem Oberkörper an und rollte sich auf die andere Seite, um den Angreifer
sehen zu können. Mulder erstarrte vor Schreck und konnte nur zusehen, als der Pickup wendete und mit größer werdender Geschwindigkeit
geradewegs auf ihn zukam. Hilflos schloss Mulder die Augen und wartete auf den
Aufprall.
Zachary drückte abermals
das Gaspedal mit einem hämischen Lächeln durch, mit der Absicht mit diesem
Anlauf zu Ende zu führen, was er begonnen hatte, als er eine Frau mit wildem
Geschrei auf das Geschehen zulaufen sah. Es war möglich, dass sie alles gesehen
hatte. Sie war eine Zeugin. Wenn er Mulder umbrachte, konnte sie ihn
möglicherweise später identifizieren. Zachary traf eine rasche Entscheidung das
Risiko nicht einzugehen. Er hoffte, dass die Frau in ihrer Hysterie nicht daran
dachte, sich sein Nummernschild zu merken. Er beschleunigte seinen Truck und
wich in letzter Sekunde aus, bevor er Mulders Kopf erwischte. Mit quietschenden
Reifen bog er um die nächste Ecke und lies den Verletzten auf der Straße
liegen. Die Frau schrie ununterbrochen seinen Namen.
"Mr. Mulder! Mr.
Mulder! " Joyce, die Sekretärin aus dem Anwaltsbüro war nach einem Gang
zum Getränkeautomaten zu ihrem Arbeitsplatz zurück gekehrt, als sie zufällig
nach draußen sah und mit Entsetzen beobachten konnte, wie Mulder von dem Truck
angefahren wurde. Augenblicklich ließ sie ihre Cola fallen und stürzte mit
lautem Geschrei hinaus. Ihr Chef, den sie durch ihr Geschrei auf die Situation
aufmerksam gemacht hatte, war ebenfalls hinausgelaufen und hatte rasch die Lage
eingeschätzt. Joyce war eine gute Sekretärin, aber sie war nicht jemand, den
man in einer Notsituation als erste herbeirufen würde stellte er grimmig fest,
als er die Polizei und einen Krankenwagen rief.
Mulder öffnete langsam die
Augen, und stellte nach und nach fest, dass er einige starke Medikamente
bekommen hatte. Dessen war er sich sicher, denn er spürte die Schmerzen in
seiner Brust, aber irgendwie tat es gar nicht weh. Es war lediglich etwas,
dessen er sich bewusst war. Er versuchte seinen Arm zu bewegen, doch er war zu
schwer. Mit einem Seufzen fragte er sich, wer ihn dieses Mal zusammengeschlagen
hatte und warum. Seine Wahrnehmung festigte sich und er stellte erleichtert
fest, dass er sich gar nicht im Gefängniskrankenhaus befand. Das hier war ein
normales Krankenhaus mit einem normalen Krankenbett und neben dem Bett saß
Skinner, der in ein Magazin vertieft war.
"Willkommen zurück,
Mulder", begrüßte Skinner ihn, rieb sich den Nasenrücken und legte das
Heft beiseite. Er gähnte, streckte sich und lächelte ein wenig. "Ich würde
Sie glatt fragen wie es ihnen geht, aber ich glaube, ich kann es mir
vorstellen."
"'s geht ei'entlich", lallte Mulder, und Skinner musste lachen.
"Das ist immerhin
etwas. Können Sie sich erinnern was passiert ist?"
Mulder nickte einmal,
verzog das Gesicht und verzichtete auf ein weiteres Nicken. Großer Fehler. In
Gedanken fing er mit der Inventur an: Kopf, Brust, Arm... welcher Körperteil an
ihm war eigentlich noch heil? Er zwang seine Augen wieder auf und wagte einen
Blick auf die untere Hälfte seines Körpers. Erleichtert seufzte er. Kein Gips
oder Verband dort unten, seine Beine schienen in Ordnung zu sein, er hatte nur
Schmerzen in seinem Oberkörper. Als er so ruhig da lag, begannen die
Medikamente wieder zu wirken und minderten die Auswirkungen seiner
Kopfbewegung.
"Ein Auto hat mich
angefahren", sagte Mulder und merkte, dass sich seine Zunge einen Tick zu
schwer anfühlte. "Ein großes Auto."
"Das stimmt",
nickte Skinner. "Es war Fahrerflucht. Ich bin überrascht, dass Sie sich
daran erinnern können."
Mulder drehte langsam
seinen Kopf und sah Skinner an. "Das war keine Fahr'flucht",
sagte er langsam. " 's war Absicht."
Skinner runzelte die Stirn
und betrachtete Mulder. Er bekam gar nicht so erschlagende Mengen an Medikamenten.
Andererseits hatte er immer schon ziemlich verrückte Einfälle gehabt.
"Warum glauben Sie das?" fragte er dann.
Mulder verzog das Gesicht
ein wenig. Er wusste, dass sein früherer Boss die Antwort nicht mögen würde.
Nach einem langen Zögern sagte er, "Ich weiß es einfach. Er versuchte noch
einmal mich anzufahren."
"Wer?"
"Der Fahrer."
"Konnten Sie ihn
erkennen, Mulder?"
"Nein", murmelte
er. Er schluckte, denn plötzlich war sein Hals ganz trocken geworden. Skinner
hielt ihm ein Glas Wasser an die Lippen, von dem Mulder ein paar kleine
Schlucke nahm.
"Wissen Sie
wenigstens, ob es ein Mann oder eine Frau war?"
"Nein."
"Was meinen Sie
damit, wenn Sie sagen, dass er sie noch mal anfahren wollte?" Skinner
wollte nicht ungeduldig erscheinen, aber die einzige Augenzeugin in diesem Fall
hatte klar und deutlich angegeben, dass der Truck Mulder angefahren hatte,
zurück gefahren war und verschwunden war.
Die Sekretärin hatte einen überraschend zusammenhängenden Ablauf geschildert,
wenn man mal bedachte, in welchem Zustand sie gewesen war. Und es gab Skinners
Meinung nach nichts an ihrer Aussage das andeutete, dass der Vorfall etwas
anderes als ein einmaliges Anfahren mit anschließender Fahrerflucht war.
"Zurück
gefahren", erklärte Mulder und kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an, die
ihn übermannen wollte. "Er wollte wieder auf mich zu. Sie hat geschrien un' er hat sich aus'm Staub gemacht." Seine Stimme
ebbte zu einem Flüstern ab.
Mulder entspannte sich in
den Kissen - erschöpft von dem Versuch es Skinner verständlich zu machen. Er
hatte es in dem Moment gewusst, als er auf die vordere aufgemotzte Stoßstange
des riesigen Trucks gesehen hatte, und ihn im Rückwärtsgang langsam Anlauf
nehmen sah, dass er sterben würde, aber er war vollkommen unfähig gewesen es zu
verhindern. Er konnte nicht einmal ausweichen, nicht nach Hilfe rufen, konnte
nur da liegen und hilflos zusehen, wie der Pickup auf
ihn zukam. Er hatte die Augen geschlossen und Sekunden später den Luftzug
gespürt, als der Truck an ihm vorbeirauschte.
Er nahm an, dass er daraufhin das Bewusstsein verloren hatte, und erst
hier mit den Nachwirkungen der Narkose aufgewacht war.
Skinner nahm seine Brille
ab und rieb sich die Augen, wonach er die Brille wieder aufsetzte.
"Mulder", sagte er und sah seinem Freund in die Augen. "Ich weiß, dass Sie davon überzeugt
sind, aber ich habe absolut keinen Hinweis darauf gefunden, dass es so gewesen
ist."
Mulder schüttelte
verzweifelt den Kopf, soweit es ging, und ignorierte das plötzliche Hämmern,
das ihn vollends wach machte. "Jemand hat versucht mich umzubringen."
"Glauben Sie, dass er
Sie speziell im Visier hatte oder hätte es irgendein anderer Passant sein
können?" fragte Skinner aus Interesse. Es war ja nicht so, dass Mulder
noch nie Ziel für Anschläge gewesen war, aber jetzt gab es für niemanden einen
Grund, ihn umzubringen. Er war nicht länger eine Gefahr für diejenigen, die ihn
zuvor aus dem Weg haben wollten. Sie würden ihn sicher in Ruhe lassen.
Außerdem, wenn sie Mulder umbringen wollten, würden sie ganze Arbeit leisten.
Sie konnten sich keine Fehler wie diesen leisten und sie würden keine Amateure
beauftragen.
"Weiß nich' ", sagte Mulder mit noch schwererer Stimme, als
ihm die Augen zufielen und es wieder schwarz um ihn wurde.
Skinner dachte über das
nach, was Mulder gesagt hatte, und ging auch noch einmal die Aussage der
Sekretärin durch, doch er konnte beim besten Willen nicht zu dem Schluss
kommen, dass Mulder Recht hatte. Sein früherer Agent muss sich geirrt haben.
Wer würde ihn umbringen wollen? Eine Gestalt an der Tür riss ihn aus den
Gedanken.
"Wie geht es ihm,
Sir?" fragte Scully und trat leise in das Zimmer. Sie hatte Skinners Anruf
bekommen, doch sie musste erst einen Babysitter für Emmie finden, bevor sie ins
Krankenhaus eilen konnte. Zachary war nicht begeistert gewesen, als sie ihm
sagte, dass sie den ganzen Abend weg sein würde, um einen alten Freund im
Krankenhaus zu besuchen. Der daraufhin folgende Streit war so heftig gewesen,
dass die Nachbarn ihn mit Sicherheit hören konnten, und sie fragte sich, ob er
noch wach sein würde, wenn sie nach Hause kam. Ein kalter Schauer lief ihr den
Rücken hinunter. Sie hoffte nicht. Sie
hasste es, wenn Zach sich betrank, und er hatte den ganzen Tag getrunken.
Zuerst mit ihrem Bruder Bill, später alleine. Die heftigsten
Auseinandersetzungen hatten sie nur, wenn er unter Alkoholeinfluss stand. Was
heute noch verstärkend hinzukam war, dass er sich schon den
ganzen Tag über den Verlust von Mulders Geld beklagt hatte. Sein Interesse an Teena Mulders Erbe war ihr schon immer zuwider gewesen.
"Er ist ziemlich
mitgenommen, aber er wird sich erholen", war Skinners Antwort.
Scully trat näher und
Skinner bot ihr einen Stuhl an. Sie lächelte dankbar, setzte sich und nahm
Mulders Hand in ihre. "Sein Puls ist etwas schnell", stellte sie
fest.
"Er war vor einer
Minute noch wach. Scully", sagte Skinner und hockte sich neben ihren
Stuhl, so dass sie nicht zu ihm aufschauen musste, "haben Sie irgendetwas
Verdächtiges gesehen oder gehört, bevor Sie gefahren sind?"
Sie sah ihn verwundert an.
"Nein, warum?"
Skinner presste seine
Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und Scully wurde zurückversetzt in die
Zeit, als sie und Mulder vor ihrem Boss im Büro saßen und er genau diesen
Gesichtsausdruck hatte. Üblicherweise bedeutete es, dass er anderslautende
Informationen hatte und nicht so recht wusste, was er damit machen sollte.
"Mulder scheint zu
glauben, dass es kein Unfall war, sondern ein Mordanschlag", sagte er
gleichmäßig.
Ihre Augen weiteten sich
bei dieser Andeutung. "Aber wer würde...? Und warum?" fragte sie.
"Die Leute, die ihn entlassen haben..."
"Wenn sie gewollt
hätten, hätten sie sicherlich eine Möglichkeit gefunden, seine Freilassung zu
verhindern", unterbrach Skinner sie. "Sie haben eine Verhandlung
manipuliert, sie hätten die zweite sicherlich ebenfalls anders ausgehen lassen
können. Ich glaube nicht, dass es diese Leute waren. Um ehrlich zu sein, ich
glaube nicht, dass es überhaupt ein Anschlag war. Ich glaube, dass Mulder sich
irrt, aber er besteht darauf, und Sie wissen, dass Mulder sehr hartnäckig ist.
Wenn er sich einmal etwas in den Kopf setzt..."
"... könnte es eine
Atombombe nicht aus der Welt schaffen", stimmte sie lächelnd zu.
"Aber wissen Sie, Sir, Mulder hatte öfter Recht als Unrecht. Zumindest
teilweise."
"Ich bin überrascht,
dass Sie das zugeben, Scully. Sie haben ihm doch immer das Gegenteil beweisen
wollen." Scully stockte, und er beeilte sich hinzuzufügen, "Ich
möchte nicht unhöflich sein, aber Sie haben Mulder seine paranormalen
Ideen noch nie abgekauft."
Jetzt war ihr klar, dass
Skinner sie mit dem was er sagte nicht beleidigen wollte. "Ich habe sie
ihm nicht abgekauft. Ich kaufe sie ihm immer noch nicht ab. Aber es gelingt uns
immer wieder, mit unseren jeweiligen Sichtweisen Kompromisse zu machen..."
"Aber nicht immer",
endete er an ihrer Stelle.
Traurig schüttelte sie den
Kopf und kämpfte gegen ihre Tränen an, als sie Mulders Hand drückte.
"Nein, nicht immer", flüsterte sie. "Nicht oft genug."
Skinner deutete mit einer
Kopfbewegung auf den Mann im Krankenhausbett.
"Wie wird er wohl reagieren, wenn er aufwacht und Sie hier
vorfindet?" fragte er mit erzwungener Gleichgültigkeit. "Haben Sie
beide sich ausgesprochen?"
"Nein", gestand
Scully betreten.
"Ich möchte nicht,
dass er sich aufregt", warnte er. Als er aufstand erinnerte das Knacken
seiner Knie daran, dass er langsam in die Jahre kam.
Was du auch
versuchst, gestand er sich selbst ein, du wirst jeden Tag älter. "Er hatte
einen langen Tag. Ich will nicht, dass er sich Ihretwegen noch mehr aufregt,
egal wie gut Sie es mit ihm meinen." Scully traute ihrer Stimme nicht und
nickte nur, ihre Augen immer noch auf Mulder gerichtet.
"Ich werde dann mal
gehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht", sagte Skinner. Es schien der eleganteste Weg zu sein, ihr
etwas Zeit alleine zu lassen, und Scully schien dankbar darüber zu sein. Sie
nickte wieder. Skinner verließ den Raum und schloss die Tür leise hinter sich.
Scully betrachtete Mulder
während er schlief, sein Kopf leicht von ihr abgewandt. Er hatte sich nicht
sehr verändert seit sie ihn das letzte Mal vor vielen Monaten gesehen hatte. An
dem Tag, an dem er sie aus seinem Leben geworfen hatte. Er hatte ein paar
Falten mehr, aber sie ebenfalls. An seinen Schläfen kam das Graue schon langsam
durch, und sie streckte ihre Hand aus, um
ihm liebevoll die kurzen Strähnen von der Stirn zu streichen.
Mulder fühlte ihre Hand
auf seinem Gesicht und öffnete benommen die Augen.
"Scully?" fragte
er. Er wusste nicht, ob es nur ein Traum war.
Sie antwortete nur, indem
sie lächelte. Er fragte sie, wie oft sie diese Szene schon gehabt hatten: wie
er in einem Krankenhaus aufwacht und sie neben seinem Bett sitzt und wartet.
Auf ihn wartet. Warum hatte sie nicht dieses letzte, wichtigste Mal gewartet?
Er seufzte und verdrängte diesen Gedanken. Sie hatte es ihm erklärt so gut wie
man es erklären kann, nahm er an. Er würde Zeit brauchen, um das zu
akzeptieren, was sie sagte, aber er wusste, dass sie die Wahrheit sagte.
"Es tut mir Leid,
dass ich nicht früher hier sein konnte", sagte sie mit sanfter Stimme. "Ich
musste warten, bis Zach nach Hause kommt, um auf Emmie aufzupassen."
Er bemühte sich, sie klar
vor sich zu sehen. "Weiß er, dass du hier bist?" fragte er mit fester
Stimme, bemüht, sich trotz seines morphiumumnebelten Verstandes deutlich zu
artikulieren.
"Ja", log sie
und redete sich ein, dass es eigentlich nur eine halbe Lüge war. "Er
wünscht gute Besserung."
Mulder grinste schwach.
"Wer's glaubt", war seine einzige Reaktion.
"Mulder, wegen
unserem Gespräch vorhin..."
"Vergiss es, Scully.
Ich verstehe jetzt, dass du getan hast was du für richtig gehalten hast.
Vielleicht werde ich es mit der Zeit sogar akzeptieren können, aber das soll
mein Problem sein. Es gibt allerdings etwas, das du jetzt für mich tun
müsstest." Er sah ihr direkt in die Augen und versuchte, klar zu bleiben.
"Was denn,
Mulder?"
"Derjenige, der mich
angefahren hat, wer immer das auch war... Scully, es war vorsätzlich. Ich habe
es Skinner schon erzählt, aber er glaubt mir nicht. Du musst herausfinden, wer
mich umbringen will und warum." Der ernste Tonfall machte ihr Angst, und sie fragte sich auf einmal, ob Skinner mit
Mulder über eine psychologische Therapie gesprochen hatte.
"Warum glaubst du
das?" fragte sie sanft und wiederholte Skinners Frage.
Mulder hatte immer noch
keine richtige Antwort.
"Ich bin einfach
davon überzeugt", erwiderte er leise und senkte seinen Blick. "Ich
kann es nicht erklären, aber ich weiß es. Ich konnte es in dem Moment fühlen,
Scully. Skinner glaubt mir nicht, aber du siehst sicher, dass es ein viel zu großer
Zufall wäre."
//Sie müssen mir glauben,
Scully// flüsterte eine Stimme aus der Vergangenheit.
Sie schüttelte langsam den
Kopf, als sie die Frustration auf seinem Gesicht breit machte. "Es tut mir
leid, Mulder, aber ich glaube es nicht. Skinner sagt, dass es keine Hinweise
gibt..."
"Was ist mit dem
Truck?" unterbrach er sie und bekämpfte das Gefühl der Verzweiflung.
"Hat irgendjemand den Truck näher ansehen können oder den Fahrer?"
//Niemand sonst auf diesem
verdammten Planeten tut es...//
Scullys Augen weiteten
sich bei der Erinnerung, aber sie nahm sich zusammen und ließ ihre Gedanken
nicht in die Vergangenheit abschweifen. "Die einzige Zeugin ist Joyce, die
Sekretärin aus dem Anwaltsbüro. Alles, was sie uns sagen konnte ist, dass es
ein roter Truck war. Und dass es definitiv ein Anfahren mit Fahrerflucht
gewesen ist", fügte sie betonend hinzu.
"Scully, das letzte,
woran ich mich erinnern kann, ist Joyce' hysterisches Gekreische",
murmelte er sarkastisch und merkte, dass er jetzt doch langsam den Kampf gegen
die Beruhigungsmittel verlor. "Sie ist sicherlich nicht die verlässlichste
Zeugin."
"Du warst verletzt.
Du warst bewusstlos. Macht dich das verlässlicher?" Sie drückte seine
Hand, um die Schärfe ihrer Behauptung zu mildern, doch er zog seine Hand weg.
"Ich weiß, was ich geseh'n hab', un' ich weiß, was
passiert is' ", beteuerte er, mit unklarer
werdenden Stimme.
"Tja, wenn es bei
deinen Eindrücken bleibt, haben wir nichts in der Hand", sagte Scully. Es
hatte sie verletzt, dass er ihr seine Hand wieder entzogen hatte. "Die
Polizei wird natürlich weiter nach dem Fahrer des Fahrzeugs suchen, aber wir
wissen beide, dass die Chancen nicht sehr hoch stehen."
Er nickte wissend und
drehte sich ein wenig, um sie besser ansehen zu können. Ihre Hand lag auf dem
Bettrand und der Ärmel ihrer Bluse war ein wenig hochgeschoben, so dass er den
dunklen Fleck über ihrem Handgelenk nicht übersehen konnte.
"Was ist das?"
fragt er und deutete darauf.
Scully zog ihre Hand
hastig zurück und verschränkte die Arme. "Was ist was?"
"Scully, komm mir
nicht so!" sagte er ärgerlich. Er wusste genau, was es war. Sie hatte es
bei dem Treffen am Vormittag zerreden können, und Mulder hatte ihr geglaubt,
weil die Scully, die er kannte, vor jedem die Waffe ziehen würde, der es wagte,
sie zu schlagen. Doch das hier war zu offensichtlich, um es zu ignorieren.
"Das waren Handabdrücke. Hat er das getan?"
Scully war sauer. Es
ärgerte sie, dass er es bemerkt hatte, und dass sie es nicht besser verborgen
hatte. Zach hatte während ihrer Auseinandersetzung ihr Handgelenk gegriffen und
es fester gehalten als er sollte, und sie musste ihn erst ermahnen, bevor er
ihren Arm mit einem entschuldigenden Ausdruck losgelassen hatte. Er war ein
großer Mann, sie war eine kleine Frau, und wenn sein Temperament gelegentlich
mit ihm durchging, neigte er dazu, ihr Handgelenk ziemlich hart anzufassen. Wie
konnte Mulder nur denken, dass es etwas anderes als das war? Was für eine Frau,
glaubte er, sei aus ihr geworden?
"Vielleicht mögen
Zach und ich es wild, Mulder. Hast du schon mal daran gedacht?" erwiderte
sie kühl. "Was geht dich das an?"
Ihre Worte trafen ihn wie
ein Strahl kalten Wassers. Er lehnte sich in den Kissen zurück, seine Augen
glühten wie Kohlen. "Nicht das geringste", sagte er knapp. "Was
du und dein Mann tun", sagte er und betonte das Wort extra, "ist
deine Sache. Ich glaube kaum, dass er es toll fände, wenn du den Abend am Bett
eines anderen Mannes verbringen würdest, also solltest du besser nach Hause
gehen. Es gibt keinen Grund, warum wir uns noch sehen sollten."
Er konnte sie nicht
ansehen, als sie von ihrem Stuhl aufstand und auf die Tür zuging. Dort hielt
sie inne und drehte sich um, als ob sie etwas sagen wollte, doch sein Gesicht
war wie zu Stein erstarrt und eine Sekunde später war sie verschwunden.
Mulder zwang sich zum
gleichmäßigen und ruhigen Atmen, und umfasste die Bettkante so fest er konnte.
Er wusste, dass wenn er sich dem Gefühlsschwall in ihm kampflos hingeben würde,
er zusammenbrechen würde. Und er war fest entschlossen, seine Selbstkontrolle
zu bewahren. Sie nicht an sich heranzulassen. Keine Träne zu vergießen.
Ende TEIL Zwei
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>
Zachary Morrow betrachtete
interessiert die dritte Schublade von Danas Schreitisch. Sie war verschlossen.
In den meisten Punkten ihres Lebens war Dana offen und ehrlich, doch Zach
wusste, dass es etwas gab, das sie vor ihm verborgen hielt. Einerseits machte
es ihn wütend, doch andererseits war das ein Bestandteil des geheimnisvollen
Wesens, das er so attraktiv an seiner Frau fand. Er hatte Bills kleine
Schwester schon immer sehr anziehend gefunden, und als er sie heranwachsen sah,
wurde seine Bewunderung zu Verlangen und zu noch etwas andrem. Zach war nicht
unsterblich verliebt in Dana - er würde nie wieder diesen Fehler machen,
nachdem es ihn mit Allison, seiner ersten Frau, so erwischt hatte. Nachdem Allie ihn betrogen hatte, hatte Zach sich geschworen, nie
wieder zu heiraten, doch die Aussichten, allein eine Tochter aufziehen zu
müssen, waren so einschüchternd gewesen, und außerdem hatte sich Zach nach
jemandem an seiner Seite gesehnt. Er wollte jemanden haben, mit dem er sein
Leben teilen konnte, wenn schon nicht sein Herz. Sich für Dana zu entscheiden,
war die offensichtliche Lösung gewesen. Sie kannten sich schon Ewigkeiten, er
war immer gut mit der Scully-Familie ausgekommen, und je älter Dana wurde,
desto sexier und attraktiv wirkte sie auf ihn. Seit
der Inhaftierung ihres Partners, Mulder, hatte sie oft sehr traurig und leidend
ausgesehen, und nach Zachs Ansicht verlieh ihr dieser Ausdruck eine weisere und
sanftere Haltung. Es gab etwas in ihrem Leiden, das das Beste aus Dana
herausholte.
Neugierig begann er den
Schreibtisch nach dem Schlüssel abzusuchen. Zach hatte getrunken, und wenn er
trank, war er nicht er selbst, das würde er als erster zugeben. Er hatte
außerdem auch wieder an die Erbschaft gedacht. Das Geld, das ihm durch die
Lappen gegangen war - oder nicht. Die Frage, die Zach dieser Tage primär
beschäftigte war, ob Mulder sein Testament geändert hatte. Er hatte die beiden
vor dem Anwaltsbüro streiten sehen. Und als Dana an dem Abend, nachdem sie
dieses Arschloch im Krankenhaus besucht hatte, nach Hause gekommen war, war sie
sehr reserviert gewesen. Er fragt sich, ob sie sich gestritten hatten, und ob
der Streit ihn dazu gebracht hatte, seinen letzten Willen zu ändern. Er hatte
keine höfliche Möglichkeit gesehen, diese Frage zu stellen, und Dana wich jedes
Mal aus, wenn er Mulder auch nur erwähnte.
Als er die ganze Schreibtischoberfläche
und die offenen Schubladen abgesucht hatte, fuhr Zach instinktiv mit den Händen
über die Unterseite des Schreibtisches. Manchmal klebten Leute ihre Schlüssel
an die Unterseite. Seiner Meinung nach kein besonders gutes Versteck, aber trotzdem...
Als er nichts fand, kam er zu dem Schluss, dass Dana tatsächlich gerissener
war, als die normale Durchschnittsfrau. Aus einer Ahnung heraus zog er die
mittlere Schublade hervor und betastete das Innere. Er war drauf und dran, die
Schublade aufzugeben, als seine Finger etwas ertasteten. Er befühlte es genauer
und ein triumphierendes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Einen
Moment später zog er den Schlüssel heraus, auf dem noch kleine Stücke des
Klebestreifens pappten. Er trank sein Glas aus und rammte den Schlüssel
gewaltsam in das Schloss der Schublade, grinsend, als er passte.
Doch sein Grinsen
verschwand, als er sah, was sich darin befand. Nichts, außer einem sehr großen,
sehr staubigen Wörterbuch. Verwirrt sah er hinter dem Buch nach, hob es hoch,
um auf die Unterseite zu sehen, und holte es schließlich heraus. Er legte es
auf seinen Schoß und begann darin zu blättern. Er erwartete nichts Besonderes
zu finden, als zu seiner Überraschung das Buch aufklappte und ein Foto herausfiel, das sorgsam in der Mitte der Buchseiten lag. Es
war ein Bild von Dana und ihrem Ex-Partner, offensichtlich vor Mulders
Verhaftung vor all den Jahren. Mit einem Gefühl der Eifersucht bemerkte Zach
den entspannten und glücklichen Gesichtsausdruck auf dem Gesicht seiner Frau.
Er konnte sich nicht daran erinnern, sie in seiner Gesellschaft jemals so
gesehen zu haben.
Das Glas längst vergessen,
trank er jetzt direkt aus der Flasche und betrachtete den Mann auf dem Foto mit
Verachtung. Fox Mulder. Der Grund für so viele Meinungsverschiedenheiten
zwischen ihm und Dana. Er hatte wirklich geglaubt, dass sobald sie verheiratet
waren, sie über diesen Idioten hinwegkommen würde. Sein eigenes Interesse an
Dana hatte mehr Gründe als nur das Geld, das sie beinahe geerbt hätte, aber
trotzdem—ein Mann erwartet von seiner Frau, dass sie ihn liebt. Dana konnte
sehr einschüchternd werden mit ihrer Cleverness und ihrer Hingabe zur
Wissenschaft, aber Zach war willensstark. Er tat sein Bestes, um sie zu
kontrollieren und sie zu unterwerfen, und es trug sogar zu seiner Begeisterung
bei, dass er nie Erfolg hatte. Dana war keine Frau, die man zähmen konnte—sie
war ein Wildfang. Sie konnte auch eine Katze im Sack sein, wenn sie wollte. Er
fragte sich, ob sie in den Momenten Mulder hinter ihren geschlossenen
Augenliedern sah.
Vorsichtig stellte Zach
die Flasche Jack Daniels auf den Tisch neben das aufgeschlagene Wörterbuch.
Aufgeschlagen bei 'M'. 'M' für 'Mulder'. Wie süß. Mit einem Schnauben zerriss
er das Bild in zwei Hälften. Zu schade, dass er nicht genauso leicht das Herz
aus Mulders Brust reißen konnte. Bei Gott, er hatte es versucht. Das erste Mal
hatte ihn fünfhundert Dollar gekostet. Der Wärter, den er bezahlt hatte, damit
er den Wichser zusammenschlug, hatte seinen Job gut gemacht, aber er war
unterbrochen worden, bevor er seine Sache beenden konnte. Er ist gefeuert
worden und Mulder hatte drei Wochen im Krankenhaus verbracht. Der zweite
Versuch—Zach grinste kalt. Der war zwar umsonst gewesen, aber die
Schadenfreude, die er beim Geräusch empfunden hatte, als sein Truck gegen
seinen Körper prallte, machte die Tatsache, dass das Schwein wieder mal
überlebt hatte, fast wieder wett. Er und Dana hatten an diesem Abend so schlimm
wie noch nie gestritten, bevor sie weggefahren war, um den Typen im Krankenhaus
zu besuchen. Sie war allerdings nicht lange weg gewesen, stellte er im
Nachhinein fest, und er war nicht besonders froh gewesen, als sie wieder zu
Hause war. Sie hatten sich in jener Nacht heiß geliebt, aber es war eine Wut in
ihr, eine Leidenschaft, die nichts mit sexueller Anziehungskraft zu tun gehabt
hatte. Er hatte in der Nacht gedacht, dass der Grund dafür der Streit war, den
sie vorher gehabt hatten, aber jetzt fragte er sich, ob sie sich nicht mit Mr. Perfect gestritten hatte. Das würde einiges erklären. Zum
Beispiel warum sie in dem Monat nach seiner Entlassung nichts von dem Kerl
gehört hatte. Zumindest nahm Zach das an.
"Was fällt dir
ein??" Das unerwartete Ertönen ihrer Stimme ließ ihn zusammenzucken.
"Verdammt, Dana! Wie
oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich nicht so heranschleichen
sollst?" rief er wütend, als er herumwirbelte.
"Zach?" fragte
sie und riss die Augen auf, als sie das zerfetzte Bild sah. "Was hast du
an meinem Schreibtisch zu suchen?"
Er schnaubte ein Lachen.
"Vielleicht kannst du mir sagen", begann er und lehnte sich mit einem
weiteren Schluck Jack Daniels in seinem Stuhl zurück, "warum meine Frau
ein Bild von einem anderen Mann ach-so-gut versteckt
in ihrer Schublade hat." Sein Kommentar war trügerisch harmlos, und Dana
fragte sich, wie voll die Whiskeyflasche gewesen war, bevor Zach angefangen
hatte zu trinken. Sie war jetzt zu zwei Dritteln leer, und wenn er diese zwei
Drittel heute getrunken hatte... sie seufzte innerlich. Sie sollte besser
versuchen, ihn ins Bett zu kriegen.
"Komm schon,
Zach", begann sie schmeichelnd und fuhr zusammen, als er mit der flachen
Hand vehement auf den Tisch schlug, so dass der Stifthalter erzitterte.
"Mach dich nicht über
mich lustig!" brauste er auf.
"Psst, du weckst Emmie",
bat sie, und befürchtete, dass dies wieder einer der Sorte Streit wird, den sie
so schnell nicht mehr vergessen würde. Üblicherweise stieg er nach solchen
Auseinandersetzungen immer in seinen Truck und machte sich mit quietschenden
Reifen aus dem Staub, und sie musste sich fragen, ob er es in einem Stück
wieder nach Hause schaffen würde.
"Emmie",
informierte Zach sie mit eiskaltem Unterton, "ist es gewohnt, dass sich
ihre Mutter wie eine Schlampe benimmt. Ihre wirkliche Mutter war nicht
anders."
Scully zuckte innerlich
zusammen, denn sie erinnerte sich daran, wie Zach ihr erzählt hatte, wie seine
erste Frau umgekommen war. Sie war auf dem Weg zu einem Rendezvous mit ihrem
Freund gewesen, als das kleine Flugzeug, in dem sie saß, abstürzte und alle
Personen an Bord umgekommen waren. Emmie war noch nicht einmal zwei Jahre alt
gewesen.
"Ich benehme mich
nicht wie eine Schlampe, ich versuche dir auszureden, dich wie ein Betrunkener
zu benehmen!" warf sie verärgert zurück. Sie schaffte es gerade noch, der
Glasflasche auszuweichen, die um Haaresbreite ihren Kopf verfehlt hatte, und
neben ihr gegen die Wand knallte.
Dana starrte ihren Mann
entsetzt an. Sie hatte ihn noch nie so gesehen. Sie wusste, dass er schon immer
eifersüchtig auf Mulder war, aber das erklärte nicht wie ein einfaches Foto ihn
zur solchen Rage brachte. Kurz nachdem sie geheiratet hatten, als Zach noch
dachte, er könne sie kontrollieren, hatte er sogar darauf bestanden, dass sie
ihre Unterstützung in Mulders Fall aufgibt. Sie hatte ihm diese Bitte erfüllt
im Interesse der Familienharmonie, denn sie konnte sich darauf verlassen, dass
Skinner und die anderen nicht aufgeben würden. Sie hatte die hässliche Gier in
Zachs Augen gesehen, jedes Mal wenn Mulders Geld ins Gespräch kam, und es hatte
Ärger gegeben, als sie zu Mulder ins Krankenhaus gegangen war. Aber sie hatte
ihn noch nie mit dieser kalten, mörderischen Wut aus der Haut fahren sehen.
Der beste Weg mit dieser
Situation umzugehen war, ihr aus dem Weg zu gehen, entschied Scully und drehte
sich um, um mit einem Ausdruck größter Abscheu auf dem Gesicht den Raum zu
verlassen. Zach war wie der Blitz aus dem Stuhl.
"Nicht so
schnell", grummelte er und fasste ihren Arm über ihrem Handgelenk und riss
sie zu sich herum. Sie starrte auf seine Finger, die ihren Unterarm
zerquetschten und genau die Flecken hinterlassen würden wie an dem Tag, als sie
bei Mulder im Krankenhaus gewesen war. Sie hob drohend ihren Blick zu ihm.
"Lass mich los",
zischte sie. Zach lies ihr Handgelenk fallen und sie drehte sich um, so dass
sie den nackten Hass in seinen dunklen Augen nicht sehen konnte. Sie sah den
ersten Schlag nicht kommen.
Mulder quälte sich aus dem
Schlaf gerade mal soweit, um ans Telefon gehen zu können. Er tastete auf dem
Nachttisch danach herum und drückte sogar den richtigen Knopf, als er es
schließlich fand.
"H'lo",
nuschelte er, gähnte und rieb sich mit der freien Hand die Augen. Er setzte
sich auf, als er Maggie Scullys Stimme ausmachte.
Es war eine Stimme, die er
in den letzten Wochen ziemlich oft gehört hatte. Sie hatte ihn einige Male pro
Woche angerufen, um mit ihm zu plaudern. Sie schien zu verstehen, dass er immer
noch Gefühle für ihre Tochter hatte. Doch dieses Mal war es etwas anderes. Sie
hatte immer fröhlich geklungen, wenn sie in angerufen hatte, aber heute lag ein
seltsames Flüstern in ihrer Stimme, das ihm Angst machte. Es deutete eine
Tragödie an.
"Fox, Sie sollten so
schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen", sagte sie und er konnte
hören, dass sie Tränen zurückhielt.
"Mrs. Scully, was ist
passiert?" wollte er wissen und fühlte bereits, wie die altbekannte Panik
seine Brust zuschnürte. Er zwang sich zu ruhigem Atmen und machte die Lampe
neben seinem Bett an. In Dunkelheit hörte sich alles doppelt so schlimm an.
"Sie wird es
überstehen, Fox, ich möchte nicht, dass Sie sich Sorgen machen..."
"Ist etwas mit
Scully... Dana passiert?" fragte er ungeduldig. Er starrte auf seine
Finger und befahl ihnen im Stillen, mit dem Kribbeln darin aufzuhören. Er
kannte die Anzeichen für einen panischen Anfall sehr gut, und er hatte dafür
jetzt einfach keine Zeit.
"Sie wurde
geschlagen. Sie und Zachary haben sich gestritten und er..."
"Wo ist sie?"
unterbrach er sie, war bereits aus dem Bett und suchte nach seinen Klamotten.
"In welchem Krankenhaus?"
Er hörte zu, als sie ihm
die Details erklärte, schmiss dann das Telefon aufs Bett und zog sich an. Er
dachte wirklich er hätte sich unter Kontrolle, bis die Vorstellung von Scullys
leblosem, geschundenem Körper in seinem Kopf auftauchte. Seine Augen weiteten
sich und er sank mit einem heftigen Japsen zu Boden - all seine Kraft entwich
ihm.
"Nein, nein,
nein", hörte er seine eigene Stimme wie aus einer weiten Entfernung und
mit dem Teil seines Gehirns, das noch nicht ausgeschaltet war, griff er
abermals zum Telefon. Er wusste, dass er Hilfe brauchte. Er musste den Mann
anrufen, der zu seinem Lebensretter geworden war.
Skinner meldete sich ein
wenig gereizt am Telefon, denn er war nie bester Laune, wenn er gerade geweckt
wurde. Im ersten Moment dachte Mulder, er hätte es lieber bleiben lassen, doch
er konnte nicht mehr zurück. Skinner würde am Display erkennen, wer angerufen
hatte.
"Mulder?" fragte
Skinner als nur Stille in der Leitung war. "Mulder, sind Sie das? Ist
alles in Ordnung?"
"Scully",
brachte Mulder hervor, und mühte sich ab, ausreichend zu atmen.
"Was ist mit
Scully?" fragte Skinner milder. Er machte sich Sorgen um Dana, aber jetzt
musste er erst mal Mulder beruhigen, bevor er etwas tat, was ihm schaden würde.
"Sie ist
verletzt."
Skinner konnte Mulders
schweren Atem durch die Leitung hören. "Wie schwer verletzt?" fragte
er, als er sich aufsetzte und das Licht anknipste. Es stand jetzt schon fest,
dass er diese Nacht keinen Schlaf mehr bekommen würde.
"Ich... ich weiß es
nicht... ihre Mutter hat angerufen..."
"Ganz ruhig, Mulder.
Ist Scully im Krankenhaus?"
Noch mehr schweres Atmen.
"Ja."
Skinner war schon auf dem
Weg ins Badezimmer und sammelte unterwegs seine Sachen auf. "Dann legen
Sie jetzt auf, ziehen sich an und warten auf mich. Ich werde in zwanzig Minuten
da sein, um Sie abzuholen, und dann fahren wir zusammen da hin. Fahren Sie bloß
nicht in dieser Verfassung. Haben Sie verstanden, Mulder?"
Einen langen Moment
herrschte Stille in der Leitung, dann ein schwaches, "Ja, Sir."
"In Ordnung. Ziehen
Sie sich jetzt an. Ich werde gleich da sein."
Skinner warf sich in
frische Klamotten und hetzte zur Tür mit der Befürchtung, Mulder könnte seine
Anordnungen missachten und doch alleine ins Krankenhaus fahren. Das letzte, was
er jetzt brauchte, war ein fast hysterischer Mulder hinterm Steuer.
Zu seiner Erleichterung
fand er Mulder vor wie er ruhig auf ihn wartete, komplett angezogen und seine
Panik für den Moment offensichtlich unter Kontrolle. Skinner schob Mulder zu
seinem Wagen und fuhr, nachdem er sich nach dem Krankenhaus erkundigt hatte,
still los. Er würde wohl bessere Informationen Maggie Scully als von Mulder
bekommen. Das blasse, finster drein blickende Gesicht des Mannes neben ihm auf
dem Beifahrersitz verbat jegliche Konversation.
Als sie am Krankenhaus
ankamen, wurden sie rasch zu Scullys Zimmer durchgewiesen. Sie waren gerade im
Korridor, als ihnen ihre Mutter entgegen kam. Sie
beendete gerade ein Gespräch mit einem der Ärzte, als sie die beiden Männer
sah, und ihr erleichtertes Lächeln gab Skinner Hoffnung, dass Scully nicht
allzu schlimm verletzt war.
"Wie
geht es ihr?" fragte Mulder eilig, den Blick schon auf das Krankenzimmer
nebenan gerichtet.
"Sie
wird es überstehen, Fox. Er hat es nicht geschafft, sie schwer zu verletzen,
vielleicht weil er betrunken war. Ich glaube, er hat nicht richtig zielen
können", sagte sie bitter.
"Kann ich sie
sehen?"
"Sie schläft, aber
Sie können hineingehen, wenn Sie möchten." Er eilte auf die Tür zu, auf
die sie zeigte. "Fox!" rief sie ihm hinterher, als ich plötzlich
etwas einfiel.
Mulder drehte sich um,
seine Hand schon auf dem Türgriff.
"Sie sieht schlimm
aus. Viel schlimmer als es eigentlich ist."
Er nickte und betrat das
Zimmer. Zuerst konnte er die Gestalt im Bett gar nicht ansehen. Seine Ohren
vernahmen das leise Piepen der Instrumente, eines für die Zufuhr von
Medikamenten, und ein Tropf. Ein Katheder hing am Bett und Mulders Magen zog
sich zusammen, als er den Hauch von Rot in ihrem Urin sah. Das Arschloch hat
auch ihre Nieren erwischt.
Dann nahm er sich zusammen
und hob seinen Blick langsam, an der herunterhängenden Bettdecke hoch, über die
erhöhte Bettkante bis hin zu dem, was ihr Gesicht sein sollte. Es war mit
Verbänden halb verdeckt, nur ein paar wenige Haarsträhnen lugten unter dem Weiß
hervor. Ein Auge war völlig verbunden. Ihr Arm, der auf ihrer Brust lag, war
übersäht von Fingerabdrücken, die Mulder nur zu gut kannte.
Instinktiv trat er
erschrocken einen Schritt zurück bei Scullys Anblick, so dass er mit dem Rücken
gegen die Wand prallte. Er hob die Hände vors Gesicht, um dem Anblick zu
entgehen und hörte sein Stöhnen, als ob es nicht sein eigenes wäre. Er wusste,
dass er die Kontrolle verlor, doch er konnte nicht dagegen ankämpfen. Langsam
sank er an der Wand zu Boden, als seine Knie nachgaben, und Tränen formten sich
in seinen verdeckten Augen.
Das war alles gar nicht
wirklich. Das konnte nicht passieren. Sie sollte doch eigentlich die Starke
sein, die Konstante - auch wenn er sie nicht haben konnte, wusste er doch mit
Sicherheit, dass es sie gab, dass sie da war, glücklich und lebendig. Die Frau,
die vor ihm lag und flach atmete, die Schönheit ihres Gesichtes durch Verbände
verunstaltet, konnte unmöglich seine Scully sein. Natürlich, ermahnte er sich,
war sie nicht mehr seine Scully. Wenn sie es wäre, läge sie jetzt nicht hier.
Er würde ihr nie weh tun, würde ihr nie Leid zufügen, auf welche Weise auch
immer, aber dieses Schwein...
Seine Faust ballte sich
und er wurde von einer Wut ergriffen, die er schon lange nicht mehr gespürt
hatte. Der Drang entstand in ihm, ein Menschenleben zu beenden, einfach weil
besagter Mensch es nicht wert war, auf der Welt zu sein. Für einen Moment
überlegte Mulder, wie gut es tun würde, seine Pistole an Zachary Morrows
Schläfe zu legen und abzudrücken. Im nächsten Augenblick merkte er, wie Skinner
seine Hände von seinem Gesicht zog und ihn völlig entgeistert
anstarrte. Hatte er ernsthaft überlegt...? Nein, Mulder wusste natürlich, dass
es außer Frage stand, Morrow nachzustellen und ihn umzubringen, ganz egal wie
befriedigend es im Augenblick erschien. Nie im Leben würde er das Risiko
eingehen, wieder ins Gefängnis zu müssen.
"Mulder, sind Sie in
Ordnung?" fragte Skinner besorgt und half seinem Freund auf die Beine.
"Kommen Sie her und setzten Sie sich."
Mulder ließ sich von
Skinner auf die andere Seite des Bettes führen und auf einen Stuhl platzieren.
Mrs. Scully erschien neben ihm mit einem Glas Wasser, das er mit einem
gemurmelten "Danke" annahm. Mulder brauchte einen Moment, um sich
wieder zu fassen und ließ dann seinen Blick wieder zu Scully wandern.
Von dieser Seite aus
gesehen sah sie nicht so schlimm aus. Sie hatte blasse Quetschungen auf den
Teilen ihres Gesichtes, die sichtbar waren, doch im Großen und Ganzen sah es normal
aus. Ihre Hand, die an ihrer Seite lag, war ebenfalls unverletzt, und Mulder
streckte langsam seine Hand aus, um seine Finger mit ihren zu verschränken.
"Scully",
murmelte er und beugte sich vor, um ihr leises Atmen vernehmen zu können. Das
stetige Heben und Senken ihrer Brust beruhigte ihn. Schließlich wandte er sich
zu Maggie und fragte, "Wie schlimm ist sie verletzt?"
Maggie erklärte ihm ihren
Zustand, und keine der Verletzungen war wirklich schwerwiegend, so dass seine
Anspannung langsam zu verfliegen begann.
"Sie wird Ihre Kraft
brauchen, Fox", sagte sie zu ihm und tätschelte ihn an der Schulter.
"Sie hat Sie immer schon gebraucht."
Einen Moment lang starrte
er sie nur an, schluckte und blickte dann wieder auf die kleine Gestalt seiner
ehemaligen Partnerin. Er sollte stark sein?
Wie? Er hatte keine Kraft mehr übrig. Scully war immer diejenige
gewesen, auf die er sich stützen konnte in harten Zeiten. Sie war eine Quelle
der Kraft gewesen, wenn er drauf und dran war aufzugeben und sich hängen zu lassen,
und ihre Entschlossenheit hatte ihn über mehr als nur einen schweren Weg
geleitet.
Er bemerkte kaum, dass
Skinner und Mrs. Scully den Raum verließen, so sehr war er in seinen Gedanken
versunken. Wenn ich es ihr nur gesagt hätte, schalt er sich immer und immer
wieder. Wenn ich ihr nur gesagt hätte, was ich an dem Tag im Gefängnis fühlte,
anstatt sie abzuweisen, würde sie jetzt nicht hier liegen. Sie hätte gewartet,
wenn ich ihr etwas gegeben hätte, worauf sie hätte warten können. Doch ich habe
sie geradewegs in die Arme eines anderen Mannes getrieben - eines Mannes, der
ihr weh getan hatte. Wenn ich sie nur nicht angelogen hätte.
Mulder hielt ein
Schluchzen zurück, das in ihm hochkam. Seine Schuld. Es war seine Schuld, er
war nicht ehrlich zu ihr gewesen, auch nicht zu sich selber. Scully war eine
erwachsene Frau, sie konnte selbst entscheiden, wie sie ihr Leben leben wollte. Doch er hatte ihr dieses Recht genommen. Er
hatte die Entscheidung für sie beide getroffen, und es war die falsche
Entscheidung gewesen. In einem Versuch, sich seiner Schuld zu entledigen, hatte
er sie beiden an diesen Punkt gebracht - Scully war mit einem Mann verheiratet,
den sie nicht liebte, ein Mann, der ihr so weh getan hatte, während sein
eigenes Leben so verloren war wie ein frei treibendes Boot auf hoher See.
Keine Lügen mehr,
beschloss er. Nie mehr. Von jetzt an werde ich zu ihr und zu mir ehrlich sein.
Ich werde ihr sagen, was ich empfinde, sogar wenn es bedeutet, etwas von meiner
Würde zu verlieren. Sie fühlt vielleicht nicht genauso, aber ich würde sie
wenigstens mit Ehrlichkeit verlieren und nicht mit einer Lüge.
Mit diesem Entschluss
legte Mulder seinen Kopf auf ihr Bett, neben ihre verschlungenen Hände, und
fiel schließlich in einen ruhelosen Schlaf.
"Scully?"
Die Stimme drang durch
einen blauen Schleier zu ihr durch, als sie sich bemühte, sie zu
identifizieren. Sie strengte sich an und schaffte es zumindest ein Auge zu
öffnen. Das andere war verbunden. Sie brauchte einen Moment, um das zu
realisieren. Als ihr Blick schließlich klar wurde, sah Scully auch den Urheber
der Stimme.
"Mulder?"
murmelte sie schwach.
Sanft strich er eine
Haarsträhne aus ihrem Gesicht, die auf ihre Stirn gefallen war und lächelte.
"Willkommen zurück."
"Wie... wie bin ich
hierher gekommen?" fragte sie und ihr nicht verbundenes Auge sah sich im
Raum um.
Sein Lächeln verschwand.
"Einer der Nachbarn hatte das Theater gehört und die Polizei
informiert", erklärte er ihr mit ernstem Ausdruck. "Gerade noch
rechtzeitig, oder das Schwein hätte dich glatt umgebracht."
Sie schloss ihr Auge, als
ob sie die Erinnerung abblocken wollte. Sie schluckte und einen Moment später
drückte Mulder ihr ein paar Eisstücke an ihre Lippen. Dankbar nahm sie das
Angebot an und trank langsam, als das Eis schmolz. Als ihre Kehle nicht mehr so
trocken war, konnte sie besser sprechen.
"Zach?"
"Im Knast",
sagte Mulder geradeheraus. "Wo er hingehört."
"Mulder, er hat
versucht..."
"Er hat versucht,
dich umzubringen, Scully."
Sie schüttelte frustriert
den Kopf. "Er hat versucht, *dich* umzubringen, Mulder. Er ists gewesen."
Mulders Augen wurden weit,
als er den Zusammenhang erkannte. "Der Fahrer, der mich angefahren
hat?"
Sie nickte.
"Bist du sicher,
Scully?"
Ihr Mund verzog sich zu
einem grimmigen Lächeln. "Ich kann es nicht beweisen, aber ich hatte schon
vorher einen Verdacht. Ich habe mir seinen Truck angesehen, aber..."
"Der Truck ist so
groß, dass meine dürre Gestalt keinen Kratzer hinterließ", endete er
trocken für sie.
"Da war ein
Kratzer", sagte sie und lächelte jetzt wirklich, als sie seine Reaktion
sah. "Ein sehr kleiner allerdings. Ich konnte ihm nichts beweisen, ich
kann es immer noch nicht. Aber ich weiß es, Mulder."
Er nickte. "Du hast
vielleicht Recht", stimmte er zu. "Aber was hat dich dazu gebracht,
ihn zu verdächtigen?"
Sie wartete einen
Augenblick und sammelte ihre Kräfte und ihre Gedanken. Das Gespräch war sehr ermüdend für sie, aber
es war das erste Mal seit Jahren, dass Mulder mit ihr redete wie mit einem
Menschen, und sie wollte das Gespräch noch nicht beenden. Er schien ganz wie
der alte Mulder, der Mulder, den sie vermisste. Der, den sie liebte.
"Sein Truck",
erklärte sie leise, "ein großer roter Truck, genauso wie die Zeugin es
beschrieb. Und er war wütend, weil er das Geld nicht bekommt."
Er hob die Augenbrauen.
"Mein Geld?"
"Bill hat ihm davon
erzählt. Aber es gab keine Beweise, und ich.... wollte
nicht wahrhaben, dass er zu so etwas fähig ist."
"Und dennoch war er
dazu fähig", sagte er und wies auf ihre Wunden und Prellungen.
Sie regte sich
unbehaglich. "Ich weiß, was du denkst, Mulder, aber du liegst falsch. Er
hatte mich noch nie geschlagen."
Es war klar, dass er ihr
das nicht abnahm. "Komm schon, Scully, so ein Verhalten entsteht nicht
über Nacht. Es muss doch vorher schon Anzeichen dafür gegeben haben. Ich habe
schon vorher blaue Flecken an dir gesehen."
"Aber die waren
woanders her." Sie sah den Ausdruck auf Mulders Gesicht und es war ihr auf
einmal sehr wichtig, ihn zu überzeugen, dass sie ihm die Wahrheit sagte.
"Er hat mich ein paar Mal etwas hart angefasst", gab sie zu,
"gewöhnlich wenn wir uns gestritten haben. Aber Mulder, ich schwöre, dass
er noch nie die Hand gegen mich erhoben und mir weh getan hat. Da ist alles in
der Hitze der Situation passiert. Zach vergisst eben manchmal seine eigene
Kraft, wenn er sich aufregt. Und hinterher hat es ihm immer leidgetan."
Sie bestand auf diese Tatsache, und ihr Blick wanderte zum Fernseher, zum
Fenster, zur kahlen Wand... alles war besser, als ihn anzusehen und ihn ihre
Enttäuschung sehen zu lassen.
Er streckte seine Hand aus
und wischte eine Träne von ihrer Wange, die ihr entkommen war. Entschlossen
kämpfte sie gegen die an, die folgen wollten.
Mulder setzte sich auf seinem Stuhl zurück, als ob er merken würde, dass
das Thema langsam unerträglich wurde. Letztendlich richtete sie ihren Blick
doch auf ihn, schniefend.
"Und, warum bist du
hier?" fragte sie und die Sanftheit ihrer Stimme beschwichtigte ihre
Worte.
Ein kleines Lächeln.
"Weil ich hier sein wollte. Weil ich hier sein musste. Weil ich
beschlossen habe, nicht mehr zu lügen."
Sie regte sich wieder, um
sich einen besseren Blickwinkel zu verschaffen, und zuckte, als der Schmerz
scharf durch ihre Rippen schoss. "Lügen?" fragte sie.
Er spitzte die Lippen für
einen Moment, als ob er intensiv nachdenken würde, und fixierte sie dann mit
festem Blick. "Uns beide anzulügen. Ich weiß, ich habe mal gesagt, dass
ich dich nie wiedersehen will, aber es war eine Lüge, Scully. Ich wollte dich
sehen, weil ich... weil ich dich immer noch liebe", endete er eilig.
"Oh, Mulder...."
"Ich weiß, du
empfindest nicht genauso", fuhr er fort und hielt eine Hand hoch, um ihre
Worte aufzuhalten, "und ich möchte, dass du weißt, dass das okay für mich
ist. Es ist natürlich nicht das, was ich will, aber ich kann es verstehen. Du
hast einen Ehemann..."
"Nicht mehr
lange", warf sie bitter ein.
Das ließ ihn innehalten.
"Du wirst ihn anzeigen?" fragte er und sein Magen zog sich vor
Hoffnung zusammen.
"Mulder, ich habe dir
gesagt, dass ich ihn nicht so liebe wie... naja, wie
ich sollte. Durch diese ganze Geschichte ist mir klar geworden, dass es ein
großer Fehler war. Ich hätte stärker sein sollen, als ich schwach war."
Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. "Ich hätte auf dich warten
sollen."
"Oh, Scully, ich
hätte dich lassen sollen", flüsterte er, senkte den Kopf auf seinen Arm
und lehnte sich etwas weiter vor auf dem Bett. Vorsichtig streckte sie ihre
Hand aus, um ihm über das Haar zu streicheln. Nach einem Moment wandte er sein
Gesicht dem ihren zu, und sie sah Gott sei Dank keine Tränen.
"Weißt du, irgendwie
ist es lustig", bemerkte er, während ihre Finger sein Gesicht entlang
strichen und sie ihre Hand dann aufs Bett fallen ließ.
"Was ist
lustig?"
"Trotz allem, was
'Die' uns angetan haben, das Schlimmste haben wir uns selbst angetan."
Sie lächelte traurig.
"Willst du damit sagen, dass wir es zulassen, dass die gewinnen?"
"Sie müssen nicht
gewinnen, Scully. Das Ergebnis hängt auch von uns selbst ab. Das Spiel wird
nicht vorbei sein, ehe wir nicht aufhören zu spielen. Oder erst, wenn wir tot sind.
'Egal wie die Winde wehen
Oder wie die Wellen uns
erreichen
Wir werden unsere Reise
fortführen
Und das entfernteste
Ufer erreichen
Bevor das Zwielicht fällt...
'"
Nun füllten sich ihre
Augen doch mit Tränen. "Das ist wunderschön, Mulder. Wo ist das her?"
Überrascht sah er sie an.
"Ich weiß nicht mehr."
Sie lachte durch ihre
Tränen, weil er so verwundert drein schaute. Mulder konnte sich natürlich nicht
immer an alles erinnern, aber er hatte gewöhnlich einen Anhaltspunkt. Und es
war völlig untypisch für ihn, dass er sich absolut nicht mehr daran erinnerte.
Offensichtlich überraschte diese Tatsache sogar ihn selbst.
"Habe ich in der High-School mal gelernt, glaube ich", sagte er
locker. "Der Punkt ist, wir sind nur
dann besiegt, wenn wir uns für besiegt erklären."
"Du meinst, wenn wir
das Handtuch werfen?" fragte sie amüsiert.
Er grinste. "Das hat
bis jetzt niemand von mir verlangt, obwohl ich das ein oder andere Mal nahe
dran war", erwiderte er fröhlicher. "Lass uns das Spiel also
weiterspielen, Scully. Lass uns weiterspielen, bis wir gewinnen."
"Oder bis wir
sterben."
Er nickte.
"Tja, Mulder, so
lange du nicht vor hast, wieder Regierungsgeheimnisse aufzudecken und das Paranormale zu erforschen, gibt es für niemanden einen
Grund, uns aus dem Weg räumen zu wollen."
"Ausgenommen
Zach."
"Der ist im
Gefängnis. Und ich *werde* ihn anzeigen." Wieder musste sie ihre Position
verändern, dieses Mal etwas vorsichtiger. "Willst du wieder
Regierungsgeheimnisse aufdecken und das Paranormale
erforschen?"
Er faltete seine Hände
zusammen, stützte sein Kinn darauf und blickte ins Leere. "Nicht in
nächster Zeit. Genaugenommen habe ich momentan überhaupt keine Pläne. Ich.... treibe momentan irgendwie. Ich habe allerdings ein Haus
gekauft, also brauche ich Skinner nicht mehr auf der Tasche liegen -
sozusagen."
Sie ignorierte seinen
Versuch, das Thema zu wechseln. "Wie lange hast du vor, dich treiben zu
lassen?"
Er setzte sich auf seinem
Stuhl zurück und biss sich auf die Lippe. Sie konnte ihm ansehen, dass er einen
innerlichen Kampf führte gegen seine 'Keine Lügen mehr' Politik. Schließlich
sprach er weiter, und am Klang seiner Stimme konnte sie erkennen, dass er die
Wahrheit sagte.
"Ich habe mich nie
für einen Feigling gehalten, Scully, aber jetzt glaube ich, dass ich einer
bin."
"Warum das?"
fragte sie und griff nach seiner Hand. Sie spürte, dass das Gespräch ihm nicht
leicht fiel, aber es war an der Zeit, endlich die Hindernisse zwischen ihnen
beiden wegzuräumen. Höchste Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Beziehung zu
beginnen, wie auch immer diese Beziehung aussehen mochte.
"Kannst du dich noch
an all die Male erinnern, wo ich gesagt habe, dass ich mich nicht vor ihnen
fürchte?" Sie neigte ihren Kopf in Bestätigung. "Doch jetzt habe ich Angst
vor ihnen. Ich habe Angst, weil ich weiß, zu was sie fähig sind - und was sie
nicht tun werden. Ich hatte immer angenommen, dass sie mich, sobald ich eine zu
große Last würde, einfach umlegen würden, aber jetzt... jetzt weiß ich, dass
sie das nicht tun werden. Sie schicken mich stattdessen in die Hölle."
"Du glaubst, dass sie
versuchen werden, dich wieder dorthin zu schicken?"
Langsam schüttelte er den
Kopf. "Ich weiß nicht. Ich will es auch nicht herausfinden. Ich *werde* es
nicht herausfinden. Dessen bin ich mir sicher.
Ich werde mich umbringen, bevor ich jemals wieder ins Gefängnis
gehe." Seine Worte waren vehementer als er es beabsichtigt hatte, und
Scully lief es kalt den Rücken herunter. Er meinte wirklich was er sagte.
"Und was ist mit
Samantha? Was ist mit deinem Vater? Melissa? Was mir passiert ist, was dir
passiert ist? Gibst du das alles etwa auf?" In ihrer Stimme lag kein
Ärger, lediglich eine Frage, aber es erschreckte sie, dass Mulder womöglich
seine Leidenschaft für die Suche verloren hatte.
"Melissa ist tot, und
mein Vater auch. Keine Wahrheit, keine Antworten werden sie je zurück bringen.
Und was Samantha betrifft.... wie viele Jahre habe ich
Antworten gesucht und keine gefunden? Ich habe so viele widersprüchliche
Geschichten über meine Schwester gehört, dass ich nicht mehr weiß, wem oder was
ich glauben kann."
"Also hast du
beschlossen, an nichts mehr zu glauben?"
Er seufzte. "Im
Augenblick ist das alles, was ich tun kann, um den Glauben an mich
wiederzufinden."
Sie hätte vielleicht mehr
gesagt, doch die Tür zu ihrem Zimmer öffnete sich im nächsten Moment und Maggie
Scully kam herein.
"Mom."
"Dana, du bist wach!
Fox, warum haben Sie mich nicht gerufen?" fragte sie vorwurfsvoll, aber
ihre Augen lachten Mulder an.
"Ich... wir haben
geredet", stammelte Mulder. Er konnte immer noch nicht locker mit der
Gesellschaft von Scullys Mutter umgehen. Er wusste noch nicht, ob Scully von
ihrem Besuch bei ihm wusste, als er einen Monat zuvor im Krankenhaus lag, oder
von den zahlreichen ermunternden Anrufen, die er seither von Maggie bekommen
hatte. An manchen Tagen waren sie das einzige gewesen, das ihn aufrecht
erhalten hatte. Mulder wusste, dass er ohne ihre Ermutigung oder die der Jungs
und vor allem Skinners, heute ohne Zweifel ein Fall für die Psychiatrie wäre.
Maggie lächelte nun breit
und nahm auf dem Stuhl neben dem Bett ihrer Tochter Platz, den er für sie
freigegeben hatte. "Wie fühlst du dich, mein Schatz?" fragte sie
Dana.
"Dumm",
antwortete Dana geradeheraus.
"Oh, jetzt..."
"Nein, Mom, du hast
von Anfang an Recht gehabt."
"Nein." Sie
sprach das Wort abrupt. "Lob mich nicht zu viel, Dana. Wenn ich je geahnt
hätte, dass Zachary so etwas tun würde, hätte ich irgendwie einen Weg gefunden,
eure Hochzeit zu verhindern. Ich habe es auch nicht kommen sehen."
Scully versuchte Mulder
anzusehen und festzustellen, ob er darauf reagierte, doch sie konnte ihn nicht
sehen, ohne ihren Kopf zu drehen, was einfach zu weh tat.
"Er war all die Jahre
ein Freund deines Bruders gewesen", fuhr Mrs. Scully fort, "all die
Jahre war er in unserem Haus willkommen, und dann tut er so etwas meiner
Tochter an...."
"Mom, er war
betrunken, er war nicht er selbst...."
"Entschuldige dich
nicht für ihn, Scully!" befahl Mulder scharf aus der Ecke, in die er sich
zurück gezogen hatte. Er trat wieder in ihr Blickfeld, als er merkte, dass sie
ihn gar nicht sehen konnte. "Viele Leute betrinken sich hin und wieder.
Das ist aber kein Grund, seine Frau derartig zusammenzustauchen." Seine
Stimme barg keinerlei Vergebung, und Scully wusste, dass egal wie sehr sie sich
bemühte, sie Mulder nie dazu bringen würde, die Sache aus Zacharys Sicht zu
sehen. Nicht, dass Zach es nicht verdiente bestraft zu werden - oh und wie er
es verdiente! - und sie wollte auch sehen, dass es so geschah. Immerhin hatte
sie ihn geheiratet, obwohl sie einen anderen Mann liebte.
"Fox hat Recht, Dana.
Es gibt auf der ganzen Welt keine Entschuldigung dafür." Maggies
Gesichtszüge verhärteten sich, und Scully erinnerte sich mit einem Schlag an
die einzigen Male, an dem sie diesen Ausdruck bei ihrer Mutter gesehen hatte.
Als Melissa gestorben war. Als ihr Vater gestorben war. Es wurde ihr klar, wie
nahe dran sich Maggie geglaubt hatte, ihre einzige Tochter auch noch zu
verlieren.
"Ich weiß",
flüsterte Scully und schloss wieder ihr Auge. "Ich weiß, dass du Recht
hast. Ihr beide habt Recht. Mulder?" Sie suchte ihn wieder. "Könntest
du einen guten Scheidungsanwalt für mich besorgen? Ich möchte die Angelegenheit
sofort in die Wege leiten."
Er grinste, ein echtes
Mulder-Grinsen. Das erste, das sie seit - Gott, wie lange war es her? Jahre! -
sah. "Ich rufe Pamela gleich an und höre nach, wen sie empfiehlt",
sagte er und meinte damit seine eigene Anwältin.
Scully war Pamela Mondale
noch gut in Erinnerung. Sie war groß, ein wenig schwerer, aber mit einem so
fröhlichen Gesicht und Verhalten, dass ihr Hang zu Übergewicht kaum merklich
war. Sie hatte die einzigartige Fähigkeit, ihre Klienten sofort zu beruhigen,
erinnerte sich Scully. Jeder, der mit Mulders Fall zu tun hatte, wusste, dass Pamela
alles zu Mulders Verteidigung geben würde. Scully hatte keine Zweifel, dass sie
für Mulder in einem fairen Kampf einen Freispruch bekommen hätte.
"Ich sollte jetzt
gehen", sagte er und trat an ihr Bett, um ihr einen Kuss auf die Wange zu
geben. Sie genoss die sanfte Berührung seiner Lippen auf ihrer Haut. Das war
auch etwas, dass sie verloren hatten. Niemand hatte es ihnen genommen, sondern
sie selbst hatten es geopfert. Vielleicht konnten sie es wieder zurück
bekommen.
Er endete den Kuss und
wollte sich gerade wieder aufrichten, als sie ihre Hand ausstreckte, seinen
Nacken umfasste und ihn wieder zu sich zurück zog. Sie erwiderte den Kuss auf seine Wange und
flüsterte dann in sein Ohr, so leise, dass nur er es hören konnte, "Ich
glaube an dich, Mulder."
Er richtete sich auf und
wandte seinen Blick ab. Sie wusste, dass er es wegen den wallenden Emotionen
tat, die ihn durchfluteten. Sie hatte ihn fast zum Weinen gebracht. Das war gar
nicht ihre Absicht gewesen, aber es war ihr wichtig, dass Mulder wusste, dass
er sich auf ihren Glauben verlassen konnte, sogar wenn er sich nicht auf seinen
verlassen konnte. Genau wie in alten
Zeiten. Mit einem raschen Kuss auf Maggies Wange verließ Mulder den Raum ohne
sich umzusehen.
"Was zum Teufel
machen Sie da?"
Der ruppige Satz traf ihn
wie ein Ziegelstein, als er aus Scullys Krankenzimmer herauskam. Mulder hob
seinen Blick vom Boden und starrte geradewegs in das wütende Gesicht ihres
Bruders Bill. Er sah erschöpft und müde aus, und Mulder nahm an, dass er den ganzen
Weg von Norfolk bis hierhin durchgefahren war, als er die Meldung über seine
Schwester erhalten hatte.
"Keine Sorge, ich
gehe wieder", sagte er und wollte an Bill vorbei gehen. Er wollte sich nicht hier im Krankenhaus mit
ihm anlegen, und ganz sicher nicht vor Scullys Tür. Er war genervt, als Bill
sich ihm in den Weg stellte. "Verzeihung", sagte er ruhig, sah den
anderen unverwandt an und zwang sich nicht einzuknicken.
"Sie sind für all das
verantwortlich, wissen Sie das", informierte Bill ihn. "Wieder etwas,
dass Sie meiner Familie angetan haben."
Anstatt sich selbst zu
verteidigen, beschloss Mulder, Bill sich erst einmal beruhigen zu lassen. Er
wollte so oft wie möglich im Krankenhaus sein, während Scully sich erholte,
also musste sich ihr Bruder an seine Anwesenheit gewöhnen. Oder zumindest damit
leben.
"Der einzige Grund,
warum Zach trinkt, sind Sie!" zischte Bill. Er senkte seine Stimme, als er
bemerkte, wie eine Schwester ihn anstarrte. "Er hat das Bild gefunden, wo
ihr beide drauf seid. Es hat ihn so aufgeregt, dass er sich betrunken hat, und
er und Dana haben sich gefetzt—ebenfalls wegen Ihnen— und eins führte zum
anderen."
"Eins führte zum
anderen?" fragte Mulder verwundert durch Bills Fähigkeit, ihm für alles
auf der Welt die Schuld in die Schuhe schieben zu können. Für einen Moment
fragte er sich, wie Umweltverschmutzung und Hungersnöte auf der Welt seine
Schuld sein könnten. Er hatte keinen Zweifel, dass Bill weitschweifende
Erklärungen dafür finden würde es ihm aufzuladen, wenn er nur die Gelegenheit
bekommen würde.
"Ja. Und jetzt ist
Zachs Leben ruiniert, Danas Leben ist ruiniert, und alles wegen Ihnen."
"Und woher wollen Sie
das alles wissen?" verlangte Mulder.
"Weil ich gerade von Zach
komme. Er ist wirklich total fertig wegen all dem. Er fühlt sich schrecklich.
Ich kann nur hoffen, dass ich Dana überreden kann, nichts Unüberlegtes zu tun,
bevor Sie sie zu etwas bringen wollen."
Mulders Geduld war jetzt
langsam am Ende. Sein Gesicht verfinsterte sich und er trat einen Schritt näher
an Bill, der unbewusst einen Schritt zurück tat und jetzt zwischen der Wand und
seinem ärgsten Feind stand.
"Wollen Sie mir
sagen", begann Mulder verhängnisvoll, "dass nachdem Sie die halbe
Nacht von Norfolk hierher gefahren sind, weil Ihre Schwester im Krankenhaus
liegt, Sie zuerst zu dem Mann gegangen sind, wegen dem sie hier ist?"
"Ich wollte zuerst
seine Sicht der Dinge. Ich würde jeden Kerl umbringen wollen, der meiner
Schwester weh tut. Sie sollten das wissen!
Aber Zach und ich sind schon seit Ewigkeiten Freunde und er ist nicht
jemand, der..."
"Und wollen Sie mir
auch sagen, dass Sie versuchen werden, sie zu überreden, sich *nicht* von
diesem Schwein scheiden zu lassen?" Mulders Stimme blieb gefährlich leise,
aber er drückte sich noch ein Stück näher zu Bill, und mit Genugtuung bemerkte
er das sichtbare Unbehagen des anderen, je näher er rückte.
"Ich erwarte nicht
von Ihnen, unseren Glauben zu verstehen, Mulder, aber wir glauben fest an die
Unantastbarkeit der Ehe. Außerdem", beharrte Bill, "und sah auf einen
Punkt irgendwo über Mulders Schulter, "ist eine Scheidung keine Lösung.
Eheberatung..."
Mulder fuhr fort, als
hätte Bill überhaupt nichts gesagt. "Und was Zachs miese Laune
betrifft—Ihre Schwester steht gerade große Schmerzen durch wegen diesem Mann.
Sie hat überall Blutergüsse, ihr Gesicht ist in einem schlimmen Zustand, sie
hat eine angebrochene Rippe und alles wegen ihm. Ich bin so froh zu hören, dass
es ihm mies geht. Wollen Sie wissen, wie viele Medikamente Ihre Schwester
schlucken muss?"
Auf Bills Gesicht stand
der Ekel geschrieben. Er platzierte seine Hände auf Mulders Brust und stieß ihn
ein paar Schritte zurück. Er drehte sich weg und warf im Weitergehen über seine
Schulter, "Wenigstens weiß ich wo meine Schwester ist, Mulder. Ich habe
meine nicht verloren wie Sie."
Mulder hörte ein
entsetztes Einatmen an der Tür zu Scullys Zimmer, und beide Männer drehten sich
um, um Mrs. Scully dort stehen zu sehen, einen feindseligen Blick auf Bill
gerichtet. Er hatte den Anstand rot zu werden und wenigstens schuldbewusst
auszusehen. Sie zog sich wieder in das Krankenzimmer zurück und schloss die Tür
bestimmt hinter sich. Bill machte Anstalten ihr zu folgen.
Mulder fühlte, wie sein
Magen eine Etage tiefer rutschte, aber er hatte nicht vor, diesen Schweinehund
einfach so davonkommen zu lassen. Er packte Bill am Arm und schwang ihn herum.
"Wenn Sie jetzt da rein gehen und Dana ermutigen bei dem Mann zu bleiben,
der ihr das angetan hat, werden Sie womöglich bald selbst die Erfahrung machen
wie es ist, eine Schwester zu verlieren", warnte er.
Bill blickte herunter auf
Mulders Hand, schüttelte sie dann ab und betrat ohne ein weiteres Wort Scullys
Zimmer. Mulder lehnte sich gegen die Wand, kniff die Augen zusammen und ballte
die Fäuste, um gegen das Zittern anzukämpfen. Er konzentrierte sich auf seine
Atmung. Langsam und gleichmäßig, sagte er sich, langsam und gleichmäßig.
"Das ist das neue
Ich", murmelte er sarkastisch. Die mutige Wahrheit, die er Scully
gegenüber gezeigt hatte, und jetzt die Konfrontation mit Bill hatten ihn
emotional ausgelaugt. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er nur ein
Mal eine solche Bestimmtheit an den Tag legen müssen. Das war, als er Skinner
gesagt hatte er ziehe aus. Skinner war nicht gerade begeistert davon gewesen,
weil er der Meinung war, dass Mulder noch nicht selbständig genug war, aber
Mulder wollte es durchziehen. Letztendlich konnte er mit Mulder einen
Kompromiss schließen. Er würde ihn nicht vom Ausziehen abhalten, wenn er
versprechen würde, sich beraten zu lassen.
Er hatte ihm eine Visitenkarte in die Hand gedrückt—und Mulder hatte
viel später erkannt, dass Skinner sowieso vor hatte, ihn damit zu
konfrontieren—mit dem Namen der Therapeutin.
"Sie ist gut. Sie hat
schon viel mit ehemaligen Häftlingen gearbeitet. Und wie ich so höre, wird sie
Sie ernst nehmen", hatte Skinner mit einem Grinsen beigefügt. "Ich
würde es begrüßen, wenn sie mir den Gefallen tun würden."
Mulder hatte die Karte
gelesen. Er war gleichzeitig verärgert, da er annahm, dass Skinner voreilig
urteilte, war aber auch beeindruckt vor der Tiefe des Mitgefühls und
Verständnisses, das der Mann mit dem mürrischen Äußeren entfalten konnte.
Letztendlich hatte Mulder, um keinen Streit anzufangen und zu vermeiden, dass
sich einer seiner wenigen Freunde von ihm distanzierte, im Einverständnis
genickt. Mulder hatte sich am nächsten Tag nach einem Haus umgesehen, und
Skinner hatte ihn sehr unterstützt, als er ein passendes gefunden hatte. Es war
nicht weit von Skinners Wohnung gelegen, was den Assistant Director aufatmen
ließ. Er war sich sicher, dass Mulder künftig noch mehr Krisen durchzustehen
hatte, größere und kleinere, und er wollte nicht weit weg sein, wenn Mulder
Hilfe brauchte.
Ein Haus zu kaufen dauert
nicht sehr lange, wenn man bar bezahlte, stellte sich heraus, und innerhalb von
zwei Wochen war Mulder eingezogen, wenn nicht sogar eingelebt. Er hatte seitdem
aus den Umzugskisten gelebt, und räumte Sachen nur ein, wenn er Lust hatte. Am
allermeisten erfreute er sich an seiner Unabhängigkeit. Er mochte Skinner,
hatte seine Gesellschaft angenehm empfunden, aber er hasste das Gefühl, eine
Last zu sein. Es war schon schlimm genug, ihn hin und wieder für ein
aufmunterndes Gespräch anzurufen, und Mulder gratulierte sich dazu clever genug
zu sein, sparsam mit den Anrufen umzugehen. Er wusste, dass nach Jahren im
Gefängnis, er nicht alles auf einmal alleine schaffen konnte. Skinner hatte ihm
zu verstehen gegeben, dass wenn er ihn brauchte, aber nicht anrufen würde, es
ihm hinterher sehr leid tun würde. Obwohl er das scherzhaft gesagt hatte, hatte
Mulder den verborgenen Ernst darin herausgehört. Wenn er also Hilfe benötigte,
würde er ihn anrufen. Mulder wollte es sich mit Skinner nicht vermiesen.
Dana sah auf, als ihr
Bruder ihr Krankenzimmer betrat und lächelte so gut es mit den Verbänden ging.
"Bill", begrüßte
sie ihn und streckte ihre Hand nach ihm aus.
"Wie geht es dir,
Dana?" fragte er sanft und setzte sich neben ihr Bett.
"Wie es ihr geht?
Sieh sie doch an!" brauste ihre Mutter auf und drehte sich von dem Fenster
zurück, wo sie gestanden hatte. "Dein Freund hätte sie fast
umgebracht!"
"Mom...."
"Komm mir nicht mit
'Mom', Bill. Ich habe schon eine Tochter verloren, und ich habe nicht vor, noch
eine zu verlieren." Der Ärger in ihren nicht sehr lauten Worten ließ Bill
einen Schauer über den Rücken laufen.
"Melissas Tod war
nicht Zachs Schuld", argumentierte er.
Scully rollte das Auge,
das nicht verbunden war. "Fang jetzt nicht mit Mulder an, Bill",
warnte sie schwach. Die Aktivitäten des ganzen Morgens zehrten langsam an ihren
Kräften und ihr war klar, dass sie sich auf keinen Streit einlassen wollte.
Bill grinste und rieb sich
den Handrücken. "Ich bin nicht hier, um dir ein Problem zu machen,
Dana", sagte er ihr sanft. "Ich bin gekommen, um zu sehen, wie es dir
geht."
"Ich werds überleben", sagte sie trocken.
Er nickte. "Ich war
bei.... Zach", zögerte er.
Sie starrte ihn an.
"Du hast ihn besucht? Heute Morgen?"
"Ja, ich... weißt du,
ich wollte ihm nur eine Gelegenheit für eine Erklärung geben, Dana."
Sie rutschte ein wenig auf
ihrem Bett und er bemerkte das schmerzverzerrte Gesicht, als ihre Rippen ihr
einen Stich versetzten. "Da gibt es nichts zu erklären", sagte sie
kalt.
"Dana...."
"Nein, Bill. Er ist
durchgedreht und wie Mom sagte, er hätte mich umbringen können." Sie
starrte geradewegs auf die Wand, weigerte sich auch nur einen Blick in seine
Richtung zu werfen und ihr Gesicht sah fest entschlossen aus.
"Hat er jemals schon
so etwas gemacht?" bohrte er. Als sie nicht antwortete, fuhr er fort,
"Dana, du weißt, dass er dich liebt. Er hat halt... sein Temperament ist
eben mit ihm durchgegangen. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung", fügte
er rasch hinzu und hob die Hand, um ihre wütenden Argumente, die er kommen sah,
zurückzuweisen. "Es tut ihm Leid.
Verdammt, Dana, der Typ ist am Boden zerstört. Er ekelt sich so sehr vor
sich selbst, und er hat eine Scheißangst.... dich zu
verlieren."
"Er wird mich
verlieren", sagte sie bestimmt mit stählernem Blick. "Er hat mich
bereits verloren. Es ist alles nur eine Frage von Formalitäten."
Er schüttelte den Kopf,
schon bevor sie geendet hatte. "Tu das nicht, Dana. Triff keine
überstürzten Entscheidungen..."
Jetzt hatte Maggie Scully
genug. "Wie kannst du so etwas nur sagen?" verlangte sie von ihrem
Sohn. "Wie kannst du deine Schwester ansehen, wie sie in einem
Krankenhausbett liegt und ihr sagen, dass der Mann, der ihr das angetan hat,
sie liebt?" Sie umfasste die Umrandung des Bettes so fest, dass ihre
Knöchel weiß hervortraten. "Er hat sie nie geliebt, nicht wirklich. Er hat
bloß an das Geld gedacht, dass sie vielleicht erben würde."
Bill schaffte es,
geschockt auszusehen. "Mom, das ist nicht wahr!" protestierte er.
"Doch, das ist es,
und du weißt es", bestand Maggie darauf. "Bill, du bist nicht so
blind."
"Trotzdem, eine
Scheidung ist keine Lösung", sagte er stur nach einem Augenblick
schockierender Stille. "Sie sollte mit Father McCue reden..."
"Wirst du jetzt
endlich aufhören?!" fuhr Scully ihn an, sammelte all ihre Kraft in ihrer
Stimme. "Das ist ganz allein meine Entscheidung, und *niemand* hat da
etwas zu sagen außer mir."
Bill drehte sich zu ihr
und sah sie finster an. "Und was ist mit Mulder?" fragte er wütend.
"Du hörst auf ihn und ignorierst deine eigene Familie!"
Sie starrte ihn nieder,
bis er seinen Blick senkte und die Decke ansah, unter der sie lag.
"Bill, ich weiß, du
meinst es nur gut", sagte sie bestimmt. "Ihr beide meint es nur gut,
aber ich bin bei weitem alt genug, als dass mir jemand sagen müsste, was ich
tun soll. Ich werde nicht weiter mit einem Mann verheiratet sein, der versucht
hat mich umzubringen, und ich glaube nicht, dass Gott will, dass ich das
tue."
"Was ist mit
Emmie?" fragte ihre Mutter gespannt. "Wenn Zach im Gefängnis ist, wer
kümmert sich dann um sie?"
"Sie kann womöglich
bei Zachs Eltern wohnen, bis ich aus dem Krankenhaus entlassen werde", gab
Dana zurück. "Dann kann sie bei mir bleiben. Es sei denn, das Gericht
verbietet es aus irgendeinem Grund."
"Wenn die Scheidung
endgültig ist, ist nicht garantiert, dass du das Sorgerecht bekommst",
erinnerte Bill sie. "Wenn du dich von Zach trennst..."
"Ich verklage ihn,
Bill, das ist endgültig. Versuch nicht, mich davon abzubringen."
"Ich meine nur, dass
du an das Kind denken solltest."
Er nahm ihre Hand, was sie
zuließ. Sie erwiderte seinen Händedruck nicht, zog ihre Hand aber auch nicht
weg. "Was glaubst du soll ich tun, Bill?" fragte sie letztendlich.
"Sag's mir genau."
"Ich glaube, du
solltest ihm vergeben", erwiderte Bill prompt. "Ich denke, du
solltest zur Eheberatung gehen... nein, Dana, hör mir zu", überrumpelte er
sie, als sie versuchte, ihn zu unterbrachen. "Ihr zwei könnt es schaffen,
das weiß ich. Du hast selbst gesagt, dass er nie zuvor die Hand gegen dich
erhoben hat, was lässt dich annehmen, dass er es wieder tun wird?"
"Warum sollte ich ihm
noch eine Gelegenheit dazu geben?" fragte sie. "Was wird er mir das
nächste Mal antun, wenn er sich betrinkt und wütend wird?"
"Er wird sich nicht
wieder betrinken. Er hat mir versprochen, dass er zu den Anonymen Alkoholikern
geht. Und was das wütend werden betrifft.... wenn du all die Bilder mit Mulder
wegschmeißt, und diesen Kerl für immer aus deinem Leben streichst, wird er
keinen Grund mehr haben, wegen irgendetwas sauer zu sein."
"Er hat ein Bild
gefunden", sagte sie mit ruhiger, stechender Stimme. "Er hat in
meinen persönlichen Sachen herumgeschnüffelt und hat ein Bild von mir und einem
Mann gefunden, mit dem ich viele Jahre lang eng zusammen gearbeitet habe. Wenn
das alles ist, um ihn auf 180 zu bringen...."
"Schluss jetzt!"
unterbrach Mrs. Scully. "Bill, du regst sie nur zunehmend auf. Dana ist
alt genug, um selbst zu entscheiden."
Bill stand abrupt auf und
beugte sich dann herunter, um seiner Schwester einen Kuss auf die Wange zu
geben. "Ich hoffe du weißt, dass ich dich liebe, Dana", sagte er ihr
leise. "Ich würde dich nie zu etwas drängen, von dem ich denke, dass es
schlecht für dich wäre."
Sie seufzte. "Das
weiß ich, Bill, aber ich glaube nicht, dass du meine Situation vollkommen
verstehst."
Er schüttelte den Kopf,
verließ das Zimmer und Scully fühlte sich plötzlich zurückversetzt an einen
anderen Tag, in eine andere Zeit, als sie in einem Krankenhausbett gelegen und
fast dasselbe Gespräch mit Bill geführt hatte.
Er war auch damals nicht offen für ihre Beweggründe gewesen, hatte sich
schon mit dem Tod seiner Schwester abgefunden. Er hatte sich dem Vorschlag
Mulders, Scully mit seiner Idee heilen zu wollen, widersetzt, weil es etwas
war, das weder ihm noch dem Arzt je zuvor untergekommen war. Ihr Bruder und
Mulder waren verschieden wie Tag und Nacht—einer war immer bereit alles zu
glauben, und einer war immer sicher, alle Antworten schon zu haben.
Sie sah herüber zu ihrer
Mutter. "Mom, was denkst du, was ich tun soll?" fragte sie und fragte
sich, welche Antwort die treu religiöse Maggie Scully wohl geben würde.
Mrs. Scully zog ihren
Stuhl näher heran und nahm die Hand ihrer Tochter fest in ihre. "Ich
denke, du solltest die Entscheidung treffen, die richtig für dich ist",
sagte sie lediglich. "Dein Bruder wird es wohl nicht unterstützen, aber
Dana, niemand muss damit leben können außer dir. Vertraue Gott, mein Schatz. Er versteht viel
mehr, als wir ihm zutrauen, dessen bin ich mir sicher."
Dana lächelte durch ihre
Tränen, die plötzlich ihre Augen überfluteten, und ihre Mutter trocknete sie
sanft. "Ganz egal, wie du dich entscheidest, ich werde immer für dich da
sein, meine Kleine", sagte sie.
Scully klammerte sich
blind an die Hand ihrer Mutter. "Ich weiß, Mom. Ich habe es immer gewusst.
Selbst als wir unsere Meinungsverschiedenheiten hatten."
Das Klopfen an der Tür
riss die beiden aus ihrem innigen Moment. Maggie lächelte, als sie Mulders Kopf
hinter der Tür auftauchen sah.
"Wenn ich ungelegen komme...." begann er zögernd, aber sie
winkte ihn hinein.
"Kommen Sie herein,
Fox. Ich muss sowieso etwas Luft schnappen gehen, und es geht mir besser, wenn
Sie hier bei ihr sind."
"Sicher, Mrs. Scully.
Mit Vergnügen", freute er sich und setzte sich auf den Stuhl, den sie frei
gab. Er sah ihr nach, als sie das Zimmer verließ und die Tür hinter sich
schloss.
"Und? Hast du dir mit
Bill draußen im Gang den Kampf deines Lebens geliefert?" fragte Scully mit
einem Anflug eines vielsagenden Lächelns.
Er lachte kurz.
"Nicht ganz, aber wir waren nahe dran." Er beugte sich etwas nach
vorne. "Ich habe gerade Pamela angerufen. Sie schickt einen ihrer
Anwaltskollegen heute Nachmittag her, um mit dir zu reden. Scully, du solltest
eine einstweilige Verfügung in Betracht ziehen."
Sie runzelte die Stirn.
"Warum das, Mulder? Ich werde Zach verklagen, er geht ins Gefängnis."
"Bill ist gerade auf
dem Weg, um die Kaution zu stellen."
"Was?! Hat er dir das
gesagt?"
Mulder schüttelte den
Kopf. "Nein, aber dessen bin ich mir sicher. Und ich glaube, dass du die
erste bist, mir der Zach reden will, sobald er frei ist."
Nachdenklich schürzte sie
die Lippen und sah ihn an. "Was glaubst du wird passieren, Mulder? Du hast
offensichtlich darüber nachgedacht."
Er setzte sich auf dem
Stuhl zurück und kreuzte die Beine. "Ich glaube, dass er herkommen und
versuchen wird dich zu überzeugen wie leid es ihm tut. Ich glaube, er wird dir
alles versprechen, das du hören willst, damit Du Dich nicht scheiden
lässt."
"Warum?" fragte
sie. "Er liebt mich nicht, nicht wirklich. Warum würde er so fest
entschlossen sein wollen, mit mir verheiratet zu bleiben?"
Er lächelte. "Ganz
einfach. Weil du immer noch als meine Erbin eingetragen bist. Ich habe den
Eindruck, dass Bill ihm davon erzählt hat."
Sie sah ihn mit offenem
Mund an. "Immer noch?"
Er zuckte die Schultern.
"Es gibt niemand anderen, dem ich das verdammte Geld überlassen würde,
Scully." Er grinste. "Nach all dem, was du mit mir durchgestanden
hast, und nach allem, was du für mich riskiert hast, verdienst du es."
"Mulder, du musst das
ändern", drängte sie ihn. "Ändere es und lass es die Leute auch
wissen, dass du es geändert hast. Sonst wirst du immer in Gefahr sein."
"Nicht, wenn er im
Gefängnis ist. Du sorgst dafür, dass er da landet, und bis dahin werde ich
aufpassen."
Sie schüttelte
nachdenklich den Kopf. "Nein", sagte sie langsam, "ich denke,
dass das tiefer gehen kann, als wir denken."
Er merkte, wie sich sein
Magen wieder zusammenzog. "Was meinst du damit?" fragte er und
versuchte seinen Tonfall neutral zu halten.
"Ich erinnere mich da
an etwas, das Emmie mal gesagt hat..." Scullys Augenbrauen zogen sich
zusammen, als sie angestrengt nachdachte, was ihre Stieftochter mal
ausgeplaudert hatte. "Eine Zeit lang hat sie einen Lieblingssatz gehabt.
Ich weiß es noch, weil es mich sehr geärgert hat. 'Sein Arsch ist so gut wie tot'."
Mulder lachte. Er war
überrascht, dass ihn etwas in einer Situation wie dieser amüsieren konnte.
Scully sah ihn gespielt
verärgert an. "Du hast gut lachen, Mulder. Du bist noch nie mitten im
Supermarkt von einer Vierjährigen blamiert worden!"
"Okay", grinste
er, "aber was hat das mit Zach zu tun? Oder mit mir?"
"Emmie hat mir
gesagt, woher sie diesen Ausdruck hat, und ich versuche mich gerade zu
erinnern..." Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und merkte, wie die
Erinnerung langsam ihren Weg in ihr etwas benebeltes Gedächtnis bahnte.
"Zach hat ihm Geld
gegeben", sagte sie schließlich. "Emmie sagte, dass ihr Dad dem
Polizisten einen Dollar gegeben hätte..."
"Ein Dollar?"
"Sie ist doch ein
kleines Mädchen, Mulder. Sie hat einen Dollar erkannt, aber es hätte genauso
gut irgendeine andere Banknote sein können."
"Aber warum einem
Polizisten? Ich verstehe immer noch nicht ganz..."
"Vielleicht war's
nicht wirklich ein Polizist", sagte Scully. "Vielleicht war es ein
Wärter."
Mulder erstarrte und riss
die Augen auf. "Du meinst den, der mich geschlagen hat?" fragte er
schließlich und bemühte sich mit aller Willenskraft, das Zittern aus seiner
Stimme herauszuhalten. Es würde nichts bringen Scully wissen zu lassen, wie
sehr ihn die Möglichkeit erschreckte, Zach könnte hinter dem versuchten Mord an
ihm stehen.
"Das war genau zu der
Zeit, als du so schlimm zusammengeschlagen worden bist, als Emmie diesen
Ausdruck die ganze Zeit gebrauchte", bestätigte sie, nahm wieder seine
Hand und drückte sie beruhigend.
"Scheiße,
Scully!" hauchte er und spürte, wie die Angst wieder in ihm hochstieg.
"Glaubst du, das stimmt?"
Sie nickte düster.
"Genau das befürchte ich. Er hatte immer schon ein übermäßiges Interesse
an deinem Geld, Mulder."
"Und was sollten wir
jetzt machen?" fragte er und fuhr sich mit einer hilflosen Geste mit der
Hand durch seine kurzen Haare, die mittlerweile schon etwas nachgewachsen
waren. Ärgerlich dachte er daran, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der
ihm problemlos etwas dazu eingefallen wäre, doch er war nicht mehr der Mann aus
dieser Zeit. Der Fox Mulder, der mit links komplexe Gleichungen wie diese lösen
konnte, war an dem Tag gestorben, als er für schuldig verurteilt worden war.
Der heutige Mulder konnte manchmal kaum den Tag überstehen, geschweige denn
einen Mörder überführen.
"Wir sollten zur
Polizei gehen..."
"Nein!"
unterbrach er sie scharf. "Keine Polizei. Mit denen bin ich für den Rest
meines Lebens fertig."
"Mulder..."
"Scully, ich vertraue
denen nicht. Wir wissen doch schon, dass die bestechlich sind", fügte er
bitter hinzu. "Ich will nichts mit Staatsgewalt zu tun haben. Außerdem,
wir können ihm doch überhaupt nichts nachweisen, oder?"
Bedauernd schüttelte sie
den Kopf. "Ich denke nicht."
"Also, was sind
unsere anderen Möglichkeiten?" Er war aufgestanden und ging jetzt im
Zimmer hin und her, hüpfte regelrecht herum in seinem Aufruhr. "Wie kann
ich mich selbst vor ihm schützen?"
"Wie ich schon sagte,
ändere dein Testament und zwar jetzt, Mulder, heute, so bald du kannst."
Er blieb stehen und dreht
sich nach ihr um. "Glaubst du, dass ihn das abschrecken wird?"
Sie zuckte mit den
Schultern. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Zach dich umbringen lassen
will, wenn er nichts zu gewinnen hätte."
Er sah sie unsicher an,
und tausend Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum. "Vielleicht",
stimmte er endlich zu. "Vielleicht."
Ende TEIL Drei
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>
Mulder öffnete die Tür
seines neuen Hauses und trat rücksichtsvoll zurück, um Scully vorzulassen. Es
ging ihr besser, aber sie bewegte sich immer noch etwas langsam. Im Stillen
dankte er den Sternen, dass er sie hatte überreden können, so lange bei ihm
unterzukommen, bis sie sich von ihren Verletzungen erholt hatte. Die
offensichtliche Lösung wäre gewesen, bei ihrer Mutter zu bleiben, aber Scully
wollte nicht aufdringlich sein. Er vermutete, sie wolle mögliche
Familiendiskussionen über ihre bevorstehende Scheidung vermeiden. Obwohl Mrs.
Scully ihrer Tochter gesagt hat, sie solle ihre eigene Entscheidung treffen,
war sich Mulder im Grunde sicher, dass sie es nur schwer mit ihrem tief
religiösen Glauben in Einklang bringen konnte, und die Situation zehrte langsam
an Scully. Er wusste, dass sie nicht woanders hin gehen konnte, also bot er ihr
sein Gästezimmer an. Sie hatte mit sichtbarer Erleichterung eingewilligt.
Er ließ das Thema Zachary
bis auf weiteres bleiben, denn wenn Scully sich einmal etwas in den Kopf
gesetzt hatte, würde sie es auch durchziehen.
Endlich waren die Scheidungspapiere ausgefüllt und erledigt. Jetzt
warteten sie bloß noch auf das Gerichtsurteil, das wie üblich auf sich warten
ließ. Laut Rick Lee, Scullys Anwalt,
würde ihr Fall frühestens in zwei Monaten dem Richter vorgeführt werden. In der
Zwischenzeit befolgte Scully Mulders Rat und hatte eine Einstweilige Verfügung
gegen ihren zukünftigen Ex-Ehemann veranlasst. Allerdings nicht bevor Zachary
sie noch einmal besuchen konnte, und Mulders Fäuste ballten sich immer noch,
wenn er daran dachte, wie Zach neben ihr im Bett liegt.
Er war am späten
Nachmittag im Krankenhaus aufgetaucht, nachdem Bill die Kaution gezahlt hatte,
und hatte hilflos dreinblickend Blumen gebracht. Mulder hatte vom anderen Ende des Flurs, wo
der Kaffeeautomat stand, gesehen, wie er in Scullys Zimmer ging, und hatte sich
augenblicklich vor ihrer Tür platziert, falls sie ihn brauchen würde. Keine
zehn Minuten später war Zach aus dem Zimmer gestürmt, und Mulder fürchterlich
wütend angesehen, als er ihn bemerkte, und hatte das Krankenhaus ohne ein
weiteres Wort verlassen. Als Mulder vorsichtig in Scullys Zimmer geschlichen
war, unsicher, wie er sie vorfinden würde, war er erfreut gewesen, ein
triumphierendes Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen.
"Er hat versucht, mir
mit Emmie zu drohen", berichtete sie. "Er sagte, ich würde sie nie
wiedersehen."
"Und was hast du
darauf gesagt?" fragte Mulder neugierig.
"Ich sagte, dass wenn
er Emmie nicht von Fremden großziehen lassen will, sei ich seine einzige
Option, wenn er erst mal im Gefängnis ist. Seine Eltern sind beide nicht
gesund, sie können sich nicht um sie kümmern."
"Ich nehme an, ihm
hat diese Antwort nicht so gut gefallen?" meinte Mulder trocken.
"Er war
fuchsteufelswild", antwortete sie mit Zufriedenheit in ihrer Stimme.
"Tu mir einen Gefallen, Mulder, wirf die hier weg, okay?" bat sie ihn
und zeigte auf den Blumenstrauß, den Zach auf ihrem Nachttisch gelassen hatte.
Mulder hatte ihr mit
Freunden diesen Gefallen getan.
Jetzt sah sich Scully mit
einer Mischung von Verzweiflung und wohl bekannter Rührung im Wohnzimmer seines
neuen Hauses um. "Noch nicht ganz fertig mit dem Einzug?" fragte sie
mit einer erhobenen Augenbraue. Der Verband um ihren Kopf war ab, und die
Prellungen und Schwellungen verschwanden langsam aber sicher. Die Sehkraft
ihres linken Auges war wiederhergestellt, worüber sie beide dankbar waren, doch
es tat ihr immer noch überall weh, und die angebrochene Rippe würde ebenfalls
noch lange zum Heilen brauchen.
Rasch legte Mulder einen
Stapel alter Magazine von der Couch beiseite, damit sie sich setzen konnte.
Scully ließ sich gerne von ihm helfen, als er ihr seine Hand anbot, und sank
erleichtert auf das Sofa. Gedankenverloren rieb sie über den Arm der Couch für
einen Moment und sah dann mit einem wissenden Lächeln zu ihm auf.
"Die bringt
Erinnerungen wieder hoch", sagte sie leise.
Er nickte, eine Sekunde
unfähig zu sprechen. Er hatte sich dadurch auch an die alten Zeiten erinnert.
Er hatte sogar in Erwägung gezogen, darauf zu schlafen, wie er es früher immer
getan hatte, aber nachdem er so lange bei Skinner gewohnt hatte, hatte er den
Luxus, sich in einem bequemen Bett ausstrecken zu können, zu schätzen gelernt.
Eine seiner ersten Anschaffungen, nachdem er den Kaufvertrag für das Haus
unterschrieben hatte, war ein extra großes Bett gewesen. Mulder hatte
beschlossen, nie wieder auf etwas zu schlafen, das ihn an eine
Gefängnispritsche erinnerte. Er liebte
seine Couch immer noch, doch sie war nicht länger sein Bett. Er war noch nicht
dazu gekommen, das andere Schlafzimmer einzurichten, also hatte er tags zuvor,
als Scully einwilligte Hausgast bei ihm zu sein, einen hastigen Sprint zum
nächsten Möbelgeschäft hingelegt und das Nötigste für das Zimmer gekauft, das ihres
werden würde. Er konnte es sogar einrichten, dass die Sachen schon an diesem
Morgen geliefert wurden, indem er einen saftigen Zuschlag zu den üblichen
Kosten hinblätterte. Aber es war es wert, alles für sie bereit zu haben. Und
als er nun die Zufriedenheit in ihrem Gesicht sah, war er froh, den Aufstand
gemacht zu haben.
"Ich bringe deine
Sachen in dein Zimmer", sagte er und begab sich mit ihrem Koffer in den
Flur. Sie folgte ihm langsam und besah sich das Design des Hauses. Es war
größer als sie angenommen hatte. Er schien mit seinem kleinen Apartment immer
zufrieden zu sein.
Mulder betrat das
Gästezimmer, nur zwei Türen von seinem eigenen Schlafzimmer entfernt, und legte
den Koffer auf das Bett. Er drehte sich um und fand Scully direkt hinter ihm
vor, die amüsiert drein blickte.
"Was?" fragte
er.
Sie lachte kurz auf.
"Ich weiß nicht, Mulder. Irgendwie habe ich mir dich nie in einem Haus
vorgestellt, ganz bestimmt nicht in so einem großen. Wann immer ich an dich
gedacht habe, war das immer in deinem alten Apartment. Du schienst einfach
dahin zu gehören."
Als sie den Ausdruck auf
seinem Gesicht sah, öffnete Scully den Mund, um sich zu entschuldigen, aber er
schüttelte den Kopf. "Ist schon in Ordnung, Scully."
"Ich wollte
nicht...."
"Ich weiß." Er
seufzte. "Ich habe mich auch immer darin gesehen. Ich habe immer gedacht,
dass wenn ich aus dem Knast kommen sollte, ich meinen Weg dahin zurück finden
würde. Ich hatte sogar Gelegenheit dazu, aber ich habe sie nicht wahr
genommen."
"Erinnerungen?"
fragte sie sanft und legte ihre Hand auf seinen Arm.
Er nickte. "So viele
Erinnerungen, Scully". Er flüsterte fast. Seine Augen trafen ihre und
plötzlich wusste er, wussten sie beide, dass der Kuss vor so langer Zeit jetzt
beendet würde.
Seine Hände umfassten
zärtlich ihr Gesicht, vorsichtig wegen der Verletzungen, und er fühlte, wie sie
seine Hüfte umfasste, ihn näher an sich zog. Langsam, viel langsamer als zuvor,
langsamer als er sich je vorstellen konnte, kamen ihre Lippen näher und näher,
bis er ihre zarte Berührung an seinen spürte. Er wollte den Kuss kurz und sanft
belassen, um ihre Verletzungen nicht zu strapazieren, doch Scully wollte mehr.
Sie knetete seinen Rücken mit ihren Händen, während sie ihren Mund drängender
gegen seinen presste, und bevor er sich versah, glitt ihre Zunge zwischen seine
Zähne, sanft forschend.
Mulder schmolz in ihr,
ließ sie die Führung übernehmen. Er wollte kein schlechtes Gewissen bekommen,
weil er sie in etwas drängt, wozu sie nicht bereit war. Er öffnete seine
Lippen, und sie schmeckte ihn, alles von ihm. Er rieb seine Zunge mit einer
Begierde gegen ihre, die schnell aus den Fugen zu geraten drohte. Er spürte,
wie ihm schwindelig wurde, wie seine Erregung zunahm, und dann, bevor er völlig
seine fünf Sinne verlor, entzog er sich ihrem Kuss. Sein Atem ging heftig.
"Scully, wir können
nicht.... du bist noch nicht soweit", stotterte
er und merkte, wie seine Knie nachgaben, als er sich auf den Bettrand setzte.
Scully schloss die Augen
und atmete tief durch. "Du hast Recht, Mulder", stimmte sie zu, als
sie sich selbst wieder gefasst hatte. "So gern ich dich jetzt auch auf
dieses Bett werfen und mit dir schlafen möchte, ich kann nicht." Sie
setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. "So abstoßend er auch sein mag,
Zach ist immer noch mein Ehemann, und ich kann einfach nicht....
mit dir.... nicht wenn ich noch mit ihm verheiratet bin."
"Scully, ich erwarte
nicht von dir...." begann er, doch sie bedeutete ihm still zu sein.
"Ich weiß, dass du
das nicht tust, Mulder. Das würdest du nie." Sie blickte in seine Augen,
klar und ehrlich. "Die Wahrheit ist, ich möchte eine Beziehung mit dir.
Das heißt, wenn du mich noch willst."
"Ich glaube, das ist
ziemlich offensichtlich", grinste er.
Sie erwiderte das Lächeln.
"Wenn meine Scheidung durch ist, Mulder, dann....
können wir darüber reden. Aber bis dahin sind wir einfach nur Freunde, egal,
was wir empfinden. Weil, noch ein Kuss wie dieser, und ich schwöre, ich
vergesse alle meine Prinzipien."
Er stand auf und rieb sich
die schwitzenden Handflächen an seiner Jeans trocken. "Ich lass dich
besser für eine Weile alleine", sagte er abrupt, um das Thema zu wechseln.
"Du solltest dich etwas ausruhen. Brauchst du Hilfe beim Auspacken?"
Sie schüttelte den Kopf
und machte es sich auf dem Bett bequemer. "Ein Nickerchen hört sich jedoch
gut an", gab sie gähnend zu. "Ich glaube, ich habe noch Restbestände
von Schmerzmitteln in meinem Körper."
Er half ihr unter die
Decke zu schlüpfen, machte das Licht aus und schloss die Tür, als er das Zimmer
verließ. Draußen lehnte sich Mulder gegen die Wand. Mit einem Mal fühlte er
sich ausgelaugt. Er war nicht sicher, ob er es ertragen würde, mit ihr unter
einem Dach zu wohnen und sie nicht so berühren zu dürfen, wie er es gerne
würde. Er wusste, dass er sich zusammenreißen musste. Wenigstens war sie da.
Tage gingen über in
Wochen, und irgendwie schafften sie es, ihre Leidenschaft füreinander im Zaum
zu halten und zu jeder Zeit eine rein platonische Beziehung zu führen. Er
sorgte dafür, dass sie auf sich aufpasste, während sie sich weiter erholte, und
sie stand ihm bei, wenn es ihm seelisch nicht gut ging. Sie half ihm besonders
nach einer schlimmen Therapiesitzung. Er hatte in den letzten paar Monaten ein
Mal pro Woche eine Sitzung mit der Therapeutin, die Skinner ihm empfohlen
hatte. Skinner und Scully ermutigten ihn
beide, den Anweisungen der Therapeutin zu folgen, und zweimal pro Woche
hinzugehen, aber er hatte sich standhaft geweigert. Montags war genug, hatte er
resolut geäußert. Und es ging ihm soweit gut.
Eigentlich ging es Mulder
sogar mehr als gut, wenn man die Umstände betrachtete, mit denen er fertig
werden musste. Seine Panikattacken waren weniger geworden und er überstand die
meisten Tage relativ ohne Zwischenfälle. Er konnte zunehmend besser mit den
Erinnerungen leben, die ihn unentwegt plagten, was nicht zuletzt daran lag,
dass Scully nun Teil seines Lebens war. Der alte Schmerz, der ihm so vertraut
geworden war, begann langsam zu schwinden. Er merkte, dass er vergessen hatte,
wie sich Hoffnung anfühlte. Es war
schön, sich daran zu erinnern.
Das Leben war ein wenig
wie der Traum geworden, den er immer von ihnen beiden zusammen geträumt
hatte—Haushalt, Einkaufen, gemütliches Zusammensitzen abends im Haus—alles
außer Sex, und Mulder hoffte inständig, dass sobald die Scheidung durch war,
sie endlich eine intime Beziehung miteinander eingehen konnten. Er wollte sie
fragen, ihn zu heiraten, aber er fürchtete, mit der Tür ins Haus zu
fallen. Vielleicht würde sie nicht dazu
bereit sein, sich so kurz nachdem sie ihren Mann losgeworden war, wieder zu
binden, schalt er sein gieriges Ego. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf mied er
das Thema umsichtig, und erlaubte sich nur in seinen tiefsten Fantasien diesen
Traum auszumalen.
"Was ist los?"
fragte Mulder, als er ihr Gesicht sah. Er war gerade vom Laufen zurückgekommen
und wollte in die Dusche zu steigen, aber Scullys Anblick, wie sie ruhig und
irgendwie verlassen auf der Couch saß, ließen ihn innehalten.
Sie sah bei seinen Worten
auf, ihr Gesicht hielt eine Emotion, die er nicht ganz lesen konnte. Spuren
getrockneter Tränen waren auf ihren Wangen auszumachen und Mulder wurde von dem
plötzlichen Gedanken ergriffen, dass es etwas mit Zach zu tun hatte. Er ließ
sich auf das Sofa neben sie nieder und zog sie in eine tröstende Umarmung, die
sie dankbar erwiderte.
"Ich habe etwas
gemacht", gestand sie. "Ich habe etwas zugestimmt, und Mulder.... ich habe Angst, dass du furchtbar enttäuscht von mir
sein wirst." Ihr Schultern zuckten mit dem
Schluchzen, das sie zurückhielt.
Mulder hob ihr Gesicht an
und strich eine Haarsträhne fort, die auf ihre Augen gefallen war. Sie blickte
zärtlich und er wartete.
"Ich habe zugestimmt.... die Anklage gegen Zach fallen zu lassen", sagte
sie ein einem Atemzug, und schloss die Augen, als sie auf seinen Ausbruch wartete.
Doch der kam nicht. Als
sie sie wieder öffnete, fand sie Mulder in großer Verwirrtheit vor, keine Spur
von Wut in seinen Zügen.
"Warum?" fragte
er leise, lehnte sie beide zurück an die Couchlehne und zog sie sogar näher zu
sich. "Du musst einen guten Grund gehabt haben."
Sie nickte, ihr Gesicht an
seiner Brust, und genoss seine Wärme und das Klopfen seines Herzens. Es war so
viele Jahre her, seit er sie so gehalten hatte, und noch nie zuvor war ihre
Liebe zueinander so greifbar gewesen.
"Ich habe Besuch
bekommen von seinen Eltern", erzählte sie und er machte einen grunzenden
Laut in seiner Brust. "Es ist okay, es sind sehr nette Leute",
informierte sie ihn und sah kurz auf in seine Augen, bevor sie sich wieder an
ihn lehnte. "Sie wollten nur mit mir reden."
"Sie wollten dich
bitten, ihren Sohn nicht ins Gefängnis zu schicken", korrigierte Mulder
mit zurückgehaltenem Ärger in der Stimme.
"Ja und nein",
bekräftigte sie. "Sie waren sehr wütend auf Zach wegen dem, was er getan
hat, aber gleichzeitig waren sie besorgt um Emmie. Sie können sie nicht
großziehen, Mulder, sie sind beide nicht ganz gesund, und sie sind zu alt. Und
Emmie hat keine anderen lebenden Verwandten."
"Aber du hast doch
gesagt, dass du das Sorgerecht für sie bekommen willst", warf er ein.
Scully seufzte. "Ich
will ihr Leben nicht so zertrümmern", sagte sie, "und Emmie liebt
ihren Vater. Zach ist sehr gut zu ihr."
"Was haben sie dir
versprochen?" fragte er prompt und merkte, wie sie sich in seinen Armen
anspannte. Mulder weigerte sich nachzugeben. "Haben sie gesagt, dass du
sie sehen könntest, wenn du die Klage fallen lässt?"
Für einen Moment war sie
still, und er wusste, dass sie ihre Worte sorgsam auswählte. "Zach hatte
dem zugestimmt. Sie dürfte eine Woche im Monat zu mir. Seine Eltern würden sie
zu mir bringen und wieder abholen. Es würde die Einstweilige Verfügung nicht
verletzen. Zach würde mir nicht zu nahe kommen."
"Und wenn du nicht
zustimmst?"
Sie hob ihren Blick und
sah ihn an. "Sie haben mir nicht gedroht, Mulder, wenn es das ist, was du
befürchtest. Sie sagten, es sei Zachs Idee, und ich glaubte ihnen. Emmie
vermisst mich offensichtlich und sie möchte mich sehen."
"Du lässt die Anklage
also fallen, und dann was? Wirst du Emmie noch sehen dürfen, wenn die Scheidung
durch ist?"
"Ja. Das habe ich
sicher gestellt. Hör zu, Mulder, ich weiß, dass das schwer zu glauben ist für
dich, aber Zach und seine Eltern sind besorgt um Emmie. Sie wollen, dass sie
glücklich ist, und es ist schon schwer genug, eine Mutter zu verlieren, geschweige
denn eine zweite. Sie weint und bittet, mich zu besuchen, und Zach hat sich
diese Lösung ausgedacht, um sie glücklich zu machen. Andererseits ist er nicht
dumm, und er will nicht vor Gericht", fügte sie zerknirscht hinzu.
"Die Gelegenheit, sich auf diese Art zu einigen, war offenbar zu
verlockend, um sie nicht wahr zu nehmen."
Mulder nickte und
erinnerte sich mit einem Anflug von Elend an seine eigene Gerichtsverhandlung.
Die Sekunden, bevor das Urteil verlesen wurde, waren mit Abstand die schrecklichsten
in seinem Leben. Wie er sich an die unsichtbare Hoffnung geklammert hat,
irgendwann frei zu kommen, wie sich sein Magen umgedreht hatte, als das Gericht
ihn für schuldig befunden hatte. Für eine Sekunde fühlte er fast Mitleid für
Zach, bis ihm Scullys Anblick wieder einfiel, wie sie unter Schmerzen litt und
über und über in Verbände eingewickelt war. Er schluckte.
"Ich nehme an, du
hast dem bereits zugestimmt?"
Sie entzog sich ihm
vorsichtig und setzte sich so, dass sie ihm auf der Couch gegenüber saß.
Augenhöhe.
"Ja, das habe
ich", bestätigte sie. "Ich möchte sie auch sehen. Sie sagten, sie
würden sie Sonntag her bringen, wenn ich ja sagen würde. Mulder, es ist immer
noch dein Haus und ich habe mich vollständig erholt. Wenn du nichts mir ihr zu
tun haben willst...."
"Nein, nein,
Scully", versicherte er ihr hastig. Der Gedanke daran, dass sie ausziehen
könnte, versetzte ihn in Schrecken. Er konnte sie nicht noch einmal verlieren.
"Ich würde Emmie sehr gerne hier haben. Geht sie dann noch in den Kindergarten
oder wird sie hier zu Hause mit mir bleiben?"
Scully musste lachen,
glücklich und erleichtert zugleich. "Das würde ich dir nicht antun,
Mulder", versprach sie. "Sie wird wie gewöhnlich in den Kindergarten
gehen. Sie ist übrigens gerne dort, sie hat eine Menge Freunde. Sie hätte hier
nichts zu tun, außer dich zum Wahnsinn zu
treiben."
"Dann werde ich sie
hinbringen", versprach er und zog sie wieder in seine Arme. Er wollte das
Gefühl, sie an seinen Körper zu spüren, noch nicht aufgeben. Es war alles, was
er von ihr haben konnte. "Zum Kindergarten, nicht zum Wahnsinn",
klärte er und sie lachte abermals.
Scully drückte ihn kurz in
Dankbarkeit und entspannte sich dann wieder neben ihm. So saßen sie noch eine
ganze Weile und genossen einfach ihrer gegenseitige Nähe. Bald, schwor sie
sich, bald würden sie mehr haben.
Mulder faulenzte neben dem
Pool und sog nach einem vitalen Bad den warmen Sonnenschein in sich auf. Er
hatte seine Augen geschlossen, als er seine Gedanken gemächlich von einem Thema
zum nächsten wandern ließ und die Hitze des beginnenden Sommers auf seiner Haut
genoss. Es war ewig her, seit er das tun konnte, und sie genossen beide an dem
ersten wirklich warmen Tag seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Ohne
Vorwarnung kreuzte auf einmal ein Schatten über ihn, und ein Schauer lief ihm
wegen der plötzlichen Kühle über den Rücken. Gemächlich öffnete er die Augen
und blinzelte in Scullys lächelndes Gesicht. "Wenn du hier draußen
einschläfst, werde ich dich wohl mit Sonnencreme einschmieren müssen, damit du
dir keinen Sonnenbrand holst", sagte sie mit einem frechen Grinsen, als
ihr Blick über seinen nur mit einer Badeshorts
bekleideten Körper glitt.
"Oh, Scully, immer
diese leeren Versprechungen!" erwiderte er frech und griff nach seinem
Handtuch, das er sich um seine Schultern legte und sich zum Sitzen aufrichtete.
"Wie war dein
Tag?" Er kam sich ein wenig seltsam vor, weil Scully immer noch einen
normalen Job hatte, während er seit seiner Entlassung kaum etwas getan hatte.
Aber es war einfach zu schön, sein eigener Herr zu sein. Das erste Mal seit
Jahren sagte niemand ihm wo was zu tun sei oder wohin er gehen sollte, und die
Freiheit war erfrischend. Er hatte über den Rest seines Lebens nachgedacht, und
einen genauen Plan geschmiedet, aber er fürchtete, Scully damit zu überrennen.
Er war ein wenig besorgt, wie ihre Reaktion sein würde, hinsichtlich dessen wie
er früher einmal war. Jener Mulder hatte keinen Blick in die Zukunft geworfen,
aber der Mensch, der er heute war, hieß die Herausforderung willkommen und, was
am wichtigsten war die relative Sicherheit seiner Intentionen.
"Lang und
ermüdend", seufzte Scully und ließ sich auf einen Stuhl neben ihn fallen.
"Manchmal frage ich mich wirklich, wie ein paar Kollegen es geschafft
haben, vom FBI überhaupt angenommen zu werden. Kommt mir das nur so vor oder
werden die Leute mit jedem Tag blöder?"
Mulder lachte und Scully
sah ihm zu, erfreute sich an dem Geräusch. Sie hörte es nicht oft. Er war viel
melancholischer als vorher, und sie vermisste seinen Sarkasmus und seinen Humor
mehr als sie gedacht hätte.
Sie schüttelte aufgebracht
den Kopf. "Zwei meiner Studenten sind heute bei einer Autopsie
umgekippt", sie konnte es gar nicht glauben. "Und die wollen die schlimmsten
Kriminellen unseres Landes überführen? Sie würden auf dem Absatz kehrt machen,
wenn sie einige der Dinge sehen würden, die wir erlebt hatten."
Mulder ernüchterte auf der
Stelle. "Scully, wenn die Leute die Dinge, die du und ich herausgefunden haben,
wüssten, wäre das ganze Land am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Vielleicht
haben 'Die' ja doch Recht am Ende.
Vielleicht hätten wir unsere Nasen da raus halten sollen."
Sie starrte ihn völlig entgeistert an. Mulder überraschte sie in letzter Zeit unentwegt,
weil er sich so verändert hatte, und jetzt war sie geradezu verdattert. Sie
hatte hin und wieder versucht, mit Erzählungen über das Paranormale
ihn aus seinen Anflügen von Depressionen zu locken, aber er war immer völlig
uninteressiert gewesen. Nichts davon bedeutet ihm noch etwas, hatte er ihr
gesagt, und sie erkannte, dass er im Grunde gemeint hatte, dass er sich auf die
Dinge konzentrieren wollte, ohne die er nicht leben konnte. Der Rest war nur
Dekoration. Der Mulder, den sie im vorherigen Leben gekannt hatte, hatte nie
tagtäglich um seine Freiheit oder Sicherheit kämpfen müssen - diese Dinge waren
alle gegeben. Der Mann vor ihr hatte erfahren, wie leicht sie einem genommen
werden konnten, und er war jetzt entschlossen, sich dem zu widmen, das am
meisten Bedeutung hatte. Er hatte einfach keine Zeit für die Interessen, die
damals sein Lebensinhalt gewesen waren. Noch nicht, jedenfalls.
"Ich glaube",
begann sie zögerlich, "dass ich immer gehofft hatte, dass du, sobald du
wieder frei bist, da weitermachen würdest, wo du aufgehört hast - auf eine
gewisse Art und Weise. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du nicht
nach Antworten suchst auf Fragen, die niemand zu stellen wagt."
Langsam schüttelte er den
Kopf, und sein Blick verließ nie ihr Gesicht.
"Ich will diese Antworten nicht mehr, Scully. Ich schere mich nicht
einmal mehr um die Fragen. Ich weiß, das klingt ziemlich besiegt", fuhr er
fort, als er ihren Gesichtsausdruck sah, "und ich will nicht besiegt
klingen. An eine Sache glaube ich nach wie vor: dass nichts mich besiegen kann.
Nicht nach allem, was ich durchstehen musste. Ich nehme an, man könnte
allerdings sagen, dass mich das wieder an den Anfang zurückversetzt hat. Es hat
mich irgendwie zu dem Wunsch gebracht, zurück zu meiner inneren Basis zu
kommen."
"Was meinst du
damit?" fragte sie, zog sich mit den Füßen die Schuhe aus und setzte sich
in den Schneidersitz.
"Ich
meine damit, zurückzugehen zu dem, was ich anfänglich mit meinem Leben anfangen
wollte. Ich wollte nie zum FBI. Die sind auf mich zugekommen und haben mich
angeworben. Offensichtlich war einer meine Professoren so beeindruckt von
meiner Abschlussarbeit, dass er sie einem Freund beim FBI gezeigt hat, der sie
wiederum zur Abteilung für Gewaltverbrechen geleitet hat. Sie hielten mich für
eine Art Wunderjunge und boten mir einen Job als Profiler
an, wenn ich es durch die Akademie schaffen würde. Ich nahm an, weil es eine
Chance war, Geld zu verdienen und mein Leben einige Jahre früher als geplant so
zu leben, wie ich es wollte. Zuerst war es auch sehr nett, bis es anfing an mir
zu zehren und mich zum Wahnsinn zu treiben", ergänzte er und rieb sich die
Nase, wo sich bereits kleine Bläschen bildeten.
"Aber dann hast du
die X-Akten gefunden", stellte sie fest.
"Dann habe ich die
X-Akten gefunden", bekräftigte Mulder. "Und dann warst du da. Und von
da an nahm alles seinen Lauf." Seine Stimme verebbte und er starrte mit
leerem Blick über den Hof, während die Nachmittagssonne vom Wasser reflektierte
und sein trauriges Gesicht erhellte.
"Und du willst es
nicht wieder zurück haben? Willst nicht beweisen, dass sie nicht gewonnen
haben, wenn schon nichts anderes?" fragte sie verblüfft.
Mulder schüttelte streng
den Kopf. "Nein. Ich will nie wieder etwas mit all dem Zeug zu tun haben.
Ich habe sogar daran gedacht, wieder zu studieren, meinen Doktortitel zu
machen, so dass ich als Psychologe arbeiten kann."
"Als ich dir als
deine Partnerin zugeteilt wurde, habe ich gedacht, dass du bereits Psychologe
bist", lächelte sie. "Ich weiß noch, dass ich furchtbar
eingeschüchtert war, weil du noch ziemlich jung für einen Psychologen
warst."
Er grinste zurück.
"Das haben viele Leute gedacht, Scully, aber in Wahrheit habe ich nur ein
Vordiplom. Ich kann meinen eigenen Laden also noch nicht aufmachen. Aber ich
glaube, das würde mir gefallen. Ich war schon immer gut darin, mich mit den
Problemen Anderer auseinander zusetzen und ihnen zu einer Lösung zu
verhelfen", berichtete er. "Das wollte ich eigentlich mit meinem
Leben machen, als ich noch jünger war. Das FBI war ein Umweg - ein Umweg, der
mir im letzten Teil sehr gefallen hat, aber jetzt ist es vielleicht an der
Zeit, meinen alten Weg wieder einzuschlagen."
"Ernsthaft? Du willst
wirklich wieder studieren?"
Er nickte abermals.
"Ich möchte mit Kindern arbeiten. Ich muss etwas tun, Scully, und ich
liebe Psychologie noch immer. Wenigstens habe ich den Luxus, die Hälfte der
Zeit einen Job zu haben, wenn ich studiere."
Scully lachte. "Das
ist allerdings wahr, Mulder. Du musst auch nicht von Bohnen und SpaghettiO leben, wie die meisten verhungernden
Studenten."
"Hey, was hast du
gegen SpaghettiO?" wollte er wissen und folgte
ihr, als sie aufstand und sich auf den Weg ins Haus machte. "Nudeln
gehören zum besten Essen der Natur!"
"Natur?"
spottete sie, öffnete den Kühlschrank und begann die Zutaten für Pasta Primavera herauszuräumen. "Die Natur hat nichts mit
all dem zu tun, Mulder, das ist alles geformt und gepresst in irgendeinem
Labor", rief sie ihm nach, als er sich umziehen ging. "Hast du noch
nie Soylent Green gesehen?"
"SpaghettiO
machen Leute!" paraphrasierte er und seine Stimme hallte im Flur.
Sie lächelte, als sie den
Klang seines zufriedenen Lachens hörte. Sie warf geschnittenes Gemüse in eine
Schüssel und dachte über Mulders neuen Karriereplan nach. Er hatte vielleicht
nicht dieselben Ziele oder denselben Glauben, aber Gott sei Dank war er
letztendlich tief im Innern noch der alte Mulder.
Mulder hielt Scully das
Telefon mit einer Grimasse hin als ob ihm etwas weh tun würde.
"Zach!" Er formte das Wort mit den Lippen ohne es auszusprechen und
ließ den Hörer in ihren Schoß fallen. Es störte ihn immer noch gewaltig, dass
Scullys in Scheidung lebender Ehemann versucht hatte, ihn umzubringen, aber bis
jetzt hatte die Verfügung ihren Zweck erfüllt. Sie hatten Zach weder gesehen
noch von ihm gehört, seit Scully aus dem Krankenhaus gekommen war. Mulder ging
zurück zu seiner Aufgabe, die Spülmaschine einzuräumen und beobachtete sie aus
dem Augenwinkel.
"Ja?" meldete
sie sich grimmig am Telefon und fragte sich, was Zach nach all den Wochen von
ihr wollte.
"Dana, tut mir leid,
wenn ich dich störe, aber ich muss dich um einen Gefallen bitten. Für
Emmie." Er klang entschuldigend und freundlich, so normal, dass sie sich
einen Moment lang fragte, ob er die Umstände vergessen hatte, unter denen sie
sich getrennt hatten. Er hatte sicherlich nicht vergessen, sie so übel
zugerichtet zu haben, dass sie drei Tage im Krankenhaus verbringen musste,
dachte sie ungläubig.
"Was?" fragte
sie scharf mit einem raschen Blick zu Mulder. Er kratzte gerade Essensreste von
den Tellern und schien OK zu sein, also wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder
Zach zu, in der Hoffnung, ihn schnell wieder los zu werden.
"Am Freitag ist ihr
Geburtstag. Ich habe bereits die Kinder aus ihrem Kindergarten eingeladen und
alles geplant, aber jetzt stelle ich fest, dass ich es nicht rechtzeitig nach
Hause schaffen werde."
Scully seufzte, sie wusste
was kam. "Und was soll ich da machen, Zach?" fragte sie misstrauisch und
bemerkte, wie Mulder sich bei ihren Worten ein wenig versteifte.
"Wäre es möglich, die
Party bei dir zu machen?" fragte er. "Ich könnte die Eltern alle
benachrichtigen und ihnen die Adresse geben."
"Warum kannst du
nicht einfach die Anfangszeit ändern und dann eine Benachrichtigung
schicken?"
"Ich werde dieses
Wochenende nicht genug Zeit dafür haben, Dana", sagte er und sie könnte
schwören, dass er sich eine Spur weinerlich anhörte, "und Emmie wäre so
enttäuscht, wenn die Party ausfallen würde."
Scully sah wieder zu
Mulder, aber er hatte ihr den Rücken zugedreht, so dass er sie nicht sehen
konnte. Er würde sicherlich nichts gegen diese eine
Mal einzuwenden haben? Mulder liebte Kinder, und Emmie hatte ihn schnell um
ihren kleinen Finger gewickelt. Außerdem, wie lange konnte eine
Geburtstagsparty für ein kleines Mädchen schon dauern? Nicht länger als ein
paar Stunden, höchstens.
Sie stöhnte innerlich.
"In Ordnung, Zach, ich mach's. Um wie viel Uhr?" Sie griff nach einem
Stift und schrieb die Details für die Party auf. Die ganze Zeit fühlte sie
Mulders Blick in ihrem Rücken, der sie erschrocken ansah. Er hatte ja keine Ahnung, zu was sie gerade
zugestimmt hatte.
"Gut. Das geht schon
klar, Zach. Nein, das wird nicht nötig sein, schick den Kuchen einfach morgens
zum Kindergarten, ich werde sie von Mom abholen lassen."
Ohne Hast legte sie den
Hörer auf den Tisch und drehte sich langsam zu Mulder um, der sie fragend
ansah. "Emmie hat am Freitag Geburtstag", erklärte sie etwas hilflos.
"Er muss arbeiten und wollte fragen, ob die Party hier stattfinden könnte.
Ich wusste nicht, was ich sonst hätte machen sollen."
Mulder zog für ein paar
Sekunden ein grimmiges Gesicht, doch dann breitet sich ein Lächeln auf seinem
Gesicht aus. "Sicher, Scully, das geht in Ordnung." Scully wusste,
als er sich hastig umdrehte und sich auf das Silberbesteck konzentrierte, dass
gar nichts 'in Ordnung' war.
"Sag doch
etwas", sagte sie sanft. Sie stellte sich hinter ihn und umarmte ihn von
hinten. "Wenn es dich stört, kann ich auch Mom fragen, ob sie die Party
bei sich halten kann."
Mulder schüttelte den
Kopf, trocknete seine Hände ab und drehte sich zu ihr um. "Das ist es
nicht", sagte er ruhig und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. "Es
ist nur...."
"Was, Mulder?"
Er seufzte tief. "Was
werden die Mütter darüber denken, ihre Kinder im Haus eines überführten Mörders
an einer Party teilnehmen zu lassen?"
Scully fuhr überrascht
zurück und starrte in sein betretenes Gesicht.
"Mulder! Du bist kein
Mörder!" sagte sie scharf.
Seine Lippen verzogen sich
zu einem schiefen Lächeln. "Die Leute reden, Scully. Und sie lesen die
Zeitung."
"Dann werden sie auch
gelesen haben, dass sie dir deine Unschuld nachweisen konnten", verkündete
sie eisern. "Du bist kein Krimineller, Mulder, du warst nie einer. Nur,
weil ein schreckliches Fehlurteil über dich gefällt worden ist..."
"Scully, wie viele
Leute kennen denn die ganze Geschichte? Skandale bleiben hängen, Entlassungen
nicht."
"Dann", sagte
sie schließlich, "kann jeder, der sein Kind nicht zur Party gehen lassen
möchte, zu Hause bleiben. Wir brauchen solche Leute nicht, und Emmie braucht
keine Freunde mit dieser Einstellung."
Er lachte kurz über ihre
treuen Worte und umarmte sie rasch, bevor er sich wieder dem Geschirr widmete,
aber trotzdem war Mulder besorgt. Bis jetzt waren alle Leute, die sein Gesicht
aus der Zeitung wiedererkannt haben, hilfsbereit und freundlich gewesen, aber
es wäre töricht zu glauben, dass das immer so bleiben würde. Früher oder später
würde jemand vorwurfsvoll mit dem Finger auf ihn zeigen und böse Dinge äußern
und er fürchtete sich vor der Demütigung. Langsam den Kopf schüttelnd zwang er
sich dazu, positiv zu denken. Wie standen die Chancen, dachte er objektiv, dass
es auf Emmies Party passieren würde?
"Mrs. Scully! Ich
habe Sie gar nicht erwartet", sagte er mit einem nervösen Lächeln, als er
die Tür weit für sie öffnete. Scully sollte schon vor zehn Minuten zu Hause
sein, und er wurde besorgter mit jeder Minute. Wenn sie nicht bald käme, würde
er alleine mit zehn kleinen Mädchen da stehen. Es war nicht nur angsteinjagend, sondern Mulder war nicht davon überzeugt,
dass es eine gute Idee war, als Mann der einzige Erwachsene zu sein inmitten
von einer Gruppe Vorschul-Mädchen. Nicht heutzutage. Er hatte gehofft, dass er
das eine oder andere Elternteil zum Bleiben überreden könnte.
"Ich wollte Scully
gerade anrufen", redete er weiter, als Maggie lächelte und ihn zur
Begrüßung auf die Wange küsste. "Sie kommt etwas später."
"Ich weiß. Sie wurde
auf der Arbeit aufgehalten und hat mich angerufen, ob ich herfahren und hier
helfen könne. Das ist sie vielleicht gerade", sagte sie, als das Telefon
auf dem Küchentisch zu klingeln begann.
Mulder sprintete um
dranzugehen, und tatsächlich war es Scully, die ihm mitteilte, dass ein
unerwarteter Vorfall passiert sei, um den sie sich umgehend kümmern musste.
"Es tut mir wirklich
leid, Mulder. Meine Mutter eilt dir bereits zur Hilfe."
"Sie ist gerade
angekommen, Scully. Danke, dass du sie geschickt hast. Ich bin sicher, wir
werden gut zurecht kommen", sagte er stoisch und
versuchte die Schmetterlinge in seinem Bauch zu bekämpfen, als der Zeitpunkt
der Party sich näherte.
"Mach dir keine
Sorgen, Mulder. Mom wird sich um das meiste kümmern. Alles, was du tun musst,
ist Kuchen und Eis servieren und darauf zu achten, dass niemand in den Pool
fällt."
"Das könnte
vielleicht eine zu schwierige Aufgabe sein", antwortete er verdrießlich.
"Ich habe gesehen, wie schnell Emmie sein kann, und es werden zehn davon
hier sein!"
Scullys Lachen klang in
der Leitung. "Mom hat langjährige Erfahrung", versicherte sie ihm.
"Sie wird dir sagen, was du zu tun hast."
"Fox!" ertönte
es aus dem Zimmer am anderen Ende des Flurs, und Mulder ging mit dem
schnurlosen Telefon in die Richtung.
"Ich muss auflegen,
Scully, Emmie ruft nach mir. Die Kinder werden in ein paar Minuten hier
sein." Mulder legte auf und beeilte sich, dem Rufen des kleinen Mädchens
zu folgen.
"Kannst du mein Kleid
hinten zumachen?" fragte sie ihn und blickte ihn mit ihren unschuldigen
dunkelbraunen Augen an. Emmie hatte schnell Mulders Herz gewonnen, und einen
willigen Helfer in ihm gefunden. Sie hatte Probleme, 'Mulder' auszusprechen,
dass er schließlich nachgegeben und ihr erlaubt hatte, ihn 'Fox' zu nennen.
"Großmutter Maggie
nennt dich auch so", hatte sie hartnäckig darauf bestanden, "und du
darfst mich ja auch 'Nymphe' nennen, wie Mami."
Er hatte sich geschlagen
gegeben. "Sag es nur niemandem, okay?" ließ er sie versprechen, und
sie hatte ernst den Kopf geschüttelt und sich einverstanden erklärt, sein
schreckliches Geheimnis zu bewahren.
Mulder drehte sie um und
band die Bänder an ihrem Kleid in einer Schleife zusammen. "Bist du
bereit, fünf zu werden?" fragte er sie mit einem Augenzwinkern.
Emmie kicherte. "Fox,
ich bin bereits fünf! Ich bin um Mitternacht fünf geworden", sagte sie und
wiederholte, was Scully ihr gesagt hatte.
Mulder schüttelte den
Kopf. "Nein. Ich weiß, deine Mama denkt das, aber das stimmt nicht.
Untersuchungen haben ergeben, dass kleine Mädchen nicht fünf werden, bevor ihre
Geburtstagspartys nicht offiziell beginnen."
"Was sind
'Untersuchungen'?" fragte sie neugierig und Mulder stöhnte, weil er sich
bewusst wurde, dass hundert Fragen auf ihn zukommen würden und er sich das
alles selbst eingebrockt hatte.
Glücklicherweise wurde er
von der Türklingel vor der Beantwortung ihrer Frage verschont. Er hielt ihr
seine Hand hin und fragte sie mit einem Leuchten in den Augen, "Dürfte ich
Sie zu Ihrer Party geleiten, Miss Morrow?"
Sie kicherte wieder und
nahm seine Hand. Mulder fühlte für einen Moment ein Stechen in seinem Herzen,
als er daran dachte, dass er nie Kinder haben würde. Der Gedanke, mit jemand
anderem als Scully zusammen zu sein, widerte ihn an, und da sie keine Kinder
mehr bekommen konnte, waren seine Hoffnungen, eines Tages Vater zu werden,
praktisch verschwunden. Emmies unregelmäßige Besuche mussten eben reichen.
Zwei Stunden später war
Mulder völlig fertig und bereit sich aufzuhängen, wenn er noch eine weitere
Frage nach Kuchen oder noch ein wimmerndes Betteln aufs Klo zu müssen hörte. Die
Küche sah aus wie nach einem Erdbeben und Mulder kam sich vor, als wäre er
mitten in einem. Geschenkpapier lag überall auf dem Boden und Tischen
verstreut, Schokolade, Zuckerguss und Krümel klebten überall, einschließlich
auf Mulder selbst. Er war zum Liebling der Mädchen geworden, und alle wollten
seine Hand halten oder auf seinem Schoß sitzen. Er hatte sich nie ein eigenes
Stück Kuchen genommen, weil er ziemlich satt war von dem 'Möchtest-du-mal-abbeißen'-Stücken,
die ihm aufgezwungen worden sind. Emmie, die ihr Versprechen völlig vergessen
hatte, hatte ihn stolz als "Mein Fox" allen ihren Freunden
vorgestellt, und kichernde "Fox! Fox!"-Schreie waren überall zu hören
gewesen.
Maggie hatte über seinen
Missmut lachen müssen, und ihn daran erinnert, dass er selber damit angefangen
hätte, weil er es Emmie erlaubt hatte. Er warf ihr lediglich einen finsteren
Blick zu, "Danke vielmals für die Unterstützung."
Emmie saß freudestrahlend
wie eine Königin in der Mitte und dankte allen sehr höflich für die Geschenke,
die sie bekommen hatte, und teilte sie dann gewissenhaft in zwei Stapel: die,
die sie mochte und die, die sie nicht mochte. Mulder wollte ihr unauffällig
sagen, dass sie damit einigen Kindern vielleicht weh tun könnte, doch in dem
Moment warf eines der Kinder ein Glas Kinderpunch um
und alle brachten sich vor dem roten Saft in Sicherheit. Er und Maggie flogen,
um Tücher zu holen, und schafften es gerade noch die Geschenke davor zu
bewahren. Als sie mit Aufwischen fertig waren, verkündete Emmie ihren Freunden
nun, dass sie ihnen das Zimmern zeigen wolle, in dem sie schlief wenn sie hier
war, und neun kichernde Exemplare Frauenzimmer rannten hinter ihr her den Flur
entlang.
Mulder kollabierte auf dem
Fußboden und sah hoch zu Mrs. Scully, die seelenruhig begann, das Durcheinander
aufzuräumen.
"Wie schaffen Sie das
bloß?" fragte er erschöpft, und sie lachte.
"Ich bin ein alter
Hase, wenn es um Geburtstagspartys geht, wissen Sie. Seien Sie froh, dass es
kleine Mädchen sind, Fox. Jungs sind da anders. Als Charles seinen neunten
Geburtstag feierte, habe ich mich für nur eine Sekunde umgedreht und sie haben
es geschafft, die Katze zu rasieren!"
Mulder verzog das Gesicht.
"Gott sei Dank haben wir keine Katze", murmelte er und sah durch die
Terrassentür zum Swimming Pool. Seine größte
Befürchtung war gewesen, dass eines der Kinder unbemerkt ausrutschen und
ertrinken könnte, bevor einer von ihnen etwas machen konnte, doch sobald sie
den Kindern gesagt hatten, dass sie nicht raus dürften, hatten sie ihre
Aufmerksamkeit wieder dem Kuchen und den Geschenken zugewandt.
Schreien und Kreischen
ertönte aus dem Flur und mit lautem Getrappel stürmten die Kinder wieder zurück
in die Küche. Mulder hockte immer noch auf dem Fußboden, und sie warfen sich
sofort auf ihn. Binnen Sekunden war er umringt von zehn kleinen Mädchen, die
ihn durchkitzeln wollten.
"Emmie, das zahle ich
dir heim!" brüllte er lachend, als er sich bemühte, den kleinen Händen zu
entkommen. Es war ein weiteres Geheimnis, dass sie verraten hatte.
"Maggie, helfen Sie mir!"
"Mädchen, eure Eltern
kommen gerade an." Maggies Stimmte übertönte die Freudenschreie und im
nächsten Moment half sie ihm mit einem Lächeln auf die Füße. "Soweit zum
Thema 'Rettung in letzter Sekunde'", sagte sie, als er sein T-Shirt zurechtrückte
und sich den Hintern abwischte.
"Danke, Maggie. Man
kann Emmie eben nicht in ein Geheimnis einweihen", sagte er düster und
bemühte sich, die Angeklagte düster anzuschauen, doch er versagte kläglich, als
sie ihre Arme um seine Beine warf und ihn umarmte.
"Danke, dass du mir
geholfen hast, fünf zu werden, Fox." Sie lächelte zu ihm hinauf und er
seufzte. Er wusste, dass er immer dahin schmelzen würde, wenn sie ihn so ansah.
"Gern geschehen,
Nymphe", erwiderte er. "Lass uns jetzt deine Freunde verabschieden
und ihnen für ihr Kommen danken, okay?"
Emmie wiederholte
pflichtbewusst seine Worte zu jedem einzelnen der Mädchen, als seine Mutter
oder Vater ankam, um es abzuholen. Es waren nur noch zwei Gäste übrig, als Mulder,
der gerade seinen Kopf hob, weil Emmie ihm etwas zugeflüstert hatte, sich einer
wütend blickenden Frau gegenüber sah.
"Ich kann nicht
glauben, dass mein Mann Jessica hier bei Ihnen gelassen hat", zischte die
Frau, und Mulder erschrak vor dem Gift, das ihre Worte spritzten.
"Ich verstehe
nicht...."
"Wenn ich gewusst
hätte, dass das Ihr Haus ist, hätte ich darauf bestanden, dass Jessica nicht zu
der Feier geht. Ich weiß, wer Sie sind. Sie sind ein FBI-Agent und sie haben
jemanden umgebracht!"
"Nein, ich...."
"Sie hätten Sie nie
rauslassen sollen", unterbrach sie ihn, gab ihm keine Chance, sich zu
verteidigen. "Es ist ein trauriger Tag für unser Land, wenn mächtige
Freunde und Geld einen Killer frei bekommen."
Sie war verschwunden,
bevor er sich soweit sammeln konnte, um zu antworten, und Mulder starrte ihr
leichenblass nach. Er hatte gewusst, dass es Leute mit diesen Ansichten gab,
aber er war noch nie so jemandem begegnet.... Er spürte wie sein Magen sich
zusammenzog und verzog sich schnell durch den Flur ins Badezimmer. Maggie
Scully wandte sich verwundert dem Vater des letzten Kindes zu, das abgeholt
wurde. Ihre Lippen pressten sich zusammen bei den scharfen Worten der Frau.
"Ist Fox krank,
Großmutter Maggie?" fragte Emmie, die ihm
sorgenvoll hinterher schaute.
"Es geht ihm bald
besser, Emmie", antwortete Mrs. Scully. "Ich glaube, es hat nur zu
viel Kuchen gegessen." Sie streckte dem kleinen Mädchen die Hand aus und
sagte lächelnd, "Möchtest du mir beim Aufräumen helfen?"
Emmie
nickte und ging mit ihr. Schon bald hatten sie die Küche wieder einigermaßen in
Ordnung gebracht. Schließlich kam Mulder aus dem Badezimmer, Blick nach unten
und Züge ernst.
"Mulder, es war nur
eine dumme, unwissende Frau", sagte Scully beruhigend. Ihr Herz schmerzte bei seinen traurigen
Augen, die er immer noch hatte. Sie hatten Walter zum Abendessen eingeladen und
ebenso Maggie, und nun saßen sie alle vier am Tisch, tranken Kaffee und
unterhielten sich. Sie bemerkte Mulders Appetitlosigkeit und seufzte innerlich.
"Ich habe schon mal
mit Rorberta Jenkins gesprochen. Sie ist eine von
diesen Paranoiden, die denken, dass die Regierung plant, die Leute irgendwann
in Konzentrationslagern einzuschließen", sprach Scully weiter. "Natürlich glaubt sie, dass du als
früherer FBI-Agent etwas damit zu tun hast. Sie hat sich bestimmt nicht die
Mühe gemacht, das Geständnis des wahren Mörders in der Zeitung zu lesen."
"Sie würde sowieso
nur glauben, dass das erfunden sei", warf Skinner ein.
"Wirklich?
Konzentrationslager?" fragte Maggie mit großen Augen. "Das habe ich
ja noch nie gehört."
Scully lachte, weil ihre
Mutter so verdutzt blickte. "Das ist doch nur eine dumme Geschichte, Mom,
aber einige Leute glauben eben alles."
Mulders geplante
Widerworte schwanden, als er sich daran erinnerte, mehr als einmal dessen
beschuldigt worden zu sein, aber er wusste, das Scully nur Spaß machte. Das
Gefühl der Übelkeit in seiner Magengegend nach Mrs. Jenkins' Gezeter war etwas
gewichen, doch er fühlte sich immer noch niedergeschlagen und traurig wegen dem
Vorfall. Er hatte es geschafft, Emmie davon zu überzeugen, dass er nicht
wirklich krank war, so war sie wenigstens glücklich zu ihrem Vater nach Hause
gegangen. Doch sobald sie aus der Tür war, hatte sich Mulder zu einer langen,
entspannenden Trainingseinheit in Richtung Pool verzogen.
"So viele Leute haben
Sie unterstützt, Mulder. Ich glaube, ich kann nicht ganz verstehen, warum Sie
sich durch diese eine Frau so aus der Bahn werfen lassen", sagte Skinner,
lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rührte in seinem Kaffee.
"Worte tun manchmal
weh", warf Scully ein, als sie Mulders Unbehagen sah, doch er schüttelte
den Kopf.
"Das ist es nicht,
nicht wirklich", sagte er ihnen. "Es ist so schwer zu...." Seine
Stimme wurde weicher, als er nach Worten suchte, und sein Blick blieb an einer
Serviette hängen, als er erst einmal angefangen hatte zu erklären.
"Manchmal kann ich
immer noch nicht glauben, dass ich endlich frei bin. Ich wache nachts in diesem
riesigen Bett auf und bin ganz klein in dessen Mitte zusammengerollt, als ob
ich immer noch auf einer Gefängnispritsche schlafen würde. Manchmal sitze ich
einfach nur herum und tue gar nichts, und merke, dass ich darauf warte, dass
mir jemand sagt, was ich als nächstes tun soll, weil ich vergessen habe, dass
ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn ich zwei oder drei Männer zusammen
in einer Gruppe sehe, ist meine erste Reaktion Angst." Er unterbrach sich
für einen Moment und spürte alle Augen auf sich. "Was heute passiert ist,
hat all das zurück gebracht. Als sie in diesem Ton mit mir redete, konnte ich
mich selbst plötzlich wieder da drin sehen, und versuchen mich gegen die
Anschuldigungen zu wehren, die nicht wahr sind, Kämpfe zu kämpfen, die ich nie
gewinnen könnte."
Scully streckte ihre Hand
aus und legte sie auf seine, hielt sie fest umschlossen, als er zu ihr sah und
ihre Finger mit einem dankbaren Lächeln zurückdrückte.
"Jedenfalls,
Fox", sagte Maggie weich, "gehen Sie zur Therapie und lassen sich
helfen. Es gibt keine Hoffnung für eine Frau wie Mrs. Jenkins."
"Das ist wahr",
stimmte Skinner zu. "Sie wird ihr ganzes Leben herumrennen und darauf
warten, dass der Himmel über ihr einstürzt, und sie wird nie ihr Glück finden,
nicht einmal Zufriedenheit. Nur Enttäuschung mit der Tatsache, dass ihre
Vorraussagen sich nicht bewahrheiten."
"Aber sie hat
Recht." Mulders Aussage überraschte sie. "Zumindest teilweise. Es
waren Geld und mächtige Freunde, die mich da rausgeholt hatten."
"Sie hätten gar nicht
erst im Gefängnis sein sollen!" explodierte Skinner. Er senkte seinen Ton ein wenig, als er Mulder
zusammenzucken sah, unvorbereitet auf seine Reaktion. "Tut mir Leid,
Mulder, aber ich werde Sie hier nicht sitzen und sich niedermachen lassen, weil
irgend so ein Idiot von einer Frau etwas selten Dämliches gesagt hat. Sie waren
ein Opfer. Punkt aus. Ihnen wurden vier Jahre Ihres Lebens genommen, und jetzt
verdienen Sie jeden einzelnen Tag Ihrer Freiheit, jeden Moment Glück, den Sie
bekommen können. Haben Sie Jess wegen dieser Sache
angerufen?"
Mulder schüttelte müde den
Kopf. "Ich hatte kein Zeit. Außerdem habe ich
angenommen, dass ich damit alleine fertig werde."
Skinner schnaubte.
"Wann haben Sie Ihren nächsten Termin bei ihr?" forderte er ruhig.
"Montag."
Skinner dachte nach. Scully
würde das ganze Wochenende da sein und Mulder helfen können, wenn er wieder
meinte, depressiv werden zu müssen. Es würde also bestimmt gut gehen.
"Versäumen Sie ihn nicht", wandte er sich schließlich bestimmend an
Mulder. "Ich werde Ihnen in den Hintern treten, wenn sie nicht
hingehen."
Mulder musste lachen und
die Spannung am Tisch war plötzlich gebrochen.
Skinners autoritäre Art
war manchmal genau das, was er brauchte, dachte er. Ein wörtlicher Tritt in den Allerwertesten
war hin und wieder das Einzige, das ihm wieder aufhelfen konnte, wenn er
gestolpert war, und er war Skinner auf eine kuriose Art und Weise dankbar, dass
er diese Art an sich hatte. Skinner
wusste immer, wenn er Hilfe bei etwas brauchte, oder wenn man ihm sagen musste,
was er machen solle; manchmal war Entscheidungen zu treffen zuviel für ihn.
Scully stand am Fenster
und beobachtete Mulder heimlich, während er draußen Basketball spielte. Es war
etwas, das ihm half wieder klare Gedanken zu fassen, und sie wusste, das Mrs.
Jenkins' Bemerkung am Freitag noch deutlich an ihm nagte. Zwar hatte sich seine
Stimmung gebessert und sie hatten noch einen netten Abend zu viert gehabt, doch
sie hatte den Rest des Abends eine Unruhe in ihm gespürt, die ihn das ganze
Wochenende nicht losgelassen hatte, bis er heute endlich zu Shorts und
Knicks-Trikot gegriffen hatte und nach draußen gegangen war, um ein paar Körbe
zu werfen. Ein Kloß formte sich in ihrem Hals, als sie das Trikot betrachtete.
Sie hatte es ihm zu Weihnachten zwei Jahre vor seiner Inhaftierung geschenkt,
und es war schnell zu seinem Lieblingshirt geworden. Sie waren gerade von einem
Besuch in einem seltsamen Haus wiedergekommen, von dem Mulder überzeugt war,
dass es darin spukte, und nachdem sie stundenlang versucht hatte einzuschlafen,
hatte sie sich das Geschenk geschnappt und war in ihren Wagen gesprungen. Sie wollte es ihm sofort geben, denn
genaugenommen war es ja schon der Weihnachtsmorgen, da der Zeiger auf der Uhr
schon weit nach Mitternacht tickte. Was sie damals am meisten wollte war jedoch
seine Nähe, und sich davon zu überzeugen, dass es ihm gut ging. Dass er in
Sicherheit war, und seine Gesellschaft genießen. Sie waren nur ein paar Stunden
getrennt gewesen, doch sie hatte ihn schrecklich vermisst. So nervtötend Mulder
manchmal auch sein konnte, sie hatte ihn damals schon sehr geliebt. Es war ein
schwieriges Jahr für sie beide gewesen, erinnerte sie sich, doch nicht halb so
schwierig wie die Jahre, die folgen würden.
Er sah zum Haus herüber
und sie trat einen Schritt zurück und versteckte sich hinterm Vorhang. Sie
wusste nicht genau, warum sie nicht wollte, dass Mulder sie sah, aber ihr
gefiel ihre unbemerkte Beobachtungsposition. Sie beobachtete weiter und sah wie
Mulder sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn wischte und leichthändig
einen Treffer von der weiten Position von der Mitte der Auffahrt landete.
Scully zuckte mit den Schultern. Ein Kinderspiel für Mulder. Er war wirklich
gut in diesem Sport, und er liebte ihn heiß und innig.
Plötzlich stockte ihr der
Atem, als sie sah, wie er im Begriff war, sich das Trikot auszuziehen. Eine
Sekunde später hatte er es ausgezogen und beiseite geworfen. Nun stand er halb
nackt da und sie fuhr sich unbewusst mit der Zunge über die Lippen, als sie den
Anblick in sich aufnahm.
Mulder hatte wieder
zugenommen, und er war jetzt muskulös und schlank. Er fing wieder an sich zu
bewegen, und seine sehnigen Muskeln arbeiteten, als er die Auffahrt entlang
dribbelte und sprang, um den Ball im Netz abzulegen. Er war braungebrannt und
sah gesund aus, und Scully wurde es warm vor Vorfreude.
Noch eine Woche. Noch eine
Woche in Enthaltsamkeit und er würde ihr gehören. Der
Scheidungstermin war endlich festgelegt, und genau heute in einer Woche würde
sie wieder eine freie Frau sein. Mulders Frau. Endlich.
Er drehte sich um, so dass
sie ihn von vorn sehen konnte, und sie stöhnte fast bei dem Anblick.
Schweißtropfen rannen sein Gesicht herunter, sie konnte sie selbst aus dieser
Entfernung glänzen sehen, als sie sich in den spärlichen Haaren auf seiner Brust
einnisteten. Sie atmete wieder, als er sich plötzlich wegdrehte, und sein
starker Rücken und muskulöse Arme es ihr antaten. Sie würde sich heute nicht
länger quälen, beschloss sie und ging in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Ein
schönes, kühles Bad im Pool würde ihr jetzt gut tun.
Mit Ausnahme seines
verzweifelten Anrufs wegen der Geburtstagsfeier, hatte Scully seit dem Tag, an
dem er wutschnaubend aus dem Krankenhaus gestürmt ist, von ihrem Mann überhaupt
nichts gehört. Heute würde sich das ändern, dachte sie nervös. Der Tag des
Gerichtstermins war endlich angebrochen, und sie würden vor einem Richter
stehen, keine drei Meter voneniander getrennt, wenn
ihre Ehe offiziell aufgelöst würde. Würde er auf sie zukommen und versuchen
sich wieder zu versöhnen, oder würde er sie schlichtweg ignorieren?
Zach hatte sein
Versprechen gehalten. Nachdem sie die Anklagen gegen ihn fallen gelassen hatte,
durfte Emmie noch drei zusätzliche Wochen nach ihrem Geburtstag ihr und Mulder
Gesellschaft leisten. Alan und Katie Morrow hatten sie, wie versprochen,
fleißig hin und her gefahren, und Scully war ihnen für ihre Hilfe sehr dankbar.
Trotz allem hatten Zachs Eltern Dana sehr gern. Sie liebten ihren Sohn, hatten
aber Gott sei Dank keine Illusionen wegen ihm; sie waren schrecklich enttäuscht
von ihm gewesen, und sein Vater hatte darauf bestanden, dass er zu den Treffen
der Anonymen Alkoholiker geht, für die er sich angemeldet hatte. Soweit Scully
wusste, hatte Zach nicht einen Tropfen angerührt seit dem Abend, an dem er sie
so zusammengeschlagen hatte. Soweit sie wusste.
Ihr Bruder Bill war immer
noch unumstößlich davon überzeugt, dass sie sich nicht scheiden lassen sollten.
Er schlug ihnen sogar vor, verheiratet zu bleiben, aber getrennt zu leben.
Scully hätte seinen Worten mehr Glauben geschenkt, wenn sie überzeugt wäre,
dass seine Motivation die Ehe zu erhalten kirchliche Gründe wären. Doch leider
war Bill in seinem Eifer, Zach von den Konsequenzen seiner Taten zu bewahren,
ein Verdächtiger für seine Schwester geworden. Sie fragte sich, ob er von
seinen Anschlägen auf Mulders Leben überhaupt wusste. Sie konnte nicht glauben,
dass er davon gewusst hatte, geschweige denn, dass er mitbeteiligt gewesen war.
Bill mochte vielleicht manchmal ein Riesentrampel sein, aber er meinte es nur
gut—allerdings hatte sie schon oft den Verdacht gehabt, dass Zach ihm
Einzelheiten gesagt hatte, die sie nie erfahren würde.
Die Beziehung zwischen Bruder und Schwester war rapide abgekühlt. Laut Maggie,
ebenfalls die Freundschaft zwischen Bill und Zach, und Dana wusste nicht, ob es
aufgrund der Prügel war, die sie erhalten hatte. Bill liebte sie, daran hatte
sie keine Zweifel.
Jetzt, wo sie sich auf den
Richter vorbereitete, um die Ehe aufzulösen, suchte Scully nach ihrem
innerlichen Frieden, den sie nur bei seltenen Gelegenheiten empfand. Er war da
gewesen, als Father McCue
für sie gebetet hatte, als sie wegen ihrem Krebs im Krankenhaus gelegen hatte,
und er war auch da, als sie die Entscheidung getroffen hatte, Zach den Laufpass
zu geben. Es war eine Art unsichtbarer Tröster, ein süßes Gefühl, dass sie
richtig handelte. Sie wünschte sich, dass dieses Gefühl sie jetzt ergreifen und
ihre Nerven beruhigen würde. Sie schloss die Augen und atmete tief durch, als
sie vor dem Spiegel stand, und suchte nach innerer Bestätigung. Sie war jedoch nur teilweise erfolgreich; sie
spürte ein Gefühl von Ruhe, aber darunter war ein Hauch von Vorahnung. Mit
einem Anflug von Furcht erkannte Scully tief in ihrer Seele, dass
Zach nicht ohne weiteres von der Bildfläche verschwinden würde.
"Fertig?" fragte
Mulder und steckte seinen Kopf durch die halb geöffnete Schlafzimmertüre.
Sie legte die Bürste
beiseite und drehte sich mit einem aufgesetzten Lächeln um. "Lass es uns
hinter uns bringen", sagte sie heiter, folgte ihm zur Tür. Schweigend
stiegen sie ins Auto. Sie sagten nichts auf der Fahrt zum Gerichtsgebäude, doch
Mulder griff ab und zu nach ihrer Hand und drückte sie. Scully seufzte, lehnte
sich zurück an die Kopfstütze und schloss die Augen. Sie hatte die Nacht zuvor
nicht viel geschlafen. Sie war von Albträumen geplagt worden, in denen Zach sie
irgendwohin, an einen fernen Ort weg von Mulder, geschleppt hatte. Sie konnte
Mulder in ihren Träumen sehen, wie er hilflos nach ihr suchte und Stück für
Stück kaputt ging. Sie wusste, dass er jetzt stärker war, als vor ein paar
Monaten, aber er war in vieler Hinsicht noch so verletzlich, dass sie sich
Sorgen macht.
"Was ist los?"
fragte Mulder beschwingt, als er zu ihr herüber sah und ihre gerunzelte Stirn
bemerkte. Sie war in den letzten Tagen unverständlich gedankenverloren gewesen,
und heute Morgen war sie sogar noch verkrampfter als gewöhnlich. Er legte seine
Hand auf ihre Schulter und versuchte, die Spannung dort herauszumassieren.
Sie schüttelte den Kopf.
"Die Nerven, nehme ich an", erwiderte sie und verbannte die Bilder
der Albträume aus ihrem Gedächtnis.
"Nach dem heutigen
Tag", erinnerte Mulder sie, "wird Zach keinen Anspruch mehr auf dich
haben."
"Mulder...."
Sein Herz machte beim Ton
ihrer Stimme einen Sprung. "Was ist?" fragte er mit gezwungener
Leichtigkeit.
Sie seufzte. Es war
offensichtlich, was Mulder von ihrer Beziehung wollte. Er hatte sich entschieden und war bereit,
nach vorne zu gehen. Doch jetzt, wo der Moment gekommen war, bekam Scully
einfach Angst. "Ich werde vielleicht etwas Zeit brauchen", sagte sie
leise und sah aus dem Fenster.
Er sagte während der
nächsten paar Sekunden nichts, lenkte den Wagen auf einen Parkplatz.
"Natürlich, Scully", erwiderte er, nachdem er den Motor ausgeschaltet
und die Schlüssel abgesteckt hatte. "Du hast alle Zeit, die du
brauchst."
Sie dankte ihm mit einem
schwachen Lächeln und sie gingen auf das Gerichtsgebäude zu, um ihrem Schicksal
zu begegnen.
Als es an diesem Nachmittag
an der Tür klingelte, überlegte Scully, ob sie überhaupt aufmachen sollte. Der
Gerichtstermin war äußerst aufreibend gewesen, und Scully war sehr müde. Mulder
war zu seiner Therapiesitzung gegangen und sie wollte sich gerade hinlegen, als
die Klingel ertönte. Laut stöhnend ging sie zur Tür. Sie wollte den Gast, wer
immer es auch war, schnell wieder loswerden. Doch dann überkam sie ein Schatten
von Furcht, als sie sah, wer auf der Veranda stand.
"Was willst du denn
hier?" fuhr sie ihn an und griff instinktiv nach ihrer Waffe, die
natürlich nicht da war.
"Ich wollte nur noch
eine einzige Sache mir dir besprechen", sagte Zach, während sein Blick
sich in ihre Augen bohrte. "Ist dein Freund da?"
Sie ignorierte die Frage.
"Ich habe dir nichts mehr zu sagen", sagte Scully und begann, die Tür
zu schließen. Sie bekam nun richtig Angst, als er blitzschnell ihren Arm
festhielt. Sie wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, aber er hatte damit
gerechnet und verhinderte es.
"Du musst nichts
sagen, nur zuhören", sagte Zach mit dunkler, tiefer Stimme und beugte sich
zu ihr vor. "Ich will dich nur wissen lassen, dass du ihn nie haben wirst.
Wenn du weißt, was gut für euch beide ist, verschwindest du von hier so schnell
du kannst. Je länger du bei ihm bleibst, desto wahrscheinlicher ist es, dass.... mein Temperament mit mir durchgeht." Er grinste
sie teuflisch an und Scully spürte, wie die Wut in ihr hoch kroch und die Angst
übertraf.
"Mach, dass du weg
kommst", verlangte sie und versuchte, sich aus seinem Griff zu wenden,
doch er hielt sie unerbittlich.
"Lass mich ausreden,
Dana. Ich gebe dir eine faire Warnung. Du bringst ihn in Gefahr, wenn du hier
bleibst."
"Du drohst mir, Zach?
Wenn du mich nicht haben kannst, dann kann es niemand, was?" fragte sie
sarkastisch und wünscht sich, Mulder würde jeden Moment zurück kommen. Wenn
Zach gewaltsam ins Haus eindringen würde, würde sie sich nicht wehren können
außer mit reiner Körperkraft - und er könnte sie leicht übermannen.
Abrupt ließ er ihren Arm
los. "Ganz genau", erwiderte er schmeichelnd. "Also, wenn du ihn in Zukunft nicht im
Leichenschauhaus besuchen willst...."
"Du kommst jetzt
nicht mehr an sein Geld ran", informierte sie ihn. "Ich bin nicht
mehr seine Erbin und du nicht mehr mein Mann. Es ist vorbei, Zach."
Er lachte. "Oh, es
geht nicht mehr ums Geld, Dana. Es ging schon seit langem nicht mehr ums Geld.
Es geht um das, was mir gehört. Du gehörst mir.
Du wirst immer mir gehören. Keine Unterschrift irgendeines Richters oder
irgendein Wisch können das ändern." Plötzlich drückte er ihr einen brauen
Umschlag in die Hand, den sie überrascht anstarrte. "Ich werde diese Bude
hier beobachten", sagte er mit eisiger Stimme, seine Augen wie grauer
Stahl. "Wenn du bis morgen nicht hier raus bist, dann....
nun, wäre es nicht tragisch, wenn ihm ein Unfall zustoßen würde, gerade wenn
ihr zusammen ein neues Leben beginnen wollt?"
Er war verschwunden, bevor
sie sich fassen und etwas entgegnen konnte.
Scully schloss die Tür und schloss sie mit zitternden Fingern ab. Ihre
Knie wurden plötzlich weich und sie sank auf den Teppich, ihrer gesamter
Energie beraubt. Der Umschlag rutschte ihr beinahe aus den Fingern, und sie
klammerte ihn fest. Was plante Zach? Was immer der Umschlag auch enthielt, es
war etwas, das seine Warnung unterstrich.
Sie riss ihn auf und wäre
fast in Ohnmacht gefallen, als ein Stapel Fotos heraus fiel. Mit zitternden
Händen hob sie sie vom Boden auf. Eiskalter Schrecken kroch
in ihr hoch.
Bilder von Mulder. Wie er
das Büro der Therapeutin betrat, wie er aus der Bank herauskam, wie er Emmie im
Kindergarten abliefert, beim Joggen—ohne Begleitung, immer alleine. Offen und
ungeschützt. Sie sah die Bilder rasch durch. Nebenbei fiel ihr auf, dass sie
während der ganzen Zeit gemacht worden sind, in der sie bei Mulder gewohnt
hatte, bis sie das letzte Foto fand. Zu Tode erschrocken klammerte Scully
daran, ihre Augen zusammengekniffen, als ein leises Stöhnen ihr entfuhr.
Letzten Montag. Wie er in
seiner eigenen Auffahrt Basketball spielte. Sie hatte am Fenster gestanden und
Mulder zur selben Zeit beobachtet, zu der Zach irgendwo ganz in der Nähe
gestanden und das Foto gemacht hatte—und sie hatte es nicht einmal geahnt. Er
konnte unbemerkt ganz nah herankommen, nah genug um zu schießen. Um ihn
umzubringen. Und er würde es tun. Großer Gott, ja, sie wusste, dass er dazu
imstande war—hatte er es nicht schon zwei oder drei Mal versucht? Dieses Mal
würde er vorsichtiger sein, gerissener. Dieses Mal würde er vielleicht
erfolgreich sein.
Sie wusste, dass sie die
Polizei rufen sollte, dass sie das melden sollte, aber die Gewissheit, dass man
ihr wahrscheinlich nicht glauben würde, machte ihr einen Strich durch die
Rechnung. Sie war eine misshandelte Frau, die die Anklage gegen ihren Mann
zurückgenommen hatte. Sie hatte Null Glaubwürdigkeit. Wenn sie sie jetzt
anrufen würde, würde man sie für eine verbitterte Ex-Frau halten, die Rache
suchte. Das war nicht der Ruf, den sie sich wünschte, aber es war einer, der
ihr auferlegt worden war, ob verdient oder nicht. Die Schläge der Realität, dachte
sie grimmig. Heftige Schläge.
Ihr nächster Gedanke war,
Mulder anzurufen, oder sogar Skinner, aber je mehr sie darüber nachdachte,
desto weniger schien ihr das als Lösung.
Skinner würde nur durch offizielle Kanäle gehen können, die zur Polizei
zurückführten. Mulder würde deswegen nicht nur rebellieren, er würde Todesangst
haben. Wenn sie Mulder erzählen würde, dass Zach nach seinem Leben trachtete,
würde er entweder zusammenbrechen oder die Gefahr völlig ignorieren, das hing
davon ab, wie seine Sitzung mit Dr. Coslow gelaufen
war. Zerknirscht erkannte sie, dass sie in der Falle saßen. Bis Zach
tatsächlich versuchte, Mulder Schaden zuzufügen, konnten sie nichts tun.
Schweren Herzens kam
Scully auf die Füße und ging, um sich hinzulegen. Jetzt war es unmöglich zu schlafen, aber sie
musste viel nachdenken. Sie musste sich bis morgen entscheiden. Zu hoffen, dass
Zach bluffte oder Mulder aufgeben. Sie drehte und wendete das Problem
stundenlang, und fiel dann in einen unruhigen Schlaf. Sie bemerkte nur vage, dass
Mulder irgendwann zurück kam, ihre Tür öffnete und leise schloss, um sie nicht
zu stören. Sie lag ruhig da; es schien ihr besser ihn glauben zu lassen, dass
sie schlief. Es machte ihre Entscheidung, die sie langsam zu treffen begann,
einfacher, wenn sie ihm nicht gegenübertreten musste.
Mulder schlief tief und
fest auf seinem Rücken, Arme zu beiden Seiten auf dem Bett ausgestreckt. Seine
nackte Brust hob und senkte sich rhythmisch mit seinen Atemzügen, und als
Scully ihn beobachtete, merkte sie, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken
geriet. Sie riss sich zusammen und näherte sich dem Bett.
Sie hatte sich endlich
entschieden. Sie musste fort. So lange sie und Mulder zusammen waren, würde er
immer in Gefahr sein. Niemand konnte ihn für immer von ihrem Ex-Mann
beschützen, und Mulder würde nicht leben können, wenn er ständig über seine
Schulter schauen müsste. Es war eines der Dinge, von denen er ihr erzählte
hatte, dass er sie an seiner Freiheit mochte—die Gewissheit, dass nicht jeder,
den er traf, eine Gefahr für ihn darstellte.
Sie hatte viele Tränen
vergossen an dem Abend, als sie in ihrem Bett gelegen hatte und immer noch
vorgegeben hatte zu schlafen, als er zur Abendessenzeit nach ihr sah. Sie
wusste, dass er mit ihr reden wollte, doch sobald sie ihm von ihrem Vorhaben
erzählte, würde es nichts mehr zu bereden geben. Scully wusste, dass wenn sie
ihn ließe, er es schaffen würde, sie davon abzubringen, und dabei war sie doch
entschlossen. Andererseits hatte sie sich Mulder praktisch versprochen, wenn
die Scheidung durch war und ihnen nichts mehr im Weg stand. Sie wusste, dass
Mulder erwartete, ihre Beziehung intimer werden zu lassen, und sie musste
lächeln, als sie sich erinnerte, wie zuvorkommend er gewesen war, als er ihr
alle Zeit versprochen hatte, die sie brauchte. Jetzt blieb ihnen nur noch heute
Abend, und sie wollte so viel wie möglich daraus machen. Sie wollte ihn. Oh
großer Gott, sie wollte ihn so sehr. Leise stieg sie aus dem Bett und ging zu
ihm.
Sie zog ihr Nachthemd aus
und legte sich neben ihn ins Bett. Ihr warmer, nackter Körper kuschelte sich an
seinen, und er zog sie im Schlaf näher an sich. Scully drehte sich zu ihm um
und begann, leichte Küsse über seine Brust zu verteilen und die Haare zwischen
seinen Brustwarzen zu küssen.
"Scully?" nuschelte
Mulder im Halbschlaf.
"Ja, Mulder",
flüsterte sie und ließ ihre Lippen zu seinen gleiten.
Er strich mit seiner
linken Hand ihren Rücken hinauf und verflocht sich in ihren Haaren, hielt sie nah
bei sich, während seine Rechte leicht ihren Po umfasste. Er war jetzt wach.
Noch ein bisschen schlaftrunken, aber sich dessen gewahr, dass sein größter
Traum jetzt in Erfüllung gehen würde, wenn auch unerwartet. Ihre Lippen
erkundeten jeden Zentimeter seines Gesichtes und seines Halses. Schon bald war
er vollkommen erregt und stieß gegen sie mit langsamen, gleichmäßigen
Bewegungen.
Ihre Münder trafen wieder
sich mit Intensität, ihre Zungen wanden und unterwarfen sich, und sie gaben
sich vollkommen ihren Gefühlen hin.
Als Mulder am nächsten
Morgen aufwachte, war er allein.
Er schlug die Augen auf
und suchte nach Scully, aber sie lag nicht neben ihm. Er tastete auf dem großen
Bett herum, doch er fand keinen warmen Köper. Er saß auf und sah sich im Zimmer
um. Das einzige Anzeichen, dass sie in der Nacht da gewesen war, war die
Tatsache, dass er nackt war und er vorher Shorts getragen hatte, und seine
durch die ungewohnten Anstrengungen leicht beanspruchten Muskeln.
Mulder kletterte aus dem
Bett und schlüpfte in die Shorts, die während der Nacht irgendwann auf dem
Boden gelandet waren, und tappte durch den Flur in ihr Zimmer. Sie muss zum
Schlafen wieder in ihr Zimmer gegangen sein, überlegte er, doch als er die Tür
öffnete, raubte ihm der Anblick, der sich ihm bot, fast den Atem.
Sie war fort.
Hastig durchsuchte er das
Zimmer. Alles, war ihr gehörte, war weg. Ihre Kleider, ihre
Badezimmerutensilien, sogar die Bilder ihrer Familie standen nicht mehr an
ihrem Platz. Mulder knallte eine Schublade zu und wirbelte bestürzt herum. Sie
würde doch nach so einer Nacht nicht einfach abhauen? Jetzt gab es für sie keinen Grund mehr, sich
zu verstecken, wo sie Zachary los war.
Rasch sah er auf die Uhr
und merkte mit verzweifelter Erleichterung, dass er verschlafen hatte. Scully
würde schon auf der Arbeit sein. Er ging zurück in sein Schlafzimmer und zog
sich eine Jogginghose an, bevor er zum Telefonhörer griff. Wenn er etwas an
hatte, kam er sich nicht vor wie auf einem Präsentierteller, und sein Anflug
von Angst wich ein wenig, als er ihre Nummer wählte.
"Dana Scully,
bitte", sagte er mechanisch zu der Frau, die das Gespräch entgegennahm.
"Es tut mir Leid,
Sir, aber Dr. Scully ist heute nicht im Hause."
"Sie ist nicht zur
Arbeit erschienen?" fragte er und spürte das Kitzeln wieder. "Hat sie
sich krank gemeldet?"
"Nein, Sir, Dr.
Scully hat sich zwei Wochen Urlaub genommen. Kann ich Ihnen sonst irgendwie
weiterhelfen?"
"Urlaub?"
wiederholte er blöd. "Wann hat sie den Urlaub eingereicht?"
"Vor ein paar Wochen,
glaube ich", informierte ihn die Sekretärin frostig. "Das ist wirklich nicht meine
Angelegenheit. Kann ich Sie mit jemandem verbinden...."
"Nein. Vielen
Dank", sagte er abrupt, legte das Telefon auf den Nachttisch und kämpfte
mit der beginnenden Panik. Sie hatte erwähnte, dass sie Urlaub nehmen würde.
Vielleicht wollte sie ihn überraschen. Aber wenn das der Fall war, wo war sie
dann? Wo waren all ihre Sachen? Er zwang sich zur Ruhe und wählte auswendig
eine weitere Nummer.
"Mrs. Scully",
sagte er, als sie sich verschlafen meldete.
"Fox?"
"Ja, ich bin's.
Dana—ist sie bei Ihnen?" sprudelte es aus ihm heraus in einem Ton, der ein
wenig der Panik, in der er war, heraushob. Maggie Scully schloss kurz die Augen
und betete für die Kraft, die sie brauchen würde.
"Sie ist nicht hier,
Fox", sagte sie sanft. "Sie hat die Stadt verlassen."
Benommen klammerte er den
Hörer, ihre Worte durchdrangen kaum den Nebel, der ihn umgab.
"Wo? Wohin ist sie
gegangen?" brachte er heraus.
Er hörte sie schwer
seufzen. "Sie ist sehr früh heute morgen zu mir
gekommen, um mir zu sagen, wo sie hingeht. Sie hat mich gebeten, es Ihnen nicht
zu sagen. Sie wusste, dass Sie mich anrufen würden, wenn Sie sie suchen und sie
sagte.... Fox, sie braucht einfach ein bisschen Zeit für sich."
Zeit für sich? Heißt das,
sie war gegangen, um über ihrer beider Zukunft nachzudenken? Überlegte sie
etwa, ihre Beziehung zu beenden, wo sie doch gar nicht richtig begonnen hatte?
"Mrs. Scully, bitte,
können Sie mir nicht sagen, wo sie ist? Ich muss dringend mit ihr
sprechen."
"Ich kann nicht, Fox.
Ich habe es ihr versprochen. So viel Sie mir bedeuten, ich würde ein
Versprechen zu meiner Tochter nie brechen." Die Festigkeit in ihrer Stimme
drang zu ihm durch, und er wusste, dass weiteres Betteln sinnlos wäre. Es war
offensichtlich, woher Scully ihren Dickkopf hatte.
"Können Sie mir denn
sagen, wann sie wieder zurückkommt?" fragte er endlich, und der Schmerz in
seiner Stimme war so deutlich, dass sie ihn auch spüren konnte.
Sie seufzte abermals, doch
gab keine Antwort, und nach einem Moment legte er langsam auf. Scully war
wieder vor ihm weggelaufen, dieses Mal ohne jegliche Erklärung, und er konnte
sich beim besten Willen nicht vorstellen, was falsch gelaufen war. Was hatte er
getan, um sie zu vertreiben? Sie war die Nacht zuvor zu ihm gekommen, es war
also nicht so, dass er sie dazu gezwungen hätte. Nach allem, was sie zusammen
durchgestanden haben, jetzt, wo sie endlich eine Chance hatten, warum würde sie
weggehen wollen?
Verärgert erkannte Mulder
die gewohnten Anzeichen einer Panikattacke Er hatte schon seit Wochen keine
mehr gehabt, doch diese kam mit einer solchen Wucht, und wenn er nicht sofort
etwas unternehmen würde, hätte er ein großes Problem. Blitzartig riss er den
Hörer wieder an sich und hämmerte eine Nummer ein, die er in die Schnellwahl
einprogrammiert hatte. Wenn ihm jemand helfen konnte, dann....
"Ja, könnte ich bitte
Walter Skinner sprechen?" fragte er, als jemand dran ging. Er zwang sich
zur ruhigen Atmung und war sich den Messerstichen gewahr, die ihn von allen
Seiten befielen.
"Skinner", tönte
die barsche Stimme am anderen Ende der Leitung. Mulder hielt mit aller Hoffnung
daran fest.
"Walter", sagte
er in einem Ton, der fast ein Keuchen war. "Sie müssen mir helfen."
Ende TEIL Vier
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>
Bestürzt klingelte Walter
Skinner bei Mulder. Er hatte keine Ahnung, was im Haus vorging. Mulder war
zusammenhanglos am Telefon gewesen, und Walter hatte ihm gesagt, er solle
bleiben, wo er war, und nicht einen Finger rühren, bis er da sei. Er hatte sich
überstürzt bei seiner Sekretärin entschuldigt und war innerhalb von zehn
Minuten aus dem Hoover-Gebäude und hinterm Steuer so schnell unterwegs, wie es
nur irgend ging. Er hatte den Verdacht, dass es etwas mit Scully zu tun
hatte—er wusste, dass die Scheidungsanhörung einen Tag zuvor gewesen war—aber
Mulder hatte ihm nichts sagen können, das irgendeinen Sinn machte.
Nachdem er fünf Minuten
draußen gestanden, aber niemand geöffnet hatte, fischte Skinner seinen
Schlüssel aus der Hosentasche, die ihm Mulder glücklicherweise für alle Fälle
gegeben hatte. Wenn er so darüber nachdachte, kam Skinner zu dem Schluss, dass
sich Mulder überraschend kooperativ verhalten hatte seit seiner Rückkehr ins
wirkliche Leben. Das Gefängnis hatte offensichtlich wenigstens einen positiven
Effekt auf ihn gehabt.
"Ich bin hier."
Er folgte dem Ruf durch
den Flur ins große Schlafzimmer und ließ erleichtert die Luft aus den Lungen,
als er Mulder lebend und anscheinend gesund vorfand. Er betrachtete ihn
geschwind und stellte fest, dass er nicht in unmittelbarer physischer Gefahr
war.
"Mulder, was ist
passiert?" fragte er und kniete sich neben den Mann, der zusammengerollt
auf dem Boden lag. Mulder hatte nur eine Jogginghose an, und als Skinner ihn
näher besah, merkte er, dass er zitterte. "Kommen Sie", sagte er und
zog Mulder am Arm vorsichtig hoch. "Stehen Sie erst einmal auf."
Mulder ließ sich von
Skinner auf die Füße ziehen und protestierte nicht, als er ihn aufs Bett setzte
und eine Decke um seine nackten Schultern zog, damit ihm
warm würde. Er saß da mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen und wippte
langsam vor und zurück, während sein Gehirn die schreckliche Wahrheit zu
verarbeiten versuchte—er hatte sie wieder verloren.
"Mulder",
wiederholte Skinner, nahm in an den Schultern und zwang ihn, damit aufzuhören.
"Sagen Sie mir, was hier passiert ist."
"Ich habe sie
verloren", flüsterte Mulder dann. "Sie ist weg."
"Scully?"
Mulder nickte kläglich.
"Was meinen Sie damit,
Sie haben sie 'verloren'?" fragte er. "Hat das irgend
etwas mit ihrem Ex-Mann zu tun?"
"Ich habe sie
verloren." Zutiefst traurig wiederholte er die Worte, und Skinner lief es
kalt den Rücken herunter beim Klang der Einsamkeit in seiner Stimme. Das war
ein schlechtes Zeichen. Er blickte sich mit seinem trainierten Ermittlerblick
um und versuchte, die Situation zu erfassen. Er nahm von dem Zustand des Bettes
an, dass die beiden eine Nacht voller Leidenschaft hinter sich hatten und seine
Lippen verzogen sich zu einer dünnen Linie bei dem Gedanken, dass Scully danach
abgehauen war.
"Mulder, Sie müssen
mir hier weiterhelfen. Hat jemand Scully entführt? Sollten wir die Polizei rufen?" Er
musste sich erst einmal ein Bild über die Lage machen, bevor er irgend etwas tat, doch in diesem Punkt vermutete Skinner
kein faules Spiel in Scullys plötzlicher Abwesenheit.
Er nahm Mulders Gesicht in
seine Hände und zwang den jüngeren Mann ihn anzusehen. "Hat sie jemand
entführt?" wiederholte er langsamer und sah ihn durchdringend an.
Mulder sah zu Tode
erschrocken aus, als ob er Zeuge von etwas geworden war, das nicht für seine
Augen bestimmt war. Schließlich fokussierten sich seine geweiteten Pupillen und
er schüttelte kurz den Kopf. "Nein", sagte er mit gebrochener Stimme.
Er zitterte jetzt stärker
und Skinner drängte ihn, sich hinzulegen, bis er mit dem Kopf auf dem
Kopfkissen lag. Er hob Mulders Beine an, um die Decke darunter über ihn zu
legen, die er ihm bis zum Kinn hochzog. Er fürchtet, dass Mulder unter einem
Schock litt und Skinner wusste nicht so recht, wie er sich in einer solchen
Situation verhalten sollte. Mulder würde ihm in seinem Zustand nicht
weiterhelfen können, also hob er das Telefon auf, das neben dem Bett auf dem
Boden lag. Mulder hatte es offenbar fallengelassen, als er sich auf dem Boden
zusammengerollt hatte. Vielleicht würde Scullys Mutter einige Antworten für ihn
haben.
Skinner kramte eine kleine
Karte aus seinem Portemonnaie, suchte die Nummer und wählte. Er sah zu Mulder,
wie er blass wie ein Geist völlig regungslos da lag, und beschloss dieses
Gespräch besser nicht in seiner Gegenwart zu führen.
"Ich komme sofort
zurück, Mulder", sagte er sanft und zog sich zurück.
Mulder gab keinerlei
Anzeichen ihn gehört zu haben.
"Mrs. Scully? Walter
Skinner", sagte er, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
"Was? Ja, es geht um Dana. Wissen Sie, wo sie... Sie hat was???" Er
hörte ihr verblüfft zu, als Maggie ihm erklärte, dass ja, ihre Tochter hatte
Fox Mulder wieder verlassen. Skinner schluckte seinen Ärger herunter, dankte
ihr brüsk und legte auf. Es war nicht Mrs. Scullys Schuld, dass ihre Tochter
Mulder zum Narren gehalten hatte, aber die Tatsache, dass sie wusste, wo Dana
war und sich weigerte, ihm diese Information zu geben, machte ihn sauer. Er machte
die Tür zum Schlafzimmer wieder auf. Mulder hatte sich nicht gerührt. Skinner
schloss die Tür wieder und wählte eine weitere Nummer in der Hoffnung, dass
Mulders Therapeutin ihm sagen könnte, was er mit ihm machen sollte.
"Ich möchte bitte mir
Dr. Coslow sprechen, es ist ein Notfall", sagte
er der Sekretärin, die seinen Anruf entgegennahm. "Hier spricht Walter
Skinner, und es geht um einen Patienten von ihr, Fox Mulder."
Er wurde in Rekordzeit zu
Dr. Coslow durchgestellt, und nachdem er ihr
erklärte, was er über den Zustand, in dem Mulder sich befand wusste, wartete er
geduldig auf Instruktionen. Skinner verhielt sich ruhig unter Druck, wenn er
keinen Grund hatte, in Panik zu geraten, aber Mulders Reaktion—oder eher Reaktionslosigkeit—erschreckte ihn gehörig.
"Ich glaube, es ist
besser, wenn Sie ihn her bringen", riet ihm Jess
Coslow. "Ich lasse meine Sekretärin meine
Termine verschieben, so dass ich mich umgehend um ihn kümmern kann. Er muss
vielleicht für einen oder zwei Tage ins Krankenhaus."
"Damit wird er aber
nicht einverstanden sein", entgegnete Skinner.
"Walter, er wird
keine Wahl haben. Bringen Sie ihn her und lassen Sie mich sehen, was ich tun
kann."
Skinner drückte den 'Sprechen'-Knopf, um das Gespräch zu beenden und ging zurück
zu Mulder, der immer noch regungslos im Bett lag.
"Mulder?" fragte
er leise und fragte sich, ob er eingeschlafen war. Doch Mulder öffnete bei der
Frage die Augen einen spaltbreit.
"Dr. Coslow möchte Sie sehen. Sie müssen sich anziehen",
sagt er, legte seine Hand hinter Mulders Schultern und hob ihn langsam hoch in
eine sitzende Position. Mulder ließ es mit sich machen und saß auf dem Rand des
Bettes, während Walter ein T-Shirt aus seinem Schrank holte und in den
Schubladen nach Socken kramte.
Am Ende zog Skinner Mulder
praktisch an, zog ihm das Shirt über den Kopf, führte seine Arme durch die
Ärmel, und zog ihm dann Socken und Schuhe an, als Mulder einfach nur da saß und
keine Anstalten machte, es selbst zu tun.
Als das erledigt war, ging Skinner wieder zum Schrank und hob eine leere
Sporttasche vom Boden auf. Rasch packte er ein paar von Mulders Sachen hinein
und fügte noch Toilettenutensilien aus dem Badezimmer hinzu. Nie im Leben würde
er Mulder nach all dem alleine lassen, und wenn er bis heute Abend nicht ins
Krankenhaus musste, würde er ihn mit zu sich nehmen.
Mulder schwieg und bewegte
sich nicht, sein Blick auf den Boden gerichtet, während Skinner seine Sachen
zusammensuchte, und als Skinner schließlich die Tasche vor ihm auf dem Boden
stellte, hob er seinen Blick und sah aus, als sei er überrascht, den anderen in
seinem Schlafzimmer vorzufinden.
"Sir?" fragte
Mulder deutlich verwirrt.
"Ich bringe Sie zu
Dr. Coslow, und danach bringe ich Sie zu mir nach
Hause", antwortete Skinner entschlossen. "Sie wird Sie ins Krankenhaus
einliefern wollen, fürchte ich, aber ich habe mir schon gedacht, dass Sie damit
nicht einverstanden sind."
"Es geht mir
gut", murmelte Mulder und zog sich hoch, um aufzustehen.
"Es geht ihnen nicht
'gut', es ging Ihnen selten schlechter, und lügen Sie mich nicht an",
fauchte Skinner. Mulder zuckte sichtbar zusammen. Skinner milderte seinen Ton
etwas. "Ich mache mir Sorgen um Sie, Mulder, und ich lasse Sie in diesem
Zustand nicht alleine."
Mulder nickte zögerlich
und ließ sich von Skinner durchs Haus und in seinen Wagen führen. Er saß sogar
völlig passiv und mit geschlossenen Augen da, als Skinner ihn wie ein kleines
Kind anschnallte, zurückgelehnt, als ob der kurze Gang ihn das letzte Bisschen
Energie gekostet hätte. Sie wechselten nicht ein Wort während der Fahrt zu Dr. Coslows Büro. Als sie ankamen, musste Skinner ihn wieder
abschnallen, ihn aus dem Wagen ziehen und ins das Gebäude schieben, wo die
Empfangsdame sie sogleich zum Büro der Therapeutin durchwinkte.
Skinner setzte Mulder auf
das eine Ende der Couch und nahm daneben auf einem Stuhl platz, während Dr. Coslow sich auf dem Sofa neben Mulder niederließ.
"Was ist
passiert?" fragte sie Mulder, doch der gab keine Antwort. Er schloss die Augen
und senkte den Kopf in völliger Erschütterung. Sie blickte mit einer erhobenen
Augenbraue zu Skinner, der mit den Schultern zuckte.
"Ich habe Ihnen am
Telefon alles gesagt, was ich weiß", sagte er. "Mulder hat keine drei
Worte gesagt, seit ich bei ihm angekommen bin."
"Ich habe sie
verloren."
Die geflüsterten Worte
echoten im ganzen Raum, sie sprachen Bände in ihrer Einfachheit.
"Wen haben Sie
verloren, Mulder?" fragte Dr. Coslow sanft.
"Scully."
"Wie haben Sie sie
verloren?"
Mulder sah sie verdattert
an. "Sie ist weg", sagte er, als ob das alles erklären würde.
Dr. Coslow
seufzte. Es würde eine lange Sitzung werden.
"Möchten Sie, dass
ich draußen warte?" fragte Skinner, weil er merkte, dass er bei der
Therapeutin ein wenig unverkrampfter war.
"Das wäre vielleicht
eine gute Idee, wenn es Mulder recht ist", erwiderte sie und sah Mulders
leichtes, zufriedenes Nicken. Er war wohl doch nicht so weit weg, wie sie
anfangs befürchtet hatte. "Ich kann nicht sagen, wie lange wir brauchen
werden, um dem hier auf den Grund zu gehen."
Doch letztendlich hatte es
nicht allzu lange gedauert. Keine zwei Stunden später öffnete sich die Tür und
ein Mulder erschien, der wenigstens alleine gehen konnte. Sein Gesicht trug
entsprechende Spuren, doch er sah nicht mehr aus wie jemand, der den Bezug zur
Realität verloren hatte. In der rechten Hand hielt er einen Styroporbecher mit
Kaffee, den er in einem Zug austrank und den Becher in einen Mülleimer warf,
bevor er zu Skinner herübe ging.
"Sie hatten Recht,
sie wollte mich wieder ins Krankenhaus stecken", sagte er gedämpft.
"Ich habe ihr gesagt, dass ich stattdessen zu Ihnen fahre. Ist das in
Ordnung?"
Skinner stand auf und
griff nach seinem Mantel. "Natürlich, Mulder", sagte er. "Ich
hatte nicht vor, Sie irgendwo anders hingehen zu lassen."
Mulder lächelte beinahe
bei der chefähnlichen Freundlichkeit seines früheren Vorgesetzten. Er konnte
immer auf Skinner zählen, er würde ihn in Krisensituationen nie alleine lassen.
Leider war Skinner der Einzige, auf den er sich bedingungslos verlassen konnte.
Die Schützen waren seine Freunde, aber sie hatten ihre Grenzen, und Scully....
Er biss kräftig die Zähne zusammen. Scully war wie es im Moment aussah für
immer aus seinem Leben verschwunden. Er konnte ihr nicht länger vertrauen.
Innerhalb einer Stunde war
Mulder wieder in seinem alten Schlafzimmer in Skinners Wohnung eingerichtet. Es
war spärlicher eingerichtet als vorher, weil seine persönlichen Sachen jetzt in
seinem Haus waren, aber es war immer noch gemütlich und vertraut. Mulder setzte
seine Tasche auf dem Boden ab und ging zurück zu Skinner ins Wohnzimmer. Das
Letzte, war er im Moment wollte war allein sein.
Skinner sah auf, als er
durch die Tür kam. "Sie sehen ein wenig besser aus", bemerkte er und
legte die Zeitung beiseite, in der er geblättert hatte.
Mulder bedeutete ihm, doch
weiterzulesen. "Lassen Sie sich von mir nicht
stören", sagte er mit gesenktem Blick, und Skinner fühlte sich an den
Mulder erinnert, den er damals an seinem ersten Tag in der Freiheit vom
Gefängnis nach Hause gebracht hatte. Demütig, bescheiden, ängstlich zur Last zu
fallen. Im Stillen verfluchte er Scully und wünschte, Mulder würde sich schnell
von diesem Rückschlag erholen.
"Sie stören mich
nicht", gab er zurück und bot Mulder mit einer Handbewegung einen Sessel
an. Als sich Mulder gehorsam gesetzt hatte, fragte er, "Möchten Sie mir
nicht erzählen, um was es eigentlich geht?"
Mulder seufzte und rieb
seine Hände über sein Gesicht. Er sagte so lange nichts, dass Skinner schon
annahm, er würde keine Antwort bekommen.
"Sie hat mich
verlassen", murmelte er schließlich gedämpft durch seine Hände.
Skinner schwieg für einen
Moment, um seine Worte zu verdauen. Mulder hatte Scully großzügig eine
Unterkunft in seinem Haus gewährt, als sie nicht zu ihrer Mutter wollte und nirgendwo
anders hin konnte, und Scully schien sich über seine Gesellschaft gefreut zu
haben. Die Beiden waren in den letzten zwei Monaten gut miteinander
ausgekommen, wie in alten Zeiten. Die kleinen Streits, die
Auseinandersetzungen—Skinner war erfreut darüber gewesen, dass sie wieder
locker miteinander umgehen konnten. Es war ebenfalls offensichtlich gewesen,
dass sie immer noch starke Gefühle füreinander hegten. Mulder machte streng
nach seiner 'Keine Lügen mehr'-Einstellung kein
Geheimnis aus der Tatsache, dass er Scully liebte, doch Scully war, wie
gewöhnlich, viel reservierter gewesen. Jetzt fragte sich Skinner, was genau sie
für Mulder empfand.
"Haben Sie sich
gestritten?" Irgendwie nahm Skinner an, dass das nicht der Grund war, aber
die Frage schien auf der Hand zu liegen. Er konnte genauso gut alle
Möglichkeiten erst einmal ausschöpfen.
Mulder schüttelte den
Kopf, ließ seine Hände fallen und starrte wieder auf den Boden.
"Wollten Sie mir
sagen, was passiert ist?" bot Skinner ruhig an. Er wollte Mulder nicht
unter Druck setzen, doch es wäre sehr förderlich für seine Genesung, wenn
Skinner wusste, mit was er es zu tun hatte.
Mulder blickte verwirrt,
als ob er angestrengt nachdachte. "Ich weiß es nicht genau",
antwortete er schließlich. "Jess hat mich dasselbe
gefragt, aber ich weiß einfach nicht...."
"Ich nehme an, dass
sie Scheidung reibungslos gelaufen ist?"
"Ja."
"Und danach, was
haben Sie danach gemacht?"
Mulder wurde rot.
"Walter, fragen Sie mich, ob wir...?"
"Ich frage Sie, was Sie
danach gemacht haben, Mulder", unterbrach ihn Skinner ernst. "Haben
Sie gefeiert, haben Sie irgendwo Mittag gegessen, nach Hause gegangen und haben
einen ruhigen Nachmittag verbracht... was?"
"Ich bin zu meiner
regulären Sitzung mit Jess gegangen, und Scully war
zu Hause, um sich hinzulegen." Mulder war es etwas peinlich, dass er
Skinners Frage missinterpretiert hatte, aber Skinner
kümmerte sich nicht weiter drum.
"Und nachdem Sie von
der Sitzung zurück gekommen sind?"
Der Jüngere seufzte ein
wenig und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er blickte vom Boden jetzt zur
Decke. "Sie hatte noch geschlafen. Sie hat sogar das Abendessen
verschlafen. Ich bin dann um circa zehn ins Bett gegangen. Ich nehme an, sie
war von all dem Stress der letzten Woche einfach erledigt."
"Und was ist dann
passiert?" Skinner hasste es, wenn er die Informationen so aus Leuten
herausquetschen musste, aber in diesem Fall wusste er, dass er es mit Mulder
langsam angehen musste.
"Sie.... sie ist zu mir gekommen. Letzte Nacht. Nachdem ich
eingeschlafen war." Wieder Verlegenheit.
Skinner ignorierte es.
"Sie haben sich letzte Nacht geliebt, Mulder?"
Mulder nickte und kniff
bei der Erinnerung die Augen zusammen. "Dann, als ich am nächsten Morgen
aufgewacht bin, war sie...."
"War sie weg",
beendete Skinner seinen Satz. Er konnte sehen, wie Tränen sich durch seine fest
geschlossenen Augen bahnen wollten, und stand abrupt auf. Skinner flüchtete in
die Küche, um Kaffee zu machen und Mulder ein wenig Zeit zu geben, sich wieder
zu sammeln. Er hoffte, dass Mulder nicht wieder in diesen katatonsich-ähnlichen
Zustand fallen würde, in dem er vorher war. Als er ein paar Minuten später
zurückkam, war Mulder weg. Als er sich rasch umsah, entdeckte er ihn auf dem
Balkon, wo er siebzehn Stockwerke herunter starrte.
"Mulder", rief
er leise und betete, dass er wieder rein kommen würde. Er entspannte sich
etwas, als Mulder sich umdrehte und er sein Gesicht sehen konnte. Es sah nicht
aus wie das Gesicht eines Mannes, der im Begriff war zu springen.
Als ob er plötzlich merken
würde, was Skinner wohl denken musste, trat Mulder mit einem schiefen Lächeln
wieder zurück ins Wohnzimmer. "Keine Sorge, Walter, ich habe nicht vor,
mich aus Verzweiflung von Ihrem Balkon zu stürzen", sagte er.
"Ich bin froh, das zu
hören", erwiderte Skinner und spürte seinen rasenden Puls langsamer
werden.
"Um ehrlich zu sein,
habe ich es einen Moment lang in Erwägung gezogen, aber dann habe ich mich
dagegen entschieden. Ich würde Ihnen das nicht antun."
"Gut, Mulder, denn
ich bin mir nicht sicher, ob es meiner Karriere gut tun würde, wenn noch ein
Mann von meinem Balkon aus in den Tod stürzt."
Zu seiner Verwunderung
begann Mulder zu lachen. Kein volles Lachen, aber dennoch ein Lachen. Dankend
nahm er die Tasse Kaffee, die Skinner ihm hinhielt und nippte vorsichtig daran.
"Ich werde mich
wirklich nicht umbringen", versicherte er Skinner. "Nach allem, was
ich durchmachen musste, würde jetzt von einem Balkon zu springen eher trivial
sein. Ich meine, ich denke darüber nach, Walter", sprach er weiter,
während Skinner zu seinem Sessel zurückkehrte und Mulder beobachtete, wie er
langsam wie ein gefangner Tiger im Raum hin und her ging. "Ich habe die
schlimmsten Entführungen, Torturen, Schießereien und kräftezehrendsten
Enttäuschungen erlebt, und ich habe vier Jahre lang die Hölle im Gefängnis
durchgemacht. Irgendwie verleiht mir das alles einen harten Panzer, wenn es
darum geht, Scully zu verlieren."
Ein harter Panzer. Und das
von einem Mann, der erst heute Morgen zusammengerollt wie ein Häufchen Elend in
seinem eigenen Schlafzimmer gelegen hat, kaum dem, was um ihn herum geschah,
gewahr. Skinner war kein Psychologe, aber für ihn stand fest, dass Mulder sich
seine Gefühle nicht eingestehen konnte. Vielleicht eine Maßnahme zum
Selbstschutz, grübelte er, während er stumm darauf wartete, dass Mulder
fortfuhr.
Doch Mulder sagte nichts
mehr. Er hielt plötzlich in seinem Tiger-Gang inne und drehte sich mit einem
kleinen Lächeln zu Skinner um. "Sie glauben mir nicht, oder?"
Skinner stellte seine
Tasse ab, bevor er antwortete, um etwas Zeit zu gewinnen, um Zeit zu gewinnen
für seine Wortwahl. "Ich glaube, dass Scully Ihnen sehr viel
bedeutet", sagte er vorsichtig, "und ich glaube, Sie versuchen einen
Weg zu finden, damit umzugehen."
Mulder schüttelte langsam dem
Kopf und begann wieder, durch das Zimmer zu wandern. "Nein. Das stimmt
nicht. Sie bedeute mir nichts mehr. Vom heutigen Tag an ist sie für mich
Geschichte."
"Selbst wenn sie
zurück kommt?"
"Sie wird nicht
zurück kommen", sagte Mulder sicher.
"Und was, wenn doch,
Mulder? Was, wenn sie eine gute Erklärung hat?"
Mulder hielt an und
starrte vor sich hin. Seine Emotionen gingen jetzt mit ihm durch. "Welche
verdammte Erklärung kann sie schon haben?" rief er wütend. "Was für
eine Situation konnte sie dazu gebracht haben, sich mitten in der Nacht
herauszuschleichen und die Stadt zu verlassen? Nach dem, was sie getan hat—sie
hat mich *benutzt*, Walter! Sie wollte mit mir in die Kiste, und sie hat die
Gelegenheit beim Schopf gegriffen, als sie sich ihr bot. Dann hat sie sich
einfach aus dem Staub gemacht. Ich habe ihr nie etwas bedeutet."
"Sie haben
Unrecht", unterbrach ihn Skinner standhaft. "Sie haben ihr etwas
bedeutet. Ich weiß nicht, wie sie jetzt fühlt, aber ich habe Ihnen schon mal
erzählt, dass sie fast zerbrochen ist, als sie inhaftiert worden sind."
"*Ich* bin fast daran
zerbrochen!"
"Und dann haben Sie
sie aus ihrem Leben geworfen." Die Worte kamen nicht als Vorwurf heraus,
sondern stellten einfach eine bloße Tatsache dar, doch Mulder wich sämtliche
Farbe aus dem Gesicht, als er es hörte.
"Glauben Sie—glauben
Sie, dass sie sich dafür rächt?" Seine Stimme war erstickt, als ob er
einen Kloß im Hals hätte.
"Es ist mir in den
Sinn gekommen, ja", gab Skinner zu. "Aber das sähe ihr nicht ähnlich.
Das wäre nicht die Scully, die wir kennen, wenn sie einfach auf ein bisschen
Rache aus wäre. Außerdem hat sie Ihnen nie absichtlich weh getan, Mulder."
Mulder sagte für einige
Zeit nichts. "Ich glaube, keiner von uns beiden kennt Scully noch,
Walter", sagte er letztendlich mit zum ersten Mal geradewegs auf das
Gesicht des anderen Mannes gerichteten Blick. "Ich glaube nicht, dass wir
sie überhaupt kennen."
Skinner rief am nächsten
Morgen im FBI-Büro an, um sich ein paar Tage frei zu nehmen. Er hatte an dem
Abend, nachdem Mulder zu Bett gegangen war, ein Gespräch unter vier Augen mit Jess Coslow geführt, und sie
hatte ihm versichert, dass Mulders Ruhe nichts als Fassade war.
"Er ist in einer
Krise, Walter, und zwar in einer großen", erklärte sie ihm. "Früher
oder später wird er nichts mehr vorspielen können und wenn er alleine ist, wenn
das passiert, weiß ich nicht, was er anstellen könnte. Ich wünschte, er wäre damit einverstanden
gewesen, ein paar Tage im Krankenhaus zu verbringen."
"Ich werde bei ihm
bleiben", versprach er ihr. "Er fühlt sich bei mir sowieso wohler. Er
hat die Krankenschwestern zur Verzweiflung getrieben. Ich kann mit ihm umgehen."
"Aber wenn er einen
Zusammenbruch hat, können Sie damit auch umgehen?" fragte sie. "Er
ist ein fest entschlossener Mann, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt
hat."
"Ich kann auch fest
entschlossen sein, Jess. Außerdem war ich mal sein
Vorgesetzter und der Einschüchterungseffekt ist immer noch da. Ich komme mit
Mulder klar."
Er hatte aufgelegt und
sich gewünscht, er wäre so zuversichtlich wie er geklungen hatte. Er war sich
nicht sicher, was er tun würde, wenn Mulder versuchen würde, sich etwas
anzutun, aber er wusste, dass er es verhindern musste, wenn sich diese
Situation ergab. Er würde es nicht zulassen, dass Mulder sich selbst opferte.
Nicht nach allem, was er durchgemacht hatte.
Mulder verschlief am
nächsten Morgen das Frühstück. Skinner beschloss nach ihm zu sehen, als ihm
einfiel, dass Mulder keinen elektrischen Rasierapparat benutzte. Es würde zwar
ein schwieriges Unterfangen sein, mit den gesicherten Klingen, die Mulder
bevorzugte, seine Pulsadern aufzuschneiden, aber es war sicherlich nicht ein
Ding der Unmöglichkeit. Mit klopfendem Herzen öffnete Skinner die Tür zum
Schlafzimmer einen Spalt breit. Seine Erleichterung war erheblich, als Mulder
verschlafen den Kopf hob und ihn ansah.
"Hab ich
verpennt?" fragte Mulder, offensichtlich noch nicht ganz wach.
"Nein, das ist schon
in Ordnung. Ich wollte nur mal nach Ihnen sehen."
Skinner begann, die Tür
wieder zu schließen, aber Mulder hielt ihn auf.
"Walter, ich weiß,
dass Sie sich Sorgen machen, aber das brauchen Sie nicht. Es geht mir
gut."
Skinner schnaubte.
"Sicher, Mulder. Wenn Sie jetzt aufstehen, kann ich Ihnen noch ein
Frühstück warm machen."
"Nein, vielen Dank,
ich bin nicht wirklich hungrig", nuschelte das Objekt seiner Besorgnis,
und schwang sich aus dem Bett in Richtung Badezimmer. Skinner schüttelte verärgert den Kopf und
ging zurück zu seinem Sofa und Zeitung. Wann, fragte er sich, würde Mulder endlich
zugeben, dass es ihm nicht 'gut' ging?
Mulders Fassade dauerte
weitere anderthalb Tage an, und der Auslöser für seinen letztendlichen
Zusammenbruch konnte etwas so einfaches sein, dass es niemand vorhersehen
konnte. Skinner hatte seitdem er ihn bei sich hatte versucht, Mulder von
potentiell gefährlichen Gesprächsthemen oder Situationen fernzuhalten, und ein
Besuch am Grab seiner Mutter beruhigte Mulder normalerweise immer. Als Mulder
gefragt hatte, ob er ihn zum Friedhof fahren könne (selbst zu fahren hatte ihm
Walter klar und deutlich verboten), willigte Skinner ohne Umschweife ein. Aber
in der Sekunde, in der Mulders Blick auf das Grab fielen, erkannte Skinner,
dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte, doch da war es schon zu spät.
Mulder hatte sie auch gesehen.
Die Blumen—weiße Nelken.
Blumen, die Scully immer zu Teena Mulders Ruhestätte
brachte. Skinner trat zu Mulder und sah, dass sein Gesicht mindestens so weiß
wie die Blüten war und seine Augen ins Leere blickten. Er biss sich auf die Unterlippe, so fest,
dass Skinner glaubte, er würde jeden Augenblick anfangen zu bluten.
"Kommen Sie, Mulder,
lassen Sie uns zurück zum Auto gehen", sagte er mit fester Stimme, nahm
Mulder beim Ellbogen und führte ihn zurück auf den Weg. Mulder sah ein einziges Mal zurück zu den
Blumen, dann resolut nach vorn.
"Es ist egal",
murmelte er wieder und wieder zu sich selbst. "Es ist mir ganz egal."
Skinner war besorgt.
Mulders Augen hatten wieder diesen Ausdruck eines gejagten Tieres angenommen,
und er schien sich innerlich völlig abgeschottet zu haben. Er setzte Mulder ins
Auto und schaffte sie beide so schnell es ging da weg.
Wieder in seiner Wohnung
wollte er sich eigentlich um die Reparatur seiner alten Kaffeemaschine kümmern,
doch er wollte Mulder nicht für eine Sekunde aus den Augen lassen. Mulder hatte
sich auf der Couch zusammengerollt und starrte mit weiten Augen und leerem
Blick aus dem Balkonfenster. Walter behagte Mulders Vorliebe für dieses Fenster
überhaupt nicht, und überlegte ernsthaft, ob es etwas bringen würde, irgendein
Schloss davor zu hängen. Höchstwahrscheinlich nicht, denn wenn Mulder da raus
wollte, würde er einfach das Fenster zerschlagen. Er sah, wie Mulder anfing zu
zittern und deckte ihn mit der Decke zu, die er
gewöhnlich an kalten Winterabenden bei Basketballspielen benutzte.
"Sie war da,
Walter", sagte Mulder plötzlich. "Sie ist da
hin gegangen und hat Blumen auf das Grab meiner Mutter gelegt, aber sie hat
sich nicht bei mir gemeldet. Ihre Mutter hat gesagt, dass sie die Stadt
verlassen hat, und Maggie würde mich sicher nicht anlügen. Glauben Sie, dass
sie die Stadt verlassen hat und all das? Vielleicht hat sie sich nur irgendwo
in der Nähe verkrochen. Vielleicht ist sie wirklich einfach nur bei ihrer
Mutter."
"Langsam,
Mulder!" kommandierte Skinner und Mulder unterbrach seine frenetischen,
fast wahnsinnigen Überlegungen.
"Sorry",
nuschelte er und Skinner legte einen Moment freundlich seine Hand auf Mulders
Schulter.
"Warum bringt Scully
Blumen zu dem Grab Ihrer Mutter?" fragte er in der Hoffnung, die Krise,
die so offensichtlich an der Oberfläche kratzte, nicht anzustacheln. Je eher
sie diese Sache beredet hatten, desto besser für Mulder.
Die Spur eines Lächelns
überflog Mulders Gesicht. "Ich habe sie einmal darum gebeten, und sie
sagt, dass sie es tut, um Mom Respekt zu erweisen." Ein kleines Lachen.
"Sie hat gedacht, dass Mom mich all die ganzen Jahre nicht geliebt hatte,
in denen wir zusammen gearbeitet hatten, doch als ich ins Gefängnis musste, hat
Scully gesagt, dass sie gemerkt hätte, wie viel ich meiner Mutter
bedeutete."
"Die meisten Mütter
lieben ihre Söhne, Mulder, selbst wenn sie nicht wissen, wie sie es ihnen
zeigen sollen", bemerkte Skinner.
"Warum kann sie mich
nicht lieben?" fragte Mulder wie ein kleines Kind.
Skinners einziger Gedanke
war, 'da haben wir's wieder'.
"Wissen Sie, dass sie
mir nie gesagt hat, dass sie mich liebt? Sie hat es
auf so viele Arten angedeutet und hat es mich glauben lassen, aber sie hat es
mir nicht ein einziges Mal gesagt."
"Haben Sie ihr
gesagt, was Sie fühlen?" fragte Skinner. Es lag auf der Hand, wohin dieses
Gespräch führen würde und die Tränen, die er erwartete, würden nicht mehr lange
auf sich warten lassen.
"Ja, verdammt!"
brauste Mulder auf. "Ich habe es ihr schon vor Jahren gesagt, vor
Ewigkeiten, schon mein ganzes Leben lang! Wissen sie, was sie getan hat,
Walter? Sie ist einfach weggegangen."
"Damals im
Gefängnis?"
"Nein! Zwei Jahre
vorher, nach dieser ganzen bescheuerten Bermuda-Sache, in die ich reingeraten
war", erklärte Mulder wütend, und Skinner nickte verständnisvoll.
"Ich hab endlich den
Nerv gefunden, es ihr zu sagen, und sie hat sich umgedreht und ist gegangen.
Sie ist nie darauf zurück gekommen, und ich hatte Angst, es ihr noch einmal zu
sagen, und sie...."
"Langsam, Mulder."
Seine Worte waren sanft, beruhigend, doch Mulder schien sie nicht gehört zu
haben.
".... hat sich einfach umgedreht und *ihn* geheiratet!
Wenn sie es nur zur Kenntnis genommen hätte, Walter, wenn sie mir nur gesagt
hätte, was sie fühlt.... Wenn Scully mich geliebt hat, wäre ich vielleicht
zufrieden gewesen. Ich hätte vielleicht diese verdammte Suche nach der Wahrheit
aufgegeben und wäre einfach für sie da gewesen. Vielleicht hätten wir uns ein
gemeinsames Leben aufbauen und zusammen glücklich sein können, aber stattdessen
sitze ich hier...."
Er hielt inne und beugte
sich krampfartig nach vorne, als ob ihm die Luft ausgegangen sei. Jetzt kamen
die Tränen. Nicht langsam und nacheinander, sondern alle auf einmal, als ob
jemand den Wasserhahn voll aufgedreht hätte. Tiefstes, heftiges Schluchzen
zerriss Mulders Körper, während er sich an der Decke festhielt, als ob sie die
einzig stabile Sache in einer wahnsinnig gewordenen Welt wäre.
"Ich habe alles wegen
ihr verloren", keuchte er zwischen den Schluchzern. "Alles—mein ganzes Leben—nichts ist mehr
übrig. Wie konnte ich ihr nur... wie konnte ich ihr nur vertrauen? Ich bin so
lange hinter ihr her gerannt, Walter, *und sie hat mir nicht einmal gesagt,
dass sie mich liebt!* Nicht EIN EINZIGES MAL!!"
Skinner ließ ihn weinen
und wettern und aus Verzweiflung schreien und seine Wut über das auszulassen,
was er durchmachen musste. Gott weiß, er hatte ein hartes Spiel zu spielen, mit
niedrigen Karten und keinem einzigen Joker. Er war überrascht, dass Mulder
überhaupt so lange in dem Spiel ausgehalten hatte.
"Ich hätte so viel
anders machen können, wenn sie es mir nur gesagt hätte! Sie hat mir nur benutzt, Walter, das ist
alles. Ich war jemand, auf den sie sich verlassen konnte, wenn sie Hilfe
brauchte, ich habe ihr immer zugehört, wenn sie Probleme hatte, und dann, bevor
sie gegangen ist, war ich nur eine schnelle Nummer, die sie sich schon seit
Jahren versprochen hatte, denke ich, aber sie hat mich nie geliebt! Und sie
*wusste*, sie *WUSSTE* was ich für sie empfand, aber sie hat sich einen Dreck
darum geschert! Warum kann sie mich nicht lieben? Warum bin ich ihr nicht gut
genug? Was ist nur so schrecklich falsch an mir..."
Seine Worte verstummten
nach diesem Ausbruch, weil der Schwall der Tränen und die Bemühungen zu atmen
sie nicht mehr möglich machten. Fast eine Stunde saß Skinner da und sah Mulder
zu, als sein Herz letztendlich brach.
Alles, was er je erleiden musste, endete in dieser einen Sache: Scully
hatte Mulder nie gesagt, dass sie ihn liebt. Walter fragte sich grimmig, was
sie damit vermeiden wollte. Die Wahrheit hatte so deutlich auf der Hand
gelegen, doch bevor die Worte nicht gesprochen waren, bedeute es Mulder nichts.
Dann, endlich, hörte er
auf zu weinen. Mulder war erschöpft und lag matt auf der Couch. Skinner zog und
schob, bis er Mulder ordentlich hingelegt hatte und deckte ihn dann wieder
richtig zu. Gerade, als er dachte, dass Mulder eingeschlafen war, hörte er
geflüsterte Worte von Mulders Lippen. Er beugte sich näher zu ihm, dass er sie
gerade mal verstehen konnte, und als er es tat, war er verwirrt.
"Das ist der Rest,
Scully."
Scully starrte auf den
Umschlag in ihren Händen. Sie musste ihn nicht einmal öffnen, sie wusste schon,
was drin war. Noch mehr Bilder von Mulder, allein und allen Gefahren ausgesetzt.
Seitdem sie gegangen war, erhielt sie jede Woche einen solchen Umschlag. Es war
offenbar Zachs Art ihr zu zeigen, dass er sie immer noch beobachtete. Sie hatte
versucht ihn anzurufen, hatte ihm sagen wollen, er solle Mulder in Ruhe lassen,
jetzt, wo sie seinen Forderungen nachgegeben hatte, aber unter seiner
Telefonnummer meldete sich nur eine Ansage, dass die Nummer nicht mehr vergeben
war. Sie hatte für einen Moment sogar in Betracht gezogen, seine Eltern
anzurufen, aber dann hatte sie sich doch dagegen entschieden—sie mussten wegen
Zach schon genug durchmachen, und sie sah keinen Grund, sie da auch noch mit
reinzuziehen. Sie würden ihr sowieso nicht weiterhelfen können.
In den letzten Tagen hatte
sie mit dem Gedanken gespielt Skinner anzurufen, nur um ihn wissen zu lassen,
was vor sich ging. Sie wusste auch, dass sie die Polizei informieren sollte,
doch als sie an Mulders resolute Vehemenz, die Polizei nicht wegen Zachs
Attacken auf ihn einzuschalten dachte, ließ sie es bleiben. Außerdem würden sie
diesen Fall einfach als Belästigungsfall behandeln, was bedeutet, dass sie
nichts tun können, solange Zach nicht wirklich irgendetwas Konkretes
unternimmt. Und dann würde es zu spät sein. Bis jetzt, das war sicher, hatte
Zach ihr nur die Fotos geschickt, um seine Drohung aufrecht zu erhalten. Wenn
Mulder herausfinden würde, dass die Behörden Interesse zeigten, wäre er
wahrscheinlich wirklich in Gefahr. Aus all diesen Gründen verhielt sie sich
still, aber der Preis war hoch. Es machte ihr pausenlos zu schaffen und sie
litt unter Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit und nur Zach war Schuld. Wenn er
sie nur in Ruhe lassen würde—sie ein neues Leben anfangen lassen würde—würde
sie damit umgehen können, selbst wenn Mulder nicht in ihrem Leben sein würde.
Die andauernde Gewissheit, dass der Mann, den sie liebte, in ständiger Gefahr
war, machte aus ihr jedoch ein Nervenbündel.
Plötzlich klopfte es
völlig unerwartet an der Tür und Scully schreckte auf. Niemand kam sie hier besuchen. Niemand. Rasch
steckte sie den Umschlag in eine Schublade zu den anderen, die sie bekommen
hatte, und sah dann durch den Spion an der Tür.
Bill. Was zur Hölle machte
Bill hier? Ihr letztes Gespräch war nicht gerade freundschaftlich verlaufen.
Bill hatte ihren Entschluss, Mulder zu verlassen begrüßt, und - um obendrauf
noch Salz in die Wunde zu streuen - vorgeschlagen, ihrem Ex-Mann noch eine
Chance zu geben.
"Noch eine Chance für
was?" hatte sie ihn sarkastisch gefragt. "Mich umzubringen?" Er
war absolut nicht auf ihre Seitenhiebe eingegangen.
Sie stand mit ihrer Hand
für einen Moment am Türknauf und versuchte sich zu beruhigen, bevor sie
öffnete. Wenn sie einen wütenden Bill oder Vorschläge, wie sie ihr Leben leben sollte erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. Bill
schaute regelrecht zerknirscht drein.
"Darf ich
reinkommen?" fragte er zögerlich nach einem Moment. Er wurde ihm unter
Scullys Blick noch unbehaglicher, als ihm während der Warterei vor der Türe eh
schon war. Er wollte überhaupt nicht her gekommen sein, aber das Drängen seiner
Frau, Tara, sein eigenes Gewissen und der Wunsch mit seiner Schwester Frieden
zu schließen, hatte ihn letztendlich zu dieser Tür geführt.
Scully starrte ihn noch
einen Moment länger an, immer noch baff, dass er hier war, fing sich dann aber
wieder. "Klar", sagte sie kurz angebunden und trat einen Schritt
zurück, um ihn hereinzulassen.
Eine ganze Weile stand er
unbeholfen im Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung, bevor sie ihm mitleidig einen
Sessel anbot. Langsam ließ er seinen großen Körper darauf sinken.
"Dana, ich
möchte...." setzte er an, hielt dann aber inne und schüttelte den Kopf. So
konnte er nicht anfangen. Es ging nicht darum, was *er* wollte, sondern es ging
um seine Schwester.
"Ich bin gekommen um
dich um Entschuldigung zu bitten", endete er zögerlich.
"Für?" wollte
sie wissen, unwillig ihm die Gefälligkeit von Gnade zu geben. Er hatte ihr Leben in vielerlei Hinsicht zur
Hölle gemacht, und sie war sich nicht sicher, ob sie ihm je vergeben könnte,
die Kaution für Zach gezahlt zu haben, nachdem er sie zusammengeschlagen hatte.
"Für alles. Dafür,
wie ich mit dir umgegangen bin. Ich weiß jetzt, dass ich kein Recht dazu hatte.
Ich will dich immer noch nicht mit diesem Mulder zusammen sehen, aber ich bin
froh, dass...."
"Weißt du,
Bill", unterbrach ihn Scully kalt, "du hast eine unglaubliche
Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, wenn du keine oder nur wenige Fakten über
eine Situation kennst. Du hast beschlossen, Mulder nicht zu mögen, bevor du ihn
überhaupt kennengelernt hast, und du hast ihm nie eine Chance gegeben. Er hat
mir erzählt, was du ihm draußen im Krankenhausgang gesagt hast, als ihr euch
getroffen habt, und ich war... Bill, ich habe mich für dich geschämt."
"Ich war nur
wütend", sagte er zu seiner Verteidigung. "Es stand schlimm um dich,
und ich war..."
"Es war alles seine
Schuld? Das ist es, was du sagen wolltest, stimmt's?"
Als er schuldbewusst errötete, beugte sie sich näher zu ihm und sagte
eindringlich: "Sag mir, was du an ihm nicht magst, Bill. Ich möchte, dass
du es in Worte fasst. Ich möchte es verstehen."
Er seufzte und sah sie
nicht an. Wie konnte er etwas in Worte fassen, was einfach eine instinktive
Ablehnung war? Er wusste nicht genau warum, aber von dem Moment an, als er
durch ihrer Mutter von Mulder gehört hatte, von der Suche, auf der er sich
befand, und die Einzelheiten erfuhr, wie Missy
gestorben war, war er sich sicher gewesen, dass Mulder nichts Gutes bedeutete.
Dass Dana letztendlich wegen ihrer Beziehung mit ihm leiden würde. Und wurde er
in seiner Ansicht nicht immer und immer wieder bestätigt? Hatte sie nicht wegen
ihren Gefühlen und ihrer Hingabe für ihn Himmel und Hölle durch gemacht?
"Wenn er nicht wäre,
würdest du ein ganz normales Leben führen", begann er. "Du hättest jemanden geheiratet, den du
liebst, hättest Kinder, wärst glücklich."
"Wie kannst du dir da
so sicher sein, Bill? Das Leben bietet keine Garantien. Jeder hat seine
Sorgen."
"Du hattest mehr als
genug."
Sie zuckte mit den
Schultern. "Vielleicht, aber wer entscheidet schon darüber, was genug ist
und was nicht? Du? Gott? Du hast mir immer noch nicht gesagt, was ich hören
möchte. Behaupte nicht, dass du Mulder hasst, nur weil du daran denkst, was
hätte sein können. Sag mir genau, was dich an ihm stört."
"Der Kerl ist
verrückt, Dana!" explodierte er. Er hatte genug von dem ganzen Kram. Er
mag vielleicht gekommen sein, um sich bei ihr zu entschuldigen, aber sie war
immer noch seine kleine Schwester, verdammt, und sie sollte ihn achten.
"Er glaubt an Aliens, um Himmels Willen!"
"Du willst also sagen," sagte sie ruhig, "dass du ihn nicht magst, weil
er an etwas glaubt, an das du nicht glaubst. Es ist dir egal, dass er ein
ehrenvoller Mann ist und nett und ein durch und durch aufrichtiger Mensch. Du kannst mit ihm nichts anfangen, weil er
nicht wie du denkt."
Er warf ihr einen
ärgerlichen Blick zu und weigerte sich darauf zu antworten.
"Dann, Bill, glaube
ich, dass ich dich auch nicht leiden kann", sprach sie weiter, und er
zuckte, weil sie auf den katholischen Glauben anspielte, in dem sie erzogen
worden waren. "Magst du mich folglich auch nicht?"
"Natürlich,
Dana...."
"Dann akzeptiere mich
so, wie ich bin, Bill. Versuche nicht, mich ändern zu wollen. Wenn ich einen
Mann liebe, den du nicht akzeptieren kannst, dann halte dich wenigstens aus der
Angelegenheit heraus. Ich habe deine Wahl im Punkto Ehemann versucht. Es hat
nicht geklappt." Die Ironie in ihrem Worten erinnerte ihn daran, weswegen
er gekommen war.
"Hör zu, ich hatte
nicht vor, eine Diskussion über Mulder anzufangen", sagte er ratlos.
"Ich bin gekommen, um mich für mein Benehmen bezüglich Zach zu
entschuldigen. Ich hätte ihn nie aus dem Knast holen dürfen, aber Dana.... ich habe ihm geglaubt."
Sie setzte sich zurück und
wartete, bis er fortfuhr.
"Ich weiß, ich war
dumm, das zu tun, aber er war so lange mein Freund gewesen, und ich konnte
nicht glauben, dass er dir jemals willentlich weh tun würde. Ich war drauf und
dran, ihn in Stücke zu reißen, als ich ihn an jenem Morgen gesehen habe, wenn
das hilft", fügte er mit einem kleinen Grinsen hinzu, und sie nickte.
"Ein wenig. Es kam
mir vor, als ob du mich im Stich gelassen hättest."
"Das tut mir sehr
leid. Ich möchte nur, dass du das weißt. Ich kann manchmal ein bisschen blind
sein, aber ich liebe dich wirklich und möchte nur das Beste für dich. Ich war
so von Zach eingenommen, dass ich die Wahrheit nicht gesehen habe."
"Und jetzt siehst du
sie?" Er nickte. "Was hat deine Meinung geändert?" wollte sie
wissen. Sie hatte niemandem etwas von Zachs Drohungen gegenüber Mulder erzählt.
Es war ihr Geheimnis, eine Bürde, die nur sie tragen musste.
"Etwas, das er mir
gesagt hat, hat mich zum Nachdenken gebracht.... Zach hatte mir damals schon
etwas erzählt, aber ich habe ihm damals nicht geglaubt. Dana, es war so absurd,
und du musst verstehen...."
"Was hat er
gesagt?"
Er rieb sich mit einem
Finger die Nasenbrücke. Das tat er immer, wenn er sich ärgerte. Es war eine
Angewohnheit aus seiner Kindheit, und Dana lächelte.
"Er sagte, dass es
ihm nicht mehr ums Geld gehen würde", antwortete er und wiederholte ohne
es zu wissen Zachs exakten Wortlaut. "Was bedeutet, dass es ihm irgendwann
ums Geld gegangen ist, aber Dana, ich schwöre, ich habe das nicht gewusst. Du
und Mom habt versucht, es mir zu sagen, aber ich konnte es nicht glauben. Ich
hab geglaubt, dass ihr zwei wegen Mulder so blind gewesen wart, dass ihr Zach
nicht verstehen konntet. Jetzt sehe ich, dass ich der Blinde gewesen bin."
Scully wollte laut
loslachen. Wenigstens, dachte sie, sieht mein großer Bruder klar, auch wenn es
jetzt zu spät ist.
"Kannst du mir
vergeben?" fragte er vorsichtig und hielt ihre Hand. "Ich möchte,
dass wir wieder Freunde sind."
"Oh Bill, natürlich
vergebe ich dir", sagte sie traurig. "Du bist mein Bruder, und ich
liebe dich. Aber ich möchte, dass du aufhörst bestimmen zu wollen, was ich
machen soll."
"Das werde ich, das
verspreche ich. Das habe ich hinter mir", versicherte er ihr. "Tara
hat mir gestern Abend die Leviten gelesen, und ich habe gemerkt, wie falsch ich
gelegen habe. Versteh mich nicht falsch, Dana, es ändert meine Einstellung
gegenüber Mulder nicht, und ich bin froh, dass du nicht mehr mit ihm zusammen
bist."
"Und was würdest du
tun, wenn ich zu ihm zurückgehen würde?" fragte sie und ihre Hand
versteifte sich in seiner. "Ist diese Entschuldigung ernst gemeint, oder
würdest du wieder wie früher einmischen?"
"Ich würde es nicht
gutheißen", gab er zu, "aber ich verspreche, dass ich zivilisierter
sein werde." Er grinste sie an mit einem Lächeln, dem Tara vermutlich
damals verfallen war, als sie sich in Bill verliebt hatte, erinnerte sie sich.
"Das ist alles, was ich tun kann."
Scully seufzte. "Das
ist alles, was ich verlangen kann."
Er zog sie in seine Arme,
und sie erwiderte die Umarmung dankbar. Sie hasste es, Streit mit ihm zu haben,
besonders wenn Charles in Übersee stationiert war, und sie begrüßte die
Gelegenheit, sich mit ihm zu versöhnen.
"Ich gehe jetzt
besser", sagte er. "Ich habe eine lange Fahrt vor mir. Tara hat
vorgeschlagen, übers Wochenende hierher zu kommen und dich zu besuchen. Ich wollte es nicht übers Telefon
machen."
"Ich bin froh, dass
du gekommen bist", lächelte sie. Das erste wirkliche Lächeln, das er seit
Monaten von ihr gesehen hatte. "Ich möchte, dass wir miteinander
auskommen."
Bill küsste sie rasch auf
die Wange und verschwand aus der Tür, die Scully hinter ihm verschloss. Ihre
Augen füllten sich mit Tränen, doch sie bezwang sie bevor sie ihr über das
Gesicht laufen konnten. Erheblich erleichtert griff sie zum Telefon. Ihre
Mutter würde es bestimmt gerne erfahren, dass sie sich mit Bill versöhnt hatte.
"Wann werden Sie mich
nach Hause gehen lassen, Walter?" wollte Mulder wissen. Es war jetzt drei
Wochen her, seit sich Scully von Mulder losgesagt hatte und es ging ihm langsam
auf den Geist, dauernd beobachtet zu werden.
Skinner hatte sich paar Tage frei genommen, um ihm durch das schlimmste
Tief zu helfen. Dann hatte er die Einsamen Schützen darauf angesetzt, auf
Mulder acht zu geben und arrangierte rasch einen Urlaub für zwei Wochen. Mulder
hatte in all der Zeit vielleicht fünf Minuten Zeit für sich gehabt. Langsam
machte es ihn wahnsinnig. Er wollte einfach mal alleine sein, um seine Gedanken
und Gefühle zu sortieren.
Skinner hatte auch darauf
bestanden, dass er seine wöchentlichen Therapiesitzungen auf drei erhöhte, bis
er über den Kern des Schocks hinweg war, und Mulder hatte zähneknirschend
zugestimmt, damit Walter ihm nicht andauernd damit auf die Nerven fiel.
Insgeheim war er zu Tode erschrocken darüber, wie er daran gedacht hatte,
seinem Leben ein Ende zu setzen. Der Gedanke daran, dass er es wirklich getan hätte,
alles weggeworfen hätte, alles wofür er geschuftet hatte, all die Fortschritte,
die er gemacht hatte.... Es gab mehr im Leben als nur Dana Scully sagte er sich
verärgert und nahm sich vor, sich von dieser Tatsache zu überzeugen. Er hatte
sich Psychologie-Seminare in den Universitäten in der Nähe angesehen und fand,
dass George Washington die beste Alternative war. Er wollte so früh wie möglich
anfangen. Es würde ihm etwas geben, worauf er sich konzentrieren konnte,
anstatt auf Scully.
Skinner zuckte beiläufig
mit den Schultern. Er erinnerte sich an den früheren Mulder, der einfach
Bescheid sagen würde, dass er geht, und nicht erst nach Erlaubnis fragt. Doch
er nahm an, dass es diesen Mulder nie mehr geben würde. Seine frühere Arroganz
war zum größten Teil verschwunden, und Skinner war sich nicht sicher, ob diese
Veränderung von Mulders Erfahrungen herrührten, oder ob es einfach an
zunehmender Reife und Urteilsfähigkeit lag. Mulder hatte andere Ziele als
vorher, aber im Großen und Ganzen, hatte er sich nicht so verändert. Er war
immer noch der Fox Mulder, den Skinner von früher kannte, nur beschwingt durch
andere Leidenschaften. Manche Aspekte der Veränderung vermisste Skinner ganz
und gar nicht. Es war eine bittersüße Veränderung.
"Ich nehme an, dass
ich keine andere Wahl haben werde, wenn ich am Montag wieder arbeiten
gehe", gab er zur Antwort mit einem nervösen Kribbeln in der Magengegend.
Er bekämpfte es mit starkem Willen—irgendwann musste er Mulder gehen lassen.
"Warum haben Sie es so eilig? Fanden Sie es hier in meiner Wohnung so
schlimm?"
Mulder grinste, um die
Anspielung aus dem Gesagten zu nehmen. "Nicht wirklich, es sei denn man
nehme die Tatsache, dass ich nur alleine bin, wenn ich aufs Klo muss."
"Das ist nicht wahr,
Mulder. Soweit ich weiß ist Ihnen noch niemand bis in die Badewanne
gefolgt", ging Walter auf sein Necken ein. Er wusste, dass Mulder die
Einschränkungen hasste, mit denen er leben musste, und er bereute es, dass er
sich dazu gezwungen fühlte, aber Mulders Sicherheit stand für ihn an erster
Stelle. Zuerst hatte er wirklich große Angst, dass Mulder, stur wie er nun mal
sein konnte, einen Weg finden würde, sich etwas anzutun, sobald Skinner ihm den
Rücken zuwendete. Als die Tage verstrichen und Mulder keine Anzeichen machte,
die diese Furcht bestätigten, war Skinner etwas lockerer geworden. Trotzdem
tendierte er immer noch dazu, ständig ein Auge auf ihm zu halten.
"Nein, aber ich warte
darauf", antwortete Mulder mit einem raschen Wechsel von Heiterkeit zu
Niedergeschlagenheit. Diese plötzlichen Stimmungsumschwankungen machten Skinner
am meisten Sorgen. Laut Jess Coslow
war es ein Anzeichen dafür, dass nicht alles heile war im Mulderland, trotz
seiner unentwegten Proteste, dass alles (Seufz, Walter) 'in Ordnung' war. Er
war in den letzten Wochen geradezu allergisch geworden auf diese beiden kleinen
Worte. Er war erstaunt darüber, dass Mulder (und auch Scully, gib's zu, Walter) eine anscheinend so harmlose Phrase zu
etwas machen konnten, das ihn dazu brachte, seine Hände um irgend
einen Hals legen und würgen zu wollen. 'In Ordnung'. 'In Ordnung' stand
für 'ja, mir geht es beschissen, aber ich will nicht darüber reden, weil ich
selbst damit klar kommen kann—guck mal, wie gut ich das bis jetzt gemacht
habe?' oder 'Ich will nicht sagen, was ich fühle, weil ich glaube, dass ich dir
sowieso schon zu viele Sorgen bereitet habe.'
"Darauf können Sie
warten, bis die Hölle zufriert, Mulder. Ich ziehe die Grenze, Ihren Rücken zu
waschen", gab er heiter zurück. Er wollte die Stimmung ungezwungen halten.
Wenn Mulder darauf bestehen würde, wieder in sein Haus zu gehen und allein dort
zu bleiben, würde er nichts dagegen tun können. Mulder war immerhin ein
erwachsener Mann, der psychisch immer noch zurechnungsfähig war. Skinner konnte
ihn wirklich nicht im Schlafzimmer einschließen, obwohl er schon einige Male
den dringenden Wunsch verspürt hatte, gerade das zu tun.
Seine größte Sorge war,
dass sobald Mulder wieder alleine war, er sofort anfangen würde, nach Scully zu
suchen, und das, so empfand er, war das Schlimmste, was sein Freund tun könnte.
So tief sie ihn auch verletzt hatte, war Skinner der Meinung, dass es das Beste
für Mulder war, sie hinter sich zu lassen und weiterzumachen. Er war erfreut
gewesen über Mulders Pläne sich fortzubilden, und zu seiner Überraschung war
daraus ein handfestes Ziel für ihn geworden. Zuerst hatte er befürchtet, dass
es nur ein Hirngespinst war, entstanden in einer Welle von Verzweiflung, aber
Mulder war tatsächlich sehr interessiert daran, seinen Diplom zu machen.
"Aber mal im Ernst,
Walter." Mulder ließ die Hin- und Herlauferei
sein und warf sich auf die Couch. "Ich bin bereit, nach Hause zu gehen.
Ich bin sehr dankbar für alles, was Sie für mich getan haben, aber der Punkt
ist gekommen, wo ich wirklich wieder allein sein möchte. Ich werde nichts
anstellen, ich verspreche es."
Er unterstrich seine Worte
mit einem angedeuteten Lächeln, und Skinner seufzte innerlich. Er tippte mit
den Fingern auf der Sessellehne, während er überlegte.
"Bitte, Walter."
Mulders Stimme war fest, ruhig, und es war keine Spur von Betteln darin, trotz
seiner Wortwahl. Es war das erste Anzeichen des alten, hartnäckigen und fest
entschlossenen Mulder, den Skinner so lange nicht mehr gesehen hatte, und es
half ihm, eine kurz entschlossene Entscheidung zu treffen.
"Na gut, Mulder. Ich
kann Sie ja nicht gegen Ihren Willen hier behalten. Sie können gehen, aber wenn ich erfahre, dass
Sie Hilfe brauchten und mich nicht angerufen haben...."
Skinner ließ die Drohung
in der Luft hängen, aber Mulder wusste genau, was er sagen wollte. Es bedeutet
'Ich werde Sie verfolgen und jagen und ihren Hintern von hier nach San
Francisco treten', und Mulder hegte keinen Zweifel daran, dass sein autoritärer
Ex-Chef das ohne zu Zögern tun würde. Er
war schon mehr als einmal Grund für Skinners verbale Tritte in den Hintern
gewesen, und er konnte auf einen weiteren gerne verzichten.
"Ich werde Sie
anrufen. Wenn ich Sie brauche, werde ich anrufen. Einverstanden?"
Skinner hielt seinen Blick
für einen langen Moment, bevor Mulder schließlich weg sah. "Was werden Sie
machen?" fragte er, als Mulder von der Couch aufstand um zu packen.
Mulder zuckte die
Schultern. "Im Pool schwimmen. Basketball spielen. Mich auf die Uni im
Herbst vorbereiten. Das übliche."
"Ich meinte",
sagte Skinner vorsichtig, "werden Sie versuche, sie zu finden?"
Mulder war einen Moment
lang still. "Ich weiß, was Sie gemeint haben", gab er ungern zu, sein
Rücken zu Skinner gewandt.
"Und?" bohrte
Skinner, als Mulder nicht zu antworten schien.
Mulder drehte sich zu ihm
um. Er sah aus wie ein geprügelter Hund. Schmerz, Traurigkeit, Angst, alles
manifestierte sich für wenige Sekunden in seiner Haltung, bevor es durch eine
nichtssagende Maske ersetzt wurde, die Mulder dieser Tage so oft trug.
"Warum würde ich sie
finden wollen?" fragte er in neutralem Ton.
"Wollen Sie damit
sagen, dass Sie sie nicht finden wollen?" konterte Skinner, fest
entschlossen, Mulder mit der Wahrheit zu konfrontieren. "Können Sie sie so einfach gehen
lassen?"
Fast zerbrach seine Maske.
Aber nur fast. Mulder fing sich in letzter Sekunde.
"Ich weiß, Sie und
Scully haben eine gemeinsame Vergangenheit, Mulder", fuhr Skinner sanft
fort, "aber es ist an der Zeit zu erkennen, dass sie vielleicht keine
gemeinsame Zukunft haben werden."
Mulder stürzte ohne ein
weiteres Wort aus dem Zimmer.
Als er seine Sachen in
eine Tasche stopfte, wappnete Mulder sein Herz gegen weiteres
Auseinanderbrechen. 'Es ist egal', sagte er sich streng. 'Jetzt ist alles egal.
Konzentriere dich auf deine Zukunft.'
Skinner, der ihm gefolgt
war um zu sehen, ob Mulder seine Hilfe bräuchte, hörte das unterrückte Murmeln
seines Freundes, als er seine Sachen packte.
Schweren Herzens drehte er sich um und ging auf dem gleichen Weg zurück. Langsam, Stück für Stück, verlor er Mulder.
Sein anfänglicher Verdacht fiel ihm wieder ein, dass Mulder eines Tages
sämtliche Stricke zu seiner Vergangenheit lösen würde, ihre Freundschaft
eingeschlossen, und er fragte sich, ob dieser Tag näher war, als er vermutet hatte.
Skinner starrte auf den
Telefonhörer in seiner Hand, überrascht und verärgert zugleich über die Person
am anderen Ende der Leitung. Es war jetzt sechs Wochen her, seit sie
verschwunden war, sechs Wochen, in denen Mulder wieder - wie vorher auch - zu einem
verschreckten Häuflein Elend geworden war. Die Depressionen, in die Mulder
gefallen war, waren schlimmer als je zuvor, und wenn es nicht Mulders Vertrauen
in ihn zerstören würde, hätte er seinen früheren Agenten schon längst wieder zu
sich geholt, um auf ihn aufpassen zu können.
Er versuchte, aus der
Entfernung ein Auge auf Mulder zu halten, doch das stellte sich als sehr
schwierig heraus. Meistens, wenn Skinner anrief, ging Mulder nicht ans Telefon,
und wenn er dran ging, klang er kühl und distanziert und ein wenig abgelenkt.
Die Gespräche waren kurz und gestelzt.
Ein paar Mal war Skinner unangemeldet bei Mulder vorbeigekommen und
hatte seinen Schlüssel gebraucht, als niemand auf sein Klingeln hin öffnete.
Die ersten paar Male hatte er Mulder vorgefunden wie er alleine im Dunkeln auf
der Couch saß und an die Wand starrte. Er schien überrascht gewesen zu sein,
Skinner zu sehen, als ob er die Klingel nicht gehört hätte. Jedes Mal hatte
Mulder ihn träge begrüßt und dann wieder vor sich hin gestarrt, als ob er
nichts weiter zu sagen hätte. Das einzige Mal, an dem Skinner eine vernünftige
Antwort aus ihm herausbekommen hatte war, als er ihm drohte, ihn wieder aus
seinen eigenen vier Wänden zu nehmen. Mulder war aufgeschreckt und ihm
versichert, dass alles 'in Ordnung' sei. Bei diesen Gelegenheiten konnte
Skinner sich nur mit aller Anstrengung zusammenhalten, um ihn nicht
höchstpersönlich ein paar hinter die Ohren zu geben.
Sein letzter Besuch war
eine Folge des Anrufs, den Skinner von Jess Coslow erhalten hatte, Mulders Therapeutin. Er war zu der
Zeit zu drei Sitzungen nicht gekommen, und hatte sich geweigert, sie
zurückzurufen oder ihren Anruf entgegenzunehmen. Aus lauter Verzweiflung hatte
sie schließlich Walter angerufen in dem Gewissen, dass wenn ihr jemand sagen
konnte, was mit Mulder los war, dann nur sein vertrauter Freund. Skinner war
ausgerastet.
Er hatte sich überhaupt
nicht mit Klopfen aufgehalten, als er bei Mulder angekommen war und umgehend
seinen Schlüssel benutzt. Und wie erwartet, saß Mulder in dem durch das
abklingende Tageslicht schummrigen Raum auf seinem altbekannten Platz auf der
Couch. Er war mit Riesenschritten durch den Raum gestürzt, um ihm zu zeigen,
was er von seinem Verhalten hielt, doch der nähere Anblick seines Freundes
hielt ihn auf.
Mulder trug die gleichen
Sachen, die er vor vier Tagen angehabt hatte, als Skinner ihn das letzte Mal
gesehen hatte, und es war offensichtlich, dass er seitdem nicht mehr von diesem
Platz gewichen war. Ein halb-leeres Glas Wasser stand
vor ihm auf dem Tisch, und Mulder machte keine Anzeichen, dass er Walters
Ankunft mitbekommen hatte. Er fuchtelte mit der Hand vor Mulders Gesicht und
ihm fuhr der erste ernsthafte Schrecken durch die Glieder, als Mulder einige
Sekunden brauchte, um zu reagieren.
"Walter?" fragte
er schließlich und rührte sich ein wenig auf dem Sofa.
"Was machen Sie
hier?"
"Mulder, wissen Sie,
welcher Tag heute ist?" fragte Skinner freundlich.
Mulder runzelte die Stirn.
Er wollte im Moment keine Fragen beantworten, und ganz bestimmt nicht so
bescheuerte Fragen, welcher Tag heute sei. Er war die ganze letzte Woche damit
beschäftigt gewesen, jeden Moment seines Lebens, an den er sich erinnerte,
auseinander zu nehmen und zu überlegen, wo er versagt hatte und was er besser
machen könnte, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen würde. Nach sorgfältiger
Überlegung war Mulder zu dem Schluss gekommen, dass keine Änderungen nötig
waren. Sein Leben war völlig außer Kontrolle geraten seit er zwölf Jahre alt
gewesen war, schloss er, und nichts, was er hätte tun können, hätte sein Leben
von dem Lauf, den es genommen hatte, abbringen können. Irgendwie glaubte er
sogar, dass wenn er Samanthas Entführung akzeptiert, das FBI gemieden und
stattdessen eine medizinische Karriere in Psychologie verfolgt hätte, wie er es
geplant hatte, hätten die Ereignisse ihn dennoch zu diesem Punkt geführt.
"Wann haben Sie das
letzte Mal etwas gegessen?" redete Skinner weiter, als er keine Antwort
auf seine vorherige Frage erhielt.
Mulder schüttelte ein
wenig den Kopf. "Ich weiß nicht. Es ist mir auch egal. Ich habe keinen
Hunger, Walter."
Skinner presste seine
Lippen zusammen. Seine erste Reaktion war Wut, doch das würde Mulder jetzt
nicht helfen. Stattdessen packte er Mulder und schwang ihn auf die Füße, wobei
ihm nicht verborgen blieb, wie viel er an Gewicht verloren hatte, seit Scully
weg war. Er schien kleiner, definitiv leichter und etwas transparent.
Skinner schob Mulder vor
sich her durch den Flur in sein Zimmer. "Das erste, was Sie machen, ist
duschen", sagte er. "Und dann werden Sie etwas essen."
Mulder hielt an und drehte
sich mit ausdruckslosem Gesicht, wie die ganze Zeit schon, zu Walter um.
"Okay, Walter. Das werde ich tun. Aber ich gehe nicht wieder mit Ihnen
nach Hause."
Nach einer zögerlichen Sekunde
nickte Skinner. Er wusste, Mulder würde dem in seiner augenblicklichen
Verfassung sowieso niemals zustimmen, also hatte er keine andere Wahl, wenn er
ihn nicht kurzerhand kidnappen wollte.
Mulder betrat auf Skinners
Drängen hin das Badezimmer und nahm die frischen Sachen an, die Skinner ihm in
die Hand drückte. Nachdem er die Tür hinter sich zugeschlossen hatte, blickte
er perplex um sich. Was sollte er noch mal machen? Ach ja, duschen. Allerdings
duschte Mulder nicht mehr, nicht seitdem er im Gefängnis gewesen war, nicht
seitdem er sich geschworen hatte, nie wieder völlig entblößt anderen
ausgeliefert zu sein. Als ob es sicherer wäre, nackt in einer Badewanne zu
sitzen schnaubte Mulder innerlich. Das Schicksal würde einem in den Hintern
treten, wenn es nur wollte, und man konnte nicht das kleinste Bisschen dagegen
tun. Wenn er schon nicht viel gelernt hatte, das hatte er sich eingebläut.
Automatisch und ohne
Nachzudenken ließ er Wasser ein und stieg mit einem gewissen Wohlgefühl in die
heiße Wanne. Er hatte sich in letzter Zeit so gelähmt gefühlt, dass jede ihm
Abwechslung willkommen war, und er hatte völlig vergessen, wie gut es sich
anfühlte, einfach sauber zu werden.
Er blieb eine ganze Weile
dort liegen und nahm gedankenverloren (gedankliche Abwesenheit war dieser Tage
des Rätsels Lösung - wenn er an nichts dachte war es einfacher, den Tag zu
überstehen) die Wärme in sich auf. Als er merkte, wie das Wasser langsam kalt
wurde, setzte er sich mit einem plötzlichen Gefühl von Unsicherheit auf. Irgendetwas
musste er als nächstes tun. Was nur? Sich abtrocknen, das war's. Nein, Moment.
Da war noch ein Schritt davor. Mulder schaltete auf Autopilot und griff nach
Shampoo und Seife. Später konnte er sich überhaupt nicht mehr daran erinnern,
sich gewaschen zu haben.
Als er immer noch wie von
ferngesteuert aus der Wanne stieg, griff er nach einem Handtuch und wickelte
sich darin ein. 'Was kommt jetzt?' bohrte das kleine Eckchen Bewusstsein, dass
er erlaubte. Er starrte das Waschbecken eine volle Minute an, bevor sein Blick
auf die Tube Zahnpasta fiel, die daneben lag. Mechanisch putzte er sich die
Zähne und spülte die Zahnpasta den Abfluss hinunter, als seine Gedanken wieder
drohten, ins Nichts abzuschweifen. Als er schließlich dreißig Minuten später
aus dem Badezimmer kam, war er vollkommen angezogen, frisch gewaschen und
gekämmt. Er hatte alles in allem fast zwei Stunden gebraucht. Skinner, der vorsichtshalber die ganze Zeit
vor der Tür gestanden und gehorcht hatte, bereit sie einzutreten, wenn er den
Eindruck hatte, dass sich Mulder etwas antun könnte, atmete erleichtert auf.
Mulder hatte vergessen, sich zu rasieren, aber Skinner würde einen Teufel tun,
und Mulder in seinem Zustand vorschlagen, eine Rasierklinge zu gebrauchen.
"Kommen Sie
mit", wies er ihn an. "Sie müssen etwas essen."
Mulder zuckte die
Schultern und folgte ihm in die Küche, wo er sich auf den für ihn
bereitgestellten Stuhl setzte. Sein Blick verfolgte Skinner, der die Küche nach
Essbarem und Geschirr absuchte, und schließlich eine Hühnersuppe zubreitete.
Das war vermutlich das Einzige, das nicht schwer in Mulders empfindlichen Magen
sein würde, und Skinner hatte keine Ahnung, wie lange Mulder nichts mehr
gegessen hatte.
Offensichtlich war der
Drang seines Körpers nach Flüssigkeit zu stark gewesen, dachte er, als er an
das halb-leere Glas Wasser zurückdachte. Er stellte
Mulder die fertige Suppe vor die Nase und drückte ihm energisch einen Löffel in
die Hand.
Mulder nahm ihn an und sah
für eine Sekunde so aus, als wisse er nicht, was er damit anfangen sollte.
Wieder lies er den Autopiloten übernehmen. Es ist schon erstaunlich, dachte
Skinner, als er zusah, wie Mulder an der Suppe nippte, was Muskeln und Nerven
noch zustande brachten mit nur wenig oder gar keinem Zutun vom Gehirn.
Skinner setzte sich still
ihm gegenüber und sah zu, wie Mulder jeden Bissen der Suppe auf seine
mechanische und automatische Weise aß. Mulder war bei allem, was er ihn gefragt
oder gebeten hatte, vollkommen kooperativ gewesen. Er hatte sich ohne
Widerworte gewaschen und gegessen. Er war sich sicher, dass sobald er ihm den
Rücken zuwandte, Mulder sich wieder auf der Couch verkriechen
und tagelang weder baden noch essen würde, bis ihn wieder jemand dazu zwang.
Mit einem Seufzen fragte er sich, wie gut seine Chancen standen, Mulder unter
Beobachtung in ein Krankenhaus zu bringen.
Wahrscheinlich gleich Null, dacht er. Mulder war nicht so schlimm dran,
dass er eingeliefert werden musste, und freiwillig würde er einem
Krankenhausaufenthalt nie im Leben zustimmen.
Sie hatten ausgenommen von
Skinners Anweisungen überhaupt nichts miteinander gesprochen. Mulder war die
ganze Zeit über still und gehorsam gewesen, deswegen bemühte sich Skinner nun,
Mulder aus seiner Schweigsamkeit herauszulocken.
"Warum haben Sie so
lange auf der Couch gesessen, Mulder?" fragte er und stützte sein Kinn auf
seine Faust.
Mulder sah für einen
Moment wie benebelt aus, blickte in der Küche umher und dann in den leeren
Suppenteller vor sich, als ob er sich nicht erklären könne, wieso er auf einmal
mit vollem Magen vor seinem früheren Chef saß.
Er zuckte wieder die
Schultern. "Keine Ahnung."
Skinners Kiefer zog sich
zusammen, doch er schluckte seinen Kommentar herunter. "Jess sagt, dass Sie nicht mehr zu den Sitzungen
gehen."
Mulder starrte ihn an, als
ob er ihn jeden Moment beißen würde. "Das ist mir egal."
Wenn Mulder es
abgestritten oder ihn angefahren hätte, weil er sich einmischte, hätte Skinner
mit seiner Antwort umzugehen gewusst, aber diese drei Worte jagten ihm einen
kalten Schauer den Rücken herunter.
"Was ist Ihnen
egal?" fragte er vorsichtig mit der Befürchtung, die falsche Frage zu
stellen.
Mulder schüttelte langsam
den Kopf und seine Augen verloren langsam Focus.
"Alles. Mir ist alles
egal."
"Auch Scully?"
Es war ein schwacher Versuch, das wusste er, aber vielleicht würde es eine
Reaktion von Mulder hervorrufen—eine Art Reaktion auf tiefsten Schmerz, den
Ärzte sich von einem Komapatienten erhoffen.
Doch Mulder zeigte keine
Anzeichen tiefsten Schmerzes. Er zeigte keine Anzeichen jeglicher Emotionen.
"Es ist mir einfach egal."
Die Endgültigkeit dieser
Worte schockierte Skinner zutiefst. Er befürchtete, dass Mulder den Punkt
erreicht hatte, wo ihm wahrhaftig alles egal war - egal, ob er aß oder schlaf oder ob er den nächsten Atemzug tat oder nicht. Nicht
mehr leben wollen, nicht mehr sterben wollen. Mulder hatte ein Stadium totaler
Gleichgültigkeit erreicht. Er hatte in den letzten drei Wochen mehrere Male die
Gelegenheit gehabt, seinem Leben ein Ende zu machen, aber er hatte sie nicht
ergriffen. Das wiederum war, wenn man darüber nachdachte erschreckend, stellte
Skinner fest. Denn wenn es Mulder nicht einmal gelang, genug Energie und Willen
aufzubringen, sich selbst aus seinem Unglück zu befördern, was war dann von ihm
übrig? Was steckte wirklich noch im Innern dieser leer dreinblickenden Schale?
Skinner hatte Angst um ihn, und er wusste nicht mehr weiter.
"Ich komme darüber
hinweg, Walter." Er sagte es leise, fast flüsternd, aber es gab ihm eine
tröstende Zuversicht. Mulder war immer noch irgendwo da drin. Er hatte sich nur
ein einen schützenden Kokon gewickelt, auf der Suche nach Schutz von der Welt,
die zu weit mit ihm gegangen ist, ihn zu stark gebissen und einen zu großen
Teil aus seinem Hintern gerissen hatte.
Seine seelischen Wunden mussten erst wieder heilen, bevor er sich wieder
um sein Äußeres kümmern konnte.
"Ich habe Angst um
Sie", gab Skinner zu und wunderte sich selbst über seine Offenheit in dem
Moment. Männer redeten so nicht miteinander. Männer sagten Zeugs wie 'Hey
Alter, wie geht's, du elende alte Mistratte, kriegst du noch welche rum dieser
Tage?' und so weiter. Sie saßen nicht gegenüber am Essenstisch und steckten in
einem emotionalen Gespräch. Aber irgendwie schien 'wie geht's dir, du alte
Mistratte' hier nicht angebracht zu sein.
Mulder sah ihn unverwandt
an. "Das brauchen Sie nicht. Ich bin in Ordnung."
Und dann,
"Danke."
Skinner stand auf, denn er
konnte nichts weiter tun, wenn er Mulder nicht gerade gegen seinen Willen an
einen anderen Ort wegschleppen würde.
"Ich werde Jess anrufen und ihr sagen, dass Sie morgen vorbeikommen
werden. Ich schicke einen der Jungs
hierher, um Sie hinzubringen. Geben Sie mir keine Widerworte", warnte er
ihn, als er sah, dass Mulder protestieren wollte. "Entweder das, oder ich
*werde* Sie zu mir nach Hause nehmen und Sie ins Schlafzimmer einschließen.
Haben Sie mich verstanden, Mulder? Ich werde nicht zusehen, wie Sie immer
weiter abrutschen."
Ohne auf seine Antwort zu
warten drehte Skinner sich um und verschwand aus der Tür. Er ließ einen
sprachlosen und etwas verwirrten Mulder zurück. Er brauchte sich nicht
umzusehen, um zu wissen, dass Mulder in wenigen Minuten wieder zu der Couch
zurück gehen würde.
Seit dem Tag, an dem er
Frohike, Byers und Langly um Hilfe gebeten hatte,
wurde Mulder ultimativ zu einer Entscheidung gezwungen: entweder kaputt gehen
oder wieder anfangen zu leben. Zu ihrer gemeinsamen Erleichterung hatte Mulder
sich für letzteres entschieden, obwohl er eher düster vor sich hin lebte.
Irgendwie erschien er dunkler und viel ernsthafter in seinem Auftreten als
jemals zuvor, doch wenigstens aß er, schlief und badete—er war am Leben. Wenn
sie ihn doch nur davon überzeugen könnten, dass es ein Leben nach Scully gab.
Jetzt, zwei Wochen nachdem
er Mulder alleine in der Dunkelheit sitzend vorgefunden hatte, starrte Skinner
verärgert auf den Telefonhörer, aus dem ihre Stimme kam.
"Walter? Sind Sie
dran?" Sie klang unsicher.
Er umklammerte den Hörer
und zwang sich zu zivilisiertem Benehmen.
"Ja, ich bin
dran", sagte er kurz angebunden. "Wo sind Sie?"
Sie seufzte. "Wenn
ich Ihnen das sagen würde..."
"Keine Sorge, Dana.
Ich werde es Mulder gegenüber nicht erwähnen."
"Ich bin in
Baltimore", beichtet sie. "Ich habe einen Job im Büro des örtlichen
Medizinlabors bekommen."
"Das ging aber
schnell", warf er ein.
"Ich habe mich
frühzeitig darum gekümmert..."
"Bevor Sie ihn hängen
gelassen haben", erinnerte er sie grob. "Bevor Sie mit ihm geschlafen
haben und ihn dann stehen gelassen haben wie einen Kaktus in der Wüste?"
Er spürte ihr
erschrockenes Einatmen eher als dass er es gehört hatte, und eine Welle von
Schadenfreude durchfuhr ihn.
"Ich hatte einen
Grund dafür", sagte Scully mit kleiner Stimme. "Deswegen rufe ich Sie
heute an."
"Ich bin ganz
Ohr."
Für einen Moment wollte
sie das Telefon ans andere Ende des Zimmers an die Wand werfen und bereute,
dieses Gespräch überhaupt angefangen zu haben, doch der Gedanke an Mulder in
Zachs Händen zwang sie zur Konzentration.
Ihre Gefühle waren jetzt nicht wichtig. Sie könnte sich später um ihre
Wut und Erniedrigung kümmern.
"Mulder könnte immer
noch in Gefahr sein, Walter. Ich möchte Sie bitten, ein Auge auf ihn zu
haben."
Das ließ ihn hochfahren.
"Was meinen Sie damit?" bellte er.
Stockend, doch ohne ein
Detail auszulassen, begann Scully ihm von Zachs Besuch an dem Tag der Anhörung
zu erzählen, die Fotos von Mulder, die er ihr gegeben hatte, ihre Gründe, weder
ihn noch die Polizei bisher kontaktiert zu haben. In der Hoffnung er möge
verstehen, warum sie so spurlos verschwunden war, erzählte sie ihm von den
weiteren Bildern, die sie erhalten hatte, und welche Ängste sie ausstand, weil
Zach immer noch an Mulder heran kommen könnte.
"Warum denken Sie,
dass er jetzt noch eine Bedrohung für Mulder ist?" fragte er.
"Vielleicht schickt er die Fotos nur, damit Sie ständig daran erinnert
werden, dass Sie sich von Mulder fernhalten sollen—was ich zugegebenermaßen für
eine ausgesprochen gute Idee halte."
Sie schenkte seinem
verbalen Seitenhieb keine Beachtung. "Ich mache mir große Sorgen, weil er
immer öfter Fotos schickt. Ich habe anfangs nur einen Umschlag in der Woche
erhalten, dann zwei oder drei pro Woche. Und jetzt liegt fast jeden Tag eins
vor meinem Haus. Er verfolgt ihn, überall wo er hingeht. Walter, es wäre so
einfach für Zach..."
"Ist ja schon gut,
Scully, ich werde mir etwas überlegen", sagte er endlich, während er sich
den Nasenrücken rieb. "Aber Sie müssen mir versprechen, sich weiterhin von
Mulder fernzuhalten. Es ist schon schwer genug für ihn, Sie zu verlieren, ohne
dass sie permanent in und aus seinem Leben laufen."
Er traf auf Stille am
anderen Ende der Leitung, dann hörte er ihre erstickte Stimme, "In
Ordnung. Hauptsache, Sie beschützen ihn, Walter."
Er hörte ein Klicken, als
sie auflegte. Er saß da und überlegte eine Weile, bevor er sich zu Taten
entschloss.
"Frohike, fahr rechts
ran." Mulder hatte während der ganzen Fahrt von seiner Therapiesitzung
nach Hause fast gar nichts gesagt und Frohike hatte jeglichen Versuch ein
Gespräch anzufangen aufgegeben, als der unerwartete Kommentar von seinem Freund
kam.
"Warum?" wollte
Frohike misstrauisch wissen. Wenn Mulder ihm
ausbüchsen würde, würde er mit einem wütenden Walter Skinner fertig werden
müssen, und das war eine Situation, auf die der nicht so groß gewachsene Mann
nicht besonders scharf war.
"Fahr einfach rechts
ran," wiederholte Mulder ungeduldig mit einem
Blick, der am Rückspiegel des Wagens klebte. "Ich habe nicht vor,
herauszuspringen und wegzulaufen, versprochen."
"Okay, Mulder, aber
wenn du mich vor Skinner in Schwierigkeiten bringst, hänge ich dich persönlich
an deinen Eiern auf", gab Frohike zur Antwort und suchte nach einer
geeigneten Stelle anzuhalten. Er fand rasch eine Parklücke, in der er anhielt,
drehte sich zu Mulder um und verlangte nach einer Erklärung.
Mulder war ganz blass im
Gesicht und er krallte sich am Türgriff fest, als ein unscheinbarer weißer Sedan mit zwei Männern darin vorbeifuhr. Der Fahrer behielt
seinen Blick auf der Straße, aber der Beifahrer sah zu ihnen herüber, als der
Wagen langsam an ihnen vorbei glitt und um die nächste Ecke bog.
"Kennst du diese
Typen?" wollte Frohike wissen als er bemerkte, wie nervös Mulder geworden
war. Mulders Hand zitterte leicht und er biss sich auf die Unterlippe.
Mulder schüttelte hastig
den Kopf. "Nein, aber sie verfolgen mich schon seit ungefähr einer
Woche."
"Red keinen
Quatsch!" rief Frohike bestürzt. "Das ist doch nicht etwas Danas
Ex-Arschloch, oder?" Es tat ihm auf der Stelle Leid, das er ihren Namen
erwähnt hatte, doch er konnte es nicht mehr zurück nehmen. Zu seiner Erleichterung sah er keinerlei
Reaktion auf Mulders Gesichtszügen.
Mulder grinste freudlos.
"Nein, verdammt. Wenn der hier auftauchen würde, würde er mich
wahrscheinlich in einer Sekunde umlegen. Außerdem hätte er keinen Grund mehr,
sich einen Dreck um mich zu kümmern, weil Scully ja weg ist."
"Warum also sind die
hinter dir her?"
Mulder drehte sich um, um
sich nach hinten umzusehen, und wie er angenommen hatte, tauchte der Sedan hinter dem Häuserblock wieder auf. Als der Fahrer sie
immer noch auf demselben Platz stehen sah, wechselte er hastig die Spur und
beschleunigte bei Gelb über die Kreuzung.
"Ich habe keine
Ahnung", sagte Mulder, seine Augen auf das kleiner werdende Fahrzeug
gerichtet, "aber ich sage besser Walter Bescheid. Kannst du mich beim
Hoover-Gebäude absetzen? Ich fahre dann mit dem Taxi nach Hause."
"Tut mir Leid,
Kumpel, aber ich habe strikte Anweisung, dich nicht aus den Augen zu lassen,
bis du sicher wieder in deinen vier Wänden bist."
Mulder seufzte ungeduldig.
"Ich werde mit dir
gehen."
Daraufhin nickte Mulder und
Frohike fuhr aus der Parklücke. Mulder hielt auf dem ganzen Weg zum FBI-Gebäude
Ausschau nach dem weißen Sedan, aber der tauchte
nicht wieder auf.
Als sie sich dem
Haupteingang näherten, wurden Mulders Schritte immer langsamer, bis er vor der
Eingangstür zum Stehen kam. Frohike hätte ihn von hinten fast umgerannt.
"Hey!"
protestierte er.
"Tut mir Leid",
nuschelte Mulder. Er war im Begriff, es zu tun. Dies hier war einer der letzten
Orte aus seiner Vergangenheit, an dem er nicht wieder gewesen war. Wie würde es
ihm ergehen, wenn er Skinner gegenüber in dessen Büro saß ohne Scully an seiner
Seite und mit dem Gewissen, dass Skinner nicht mehr sein Vorgesetzter war,
sondern nur noch sein total heruntergekommener Freund? Seine Lippen zuckten.
Natürlich wusste er, wie es sein würde. Als ob eintausend Messer seine Seele
zerschnippeln würden. Auch nichts Neues
mehr für ihn.
"Erinnerungen können
manchmal das Letzte sein", sagte Frohike hinter ihm und eine Sekunde
später fühlte er Frohikes Hand auf seinem Rücken ihm
einen kleinen Schubs geben. "Aber da musst du durch, Mulder."
"Ja", antwortete
Mulder schließlich und zwang seine sich sträubenden Füße vorwärts. "Ich
weiß."
Der Pförtner telefonierte
nach oben in Skinners Büro und händigte ihnen nach einem kurzen Gespräch zwei
Besucherausweise aus. "Lassen Sie mich nur kurz den Weg erklären,
Sir", begann der Mann, aber Mulder wies ihn ab.
"Ich weiß wo das Büro
ist", sagte er mit gequälter Stimme. Wann würde es endlich aufhören
wehzutun, fragte er sich? Wann würde das Schicksal endlich müde werden, auf
seiner gebeutelten Gestalt herumzutrampeln und ihn endlich in Ruhe lassen? Wie
viel muss ein Mann überhaupt ertragen können?
Sie betraten zusammen mit
ein paar anderen Leuten den Aufzug, die alle wie Mitarbeiter des FBI aussahen.
Mulder behielt seinen Blick strikt auf den Zahlen über seinem Kopf. Seine
größte Angst war, jetzt irgendjemandem zu begegnen, den er von früher her
kannte, zum Beispiel Tom Colton. Jemand, der wusste,
wer er einmal gewesen war. Mulder hatte keine Ahnung, dass etwas viel
Schlimmeres auf ihn wartete. Manchmal, so dachte er später darüber, ist es
besser nicht zu wissen, was einen erwartet. Hätte er an dem Tag geahnt, wen er
vor Skinners Büro antreffen würde, hätte er hundertprozentig auf dem Absatz Kehrt
gemacht und so sich schnell wie möglich aus dem Staub gemacht. Doch stattdessen, wohlig in seiner
Unwissenheit, zog er Frohike auf Skinners Stockwerk aus dem Aufzug und sie
schlugen links den Weg zu seinem Büro ein.
Er starrte den ganzen Weg
auf den Boden und seine Bewegungen waren vorwiegend von Gewohnheit gesteuert.
Hin und wieder glaubte er Geflüster zu hören und einmal glaubte er sogar jemand
seinen Namen sagen gehört zu haben, doch er ignorierte alles. War er nicht
sowieso gut darin, geflüsterte Kommentare zu ignorieren? All die Jahre der
Übung, stichelnden 'Spooky'-Kommentaren aus dem Weg
zu gehen zahlten sich jetzt aus, und er schaffte es, die Stimmen von seiner
Wahrnehmung auszublocken. Sie waren fast am Ziel angekommen, als ein
wohlbekannter Gestank seine Nasenhöhlen füllte. Ein Schauer kalter Angst
überkam ihn.
Er hob seinen Blick und
fand sich Aug in Aug mit dem Mann gegenüber, der für seine Inhaftierung
verantwortlich gewesen war. Mulder wurde blass und fühlte sich schwindelig,
doch blanker Stolz zwang ihn den Augenkontakt zu erhalten und aufrecht stehen
zu bleiben und nicht in Ohnmacht zu fallen.
Der ältere Mann nahm beiläufig seine Zigarette aus dem Mund, blies den
Rauch aus seiner Nase und besah Mulder von oben bis unten.
"Hallo, Mr.
Mulder", kommentierte er schleimig. "Sie sehen überraschend gut aus
für einen Mann, der so viele unangenehme Erfahrungen durchmachen musste."
"Bleiben Sie ihm vom
Leib, Sie Bastard", grummelte Frohike, aber Mulder hielt eine Hand aus, um
ihn zum Schweigen zu bringen.
Er sagte kein Wort zu dem
Raucher. Er hatte ihm nichts zu sagen. Nichts, was auch nur einen kleinsten
Unterschied machen würde. Mulder klammerte sich an den letzten Strang Würde,
die er noch besaß und sah den Mann genauso eiskalt an, wie er ihn ansah,
widerwillig als erster wegzusehen, bis der Raucher schließlich mit einer Geste
der Ungeduld seien Weg den Gang herunter fortsetzte. Als er um die Ecke
verschwunden war, fiel Mulder in sich zusammen.
Frohike konnte ihn auffangen,
bevor er zu Boden fiel. Mulder tat ein paar tiefe, nach Luft ringende Atemzüge
und kämpfte gegen die Panik, die seien Brust zusammenzog, an. Frohike zog ihn
die letzten paar Schritte zu Skinners Vorzimmer, platzierte ihn in einem Sessel
und fragte die Sekretärin, ob sie Mulder ein Glas Wasser bringen könne. Sie
zeigte sich einverstanden, holte rasch das Erbetene und Mulder stürzte das
Wasser herunter als ob er in der Wüste verdurstete. Er hatte den Eindruck, dass
er die Hälfte seines Wasserhaushalts ausgeschwitzt haben musste, während er
seinen Erzrivalen niedergestarrt hatte.
Von dem Lärm in seinem
Vorzimmer angeregt, tauchte Skinner in seine Bürotür auf und sah sich die
Situation an, die sich ihm bot. Der Raucher war erst eben aus seinem Büro gegangen.
Er brauchte nicht viel nachzudenken, um sich auszumalen, was hier eben
vorgefallen war.
"Was hat er zu Ihnen
gesagt?" forschte Skinner verärgert.
Mulder schüttelte den Kopf
und kniff die Augen zusammen, während er sich darauf konzentrierte ruhig zu
atmen. "Nichts", murmelte er. "Es war nichts."
Skinner sah nach einer
Bestätigung suchend Frohike an, und der kleinere Mann nickte. "Er war
einfach nur überrascht, nehme ich an", sagte er erklärend. "Und das
nach dem, was vor einer Stunde passiert ist..."
"Was ist vor einer
Stunde passiert?"
Frohike drehte sich zu
Mulder in der Hoffnung, er würde es Skinner erklären, doch Mulder brachte kein
Wort über seine fest geschlossenen Lippen und seine Augen waren immer noch
zugekniffen. Sein Atem ging wieder ruhiger und langsam bekam er auch wieder
Farbe im Gesicht, doch er führte offenbar immer noch eine Schlacht gegen die
Dämonen in seinem Innern. Frohike wandte
sich wieder zu Skinner und machte eine Kopfbewegung in Richtung seines Büros.
Skinner nickte.
"Kommen Sie, Mulder,
gehen wir hinein", sagte er und nahm ihn beim Arm, um ihn beim Aufstehen
zu helfen. Mulder lies sich führen und ein paar Momente später fand er sich in
demselben Stuhl vor, in dem er schon so viele Male in der Vergangenheit
gesessen hatte. Zwanghaft unterdrückte er die aufwallenden Qualen, die sich
wieder in ihm breit machen wollten, und erzählte Skinner von den Männern, die
ihm folgten.
Skinner setzte sich in
seinem Stuhl zurück und spitzte die Lippen leicht in seiner Konzentration.
"Haben Sie außerdem noch jemanden bemerkt, der Ihnen folgt, Mulder?"
fragte er, vielleicht ein wenig zu voreilig. 'Langsam', schalt er sich
innerlich. 'Langsam, oder du jagst ihm unnötig Angst ein, er kann sich ja jetzt
kaum schon zusammenhalten.'
"Nein",
antwortete Mulder verdutzt. "Warum fragen Sie?"
Skinner lehnte sich nach
vorne, legte seine Hände zusammen und stützte seinen Kopf darauf. Er sagte eine
ganze Weile kein Wort, so dass Mulder die Geduld verlor. "Walter? Gibt es
etwas, das Sie mir sagen wollen?"
"Ich lasse Sie
beobachten", beichte Skinner letztendlich.
Mulders Augen wurden weit
mit dieser Erkenntnis. "Sie lassen was??" fragte er ungläubig.
"Reicht es nicht, dass sich meine Freunde wie Babysitter benehmen, jetzt
müssen Sie mich auch noch bespitzeln?" Der Verrat war ihm deutlich
anzusehen und Skinner beeilte sich, sich zu korrigieren.
"Nein, das ist nicht
der Grund, Mulder. Ich habe einen anderen Grund dafür."
Mulder setzte sich zurück.
Immer noch misstrauisch, aber er wollte Skinner wenigstens anhören. Still
wartete er, bis Skinner erklärte.
"Letzte Woche hat
Scully mich angerufen", sagte Skinner, während er von seinem Stuhl
aufstand und um den Schreibtisch herumging, um sich vor Mulder auf dessen Ecke
zu setzen. Er fragte sich genau wie Frohike, wie es Mulder treffen würde, wenn
er Scullys Namen erwähnte, und genau wie Frohike war er überrascht, als Mulder
keine Reaktion zeigte. Mulder wartete ganz einfach.
"Sie war besorgt um
Ihre Sicherheit", fuhr er dann fort und wies Mulder rasch in alle Details
ein, die Scully ihm gegeben hatte. "Scully befürchtet offensichtlich, dass
ihr Ex-Mann vorhat, Ihnen etwas anzutun", endete er, "also hat sie
mich gebeten, ein Auge auf Sie zu halten. Ich wusste, dass Sie nicht wieder in
meine Wohnung gehen würden, also war das die beste Lösung, die mir zu der Zeit
eingefallen war."
Mulder seufzte tief und
lies seine Augen über den Schreibtisch wandern, das Fenster, den Sessel neben
ihm, auf dem Scully so unzählige Male gesessen und ihm beigestanden hatte,
seine Theorien bekräftigt hatte selbst wenn sie sie nicht ganz verstanden
hatte, hatte sie immer hinter ihm gestanden. Auf dem Sessel saß nun Frohike.
'Wie viel?' fragte er sich wieder. "Wann hört es endlich auf?"
Er hatte nicht bemerkt,
dass er das laut gesagt hatte, bis Walter sich vorbeugte, um ihm beruhigend
eine Hand auf die Schulter zu legen.
"Sie schaffen das,
Mulder. Wir alle werden Ihnen helfen. Sie müssen das nicht allein
durchstehen."
Mulder stand mit einem
Ruck auf und stopfte die Hände in seine Hosentaschen. "Ich weiß, Sie
meinen das gut, Walter. Ihr alle tut das", sagte er mit einem Seitenblick
auf Frohike. "Aber ich muss es alleine durchstehen. Niemand außer mir
fühlt wie ich."
Die nackte Qual in seinen
Augen riss Skinner das Herz aus der Brust. Er würde alles, was in seiner Macht
steht geben, um Mulder vor weiterem Leid zu bewahren, aber er konnte nichts
dagegen tun. Mulder hatte mehr Herzschmerz erleiden müssen als je von einem
Menschen verlangt werden könnte, und Skinner wusste, dass es noch nicht vorbei
war. Es stand noch viel bevor. Irgendwo ganz tief in seinem Herzen, ganz egal
wie fest Mulder darauf bestand, dass es ihm egal sei, würde er Scully immer
lieben, sie immer brauchen, sich immer nach ihr sehnen. Die Bindung zwischen
den Beiden überraschte ihn schon lange nicht mehr; jetzt betrachtete er sie
sogar mit einer Art von Neid. Er hatte so etwas mit Sharon nie gehabt. Sie
hatten sich nahe gestanden, aber sie waren nie zwei Hälften von einem Ganzen
gewesen wie seine beiden früheren Agenten. Er fragte sich, ob die beiden
wussten, wie dringend einer den anderen brauchte, um zu überleben. In den
letzten Jahren hatte er Mulder langsam dahinvegetieren sehen und nur aufblühen,
wenn Scully da war. Und er hatte seit Scully gegangen war seinen Untergang zu
etwas, das er nur als Leere bezeichnen konnte, mitangesehen. Scully hatte sich Sorgen um Mulders
Sicherheit gemacht, Skinner fürchtete um Mulders Existenz.
Mulder ging ohne ein Wort
zur Tür, Frohike stand auf, um ihm zu folgen.
Skinner griff nach dessen
Arm, als er an ihm vorbeiging.
"Passen Sie auf ihn
auf", sagte er leise in Frohikes Ohr.
"Lassen Sie ihn nicht alleine."
Frohike nickte und eilte
Mulder nach, fest entschlossen, dass er heute vor jeglichem Leid bewahrt
bleiben würde. Zugefügt durch jemand anderem oder durch sich selbst.
Ende TEIL Fünf
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen übersetzt
von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>
"Wo ist sie?"
Skinner schloss für einen
Moment die Augen und unterdrückte ein wütendes Knurren. Er musste es dem Mann,
der dort an seiner Tür stand, lassen—er hatte es fast zwei Wochen ausgehalten,
bevor er hier auftauchte, um zu erfahren wo Scully war. Skinner hatte mit
weniger als einer Woche gerechnet.
Lange standen sie
stillschweigend da und sahen sich nicht an, während Skinner überlegte, welche
Antwort wohl in Mulders Interesse sein würde.
Dieser wurde langsam ungeduldig.
"Walter? Ich bin mir
sicher, dass sie es Ihnen gesagt hat."
"Was möchten Sie
wissen, Mulder?" fragte Skinner, um sich noch etwas Zeit zu verschaffen.
Er wäre sowieso nicht um dieses Gespräch herum gekommen, das wusste er ganz
genau. Jedes Mal, wenn er mit Mulder gesprochen hatte seit dem Tag, an dem er
erfahren hatte, was er über Scullys Ex-Mann wusste, hatte er diese Frage
erwartet. Jedes Mal war sie nicht gekommen und er hatte zu seiner extremen
Erleichterung ein wenig Besserung in Mulders emotionaler Verfassung gesehen,
doch die war nun nicht mehr da. Der Moment der Wahrheit war gekommen.
Haselnussbraune Augen bohrten sich in seine.
"Wo ist sie?"
verlangte Mulder abermals, Skinners Frage ignorierend.
"Ich weiß es
nicht." Die Lüge war schwach, nicht überzeugend, und Skinner wusste, dass
Mulder es ihm nicht abnehmen würde.
Mulder sah ihn mit einem
Blick an, der vielleicht einfach nur ein verzogenes Gesicht aussah, doch es
schien Skinner eher ein Blick des Betrogenseins, und ging hinter ihm herum in
seine Wohnung. 'Lüg mich nicht an', warnte seine Mimik. Er sagte kein Wort, er
wartete. Die Stille zog sich unendlich lang hin, lediglich unterbrochen durch
das Geräusch ihrer Atemzüge.
Mulder blinzelte zuerst,
wie Skinner es erwartet hatte. "Wenn Sie es wirklich nicht wissen, dann
helfen Sie mir." Skinner stärkte sich gegen das Flehen in Mulders Stimme.
"Helfen Sie mir sie zu finden."
"Wie?" Skinner
kannte die Antwort bereits—sie lag auf der Hand.
"Sie haben viele
Möglichkeiten das herauszufinden, Walter", gab Mulder gereizt zurück.
"Es ist ja nicht so, als ob sie sich einfach in Luft aufgelöst hätte. Sie
könnten sie für mich finden."
Skinner ließ den
verärgerten Seufzer nun heraus. Wie lange würde sich Mulder damit noch quälen,
fragte er sich, bevor er Scully endlich losließ?
"Mulder, ich will
Ihnen nicht helfen sie zu finden", sagte er bestimmt, setzte sich und bot
Mulder mit einer Geste die Couch an. "Ich möchte auch nicht, dass Sie nach
ihr suchen. Außerdem, was Sie von mir verlangen, grenzt an alle Regeln der
Ethik - etwas auf das ich nicht vorbereitet bin."
Jetzt sprach die Stille
zwischen den Beiden definitiv Bände des Verrats. Mulder ignorierte das gastfreundliche Angebot
und blieb stehen, sein ganzer Körper gespannt wie eine Feder.
"Also gut",
sagte Mulder schließlich. "Wenn Sie mir nicht helfen werden, werde ich es
alleine versuchen. Ich werde einfach einen Privatdetektiv engagieren."
Er drehte sich um, um zu gehen,
und Skinner gab nach. Besorgt. Natürlich würde er so etwas sagen, aber er hatte
gehofft, dass Mulder nicht soweit gehen würde. Er könnte ihm genauso gut sagen,
was er wissen wollte, überlegte er. Wenigstens würde Mulder ihn in seiner Nähe
dulden, wenn er unvermeidlich zusammenbrechen würde.
"Bemühen Sie sich
nicht, Mulder", sagte er, und die Reue in seiner Stimme lies Mulder
innehalten. "Sie ist in Baltimore. County M.E.'s Office."
Skinner besah sich das
Gesicht vor ihm, als Mulder diese Information aufnahm und überlegte, ob er sie
nutzen sollte oder es einfach sein lassen.
Er betete, dass Mulder die richtige Entscheidung treffen würde, aber
sein Herz sagte ihm, dass sein Freund keine Wahl hatte. Natürlich würde er zu
Scully gehen. Es war sein Schicksal.
"Danke, Walter",
bekam er die ruhige Antwort. Skinner saß still und bewegungslos, als Mulder aus
der Tür aus seiner Wohnung ging.
"Fuck!"
brach es aus Skinner heraus. Er war kein Mann, der lauthals fluchte, denn er
sah es als kindisch an. Aber unter diesen Umständen fühlte er sich bestätigt.
Mulder ging jetzt geradewegs in die Höhle des Löwen, und er konnte nichts
dagegen tun. Er ballte seine Hände zu Fäusten und versuchte dem Impuls zu
widerstehen, hinter Mulder herzulaufen und ihm Verstand in seinen sturen
Dickschädel einzuhämmern. Es würde nichts bringen. Wenn Mulder einmal eine
Richtung eingeschlagen hatte, könnte ihn nicht einmal eine stahlharte Mauer
davon abbringen.
Scully trat aus ihrem
Büro, müde und erschöpft nach viel zu vielen schlaflosen Nächten. Die
Anstrengung, sich Tag und Nacht um Mulder zu sorgen hatte bereits angefangen,
ihre Gesundheit anzugreifen. Sogar ihre Kollegen fingen an, von ihrem Auftreten
Notiz zu machen. Sie hatte kein Wort von Skinner gehört, sie konnte nur
annehmen, dass er sein Versprechen, Mulder zu beschützen, hielt. Doch Zach schickte immer noch Bilder von Mulder, sogar täglich. Der
einzige Trost, den sie hatte war, dass Mulder dieser Tage nur selten allein auf
den Fotos abgebildet war. Einer der Jungs war offensichtlich jeden Tag bei ihm.
Sie nahm an, dass sie das Skinner zu verdanken hatte und sie war froh darüber.
Fast automatisch ging sie
ihren Weg zu ihrem Auto, sie war viel zu erschöpft um sich viel um ihr Umfeld
zu scheren. Weil sie ihren Kopf gesenkt hielt, während sie ging, wäre sie fast
in ihn gelaufen. In letzter Sekunde fühlte sie seine Anwesenheit und sah
verwirrt zu ihm auf.
"Mulder!" rief
sie aus und der Schock stand auf ihrem hübschen Gesicht geschrieben, als sie
zurück trat. "Was machst du...?"
Sein Mund verzog sich in
ein sarkastisches Grinsen. "Was ich hier mache?" endete er für sie.
"Das ist lustig, ich könnte dich genau dasselbe fragen."
Scully biss die Zähe
zusammen. Sie hatte keinesfalls vor, sich hier und heute mit Mulder zu
streiten—nicht wenn sie sich so mitgenommen fühlte. "Geh nach Hause, Mulder", sagte sie
kurz angebunden und begann ihren Wagen aufzuschließen. Seine Hand schloss sich
über ihre, er drehte sie abrupt um und presste sie nicht allzu fest gegen die
Tür, bevor sie sie aufmachen konnte.
"Das sehe ich gar
nicht so, Scully", sagte er eisern. "Nicht bevor wir einige Dinge
besprochen haben."
"Wir haben nichts
zu..."
"Wir haben eine Menge
zu bereden!" unterbrach er sie. "Fangen wir an mit dem Grund warum du
weg gelaufen bist. Warum bist du in der Nacht überhaupt zu mir gekommen, wenn
du mich bloß vögeln wolltest und danach spurlos verschwinden?" verlangte
er von ihr mit immer noch verletzter Stimme.
"Hättest du nicht wenigstens die Gnade gehabt, mir eine Nachricht
zu hinterlassen?" Sie hatte noch nie dieses Eis in seiner Stimmer gehört,
und die Tatsache, dass er geradewegs sie ansprach, machte es fast unerträglich.
Sie riss sich ärgerlich
von ihm los, doch er drückte sich noch mehr gegen sie.
"Antworte mir",
befahl er leise und legte beide Hände neben ihren Schultern auf den Wagen, um
ihr keinen Ausweg zu lassen.
"Ich hatte meine
Gründe", sagte sie und blitzte ihn rasend an. 'Geh!' bat ihre innere
Stimme. 'Geh, bevor er uns zusammen sieht!'
Er hob in einer
wohlbekannten Geste eine Augenbraue. "Und diese Gründe wären...?"
Zeit zu lügen, entschloss
sie sich, und zwar richtig zu lügen. Es war der einzige Weg, ihn loszuwerden,
was wiederum der einzige Weg war, ihn zu beschützen. Scully ignorierte die
Risse in ihrem Herzen und sagte kalt, "Du hast mich zu sehr gedrängt. Du
wolltest eine verbindliche Beziehung von mir, zu der ich nicht bereit
war."
Er starrte sie ungläubig
an. "Ich habe dich gedrängt?" sagte er in diesem ruhigen,
kontrollierten Ton, den er nur zustande brachte, wenn er gerade noch Herr über
seiner Wut war. "Darf ich dich daran erinnern, dass Du es warst, die zu
mir gekommen ist? Dass du es warst, die mich gefragt hat zu mir zu ziehen? Dass
du es warst, die es initiiert hatte... ich habe dir gesagt, ich würde dir alle
Zeit geben, die du brauchst, und ich habe es so gemeint. Scully, das letzte,
was ich getan habe, ist dich bedrängen."
Sie konnte ihn nicht
ansehen, konnte ihm nicht in die Augen sehen, nicht in diese Augen, die immer
Ehrlichkeit verlangten. Stattdessen fixierte sie ihren Blick auf den obersten
Knopf seines Hemdes.
"Ich habe mich
bedrängt gefühlt", bestand sie stur darauf. "Ich wusste, dass wenn
ich dir sagen würde, dass ich gehen will, du mich überreden würdest zu bleiben,
also habe ich mich entschlossen einfach zu gehen. Wie hast du mich überhaupt
gefunden?"
Er beachtete ihre Frage
nicht. "Und warum dachtest du verschwinden zu müssen?" konterte er
geschickt. "Warum bist du nicht einfach zu deiner Mutter gezogen, oder in
ein nahegelegenes Apartment? Warum hast du deinen Job gekündigt und die Stadt
verlassen mit Anweisungen, dass ich nicht erfahren soll, wo ich dich finden
kann? Wenn du mir gesagt hättest, dass du dich überrumpelt fühlst, hätte ich
mich gern für eine Weile zurückgezogen. Ich kann verstehen, dass du mich verlassen
willst, Scully, aber warum um Himmels Willen musstest
du weglaufen?"
Sie musste diese Begegnung
beenden und zwar sofort. Die rauen Emotionen in seiner Stimme brachten sie fast
um, und sie wusste genau, dass Zach sie beobachten könnte. Sie blickte sich
hastig um, doch da war niemand.
"Hör zu,
Mulder", sagte sie frostig, lehnte sich vor und sprach fast in einem
Flüstern. "Ich habe das getan, was ich tun musste. Ich mache weiter, und
du solltest dasselbe tun."
Als er immer noch nicht
überzeugt schien, entschloss sie sich, schwerere Geschützt aufzuziehen. Wenn
Mulder eine Ahnung gehabt hätte, welche Schwäche und Leere Scully in diesem
Moment überfiel, hätte er ihr sagen können, dass er sie vollkommen
verstand—dass wenn der Schmerz zu groß wird, um ihn zu ertragen, der Körper
einen einfachen Weg kannte sich davon zu isolieren, zumindest für eine gewisse
Zeit.
"Ich treffe mich
wieder mit Zach", log sie. "Wir denken daran, wieder
zusammenzukommen." Das sollte helfen, Dana, sagte sie traurig zu sich. Das
sollte ihn jetzt wirklich abschrecken, ist es nicht das, was du willst? Was
sonst könnte ihn für immer verjagen?
Mulder war überwältigt,
als ob sie ihm eine verpasst hätte. Unter keinen Umständen würde sie zurück zu ihrem
Ex-Mann gehen, nach all dem, was er ihm angedroht hatte und was er ihr angetan
hatte! Sein Gesicht war ganz weiß und sie konnte fühlen, wie er neben ihr
zitterte. Sekunden später wich er zurück und der Kontakt zwischen ihnen war
gebrochen.
"Ist das dein
Ernst?" fragte er heiser. "Du würdest allen Ernstes zu diesem
Arschloch zurück gehen nach dem was er dir angetan hat? Was er mir angetan
hat?"
Sie sah fort, konnte ihn
nicht ansehen. "Du verstehst nicht, Mulder..."
"Du hast Recht",
grunzte er harsch. "Ich verstehe es nicht. Nicht dich und auch nicht mich.
Ich verstehe nicht warum ich immer noch so besessen von dir bin, nachdem du mir
so oft weh getan hast, aber ich kann dir eines mit Sicherheit sagen, Scully.
Ich hab die Schnauze voll davon hinter dir herzurennen." Tränen strömten
nun über ihr Gesicht, aber er ignorierte sie.
"Du hast immer
gewusst, was ich für dich empfinde. Ich habe nie versucht, es zu
verstecken", fuhr er fort und nahm ihr die Möglichkeit, etwas zu sagen.
"Manchmal habe ich gedacht, dass du dasselbe empfindest, aber ich bin nie
schlau aus dir geworden, und du gibst nie etwas über dich Preis. Ich habe diese Ratespiele jetzt satt, all die
Lügen, und ich bin fertig mit dir. Ich kann nicht von
jetzt auf gleich aufhören dich zu lieben, Scully, das weiß ich. Aber ich werde
irgendwann aufhören. Ich brauche dich nicht, um zu überleben, und ich kann dir
nicht mehr vertrauen."
Sie erschrak. Diese Worte
erdrückten ihr Herz mehr als irgendwelche andere, die er gewählt haben könnte.
Der Gedanke, dass Mulder, der Mann, der an ihrer Seite durch Dick und Dünn
gegangen war, der Mann, den sie in so vielen Enttäuschungen und Leid erlebt
hatte, der gesagt hatte, dass sie die einzige sei, der er vertraute, diese
Worte so mir nichts ihr dir nichts an den Kopf werfen konnte—bis dahin hatte
sie nie das volle Ausmaß gesehen, in dem er sich von ihr betrogen fühlte.
Bevor sie ihre Gedanken in
irgendeine mögliche Antwort umsetzen konnte, war er verschwunden. Er war in
sein Auto gesprungen und mit quietschenden Reifen und Kies aufwirbelnd vom
Parkplatz gerast. Scully hielt ihre wallenden Tränen zurück und nahm benommen
Platz in ihrem Auto. Es war die einzige Lösung, versicherte sie sich, und er
hatte Skinner, der ihm beistehen würde. Er hatte Skinner als Vertrauten. Er war
besser dran ohne sie. Er war in Sicherheit ohne sie. Sie senkte ihren Kopf zum
Lenkrad und gab endlich dem lauten Schluchzen nach, das sie so viele Wochen
lang bekämpft hatte. Es war nun wirklich vorbei, das wusste sie. Selbst wenn
Zach das Interesse an ihm und ihr verlieren würde, würde er ihr nie die Qualen
verzeihen, durch die sie ihn hatte gehen lassen. Einige Wunden schnitten zu
tief, um je verziehen werden zu können.
Mulder wusste nicht was er
tun sollte, also fuhr er einfach. Er raste gedankenlos durch die Straßen,
während ihn jetzt dieselbe Leere überfiel, die sich in ihr aufgetan hatte, als
sie ihm den tödlichen Schlag verpasst hatte, und ihn in schützenden, dennoch
falschen Trost hüllte. Er lies den Gedanken nicht zu, dass sie sich vielleicht
wieder mit Zachary Morrow versöhnen würde. Es war einfach zuviel zu ertragen.
Die Scully, die er kannte und so lange geliebt hatte, hätte geradewegs eine
Kugel durch die wertlose Gestalt des Mannes gejagt, aber sie war jetzt eine
andere Frau. Sie hatten sich beide so
unglaublich verändert den Menschen gegenüber, die sie einmal gewesen waren. Ein
Hauch von Kameradschaftlichkeit wallte stetig durch sein Bewusstsein, eine
Erinnerung jagte die nächste, bis er nach Luft rang und nur kaum die Tränen
bemerkte, die seine Wangen herunter rannen.
Wie konnten zwei Menschen, die so vollkommen ineinander verschlungen
waren, zulassen, dass irgendjemand oder irgend etwas
anderes sie trennte? Die Tatsache, dass
er vier Jahre hinter Gittern verbracht hatte, sollte total irrelevant sein,
aber es war zu spät gewesen. Er hatte sich von ihr abgewandt, und sie hatte ihm
den Rücken zugekehrt—beides war Mitschuld an der Zerstörung dessen, was ihnen
am meisten bedeutete. Wenn sie nur mit äußeren Umständen hätten fertig werden müssen,
um durchzuhalten. Aber weil jeder von beiden sein Eigenes zu der chaotischen
Mixtur zufügte, hatten sie für immer die Chance verloren, das von anderen
herbeigeführte Zerstörte wieder gutzumachen.
Stunden und Meilen später,
und bevor Mulder sich dem überhaupt gewahr war, war es Mitternacht. Er wurde
müde, denn sein Körper war trotz des Tumults in seinem Kopf erschöpft, also
drehte er widerwillig um in Richtung seines Hauses. Sollte er einfach auf sein
Bett fallen mit der Gedanken an die einzige, wertvolle Nacht zusammen, oder
sich einfach in den quälenden Erinnerungen verlieren, die mit seiner Ledercouch
zusammenhingen? Er warf in Gedanken eine Münze (Kopf verliert, Zahl verliert)
und entschloss sich, wahrscheinlich auf dem verdammten Fußboden zu schlafen.
Es war kurz nach ein Uhr
morgens, als er sein Auto in der Auffahrt parkte. Er schleppte sich zu seiner Tür und fummelte
nach dem Schlüssel. Als er es schließlich schaffte, die Tür zu öffnen, fiel er
fast in das dunkle Wohnzimmer. Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich
total erledigt gegen die Wand. Seine Hände tasteten gerade nach dem
Lichtschalter, als ein unsäglicher Schmerz in seiner rechten Wade ihn auf der
Stelle niederriss.
Seine Nervenenden
registrierten den Schmerz bevor seine Ohren den ohrenbetäubenden Knall oder
seine Augen das gleißend blendende Licht vernahmen. Der Schreckensschrei, der
ihm entfuhr wurde geradewegs von seinem augenblicklichen Schnappen nach Luft
erstickt. Während er immer noch zu verstehen bemühte, was passiert war, hielt
Mulder sein stechend schmerzendes Bein und versuchte den Blutstrom zu stoppen.
In der nächsten Sekunde wurde eine Lampe angemacht und er konnte den Angreifer
sehen. Sein Blut gefror in seinen Adern, als er in Zachary Morrows Gesicht
blickte. 'Natürlich, wer sonst',
schaltete er benebelt.
"Morrow",
keuchte er.
"Niemand
anderes." Das Grinsen auf Zachs Gesicht war pure Bosheit, und das Licht
reflektierte von der kleinen Pistole, die er abermals auf sein hilfloses Opfer
richtete. Mulder kämpfte, um auf die Beine zu kommen, doch bevor er die Balance
wiedererlangt hatte, traf ihn Zachs Kugel ein zweites Mal, diese Mal genau
unter seinem Brustkorb. Durch die Gewalt des Geschosses wurde er gegen die Tür
zurückgeworfen, und er spürte, wie er langsam zu Boden sank. Seine Augenlieder
flatterten als er versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben. Genau diese noch
funktionierende Ecke seines Gehirns fragte sich, ob er einen dramatischen roten
Streifen auf seiner weißen Tür hinterlassen würde. So sah es nämlich immer in
Filmen aus, dachte er. Er fragte sich, ob Zachary wirklich so ein schlechter
Schütze war, oder ob er absichtlich daneben schoss, um die Tortur zu
verlängern.
"Warum..."
fragte er keuchend. Er saß mehr schlecht als recht aufrecht gegen die Tür
gelehnt, durch und durch erschrocken und geschwächt, und er konnte nur zusehen,
wie sein Feind sich ihm langsam näherte. Seine Augen klebten auf der Waffe. Glock, 9mm, sagte ihm sein trainiertes Auge, als ob es
einen Unterschied würde, mit welcher Waffe er ermordet würde. Er zwang sich
aufrecht zu bleiben und sah zu, wie Zach sich neben ihn kniete, sein Gesicht
nur Zentimeter von seinem entfernt. Schweiß tropfte von seiner Stirn, genau wie
von Mulders. Er konnte den Wahnsinn in Zachs Augen sehen und fragte sich seltsamerweise,
was Zach in seinen Augen sah.
"Sie gehört immer
noch mir, weißt du", sagte Zach beiläufig, als er den Lauf der Pistole an
der Seite von Mulders Gesicht hinab streichen lies. "Und nichts und
niemand wird das je ändern."
Still wartete Mulder was
als nächstes passieren würde. Für einen Moment hoffte er, Zach würde ihm eine
Kugel durch den Kopf jagen, aber im nächsten erwachte sein Überlebenswille.
Vielleicht könnte er nach Hilfe rufen, wenn er dieses Arschloch loswerden
könnte.
"Richtig",
stimmte Mulder zu mit vor Schmerz erstickter Stimme. "Sie gehört
dir."
Zachs Augen weiteten sich.
Er hatte diese Antwort gar nicht erwartet. Dann schloss er sie zu engen
Schlitzen. Mulder war ein cleverer Bursche, sagte er sich, aber nicht clever
genug. Zu versuchen, ihn einfach aus der Bahn zu werfen, würde nicht
funktionieren.
"Es freut mich sehr,
dass wir uns einig sind", sagte er schmeichelnd. Er stand auf und ging ein
paar Schritte zurück. "In diesem Fall macht es dir nichts aus, wenn ich
ihr das verpasse, was sowieso auf sie zukommt, habe ich recht?"
Die bohrende Frage in
Mulders Augen bestätigte seine Vermutung, dass er sie immer noch wollte, immer
noch glaubte, er könne sie haben. Es war ein Problem, das er ein für alle Mal
aus der Welt schaffen musste. Er hob die Waffe erneut und feuerte ein drittes
Mal. Die Kugel traf sein Opfer in den Oberarm. Mulder hielt seine neue
Verletzung und fühlte, wie er die Balance verlor. Eine Sekunde später lag er
auf dem Boden und sah in gebanntem Horror seinen Angreifer an.
"Lass sie in
Ruhe", flüsterte er, unfähig genug Kräfte für eine festere Stimme
zusammenzubringen. "Tu ihr nicht weh."
"Aber sie gehört mir.
Das hast du selbst gesagt", konterte Zach. Er stand über Mulder, mit je
einem Fuß auf einer Seite des fast leblosen Körpers unter ihm, und richtete die
Waffe wieder auf ihn. "Ich kann alles mit ihr machen, was ich will."
Mulder sah, wie der Lauf
auf seine Stirn gerichtet war, und schluckte krampfhaft. Jetzt war es soweit.
Jetzt sollte es enden. Der Schmerz sollte hier und jetzt enden, flüsterte eine
Stimme in seinem Kopf, und mit einem letzten trotzig-herausfordernden
Blick in die Augen seines Feindes schloss er die Augen und wartete. Eine
Sekunde später wurde er zerrissen von tausend Messerstichen, als die Kugel sich
nicht durch seine Stirn, sondern durch seinen Unterleib bohrte. Fast unfähig zu
atmen, fühlte er die Welt um sich herum verblassen. Er hieß die Ohnmacht
willkommen, wollte sie, griff nach ihr. Mit geschlossenen Augen und flachen,
hastigen Atemzügen wartete Mulder auf den Tod. Er hörte eine Stimme an seinem
Ohr, die wieder die Worte flüsterten, "Sie gehört mir. Ich werde sie nie
gehen lassen." Sein Körper wurde zur Seite getreten, als Zach die Tür
öffnete und hinter sich schloss.
Der Schmerz bewegt zu
werden holte ihn wieder völlig ins Bewusstsein zurück und mit einem
Geistesblitz erkannte er, wohin Zach jetzt ging. 'Scully', dachte er
frenetisch, 'ich muss sie warnen bevor ich sterbe.' Er klammerte sich an seine
letzte Kraftreserve und kroch hartnäckig durch den Flur zum Telefon. Seine
Gedanken arbeiteten, auch wenn er fühlte wie das lebensnotwendige Blut langsam
aus seinem Körper floss. Er kannte ihre Telefonnummer nicht. Wie sollte er sie
warnen? Natürlich. Maggie. Sie war Scullys einzige Hoffnung.
Nach qualvollen Minuten
erreichte er den Tisch, auf dem das Telefon war und ihn mit seiner Nähe und
Unerreichbarkeit höhnisch anstarrte. Sein erster Versuch, danach zu greifen,
war erfolglos, denn sein verletzter Arm war einfach zu schwach, um über seinen
Kopf zu greifen. Beim zweiten Versuch, bei dem er seinen gesunden Arm benutzte,
konnte er das Kabel fassen, so dass er die ganze Basis über den Tischrand zog.
Er heulte auf, als sie auf seiner Brust landete und erneut eine Ladung
stechender Pfeile durch seine Magengegend schoss. Er brauchte all seine
Willenskraft um die an der Schwelle kratzende Bewusstlosigkeit fern zu halten,
und tastete nach den Kurzwahltasten. Maggie war Nummer drei, direkt nach Walter
und Jess, und er schluchzte erleichtert, als seine
Finger ihr Ziel fanden. Er drückte auf den Knopf und wartete. Endlich, nach
sieben Klingelzeichen, hob sie ab.
"Hallo?" sagte
Maggie Scully verschlafen. "Wer ist da?"
"Mag..." keuchte
er, unfähig das Wort zu beenden. Der graue Schleier war wieder da, und ganz egal
wie sehr er dagegen anzukämpfen versuchte, er spürte, wie er abtrieb.
"Fox? Fox, sind Sie
das?" Ihre Stimme war jetzt kräftiger, besorgt. Sie hatte seit dem Morgen
von Danas Weggang nicht mehr mit ihm gesprochen. Er hatte sich geweigert, ihre
Anrufe zu beantworten. Sie konnte es verstehen, wenn auch sie sehr traurig
darüber war. Doch jetzt war er offensichtlich in Schwierigkeiten. Sie konnte
kurzes, heiseres Atmen hören am andern Ende der Leitung.
"Scully... Zach"
brachte er hervor. "Wird ihr... wehtun..."
"Was ist mit
Dana?" fragte Maggie, die jetzt vollkommen wach war und bereits nach ihren
Kleidern suchte. "Fox, was ist passiert?"
Ihre Stimme drang durch
die Leitung, doch sie wurde nicht erhört. Mulder hatte letztendlich die
Schlacht gegen das Grau verloren.
Nach einem überhasteten
Anruf bei Dana, in dem sie ihre Tochter anwies, sofort ihre Wohnung zu
verlassen, ("Stell keine Fragen, Dana, GEH EINFACH!") wählte sie 911
und teilte ihnen die wenigen Details, die sie hatte, mit. Sobald ihr versichert
wurde, dass ein Rettungswagen zu Fox unterwegs war, hob sie abermals das
Telefon ab und rief Walter an. Er hatte sich in letzter Zeit ebenfalls sehr
distanziert verhalten, aber es war nur, weil er ihr die Tatsache übelnahm, dass
sie Dana geholfen hatte, sich vor Fox zu verstecken. Durch die verdammten
Anruferkennungsgeräte der beiden Männer war sie praktisch aus ihrem Leben
ausgeschlossen. Stur schob sie ihre Unterlippe nach vorne und nahm sich vor,
das Telefon so lange klingeln zu lassen wie es brauchte, damit er abhob. Jetzt
war nicht die Zeit für Schmollen.
Scully näherte sich
zögernd Mulders Krankenbett. Er war gerade erst nach stundenlanger Operation
und zwei Stunden Erholung in sein Zimmer gebracht worden. Traurig besah sie
seine stille, blasse Gestalt unter dem Laken. Er hatte großes Glück gehabt.
Röhren und Schläuche führten wie Schlangen von unter seiner Decke wie metallene
und plastische Symbole zu der Verwüstung, die durch Zacharys Kugeln über ihn
gekommen war.
Sie hatte keinen Zweifel
daran, wer der Schütze gewesen war, nur wo er sich gerade befand, wusste sie
nicht. Laut Maggie war er kurz im Rettungswagen erwacht und hatte die Notärzte
angefleht, sie vor der Gefahr zu warnen. Die Polizei war in Zacharys Wohnung
eingedrungen, doch sie war leer. Offensichtlich
war der Bewohner dem unordentlichen Berg von Klamotten in seinem und dem
Schlafzimmer seiner Tochter nach zu urteilen in höchster Eile abgehauen. Er
hatte Emmie ohne jegliche Erklärung bei seinen Eltern abgesetzt, das sagten Mr.
und Mrs. Morrow aus, als die Polizei sie befragte, doch sie hatten keine
Ahnung, wo ihr Sohn hingegangen sein könnte.
Skinner wollte, dass die
Polizei Wachen vor Mulders Krankenzimmer postierte, aber nach heftigem Hin und
Her hatte Scully ihn überredet, Langly und Frohike
stattdessen anzurufen. Sie sagte, dass Mulder wahrscheinlich bis zu einer
Herzattacke aufregen würde, wenn er sich nicht nur hilflos in einem Krankenhaus
wiederfinden würde, sondern zudem noch umringt von uniformierten Wachen. Er
würde eher glauben, dass sie dort seien um ihn zu festzuhalten und
einzuschränken anstatt für seine Sicherheit zu sorgen, erinnerte sie Skinner,
und nach kurzer Überlegung stimmte er ihr zu. Demzufolge wurden zwei von
Mulders engsten Freunden (die, denen er noch traut, Dana, erinnerte sie sich
traurig) direkt vor der Tür seines Zimmers stationiert, die sie soeben schloss,
um etwas Privatsphäre mit dem Menschen in dem Bett zu haben.
Scully zog einen Stuhl zu
sich heran und griff durch das Bettgeländer, um seine Hand zu halten. Sie
musste gegen ihre Tränen ankämpfen, als sie fühlte, wie leblos und schlaff sich
seine Hand anfühlte. Selbst jetzt war es nicht sicher, ob Mulder überleben
würde, und sie wurde daran erinnert, wie sie selbst im Koma gelegen hatte. Sie
hatte gespürt, wie er ihre Hand gehalten hatte, wie seine Stimme sie gebeten
hatte, ihn nicht allein zu lassen, doch sie hatte nicht die Kraft gehabt, ihm
zu antworten. Sie fragte sich, ob er sie jetzt hören konnte.
"Mulder", begann
sie und hielt inne. Was sollte sie sagen? Welche Entschuldigung könnte je
ausreichen für all das Unglück, das er wegen ihr hatte erleiden müssen?
Letztendlich entschloss sie sich, gar nichts zu sagen, legte ihren Kopf auf den
metallenen Bettrand und gab sich zufrieden seine langen, wohlgeformten Finger
zärtlich zu streicheln. Scully hatte schon immer Mulders Hände bewundert.
Hände, die einem Pianisten gehören könnten oder vielleicht einem talentierten
Chirurgen, doch stattdessen wurden sie benutzt, schreckliche Fälle zu lösen und
einige der gefährlichsten Kriminellen des Landes zu fassen. Die Hände eines
Helden. Hände, die in letzter Zeit zu
viele Tränen getrocknet hatten.
"Bitte, erhole
dich", flüsterte sie, als sie ihre Augen schloss und ihn weiter
streichelte. "Bitte verlass mich jetzt nicht."
Gegen Abend redete ihre
Mutter auf sie ein, zu gehen und etwas zu essen, also wanderte Dana gehorsam in
die Krankenhauscafeteria, wo sie sich ohne sich zu rühren vor einen Teller mit
einem Hühnchensandwich und einer Handvoll Brezeln setzte. Die leere Kaffeetasse
vor ihr deckte ihren Tagesbedarf an Nahrung, und als Skinner sich neben sie
setzte, schüttelte er nur den Kopf. Er wusste nicht, was er aus der ganzen
Situation machen sollte. Scully verbringt eine Nacht voller Leidenschaft mit
Mulder, Scully verschwindet und hinterlässt in Mulder einen gebrochenen Mann,
Scully erzählt Walter, dass sie sich von Mulder fernhalten muss, um ihn zu
beschützen, und jetzt weigert sie sich, von Mulders Seite zu weichen. Skinner konnte nur annehmen, welches Szenario
zu der grundlosen Attacke auf Mulder geführt hatte; Scully hatte zugegeben,
dass sie ihren früheren Partner am Tag zuvor gesehen hatte, aber sie wollte
absolut keine näheren Details preisgeben.
Sie sah auf, als er sich
ihr gegenüber an den Tisch setzte, und sah dann wieder herunter auf das
unangerührte Essen.
"Hat Mom Sie
geschickt?" fragte sie leise.
"Sie wollte, dass ich
nachsehe, ob Sie etwas essen, aber wo ich das hier so sehe", antwortete er
und wies geringschätzig auf das Sandwich, "rate ich davon ab."
Ein kleines Lächeln
huschte über ihr Gesicht. "Ich hätte den Burrito
nehmen sollen. Mulder hätte ihn genommen."
"In diesem
Fall", beobachtete Skinner philosophisch, "würde er jetzt
wahrscheinlich wegen einer Lebensmittelvergiftung oben liegen, und nicht wegen
Schusswunden." Als er sah, dass seine Versuche einen Witz zu machen nichts
brachten, lehnte er sich wieder ernst geworden näher zu ihr.
"Ich möchte, dass Sie
mir erzählen, was passiert ist, Scully", beorderte er sie in seinem besten
Assistant Direktors Tonfall, und er vernahm ein Gefühl der Bestätigung, als ihr
Kopf in die Höhe schoss. Ihr Instinkt, seiner Autorität nachzugeben, war immer
noch stark.
"Mulder wollte mich
gestern sehen", sagte sie endlich, langsam, als ob sie die Worte aus sich
herausziehen müsste. "Aber ich nehme an, dass Sie das wissen. Sie müssen
ihm gesagt haben, wo ich bin." Es lag nur eine Spur von Beschuldigung in
ihren Gesichtszügen, doch Skinner bemerkte es und forderte sie im Stillen
heraus, sein Verhalten zu kommentieren.
"Ich hatte keine
Wahl, er wollte einen Privatdetektiv anheuern. Ich habe keinen Grund gesehen,
ihn das Geld dafür ausgeben zu lassen, weil jeder vernünftige Detektiv Sie im
Handumdrehen gefunden hätte. Es ist ja nicht so, als ob Sie versucht hätten,
sich zu verstecken."
Sie nickte und akzeptierte
seine Erklärung.
"Was ist also
passiert?" fragte er wieder und wünschte sich sehnlichst
eine Tasse Kaffee herbei.
Sie zuckte sie Schultern.
"Wir haben gestritten. Das scheint in letzter Zeit die einzige Art zu
sein, in der wir kommunizieren können."
"Hört sich für mich
eher nach fehlender Kommunikation an."
"Haben Sie ihm von
Zach erzählt? Von den Bildern?"
"Ich musste ihm alles
erzählen, Scully. Er ist vor einigen Wochen in mein Büro gekommen, weil das Beobachtungsteam,
das ich auf ihn angesetzt habe, ihm Angst eingejagt hatte."
"Beobachtungsteam?"
fragte sie ungläubig. "Walter, wie konnten Sie das tun? Jemand mit Mulders
Erfahrung könnte kaum übersehen, dass..."
"Er hat ihren Ex-Mann
übersehen", gab Skinner prompt zurück.
Sie grinste freudlos.
"Ich bin sicher, dass Zach sich nicht bewährter, professioneller
Beschattungstechniken bedient. Er lauert Leuten auf. Und das offensichtlich
ziemlich gut."
Nun musste er mit den
Schultern zucken. "Jedenfalls hat es die Sache auch nicht besser gemacht,
dass Mulder im Flur vor meinem Büro unserem Zigaretten rauchenden Freund in die
Arme gelaufen war."
Sie erschrak. "Was
hat er zu Mulder gesagt?" fragte sie, während ihre Finger die
Styroporkaffeetasse würgten, die sie in den Händen hielt.
"Nichts hat er
gesagt, laut Frohike zumindest. Ich nehme an, es war eher der Schreck, dem Mann
zu begegnen, und natürlich war Mulders erster Gedanke, dass er verantwortlich
für die Beschattung ist."
Sie nickte. "Logisch.
Und dann haben Sie es ihm gesagt?"
"Ich musste es tun,
Dana, er war zu Tode erschrocken. Ich konnte ihm natürlich nicht einfach so
sagen, warum ich ihn beobachten lasse, ohne ihm den Grund zu sagen."
Sie drehte den leeren
Kaffeebecher in ihren Händen mit erzwungener Ruhe.
"Wie hat er
reagiert?"
"Vorhersehbar. Was
haben Sie beide gestern zueinander gesagt?"
Sie sah zu ihm auf, dann
wieder herunter. "Vorhersehbares. Er wollte wissen, warum ich gegangen
bin. Er hat nie etwas von den Bildern gesagt."
Skinner saß für einige Sekunden
still da, bis es ihm dämmerte, dass sie nicht vorhatte fortzufahren. "Gehe
ich richtig in der Annahme, dass Sie beide sich in keinster
Weise einig geworden sind, und dass Sie sich einfach so getrennt haben, wobei
Mulder die schnellere Variante eines Abgangs gewählt hat?"
Sie starrte ihn an.
"Sie kennen ihn sehr gut", beobachtete sie.
"Ich kenne seine
Fähigkeit, Konflikten aus dem Weg zu gehen, ja. Aber er hat Sie aufgesucht,
also nehme ich an, dass er einige Antworten haben wollte."
"Ja, das wollte er."
"Und hat er sie
bekommen?"
Eine Träne gelangte
schließlich durch die Barriere ihre linke Wange herunter, bald gefolgt von
weiteren. "Ich habe nicht gewusst, dass Sie es ihm gesagt haben",
sagte sie erstickt. "Ich habe gelogen, um ihn zu schützen, und es war das
Schlimmste, was ich je hätte tun können."
Sie vergrub ihr Gesicht in
ihren Händen und ließ ihre Gefühle heraus. Sie war erschöpft von stundenlanger
Sorge um Mulder und Angst, dass Zach jede Sekunde auftauchen könnte, und der
Befürchtung, dass es Mulder dieses Mal nicht schaffen würde. 'Alle guten Dinge
sind drei!' bekräftigte eine Stimme in ihrem Innern, und sie zitterte bei der
Andeutung, dass Zachs dritter Versuch Mulder umzubringen von Erfolg gekrönt
sein könnte.
Skinner streckte seine
Hand aus und rieb für einen Moment sanft ihre Schulter. Wie wütend er auf Dana
Scully auch gewesen sein mochte, nachdem sie Mulder augenscheinlich im Stich
gelassen hatte. Als er die Frau so am Boden zerstört vor sich sah, brachte es
zu viele Erinnerungen in ihm zurück. Mulder und Scully gehörten immer noch
zusammen. Das würden sie immer. Doch leider, dachte Skinner, wenn sie sich
nicht bald einig werden könnten, würde es Mulder geradewegs umbringen.
"Ich bin mir sicher,
dass wenn Sie die Möglichkeit haben, es ihm zu erklären, er es verstehen
wird."
Sie rieb ihre tränenverwaschenen Augen, um wieder etwas Selbstkontrolle
zu erlangen. "Das glaube ich nicht", sagte sie weinerlich. "Er
hat mir gesagt... Walter, er sagte, dass er mir nicht mehr vertraut."
Das war das Letzte, was
Skinner zu hören erwartete hatte, und seine Augenbraun schossen in die Höhe. Er
quetschte sein Gehirn aus nach den richtigen Worten, und endlich fiel ihm etwas
ein, von dem er dachte, dass es sie vielleicht etwas trösten würde. "Sie
haben sich sein Vertrauen schon einmal verdient, Scully. Sie können es
sicherlich noch ein zweites Mal."
"Wenn er mir eine
Chance dazu gibt", murmelte sie und ihre zusammengefallenen Schultern
zeigten an, wie sie über ihre Chancen dazu dachte. Sie stand auf und warf den
Teller mit Essen in den nächsten Mülleimer, zusammen mit dem ruinierten Becher.
"Ich gehe wieder nach oben."
Er sah sie mit mehr als
nur ein wenig Angst davongehen. Mulders Vertrauen zu gewinnen war so verdammt
schwer, aber Scully hatte es fast von Anfang an gehabt. Wenn er allen Ernstes
den Glauben an sie verloren hatte, wusste Skinner nicht, ob noch so viel von
der Beziehung übrig geblieben war, das man retten konnte.
Sie war seitdem nicht mehr
von seiner Seite gewichen, und am Abend des zweiten Tages seines Komas, schrak
sie hoffnungsvoll von ihrem Stuhl auf, als er sich endlich regte. Sie hatte die
ganze Zeit über beobachtet, wie sich seine Brust hob und senkte, jede Stunde,
dass er nur ja gleichmäßig atmete, was seine Chancen zu überleben nur steigern
konnte, und als er seine Augen öffnete, wusste sie ohne Zweifel, dass er es
schaffen würde. Erleichterung durchflutete ihren Leib und Seele, schwächte sie
mit ihrer Intensität, so dass sie sich schlapp wieder auf ihren Stuhl
zurückfallen ließ. Sie hielt immer noch seine Hand, als er langsam den Kopf
wandte, um sie anzusehen.
Zuerst waren seine Augen
etwas unfokussiert, aber als sie sich endlich auf sie richteten, begannen sie
vor Ärger zu glänzen, dass ihr angst machte. Sie versuchte, durch ihre Tränen
zu lächeln, doch Mulders Ausdruck blieb versteinert, als er sie weiterhin
ansah. Dann benetzte er seine Lippen und versuchte zu sprechen. Seine Stimme
raspelte wie Holz, als sie durch seinen trockenen Hals krachte, aber sie
brachte sein Anliegen klar herüber.
"Ver—schwinde",
ächzte er und sie schreckte vor seiner Zornigkeit zurück.
"Mulder..."
"Sofort." Seine
Stimme wurde deutlicher, als sein Hals mit Speichel angefeuchtet wurde. Als er
herunterblickte und sah, dass sie seine Hand hielt, zog er sie zurück.
Als Mulders Finger aus
ihren glitten, hatte Scully ein kurzes aber schockierendes Déjà
vu zu dem Tag, an dem sie ihn in Handschellen von ihr
fortgeführt haben. Er hatte sie an dem Tag nicht verlassen wollen, doch er
wurde gegen seinen Willen abgeführt. Dieses Mal wandte er sich ab, weil er es
wollte.
"Ich kann nicht
gehen", gab sie zu und strich eine Haarsträhne von seiner Stirn. Es gab
ihrem Herzen einen Stich, als er versuchte, von ihrer Hand zu weichen. Die
plötzliche Bewegung ließ den Schmerz in seinem Unterleib wieder auflodern,
zusammen mit dem in seinem Arm und Bein und schließlich auch in seiner Seite.
Scully sah wie er die Lippen zusammen presste und wie sein blasses Gesicht das
letzte bisschen Farbe verlor und ahnte, was vor sich ging. Hastig drückte sie
auf den Knopf, der eine Dosis Medikamente durch Mulders IV auslösen würde, und
binnen weniger Minuten ging es ihm etwas besser, weil es betäubt war.
"Geh weg,
Scully", flüsterte er und schloss die Augen, als die Drogen seine
Schmerzen linderten.
"Sorry,
Partner", sagte sie, "ich lass dich nicht alleine."
Er seufzte leicht.
"Wir sind nicht länger Partner, Scully. Wir sind nicht einmal Freunde. Und
wir waren nie Geliebte, ausgenommen von der einen Nacht."
Sie wusste, dass sie ihm
sehr weh getan hatte, dass er das Recht dazu hatte, ihr als Vergeltungsmaßnahme
ebenfalls weh zu tun, aber sie zuckte zusammen bei dem Stich, den seine Worte
ihr gaben. Trotzdem—jetzt zu gehen, wo er die ganze Geschichte kannte, warum
sie gegangen war, war undenkbar. Mulder würde es verkraften. Er würde nur Zeit
brauchen.
"Wir können es wieder
zurückholen, Mulder", begann sie, aber er schüttelte langsam den Kopf.
"Ich will es nicht
wieder zurück, Scully. Ich will DICH nicht wieder zurück. Lass mich einfach in
Ruhe."
Bevor sie den Mund öffnen
konnte, um zu protestieren, stand Skinner neben ihr und fasste sie bestimmt,
aber nicht zu fest am Ellbogen. Sie sah erstaunt zu ihm auf. Die beiden Männer
konnten doch nicht ernsthaft von ihr verlangen, dass sie jetzt geht?
"Mulder",
versuchte sie noch einmal. "Ich will, dass du weißt, dass ich nie gewollt
habe, dass es dazu kommt."
Er schloss die Augen und
wandte sich ab. "Du bist diejenige, die gesagt hat, dass sie es beenden
will, Scully. Jetzt hast du, was du wolltest."
Sie hatten sich nichts
mehr zu sagen, als sie sich von Skinner von seinem Bett ziehen ließ, aus seiner
Nähe, aus seinem Zimmer.
"Er kann doch
nicht... er meint doch nicht..." stammelte sie, als sie draußen im Gang
standen.
Skinner legte seine Hand
auf ihre Schulter und unterbrach sie streng.
"Lassen Sie ihn
gehen, Scully." Erschrocken sah sie zu ihm auf.
"Ein für allemal,
lassen Sie ihn gehen. Es ist das Beste."
Sie starrte ihn eine volle
Minute lang an, bevor sie sprach. "Ich werde für eine Weile fort
bleiben", sagte sie vorsichtig, "um ihm Zeit zu geben, sich zu
erholen. Aber es ist nicht aus zwischen uns, Walter. Es kann nicht aus sein.
Ich kann Zach nicht gewinnen lassen, nicht nach allem, was wir durchgemacht
haben. Und ich glaube nicht, dass es wirklich das ist, was Mulder will. Es
liebt mich immer noch."
"Das mag vielleicht
so sein", stimmte er zu, "aber er ist am Ende seiner Kräfte
angelangt. Lassen Sie ihn gehen. Bitte, Scully." Seine sanften braunen
Augen hielten mehr als eine Forderung, ein dringendes Flehen. Er bat sie, ganz
einfach. "Er hält dieses Hin und Her nicht mehr aus. Sie haben ihn zu oft
herumgezerrt."
"Ich gehe. Fürs
erste", gab sie endlich zurück. Er sah wie sich ihre kleine Gestalt
entfernte, als sie den Korridor herunter ging, und ließ seine Augen nicht von
ihr, bis sie in den Aufzug stieg und seinem Blickfeld entschwand. Er fragte sich, wie Mulders Reaktion hierauf
sein würde, sobald er sich von seinen Verletzungen erholt hatte.
"Tut
mir leid, Scully, er schläft gerade", log Skinner, als er Mulder
beobachtete. Physisch erholte er sich sehr gut, doch psychisch war sein Freund
ein einziges Wrack. Mulder versuchte, den Aufruhr in seinem Kopf vor Skinner zu
verstecken, doch er hatte wenig Erfolg damit. Skinner kannte mittlerweile jede
Ecke und jede Seite seiner Gedanken, und er kannte jegliche Art Mulders, seine
wahren Gedanken zu überspielen.
"Ich werde ihm
ausrichten, dass Sie angerufen haben." Er legte auf und seufzte. "Werden
Sie wieder mit ihr reden?" fragte er, kreuzte die Arme und senkte seinen
Blick auf den Mann im Krankenhausbett.
Mulder zuckte die
Schultern. "Früher oder später, nehme ich an, muss ich das wohl",
räumte er ein. "Aber nicht solange Sie hier sind, um mich davor zu
bewahren." Sein Grinsen widersprach der Ernsthaftigkeit dieser Worte, und
wenn Skinner nur ein flüchtiger Bekannter gewesen wäre, hätte er sich
vermutlich täuschen lassen. Stattdessen erkannte er jedoch, was Mulder hinter
seiner Wortwahl wirklich gemeint hatte. Er hatte wirklich das Gefühl von seiner
Ex-Partnerin beschützt werden zu müssen.
"Wissen Sie, Mulder,
ich zweifele sehr daran, dass Scully Sie in irgendwelche Büsche ziehen würde,
um Sie zu vergewaltigen", sagte er trocken. "Einfach mit ihr am
Telefon zu reden würde Sie nicht sonderlich in Gefahr bringen, und sie würde
Sie nicht mehr so belästigen. Wie lange, glauben Sie, lässt sie sich diese
Abweisungs-Routine noch gefallen?"
Mulder grinste.
"Vielleicht lange genug, damit ich nach Seattle umziehen kann."
Skinner grunzte. "Ja,
ich kann Sie mir in Seattle gut vorstellen."
"Ich hab gehört, dass
es schön ist dort", kommentierte Mulder und das Zwinkern in seinen Augen
wurde prominenter. Es war während der letzten Woche ein Insider-Joke
zwischen ihnen geworden, seit Mulder erwähnt hatte, dass der einzige Weg,
Scully für immer aus seinem Leben zu streichen, ein Umzug in die andere Hälfte
des Kontinents wäre.
"Es regnet viel
dort", endete Skinner. Mulder hasste Regen. Mulder hasste alles, das ihn
zwang, in der Wohnung zu bleiben. "Ernsthaft, Mulder."
Mulder sah zu ihm auf und
rutschte ein wenig, um den Druck von seinem verletzten Bein zu nehmen. Rasch
sah er weg, als er den strengen Ausdruck auf Skinners Gesicht sah. Seufzend
nickte Mulder. Er wusste, dass sein Freund es langsam Leid war, Scully wegen
ihm dauernd anlügen zu müssen. Sie hatte seit dem Tag, an dem er aufgewacht war
und sie neben sich vorgefunden hatte zweimal versucht, ihn zu besuchen, und
jedes Mal hatte sie Skinner höflich aber bestimmt abgewiesen. Früher oder
später würde er ihr gegenüber treten müssen.
"Ich weiß, Walter,
ich weiß. Es ist nur... jedes Mal, wenn ich daran denke, läuft es mir kalt den
Rücken herunter."
Skinner schüttelte
verärgert den Kopf. "Sie behaupten die ganze Zeit, dass Sie über sie
hinweg sind, aber ich weiß genau, dass das nicht stimmt. Ich erzähle ihr, dass
Sie schlafen, aber sie weiß genau, dass ich lüge. Sie sagt, dass Sie ihnen
nicht wieder wehtun will. Lügt sie etwa?"
Mulder wickelte
gedankenabwesend eine Ecke seines Bettlakens um seinen Finger, hin und her,
während er über eine Antwort nachdachte. Schließlich sagte er, "Ich glaube
ihr ja, dass sie mir nicht weh tun will. Ich glaube nicht, dass sie das je
wollte. Scully hat einfach nur ein paar falsche Entscheidungen getroffen."
Das war zu viel für
Skinner. "Sie haben noch nie eine falsche Entscheidung in Ihrem Leben
getroffen, Mulder?" fuhr er ihn durch sein Lachen an.
Mulder warf ihm einen
wütenden Blick zu. Er wollte mitlachen, aber das würde ihn zu viel Anstrengung
kosten. Die letzten Minuten freundschaftlichen Neckens
war alles, wofür er emotional in der Lage war.
"Ich bin Experte
darin, falsche Entscheidungen zu treffen, Walter", antwortete er
ernsthaft, als er sich zurück in die Kissen legte.
Skinner runzelte die
Stirn. Es war ein erheiternder Moment zwischen ihm und Mulder gewesen, aber es
war immer noch eine Tatsache, dass sein Freund verletzt war, sowohl körperlich
als auch seelisch. Und der innere Schmerz würde viel länger brauchen, um zu
heilen.
Skinner stand am Empfang
der Schwesterstation und wartete geduldig auf die Aushändigung von Mulders
Entlassungspapieren und Verschreibungen.
Er musste noch eine Woche lang Antibiotika nehmen - nur um sicherzugehen
hatte der Arzt ihnen gesagt - und er bekam auch einige Schmerztabletten, falls
er sie brauchen würde. Skinner wusste bereits jetzt schon, dass sie reine
Zeitverschwendung waren, aber bevor er mit Mulders Arzt zu diskutieren anfing,
zeigte er sich einverstanden. Wenn Mulder die Medikamente das Klo runterspülen
wollte, wenn er zu Hause war, war das seine Entscheidung.
Skinner hatte verzweifelt
versucht Mulder davon zu überzeugen, dass alleine nach Hause zu gehen keine
gute Idee war, aber Mulder ließ sich nicht davon abbringen. Er könne auf sich
selbst aufpassen, versicherte er, und es würde ihm viel besser gehen in seinen
eigenen vier Wänden. Skinner hatte zum Schluss nachgegeben, unter der
Bedingung, dass Mulders Haus rund um die Uhr bewacht werden würde, dieses Mal
von ausgebildeten Beamten. Dem hatte Mulder nach einigem Hin und Her
widerwillig zugestimmt. Er ignorierte das ziehende Gefühl in seiner Magengegend
bei dem Gedanken daran, dass er mit Uniformierten zu tun haben würde. Er
wusste, dass es albern war, aber die Erinnerung, in Handfesseln aus seinem
Wohnung hinausgeführt worden zu sein und daran, dass ihm Jahre seines Lebens
genommen worden waren, war klar und deutlich wie am ersten Tag.
Nachdem Skinner die
Diskussion verloren hatte, Mulder nicht in seiner Wohnung genesen zu lassen,
tat er alles was er konnte, um so viel Sicherheit und Bequemlichkeit wie
möglich für Mulder zu gewährleisten. Er war am Tag zuvor in Mulders Haus
gewesen und hatte sich seine Vorräte und Erste-Hilfe-Utensilien angesehen, und
war rasch zur nächsten Apotheke und Supermarkt gefahren, um die Sachen zu
besorgen, von denen er dachte, dass Mulder sie brauchen würde. Er hatte sich
außerdem vorgenommen täglich bei ihm vorbeizuschauen, um zu sehen, ob er gut zurecht kam, aber er hatte nicht den Eindruck, als müsse er
diese Entscheidung seinem Freund geradewegs auf die Nase binden.
"Walter?"
Eine Stimme neben seinem
Ellbogen zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er drehte sich um und fand Scully
an seiner Seite, zögerlich und unsicher.
"Was ist los,
Scully?" fragte er brüsk und gab vor, über ihr plötzliches Erscheinen
nicht überrascht zu sein. Sie hatte während der letzten Woche nicht angerufen.
Offensichtlich hatte sie die Nase voll gehabt von Mulders andauerndem Unwillen
mit ihr zu sprechen, und Skinner hoffte, dass sie die Sache aufgegeben hatte.
Doch das war wie es aussah nicht der Fall.
Scully sah nervös zu der
Tür zu Mulders Zimmer, dann wieder zu ihm. "Ich möchte ihn sehen",
sagte sie.
Skinner drehte sich jetzt
ganz zu ihr um, beugte sich über den Empfang und betrachtete sie absichtlich
genau. Sie wurde rot unter diesen beobachtenden Augen, doch sie hielt seinem
Blick stand.
"Warum?" fragte
er. "Haben Sie etwas an ihm gefunden, dass Sie noch nicht in tausend
Stücke zerrissen haben?"
Verärgert öffnete sie
ihren Mund, aber sie zügelte ihr Temperament. "Ich möchte nur fünf Minuten
mit ihm", sagte sie. "Wenn ich ihn jetzt nicht sehen kann, werde ich
später eine Gelegenheit dazu finden. Es gibt da etwas, das ich ihm sagen muss,
Walter."
Er stand auf und sagte kein
Wort für eine ganze Weile. Schließlich nickte er ein einziges Mal, drehte sich
um und entließ sie damit. Scully schluckte den Klumpen in ihrem Hals herunter
und ging in Richtung Mulders Zimmer in der Hoffnung, Skinner würde es sich
anders überlegen und sie zurückrufen.
Die Tür war nur angelehnt
und sie drückte sie langsam auf. Mulder war wach, komplett angezogen und saß
auf seinem Bett. Er stopfte ein paar persönliche Sachen in seine Tasche und sah
auf, erschrocken, als er sie bemerkte.
"Du schon wieder",
sagte er mit tonloser Stimme. "Irgendwie habe ich mir gedacht, dass du
auftauchst."
Scully schloss die Tür
hinter sich und ignorierte die kalte Begrüßung. Sie zog einen Stuhl zu sich,
setzte sich vor ihn hin und nahm seine Hand. Er zog sie nicht weg, aber er
erwiderte auch nicht ihre Geste. Er ließ sie einfach seine schlaffen Finger in
ihre nehmen. Passiv. Ohne Widerstand.
"Ich muss mit dir
reden", begann sie und hielt dann inne. Wie konnte sie ihm nur all die
Gefühle in ihrem Herzen deutlich machen? Er hatte gesagt, dass er ihr nicht
mehr vertraut. Hatte er noch genug Vertrauen zu ihr, dass er ihr glaubte, wenn
sie ihm sagte, was sie fühlte? Er wartete, seine Augen ein flackerndes Grün,
während sie ihre Gedanken sammelte.
"Eine ganze Menge ist
zwischen uns falsch gelaufen", sagte sie leise, "und das meiste ist
wahrscheinlich meine Schuld."
Sie wartete, dass er
aufsprang und die Schuld für die ganze Situation auf sich zog—denn so war es
immer in der Vergangenheit gewesen. Doch der Mann vor ihr war ein völlig
anderer Mulder als der, den sie so lange Zeit gekannt hatte. Er saß nur still
da.
"Ich weiß, dass ich
mit der Drohung, die Zach gemacht hat, nicht richtig umgegangen bin", gab
sie zu. "Ich war durcheinander, und ich hatte solche Angst um dich. Ich
wusste nicht, dass du versuchen würdest, alleine mit ihm fertig zu werden, oder
ob er dich geradewegs in blanke Panik treiben würde. Und ich wusste, wir
wussten beide, dass Zach auf jeden Fall dazu imstande ist, die ganze Sache
durchzuziehen."
Sie blickte ihn an, und er
nickte, damit sie fortfuhr. Ihren Blick wieder zu ihren geschlossenen Händen
senkend, suchte sie die Worte, um weiterzusprechen.
"Ich bin gekommen, um
dich um eine letzte Chance zu bitten, Mulder." Verärgert spürte sie, wie
sich ihre Augen mit Tränen füllten, die sie krampfhaft zurückhielt. Tränen
würden ihn jetzt nicht erweichen, Tränen würden sie nur schwächen und sie
unbeholfen aussehen lassen.
Sie hatte nicht erwartet,
dass er etwas sagen würde, und als er es tat, waren seine Worte wie ein Peitschenschlag.
"Noch eine Chance
wofür?" flüsterte er. "Mich umzubringen?"
Ihre Lippen versuchten das
Wort 'Nein' zu formen, aber er ließ sie nicht ausreden.
"Du hast deine Sache
bereits gut beendet, Scully", sagte er mit einer vor Traurigkeit
zitternden Stimme, die nur schwer den Zorn und... was noch, Verachtung?, zurückhielt. "Du bist diejenige nach allem, was mir
passiert ist, die mir schließlich den Rest gegeben hat. Du hast mich gebrochen,
wie mich niemand anderes hätte brechen können. Wie viele Male muss ich dich
noch verlieren? Gott, Scully, wie viele Male glaubst du, dass ich das noch
kann?"
Die Tränen strömten nun
unkontrolliert über ihr Gesicht, seine gepeinigten Worte machten es unmöglich,
sie aufzuhalten.
"Ich will dir keine
Chance mehr geben. Ich würde eine weitere Chance nicht überleben." Er
schüttelte den Kopf, und das traurige Lächeln auf seinen Lippen war das
Zeichen, dass sie verloren hatte. "Ich halte es nicht mehr aus,
Scully."
Mit diesen Worten entzog
er vorsichtig seine Hand aus ihrer und stand auf. Er drehte sich um und zog den Reißverschluss
seiner Reisetasche zu. Er ignorierte das erstickte Schluchzen, dass sie zu unterdrücken versuchte.
"Mulder..."
"Ich kann das nicht
mehr", wiederholte er, warf sich die Tasche über die Schulter und verzog
etwas das Gesicht, weil es ein wenig weh tat.
Sie drehte sich um, als
sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde. Skinner stand da und wartete. Auch er
beachtete sie nicht. Mulder folgte ihm aus der Tür und den Gang hinunter ohne
sich auch nur eine Sekunde umzudrehen.
Scully blieb wo sie war für einige Minuten, sammelte ihre aufgewirbelten
Gedanken und nahm sich zusammen, bevor sie sich etwas Wasser ins Gesicht
spritzte und steif aus dem Gebäude ging. Sie hielt sich den ganzen Weg bis nach
Baltimore zusammen und zwang jeglichen Gedanken an Mulder zornig aus ihrem
Bewusstsein. Die Einsamkeit, die sie empfand, als sie daran dachte, dass die
beiden Männer, die so lange ihre Freunde und Verbündete gewesen waren, sie aus
ihren Leben ausschlossen, war erdrückend. Mit einer Entschlossenheit, die sie
nur durch das jahrelange Kämpfen und Gegenwehr entwickelt hatte, zwang Scully
sich, sich zu strukturieren. Sie hatte eine Menge nachzudenken.
Ihre Wahl war klar, ihre
Entscheidung unmöglich—es weiterhin versuchen, oder ohne ihn weiterleben.
Ende TEIL Sechs
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>
Mulder wartete geduldig,
bis Skinner ihn auf die Couch gesetzt hatte, Medikamente und Antibiotika
griffbereit, die Fernbedienung in der Hand und das Telefon in der Nähe. Er
hatte eingewilligt, sich auszuruhen und sofort anzurufen, wenn es etwas
brauchen würde. Brav beteuerte er, dass er bald etwas essen würde und dankte
Skinner für seine Hilfe und sein Angebot, ihm weiterhin beizustehen, doch er
versicherte seinem Freund, dass es ihm gut ging, er zurechtkommen würde und
keinen Babysitter bräuchte. Als Skinner schließlich zähneknirschend gegangen
war, atmete Mulder erleichtert durch und schwang sich in eine aufrechte,
sitzende Position. Er hatte einen Plan und er hatte vor ihn auszuführen, bevor
das Gefühl der Gelähmtheit, das seine Seele in eine schützende Hülle schloss,
verschwand. Skinner hatte gedrängt,
hatte ihn fast genötigt, einige Tage in seiner Wohnung zu verbringen, aber
Mulder hatte sich festgebissen und blieb standhaft. Er wollte nach Hause gehen.
Er würde zurechtkommen. Mulder hatte genau sehen können, wie er bei dieser
Wortwahl die Zähne zusammengebissen hatte, aber es war ihm egal. Er hatte es
leid, von seinen eigenen Freunden ständig als Invalide behandelt zu werden, und
er war fest entschlossen, sich von nichts und niemandem von dem Weg abschrecken
zu lassen, zu dem er sich entschieden hatte.
Das Leben, sagte sich
Mulder während er die benötigten Utensilien
zusammensuchte, hatte kein Scheißrecht darauf, so mit ihm umzugehen! Er fand
die alte Kiste mit den Reinigungssachen für seine Pistole in einer Kiste im
Schlafzimmer. Er holte sie heraus und nahm sie mit ins Wohnzimmer. Dann stattete er der Küche einen Besuch ab,
wo er eine halbvolle Flasche Scotch unter der Spüle
hervorkramte, die zwischen den Reinigungsflaschen und Spültüchern versteckt
war. Er stellte sich ein Glas vor, sogar on the
rocks, und zuckte gleichgültig die Schultern. Dazu gab es wirklich keinen
Grund.
Den
letzten Gegenstand, den er hervorfischte, hatte seinem Vater gehört.
Mulder hielt es mit einer gewissen Ehrfurcht, als er ihn aus der Kiste
nahm. Das Schlafzimmerlicht reflektierte bläulich von seiner stahlbläulichen
Oberfläche, als Mulder den hölzernen Griff ungezwungen auf seiner Handfläche
hielt. Er und sein Vater waren ungefähr dieselbe Größe und Körperbau, obwohl
Bill Mulder in den letzten Jahren ein wenig geschrumpft war, wie alle älteren
Leute. Doch trotzdem passte die Waffe in Mulders Hand wie für sie gemacht. Er hob
ihr Gewicht mit einer aus Erfahrung resultierenden Zuversicht. Er hatte seit
Jahren keine Schusswaffe mehr in der Hand gehabt, doch die Zeit schmolz hinweg,
als er den Revolver umdrehte. Korrekterweise nicht geladen. Er hatte gewusst,
dass er das nicht sein würde, doch er sah aus Gewohnheit nach. 'Behandle eine
Schusswaffe immer so als wäre sie geladen', erinnerte er sich an die Stimme
seines Vaters. Wie viele Jahre lag das schon zurück? Dreißig? Fünfunddreißig? Mindestens einhundert, kam es
ihm schließlich so vor. Die Waffe
erschien ihm überraschend sauber, nach so langer Zeit des Nichtgebrauchs, doch
Mulder nahm sie dennoch mit zur Couch zusammen mit der dazugehörigen Munition,
und machte sich gewissenhaft an die Arbeit, die Waffe zu reinigen. Er hatte keine
Lust darauf, sich seinen Plan von einem nicht gesäuberten Revolver durchkreuzen
zu lassen. Heute Abend würde es keinen Platz für Fehler geben.
Scully hatte ihre Wohnung
in Baltimore erreicht und direkt ein heißes Bad genommen. Ihr einziges Zugeständnis
für die Tatsache, dass Zachary noch immer auf freiem Fuß und gefährlich war,
war die Haustür hinter sich zuzuschließen. Er könnte sonst ins Haus gelangen
und sie holen, dachte sie mit aufkommender Traurigkeit. Er konnte ihr wehtun,
sie sogar töten, und es würde egal sein. Alles war nunmehr egal. Sie spottete
über sich, als sie erkannte, dass ihre Gedanken aus einem gotischen Roman
stammten. Das Leben war in letzter Zeit ziemlich gotisch, verteidigte sie sich.
Und Romanzen haben nicht immer ein Happy End.
Trotz der Vergangenheit,
die sie hinter sich hatten, hatte Scully nie wirklich daran geglaubt, dass ihr
Mulder irgendwann nichts mehr bedeuten würde. Als er ihr gesagt hatte, dass er
ihr keine Chance mehr geben würde, waren seine Augen kalt und tot gewesen. Sie
hatte ihm seine Gefühle immer von den Augen ablesen können, doch heute hatte
sie es nicht vermocht. Heute hatten sie nur von Gleichgültigkeit gezeugt, und
das erschrak sie mehr als alles andere. Wenn Mulder gesagt hätte, dass er sie
hasste, hätte sie vielleicht ein wenig mehr Hoffnung gehabt, denn Hass war
immerhin ein Gefühl, ein sehr starkes Gefühl. Und es gab immer die Möglichkeit,
dass sich Hass in Liebe verwandelt, vor allem, wenn die Liebe einmal sehr stark
gewesen war. Gleichgültigkeit war so... endgültig. Sie ließ ihre Klamotten einfach auf einen
Haufen auf den Boden fallen, zum Teufel mit der Ordnung, und stieg dankbar in
das dampfende Wasser. Normalerweise beruhigte
das Badeöl, das sie immer verwendete ihre mitgenommenen Nerven, doch ihr
momentanes Problem würde sich nicht so einfach lösen. Sie schnappte nach Luft,
als die Erinnerung, wie Mulder und Skinner ihr den Rücken zuwandten und gingen,
sie mit einem Schlag traf, und sie hob sogar tatsächlich ihre Hände zu ihrer
Brust in einem kläglichen Versuch, den Stich in ihrem Herzen zu mildern. Sie
zwang sich ruhig zu atmen und blinzelte heiße Tränen zurück, während sie den
Gedanken von sich abzustoßen versuchte. Jetzt zu heulen brachte ihr überhaupt
nichts. Sie musste einen Weg finden, Mulders Herz wiederzugewinnen. 'Morgen ist
ein neuer Tag!' zitierte ihre innere höhnische Stimme, und sie schöpfte
augenblicklich Hoffnung daraus. Obwohl er nicht Rhett
Butler war, Mulder war für sie bestimmt, und sie für ihn. Und nichts konnte
daran etwas ändern. Sie war viel zu wichtig für ihn, als dass er sie einfach
wie ein vergessenes Jungendhobby beiseite lassen könnte. Tief drinnen, unter
all den Schichten des Dementi und Selbstschutz, musste
er sie noch lieben. Das musste er einfach.
Skinner lief unruhig in
seiner Wohnung hin und her; eine Angewohnheit von Mulder, dachte er
sarkastisch, als er an dem Kaffee nippte, der in den letzten Wochen sein
Hauptnahrungsmittel geworden war. Er glaubte nicht ganz daran, dass Mulder all
die Versprechen halten würde, die er ihm abverlangt hatte. Leg dich hin, ruh
dich aus, nimm deine Medikamente, überanstrenge dich nicht...
"Verdammt!"
fluchte Skinner lauf. "Ich benehme mich wie seine Mutter!" Okay,
vielleicht nicht wie Mulders Mutter, korrigierte er sich, aber wie *eine*
Mutter. Teena Mulder hatte ihren Sohn nie verwöhnt,
und das war eine verdammte Schande, denn wenn Mulder ein wenig mehr mütterliche
Zuwendung in seiner Kindheit gehabt hätte, würde er heute vielleicht nicht so
wenig von sich selbst halten.
Das Kreuz, das er zu
schleppen hatte, gab er schließlich zu, war, dass er Mulder nicht vollkommen
vertraute. Er kannte die Tendenz zur Selbstverstümmelung seines früheren
Agenten, und die Szene heute Morgen im Krankenhaus mit Scully hatte mehr
Schaden angerichtet, als Mulder sich hatte anmerken lassen. Ihr zu sagen, dass
er sie Jahre lang geliebt hatte, dass er ihr nicht länger vertraute, dass er es
nicht noch einmal mit ihr versuchen wollte, um ihre Beziehung wieder zu
reparieren... es muss Mulder innerlich zerrissen haben. Doch in üblicher
Muldermanier hatte er seine Gefühle heruntergeschluckt und eine Maske
aufgesetzt. Und dann hatte er sich von ihr umgedreht und war gegangen.
Es schien immer so zu
laufen mit Mulder und Scully, dachte er, als er auf seinem Balkon stand und
siebzehn Stockwerke unter ihm dem Verkehr zusah. Wenn der eine dazu bereit war, mit beiden
Füßen hineinzuspringen, hielt der andere sich zurück, weil er nicht willens
war, seine Gefühle einzugestehen, geschweige denn danach zu handeln. Und dann
würden sie in dem traurigen und bizarren Tanz der Selbstzerstörung die
Stellungen tauschen und den Tanz fortführen, während die Welt ihre diskordante Musik dazu spielte. Sie würden füreinander
sterben, wurde ihm klar, aber sie weigerten sich füreinander zu leben.
Missmutig gestimmt bei der
Erkenntnis, eine wundervolle Liebesbeziehung wohl niemals entstehen sehen zu
können, dachte Skinner über den Sprung nach, von dem er vor nicht allzu langer
Zeit Angst hatte, dass Mulder ihn machen würde. Vielleicht wäre es besser
gewesen. Vielleicht ist es jetzt das Beste, Mulder über sein Unglück
hinwegkommen zu lassen. Er schüttelte den Kopf. Es war nicht bloßes Unglück,
das Mulder widerfahren war. Manchmal passierte den Menschen nur (ein Unglück),
bei Mulder war es Unglück und manchmal UNGLÜCK. Schmerz und Leid
auf diese oder jene Weise war sein ständiger Begleiter gewesen, seit er zwölf
Jahre alt war. Wie oft hatte er sein Leben eigentlich wirklich mit Freuden
genießen können? Nur wenige Male, zwischen denen Welten lagen, und die meisten
davon hingen zusammen mit der Frau, von der er sich heute Morgen abgewandt
hatte, fasste Skinner zusammen. Er fragte sich, wie Mulders Leben wohl ohne
wohlwollende äußerliche Einflüsse verlaufen wäre. Es machte jetzt keinen Sinn,
darüber nachzudenken, sagte er sich schließlich. Das Leben eines jeden wurde
von äußerlichen Einflüssen bestimmt. In Mulders Fall schien es nur, als ob er
diese mit Zins und Zinseszins hätte. Bei dem Gedanken musste Skinner lachen.
Zur Hölle, Mulder hatte *alles* mit Zins und Zinseszins.
Der erste Schluck Scotch direkt aus der Flasche brannte ihm in der
Kehle. Mulder hatte nie viel daran
gefunden zu trinken, er hielt sich höchstens am Limit eines gelegentlichen
Bieres mit Freunden. Hochprozentiger Alkohol aus der Flasche war eine völlig
neue Erfahrung. Er hatte die Flasche irgendwann mal an einem depressiven Tag
gekauft und hatte sich ein paar Getränke gemixt, um etwas lockerer zu werden.
Er hatte nicht viel getrunken, denn er wusste, dass er sich mit weniger Kontrolle
über sich selbst schon bald auf einer Straße wiederfinden würde, die lang zu
gehen er keinerlei Intentionen hatte. Sein Vater war Alkoholiker gewesen, und
Mulder kannte den Aspekt der Persönlichkeit eines Menschen, der einem leicht
durch diesen Dämon genommen werden kann. Seine Waffe dagegen war immer Tabu
gewesen, was immer sehr gut funktioniert hat. Er war diesem Prinzip treu
geblieben und hatte die Flasche ganz hinten in dem Schränkchen versteckt und
bis heute vergessen. Er hatte bis jetzt
jede Krise überstanden ohne sein Gehirn künstlich benebeln zu müssen (obwohl er
schon zugeben musste, dass er den automatischen Selbst-Schutz-Nebel, in den er
in letzter Zeit immer wieder gefallen war, immer angenehm willkommen geheißen
hatte) -- doch heute verlangte er nach mehr. Wenn er seinen Plan wirklich
ausführen wollte, würde er durch das Zeug ein wenig Mut gewinnen müssen,
erklärte er sich selbst und nahm einen weiteren Schluck. Einen größeren
diesmal, größer als ein Nippen, aber noch nicht ganz ein Mundvoll. Er hatte
keinen Zweifel daran, dass er noch bevor die Nacht anbrach nicht mehr an
kleinen Schlucken hängen würde, sondern den Alk womöglich in riesigen Mengen in
sich hinunterschlingen würde.
Es würde eine lange Nach
werden.
Er griff nach Stift und
Block, die er neben dem Telefon aufbewahrte. Es käme nicht gut, sich einfach so
ohne Grund eine Kugel durch den Kopf zu jagen, überlegte er. Zumindest Walter
verdiente mehr von ihm, genau wie Frohike, Byers und Langly.
Scully verdiente gar nichts.
Er hatte Senator Matheson nicht lange nach seiner Entlassung angerufen, um
ihm seinen Dank auszusprechen, doch ihm wurde gesagt, dass der Senator außer
Landes war. Sein Brief, in dem er ihm dankte, war unbeantwortet geblieben, und
Mulder hatte den traurigen Schluss gezogen, dass seine Freundschaft zu Matheson nur eine politische Verbindlichkeit sein
musste. Er hatte keinen weiteren Versuch
mehr unternommen, Matheson zu kontaktieren, denn
schon in seiner Kindheit hatte er gelernt, dass einseitige Freundschaften nicht
sein Ding waren—sie hatten ihm immer Unglück gebracht --, und Matheson selbst hatte sich auch nicht gemeldet. Offensichtlich waren die Bemühungen um ein
neues Verfahren ein letzter Gefallen für einen alten Freund gewesen. Einem
Freund, mit dem er nicht länger bekannt zu sein wünschte.
Er suchte nach Worten, um
den Brief an Skinner aufzusetzen. 'Lieber Walter' war, obwohl es eine allgemein
gebräuchliche Anrede war, viel zu kitschig für Mulders Geschmack. Skinner war viel
mehr als nur eine 'lieber Freund', nichts für das das Wort vielleicht stehen
mochte. Es war ein feminines Wort, das Frauen untereinander bedenkenlos
gebrauchen konnten ohne seltsame Blicke einzufangen, aber von Männern wurde
verlangt, mehr männliche Emotionen zu zeigen. Beziehungsweise gar keine.
'Lieber' schien jemanden zu betreffen, den man liebte, sogar intim ist, es
passte einfach nicht. Andererseits war
Skinner in den letzten paar Jahren so viel mehr als ein einfacher Freund für
ihn gewesen. Mulder war damals, als er verurteilt worden war, sehr erstaunt
über Skinners völlige Hingabe für seinen Fall gewesen. Er hätte nie gedacht,
dass er so viel Unterstützung von ihm bekommen würde, und er hatte sicherlich
nicht gehofft, dass Skinner oder irgendjemand sonst es unter Umständen in
Erwägung ziehen würde, ihm zu helfen. Er hatte jedem Besuch mit der Angst
entgegengesehen, Skinner würde vielleicht nicht rechtzeitig oder gar nicht
erscheinen, bis er schließlich überzeugt wurde, dass Skinner - aus welchen Gründen
auch immer er so handelte - ihn nicht im Stich lassen würde. Nach und nach
hatte Mulder ihm das Vertrauen entgegengebracht, dass er sich erhofft hatte,
und eine Freundschaft von einer Tiefe und Festigkeit entstand, die Mulder noch
mit keinem anderen Menschen gehabt hatte. Zuvor hatte er nur Samantha gehabt,
doch sie wurde ihm genommen, und er konnte unmöglich die Beziehung zu Skinner
mit brüderlichen Aspekten beschreiben. Manchmal dachte er daran, dass es
vielleicht so sei, wenn man einen älteren Bruder hat. Jemand, auf den man sich
verlassen kann, dem man vertrauen kann, mit dem man streiten kann, Zeit
verbringen, und - was das Wichtigste ist - jemand, der einen wieder auf den
richtigen Weg bringt, wenn man von ihm abgekommen ist. Skinner war das alles immer für Mulder
gewesen, nur hatte Mulder es bis kürzlich nicht richtig erkannt.
Nach dem ganzen Hin und
Her entschied er sich für ein einfaches 'Walter' und kritzelte das Wort oben
auf das erste Blatt des Notizblocks. Dann saß er da, starrte auf die leere
übrige Fläche und fragte sich, wie er dem Mann, der im wahrsten Sinne des
Wortes sein Erretter gewesen war, erklären konnte, warum er das alles weg warf.
Das Badewasser wurde
langsam kalt, als sie endlich aus der Wanne stieg und sich in ein großes,
flauschiges Handtuch einwickelte. Etwas der Spannung des vergangenen Tages war
verschwunden, doch Scully wurde das kriechende Gefühl der Besorgnis nicht los,
das sich langsam aber sicher in ihr breit machte. Irgendetwas stimmte nicht.
Mulder war überhaupt nicht wie er selbst gewesen heute Morgen, und wenn ihm
erst mal etwas im Kopf umher ging, konnte er ziemlich unberechenbar sein. Sie
setzte sich auf den Rand ihres Bettes und starrte neugierig zum Telefon. Sollte
sie das Risiko eingehen, ihn anzurufen und zu fragen, ob alles in Ordnung sei?
Was würde es ihr überhaupt bringen? Mulder würde ihr lediglich sagen, 'es ginge
ihm gut', wenn er ihr überhaupt antwortete.
Gut. Scully verzog das
Gesicht, als sie daran dachte, wie viele Male sie ihn mit dieser Phrase hatte
stehen lassen. Sie hatte bis vor kurzem nie wirklich gewusst, wie weh es tun
konnte, wenn es einem gesagt wird.
Zuerst war Mulder leicht
verärgert und sogar etwas amüsiert, dass sie sich bemühte, Stärke durch ein
Wort zu äußern. Einmal hatte er sie in seinen Armen gehalten und sie weinen
lassen, während er tröstende Worte in ihr Ohr geflüstert hatte nur einige
Sekunden, nachdem sie diesen Satz geäußert hatte. Er hatte es ihr nie
abgenommen, selbst wenn es hin und wieder mal stimmte. In späteren Jahren wurde
er bei diesen Worten regelrecht sauer, hatte es ihr sogar ein oder zwei Mal zum
Vorwurf gemacht, eher als Rache als der Wunsch, seine Gefühle vor ihr zu
verbergen, überlegte sie. Doch jetzt war es ein Wunsch, sie zu verbergen.
Mulder hatte Mauern um Mauern um sich herum aufgestellt, und Scully fürchtete,
dass sie jetzt, selbst wenn sie den Rest ihres Lebens damit verbringen würde,
die Mauersteine abzubauen, nie den Mann hinter dem Wall erreichen würde. Und
der Mann hinter dem Wall litt so unsäglich....
Resolut, bevor sie ihre
Meinung wieder ändern konnte, griff sie zum Telefon. Das Schlimmste, was er tun
konnte war auflegen, sagte sie sich, doch sie musste wenigstens versuchen, mit
ihm zu reden.
Das Telefon klingelte
sechs Mal, bevor der AB abnahm und seine Stimme vom Band die kurze Nachricht
losließ. Seufzend legte Scully auf. Er war vielleicht nicht zu Hause, doch es
konnte auch einfach nur sein, dass er nicht mit ihr reden wollte. Nach ein paar
Minuten, in denen sie mit sich selber kämpfte und sich versicherte, dass Fox
Mulder ein erwachsener Mann war, der auf sich selbst aufpassen konnte, griff
sie abermals widerwillig zum Telefon. Fox Mulder war vielleicht ein erwachsener
Mann, doch es gab Tage, an denen er definitiv NICHT auf sich selbst aufpassen
konnte - und sie vermutete, dass heute wieder einer dieser Tage war. Auch wenn
Skinner sie in der Luft zerreißen würde, war er zumindest ein sicherer Weg zu
Mulder. Ein Weg, der ihr wohl versperrt werden würde.
Skinner wollte ihren Anruf
erst gar nicht annehmen, doch er wusste, dass ihm keine Wahl blieb - er konnte
sie nicht so hängen lassen. Er war wütend auf Scully, ebenso auf Mulder, weil
sie sich so verhalten hatten, wie sie es in der letzten Zeit getan hatten, aber
er brachte es nicht über sich, sie einfach zu ignorieren. Er zog es sowieso
vor, dass sie ihn anrief und nicht Mulder. Er konnte ihr eher widerstehen als
Mulder.
"Skinner",
bellte er in den Hörer, als er nach dem fünften Klingeln abnahm. Er hörte wie sie am anderen Ende der Leitung
für einige Sekunden atmete, bevor sie schließlich den Mut zum Sprechen fasste.
Er wusste, dass es schwer für sie sein musste, nach all dem, was im Krankenhaus
passiert war. Aber das hieß noch lange
nicht, dass er es ihr leichter machen müsste.
"Haben Sie mit ihm
gesprochen?" fragte sie dann und Skinner vernahm die Müdigkeit in ihrer
Stimme. Für eine Sekunde fiel ihm auf, wie sie sich alle in letzter Zeit
anhörten. Müde. Ausgelaugt.
"Nicht mehr, seit ich
ihn heute Nachmittag gesehen habe. Warum?"
Sie seufzte tief, als ob
sie nur widerwillig fortfuhr. "Ich weiß, dass sich das dumm anhört...
vielleicht ist es das auch... aber etwas, das er gesagt hat, macht mir
Sorgen."
Skinner setzte sich auf.
Er wollte immer noch nicht alle Details wissen, die zwischen Mulder und Scully
an diesem Morgen passiert waren. Mulder hatte sich strikt geweigert, mit ihm
darüber zu sprechen.
"Was hat er
gesagt?" fragte er schnell und tastete mit den Zehen nach seinen Schuhen,
deren er sich vorher zwecks Bequemlichkeit entledigt hatte. Er hatte eine Ahnung, dass dieser Anruf ihn
am Ende zu Mulders Haus führen würde.
"Er hat gesagt...
Walter, hat Mulder Ihnen erzählt, worüber wir gesprochen haben?"
"Nein. Was hat er
gesagt, was Ihnen Sorge macht?" Er wurde es langsam leid, sich vor dieser
Frau dauernd wiederholen zu müssen. Irgendwann in den letzten paar Jahren hatte
Scully eine bemerkenswerte Eigenschaft entwickelt, Dinge auf einem Weg
anzugehen, den er schlichtweg als Umweg betrachtete. Das völlige Gegenteil der
früheren, geradewegs zum Punkt kommenden FBI-Agentin. Er fragte sich, ob die
Heirat mit Zachary Morrow daran schuld sei.
"Er sagte, er könne
das nicht mehr. Das waren genau seine Worte, Walter... 'Ich kann das nicht mehr.' Es hörte sich
nicht wie etwas an, das man erwartet. Es hörte sich...
bedrohlich an."
Er rollte die Augen.
"Bedrohlich?" fragte er ungläubig. "Muss ich Sie daran erinnern,
dass es Mulder ist, von dem wir beide reden?"
"Ich weiß, dass es
Mulder ist, Walter, aber da war etwas in seiner Stimme... und in seinen
Augen", entgegnete sie. "Irgendetwas ging ihm da im Kopf herum, aber
ich wusste einfach nicht was. Und das allein macht mir schon Angst. Ich habe
versucht ihn anzurufen, aber er geht natürlich nicht ans Telefon."
"Gut so. Ich möchte
nicht unhöflich sein, aber im Moment sind Sie das letzte, was er braucht."
Sie sagte nichts für eine
ganze Weile, und er konnte fast den Schnitt hören, den seine Worte durch sie
getan hatten. Aber es tat ihm auch nicht besonders leid.
"Da haben Sie
vielleicht Recht", sagte sie schließlich, "doch ich würde es sehr
begrüßen, wenn Sie nach ihm sehen würden. Ihren Anruf wird er bestimmt
annehmen."
Skinner rieb sich müde die
Augen. "In Ordnung", meinte er abrupt. "Ich werde
nachsehen."
"Danke", sagte
sie in einem Ton, der gerade an 'frostig' vorbeigeschlittert war. Er hörte das
Klicken in der Leitung und wusste, dass sie verärgert aufgelegt hatte, aber
wieder scherte er sich wenig darüber. Mulder hatte sich vielleicht mit ihrer
Hilfe ziemlich schnell von seinem Aufenthalt in diesem Rattenloch erholt—Skinner
hatte ihn noch nie so glücklich gesehen als in der kurzen Zeit, in der Scully
bei ihm gewesen war—aber die ganzen zusätzlichen Quälereien, die sie ihrem
Ex-Partner zugefügt hatte, ließen sein Gesicht seine festen Züge behalten. Er
war immer noch auf eine Art ein gebrochener Mann, nur teilweise wieder
aufgebaut, und Skinner fürchtete, dass Mulder nie anders werden würde.
Er streckte seine
eingeschlafenen Muskeln—in seinem Alter auf seinem Stuhl einzuschlafen war kein
sehr guter Gedanke. Er griff nach dem Telefon, um kurz Mulder anzurufen und
sich nach ihm zu erkundigen, als er innehielt.
Scully mochte vielleicht der Grund von vielen von Mulders Problemen
sein, doch niemand verstand Mulders Psyche besser als seine frühere
Partnerin. Wenn sie glaubte, dass er
etwas Schreckliches vorhaben könnte, wäre es womöglich besser, ihm unerwartet
einen Besuch abzustatten. Ein vorheriger Anruf würde Mulder nur die Möglichkeit
geben, eine Ausrede zu finden, wenn er überhaupt ans Telefon gehen würde. Er
prüfte seine Taschen, ob seine Brieftasche und Schlüssel darin waren und machte
sich auf in Richtung der Tür.
Mulder, sagte er sich, du
sitzt besser still und leise auf deinem Sofa und guckst Fernsehen, wenn ich
ankomme.
Mulder machte keinen
Mucks, als es an der Tür klingelte; er ahnte bereits, wer es sein könnte. Nach
all der Zeit hatte er eine Art Skinner-Gespür
entwickelt - die Fähigkeit zu unterscheiden, wann sein Freund sich Sorgen um
ihn machte und wann diese Sorgen Walter dazu veranlassten, nach ihm zu sehen.
Dieses Skinner-Gespür war die ganze letzte Stunde
präsent gewesen, seit er Scullys Anruf unbeantwortet gelassen hatte. Man musste
kein Genie sein, um zu wissen, welchen Schritt sie als nächstes tun würde. Er
saß in derselben Position wie in den letzten zwanzig Minuten. Die Waffe seines
Vaters lag locker auf seinem Schoß, er umfasste sie nicht einmal richtig. Seine Gedanken waren während des Nachmittags weite Strecken gewandert, doch sie waren
letztendlich, mithilfe einer unerklärlichen Kraft, die ihn immer noch
durchfuhr, zu einer Entscheidung gekommen. Eine, mit der er leben konnte.
Nach ein paar Minuten
hörte er, wie Skinner das Schloss aufmachte. Als sich die Tür schwungvoll
öffnete, erhellte das letzte Bisschen Tageslicht den Raum und nur teilweise
seine Gestalt auf dem Sofa. Immer noch regungslos wartete er darauf, dass sich
Skinner näherte. Skinner tat dies sehr vorsichtig, als ob er fürchtete, dass
Mulder jede Sekunde die Waffe an seinen Kopf richten könnte. Als sein Freund
ruhig vor ihm stand und offensichtlich nach Worten suchte, tat ihm Mulder
schließlich regelrecht Leid.
"Es ist okay,
Walter." Behutsam legte er die Pistole auf den Wohnzimmertisch und
schubste sie etwas zu Skinner. "Ich habe mich bereits entschieden, es
nicht zu tun."
Skinner versuchte
erfolglos ein kleines erleichtertes Lächeln zurückzuhalten und setzte sich in
den Sessel zu Mulders Linken. Er wartete, dass er weiter sprach.
"Ich kann auch ohne
sie leben", fuhr Mulder alsbald fort. "Das weiß ich jetzt."
Skinner blickte auf die
fast leere Flasche Scotch, und Mulder musste kurz
lachen. "Ich musste mich erst betrinken, um klar denken zu können, können
Sie das glauben?"
Skinner antwortete nicht.
Er setzte sich nur zurück und hörte Mulder zu.
"Aber jetzt denke ich
wieder klar. Das erste Mal seit einer langen Zeit denke ich wieder klar. Und
ich habe heute Nachmittag etwas erkannt, Walter. Ich habe erkannt, dass ich gerade ohne sie
gelebt habe. Sie war sowieso nie mein. Ich habe sie vom ersten Augenblick an gewollt,
und ich habe mich ihr geöffnet, ich habe mich ihr *hingegeben*, Herz und Seele
und Gedanken und letztendlich sogar meinen Körper, aber sie war nie, *nie*
mein. Ich wollte daran glauben, und ich habe mir eingeredet, dass sie meine
Gefühle erwidert, doch es war alles eine Lüge."
Skinner nahm diese
Neuigkeiten wortlos an. Mulder redete jetzt mehr als in den letzten zwei Wochen
zusammen, und auch wenn er wusste, dass das zum Teil dem Alkohol zu verdanken
war, schien Mulder sich etwas von der Seele reden zu müssen. Neugierig nickte
er in Richtung der Waffe. "Was hat Ihre Meinung geändert?"
Er meinte einen gewissen
Ausdruck über Mulders Gesicht huschen zu sehen, doch bevor er deuten konnte,
welcher Art er war (Fragend? Angst? Erfurcht?) war er vorbei. Mulder lächelte
und setzte sich auf der Couch zurück. "Sie. Meine Mutter. Mein Vater. Samantha. Ich habe
erkannt, dass ich euch allen mehr schulde als das. Und wissen Sie was, Walter,
ich bin der letzte. Der letzte der Mulder-Familie,
zumindest von diesem Zweig meines Stammbaums.
Nach mir werden keine mehr sein. Das Vermächtnis meiner Familie ist
nicht, dass ich aus der Welt scheiden will."
Er blickte hoch zu
Skinner. Sein Lächeln war jetzt verschwunden und sein Gesicht vollkommen ernst.
"Jeder von euch verdient mehr von mir als das hier. Insbesondere
Sie."
"Sie schulden mir gar
nichts, Mulder", sagte Skinner verlegen.
"Doch, das tue ich.
Ich hätte es ohne Sie nie so weit geschafft, wussten Sie das nicht? Verdammt,
ich hätte es nicht mal durch diese vier Jahr im Fegefeuer geschafft, wenn ich
nicht eine Schulter zum Anlehnen gehabt hätte, nur habe ich das damals nicht
erkannt. Sie haben mein Leben gerettet, Walter, öfter als ich zählen
kann."
"Unsinn. Sie hätten
dasselbe für mich getan, und Sie hätten es aus genau demselben Grund getan.
Weil Sie mein Freund sind. Weil es das Richtige war."
Jetzt lächelte Mulder
wieder, dieses Mal war es ein wirkliches Lächeln. Sein erstes seit vielen Tagen, wenn nicht
Wochen. "Wahrscheinlich. Ich weiß jetzt jedenfalls, dass es an der Zeit
ist, nach vorne zu schauen. Ich bin dabei, einige Entscheidungen zu treffen,
doch ich will sie Ihnen noch nicht verraten,
ehe ich mir sicher bin. Sie werden nämlich meine Vergangenheit hinter
mir lassen."
"Was ist mit ihren
schulischen Plänen, Mulder?" fragte Skinner mit Interesse. "Sie waren
so entschlossen..."
"Ich bin immer noch
entschlossen. Das ist etwas, das ich immer schon tun wollte, und ich möchte es
auch beenden. Ich weigere mich, dass mir Scully, oder meine Vergangenheit, oder
irgendetwas anderes diese Ziele nimmt." Für einen Moment wurde er sehr
still, als ob er seine Gedanken für eine Erklärung sammeln würde. Dann sagte er
lediglich, "Heute wollte ich sterben. Ich habe mich jedoch anders
entschlossen. Von jetzt an werde ich leben."
Mächtig, dachte Skinner.
So mächtig und so viel leichter gesagt als getan, weil der ganzen Angelegenheit
zugrunde immer noch eine kleine rothaarige Frau stand aus Mulders
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
"Lieben Sie sie
noch?"
Mulder schien über diese
Frage nicht überrascht zu sein. "Ich denke, ich liebe sie noch, auf eine
gewisse Art und Weise. Zumindest der Teil von mir, den mein Verstand noch nicht
erreichen konnte, liebt sie noch. Aber ich kann sie nicht haben. Ich habe sie
nie gehabt. Ich weiß nicht, ob sie jemals jemand haben wird. Doch damit kann
ich jetzt leben." Er ließ seine Finger über den Rand der Flasche kreisen.
"Scully ist keine Frau, die irgendein Mann haben kann."
"Es gibt noch andere
Frauen, Mulder", sagte Skinner mild, während er genau wusste, dass es für
Mulder nie eine andere Frau geben würde. Mulder hatte sein Herz verloren—es war
nicht länger in seinem Besitz, und jede Frau, die in Zukunft zu tief in sein
Leben eindringen würde könnte nur enttäuscht werden.
"Ja, die gibt
es", stimmte Mulder zu, unfähig Skinner anzusehen. "Ein ganzes Land
voll."
"Also", sagte
Skinner dann, stand auf und reckte sich, "Dann machen Sie sich auf,
Mulder. Sie kennen das Spiel."
Mulder warf seinen Kopf
zurück und lachte. "Sie müssen es einfach satt haben, mich als Ihren
Hausgast zu haben, Walter!" sagte er. Er wusste, dass es sinnlos war und
genoss zugleich das Familiäre an ihrer Beziehung. Ein Teil von ihm verachtete
die Tatsache, dass er sich zu so einem bedürftigem, armseligen Individuum
entwickelt hatte, aber er hatte sehr wohl die Fortschritte bemerkt, die er
gemacht hatte, das musste er zugeben. Er stand auf und hob die Tasche auf, die
er neben der Couch fallen gelassen hatte, als Skinner ihn zuvor nach Hause
gebracht hatte.
"Aber wenn Ihr Herz sich
anders entscheidet, Mulder, dann aber richtig", antwortet Skinner und
schloss die Tür zu Mulders Haus fest hinter sich zu. "Das hatten Sie nämlich schon, Gott sei
Dank, und ich werde einen Teufel tun und sie nicht allein lassen, wenn sie
wieder einmal durch so etwas gehen müssen."
Mulder lachte abermals.
"Lassen Sie uns gehen, Boss", sagte er grinsend und Skinner rollte
die Augen, als er Mulder durch die Tür nach draußen folgte.
Es würde ihm mit der Zeit
besser gehen. Es müsste ihm einfach besser gehen.
Es gab keinen anderen Weg
nach oben als den.
"Bill!" Scully
war entzückt, als sie ihren Bruder am anderen Ende der Leitung vernahm. Sie
hatte stundenlang in ihrer Wohnung herumgehangen, weil sie da sein wollte, wenn
Skinner anrief. Doch dadurch, dass er nichts von sich hören ließ, gewann sie
die Zuversicht, dass es Mulder gut ging, und sie fragte sich demzufolge, ob
Skinner sie überhaupt anrufen würde, wenn dem nicht so wäre. Nachdem sie
gesehen hatte, wie die beiden heute Morgen zusammen weggegangen waren, hätte
sie nichts mehr überraschen können. Sie hatten sich ihr gegenüber regelrecht
verschworen.
Sie überlegte, einige
Krankenhäuser anzurufen, in denen Mulder landen könnte und in denen er schon
einmal gewesen war, doch dann ließ sie es bleiben. Außerdem, sagte sie sich,
was könnte sie schon tun, wenn sie ihn irgendwo als Patienten finden würde?
Mulder würde sie sicherlich nicht willkommen heißen, und Skinner würde sie
ohnehin nicht durch die Tür seines Krankenzimmers lassen. Wenn also irgendetwas
nicht stimmte, hätte er sie schon angerufen. Er musste wissen, dass Mulder ihr
immer noch etwas bedeutete, selbst wenn die ganze Situation ganz schrecklich
falsch gelaufen war.
Mit diesem Gedanken war
Dana aufgesprungen, als das Telefon sein schrilles Klingeln von sich gegeben
hatte, mit der vagen Hoffnung, dass es Skinner sein würde, oder Mulder, mit
wenigstens einer kleinen Information.
Sie hätte eigentlich
enttäuscht sein sollen, stattdessen ihren Bruder am Telefon zu haben, doch sie
war heute Abend in einer so fragilen Verfassung, dass jede freundliche Stimme
willkommen war. Bill hatte die Situation immer noch nicht vollständig
akzeptiert, doch er bemühte sich wenigstens, das musste sie ihm lassen. Und er
war schockiert über Zachs brutalen Angriff auf Mulder gewesen.
"Ich wollte nur mal
fragen, wie es dir geht", begrüßte er sie. "Mom hat erzählt, dass
Mulder heute aus dem Krankenhaus entlassen worden ist. Ich dachte... irgendwie
dachte ich, dass du heute bei ihm sein würdest."
Sie biss die Tränen
zurück, die in diesem Moment durchkommen wollten, und riss sich zusammen. Es
war der einzige Weg, mit dieser Art von Gespräch fertig zu werden.
"Er war nicht
wirklich ansprechbar für mich heute Morgen", gab sie wahrheitsgemäß zu und
ließ den Teil aus, wo Mulder ihr durch seine Vertrauenslosigkeit
das Herz gebrochen hatte.
Bill entfuhr ein Geräusch
des Ekels und sie merkte, dass sie verärgert wurde.
"Bill, du verstehst
unsere Situation nicht", sagte sie messerscharf. "Das hast du nie
getan."
Er war still für einen
Moment, und in ihrem Kopf hörte sie bereits die Worte, von denen sie hoffte,
dass er sie nicht aussprechen würde. Nach einer langen Minute stimmte er ihr
zu. "Du hast Recht. Das werde ich nie.
Aber es ist dein Leben, Dana, und alles, was ich will ist, dass du
glücklich bist. Wenn Mulder der Mann ist, der dich glücklich macht, werde ich
mein Bestes tun, um nicht in deinem Weg zu stehen."
Sie lachte fast bei dem
Gedanken daran, dass Bill versuchen würde, es zu akzeptieren, weil diese
Einsicht nun um Jahre zu spät kam.
"Er wollte mich
nicht, Bill", sagte sie leise. "Er hat sich von mir abgewandt."
"Er war
wahrscheinlich verletzt und verwirrt."
Sie nahm den Hörer von
ihrem Ohr und starrte ihn perplex an. War das wirklich ich Bruder oder einer
von Mulders 'Klonen'? Sie konnte gar nicht glauben, dass er auch nur ein Wort
darüber verlor, das Mulder in Schutz nahm, geschweige denn einen ganzen Satz.
Er schien ihre
Ungläubigkeit zu bemerken. "Dana, ihr zwei seid in letzter Zeit nur
Achterbahn gefahren, immer ganz oben oder ganz unten. Das war schon so, seit er
entlassen worden ist. Mein Gott, sogar noch davor. Weißt du, ich hätte nie
gedacht, dass ich das je sagen würde, aber ich wünschte wirklich, dass ich dich
nie dazu gedrängt hätte, Zach zu heiraten.
Vielleicht, wenn ich meine Nase aus deinem Leben herausgehalten hätte,
wären du und Mulder jetzt zusammen und du wärst glücklich."
Jetzt war es ganz
sicher—das konnte nicht Bill Scully sein.
Als ob er ihr Gesicht
sehen konnte, lachte er. "Ich weiß, was du jetzt denkst, Dana, aber ich
hatte eine Menge Zeit, mir diese ganze Sache durch den Kopf gehen zu lassen.
Und Tara hat auch viel mit mir geredet. Ich weiß, dass ich selbstsüchtig war
und bemutternd dir gegenüber... es ist sehr schwer für mich, nicht immer den
großen Bruder zu spielen. Ich will damit nicht sagen, dass ich es gutheiße,
wenn Fox Mulder mein Schwager werden würde, ich möchte nur sagen, dass ich
versuchen würde, damit umzugehen."
"Tja, Bill",
sagte Dana und wunderte sich im Stillen über die Einsichten im Leben, die immer
zu spät kamen, "nichts dergleichen ist wahrscheinlich. Er will nicht
einmal mehr mit mir reden. Er hat mir gesagt, dass er mit mir fertig sei."
Bill fluchte leise.
"Aber du kannst das nicht dabei belassen! Einfach so, ungeklärt. Du musst
ihn wenigstens dazu bringen, darüber zu reden."
"Bill, ich kann
Mulder zu nichts *bringen*! Er ist ein erwachsener Mann, und außerdem steht
Walter Skinner voll und ganz hinter ihm. Wenn Skinner nicht will, dass ich
Kontakt zu Mulder habe, wird er auch dafür sorgen."
"Geh zu ihm,
Dana", drängte er plötzlich. "Gleich morgen früh. Geh einfach
unangemeldet hin. Lauere ihm auf, wenn du musst. Hast du noch diese
Handfesseln?" sagte er nur halb im Spaß.
Sie musste lachen.
"Bill! Natürlich nicht!" Dann, "Glaubst du wirklich, ich sollte
einfach so vor seiner Tür auftauchen?"
"Ich glaube, dass das
vielleicht der einzige Weg ist", sagte er wieder ernst.
Sie schwieg für einige
Sekunden und dachte nach. Sie stellte sich die Situation vor. Mulder würde ihr womöglich
die Tür vor der Nase zuknallen. Er würde
ihr wahrscheinlich mit seinen grausamen Worten noch mehr wehtun, als er es eh
schon hatte. Worte, die genau wussten, wohin sie zielen sollten und wie tief
sie verwunden sollten. Oder, und das war auch möglich, obgleich nur sehr
entfernt, würde er sie einfach nur anhören. Plötzlich fiel ihr ein Satz ein,
den ihr Vater gebraucht hatte, als sie noch ein Kind war. Sie schauderte, als
sie seine Worte so klar und deutlich hörte, als wäre sie immer noch zehn Jahre
alt. 'Du bist nur besiegt, wenn du aufgibst.'
"Bevor das Zwielicht
fällt... und das entfernteste Ufer erreichen bevor
das Zwielicht fällt..." murmelte sie Mulders Gedicht vor sich hin.
"Was?" fragte
ihr Bruder.
"Nichts", sagte
sie schnell. "Ich habe gerade nur an etwas gedacht, was Mulder einmal zu
mir gesagt hat. Weißt du, Bill, ich glaube, du hast Recht. Ich glaube ich gehe auf deinen Vorschlag ein.
Morgen."
"Gut, Dana",
applaudierte er. "Du warst immer jemand, der das Leben bei den Hörnern
nimmt. Gib jetzt nicht auf."
"Vielleicht
übernachte ich morgen bei Mom", sprach sie weiter. "Denn wenn Mulder
mich rauswirft, kann sie mir einen heißen Kakao
kochen und Hühnersuppe und mich bis zum Abwinken bemuttern."
Bill lachte. "Ich
glaube nicht, dass er das tun wird, Dana. Das glaube ich wirklich nicht."
Sie legte auf und drückte
die Daumen. 'Gott, ich hoffe, dass du dieses eine Mal Recht behältst, Bill!'
sagte sie sich.
Einen Häuserblock weiter
saß ein Mann ruhig in einem unscheinbaren Sedan-Viertürer.
Mal grinste er, mal starrte er die kleine metallene Vorrichtung auf dem
Beifahrersitz an: ein handgroßer Scanner, mit dem man Anrufe von Handys und
schnurlosen Telefonen innerhalb eines sehr großen Radius decodieren konnte. Er
staunte, dass die Frau, die so viele Jahre lang eine FBI-Agentin gewesen war,
so unvorsichtig war, private Gespräche über einen Gegenstand führte, der mit so
einfachen Mitteln regelrecht als Mikrofon für die breite Öffentlichkeit
fungieren konnte. Sein Gesicht
verdunkelte sich, als sie ihm ihre Pläne für den nächsten Morgen eröffnete.
Doch am Ende war es völlig egal, was sie vorhatte, weil er nämlich bereits
etwas vor hatte. Er würde sich heute Abend keine Fehler erlauben können.
Er beobachtete, wie die
Lichter in Scullys kleiner Wohnung ausging, eins nach dem anderen, bis nur noch
ein schwacher Schein durch das vorderste Fenster schien. Es war ihre
Nachttischlampe, deren Licht kaum einmal aus der Schlafzimmertür reichte, so
schwach, dass man genau hinsehen musste, um es noch das Wohnzimmerfenster
erreichen zu sehen. Er kannte die Anordnung aller Gegenstände in ihrer Wohnung
peinlich genau, weil er schon sehr oft da gewesen war, während sie fort war. Er
wusste, dass sie mit offener Schlafzimmertür schlief, weil er einmal durch den
Jack Daniels gestärkt, den er in letzter Zeit allen anderen Nahrungsmitteln
vorzog, sich mitten in der Nacht, während sie schlief, in ihre Wohnung
geschlichen hatte und sich zufrieden überzeugt hatte, dass sie in Sicherheit
war. Er hatte in dem dunklen Zimmer gestanden und sie durch die Schlafzimmertür
angesehen, dicht genug dran, um das gleichmäßige Heben und Senken ihrer Brust
auszumachen, doch nicht nahe genug, um sie berühren zu können. Und in dieser
Nacht hatte er seinen Plan erfasst.
Sein Plan. Er hatte
tagelang über jedes kleinste Detail nachgedacht, einige Ideen verworfen und
andere hinzugenommen, hatte ihn in seinem Kopf auseinandergenommen wie ein
Kunstwerk, etwas, das man sehen konnte, etwas, das man beschützen und hegen
musste. Als er schließlich mit dem Ergebnis zufrieden war, war er in Gedanken
zwei Schritte davor zurück getreten, um es aus gebührender Entfernung zu
bewundern—mit Ehrfurcht vor seinen eigenen Fähigkeiten und der Auffassung, dass
er ein Naturtalent war. Er hatte jedoch
gezögert, seinen Plan in die Tat umzusetzen, weil er fürchtete, dass wenn er
aus Unachtsamkeit im falschen Moment zuschlagen würde, sein ganzes peinlichst
genau durchdachte Kunstwerk über den Haufen geworfen würde. Jetzt schien es so,
als ob sie die Entscheidung für ihn getroffen hätte, und jetzt galt es keine
Zeit mehr zu verlieren, kein Überlegen und Durchdenken, ob nicht diese oder
jene Kleinigkeit doch verändert werden sollte. Der Moment würde schnell kommen,
und er würde entschlossen voranschreiten, und er würde gewinnen. Kein Platz für
Fehler heute Abend.
Mulder ging auf und ab.
Schon wieder. Skinner sah ihm still zu und bewahrte Geduld, bis er sich schon
Beruhigungsmittel in Mulders Essen tun sah, um ihn ruhig zu halten. An diesem
Punkt entschied er, dass er stattdessen doch lieber mit ihm reden sollte.
"Mulder, setzen Sie
sich hin!" grollte er mit beherrschter Stimme, und Mulder, den der Ton und
das Gesagte überraschte, tat wie ihm geheißen.
Er sah verlegen aus, als
er erkannte, was er die ganze letzte Stunde getan hatte.
"Sorry",
murmelte er und starrte auf den Teppich. "War wohl zu sehr in
Gedanken."
Skinner ging zum
Kühlschrank und holte zwei Flaschen heraus, wandte sich dann zu Mulder und gab
ihm eine Flasche Bier.
"Hier, trinken Sie
das, Mulder", befahl er und Mulder gehorchte abermals.
Er drehte den Verschluss
auf und nahm einen großen Schluck.
"Das ist gut",
kommentierte er und besah das Etikett. Importiert. Er grinste. Irgendwie hatte
er geahnt, dass Skinner ein Snob war, wenn es um Alkohol ging.
Der Scotch,
den er vorher getrunken hatte, war gesackt und das Essen, das ihm Skinner
praktisch aufgezwungen hatte, hatte ebenfalls seinen Zweck erfüllt. Mulder
setzte sich bequem in seinem Sessel zurück und nippte wieder an der
bernsteinfarbenen Flüssigkeit und starrte die Wand an. Er wusste, dass Walter
wollte, dass er erzählte, worüber er nachdachte, aber er hatte ihm wirklich
nichts zu sagen. Jedenfalls nichts, dass er laut aussprechen wollte.
Es lag auf der Hand, dass
ein Besuch in Jess Coslows
Praxis am nächsten Morgen an der Tagesordnung war. Wenn sie heute nicht einen
Termin in einer anderen Stadt gehabt hätte, wäre er jetzt schon da gewesen.
Mulder ahnte bereits, dass es eine lange und aufreibende Sitzung werden würde,
in der er eine Menge Dinge sagen musste, die er lieber unter Verschluss halten
würde. Es gab einfach keinen Weg, Walter oder Jess
die emotionale Epiphanie zu beschreiben, die er an
dem Nachmittag durchlebt hatte.
Er hatte jede Intention es
zu tun—die Pistole lag bereit, den Brief an Walter geschrieben (zwar kurz, aber
prägnant wie jede Notiz, die Mulder je jemandem geschrieben hat, der ihm
wichtig war), die Flasche bis auf den letzten Tropfen geleert.... er musste nur
noch die Pistole heben und den Abzug ziehen.
Er war schon auf bestem
Wege dorthin, der Lauf war schon einmal in seinem Mund gewesen und zeigte nach
oben. Bereit, das, was noch von seinem erbärmlichen, verwirrten Gehirn übrig
war quer über die dahinterliegende Wand zu verteilen, als er sie gehört hatte.
Samantha. Ihre Stimme, so klar, als stünde sie vor ihm: "Nicht, Fox!"
Natürlich wusste er, dass
das ein Moment aus seiner Kindheit gewesen war, das ihn wieder eingeholt
hatte—es war nicht *wirklich* Samanthas Stimme, die aus dem Grab zu ihm sprach oder
wo immer sie auch sein mochte. Er konnte sich sogar genau an den Tag erinnern,
an dem sie diese Worte gesagt hatte. Es war an ihrem sechsten Geburtstag
gewesen, seine Mutter hatte einige ihrer Freunde zu einer kleinen
Geburtstagsparty eingeladen. Er hatte gelächelt, als er sich an Emmies
Geburtstagsparty erinnerte, die gar nicht mal so lange her war—kleine Mädchen
waren immer gleich, ganz egal welcher Generation sie angehörten. Klar, Sams
Freunde haben ihn nicht umgeworfen und ihn gekitzelt, weil sie ihn in seiner
Art nicht ausstehen konnten. Große Brüder konnten manchmal die Pest sein.
Sie hatten ihn
unbarmherzig gehänselt an diesem Tag, Witze über seinen verhassten Namen
gemacht, auf einer Serviette Karikaturen von ihm gezeichnet mit
Wachsmalstiften, die ihre Mutter bereitgestellt hatte, doch sicherlich nicht
zum Zwecke der Demütigung für ihren Sohn. Sie hatten sein Leben generell zur
Hölle gemacht. Fox hatte sich letzten Endes in einem Wutanfall eins von
Samanthas Geschenken geschnappt, eine wunderschöne Puppe in einem langen blauen
Kleid und blonden Locken, und hatte ihr den Kopf umgedreht. Samantha, die davon
überzeugt war, dass ihr Spielzeug jeden Moment kaputt gehen würde, hatte die
Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen und angefangen zu weinen, mit
derselben Stimme, die er heute gehört hatte, "Nicht, Fox!"
Er war nicht imstande
gewesen, die Bitte seiner Schwester, die er so sehr liebte, zu verweigern,
selbst wenn ihre Freunde ihn fast zum Wahnsinn trieben.
Er hatte gespürt, wie sich sein Herz zusammengezogen hatte, als sie dieses
kindische, vertrauensvolle Lächeln getan lächelte. Er hatte ihr die Puppe
zurückgegeben. Dann hatte er sich umgedreht, um aus dem Zimmer zu gehen und
gehört, wie ihre Freundinnen angefangen haben zu kichern. Ein Gefühl der
Dankbarkeit hatte ihn überkommen, als er hörte, wie Samantha ihnen
augenblicklich durch ein "Pssst!" gebot
damit aufzuhören. An dem Abend, nachdem die Gäste gegangen und das Haus
aufgeräumt waren, hatte sie ihm eine Zeichnung gegeben, die sie gemacht hatte.
Sie hatte jede ihrer Freundinnen gemalt, die ihn an dem Tag geärgert hatte
(alle mit völlig unschmeichelhaften Gesichtszügen und Klamotten), und sie beide
haben auf seinem Bett gesessen und lange über die Zeichnung nachgedacht. Als
ihre Mutter schließlich darauf bestanden hatte, dass sie endlich zu Bett
gingen, hatte Sam ihn auf die Wange geküsst und sich mit der völligen
Arglosigkeit, die nur ein kleines Kind haben kann, bei ihm bedankt.
Jetzt, wo er sich daran
erinnerte, rieb er gedankenabwesend seine Wange dort, wo Samantha ihn vor so
vielen Jahren geküsst hatte, und hörte in seinem Kopf "Danke, Fox",
widerhallen. Er wurde weich in diesem Moment, er wurde immer weich, wenn es um
sie ging. So wie heute auch.
Es gab absolut keinen Weg
wie er Skinner oder irgendjemand anderem je erzählen könnte, dass seine seit
langem vermisste Schwester ihn zum Leben überzeugt habe. Sie würden ihn
sicherlich einschließen und den Schlüssel wegwerfen.
Er bekam es fast selbst
nicht mit, wie er sein Bier leer trank, und schon bald darauf reichte ihm
Skinner ein weiteres.
"Versuchen Sie mich
abzufüllen, Walter?" fragte er überrascht.
Üblicherweise tat Skinner alles extrem geistesgegenwärtig, doch er hatte
nun selbst schon einen großen Teil seines zweiten Bieres intus, und Mulder
hatte den Eindruck, dass es ein langer Abend werden könnte.
"Sie haben selbst
gesagt, dass Sie besser nachdenken können, wenn sie betrunken sind",
erinnerte ihn Skinner grinsend. "Ich möchte nicht, dass sich ihre
Urteilsfähigkeit wieder trübt, bevor wir morgen zu Jess
gehen."
Mulder seufzte. Er hatte
es so satt behandelt zu werden als sei er ein hilfloses Kind, obwohl er wusste,
dass er manches Mal den Eindruck erweckte. Außerdem war er einfach.... müde. Er war allem müde. Des Lebens, der ständigen Schlachten,
die er anscheinend dauernd führen musste, sowohl körperlich als auch emotional.
So viel sein Ego sich auch dagegen wehrte, es war sehr angenehm und tröstend,
sich einfach zurücksetzen zu können und Skinner alles machen zu lassen. Es war
ein Felsen in der Brandung, dass es einen Menschen gab, der sein Vertrauen
niemals missbraucht hatte und von dem er glauben konnte, soweit, dass er es
auch nie würde.
Sein zweites Bier trank er
viel, viel langsamer als das erste, während der Alkohol langsam einen angenehmen
Nebel über sein Gehirn legte. Er zog sich mit den Füßen seine Schuhe ab und
legte seine Füße auf den Hocker, um sich danach gemütlich tiefer in die Polster
des weichen Sessels zu legen. Im Handumdrehen war er eingeschlafen.
Skinner betrachtete ihn
grinsend, als Mulder langsam in den Schlaf sank, und als seine Finger den Halt
an der Flasche verloren, nahm er sie ihm ab.
Er warf eine Decke über Mulders schlafende Gestalt und verließ leises
das Zimmer. Ein wenig Schlaf würde Mulder gut tun. Zweifellos würde er in der
Nacht sowieso aufwachen und ins Bett gehen, doch jetzt wollte Skinner ihm nicht
seinen schwer-verdienten Schlaf rauben, denn Mulder
hatte schrecklich müde und fertig ausgesehen.
Scully las noch bis lange
nach Mitternacht, unfähig ihre zappelnden Nerven zu beruhigen jedes Mal, wenn
sie daran dachte, Mulder am nächsten Morgen zu begegnen. Dann, es war schon
fast zwei Uhr, machte sie das Licht aus und zwang sich ruhig liegen zu bleiben.
Sie konzentrierte sich darauf, lange und tiefe Atemzüge zu nehmen, damit ihr
Körper sich, wenn er schon nicht einschlafen wollte, wenigstens in Ruhephasen
erholte. Jedes Mal, wenn sich vor ihrem inneren Auge ein Bild von Mulder
aufbauen wollte, wie er sich von ihr abwandte, forcierte sie es eisern
beiseite. Jedes Mal, wenn sie seine Stimme hörte, dass er ihr nicht mehr
vertraute, erinnerte sie sich daran, dass ihm weh getan worden war, und dass
das einfach der Grund war, warum er mit den bissigsten Worten wie nur irgend
möglich nach ihr geschnappt hatte. Nachdem sie eine Dreiviertelstunde lang
permanent versucht hatte, diesen Tag von aus ihren Gedanken zu verbannen, löste
sich endlich die Spannung in ihr und sie fiel in einen leichten Schlaf.
Der Mann im Auto lächelte,
als der schwache Lichtstrahl im Fenster der Frau ausging. Er würde noch eine
Stunde warten und dann in Aktion treten. Die Zeit war gekommen.
Mulder wachte am Morgen
auf, als er fühlte, wie etwas gegen seinen Fuß stupste. Er schlug die Augen auf
und blickte in Skinners Gesicht. Als er sich umsah, um sich zu orientieren,
fiel ihm auf, dass er die ganze Nacht in Skinners Wohnzimmer geschlafen haben
musste.
"Sorry, dass ich Sie
nicht aufgeweckt habe", entschuldigte sich Skinner, als sich Mulder reckte
und streckte. "Ich habe nicht gedacht, dass Sie so lange schlafen
würden."
"Schon okay",
nuschelte Mulder gähnend. "Wie spät ist es?"
"Fast neun. Ich habe Jess angerufen und einen Termin für zehn vereinbart. Sie
müssen also in die Gänge kommen."
Mulder nickte grummelnd
und machte sich auf ins Badezimmer. Und wenn nicht frisch gebrühter, heißer
Kaffee auf ihn wartete, wenn er da wieder rauskam,
würde er Skinner den Hals umdrehen, sagte er sich. Mulder ließ sich in das
warme Badewasser gleiten und fühlte abermals, wie der feste Knoten in seinem
Magen sich zu formen begann und er einige Momente später am ganzen Körper
zitterte. Fluchend drehte er das heiße Wasser weiter auf und versuchte sich
zusammenzunehmen. Er konnte sich jetzt keine Panikattacke leisten— nicht jetzt.
Nicht, wenn er Jess gleich gegenübertreten musste und
sich eine plausible Erklärung ausdenken musste, warum er sich am Vortag nicht
über den Jordan geschossen hatte. Er fragte sich welchen Grund er angeben
konnte, durch den er weniger Probleme mit ihr haben würde als sowieso schon.
Als er schließlich aus dem
Bad auftauchte, wartete Skinner mit Kaffee und Toast auf ihn und trug ihm auf
gut zu essen. Mit einem Seitenblick auf die Uhr schlang Mulder den Toast
herunter und nahm die Kaffeetasse mit, als sie die Wohnung verließen. Sie
würden nur zehn Minuten zu Jess' Büro brauchen, aber
es würde knapp werden.
Eine halbe Stunde später
saß er auf der Couch und nippte an einer weiteren Dosis Koffein, während er
stumm auf den Boden starrte. Sie kamen absolut nicht voran, und das einzige,
das ihn davon abhielt aufzustehen und aus der Tür zu gehen war die Gewissheit,
dass er dafür durch Walter-"The
Marine"-Skinner hindurch musste. Er schauderte bei dem Gedanken. Walter
war sein Freund, aber er konnte manchmal auch verdammt erschreckend sein, und
Mulder hatte Skinners Geduld in letzter Zeit auf eine harte Probe gestellt.
Seufzend versuchte er sich
darauf zu konzentrieren, was Jess ihm erzählte. Er bekam ihre Worte inmitten eines Satzes
wieder mit und starrte verdattert, als er merkte, was sie tat.
"...und es erscheint
mir offensichtlich, Mulder, dass Ihr Vater Sie, als Sie noch ein Kind waren,
schrecklich missbraucht hatte, und dass Sie es Ihrer Mutter extrem übel nehmen,
dass sie Sie nicht davor bewahrt hatte.
Diese immer wieder
auftauchende Tendenz von Ihnen, die Sie an den Tag
legen, um Aufmerksamkeit
zu erlangen, selbst zu dem Punkt, wo Sie sich selbst in die Hände eines
wohlbekannten Feindes legen, damit er sie erschießen kann, spricht von ihrer
tiefen Psychose, an der Sie leiden."
Er hielt ihrem Blick stand
solange er konnte und prustete dann einen Lacher. Er musste sich die Hand vor
den Mund halten, um nicht den Kaffee auszuspucken. Er schluckte mit
ersichtlichen Schwierigkeiten und brach in schallendes Lachen aus, so dass
seine Augen tränten, bis er seine Tasse absetzen musste, um sich den Bauch zu
halten.
"Oh Gott, Jess, das war klasse!" keuchte er zwischen
Lachkrämpfen.
Jess setzte sich mit einem zufriedenen Grinsen in ihrem
Sessel zurück. "Ich dachte schon, Sie würden noch bis zum Ende der Sitzung
da sitzen und mich ignorieren, also habe ich mir gedacht, ich könnte auch etwas
Spaß haben."
Mulder wischte sich die
Augen und ein Lacher kam immer noch hier und da in ihm hoch. "Ich hab
schon seit der Schule nicht mehr so ein blödsinniges Psychogebabbel
gehört", sagte er. "Wie haben Sie das gemacht?"
Sie zuckte mit den
Schultern. "Hab ich neulich mal im Internet gelesen", lächelte sie.
"Und wenn Sie immer noch vorhaben, Ihr Studium zu beenden, werden Sie in
Zukunft noch viel mehr von solchem blödsinnigen Psychogebabbel hören, Mulder,
aber um auf unser Thema zurückzukommen...."
Mulders Blick fiel und
seine Hände formten unabsichtlich Fäuste.
"Worüber können Sie
so schwer sprechen?" fragte sie sanft.
"Sie werden mich für
verrückt halten", murmelte er.
Jetzt war sie es, die
schnaubte. "Nach all der ganzen Zeit, was könnten Sie mir jetzt noch über
sich sagen, was ich nicht schon weiß, Mulder?" wollte sie wissen.
"Wenn gestern etwas passiert ist, dass sie davon überzeugt hat, *keinen*
Selbstmord zu begehen, was kann daran schlecht sein?"
Er nickte, auch wenn ihm
nicht völlig behaglich war nach ihren Fragen.
"Aber Sie fühlen sich
immer noch nicht wohl, wenn Sie darüber sprechen."
Noch ein Nicken.
"Hat es etwas mit
ihrer Kindheit zu tun? Mit ihrer Schwester?"
Wie der Blitz hob er den
Kopf und seine Augen bohrten sich in ihre.
"Woher.... woher wissen Sie das?"
Jess schüttelte langsam den Kopf. "Ich habe es nicht
gewusst, ich hatte nur eine Ahnung. Sie haben eine Menge Leid in ihrem Leben
erfahren, Mulder, und so viel davon geht von der Zeit aus, in der Sie zwölf
waren. Hat es etwas mit Samanthas Entführung zu tun?"
"Nein", sagte er
langsam, "etwas, das einige Jahre davor passiert ist. An Sams
Geburtstag..."
Sie wartete einen Moment.
"Wie alt waren Sie da?"
Ein kleines Lächeln
überflog sein Gesicht. "Ich war zehn. Ich war ein richtiges Balg, wissen
Sie? Ich hab sie und ihre Freunde immer geärgert, und an dem Tag haben sie es
mir zurückgezahlt. Sie haben mir Schimpfwörter hinterhergerufen,
haben mich gemalt und so Zeugs."
"Das muss Sie sehr
verletzt haben", observierte Jess, und Mulder
nickte abermals.
"Das hat es, ein
bisschen, ja, aber wenn ich jetzt zurückblicke, scheint es so unwichtig.
Jedenfalls habe ich es mir bis zur Geduldsgrenze gefallen lassen, und dann habe
ich eines von Samanthas Spielzeugen genommen und gedroht, es kaputt zu
machen."
"Und haben Sie?"
"Nein",
flüsterte er. "Ich konnte es nicht. Ich hätte ihr nie wehtun können. Ich
habe sie geliebt. Sie war alles was ich hatte...."
"Was ist also
passiert?"
Mulder rieb sich mit der
Hand über das Gesicht und spürte, wie er leicht anfing zu schwitzen dort.
Verdammt, dachte er, nach all den Jahren sollte es doch nicht mehr so schwer
sein, darüber zu sprechen. Es war doch bloß eine Geburtstagsparty.
"Sie hat mich
gebeten, es nicht zu tun." Er grinste sehnsüchtig. "Im Grunde
genommen hatte sie mir befohlen, es nicht zu tun. Sie konnte ganz schön
bestimmend sein, wenn sie wollte. Ich habe einen Blick in ihre vertrauensvollen
Augen geworfen und wusste, dass ich es nicht übers Herz bringen würde. Und
später ist sie dann zu mir gekommen und.... hat mir
gedankt. Jess, sie war so unschuldig, und sie hatte
mir so vertraut, und ich...."
Er verstummte. Mulder
wusste, dass wenn er fortfuhr, er anfangen würde zu weinen und dies war eine
Sitzung, in der er sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen.
"Ihre Schwester hat
Ihnen also gedankt, dass sie ihr Spielzeug nicht kaputt gemacht haben, und das
macht Ihnen Schuldgefühle?"
"Ja."
"Warum?"
"Weil ich es ihr in erster
Linie überhaupt nicht hätte androhen sollen, verdammt noch mal!"
explodierte er. "Ich war ihr großer Bruder, ich sollte auf sie aufpassen
und sie beschützen, und sie konnte mir nicht einmal vertrauen, dass ich
nicht.... Welche Art von Bruder tut so etwas?"
Wieder hielt er inne.
Nach einer Minute lehnte
sich Jess nach vorne, bis sich ihre Knie fast
berührten.
"Ihrer Beschreibung
nach zu urteilen ist das das gleiche Benehmen, das zehn Jahre alte Brüder seit
je her an den Tag legen", sagte sie sanft. "Sie scheinen schrecklich
viel von sich selbst zu erwarten."
Verstohlen rieb er sich
den Augenwinkel. "Was meinen Sie damit?"
"Nun", sagte sie
und lehnte sich wieder zurück, da sie jetzt seine Aufmerksamkeit hatte,
"Sie denken schlecht von sich für etwas, das man von jedem Kind erwarten
könnte damit fertig zu werden, und Sie haben den Punkt noch nicht ganz
ergriffen."
Er sah auf in ihr ernstes
Gesicht, keine Spur mehr von den Witzeleien, die sie erst vor ein paar Minuten
ausgetauscht hatten. "Und welcher Punkt ist das?"
"Dass Sie das
Spielzeug heile gelassen haben. Sie haben ihr Vertrauen nicht gebrochen. Und
später—das einzige Mal, an dem sie so dringend Ihre Hilfe gebraucht hatte—haben
Sie alles in Ihrer Macht stehende getan, um ihr zu helfen. An diesem Tag haben
Sie ihr Vertrauen ebenfalls nicht verloren."
Mulder sah baff aus, als
ob ihm das nie eingefallen wäre. Er hatte sich immer die Schuld dafür gegeben,
dass er Samantha für eine so lange Zeit nicht beistehen konnte, dass ihm nie in
den Sinn gekommen wäre, sich Punkte für das Versuchen anzurechnen.
Jess ließ es eine Weile sinken, und als sie auf seinem
Gesicht weniger Stress lesen konnte, stellte sie noch einmal die Preisfrage.
"Was aus Ihrer
Erinnerung hat sie dazu gebracht, sich nicht umzubringen?" fragte sie in
einem Ton, der so ruhig und sanft war wie eine Schneeflocke.
Ein fragendes Lächeln
breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. "Ich habe sie gehört",
gestand er schließlich. "Ich habe ihre Stimme gehört, dieselbe Stimme, die
mir zurief, es nicht zu tun. Und ich kann ihr nichts abschlagen." Er
blickte hoch zu Jess, um sicherzugehen, dass sie
verstand, was er meinte.
"Ich habe sie nicht
retten können, Jess, aber *sie hat mich* gerettet.
Sie hat mich bewahrt...."
Jess reichte ihm ein Päckchen mit Taschentüchern, nach
der er blind grabschte, ein paar herausnahm und sich das Gesicht abwischte,
nachdem er sich von ihr weg gedreht hatte. Ohne Vorwarnung erschlug ihn die
Erschöpfung nahezu und er fiel zurück auf die Couch.
"Es ist in Ordnung,
nicht?" fragte er nach ihrer Zusicherung suchend. "Dass ich ihr nicht
helfen konnte, aber sie mir?"
"Wenn sie alles getan
hätte, um Sie zu retten, es aber nicht gereicht hätte, hätten Sie sie dafür
verantwortlich gemacht?"
Erkenntnis flog über sein
Gesicht und er schüttelte verneinend den Kopf.
"Nein."
Sie nickte und war
zufrieden. "Sehen Sie, und genauso ist es umgekehrt, Mulder."
Scully starrte dumpf aus
dem Fenster des Flughafenwagens. Sie waren mit dem Wagen losgefahren, den sie
dann aber am Flughafen stehen gelassen hatten und diesen hier von einem
Dauerparkplatz gestohlen hatten. Es war unwahrscheinlich, dass der Besitzer ihn
in den nächsten Tagen vermissen würde, und bis dahin würde es sowieso zu spät
sein. Zachs Plan würde vollendet sein.
Sie war am frühen Morgen
durch eine Hand aufgewacht, die ihr fest den Mund zu hielt und sie hatte eine
Waffe an ihrem Hals gespürt. Zachs unverwechselbare Stimme hatte ihr ins Ohr
geflüstert, was genau sie tun müsste, wenn sie nicht wollte, dass Mulde zuerst
stürbe. Sehnsüchtig hatte sie an die Waffe in ihrer Schublade gedacht, die,
zwar nur einen Meter von ihr entfernt, nun unerreichbar für sie war. Durch ein
Nicken hatte sie ihm gezeigt, dass sie mit ihm kooperieren wolle. Zach hatte
die Waffe achtsam auf sie gerichtet, während sie aufgestanden war, sich
angezogen hatte und mit ihm zum Wagen gegangen war. Sie hatte seine Anweisungen
befolgt, zum Flughafen zu fahren und hatte zusehen müssen, wie er den
Flughafenwagen aufgebrochen hatte.
Er hatte ihre Hände fest
auf ihrem Rücken zusammengeschnallt und den Sicherheitsgurt um sie gelegt, und
war dann vom Parkplatz gefahren, ohne sie in irgendeiner Weise einzuweihen. Er
versicherte ihr, dass solange sie tat, was er wollte, Mulder außer Gefahr sei,
und sie hatte sich an dieser Aussage festgeklammert in der Hoffnung, dass sie
wahr sei. Wenn sie all dies aushalten musste, und Mulder trotz ihrer Bemühungen
leiden musste....
Sie schauderte, als sie
sich an Zachs Hand auf ihr erinnerte. Nichts hatte Scully auf den Ekel
vorbereitet, den sie empfunden hatte, als ihr Ex-Mann sie angefasst hatte. Der
Gedanke daran, dass sie diesen Mann einmal sehr gemocht hatte, intim mit ihm
gewesen war, machte sie jetzt krank, und sie schluckte, um zu verhindern, dass
ihr die Galle hochkam. Sie konnte immer noch seine Zunge in ihrem Mund spüren.
Die Fahrt erschien ihr
stundenlang. Die Stadt wich dem Land, dann öder, trockener Prärie, die nur
spärlich durch eine kleine Stadt hier und da unterbrochen wurde. Zach hatte
sich auf den Nebenstraßen und weniger befahrenen Highways gehalten, und jede
Meile, die sie hinter sich ließen, nahm ihr einen Funken mehr Hoffnung.
Er hatte gesagt, sie würde
mit seinem Namen sterben—sie fing an, ihm das zu glauben.
Mulder war sehr still auf der
Fahrt zurück zu Skinners Wohnung. Er wollte ihm nicht alles brühwarm erzählen,
was in der Sitzung vorgefallen war, doch Skinner meinte, den jüngeren Mann
etwas entspannter zu sehen. Mit großer Sicherheit war etwas hinter diesen Türen
der Therapieräume passiert, dachte er, etwas Gutes, doch wenn Mulder noch nicht
bereit war, darüber zu reden, konnte er warten. Als sie zu Hause angelangt
waren, ging Mulder unverzüglich in sein Zimmer, und als Skinner eine Stunde
später nach ihm sah, fand er seinen Freund ruhig und fest schlafend vor.
Skinner zog sich leise zurück, denn er wusste, dass sich Mulder am Rande der
Erschöpfung befinden musste, und schloss die Tür.
Als das Telefon plötzlich
um drei Uhr klingelte, nachdem es den ganzen Vormittag über nichts von sich
gegeben hatte, schlief Mulder immer noch.
Skinner sah auf den Namen auf dem Display und zog eine Grimasse.
Bill Scully? Was würde der
ihm schon erzählen wollen?
"Skinner",
bellte er grantig in den Hörer.
"Mr. Skinner, hier
ist Bill Scully, Danas Bruder." Seine Stimme klang besorgt und es lag
keine Spur der Großspurigkeit darin, an die sich Skinner von früheren Treffen
mit ihm erinnerte.
"Ja?" Er behielt
seinen Tonfall knapp. Besorgt oder nicht, im Moment konnte sich Skinner keine
Situation vorstellen, in der er ein Gespräch mit irgendeinem Mitglied der
Scully Familie willkommen hieß.
"Ich habe mich nur
gefragt.... haben Sie meine Schwester heute
gesehen?"
Bei diesen Worten wurde
Skinner hellhörig. "Nein, warum? Sollte ich das?" fragte er mit einem
Blick den Flur hinunter zu Mulders Zimmer vorsichtig nach.
"Ist... ist Mulder
bei Ihnen?" Bills Stimme war immer noch zögerlich, als ob er wüsste, dass
seine Fragen ungebeten seien, doch das Gefühl hatte, sie trotzdem stellen zu
müssen.
"Ja, er ist hier. Er
schläft. Er hatte gestern einen harten Tag."
Bill seufzte leise.
"Dana sagte mir gestern Abend, dass sie vorhatte, ihn heute Morgen zu
besuchen und dann zu ihrer Mutter zu gehen. Doch Mom hat bis jetzt nichts von
ihr gehört, und als ich bei Mulder angerufen habe, ist niemand dran
gegangen."
"Mulder hat die Nacht
hier geschlafen."
"Aber wenn Dana ihn
nicht zu Hause vorgefunden hat, würde sie nicht als nächstes zu Ihnen kommen?
Mulder ist in letzter Zeit oft da gewesen, richtig?"
"Was wollen Sie damit
sagen?" verlangte Skinner, der sich beherrschen musste, sich zu zügeln.
"Hören Sie, Mr.
Skinner, ich möchte damit gar nichts sagen. Ich weiß, dass Sie Mulder eine
große Hilfe sind. Dana hat es mir erzählt. Ich weiß nur nicht, wo meine
Schwester steckt, und weil ihr verrückter Ex-Mann auch nicht auffindbar ist,
tut es mir Leid, wenn ich ein wenig besorgt bin!" Bill fing an sich zu
entschuldigen, und er wurde immer lauter. Skinner konnte die nackte Angst in
seiner Stimme hören.
"In Ordnung, Scully,
beruhigen Sie sich", sagte Skinner.
"Scully? Was zum
Teufel will sie denn?" wollte Mulder wissen, der hinter ihm stand. Skinner
schloss frustriert die Augen.
"Nicht Dana.
Bill." In der Sekunde, in der diese Information Skinners Mund verlassen
hatte, streckte Mulder die Hand nach dem Telefonhörer aus, ein Ausdruck purer
Entschlossenheit auf seinem Gesicht.
Skinner schüttelte den
Kopf, doch Mulder riss ihm mit einem warnenden Seitenblick das Telefon aus der
Hand.
"Bill? Worum geht
es?" fragte er dann.
"Mulder, sind Sie
das? Es geht um Dana. Sie scheint.... hm, ich
kann.... ich kann sie nicht finden,
Mulder."
Skinner sah, wie alle
Farbe aus Mulders Gesicht wich und fluchte in sich hinein. Er legte seine Hände
auf Mulders Schultern und bedeutete ihm sich hinzusetzen.
"Was meinen Sie
damit, Sie können sie nicht finden?" fragte Mulder barsch.
"Sie sagte, sie würde
heute Morgen nach Virginia gehen, um mit Ihnen zu reden und dann zu Mom, aber
sie ist nie da aufgetaucht", floss es übereilt aus Bill heraus. "Sie
hat Mom nicht angerufen, sie geht nicht an ihr Handy, auch zu Hause nicht ans
Telefon, und die Sekretärin in ihrem Büro sagte, dass Dana sich heute Morgen
auch nicht gemeldet hatte, geschweige denn vorbeigekommen sei!"
"Scheiße!"
flüsterte Mulder und sah auf zu Skinner. "Zach hat sie."
Skinner nickte und griff
nach seinem Handy. Er wählte bereits, als Bill antwortete, "Das ist das,
wovor ich Angst habe."
"Bill, hören Sie,
Skinner geht der Sache nach. Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden sie
finden." Er dachte einen Moment lang nach. "Er ist ihr Freund—haben
Sie eine Idee, wo er hingegangen sein könnte?"
"Er ist nicht mehr
mein Freund, Mulder", antwortete Bill grimmig. "Und nein, ich habe
keine Ahnung, aber ich kann seine Eltern anrufen und gucken, ob sie irgendetwas
wissen."
"Tun Sie das und
rufen Sie mich dann zurück."
Er legte auf und sah zu
Skinner.
"Ich habe die Polizei
von Baltimore benachrichtigt", berichtete Skinner ihm. "Sie schicken
jemanden raus zu ihrer Wohnung, dann rufen sie uns zurück."
Während der ganzen
nächsten Stunde stand es außer Frage, Mulder davon abhalten zu wollen, wie eine
Katze seine Wohnung zu durchstreifen. Er tat es ja die meiste Zeit selber. Als
das Telefon ging, riss Mulder es bereits von der Station bevor das erste Klingeln
überhaupt komplett war.
"Ja?" meldete er
sich knapp. "Hat er? Okay, das ist klasse. Okay, danke Bill. Wir melden
uns, wenn wir mehr wissen." Er ließ den Hörer fallen und sackte für einen
Moment darüber zusammen. Dann richtete er sich wieder auf. "Zach hat Emmie letzte Nacht bei seinen
Eltern gelassen. Er sagte er würde zu einer Fachtagung
in Los Angeles fahren. Irgendetwas über Dermatologie."
"Morrow ist ein
Dermatologe?" Skinner war verwundert.
Mulder zuckte die
Schultern. "Keine Ahnung", sagte er desinteressiert. "Mag sein.
Ich weiß, dass er irgendeinen Doktor hat. Scully hat nie viel über ihn erzählt,
und ich habe nicht gefragt."
"Warten Sie eine
Sekunde, Mulder", sagte Skinner, als sein Handy klingelte. "Die Chancen sind nicht schlecht, dass
sie noch lebt, und wir Zeit haben, sie zu finden."
Die Polizei von Baltimore
war dran, und Skinner schlenderte telefonierend in die Küche, wo er einen
weiteren Telefonanruf tätigte. Er behielt Mulder am anderen Ende des Raumes im
Auge, doch der bewegte sich auf der Couch sowieso nicht. Er saß nur da mit
gesenktem Kopf und den Händen zwischen seinen Knien, fast wie in einer betenden
oder meditierenden Haltung. Als er das Gespräch beendete, ging er zurück zu
Mulder und stellte sich vor ihn hin. Mulder sah zu ihm auf und Skinner sah den
blanken Schrecken in seinen Augen - die Gewissheit, dass sein sparsames Glück
ihnen ausgegangen war, dass diese Mal sicherlich das letzte Mal sein würde.
"Es findet eine
Tagung von Dermatologen und anderen Ärzten in Los Angeles diese Woche
statt", berichtete er, und Mulder nickte kurz, als ob er das erwartet
hätte.
"Sie haben nichts in
Scullys Wohnung gefunden, aber ihr Auto ist nicht auffindbar. Mulder",
sagte er vorsichtig und setzte sich neben seinen Freund auf die Couch.
"Haben Sie daran gedacht, dass Scully nur wieder davongelaufen ist?"
Mulder starrte ihn
überrascht an. "Warum sollte sie das tun? Von was könnte sie jetzt
weglaufen?" bohrte er.
Skinner spitzte
nachdenklich die Lippen. "Vielleicht vor Zach."
"Aber das würde sie
ihrer Familie nie antun", protestierte Mulder. "Sie hätte ihnen
gesagt, wo sie hinginge. Nein, Walter, Zach hat gedroht, sie zu holen, und das
hat er auch getan. Ich weiß es. Ich kann es fühlen."
"Tja, Mulder, wenn
ich mich recht erinnere, waren Sie ein ausgezeichneter Profiler.
Ich nehme an, dass sie sich der Fähigkeiten jetzt bedienen, denn wenn sich Ihre
Vermutungen als korrekt erweisen, müssen wir Scully so schnell wie nur irgend
möglich finden."
Mulders Magen drehte sich
bei Skinners Worten, aber er wusste, dass er Recht hatte. Früher hatte er das
mal gekonnt. Er hatte es sogar verdammt gut gekonnt.
"Ich denke, dass er
das Auto loswerden wird", sagte er langgezogen. "Sie müssen Scullys
Wagen finden und prüfen, ob in der Gegend, wo es aufgefunden wird, Autos
gestohlen worden sind. Das wird eines der ersten Dinge sein, die er machen
wird... die er wahrscheinlich schon getan hat."
Skinner wählte bereits.
"Und dann?" fragte er mit dem Hörer am Ohr.
Mulder stand still und
grub in seinem Gedächtnis. "Er hat seine Tochter hier gelassen - das
heißt, dass er entweder noch in der Nähe ist, oder dass er vorhat, hierher
zurückzukommen."
"Wo würde er
hingehen?"
Mulder seufzte. "Ich
weiß es nicht. Es würde uns weiterhelfen, wenn wir etwas über sein Motiv
wüssten."
"Ich dachte, sein
Motiv ist es, sie umzubringen", sagte Skinner mit erhobener Augenbraue und
wandte sich dann wieder dem Telefon zu. "Ja, Walter Skinner wieder, ich
muss mit Captain Penn sprechen."
Mulder fuhr fort, als
Skinner gebeten wurde zu warten. "Wenn das alles wäre, hätte er es in ihre
Wohnung erledigen können. Doch er hat sie stattdessen gekidnappt, ein Auto
geklaut... er will noch etwas anderes, Walter. Ich weiß bloß nicht was."
Scully hob den Kopf und
sah sich schlaftrunken um, als der Wagen langsam anhielt. Sie waren an einer
kleine Tankstelle an einem staubigen Highway inmitten von... war es schon Iowa?
Sie war sich nicht sicher. Sie sah zu Zach und schenkte ihm ein kleines
Lächeln. Als er sie letzte Nacht wollte, wusste Scully, dass sie keine Wahl
hatte. Sie hätte sich wehren und sich im Kampf verletzen können, möglicherweise
hätte er sie auch direkt umgebracht, oder sie könnte ihm vorgaukeln, dass sie
noch Gefühle für ihn hatte und vielleicht, vielleicht einen Ausweg finden.
Mit einem Knoten im Bauch
und einem Kloß im Hals hatte sie ihm zärtliche Worte zugeflüstert, Worte der
Verzeihung, sagte ihm, wie sehr sie ihn vermisst hatte, wie sehr sie es bereuen
würde, ihn verlassen zu haben, und Zach hatte, wie er eben war, ihr alles
geglaubt. Es war genau das gewesen, was er hatte hören wollen. Als sie von dem
verlassenen Rastplatz gefahren waren, an dem sie die letzte Nacht verbracht
hatten, hatte sie es geschafft ihn zu überreden, ihre Fesseln loszumachen.
Sie hatte ihn zuvor
gefragt, wohin er führe, und er hatte mit einem strahlenden Lächeln
geantwortet, "Las Vegas".
"Um zu
heiraten", bestätigte sie und er hatte genickt.
"Zach", hatte
sie gesagt und eine Hand auf seine Oberschenkel gelegt, während sie die Abscheu
ignorierte, "du hast davon gesprochen, dass ich mit deinem Namen sterben
würde."
Er hatte auf ihre Hand
hinunter gesehen, dann wieder zu ihr und ein ernsthafter Gesichtsausdruck war
über seien Gesichtszüge gekommen. "Ich hatte geplant, dich zu töten, Dana".
Sie schaffte er
erschrocken auszusehen, als ob ihr dieser Gedanke nie in den Sinn gekommen
wäre, und er hatte ihre Hand von seinem Bein zu seinen Lippen genommen.
"So sehr wollte ich, dass du mein bist", hatte er geflüstert, und in
Scullys Augen standen Tränen.
Blinzelnd und sich
ausnahmsweise zum Weinen zwingend, hatte sie ihn mit einem Blick vollsten
Verständnisses angesehen. Er brauchte nicht zu wissen, dass es Tränen der
Angst, Wut und Frustration waren. Sie wollte ihn glauben lassen, dass es Tränen
des Kummers und des Mitgefühls waren—Tränen für ihn waren.
"Oh, Zach",
murmelte sie. "Aber wäre es nicht besser, wenn ich mit deinem Namen
*leben* würde?"
Er lächelte und trat aufs
Gas, wodurch er sie noch rascher an ihr Ziel bringen würde. Bald darauf war sie
eingeschlafen.
Jetzt blickte sie sich auf
der Tankstelle um, die vollkommen verlassen da lag. Lediglich die
Neonleuchtschrift 'Open' zeigte an, dass geöffnet war.
"Warte hier",
hieß Zach sie an, als er ausstieg. "Ich gehe schnell tanken."
"Ich muss mal die
Toilette benutzen", sagte sie und nachdem er sie lange und suchend
angesehen hatte, nickte er sein Einverständnis.
Sie ging hinter das
Gebäude und drückte die Klinke, die wahrscheinlich verschlossen sein würde. Sie
wurde nicht enttäuscht. Ihre Augen schweiften über das weite Gelände um die
Tankstelle und sie musste den Impuls loszulaufen unterdrücken. Noch nicht,
sagte sie sich. Sie würde sich hier nirgends verstecken können. Sie ging zurück
zum Eingang und wollte gerade hereingehen, als seine
Stimme sie anhielt.
"Wo gehst du
hin?" wollte er wissen und sie konnte schwören Misstrauen herauszuhören,
dass immer noch übrig geblieben war.
"Schlüssel",
sagte sie und zeigte auf die Tür.
"Ich hole ihn",
sagte er, drehte den Tankverschluss zu und betrat die Tanke. Schon einen Moment
später war er zurück und begleitete sie zur Toilette. Er hielt ihr die Türe auf
und Dana erkannte mit Verdruss, dass er hier draußen auf sie warten würde.
"Es dauert nicht
lange", sagte sie und strich ihm leicht über die Wange. Er lächelte und
schloss die Tür hinter ihr.
Hastig durchwühlte sie
ihre Handtasche in der Hoffnung, ein Stück Papier darin zu finden. Sie fand
nichts passendes, also riss sie ein Stück von ihrem Scheckbuch aus, riss den
Teil mit ihrer Kontonummer ab und suchte frenetisch nach einem Stift. Endlich
fand sie einen, und nachdem sie hastig eine Notiz auf das Papier geschmiert
hatte, steckte sie alles wieder in die Tasche. Sie betätigte die
Toilettenspülung, wusch ihre Hände und platzierte ihre Tasche so auf ihrer Schulter,
dass ihre Notiz schnell griffbereit war, sollte sie die Gelegenheit haben, es
jemandem zuzustecken, der helfen könnte.
"Ich bringe den
Schlüssel zurück, Schatz", sagte sie, als sie wieder vorne am Eingang
waren. "Ich wollte mir sowieso etwas Kaltes zu trinken holen."
Er starrte sie einige
Momente lang an, und sagte dann, "Warte im Wagen auf mich, ich bringe dir
etwas mit."
Scully schluckte ihre
Enttäuschung herunter und drückte seine Hand. Dann ging sie ohne sich umzusehen
zum Auto. Zach sah zu, wie sie einstieg und sich zurechtsetzte, erst dann ging
er hinein.
Sie war sich sicher, dass
er sie durch die Fenster des Ladens beobachtete, deshalb ließ sie achtsam ihre
Tasche in den Fußraum gleiten und steckte das Stück Papier dabei zwischen ihren
Sitz und die Autotür. Als Zach zurückkam und ihr eine Flasche Wasser und eine
Tüte Brezeln reichte, lächelte sie ihn dankend an, als ob nichts wäre. Er ließ
den Motor an und fuhr langsam los.
"Oh, meine Türe ist
nicht richtig zu", sagte sie auf einmal und öffnete sie ein wenig. Die
Erleichterung, die sie überkam, als sie sah, wie ihr Zettel hinaus auf den
Asphalt wehte, vertuschte sie gekonnt, als sie die Tür vernünftig zuknallte und
sich mit einem strahlenden Lächeln zu ihrem Entführer umwandte. "So, alles
okay", rief sie freudig, und als sie davon brausten, umfasste sie seine
Hand.
"Immer diese
verdammten Stadtleute", fluchte er Tankwart, als er sah, wie die Frau ihre
Autotür öffnete und dabei ein Stück Papier herausfiel,
das direkt neben den Zapfsäulen landete. Immer noch grummelnd ging der kleine
Mann die paar Schritte, um den Müll aufzuheben. Er zog es vor, seine Tankstelle
und die Umgebung sauber zu halten. Die Leute hielten meistens nicht an, wenn
sie annahmen, dass die Toiletten schmutzig sein könnten, und Müll auf dem Boden
machte nicht gerade einen guten Eindruck.
Er hob mit einem Ruck das
Papier auf und knüllte es zusammen, um es in einen Mülleimer zu werfen, als er
bemerkte, dass es ein Abschnitt von einem Scheck war. Diese dumme Kuh von einer
Frau hatte keine Ahnung, dass ihre Kontonummer überall in Iowa herumschwirrte,
dachte er abschätzig. Aus Neugier strich er den Zettel glatt und ging nach
Drinnen, um es sich dort besser anzusehen, als er das
Gekrakel auf der Rückseite bemerkte.
"Hilfe! Bin entführt
worden. Rufen Sie Polizei!"
"Was zum
Henker...?" Er drehte es um und las den Namen—Dana Scully. Baltimore, Maryland. Die Lady war weiß Gott
eine ganze Strecke weit gefahren. War das auch kein Scherz? Der Typ, der bei ihr
war, schien ein arrogantes Arschloch zu sein, aber sie machte nicht den
Anschein, gegen ihren Willen mitzufahren.
Letztendlich beschloss er,
dass es nicht seine Aufgabe war, zwei und zwei zusammenzuzählen und griff zum
Telefon. Heute war ein Faulenzernachmittag.
Vielleicht war's auch ein Faulenzernachmittag auf der Polizeistation.
Bob Jacobson konnte sich genauso gut den Kopf darüber
zerbrechen.
Ende TEIL Sieben
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>
Es war nicht besonders schwer,
aus den Händen eines Verrückten zu entkommen, wenn man nur die richtigen Leute
kontaktierte. Scully brauchte nicht lange, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.
Nur einige Minuten, nachdem sie von der Tankstelle gefahren waren, ärgerte sie
sich über sich selbst, weil ihr eingefallen war, dass sie weder das
Nummernschild, noch eine Beschreibung des Autos aufgeschrieben hatte (wie
konnte sie nur so blöd sein??). Doch zu ihrer großen Erleichterung spielte das
keine Rolle. Keine Stunde war vergangen, nachdem sie es geschafft hatte, ihre
verzweifelte Bitte aus der Autotür zu werfen in der Hoffnung, dass der Tankwart
den Zettel bemerken, lesen und etwas unternehmen würde, und sie bemerkte im Rückspielgel rob-blaues
Blinklicht.
"Scheiße!"
grummelte Zach und Dana legte ihre Hand beruhigend auf seinen Arm.
"Keine Sorge, Schatz,
es ist bestimmt nichts Wichtiges. Vielleicht bist du ein wenig zu schnell
gefahren. Ich bin mir sicher, dass sie dich deswegen anhalten." Sie
schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln und wartete, bis der uniformierte Officer an die Fensterscheibe klopfte, bevor sie ihren
Anschnallgurt löste. In der Sekunde, in der Zach sein Fenster öffnete, um mit
dem Polizisten zu reden, sprang sie aus dem Wagen.
"Officer,
ich brauche Ihre Hilfe", sagte sie bestimmt und wies auf Zach.
"Dies hier ist mein
Ex-Mann und er hat mich entführt."
Zach drehte sich völlig
perplex zu ihr um. "Liebling?" fragte er und nur sie vernahm den
warnenden Unterton darin.
Der Polizist, der zuvor
erfahren hatte, nach Fahrzeugen aus Maryland oder umliegenden Staaten zu
suchen, zog rasch seine Waffe.
"Steigen Sie aus dem
Wagen, Sir."
"Officer,
meine Frau ist verwirrt, es war eine lange...."
"Steigen Sie aus dem
Wagen, sofort!" wiederholte der Officer und ging
mit auf Zach gerichteter Waffe einen Schritt zurück.
Mit einem schweren
Seufzen, das den beiden bedeuten sollte, wie lästig ihm diese ganze
Angelegenheit war, gab Zach nach. Bevor er protestieren konnte, beorderte der
Polizist ihm, sich mit dem Gesicht zum Wagen zu stellen, und schon wurden seine
Hände hinter ihm gefesselt.
"Sind Sie Dana
Scully?" wollte der Officer barsch von ihr
wissen.
"Ja, bin ich",
antwortete sie mit einem leichten Zittern in der Stimme, die von der in
Aussicht stehenden Hilfe her rührte. "Und sein Name ich Zachary Morrow. Er
hat den Wagen gestohlen."
Der Polizist, dessen Namen
Scully immer noch nicht erfahren hatte, drückte Zach zurück in den Wagen und
griff zum Funkgerät. Innerhalb einiger Minuten wurde ihm bestätigt, dass der
Wagen, den sie fuhren, in der Tat als gestohlen gemeldet war, und dass nach
Dana Scully und Zachary Morrow gefahndet wurde.
"Ma'am,
bitte steigen Sie in den Streifenwagen. Ich werde Sie mit aufs Revier nehmen,
um ihre Aussage aufzunehmen."
Widerstrebend stieg Dana
in das Polizeiauto und ignorierte Zach vollkommen, der in Handschellen auf dem
Rücksitz saß. Bis auf Zachs permanente Androhungen, gerichtliche Schritte zu
unternehmen und seinen Forderungen, einen Anwalt zu sprechen, fuhren sie
wortlos zurück in die kleine Stadt McCart. Die
Polizeiwache war ein kleines Gebäude aus hellbraunen Backsteinen an einer Ecke
des Stadtplatzes. Als sie sie betraten, genoss Scully nach dem ständigen
grellen Sonnenlicht draußen in der Prärie die angenehme Kühle des Inneren. Sie
blinzelte, bis sich ihre Augen an das neue Licht gewöhnten und sah zu, wie Zach
in eine Zelle geführt wurde. Als er einen letzten Blick auf sie warf, waren
seine Augen wutentbrannt. Scully lief es kalt den Rücken herunter und sie
wandte sich zu dem Officer, der im Begriff war, ihre
Aussage niederzuschreiben. Jetzt hatte sie keine Zeit für einen
Nervenzusammenbruch. Sie musste jetzt auf ihre jahrelange Erfahrung als
FBI-Agentin zurückgreifen, um ihre Entführung klar und zusammenhängend zu
schildern. Sie durfte nichts auslassen. Nichts.
"Er will sie",
sagte Mulder zuversichtlich, während er mit dem kaputten Styropor der
Kaffeetasse spielte. "Er will sie und er wird sie nicht umbringen, noch
nicht. Nicht bis er sicher sein kann, dass sie wieder vollkommen ihm gehört."
"Und das soll was
heißen, Mulder?" John Alberts, der leitende Agent in dem Fall, wurde
ungeduldig. Spooky Mulder war jahrelang im FBI eine Legende gewesen - Himmel,
das war er immer noch -, aber jetzt saß er hier und ließ nur kryptische Kommentare
von sich, die nicht wirklich weiter halfen.
Als Mulder in den Raum
gekommen war, waren alle Augen auf ihn gerichtet gewesen, unter anderem die des
Assistant Director Skinner, der jetzt genau hinter ihm stand. Alberts war sicher gewesen, Mulders Gesichtsfarbe erst weichen und
dann zu einem aschfahl-grau werden zu sehen. Mulder hatte sich lange umgesehen
und sich dann mit auf den Tisch gesenkten Blick gesetzt. Er konnte die Blicke
aller Agenten auf sich spüren und wäre am liebsten im Boden versunken. Alberts
konnte es ihm nicht verübeln. Wie jeder andere hatte auch er die Story gehört,
wie Mulder ein Mord angehängt worden war und er vier Jahre hinter Gittern
verbracht hatte, bevor endlich seien Unschuld bewiesen werden konnte und seine
Entlassung durchgekommen war. Selbst jetzt gab es im FBI noch einige, die
glaubten, dass er das Verbrechen begangen hatte. Aber so wie Alberts die Sache
sah, war Mulder ein guter Agent gewesen (auch wenn er an ein paar seltsame
Dinge glaubte), der einigen sehr mächtigen Leuten nicht gepasst hatte.
Jetzt, als er Mulder
zurück in die Rolle des Profilers schlüpfen sah, als
ob er die letzten zehn Jahre nichts anderes gemacht hätte, war Alberst erstaunt
über seine Fähigkeiten und er tat ihm mehr als nur ein wenig leid. Es musste sehr schwer für Mulder sein, hier
an einem Platz zu sitzen, von dem er wusste, dass er kein Recht mehr dazu hatte
zu sein. Er wurde von einem Dutzend Augenpaargen
gemustert und er hatte die Gewissheit, womöglich besser in dem Job zu sein als
die meisten, wenn nicht alle, Besitzer dieser starrenden Augenpaare. Er setzte
sich Mulder gegenüber.
"Was soll das
heißen?" wiederholte er.
Mulder sah zu ihm auf, als
ob er dankbar war, dass Alberts ihm ein offenes Ohr schenkte. Die Reaktionen
der anderen Agenten zu diesem Fall waren sehr unterschiedlich gewesen, als
Skinner Mulder hinzugenommen hatte.
Überwiegend waren sie negativ.
"Ich nehme an, dass
er wahrscheinlich nach Reno oder Las Vegas will", sagte Mulder leise.
"Irgendwo, wo sie ohne viel Aufhebens heiraten können."
"Das ist das
Idiotischste, das ich je gehört habe, Mulder!" brach Agent Brown aus und
machte sich nichts aus Alberts' warnendem Blick. "Warum sollte er denken,
dass er sie zwingen kann, ihn zu heiraten? Würde die Lady sich nicht einfach
weigern?"
Mulder versuchte, über den
Sarkasmus in Browns Worten hinwegzusehen und antwortete, "Die *Lady* ist
eine ehemalige FBI-Agentin, und dazu eine verdammt gute. Sie würde sich durch
diese Situation nicht aus der Fassung bringen lassen. Ich denke, dass sie mit
ihm kooperiert, dass sie versucht, sein Vertrauen zu gewinnen, bis sie eine
Gelegenheit findet, zu entkommen."
"Vielleicht ist sie
freiwillig mit ihm gegangen, haben Sie daran mal gedacht?" sagte Brown und
Mulder fühlte Skinners harten Griff auf seiner Schulter, der ihn auf seinem
Platz behielt.
"Wir haben die
Information, dass das nicht der Fall ist, Agent Brown", antwortet Skinner
kühl und ließ seinen Griff auf Mulders Schulter, bis er merkte, dass Mulder
sich wieder lockerte. "Sie hatte vor, Mulder und ihre Mutter am nächsten
Tag zu besuchen. Sie wäre nicht einfach so mit einem Mann gegangen, der sie
missbraucht hatte. Ein Mann, von dem sie sich wegen dieses Missbrauchs hatte
scheiden lassen. Meiner Meinung nach steht es außer Frage, dass wir es hier mit
einem Verbrechen zu tun haben."
Er zog den Stuhl neben
Mulder nach hinten und ließ sich müde darauf nieder. "Also, sollen wir in Nevada suchen
lassen?" fragte er hoffnungsvoll und Mulder nickte.
"Ich glaube, dass er
sie dahin bringt. Ich befürchte nur, dass nach..."
"Nach?"
"Ich habe Angst, dass
er... nachdem.... er sie vielleicht umbringen
wird. Wir müssen sie baldmöglichst
finden, Walter, Scully hat vielleicht nicht mehr viel Zeit."
Skinner hatte bereits den
Mund geöffnet, um Mulder ein wenig Ruhe vorzuschlagen, ein Vorschlag von dem er
wusste, dass er ihn nicht annehmen würde, als sein Mobiltelefon klingelte. Er
fischte es aus seiner Manteltasche und klappte es auf. Zu seinem Erstaunen
hörte er Maggie Scullys Stimme am anderen Ende.
"Walter, es geht ihr
gut!" Er konnte die Maggies Freudentränen förmlich in ihrer Stimme hören.
Die Polizei hat sie in Iowa gefunden, es geht ihr gut."
Als Mulder das Lächeln
sah, dass sich auf Skinners Gesicht ausbreitet, wusste er, dass er gute
Neuigkeiten von Scully bekommen haben musste. Er streckte seine Hand nach dem
Telefon aus, noch bevor Skinner es ihm hinhielt.
"Maggie",
kündigte Skinner an, als Mulder ungeduldig das kleine Telefon an sich nahm.
"Maggie? Was ist
passiert?" forderte er hoffnungsvoll.
"Oh, Fox, sie haben
sie gefunden, und es geht ihr gut!" Maggie begann jetzt zu weinen und
Mulder lockte ihr langsam und behutsam die Einzelheiten aus ihr heraus. Seine
Augen glänzten ebenfalls verdächtig. Als er schließlich auflegte, stand Skinner
auf, sammelte seine Papiere und informierte die Agenten, dass das
Entführungsopfer gefunden worden sei, augenscheinlich unverletzt, und dass er
sich später mit ihnen treffen würde, um den Bericht zu schreiben.
"Wir müssen nach
Iowa, um sie zu holen", sagte Mulder, als sie auf dem Weg zurück in
Skinners Büro waren. "Sie kommt sonst ja nicht nach Hause."
Skinner hielt an und
wirbelte herum zu Mulder.
"*Wir* müssen sie
holen?" fragte er mit erhobener Augenbraue. "Glauben Sie nicht, dass das Aufgabe ihrer Familie ist, Mulder?"
Mulder wurde rot, doch er
riss sich zusammen. "Ich gehe", sagte er beständig und sah Skinner in
die Augen. "Ich muss. Sie können mitkommen, wenn Sie möchten, Walter, aber
ich muss sicher sein...."
Skinner warf geschlagen
den Kopf zurück, schloss die Augen und rieb sich mit einer Hand seinen
verspannten Nacken. Endlich, nach einer Ewigkeit, nickte er. Dann ging er ohne
ein weiteres Wort in sein Büro. Mulder sah seine misstrauischen Gesten und
fragte sich, ob er es nicht zu weit getrieben hatte, doch er folgte ihm nach
einem Moment und setzte sich, während Skinner seinen Tag umarrangierte. Nachdem
er alle ausstehenden Termine für diesen und den nächsten Tag verlegt hatte,
ließ er ein muffeliges, "Lassen Sie uns gehen", verlauten.
Mulder war überrascht.
"Sie gehen mit mir?" fragte er. "Sie müssen mich nicht
babysitten, Walter."
"Doch, einer muss das
ja machen!" explodierte Skinner auf einmal. "Wenn Sie meinen Rat
befolgt hätten, würden sie nicht mal in die Nähe dieser Frau mehr gehen, aber
Sie hören ja nie auf mich, was Mulder? Sie gehen einfach hin und machen was Sie
wollen, genau wie damals, als sie noch hier gearbeitet haben, und genau wie
damals muss ich immer hinter Ihnen herräumen. Selbstverständlich muss ich
mitfahren. Ich kann Sie nicht alleine mit ihr lassen. Wer würde Sie aus ihren
Depressionen holen und Ihnen wieder zu einem Bisschen Normalität helfen, wenn
sie wieder Ihr Herz bricht?"
Er hielt schweratmend in seiner Triade inne, als er sah, dass Mulder
zu Tode erschrocken war. Er saß zusammengekauert in seinem Sessel, die Händen
fest in seinem Schoß zusammengedrückt, blass, und die Lippen zu einer Linie
gepresst. Es war lediglich der kleine Funken Feuer und Entschlossenheit in
seinen Augen, das Skinner erkennen ließ, dass alte Mulder - auf seinem Weg, egal
was komme - immer noch da war.
"Hören Sie, es tut...
es tut mir leid", entschuldigte er sich und rieb sich abermals den Nacken.
"Ich wollte nicht andeuten, dass Sie nicht in der Lage sind, auf sich
aufzupassen. Es ist nur... nun, es ist erst nur zwei Tage her, Mulder."
Mehr sagte er nicht, aber
Mulder wusste, was Skinner ihm sagen wollte. Vor nur zwei Tagen hatte er Scully
offiziell aus seinem Leben gestrichen. Vor nur zwei Tagen hatte er beschlossen,
ihr nicht mehr zu vertrauen. Vor nur zwei Tagen war er drauf und dran gewesen,
sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Ohne Vorwarnung sackte er in sich
zusammen, hielt sich die Hände vors Gesicht.
"Mulder?" Er
sagte es zögerlich, als ob Skinner fürchtete, dass er mit dem, was er gesagt
hatte, Mulder aus seinen mentalen Halterungen gerissen hatte.
Mulder schüttelte leicht
den Kopf, und als er seine Hände senkte, war der Assistant Director stolz zu
sehen, dass das Feuer nicht aus den braunen Augen verschwunden war.
"Ich verstehe,
Walter", gab Mulder bei. "Aber ich muss trotzdem hin. Ich kann es
nicht erklären... vielleicht mache ich mir selbst etwas vor, wenn ich sage,
dass ich fortan nichts mehr mit ihr zu tun haben werde. Alles, was ich weiß
ist, dass Scully mich braucht, und ich muss zu ihr. Aber Sie müssen nicht. Ich
bin sicher, dass Maggie und Bill mich davor bewahren werden, irgendetwas Dummes
anzustellen."
Skinner schnaubte
spöttisch. "Ja, Maggie vielleicht, aber ich würde meine Hand nicht dafür
ins Feuer legen, dass Bill Scully Ihnen nicht noch eine Waffe reichen
würde", gab er zurück und Mulder musste ein wenig grinsen.
Am Ende flogen sie alle
vier nach Iowa, landeten in Des Moines und mieteten
für die zweistündige Fahrt nach McCart ein Auto. Zu
seinem Missmut war Mulder auf dem Flug genau zwischen Bill und Maggie gesetzt
worden, während Walter drei Reihen hinter Ihnen auf seinem Platz saß. Er hatte
Skinner einen bitterbösen Blick zugeworfen, als er den Einzelplatz für sich
beansprucht hatte, aber Skinner hatte ihn lediglich freundlich angelächelt, und
Mulder kam zu dem Schluss, dass Skinner das als gerechte Strafe dafür empfand,
dass er wieder einmal Scully hinterherrannte. Mit
einem inneren Stöhnen hatte er sich auf den Platz gesetzt und versucht, sich
mit sich selbst zu beschäftigen. Doch das war ihm nicht vergönnt.
Bill fing an.
"Also", hatte er
begonnen, während er Mulder zwar nicht richtig ansah, doch keinen Zweifel daran
ließ, dass er ihn ansprach, "Ich nehme an, dass Sie dann bald mein
Schwager sein werden." Mulder konnte nur einen Hauch Hohn in seinen Worten
vernehmen und war beeindruckt. Es hatte Bill vermutlich viel Stärke gekostet,
gemäßigt zu klingen.
"Nein, ich glaube
nicht", hatte er flach geantwortet und ein Stoßgebet zum Himmel geschickt,
Bill möge dieses Thema sein lassen.
Doch stattdessen hatte
Maggie seine Hand genommen und ihn gezwungen, sie anzusehen.
"Nein, Fox",
ermahnte sie ihn und es war offensichtlich, woher Scully ihre stählerne
Persönlichkeit hatte, "Ich will nichts von diesem Blödsinn hören. Ich weiß, dass Dana Ihnen wehgetan hat, und
ich weiß, wie sehr es ihr Leid tut. Sie hat nur getan, weil sie überzeugt war,
dass es das Beste für Sie ist, und obwohl sie vielleicht nicht die klügste
Entscheidung getroffen hat, dürfen Sie nicht vergessen, dass sie auch sehr
verletzt und verängstigt war. Sie wollte, dass Sie in Sicherheit sind, egal um
welchen Preis. Das können Sie ihr nicht anlasten."
"Ich laste ihr gar
nichts an..." begann Mulder, aber es stand schon bald fest, dass er
übertrumpft war. Scullys Familie zählte auf eine Heirat, und es schien
einfacher, sie reden zu lassen, als zu protestieren. Obwohl, das versicherte er
sich, er absolut keine Intention hatte, dem Druck nachzugeben. Nicht dieses
Mal.
"Warum lassen Sie
sich dann also nicht von ihrer Meinung abbringen?" knurrte Bill. "Dana
liebt sie immer noch und Sie haben offensichtlich auch Gefühle für sie, sonst
wären Sie nicht hier in diesem Flugzeug."
Dem schien nichts mehr
hinzuzufügen, also lehnte sich Mulder mit einem resignierten Ausdruck in seinem
Sitz zurück und ließ sie auf ihn einreden, bis er einschlief. Selbst wenn er
Scully eines Tages heiraten sollte, sagte er sich schlaftrunken, würde es
sicherlich nicht die Hochzeit sein, die Maggie vorschwebte. Nie im Leben würde
er sich darauf einlassen. Einmal, entschied er, wollte er
die Kontrolle über wenigstens ein Aspekt seines Lebens behalten wollen.
Er wachte auf, als das
Flugzeug im Begriff war zu landen. Dankbar schaffte er es, ein tiefergehendes Gespräch zu vermeiden, während sie die
Landung anflogen und schließlich anhielten. Im Gedränge der Leute, die
ausstiegen und auf ihre Koffer warteten, schaffte es Mulder, sich ein Stück
weit hinterher hängen zu lassen, um Skinner abzufangen.
"Retten Sie mich,
Walter!" flüsterte er, als sie einige Schritte hinter den Scullys her
gingen. "Sie haben mich schon mit Scully verheiratet und sehen uns einem
Haus mit weißem Gartenzaun."
Skinner grinste.
"Wenn Maggie ein Wörtchen mitzureden hat, werden Sie keine andere Wahl
haben, Mulder", gab er zurück, doch als er sah, wie bestürzt sein Freund
war, tat er ihm leid. "Stehen Sie einfach Ihren Mann", riet er ihm
ruhig und schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln. "Niemand kann Sie zu
etwas zwingen, zu dem Sie nicht bereit sind."
"Und wenn sie es
versuchen?" fragte Mulder und schaffte es so zu klingen, als ob er nur
halbwegs einen Witz machte. Er kam sich ein bisschen vor wie ein kleines Kind,
das seinen großen Bruder bat, es vor dem großen bösen Nachbarshund zu
beschützen.
Skinner schüttelte den
Kopf. "Uh-uh. Sie müssen ganz alleine da
durch", sagte er einfach. "Machen Sie sich keine Sorgen, Mulder. Sie
stehen viel mehr durch als Sie annehmen. Sie haben mich ja nicht mal dafür
sorgen lassen, dass Sie in Virginia bleiben, also wieso sollten Sie sich von
den Scullys überreden lassen," sagte er und nickte in Richtung Maggie und
Bill, "Sie in eine Ehe zu stecken, für die Sie nicht bereit sind?"
Mulder verzog das Gesicht.
"Das ist etwas anderes, diese Frau ist unerbittlich!" zischte er, als
er sich neben Bill Scully auf den Beifahrersitz des Mietwagens setzte.
Die Fahrt nach McCart verlief größtenteils ruhig. Bill fuhr den Wagen und
Mulder gab vor wieder einzunicken. Der Gesprächsstoff zwischen den Scullys und
Skinner war spärlich, denn jeder von ihnen war in seinen eigenen Gedanken
versunken. Als sie einige Stunden später die Polizeistation erreichten, besahen
sich alle vier für einen Moment die Front des Gebäudes, bevor Mulder
schließlich den Mut zusammenkratzte und die Autotür öffnete. Er stieg aus, streckte sich und blickte sich
um. Das dumpfe Gefühl einer Vorahnung in seiner Magengegend ignorierte er.
Mulder blieb zurück und
ließ Maggie und Bill in das Gebäude vorangehen. Als die Tür hinter ihnen ins
Schloss fiel, wandte er sich zu Skinner. Er öffnete seinen Mund und wollte etwas
sagen, doch zu seiner Bestürzung brachte er kein Wort heraus. Skinner warf
einen Blick auf den kreideblassen Mulder, der aussah, als hätte er sich gerade
unheimlich erschrocken und griff nach seinem Arm.
"Sind Sie okay?"
fragte er ruhig und bemerkte, dass Mulder leicht zitterte.
Mulder nickte, schluckte
und fand seine Stimme wieder.
"Ich kann das nicht
glauben", sagte er und sein Ton verriet seine Ungeduld bezüglich sich
selbst. "Ich habe sie erst vor ein paar Tagen gesehen, und nichts war.
Warum also fühle ich mich jetzt wie ein nervöser Teenager?"
"Wahrscheinlich weil
die Tatsache, dass Sie hier auftauchen ein Zeichen von ihrer Bindung zu Scully
ist, die Sie immer versucht haben zu verleugnen", bemerkte Skinner.
"Sie können nicht den ganzen Weg nach Iowa fliegen, um sie abzuholen und
so tun, als sei es Ihnen egal, Mulder. Sie können nicht beides haben."
Mulder schloss die Augen,
lehnte seinen Kopf zurück und atmete heftig aus.
Er massierte seine Stirn,
als ob er Kopfschmerzen loswerden wolle.
"Das weiß ich",
lenkte er ein. "Aber die Tatsache, dass ich noch Gefühle für sie habe,
heißt doch noch lange nicht, dass ich auch danach handele, oder?! Dies hier ist
ein Gefallen, den ich jemandem tue, der mir eine sehr lange Zeit sehr viel
bedeutet hat, nichts weiter. Die Frau ist Gift für mich, Walter."
Bevor Skinner antworten
konnte, flog die Tür der Polizeiwache auf und Bill Scully tauchte auf, seine
weinende Mutter in seinen Armen.
"Maggie, was ist
los?" wollte er wissen und versuchte, nicht so zu brüllen.
"Was ist
passiert?"
"Oh, Fox!"
weinte sie, und löste sich von Bill. Ärgerlich wischte sie die Tränen aus ihrem
Gesicht. "Dana ist im Krankenhaus. Zachary, er hat...." Sie hielt
inne und schüttelte überwältigt den Kopf.
"Das Arschloch hat
sie vergewaltigt", stieß Bill mit rotem Gesicht und seine Wut im Zaum
haltend hervor.
Mulder verlor alle Farbe,
die er so mühevoll wieder gewonnen hatte und seine Augen brannten. Schwindel
überfiel ihn und als er blind um sich griff, war er froh, Skinners stützenden
Griff um seinen Arm zu haben.
"Ist sie schlimm
verletzt, Maggie?" hörte er Skinner fragen und spürte eine Welle von
Erleichterung, als Maggie den Kopf schüttelte.
"Sie haben sie zur
Beobachtung ins Krankenhaus genommen, offensichtlich ist sie nicht verletzt,
zumindest nicht körperlich, nur dass er...."
"Wo ist das
Krankenhaus?" Mulder hörte eine Stimme und erkannte matt, dass es seine
eigene war.
Bill riss seinen Kopf zur
Seite. "County Hospital. Zwei Blocks
weiter."
"Ich fahre."
"Mulder...."
"Ich fahre!"
bestand er vehement und ließ die scharfe Wut sich in seiner Stimme
manifestieren. "Sie müssen sich jetzt um Maggie kümmern."
Widerwillig zog Bill die
Schlüssel aus seiner Tasche und gab sie Mulder, der Skinners Griff abschüttelte
und auf den Fahrersitz kletterte. Er hatte keine große Mühe, in dem leichten
Verkehr zu navigieren. Irgendwie fühlte er sich, als ob er gar nicht in dieser
Situation wäre. Keine zehn Minuten später betrat er das Krankenhaus, kurz
darauf Scullys Zimmer. Eine Schwester nahm sie vor dem Zimmer in Empfang, und
während Bill, Maggie und Skinner sich mit ihr unterhielten, schlüpfte Mulder in
den Raum, seine Augen nur auf die Frau in dem Bett gerichtet. Scully drehte
ihren Kopf zur Tür, als er hereinkam, und für einen Moment meinte er eine Träne
in ihrem Augenwinkel zu sehen, die sie jedoch rasch wegblinzelte.
"Danke, dass du
gekommen bist", sagte sie bemessen, aber ihre Hand zitterte, als Mulder
sie nahm.
"Bist du... bist du
in Ordnung?" fragte er und zwang die Frage über seine Lippen.
Sie nickte grimmig.
"Ich nehme an, sie haben es dir gesagt?" fragte sie und sah ihn unter
feuchten Augenwimpern an.
Mulder räusperte sich
schmerzhaft, um den Kloß, der sich in seinem Hals breit machen wollte, nicht
aufkommen zu lassen. "Sie haben deiner Mutter und deinem Bruder gesagt,
dass Zach.... dass er...."
Sie drückte seine Hand.
"Er hat mir nicht weh getan, Mulder", sagte sie mit einem kleinen
Lächeln. "Und trotzdem, es stimmt, was er getan hat, 'Vergewaltigung' ist
eine zu harte Beschreibung. Er hat mich nicht wirklich gezwungen, er hat nur.... er hat mich dazu genötigt, Sex mit ihm zu haben. Technisch gesehen war es eine Vergewaltigung,
aber es war sicherlich nicht mit dem zu vergleichen, womit wir damals zu tun
gehabt haben."
"Scully, es war gegen
deinen Willen!" zischte er durch zusammengekniffenen
Zähnen. "Versuch nicht, die Wichtigkeit dessen zu schmälern!"
"Das tue ich
nicht", stritt sie ab. "Ich sage nur, dass er mir nicht wehgetan
hat."
Ihre Unterhaltung wurde unterbrochen,
als sich die Tür öffnete und ihre Familie und Skinner auftauchten. Scully
lächelte ihnen schwach zur Begrüßung zu und hielt ihrer Mutter und ihrem Bruder
ihre Hand hin.
"Ich bin okay, ich
bin okay", wiederholte sie und konnte sie schließlich überzeugen, dass
Zacharys Eskapaden, trotzdem sie unwillkommen gewesen waren, keine Narben bei
ihr hinterlassen würden.
Doch Mulder wusste es
besser. Als Veteran von seelischen Narben konnte er sich sehr gut vorstellen,
was das Ganze ihr antat. Er beschloss, Scully zu Jess
zu schicken. Sie würde sich weigern und mutig darauf bestehen, dass sie selbst
damit klar kommen würde, und er nahm sich vor, ihre Ausflüchte keinesfalls zu
tolerieren. Er müsste ihr wahrscheinlich alles Mögliche versprechen, aber er
würde sie in Dr. Coslows Büro kriegen, und zwar bald.
Scully wurde am nächsten
Morgen aus dem Krankenhaus entlassen. Mulder hatte bereits Rückflugtickets
gebucht. Dieses Mal sorgte er dafür, dass er und Scully Plätze nebeneinander
weiter hinten hatten, und Bill, Maggie und Walter weiter vorne. Er wollte mit
Scully einige Sachen besprechen, und dafür braucht er Privatsphäre. Außerdem,
dachte er mit einem schadenfrohen Grinsen, als er Skinner auf den mittleren
Platz setzte, war es eine Gelegenheit sich für den unbequemen Hinflug zu
rächen. Und obwohl das wohl Folgen haben würde, würde es ihm jetzt mal Zeit mit
Scully allein geben, die er schon so lange brauchte. Nicht zuletzt würde es den
dreien Gelegenheit geben, etwas gegen ihn auszuhecken.
"Glaubst du, dass die
drei da vorne klar kommen?" fragte Scully unsicher, als sie sich in ihrem
Fensterplatz anschnallte.
"Das geht in
Ordnung", grinste er und streckte freudig seine langen Beine im Gang aus.
"Die stecken bestimmt ihre Köpfe zusammen und planen unsere komplette
Zukunft."
Sie sah ihn für einen
langen Moment an und drehte dann ihr Gesicht zum Fenster. Mulder könnte sich
ohrfeigen. Er hatte sie nicht erschrecken wollen.
"Scully...."
"Haben wir eine
gemeinsame Zukunft?" fragte sie offen und drehte sich mit derselben
Entschlossenheit zu ihm um, an die er sich so gut aus all den Jahren ihrer
Partnerschaft erinnern konnte.
Er schluckte. Jetzt war
der Moment der Wahrheit gekommen. Wie konnte er ihr nur seine
durcheinandergeworfenen Gefühle erklären, so dass sie es verstand?
"Scully", begann
er und suchte seine Worte bedacht aus, "ich möchte dir einen Vorschlag
machen."
Misstrauisch sah sie ihn
an. "Was für einen Vorschlag?"
"Einen, wo du deine
eigenen Bestimmungen aufstellen kannst", sagte er locker und als sie
seinem Blick standhielt, senkte er für eine Sekunde seine Augen. "Ich
möchte etwas von dir", berichtete er. "Und ich möchte, dass du mir
sagst, was ich tun muss, um es zu bekommen."
Bei diesen Worten drehte
sich Scully total überrascht vollends in ihrem Sitz um.
"Mulder, du warst in
deinem ganzen Leben noch nie so direkt", sagte sie. "Es muss wohl
etwas sehr Ernstes sein."
"Es ist mir sehr
ernst." Er biss sich auf die Lippe, immer noch unsicher, wie er das Thema
anschneiden sollte. Dann, aus einem Impuls heraus, nahm er ihre Hand. Sie
starrte auf ihre umeinander gewundenen Finger und wartete, bis er endete.
"Ich möchte, dass du
mit Jess sprichst", sprudelte es aus ihm heraus.
"Ich weiß, dass du sagst, dass dir das alles nichts ausmacht, aber das tut
es, Scully, und ich lasse es nicht zu, dass du alles in dich hineinfrisst und
dir mehr schadest als nutzt, und ich weiß ja, dass du es alleine schaffen
könntest, aber...."
"Mulder, du
plapperst."
Er schwieg und lief rot
an. "Sorry", murmelte er mit gesenktem Kopf. "Das mache ich
manchmal, wenn ich nervös bin."
Scully drückte seine Hand.
"Ja, ich erinnere mich." Sie setzte sich auf ihrem Platz zurück, als
das Flugzeug langsam zur Startbahn fuhr. "Also, lass mich das
klarstellen", sagte sie, als die Räder den Boden verlassen hatten.
"Ich zeige mich einverstanden, deine Therapeutin zu besuchen und die
Belohnung dafür suche ich mir selbst aus? Du wirst tun, um was immer ich dich
bitte?"
"A-Aber nicht
übertreiben", stotterte er und fühlte sich ein wenig unwohl, weil er ihr
nun ausgeliefert war. Scully war sehr kreativ, sie nahm nie die auf der Hand
liegende Lösung. Weiß Gott, was sie sich ausdenken würde.
Sie saßen wortlos, während
das Flugzeug an Höhe gewann, und als der Pilot die Maschine schließlich auf
Kurs gebracht hatte und sie ihre Anschnallgurte gelöst hatten, wandte sie sich
wieder zu ihm.
"In Ordnung, ich
akzeptiere den Vorschlag."
Mulder machte sich eine
Flasche Wasser auf, die die Stewardesse ihm gegeben hatte und trank nervös
einen Schluck. "Und?" fragte er, als er den Verschluss wieder zu
drehte. "Was muss ich dafür machen?"
"Lass Emmie und mich
wieder zu dir ziehen", sagte sie ohne Umschweife.
Er starrte sie für eine
Minute völlig überrascht über ihre Forderung an, und senkte dann mit einem
kleinen Seufzen die Augen. Im Grunde genommen war er nicht wirklich überrascht.
Irgendwie hatte er geahnt, dass es etwas in dieser Art sein würde.
"Mulder." Sie
berührte leicht seinen Arm und drehte seinen Kopf zu ihr. "Ich bitte dich nicht
um irgend eine Art von Verbindlichkeit zu mir, und ich werde nicht versuchen,
dich zu.... zu irgendetwas zu drängen, zu dem du nicht
bereit bist. Ich bitte dich nur um die zweite Chance, von der wir mal
gesprochen haben."
Er glotzte sie an, jetzt
vollkommen überrumpelt. Das war viel mehr, als er erwartet hatte. Er hatte
befürchtet, dass sie mit knirschenden Zähnen vielleicht mal eine Sitzung dulden
würde und sich dann von der Therapie lossagen würde, weil sie ihren Teil der
Abmachung eingehalten hatte. Er hatte die Hoffnung gehabt, dass sie während des
Gespräches den Bedarf der Therapie erkennen und weiter zu ihr gehen würde.
Er nahm mit seinen
Fingerspitzen ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu ihm.
"Ist das ein
Versprechen?" fragte er leise.
"Versprochen",
bestätigte sie mit vollkommener Ehrlichkeit in ihren Augen.
"Dann denke ich, dass
wir unsere Vereinbarung besiegeln sollten", sagte er und bevor sie
ausweichen konnte, beugte er sich vor und küsste sie. Seine Finger glitten von
ihrem Kinn zu ihrem Nacken, um ihren Kopf zu halten und der anfangs kleine Kuss
vertiefte und vertiefte sich. Ihre Hand wanderte an ihm hinauf und strich über
sein Haar, und plötzlich küsste sie ihn zurück. Da erkannte Mulder, dass egal
was er sonst fühlte, egal wie wirr seine Gedanken gerade in seinem Kopf waren,
das hier richtig war.
Das bekannte Geräusch
einer sich räuspernden Person neben ihnen ließ Mulder schuldbewusst
zurückfahren. Er blickte auf und sah in das Gesicht von Walter Skinner. Dessen
Miene war todernst, bevor er wortlos weiter den Gang hinunter zur Toilette
ging.
"Scheiße",
murmelte Mulder.
"Jetzt hasst er
mich", sagte Scully niedergeschlagen. Mulder nahm wieder ihre Hand und
drückte sie tröstend.
"Er hasst dich nicht,
Scully. Er weiß nur nicht, ob er dir vertrauen kann." Er lachte ein wenig.
"Allerdings habe ich eine ausgedehnte Predigt vor mir, sobald ich nach
Hause komme."
Sie war bei seinen Worten
ganz still geworden und saß sekundenlang kommentarlos da. "Kannst du mir
je wieder vertrauen, Mulder?" fragte sie letztendlich, so leise, dass er
sie fast nicht verstanden hätte.
Er drehte sich zu ihr und
küsste sie abermals, leicht und rasch dieses Mal, dann lehnte er sich zurück an
seine Kopfstütze.
"Ich möchte es,
Scully. Ich möchte es wirklich."
Einige Wochen waren
seitdem vergangen und Mulder hielt es fast nicht mehr aus. Er ging nun viel
öfter joggen als jemals zuvor in seinem Leben, hauptsächlich um bei klarem
Verstand zu bleiben. Er und Scully hatten immer Abstand voneinander gehalten,
seit sie mit Emmie eingezogen war, und das Durchhalten, Scully vorzumachen als
hätte sich nichts geändert, brachte ihn langsam aber sicher um. Sie hatten sich
seit ihrem Rückflug nicht mehr geküsst, obwohl Mulder spürte, dass Scully
bereit war für einen Kuss oder mehr, was immer er anstreben wollte. Zu wissen,
dass sie auch eine intime Beziehung wollte, machte es noch viel schwerer, bei
ihrer gemeinsamen Entscheidung zu bleiben. Er weigerte sich strikt, ihre
Beziehung intim werden zu lassen—denn Mulder wusste, dass wenn irgendetwas
passierte, das sie kaputt machte, es ganz klar sein Ende sein würde. Im
Ergebnis waren die Dinge, obwohl sie nach außen hin den Eindruck einer
glücklichen Familie machten, ein wenig gespannt.
Scully überwand sich immer
wieder, Mulder den Abstand zu geben, den er brauchte in der Hoffnung, dass ihre
ständige Anwesenheit eines Tages zu viel für ihn sein würde, und er dem Druck
nachgeben würde. Doch bis jetzt hatte Mulder ihre Erwartungen an Willenskraft
übertroffen. Zuerst hatte sie eifersüchtig daran gedacht, dass eine andere Frau
vielleicht seine Aufmerksamkeit bekommen hatte, doch vorsichtige Beobachtung
seines Alltags widerrief diese Annahme. Morgens verließ er das Haus, um zu
seinen Seminaren zu gehen, verbrachte den Nachmittag in der Universitätsbibliothek
(wie Zeugen bestätigen konnten), und kam zum gemeinsamen 'Familienabendessen'
um etwa sechs zurück. Die drei verbrachten die Abende mal vor dem Fernseher,
mal spielten sie Spiele, und pünktlich nach den Zehn-Uhr-Nachrichten zog sich
Mulder in sein Schlafzimmer zurück. Wenn er in diesem Tagesablauf eine Affäre
mit einer anderen Frau quetschen würde, schloss sie, würde er dafür Seminare
schwänzen müssen, und sie musste wegen der Absurdität dieses Gedanken grinsen.
Mulder machte sein Studium durch und durch Freude, und er widmete sich dem
Lernen mit genau derselben Entschlossenheit und Hingabe, mit der er wie üblich
alle Projekte anging, die ihn interessierten.
Er machte sich außerdem
noch wundervoll als Stiefvater, dachte sie, als sie zusah, wie er Emmie beibrachte,
Baseball zu spielen. Emmies Schule hatte in derselben Woche begonnen wie
Mulders Uni, und sie war an einem Nachmittag freudestrahlend mit einem Zettel
in der Hand nach Hause gekommen. Es war eine Erlaubnis, in einer Teeball-League für junge SpielerInnen
im Herbst teilzunehmen. Sie hatte auch genau gewusst, an wen sie sich zu diesem
Thema wenden konnte, erinnerte sich Scully lachend. Während sie besorgt war,
Emmie könnte sich bei dem Sport verletzen, zumal sie soweit es ihr bekannt war
noch nie einen Baseballschläger in der Hand gehabt hatte, hatte Mulder sich
augenblicklich seinen Baseballhandschuh, Schläger und Ball geschnappt und es
fertiggebracht, einen Schlagbaum nachzustellen. Als sie sah, wie Emmie Mulder
mit großer Bewunderung beobachtete, während er ihr die Kunst des
Schlägerschwingens erklärte, wurde Scullys Hals ganz trocken. Sie hatte auch
mal dort gestanden, wo Emmie jetzt stand und es war eine der schönsten Momente
ihres Lebens gewesen. Was wäre vor all den Jahren passiert, fragte sie sich,
wenn sie ihrem Impuls gefolgt hätte, sich umgedreht und Mulder in den Arm
genommen hätte? Hätte das zu dem Kuss geführt, den sie sich so lange herbei
gesehnt hatte, oder wäre er wie ein schüchternes Tier zurück gestolpert, weil
er Angst hatte, all die Jahre des Vorspiels aufzugeben, in denen sie sich so
nahe geworden waren? Für einen Moment konnte sie sogar noch seine Arme um sich
spüren.
Scully schüttelte die
Erinnerung ab, öffnete die Hintertür und schritt entschlossen in den Hof.
"Eine Hüftdrehung bevor
wir schlagen!" rief sie und ihr Herz blieb stehen, als seine Augen ihre
trafen, glänzend mit einer Intensität, die ihr verriet, dass er ebenfalls genau
an diesen Abend dachte.
Emmie quietschte.
"Das hat Fox auch gesagt!"
"Deine Mutter ist
eine Expertin", grinste Mulder. "Ich habe ihr alles beigebracht, was
sie weiß."
"Möchtest du
mitspielen, Mami?" fragte Emmie und hielt ihr den Schläger hin, und bevor
Scully Gelegenheit zum Nachdenken hatte, hielt sie ihn in den Händen. Sie
fühlte den bekannten Griff. Schmerzhaft bekannt, obwohl sie ihn nur einmal vor
sechs Jahren gehalten hatte.
Sie fuhr mit den Fingern
über die glatte Oberfläche und schluckte.
"Ich... ich brauche
womöglich eine Auffrischungsrunde", sagte sie und traute sich nicht,
Mulder anzusehen.
Augenblicklich begriff er
den Hinweis, zog sie zu sich, stellte sie vor den Schlagbaum und schlang seine
Arme von hinten um sie. Sein warmer Atem blies gegen ihr Ohr.
"Weißt du noch?"
flüsterte er und sie konnte nur nicken, sie traute ihrer Stimme nicht.
"Wie lautet die
Regel?"
"Hüf-Hüftdrehung",
antwortete sie langsam und nahm seine Nähe in sich auf, seinen Geruch und das
beruhigende Gefühl seines Körpers.
Er legte eine Hand auf
ihre Hüfte, wie vor sechs Jahren, und zog sie an sich heran. Scully lief es heiß
den Rücken herunter, als sie spürte, welche Auswirkung die Situation auf ihn
hatte. Sie fühlte, wie er sich an sie drückte und wünschte sich sehnlichst mit ihm allein zu sein, und dass die Dinge
anders zwischen ihnen stünden.
"Mami!" schrie
Emmie freudig. "Ich glaube das war ein Homerun!"
Das kleine Mädchen
sammelte den Ball wieder ein, der etwa 15 Meter weiter neben einem Baum
gelandet war. Scully räusperte sich und drehte ihren Kopf, um Mulder anzusehen.
"Ich habe dieses
Geburtstagsgeschenk nie vergessen", gestand sie ihm und sah, wie er weich
wurde. "Es ist eine meiner schönsten Erinnerungen."
"Meine auch",
flüsterte er, und als Emmie den Ball zurück auf den Schlagarm legte, meinte
Scully einen zarten Kuss hinter ihrem Ohr zu spüren.
"Gleich nochmal", sagte er und Emmie rannte glücklich dem Ball
hinterher, als Mulder und Scully ihn immer und immer wieder fort schlugen.
Jedes Mal, wenn Emmie den Ball zurück legte, fühlte Scully die leichte
Berührung seiner Lippen auf ihrem Nacken. Am Ende hielt sie der Tortur nicht
mehr stand.
"So, das reicht für
mich", kündigte sie brüsk an und löste sich von Mulder. Sie reichte Emmie den Schläger.
"Außerdem bist du diejenige, die üben sollte, Nymph.
Ich erwarte ein paar Homeruns vor dem
Abendessen."
"Okay, Mami",
versprach Emmie und stellte sich in die Schlagpositon.
Scully fühlte Mulders
Blick, der ihr zurück ins Haus folgte, aber sie wollte nicht zurück schauen.
Als sie in der Küche ankam, machte sie sich wahllos ans Abendessen, schenkte
dem, was sie tat, kaum Beachtung.
Gedankenverloren landeten ihre Finger auf ihrem Hals und streichelten
die Haut, die seine Lippen zuvor berührt hatten. Sie konnte immer noch spüren,
wie er sich gegen sie drückte, und der Gedanke, dass er sie immer noch wollte,
war äußerst aufregend. Sie hatte befürchtet, dass er sich nicht mehr für sie
als Frau interessieren würde, doch Mulders Körper hatte ihn verraten.
Vielleicht war es jetzt an der Zeit, noch einmal auf ihn zuzugehen.
Sie saßen nach dem
Abendessen zusammen im Wohnzimmer, Emmie in der Mitte, und sahen sich einen
Disneyfilm an, den die Kleine ausgesucht hatte. Mulder streckte seinen rechten
Arm hinter Emmie über der Couchlehne aus, und es schien wie das Natürlichste
der Welt, dass Scully ihren linken Arm auf die Lehne legte und zaghaft über
seine Finger strich. Dann schien es Mulder das Natürlichste auf der Welt, ihre
Hand in seine zu nehmen. So saßen sie den ganzen Film über da und hielten
verstohlen Händchen. Mulder brachte Emmie ins Bett, achtete darauf, dass sie
sich die Zähne putzte und las ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Als sie
schließlich einschlummerte, war es das Natürlichste von der Welt, zurück zur
Couch zu gehen und für Scully das Natürlichste von der Welt, sich an ihn zu
schmiegen und sich in seine starken, besänftigenden Arme zu legen.
Sie legte ihren Kopf auf
seine Schulter und seufzte zufrieden, während Mulders linke Hand durch ihre
Haare streichelte. Als sie merkte, wie er sie auf ihr Haar küsste, wich sie ein
wenig zurück, um ihn ansehen zu können.
"Wohin führt uns
das?" fragte sie unverwandt.
"Ich... ich weiß es
nicht genau", antwortete er tastend. "Es scheint aber irgendwie...
richtig zu sein."
"Es ist
richtig", sagte sie und kuschelte sich wieder an seine Brust. Sie blieben
zusammen sitzen und sahen fern, bis die Nachrichten zu Ende waren. Dann schaltete Mulder den Fernseher aus und
wollte gerade aufstehen, als er merkte, wie Scully ihre Hand an seinem Hemd
nach unten zu seiner Hüfte gleiten ließ.
Er erstarrte und wartete,
was sie tun würde. Als er keine Anzeichen machte, zu protestieren, strichen
ihre Finger über die Innenseite seines Schenkels und behutsam über seine
wachsende Erregung, bevor sie sich wieder oben auf seine Brust legten.
"Scully...."
begann er, doch ehe er weitersprechen konnte, umfassten ihre Lippen seinen Mund
und er wurde gefangen in einem leidenschaftlichen Kuss. Er fühlte, wie er schwach wurde, und als er
ihrer Attacke nachgab, rutschte er stetig herunter, so dass sie schon bald auf
ihm lag und ihre Zunge seinen Mund gnadenlos und brutal für sich beanspruchte.
Er ließ sich gehen und stöhnte leise, als sie sich an ihn drückte, und er
strich mit den Händen über ihren Rücken und ihre festen Pobacken.
Eine Stimme in Mulders
Hinterkopf wollte protestieren, doch er wusste genau, dass es sinnlos wäre—er
konnte sich nicht gegen sie *und* sich selbst wehren. Er fasste unter ihr
T-Shirt und fühlte ihre warme Haut. Sie hörte auf ihn zu küssen, bewegte ihre Lippen nach unten und er zog sie noch näher an sich.
'Stopp!' schrie es in
seinem Kopf und er versuchte es auszusprechen.
"Sc....
hör..." Doch jetzt fand ihre Zunge sein Ohr, eine seiner sensibelsten
Stellen, und schon bald wand er sich unter ihr und flehte nach mehr. Er wusste,
dass das keine gute Idee war, er wusste, dass er es später bereuen würde, und
er wusste auch, dass es absolut nichts gab, das sie aufhalten konnte. Er hatte
nichts mehr, womit er dagegen ankämpfen konnte.
Als ob die Götter sich
endlich dazu entschlossen hätten, Mulder ein Mal in seinem Leben ein Lächeln zu
schenken, durchbrach eine Stimme aus der Dunkelheit ihre Leidenschaft.
"Mami?"
Scully wich augenblicklich
zurück, schwer atmend, und stand auf, bevor Emmie ganz ins Zimmer kommen und mitansehen konnte, wie sie Mulder bearbeitete.
"Ja, Nymph?" fragte sie mit zittriger Stimme, während ihr
Blick hungrig über den Mann glitt, der immer noch schwach und zitternd auf der
Couch lag.
"Kann ich ein Glas
Wasser haben?" fragte Emmie, die in ihrem blauen Nachthemd durch die Tür
kam, ihr Kuscheltier fest im Arm haltend.
"Natürlich,
Süße", antwortet Scully prompt und schob Emmie in die Küche ohne einen
Blick zurück auf Mulder zu riskieren. Innerlich schrie sie über die
Unterbrechung, aber es wäre nicht gut, wenn sie sich laut darüber ärgern würde.
Emmie war ja nur ein kleines Kind.
Als Emmie zurück in ihrem
Bett war, Scully und ihren liebsten Kuscheltieren Gute-Nacht-Küsse gegeben
hatte, hatte sich Mulder einigermaßen wieder gefangen. Scully kam zurück ins
Wohnzimmer in der Hoffnung, dass sie da weitermachen könnten, wo sie aufgehört
hatten. Doch stattdessen fand sie ihn vor der Feuerstelle stehend vor, Rücken
zur Tür.
"Mulder?" fragte
sie unsicher, und er drehte sich mit einem kleinen Lächeln zu ihr um.
"Scully, nicht."
"Nicht?" fragte
sie verwundert.
Er schüttelte wortlos den
Kopf.
"Aber du warst
genauso dabei wie ich...."
"Nein." Er sagte
es ruhig, aber bestimmt. Scully blieb stehen und wartete, bis er es ihr
erklärte.
Er hatte gehofft, dass sie
seinen Entschluss einfach annehmen würde, doch als sie es nicht tat, drehte er
sich zu ihr um und legte seine Hände zur Betonung auf ihre Schultern.
"Ich kann das
nicht", sagte er ernsthaft. "Ich möchte, aber ich... ich kann es
einfach nicht. Wenn ich es tue, fällt alles wieder in sich zusammen..."
"Das wird es nicht,
Mulder", unterbrach sie ihn. "Zach ist im Gefängnis und da wird er
auch bleiben. Er kann uns nicht mehr wehtun. Niemand kann uns jetzt etwas
tun."
"Du kannst mir
wehtun."
Sie schluckte bei seinen
Worten, die sich in ihr Herz schnitten. Sie hatte nicht erwartet, dass er so
grausam sein würde.
"Es tut mir leid,
Scully", fuhr er sanft fort, seine Augen blickten entschlossen. "Ich
möchte es so gerne, aber ich lasse nicht zu, dass du mich wieder so hinunter
ziehst. Wenn du eine solche Beziehung zu mir möchtest, musst du dir sicher sein
und es muss verbindlich sein."
"Verbindlich?"
echote sie ungläubig.
Er nickte.
"Von welcher Art
Verbindlichkeit redest du, Mulder?"
"Eine, die ein Leben
lang hält."
Scullys Herz begann zu
schwingen, so unerwartet war seine Antwort. Sie schüttelte sich innerlich, um
ihre Gedanken zu ordnen und blinzelte ein oder zwei Mal.
"Mulder, bittest du
mich, dich zu heiraten?" fragte sie letztendlich.
Er lachte kurz auf.
"Nein, Scully, ich *bitte* dich nicht, mich zu heiraten. Ich *sage* dir,
dass wenn du eine intime Beziehung mit mir haben möchtest, du mich heiraten
musst."
Sie riss sich los von
seinen Händen und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
"Nach allem, was wir
durchgemacht haben, verlangst du tatsächlich diese Verpflichtung von mir?"
wiederholte sie. "Glaubst du nicht, dass die bloße Tatsache, dass ich hier
bin, vor dem Hintergrund der ganzen Vorgeschichte schon Verbindlichkeit genug
ist?"
Er schüttelte langsam den
Kopf. "Nicht eine, auf die ich mich verlassen möchte, Scully",
antwortete er traurig. "Wir waren schon einmal an diesem Punkt, weißt du
noch?" Sie lief rot an. "Da, wo wir vor ein paar Minuten auf der
Couch waren?" sprach er weiter und zeigte auf das Möbelstück, "Wir
waren auch schon mal dort gewesen, weißt du noch? Es hat mich fast umgebracht,
dich zu verlieren. Das werde ich nicht noch einmal riskieren. Nicht, wenn mein
Leben auf dem Spiel steht. Es ist vielleicht nicht viel wert, aber ich habe es
in den letzten Wochen schätzen gelernt.
Ich habe endlich den Punkt erreicht, wo ich weiß, dass ich etwas
verlieren könnte, und ich werde mein Leben nicht noch einmal riskieren,
Scully."
Er hörte auf zu reden,
verschnaufte und wartete auf das, was sie sagen würde.
"Du willst also damit
sagen, dass du, ein Mann Anfang vierzig, der hundertprozentig intime Beziehungen
zu Frauen in seiner Vergangenheit hatte, nicht mit mir schlafen willst, bis wir
verheiratet sind?" Ungläubigkeit tropfte förmlich aus ihren Worten, aber
Mulder ließ es links liegen. Er hielt stand. Doch sie drehte sich auf dem
Absatz um und machte sich auf Richtung Tür. Kurz davor hielt sie inne.
"Schön", sagte
sie kurz angebunden ohne sich umzudrehen. "Wenn es das ist, was du willst,
Mulder, dann soll es auch so sein." Dann verschwand sie in der Tür, rannte
den Flur hinunter zu ihrem Zimmer und Mulder ließ sich mit weichen Knien auf
einen Sessel fallen.
"Großer Gott, ich
muss verrückt sein", murmelte er zu sich selbst, als er sich zitternd den
Schweiß von der Stirn wischte. Er hatte sich äußerlich ruhig gegeben, so hoffte
er jedenfalls, doch innerlich war er während der ganzen Unterhaltung ein
Nervenbündel gewesen. "Walter, ich habe endlich deinen Rat befolgt",
flüsterte er mit einem unsicheren Lachen.
Er hatte am Tag zuvor mit
Skinner zu Mittag gegessen, und wie immer war Walter mehr als direkt mit seinen
Fragen gewesen.
"Und, schlafen Sie
schon miteinander?" wollte er von seinem Freund wissen, und Mulder hatte
sich zunächst schuldbewusst gegeben, bevor er die Frage verneinte.
"Aber Sie würden
gerne", hatte Skinner observiert, als er Mulders Reaktion mit wachem Auge
beobachtet hatte.
Mulder hatte seinen
Schrimps Salat von sich geschoben und war rot geworden, doch er wollte nicht
antworten.
"Mulder, hören Sie
ein einziges Mal in ihrem Leben auf mich", hatte Skinner gegrinst und
Mulders Handgelenk festgehalten, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
"Widerstehen Sie der Versuchung", hatte er gesagt, als Mulder seien
Blick zu ihm gehoben hatte. "Das könnte im Endeffekt schlimme Folgen
haben. Ich bin sicher, das wissen Sie."
Mulder senkte seinen Blick
wieder und nickte. Er grinste nervös seinen Teller an und gestand, "Ich
gehe viel, viel öfter laufen in letzter Zeit."
"Sie nehmen auch mehr
kalte Duschen, wette ich", kommentierte Skinner, und Mulder stimmte mit einem
verlegenen Lachen zu.
"Ich bemühe mich,
Walter", sprach er ernsthafter weiter. "Es ist schwer, aber ich tue
mein Bestes. Ich versuche, das meiste meiner Zeit mit Lernen zu verbringen,
oder mit Emmie zwischen uns."
"Wie geht es dem Kind
denn?" fragte Skinner und wechselte somit gnädig das Thema.
"Es geht ihr ganz
gut, den Umständen entsprechend." Mulder nahm dankbar den Ball entgegen,
den Skinner ihm zugeworfen hatte. "Manchmal fragt sie nach ihrem Vater,
aber die meiste Zeit scheint es ihr gut zu gehen."
Skinner nickte. "Was
haben Sie ihr über Morrow erzählt?"
Mulder zuckte die
Schultern. "Die Wahrheit—für eine Fünfjährige angemessen. Ihr Vater hat
etwas getan, das man nicht tun darf und jetzt muss er deswegen für eine Weile
weggehen. So ähnlich wie Hausarrest für eine sehr lange Zeit, und ihre Mami und
ich würden uns solange gut um sie kümmern, und so weiter."
"Hm, mal sehen...
Kidnapping, Vergewaltigung, versuchter Mord... und das nur für den Anfang. Ich
würde sagen, Morrow bekommt 'Hausarrest für einige Jahre'."
"Das sollte man
meinen, Walter", hatte Mulder mit Unbehagen geantwortet.
"Ich werde das Gefühl
nicht los...."
"Welches
Gefühl?"
Mulder hatte rasch den
Kopf geschüttelt. "Ich weiß nicht recht. Es ist nur ein Gefühl. Vermutlich
nichts."
Nach einem langen Moment
hatte sich Skinner wieder seinem Essen zugewandt. "Nach allem, was Sie durchgemacht haben,
ist es wohl natürlich, wenn Sie einige Befürchtungen hegen, nehme ich an",
überlegte er. Damit ließ er das Thema auf sich beruhen, doch beschloss, genau
zu beobachten, was mit Morrow passierte. Er befand sich in Untersuchungshaft
von McCart und wartete auf seine Verhandlung, die
erst in ein paar Monaten sein würde. Der Assistant Director wusste, dass Mulder
und Scully als Zeugen geladen würden, er selbst ebenfalls möglicherweise. Er
hoffte, dass die Tatsachen, die sie darlegen würden, zusammen mit der Aussage
des Tankwartes und des Officers, der ihn festgenommen
hatte, ausreichend sein würden, um Morrow für eine lange Zeit hinter Schloss
und Riegel zu bringen. Vielleicht sogar lebenslänglich.
Er fürchtete, dass der
einzige Weg, dass Mulder endlich Ruhe finden würde, war, wenn Morrow für immer
eingesperrt war.
Mulder wurde mit Schrecken
aus dem Schlaf gerissen, als etwas Klebriges und Schweres ohne Vorwarnung auf
seinem Schoß landete.
"Mmpf!"
grunzte er, als Emmies marmeladebefleckten Hände sein Hemd betatschten und sie
ihm mit ihren süßen Lippen einen Kuss auf den Mund drückte.
"Mami sagt, dass es
Zeit ist aufzustehen", sagte sie sachlich und kuschelte sich auf seinen
Schoß. "Können wir heute wieder Baseball spielen? Es ist Samstag. Du musst
heute nicht lernen, oder?" fragte sie, blickte ihn mit ihren tiefbraunen
Augen an und umarmte ihn kurz.
"Vielleicht heute
Nachmittag", antwortete er und setzte sie auf sein linkes Bein.
"Baseball hat natürlich Vorrang."
"Glaubst du, dass
Mami wieder mitspielen möchte?"
Mulder rieb sich
nachdenklich sein mit Stoppeln besetztes Kinn. "Ich denke, dass wir sie
das fragen müssen", sagte er und sah auf, als die Frau aus ihrer
Unterhaltung sich gegen den Türrahmen lehnte.
"Frühstück ist
fertig", sagte sie mit neutralem Ton. Keine Spur von ihrem Gespräch am
Vorabend war in ihrer Haltung auszumachen, doch sie wirkte müde. Mulder fragte
sich, ob sie überhaupt geschlafen hatte. Er hatte nicht gedacht, dass er
schlafen würde. Er war überzeugt gewesen, dass seine Gedanken, geschweige denn
sein Körper, ihm den Rest der Nacht zur Hölle machen würde, doch offensichtlich
war er irgendwann in dem Sessel eingeschlafen.
Mulder stellte Emmie auf
ihre Füße und folgte den beiden Frauen in seinem Leben in die Küche. Scully
wies ihn auf einen Stuhl, als er Anzeichen machte, ihr helfen zu wollen, und er
setzte sich brav hin. Im Stillen genoss er die familiäre Atmosphäre. Seine
Augen weiteten sich mir Vorfreude, als sie vor ihm einen Stapel heißer
Pfannkuchen auf den Tisch stellte.
"Wow, Scully, ganz
oder gar nicht, was?" freute er sich, als er nach Butter und Sirup griff.
Scully nickte und setzte sich auf den Stuhl neben ihn.
"Emmie, wenn du fertig
gefrühstückt hast, kannst du dich anziehen gehen", sagte sie zu dem
kleinen Mädchen. "Fox wird bestimmt gleich mit dir spielen, wenn er etwas
gegessen hat."
Sie sah mit Freude, als
das Kind glücklich in ihr Zimmer lief, und als sie allein waren streckte sie
ihre Hand zaghaft nach Mulders Arm aus. Er sah sie erstaunt an, als sie ihn
berührte.
"Ich nehme deinen
Antrag an", sagte sie leise und Mulders Herz blieb stehen.
"Du möchtest..."
"Ich möchte dich
heiraten", unterbrach sie ihn. "Unter einer Bedingung."
Mulder biss sich kurz auf
die Lippe. Jetzt kommts. "Welche
Bedingung?"
"Wir heiraten schnell
und ohne viel Aufhebens", erwiderte sie in ernsthaftem Ton. "Es ist
okay, wenn meine Mutter und Walter dabei sind, sogar die Jungs, wenn du sie
dabei haben möchtest, aber ich habe keine Lust mehr auf eine Riesenhochzeit mit
einer großen Zeremonie und Kuchen und Brautjungfern und einem teuren Kleid.
Eine war genug."
Er lächelte. "War
deine Hochzeit so gewesen?"
Scully nickte.
"Hauptsächlich um meiner Mutter Willen", sagte sie und zuckte mit den
Schultern. "Mir war das alles so ziemlich egal."
"Stimmt, du bist viel
zu praktisch veranlagt für solche Dinge", stimmte er zu, als er einen
weiteren Bissen des köstlichen Frühstücks nahm, das sie ihm gemacht hatte.
"Kann ich dich etwas fragen?"
"Sicher."
"Wirst du mir jetzt
immer diese wundervollen Malzeiten kochen, wenn wir verheiratet sind, oder ist
das heute nur, um mich weichzuklopfen?" Seine Augen leuchteten, als er auf
ihre Antwort wartete.
Sie lachte. "Ich
erwarte, dass du deinen Anteil übernimmst, Mulder, da ich momentan die einzige
mit einem Job bin!" gab sie zurück.
"Ah, aber ich bin
reich und unabhängig", konterte er neckend. "Vielleicht stelle ich ja
jemanden an, der alles für mich übernimmt, wenn ich dran bin", stichelte
er weiter und schwang seine Hand unterstreichend durch die Küche.
"Oh, und ich soll
alles selbst machen, wenn ich dran bin? Da bist du auf dem Holzweg!"
"Aber Scully",
protestierte er, "ich bin derjenige mit all dem Geld!"
Sie stellte sich vor ihn
hin und kippte seinen Kopf zurück, damit er sie ansehen konnte. "Aber wenn
wir verheiratet sind, ist es auch mein Geld.
Sieh dich bloß vor, dass ich dich nicht arm mache."
Er schnaufte und wandte
sich wieder seinem Essen zu. "Unwahrscheinlich", meinte er. "Die
Anwälte meiner Mutter haben das Geld so sorgfältig investiert, dass ich keinen
Tag in meinem Leben arbeiten müsste und sich mein Vermögen trotzdem
vermehrt."
"Gut", sagte
sie, wieder ernsthaft geworden, und setzte sich wieder. "Ich will nicht
geldgierig klingen, Mulder, und es geht mir wirklich nicht um das Geld. Das
weißt du, oder?" Sie wartete sein Nicken ab, bevor sie weiter sprach.
"Es würde nämlich meinem Sorgerechtsantrag für Emmie nur zugutekommen, wenn ich einen reichen Ehemann habe."
Sein Herz setzte wieder
einen Schlag aus. "Ist das der Grund, warum du mich heiraten willst?"
fragte er mit erzwungener Gleichgültigkeit. Dankbar sah er den perplexen
Ausdruck auf ihrem Gesicht.
"Mulder, du müsstest
mich besser kennen!" sagte sie leicht angegriffen.
"Das würde ich keinem
von uns antun."
Er nickte entschuldigend.
"Ich weiß, Scully. Entschuldige", sagte er beschämt. "Also, wann
sollen wir es angehen? Hast du irgendein bestimmtes Datum in Aussicht?"
"Tja", sagte sie
und dachte rasch nach, "vor Montag können wir offensichtlich gar nichts
machen. Ich schlage vor, dass wir am Montag uns anmelden und Dienstag,
spätestens Mittwoch, heiraten."
"Dienstag",
sagte er prompt. "Warum warten?"
Sie lächelte.
"Genau." Scully nahm seine Hand, und als sie sie drückte, spürte sie
wie ihr Herz schneller schlug, als er zurück drückte. "Ich liebe dich,
Mulder. Ich hoffe, dass du das weißt, trotz allem. Ich habe dich immer
geliebt."
Mulder versteifte sich für
den Bruchteil einer Sekunde und seine Augen schossen in die Höhe, um sie
anzusehen. Er konnte die Emotionen in ihren Augen lesen. "Ich weiß,
Scully", antwortete er.
Scully durchzuckte ein
weiterer Schlag bei seinen Worten—und bei den Worten, die sie von ihm hören
wollte, die er aber nicht gesagt hatte. Doch bevor sie weiter sprechen konnten,
hüpfte Emmie zurück ins Zimmer, gewaschen und angezogen und Mulders New York
Yankees Cappy verkehrt herum auf ihrem Kopf.
"Fox, spielen wir
Ball?!" rief sie und kletterte wieder auf seinen Schoß.
Mulder schob sie lachend vom
Tisch weg.
"In Ordnung, gib mir
zehn Minuten", versprach er und ging in sein Zimmer.
Scully lächelte, als sie
den beiden zusah.
"Möchtest du mir bei
der Wäsche helfen, während du wartest?" fragte sie und zwinkerte Emmie zu.
"Ich garantiere dir, dass er länger als zehn Minuten brauchen wird."
"Das habe ich
gehört!" rief Mulder aus dem Flur, und Mutter und Tochter kicherten, weil
er sich so beleidigt angehört hatte. Dann machten sie sich auf in Richtung
Waschküche.
"Mami?" fragte
Emmie, als sie ihre schmutzige Wäsche auf entsprechende Stapel warf.
"Ja, Nymph?" Scully schüttete beiläufig Waschmittel in die
Maschine, doch sie drehte sich zu der Kleinen um, als sie überrascht hörte, was
sie als nächstes sagte.
"Wirst du für immer
meine Mami sein?"
Ihre Augen füllten sich
mit Tränen, als sie Emmies todernsten Gesichtsausdruck sah, und sie sank auf
die Knie, um das Mädchen in die Arme zu nehmen.
"Natürlich werde ich
das, Emmie. Warum stellst du mir eine solche Frage?"
"Jacob sagt, dass
Daddy an einen schrecklichen Ort muss, und dass sie mich zu fremden Leuten
schicken."
Die Unsicherheit in der
Stimme des kleinen Mädchens brach Scullys Herz. Sie wischte die Tränen weg, die
über ihre delikaten Wangenknochen gerollt waren.
"Du glaubst mir doch,
oder? Nicht Jacob. In Ordnung?"
Emmie nickte. "Ich fürchte, dein Daddy wird eine lange Zeit weg
bleiben müssen. Er hat etwas sehr Schlimmes getan und er muss dafür bestraft
werden. Doch das soll nicht heißen, dass dein Daddy ein schlechter Mensch ist,
verstehst du den Unterschied?" Sie zog die Nase hoch und nickte ein wenig.
Scully lächelte sie beruhigend an und nahm sie wieder in die Arme.
"Und während dein
Daddy fort ist, musst du bei jemandem wohnen, der gut auf dich aufpassen kann,
und ein Mann, ein Richter, wird entscheiden, wer seiner Meinung nach am besten
auf dich aufpassen kann. Fox und ich werden zu dem Richter gehen und ihm sagen,
dass wir dich sehr lieb haben, und dass wir möchten, dass du bei uns wohnst,
und Grandma und Grandpa
haben mir erzählt, dass sie das dem Richter ebenfalls sagen werden. Und wenn
das dann alles geklärt ist, wird uns der Richter sagen, ob du bei uns wohnen
darfst oder nicht."
"Warum sollte er
sagen, dass ich das nicht darf?" fragte Emmie und schaute nun wahrhaft
verwirrt drein. Scully bewunderte die bittersüße Unschuld eines Kindes.
"Das wird er
nicht", versicherte sie ihrer Tochter liebevoll. "Es gibt keinen
Grund, dass er dagegen sein wird, und ich bin mir sicher, dass er dich bei uns
wohnen lassen wird. Aber jetzt geh lieber nachschauen, ob Fox schon fertig ist,
okay?"
Emmie schniefte noch
einmal und nickte. Sie war glücklich über die Worte der Frau, die sie als ihre
wahre Mutter ansah, und sie rannte mit der Energie, die nur eine Fünfjährige
haben kann, aus dem Raum.
Scully ließ sich auf einen
Berg von Mulders Hemden sinken, ergriff eines davon und vergrub ihr Gesicht
darin. Sie sog den Geruch in sich auf, der auf dem Stoff haftete.
Könnten sie wirklich,
endlich, alles haben?
Ende TEIL Acht
(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)
von TexxasRose aka. Laura
Castellano
(laurita_castellano@yahoo.com)
aus dem Englischen
übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>
Mulder öffnete die Augen
und blinzelte verschlafen durch den ungewohnten Raum, während er versuchte,
Klarheit in seine wirren Gedanken zu bekommen.
Neben ihm regte sich ein warmer Körper und jetzt fiel ihm alles wieder
ein. Nach all den Jahren des Wartens und
Wollens und Hoffens war es schließlich geschehen. Gestern hatte er Dana
Katherine Scully zu seiner Frau gemacht.
Es war ein gar nicht so kompliziertes Ereignis gewesen. Sie waren am
Montag in der Mittagspause und nachdem seine Vorlesungen für den Tag zu Ende
waren zum Standesamt gegangen und am nächsten Morgen, nachdem Scully ihren
Vorgesetzten informiert hatte, dass sie sich ein paar Tage frei nehmen wolle,
hatten sie ihre Freunde und Familien angerufen und ihnen die Neuigkeiten
beigebracht. Byres, Langly und Frohike waren
begeistert gewesen, Walter und Maggie hatten die Nachricht eher mit Vorsicht
genossen, sind allerdings pünktlich um elf und guter Dinge im Justice Of The Peace Gebäude
angekommen, zu dem sie sich durchgefragt hatten. Zu seiner Überraschung hatte
Skinner Jess Coslow im
Schlepptau.
"Jess?"
fragte er und küsste sie zur Begrüßung auf die Wange. "Haben Sie keine
Termine?"
"Das Beste daran,
sein eigenes Boss zu sein, Mulder, ist, dass man seine Termine selbst
arrangieren kann", antwortete sie ihm und blickte mit einem freudigen
Lächeln zu Skinner. "Ich habe heute einfach alles verlegt, und hier bin
ich. Ich will auf keinen Fall versäumen, wie meine beiden liebsten Patienten
heiraten."
Scully hatte bei diesen Worten
ganz unbehaglich drein geschaut, denn sie hatte sich immer noch nicht mit der
Therapie angefreundet, auf die Mulder bestand, doch trotzdem hatte sie ihren
Teil der Abmachung treu eingehalten.
Mulder glaubte schon zu sehen, dass sie Fortschritte machte. Sie gab
sich wirklich größte Mühe, das musste er zugeben, beklagte sich nie oder
versäumte einen Termin. Kurz nach Walter und Jess war
Maggie dazu gestoßen, die erst Dana, dann Mulder stürmisch in ihre Arme
genommen hatte.
"Ich bin so
glücklich, dass ihr zwei es endlich geschafft habt", flüsterte sie in sein
Ohr und Mulder drückte ihre Hand.
"Ich auch",
sagte er und küsste sie auch auf die Wange.
"Mr. Mulder, Miss
Scully, wir sind jetzt bereit", kündigte jemand aus dem Türrahmen des
Standesamtes an. Mulder suchte Scullys Augen.
Sie sah ihn mit einem
stetigen, großen Lächeln an und streckte ihre Hand nach seiner aus.
So tat der eine also ihren
Schwur für den anderen, ein rechtmäßiger und moralischer Schwur, den Mulder
zumindest für immer halten wollte. Es würde für ihn nie eine andere Frau geben,
dessen war er sich jetzt sicher. Er hatte die Aufmerksamkeit von mehr als nur
einer Studienkollegin auf sich gezogen, und hatte die Möglichkeit in Betracht
gezogen, mit der ein oder anderen der intelligenteren und attraktiven Frauen
eine schöne Zeit zu verbringen—viele halb so alte Frauen wie er hatten ein
großes Interesse an ihm. Doch mit Scully in seinem Kopf und Herzen hatte er
ihre Annäherungsversuche jedes Mal höflich aber bestimmt abgelehnt und war
jeden Tag zu der Frau zurückgekehrt, die seit dem ersten Tag an immer loyal zu
ihm gewesen war. Selbst wenn er sie nie haben könnte, hatte er nachgedacht,
niemand anderes interessiert ihn.
Jetzt könnte er sie nicht
nur haben, er *hatte* sie, dachte er schelmisch, als er sich herüberrollte und
ihre deliziöse nackte Gestalt unter sich gefangen nahm. Sie öffnete ihre Augen
und sah auf in das unrasierte Gesicht ihres Mannes. Es war der schönste
Anblick, den sie je gesehen hatte.
"Wie soll ich dich
jetzt nennen?" fragte er und ein Fragezeichen stand auf ihrem Gesicht.
"Häh?"
fragte sie dumm und blinzelte sich den Schlaf aus den Augen, während sie
versuchte, die sich ansammelnde Hitze in ihrem Unterleib zu ignorieren.
"Nun ja", sagte
er und bewegte sich ein wenig, um sich besser gegen ihre Oberschenkel drücken
zu können, "dein Name ist jetzt nicht mehr Scully."
"Nein, da hast du
Recht."
"Aber dich 'Mulder'
zu nennen wäre sehr verwirrend", fuhr er fort und küsste sie sanft auf ihr
Kinn.
Sie zappelte unter ihm. Er
stabilisierte seine Position auf ihr und zwang sie somit ruhig zu liegen.
"Ich könnte dich
'Dana' nennen", überlegte er, als seine Finger langsam anfingen, die
Seiten ihrer Brüste zu streicheln, "aber das wäre ja langweilig, denn
jeder nennt dich so."
"Hm-hm", machte
sie und zog die Luft ein, als seine Lippen ihren Weg zu ihrem Hals fanden.
"Morrow?" neckte
er und sie schlug die Augen auf.
"Nicht, wenn du lange
leben willst", sagte sie mit trügerischer Milde und er musste lachen.
"Einverstanden,
'Morrow' ist aus dem Rennen", gab er klein bei und entlockte ihr ein
Stöhnen, als er mit seinem Mund ihre linke Brustwarze bearbeitete. Ihre Hände
rutschten an seinem Rücken hoch und runter und sie umfasste seinen Po, als er
sie weiter und weiter in die Erregung trieb. Sie wollte schreien, als er ihre
Brustwarze losließ und etwas sagte, als ob ihre Nähe überhaupt keinen Effekt
auf ihn hätte.
"Belassen wir es also
bei 'Dana'", dachte er weiter laut und bewegte seine Hüften gemächlich vor
und zurück und stellte so die Situation nach, in der sie so gerne mit ihm sein
würde. "Ist das okay für dich?"
"Wenn du.... mich 'Dana' nennen willst, will ich... will ich dich
'Fox' nennen", brachte sie hervor und drückte ihr Becken nach oben, um ihn
genauso verrückt zu machen wie er sie.
"Nenn mich 'Fox' und
wir sind geschiedene Leute", grinste er und gab ihr schließlich, was sie
wollte. "Bei Emmie mache ich eine Ausnahme, aber nur ausnahmsweise."
"Gut", murmelte
sie mit ihrem letzten vernünftigen Gedanken. "Ich nehme an, dass wir
einfach bei 'Mulder' und 'Scully' bleiben. Das scheint bis jetzt immer
funktioniert zu haben."
Es dauerte nicht lange, da
hatte sie das Gespräch vergessen, weil seine Lippen, seine Hände und sein
ganzer Körper sie übermannte, und innerhalb von nur wenigen Momenten war sie so
in ihm versunken—in dem versunken, wozu er sie brachte—und das war genau das,
wofür sie ihn so liebte.
Den Rest des Tages und die
Nacht blieben sie in ihrem Hotel, bestellten sich den Zimmerservice, wenn sie
Hunger bekamen, liebten sich, wenn sie dazu in der Stimmung waren und
verbrachten den Rest der Zeit mit Reden oder zufrieden schlafend in den Armen
des anderen. Es schien so, als ob sie nach Mulders Entlassung aus dem Gefängnis
vor zehn Monaten eine Menge aufzuholen hatten. Beide fanden, dass es weniger
weh tat, von der Vergangenheit zu sprechen, jetzt, wo die Zukunft in ihren
Händen war, und neben dem Aufholen vieler Dinge, redeten sie viele Stunden über
die Jahre, in denen sie Partner gewesen waren.
"Gibt es Tage, an
denen du es vermisst?" fragte Scully ihn und malte mit ihrem Fingernagel
gemächlich Kreise auf seine Brust. Er zog sie so nahe er nur konnte zu sich und
legte fest seine Arme um sie.
"Nein",
antwortete er sicher. Sie hob überrascht den Kopf und sah ihn an.
"Überhaupt
nicht?"
"Hm, lass
sehen", sagte Mulder nachdenklich. "Ich könnte mich zu Tode arbeiten,
Kriminelle oder Aliens jagen, die, wenn sie mich zu
fassen kriegen, mich verletzen oder sogar umbringen könnten..." Sie
grinste. "...müsste immer größer
werdende sexuelle Anziehung zu meiner süßen Partnerin aushalten..." Sie
küsste ihn. "...und immer mit der Befürchtung leben, dass ihr oder mir
etwas Schreckliches zustoßen könnte..." Jetzt küsste er sie, und die Wonne
stand auf ihrem Gesicht geschrieben. "Oder, ich könnte da sein, wo ich
heute bin, nackt in einem Bett neben der Frau, die ich liebe, und die *endlich*
meine Frau ist, mit der Gewissheit, dass wenn die Flitterwochen vorbei sind,
ich in ein schönes Haus gehen kann, zu einem kleinen Mädchen, das mir ebenfalls
sehr ans Herz gewachsen ist, einer vielversprechenden Zukunft mit einer
Tätigkeit, die mir großen Spaß macht, einer Freizeitbeschäftigung als
Baseballtrainer für Kinder, einem Hund..."
"Ein Hund?"
"...ein Hund, ein Minivan..."
"Mulder, wir haben
keinen Hund oder einen Minivan."
"Das werden wir
gleich ändern. Wenn ich ein richtiger amerikanischer Vater werde, will ich es
auch richtig machen.
"Willst du damit
sagen, dass du nicht zufrieden bist? Vermisst du nicht das Aufregende daran?"
"...durchgeknallte Serienkiller..."
"...Plattwurmmänner..."
"...Killer-Katzen..."
"...grüner
Schleim..."
"...*gelber*
Schleim..."
"...oder die Gefahr,
von Skinner in die Mangel genommen zu werden und von deinen Kollegen regelmäßig
gemieden zu werden?"
Er lachte. "Naja,
Skinner nimmt mich immer noch hin und wieder in die Mangel, aber ansonsten bin
ich ziemlich zufrieden mit dem, wie die Dinge so geworden sind."
"Wirklich?" Sie
richtete sich auf ihre Ellbogen auf, um ihm direkt in die Augen zu sehen.
"Du wünschst dir niemals wir wären...."
"Wünschst du es
dir?"
"Nicht im
Geringsten", antwortete sie ohne Umschweife. "Ich hatte damals immer
solche Angst um dich. Das einzige, das ich bereue ist, dass wir so viel
durchstehen mussten, um hier anzukommen."
"Aber sie haben uns
nie wirklich den Rest gegeben, stimmts?" fragte er und nahm sie fest in
die Arme. Sie schüttelte ihren Kopf an seiner warmen Haut.
"Wie war noch mal das
Gedicht, Mulder?"
"Welches
Gedicht?" fragte er, momentan verwirrt. "Ach, das. Ich muss es mal
nachsehen und es dir ganz vorlesen."
"Ja, das wäre
schön."
"Aber jetzt",
sagte er und ließ streichelte mit seinen Fingern reizvoll ihre seidene Haut,
"würde ich lieber etwas anderes recherchieren."
Mulder stand, Hände an den
Hüften, und sah dem kleinen Mädchen beim Baseballschlagen zu. Noch einen Run
und ihr Team würde die Meisterschaft gewinnen. Natürlich war das ein gewisser
Druck, unter dem sie stand. Ihr kindliches Gesicht war voll konzentriert, als
sie den Schläger schwang und den Ball um ein ganzes Stück verfehlte. Mulder,
den die Kinder leicht als Coach für ihr Team gewinnen konnten, signalisierte
dem Schiedsrichter für eine Auszeit, ging zu dem Schlagplatz und schenkte dem
Kind ein beruhigendes Lächeln, als es ihn mit Befürchtungen im Gesicht
anblickte. Sein eigener Ausdruck zeigte
keine Spur des Ärgers, den er empfand - nicht dem Kind gegenüber, sondern den
Eltern gegenüber. Jennifers Eltern kritisierten ihre Tochter nämlich permanent
bei ihren Bemühungen und lobten sie nie, wenn sie etwas gut machte. Er hatte
versucht, sie höflich dazu zu bringen, Jennifer mehr zu unterstützen, doch sie
waren äußerst begriffsstutzig bei der ganzen Angelegenheit gewesen.
Und jetzt war keine
Ausnahme. Jennifers Vater stand oben auf der Tribüne und rief zu seiner
Tochter, "Komm schon, Jennifer, schlaf nicht ein. Wenn du den Ball nicht
triffst, verliert ihr das Spiel!"
Scully warf Mr. Norths
Rücken einen bitterbösen Blick zu und sah wie Mulder sich zu Jennifer herab
beugte, und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Das kleine Mädchen kicherte, wackelte
mit den Hüften und nickte, worauf Mulder mit einem zufriedenen Grinsen zurück
zum Unterstand für die Spieler ging. Er stellte fest, als sie im Begriff war,
den Ball zu schlagen, dass er noch nie im Leben glücklicher gewesen war und sah
nicht allzu überrascht, wie Jennifer den Ball traf, so dass er durch die Beine
des Ersten Basemans ging und sie den Run nach Hause
bringen konnten, den sie brauchten, um das Spiel zu gewinnen.
Die komplette Spielerbank
brach in Jubelgeschrei aus und Mulder fand sich auf dem Boden wieder, noch
bevor der Läufer an der Home-Base anschlug, begraben
unter seinen Spielern. Er hatte ihnen versprochen, dass wenn sie die
Meisterschaft gewannen, sie ihn mit Eiswasser übergießen konnten, genau wie im
Fernsehen, doch er hatte nicht damit gerechten, auf dem Boden zu liegen, wenn
das passierte. Sie konnten den Eiseimer nicht richtig hochheben, deswegen zogen
ihn die Mädchen eilig dahin, wo er lag und warfen ihn um, um ihren Trainer zu
begießen. Mulder schrie, als das eiskalte Wasser über seine Brust, Bauch und
Unterleib floss.
Als die Mädchen
schließlich immer noch kichernd von ihm abließen und auseinander wuselten, um
zu ihren Eltern zu gehen, machte Mulder die Augen auf und starrte geradewegs in
Scullys grinsendes Gesicht.
"Na, gefällt's dir, Mulder?" fragte sie und stupste ihn mit
ihrem Zeh, wodurch ein paar Eissteinchen verrutschten und unter sein Hemd auf
seinen nackten Bauch rutschten.
"Mehr als du dir
vorstellen kannst", keuchte er und wischte es hektisch weg. "Du
könntest mir mal helfen, weißt du", grummelte er, als er sich bemühte sich
aufzusetzen.
Scully lachte. "Ich
helfe doch. Wer, glaubst du, hat Emmie gezeigt, wie man den Verschluss von dem
Eiseimer öffnet?" brüstete sie sich, und er starrte sie nur böse an.
"Coach?" hörte
er eine Stimme hinter ihm. Er drehte sich um, während er sein T-Shirt auswrang.
"Vielen Dank für
alles, was Sie getan haben", bedankte sich einer der Väter von Mulders
Spielerinnen, und reichte ihm die Hand. "Die Kinder hatten diese Saison
eine Menge Spaß. Shelly bewundert sie sehr, und ich
kann auch sehen warum. Sie kommen wirklich gut mit der Horde zurecht."
"Äh, danke",
stammelte Mulder und schüttelte dem Mann die Hand. Verdattert sah er ihm
hinterher, als sich der Mann entfernte. "Scully, ist das nicht...?"
"Ja", sagte sie
und legte einen Arm um seine klatschnasse Hüfte. "Das war der Mann der
Frau, die dich auf Emmies Party letzten Frühling so angekeift hat."
"Also ist Shelly...."
"Jessicas Schwester.
Und ganz offensichtlich teilt ihr Vater nicht die Meinung seiner Frau über
deine heruntergekommene Vergangenheit."
"Sei
vorsichtig", sagte er und gab ihr einen Kuss. "Du bist ein
erheblicher Teil meiner heruntergekommenen Vergangenheit."
"Und deiner
heruntergekommenen Zukunft", sagte sie gut gelaunt. "Oh oh, ich gehe da lieber dazwischen, bevor es zu spät
ist", sagte sie und nickte zu Emmie und ein paar anderen Kindern, die
allem Anschein nach vorhatten, mitten in den Schlamm zu springen, der durch ihr
Freudenfest entstanden war.
Mulder ging zum Wagen in
der Hoffnung dort etwas zu finden, womit er sich abtrocknen konnte, als ihn
wieder eine Stimme aufhielt. Diese war viel finsterer und eine versteckte
Drohung war darin wahrzunehmen.
"Mr. Mulder."
Sein Atem stockte. Er
schwang herum und ballte seine Hände zu Fäusten, um das Zittern zu bändigen.
"Sie."
Der andere Mann senkte
seinen Kopf zur Begrüßung.
"Was wollen
Sie?"
Wie immer kam er ruhig und
langsam zum Punkt, schenkte Mulder ein gelassenes Lächeln.
"Ich bin gekommen, um
Sie zu warnen."
Mulder machte eine Geste
der Ungeduld. "Hören Sie, machen Sie sich wegen mir keine Gedanken",
fing er an. "Ich habe nicht die Absicht, jemals wieder Geschäfte mit Ihnen
zu machen. Ich weiß nicht, hinter was Sie heutzutage her sind, und es ist mir
auch völlig egal."
"Das, worüber ich
Ihnen etwas sagen möchte, wird Ihnen nicht egal sein", sagte der alte Mann
milde und ignorierte Mulders Ärger.
"Und was ist
das?" wollte Mulder wissen, Hände auf den Hüften und Augen glitzernd.
"Was können Sie mir jetzt noch sagen wollen?"
"Zachary Morrow ist
aus dem Gefängnis ausgebrochen."
Mulder stand stocksteif,
doch sein Herz raste, als er das hörte. Der Mann drehte sich um und begann
gelassen über den Parkplatz weg zu gehen, bevor Mulder seine Stimme wieder
finden konnte.
"Warten Sie!"
rief er. "Woher wissen Sie das? Warum sagen Sie mir das?" fragte er,
aber der Besucher machte keine Anzeichen, dass er ihn gehört hatte, stieg in
ein wartendes Auto und verschwand, bevor Mulder noch mehr sagen konnte.
"Das kann nicht wahr
sein", murmelte er vor sich hin, als er sich zurück zum Spielfeld drehte.
"Sie hätten uns sicher benachrichtigt."
"Über was hätten sie
uns benachrichtigt, Mulder?" fragte Scully, als sie und Emmie zu ihm kamen
und ihm den Schrecken ansehen konnten. Etwas war offensichtlich passiert,
Mulder war blass wie ein Geist.
"Nichts",
erwiderte er locker. "Also, Emmie, bist du bereit für das Eis, das ich dir
versprochen habe?"
"Klar!" rief sie
und hüpfte freudig auf und ab. "Ich möchte den großen Bananenspilt,
Fox, weißt du noch, den du mir versprochen hast."
"Ja, das weiß ich
noch", stimmte er zu, öffnete die Tür und wartete, bis sie sich
angeschnallt hatte. "Den größten, den sie haben."
Scully warf ihm über dem
Dach des Autos einen fragenden Blick zu, doch er schüttelte nur den Kopf. Nach
einem zweiten suchenden Blick nickte sie unmerklich und stieg in das Auto. Es
musste warten.
"Wie konnte das
passieren?" verlangte sie Stunden später, als sie vor dem Feuer stand, das
Mulder im Wohnzimmer gemacht hatte. Scully schauderte und blickte sich im Raum
um, als ob sie Zach jeden Moment hinter der nächsten Ecke erwartete.
"Scully, beruhigen
Sie sich bitte", sagte Skinner, der auf der Couch saß. Er war angerufen worden, und nach einer
kurzen und knappen Unterredung mit dem Sheriff von McCart,
hatte er die Information, die der Raucher Mulder gegeben hatte, bestätigt.
Zachary Morrow war drei Tage zuvor, während der Überführung eines Gefangenen
aus der Zelle entkommen, und bis jetzt gab es noch keine Hinweise auf seinen
Aufenthaltsort.
"Mich
beruhigen?" schrie sie wütend. "Ein Verrückter ist da draußen, dem
vielleicht der Sinn danach steht, meine ganze Familie umzubringen, und Sie
wollen, dass ich mich beruhige? Dieser Idiot von einem Sheriff aus irgendeinem
Hinterhofskaff hält es nicht einmal für nötig, hier anzurufen, und Sie wollen,
dass ich mich beruhige?"
"Scully",
unterbrach Mulder sie, "Walter hat Recht, und das weißt du. Wenn wir jetzt
in Panik verfallen, hilft uns das auch nicht weiter."
Sie verschränkte die Arme
und atmete schwer, doch sie sagte nichts mehr.
"Vielleicht kommt er
gar nicht hierhin", warf Byers aus der Ecke ein, in der er stand, weil er
aus der Schusslinie bleiben wollte. Mulder hatte gleich nachdem sie nach Hause
gekommen waren die Jungs angerufen, die sofort vorbei kamen und ihre neuesten
Sicherheitsvorrichtungen installierten.
Jetzt hatten sich alle sechs im Wohnzimmer versammelt und keiner wollte
gehen und die Mulder-Familie sich selbst überlassen.
"Natürlich kommt er
hierher!" keifte Scully.
"Vielleicht
nicht", sagte Mulder ruhig. "Wenn er jetzt schon seit drei Tagen frei
ist, und bis jetzt nicht aufgetaucht ist, könnte es sein, dass er das gar nicht
vor hat."
"Das glaubst du doch
nicht wirklich, Mulder, oder?" fragte Frohike. Mulder gab seine
Verstellung auf und rieb sich müde die Stirn.
"Nein", gab er
schließlich zu. "Das glaube ich nicht."
"Also, warum ist er
noch nicht hier?" formulierte Langly seine
Frage. "Und warum hat der Kerl dir überhaupt davon erzählt? Ich dachte
immer, der spielt gegen dich."
Mulder schüttelte den
Kopf, er war zu müde geworden, um nachzudenken. "Ich habe keine Ahnung,
warum der Mann die Dinge tut, die er tut, aber bei einem bin ich mir sicher—er
macht nie etwas aus reiner Selbstlosigkeit."
"Zach könnte zu Fuß
unterwegs sein, womöglich ist es das sogar", sagte Scully, die Mulders
Erschöpfung sah und jetzt anfing nachzudenken. "Wenn er ein Auto gestohlen
hätte, würde es zu einfach sein, ihn zu schnappen—er hat diesen Fehler schon einmal
gemacht, er wird es sicher nicht ein zweites Mal tun."
"Wie lange würde er
zu Fuß von Iowa bis Virginia brauchen?" wollte Frohike wissen.
"Das kommt darauf an,
ob er per Anhalter fährt oder sich komplett von der Straße fernhält... es gibt
da so viele Möglichkeiten. Wenn er wirklich vor hat, hierhin zu kommen, wird er
nicht riskieren, gefasst zu werden, bevor er seinen Plan nicht ausführen kann.
Also stellen wir uns die Frage, was können wir dagegen tun?"
Mulder seufzte und rieb
sich wieder seinen Kopf. Scully stellte sich hinter seinen Sessel, um seine
Schultern zu massieren. Er lehnte sich in ihre Hände und ließ seine Gedanken
schweifen.
"Wir müssen ganz
normal weiterleben", sagte er schließlich. "Ich kann meine
Vorlesungen nicht versäumen, Emmie muss zur Schule...."
"Ich rufe morgen ihre
Schule an und erkläre, was passiert ist. Ich werde ihnen sagen, dass Emmie mit
niemandem außer mir das Schulgelände verlassen soll", warf Scully ein und
Mulder nickte.
"Würde es nicht
sicherer sein, sich hier zu verschanzen, nur für ein paar Tage?" fragte
Byers, denn er fürchtete um Mulder und Scully bei dem Gedanken, dass sie
alleine draußen sein könnten, wenn Morrow auftauchen sollte.
Skinner rutschte auf
seinem Sessel herum und sprach dann. "Wie lange sind ein paar Tage? Sie
können sich nicht auf unabsehbare Zeit hier verstecken, wenn man die Tatsache
bedenkt, dass wir nicht wissen, wann und ob Morrow vielleicht auftauchen
könnte. Ich kann das Haus bewachen lassen, und Mulder und Scully sind beide
ausgebildete Agenten. Niemand kann für ihre völlige Sicherheit garantieren,
aber wir können unser Bestes tun."
"Ich denke, Sie haben
Recht", murmelte Byers, doch er war nicht vollkommen überzeugt.
"Wir werden umso
wachsamer sein, bis er gefasst wird, Byers, aber mehr, außer die Polizei zu
verständigen, können wir nicht tun", sagte Mulder, der plötzlich froh war,
dass er die Pistole seines Vaters noch hatte. Legal oder nicht, er hatte vor,
sie immer bei sich zu tragen, bis Morrow wieder hinter Gittern saß, und Scully
würde dasselbe tun, schwor er sich. Und was Emmie betraf....
Vielleicht können wir es
arrangieren, dass Emmie für eine Weile bei deiner Mutter bleiben kann",
schlug er vor und beugte seinen Kopf zurück, um seine Frau anzusehen.
"Ich bin sicher, Mom
würde sie sehr gerne zu sich nehmen", stimmte Scully zu und ging, um ihre
Mutter anzurufen. Einige Minuten später kam sie zurück und berichtete, dass
Maggie Emmie am nächsten Tag von der Schule abholen würde und sie bei sich
behalten würde, bis sie entschieden, dass es ungefährlich war nach Hause zu
gehen.
Etwas später trennten sie
sich. Skinner war der letzte, der ging. "Sie wissen, dass Sie mich anrufen
sollen, wenn Sie mich brauchen."
"Ja, Walter."
"Und Sie wissen auch,
dass ich Sie in den Hintern treten werde, wenn Sie es nicht tun."
Mulder grinste. "Ja,
Walter. Und danke", sagte er gerade noch rechtzeitig, bevor Skinner die
Tür hinter sich schloss. "Für alles."
Skinner nickte und trat
heraus. Mulder schloss die Tür mit dem Zusatzriegel ab und wandte sich zu
Scully. Wortlos begannen sie ihren Weg durch das Haus und sahen jede Tür und
jedes Fenster nach, um sicher zu gehen, dass sie fest verschlossen waren.
"Ich werde heute
Nacht kein Auge zumachen", meinte Scully. "Ich will nicht einmal ins
Bett gehen. Was ist, wenn er einbricht? Was, wenn er versucht, Emmie etwas
anzutun?"
"Ich glaube nicht,
dass er sich mit ihr beschäftigen wird", argumentierte Mulder, doch als er
ihren Gesichtausdruck sah, gab er klein bei. "Aber ich verstehe, was du
meinst. Ich mache uns einen Kaffee."
Sie hielten in seinem
Arbeitszimmer Wache, das genau gegenüber Emmies Zimmer auf der anderen Seite
des Flures lag. Die ganze Nacht hielten sie ihre Ohren gespitzt und hörten auf
alles, was eine mögliche Gefahr darstellte. Gegen Morgen ging Scully, um den
Vorrat an Kaffee aufzufüllen und Mulder begab sich ins Badezimmer, um sich für
seine Frühkurse fertig zu machen. Er wollte sich erst in der Gegend umsehen,
bevor er zur Uni fuhr.
Nachdem er aus dem Haus
gegangen war, fuhr er eine kurze Zeit herum, doch als er nichts Ungewöhnliches
bemerkte, schlug er den Weg zur Universität ein. Scully hatte Emmie zur Schule
gebracht und der Lehrerin Bescheid gesagt, dass nur sie oder Maggie Scully bis
auf Weiteres zu dem Kind durften. Als Mulder in seiner Pause anrief, konnte sie
ihm berichten, dass zwischenzeitlich nichts passiert ist. Alles schien in
bester Ordnung, und für einen Moment gestattete sich Mulder die Hoffnung, dass
nichts geschehen würde - dass Morrow nach Mexiko anstatt nach Virginia gegangen
sei. Doch tief in ihm drin wusste er, dass das nicht stimmte. Mit einem Stich
von Traurigkeit spürte er den Griff des Revolvers in seiner Manteltasche; er
hätte nie gedacht, dass er noch einmal eine Waffe tragen würde.
Während der nächsten
beiden Tage war die Stimmung extrem gereizt. Sie ahnten beide, dass etwas auf
sie zukam, doch sie konnten nicht sagen, wann oder aus welcher Richtung es sie
treffen würde. Aufgrund der hoch strapazierenden Situation und der Tatsache,
dass ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren, war es auf eine gewisse Art
und Weise eine Erleichterung, nachmittags nach der Arbeit nach Hause zu kommen
und Zach dort vorzufinden, dachte Scully.
Er kam hinter der Tür
hervor, als sie ins Haus kam, nahm ihr blitzschnell ihre Waffe ab und befahl
ihr, den Flur herunter ins Schlafzimmer zu gehen. Sie starrte ihn für einen langen Moment an
und gab schließlich nach, als sie sah, wie er die Pistole in seiner Hand ein
wenig näher an ihre Seite brachte. Er sah furchterregend aus, und Scully hatte
keine Zweifel an seiner Entschlossenheit. Er würde sie, ganz klar, noch einmal
vergewaltigen und sie dann umbringen. Dann würde er auf Mulder warten und ihn
ebenfalls erledigen. Ihre Mutter wäre vielleicht die Nächste, wenn Zach
versucht, seine Tochter abzuholen. Die einzige Möglichkeit, die Scully sah war,
zu versuchen ihn hinzuhalten. Mulder würde bald zu Hause sein. Vielleicht
könnten sie ihn zu zweit übermannen oder austricksen.
Doch ihre Vorstellungen
wurden alsbald zunichte gemacht. Als sie nämlich das Schlafzimmer erreichten, befahl
er ihr, sich auszuziehen und sich aufs Bett zu legen.
"Zach...."
"Ich hab gesagt *mach
es*!" zischte er und stieß die Pistole in ihre Brust. Sie schluckte hart und griff nach den Knöpfen
ihre Bluse, während sie sich fragte, wo zum Teufel die Wachposten waren, die
das Haus bewachen sollten.
Mit zitternden Fingern
öffnete sie langsam die Knöpfe, einen nach dem anderen, während er gierig
zusah. Sie kämpfte dagegen an, dass ihr bei dem Gedanken von Zachs Händen auf
ihr die Galle hochkam und ließ die Bluse zu Boden fallen.
"Jetzt den
Rock", wies er sie an. "Aber langsam. Ich will es genießen."
Es kam ihr nur zu Gute,
denn jede Sekunde, die sie die Sache hinauszögern konnte, brachte Mulder näher
nach Hause. Sie betete, dass er nicht in einen Stau geriet oder anderweitig
aufgehalten wurde. Sie riskierte einen raschen Blick auf die Uhr. Mulder würde
mit ein bisschen Glück in etwa zehn Minuten durch die Tür kommen. Plus / minus
ein paar Minuten.
Scully tastete hinter ihrem
Rücken nach dem Reißverschluss ihres kurzen braunen Rocks und öffnete ihn
Zentimeter für Zentimeter. Sie ließ sich soviel Zeit wie nur irgend möglich.
Zachs Augen wurden größer und sein Grinsen breiter, als der Reißverschluss
schließlich auf war und Scully den Rock langsam, so langsam, herab ließ, über
ihre Schenkel, ihre Knie und ihre Waden und wie in Zeitlupe einen Fuß nach dem
anderen daraus hob. Er lockerte sich ein wenig, lehnte sich gegen die Wand und
bedeutete ihr weiterzumachen. Langsam und sinnlich ließ Scully ihre Hände von
ihren Hüften zu ihren Knien und zurück gleiten, und entledigte sich schließlich
eines Schuhes. Sie schaffte noch einen Blick auf die Uhr, als sie sich
hinunterbeugte.
Noch sieben Minuten.
Sie wiederholte die
Bewegung, um den zweiten Schuh auszuziehen und überlegte, was sie als nächstes
ausziehen sollte. In jedem Fall die Strumpfhose, entschied sie rasch.
Vielleicht konnte sie verhindern, zu viel von sich diesem Perversen preis zu
geben. Ihre Hände strichen träge ihre Beine hoch, über ihre Schenkel und wieder
ein Stück herunter, dann endlich hakte sie ihre Daumen im elastischen Band der
Strumpfhose ein.
"Du hast es immer
noch drauf, Baby", sagte Zach und mit einer Schauer von Ekel bemerkte sie
seine nicht übersehbare Erektion. Sie bemühte sich, ihren Eindruck nicht zu
zeigen und zwinkerte ihm sexy zu, wonach sie sehr langsam begann, das
Kleidungsstück über ihre Beine gleiten zu lassen, Zentimeter für Zentimeter.
Vier Minuten.
Als sie die Strumpfhose
schließlich aus hatte, ließ sie sich noch mal gemächlich durch ihre Finger
gleiten, bevor sie sie auf den anwachsenden Berg der anderen Kleider warf.
Jetzt stand sie vor Zach nur noch in BH und Höschen und mit einem flauen Gefühl
im Magen erkannte sie, dass sie mindestens noch ein Kleidungsstück ausziehen
musste. Mulder würde frühestens in drei Minuten da sein, und wenn er zu spät
kommen würde....
"Tanz für mich,
Dana", wies Zach sie an und sie starrte ihn für eine Sekunde verwundert
an. Dann schaltete sie ohne weiteres, denn die Ausführung seines Befehls war
eine weitere Verzögerung. Sie begann sachte, sich zu einer imaginären Musik hin
und her zu wiegen und ließ ihre Hände überall über ihren Körper gleiten,
ähnlich wie Mulders Hände, als sie sich geliebt hatten. Sie schloss die Augen
und versuchte, die Angst, die sie hatte, zu vertreiben, stellte sich die
starken Hände ihres Mannes vor, die sie berührten, beruhigten, und in ihrem
Kopf hörte sie seine Stimme, die ihr sagte wie wunderschön sie sei, wie sexy,
wie sehr er sie wollte.
"Dreh dich um."
Die Wirklichkeit schlug
mit Zachs Stimme auf sie ein, und mit einem weiteren Schlucken drehte sie ihm
den Rücken zu, ebenso verführerisch wie all ihre anderen Bewegungen. Sekunden
später fühlte sie seine Arme um sich, die sie gefangen hielten, während sein
Körper sich an sie presste.
"Du gehörst immer
noch mir, Dana", flüsterte er und streichelte ihre Wange. "Und du willst mich immer noch, das sehe
ich dir an." Seine Linke verließ ihre Hüfte und umfasste ihre Brust und
seine Finger rutschten unter den seidigen Stoff ihres BHs. Sie unterdrückte ein
Schaudern.
"Ich weiß, dass du
glaubst du liebst ihn", sprach Zachs tiefe Stimme weiter in ihr Ohr,
"aber er kann dich unmöglich so glücklich machen, wie ich es kann. Hab ich
nicht recht?"
Sie antwortete nicht, und
er kniff schmerzhaft in ihrer Brustwarze.
"Habe ich
recht?" verlangte er und sie schüttelte den Kopf, erleichtert, als er den
Druck auf ihre empfindliche Haut minderte.
Wieder blickte sie auf die
Uhr und schloss kurz verzweifelt die Augen.
Mulder war schon zwei
Minuten zu spät.
"Ich glaube, das hier
muss weg", grummelte Zach an ihrem Nacken. Seine freie Hand glitt nach
hinten zum Verschluss ihres Büstenhalters, den er mit einer einfachen Bewegung
öffnete. Er zog ihr das Kleidungsstück aus und warf es auf den Boden. Scully
zitterte.
"Und jetzt...."
sagte er, als seine Finger das Gummiband ihres Höschens erreichten, und sie
erschraken beide vor dem Geräusch, das hinter ihnen ertönte.
"Nimm deine Hände von
ihr."
Scully klappte fast
erleichtert zusammen, als sie Mulders Stimme hörte, doch Zach ergriff sie fest
um ihre Hüften und wirbelte herum, als ob er schon erwartet hätte, dass sein
Feind auftauchen würde. Mulders Gesichtszüge verhärteten sich, als er sah, dass
Scully fast gänzlich ausgezogen war, aber er behielt trotzdem einen festen
Griff an seiner Waffe. Jetzt war keine Zeit für Scham.
"Lass sie los",
forderte er abermals mit direkt auf Zachs Kopf gerichtetem Revolver.
Zach lachte und hob seine
eigene Waffe an Scullys Schläfe.
"Scheint so, als stehe
es eins zu eins", kommentierte er gelassen und betrachtete Mulder
amüsiert.
Nach einer langen,
gespannten Sekunde antwortete Mulder, "Wenn du ihr weh tust, bringe ich
dich um."
"Dann wird meine
Folter vorbei sein, aber deine wird Ewigkeiten andauern, Mulder", prahlte
Zach. "Was glaubst du wird die Polizei denken, wenn du *noch einen*
Menschen tötest? Werden sie dich wieder gehen lassen? Oder werden sie dich
einfach nur mitleidig ansehen, abtrünniger FBI-Agent und Sträfling, und dich so
schnell zurück ins Gefängnis werfen, dass du nicht mehr weißt, wo oben und
unten ist?" Er bemerkte das Zucken in Mulders Kiefermuskeln und wusste,
dass er den richtigen Nerv getroffen hatte. "Ich denke, wir beide kennen
die Antwort darauf."
"Mulder, hör nicht
auf ihn...."
"Schnauze!"
zischte Zach, festigte den Griff an ihr und stieß den Lauf seiner Pistole
barsch gegen ihren Kopf. "Lass die Männer die Sache austragen, Baby."
Scullys Augen verdichteten
sich zu Schlitzen bei dieser hohlen Bemerkung, doch sie hatte sich soweit unter
Kontrolle und erwiderte nichts. Sie konnte nicht gegen ihn kämpfen, er war viel
stärker, und jetzt mit ihm zu streiten würde ihr nichts bringen.
"Also, was soll's
sein, Mulder?" spottete Zach, und sein Grinsen wurde breiter, als er sah,
dass Mulder unsicher wurde. "Erschießt du mich und gehst zurück in den
Knast, oder lässt du mich nehmen, was mir gehört und verschwindest?"
"Sie gehört nicht
dir", hielt Mulder kurz und bündig fest. "Du warst nicht Manns genug,
sie zu behalten."
Zachs Grinsen verschwand
augenblicklich und er suchte rasch nach einem Kommentar, der Mulder noch weiter
aus der Bahn werfen würde. "Du hasts geschafft,
Mann", sagte er und starrte Mulder kalt an. "Geld, ein schönes Haus,
eine Zukunft.... willst du das wirklich alles für
diese kleine Schlampe riskieren?"
Er schüttelte Scully, als
er das sagte, und Mulders Finger zog sich enger um den Abzug.
"Sie hat mit mir
geschlafen, weißt du", fuhr er in einem zuversichtlichen Ton fort, als ob
er ein großes Geheimnis preisgeben würde. "Als wir nach Westen gefahren
sind, hat sie sich von mir vögeln lassen. Mehr als nur einmal. Sie ist nichts
weiter als eine...."
Wie auch immer Zach seine
Ex-Frau gerade benennen wollte, ihm wurde das Wort abgeschnitten, als Mulder
feuerte. Der Knall war ohrenbetäubend in dem geschlossenen Raum, und Zach
starrte Mulder perplex an, während sein Gesicht roter und roter wurde, Blut aus
seiner offenen Wunde auf seiner Stirn lief und sein Körper zurück gerissen
wurde.
Mulder sackte an der Wand
zusammen und legte die Waffe vorsichtig auf die Kommode. Er vergrub sein
Gesicht in seinen Händen, als Scully sich hinunter beugte, um den Mann zu ihren
Füßen zu untersuchen.
"Scully, bitte sag
mir, dass er nicht tot ist", stöhnte Mulder hinter seinen Händen. Scully
blickte auf und sah, wie er langsam an der Wand herunter rutschte.
Sie rollte Zach auf den
Rücken und fühlte seinen Puls. Ein Gefühl von Reue, Wut und Freude durchfuhr
sie, als sie keinen fand. Sie stand auf, wischte sich das Blut von den Händen
und griff nach ihrem Bademantel, der ein Stück weit von ihr über einer
Stuhllehne hing. Sie zog ihn an, um den Berg ihrer Klamotten als Beweisstück
liegen zu lassen.
"Mulder", sagte
sie, hockte sich neben ihn und zog seine Hände von seinem Gesicht.
"Mulder, komm her zu mir."
"Er kann nicht tot
sein", flüsterte Mulder wieder und wieder. "Bitte sag mir, er ist am
Leben, Scully. Er kann nicht tot sein."
"Mulder, er ist tot.
Er wird uns nie wieder weh tun."
Mulder lachte seltsam, es
machte Scully angst. Es war der Klang des Lachens eines Mannes, der im Begriff
war, wahnsinnig zu werden.
"Aber verstehst du
denn nicht, Scully", sagte er und verschluckte ein Schluchzen, "er
hatte recht. Ich wollte ihn nicht umbringen. Ich dachte nicht, dass ich ihn
umbringe, aber ich konnte nicht zulassen, dass.... Scully, er hatte recht!"
"Was? Mulder, wovon
redest du?" fragte sie völlig durcheinander, als sie ihn auf die Füße zog.
"Er hatte recht,
Scully!" schrie Mulder regelrecht, als er ihre Hände von sich stieß. Er
stand auf und ging ohne sich umzudrehen auf die Schlafzimmertür zu. Scully
gefror das Blut in den Adern, als er seine Waffe aufhob.
"Mulder...."
begann sie und streckte ihre Hand aus in der Hoffnung, ihn zu beruhigen.
"Nein! Ich werde
nicht wieder dahin zurück gehen!" rief er und sie war überrascht, als sie
sah, wie Tränen seine Wanger hinunter rollten. "Ich kann das nicht,
Scully." Seine Augen bettelten um Verständnis.
"Sie werden dich
nicht wieder ins Gefängnis schicken, Mulder", sagte sie versichernd, doch
sie war sich nicht sicher, ob er es überhaupt hörte.
"Doch, das werden
sie", konterte er, während er immer noch langsam zurück wich und sie sich
ebenso langsam näherte. "Sie werden mich ein Mal ansehen und sofort
wissen, was ich getan habe, und sie werden den Schlüssel weg werfen, und ich
*kann* nicht, Scully, ich werde nicht zulassen, dass sie das tun."
"Du hattest keine
andere Wahl", argumentierte sie. "Sie werden einsehen, dass du es tun
musstest, dass du nur deine Familie beschützt hast", erklärte sie, aber er
war wie festgefahren. In seinen Gedanken war er bereits wieder hinter Gittern.
Er schüttelte entschlossen
den Kopf und hob die Waffe, und gerade, als sie zu ihm springen wollte, um
seinen Tod zu verhindern, wurde Mulder von zwei starken Armen von hinten ergriffen,
die ihm augenblicklich den Revolver entrissen, den er gerade auf sich selbst
richten wollte. Scully atmete erleichtert durch und nahm rasch die Waffe an
sich, die Skinner ihr hin hielt.
Mulder kämpfte kurz gegen
den eisernen Griff an, doch gab bald auf, als ob er erkannte, dass es sinnlos
war, gegen Skinner und Scully anzukämpfen. Er stand still und starr da, als
Skinner ihn losließ.
"Sir, wie sind
Sie...?" begann Scully, doch sie wurde unterbrochen, als die beiden Officers Waylon und Scott ins
Zimmer kamen.
"Verdammt!"
fluchte Scott. "Zuerst werden wir wegen einem Notfall von hier weg
gerufen, um gleich darauf zurück beordert zu werden, weil ein Nachbar einen
Schuss im Haus gehört hat. Leute, bei euch ist immer was los, was?"
Scully erklärte, was vorgefallen
war, als die beiden Polizisten den Tatort und die Leiche inspizierten und den
Vorfall meldeten. Mulder stand still wie eine Statue an der Wand, Skinner
direkt neben ihm, um ihm Halt zu geben wenn nötig.
"Wie konnten Sie
rechtzeitig hier sein?" konnte sie ihn schließlich fragen.
"Ich war gerade auf
dem Weg nach Hause und hatte einfach das Gefühl, es wäre besser mal
nachzusehen", sagte er schulterzuckend. "Es ist nur ein paar Blocks
von meinem Heimweg entfernt, also... Stellen Sie sich meine Überraschung vor,
als ich die Haustür sperrangelweit und Mulder mit der Knarre in der Hand
vorfand."
"Walter, er ist davon
überzeugt, dass sie ihn deswegen wieder einsperren werden", sagte Scully
leise zu ihm. "Sie müssen ihn überzeugen, dass das nicht geschehen wird.
Er hat momentan so eine Angst, dass ich befürchte, dass er überhaupt nichts von
all dem hier mitbekommt."
Skinner drehte sich zu
Mulder, dessen vor Angst aufgerissenen Augen auf die beiden Polizisten
gerichtet waren. "Mulder", sagte er, doch er erhielt keine
Reaktion."
"Mulder!"
Mulder sah seinen Freund
verschreckt an.
"Es wird Ihnen nichts
passieren", sagte Skinner zu ihm, aber Mulder schüttelte vehement den Kopf
und schloss erschrocken die Augen.
"Sie werden mich
wieder da reinstecken, Walter", murmelte er. "Ich kann da nicht
wieder hin. Sie hätten mich nicht aufhalten sollen...."
"Nein, Mulder,
niemand wird sie einsperren", wiederholte Skinner standhaft.
Officer Waylon hob seinen Kopf.
"Sie müssen alle drei
mit auf die Wache kommen, ich brauche Ihre Aussage", sagte er zu Skinner,
der nickte.
"Ich verstehe,
Jack", erwiderte er, "aber Mulder hier befürchtet, dass er verhaftet
wird."
Jack Waylon
betrachtete die Szene, die sich vor ihm abspielte: den Mann, der mit
kreideweißem Gesicht und sichtbar zitternd an der Wand gelehnt stand, während
seine Frau, nur in einem Bademantel gekleidet, versuchte ihn zu beruhigen.
"Das bezweifele ich,
Mr. Skinner", antwortete er sicher. "Wir haben hier einen Typen, der
aus der U-Haft ausgebrochen ist, in dem er wegen Kidnapping war. Jemand, von
dem erwartet wurde, dass er hier auftaucht, jemand, der diesen Mann hier
bedrohte und der ihn zudem mehrfach angeschossen haben soll. Der versucht hat,
seine Frau zu vergewaltigen und sie mit einer Waffe bedroht... Ich denke, dass
die meisten Leute mir zustimmen, wenn ich sage, dass das, was Mr. Mulder getan
hat, Notwehr war."
"Haben Sie das
gehört, Mulder?" fragte Skinner ihn, nachdem er sich zu ihm umgedreht
hatte. "Wir werden auf die Wache gehen und unsere Aussage aufnehmen lassen,
aber sie *werden nicht* verhaftet, haben Sie mich verstanden?" Er
schüttelte Mulders Arm etwas, um seine Worte zu untermalen.
Mulder nickte unmerklich,
doch er war immer noch nicht überzeugt. Er erwartete, jeden Moment in
Handfesseln gesteckt zu werden und war umso mehr erleichtert, als er etwa eine
halbe Stunde später zwischen Skinner und Scully in den Streifenwagen gesteckt
wurde. Scully hielt seine Hand in ihren Händen, und er erwiderte den sanften
Druck. Ihm war eiskalt und er war froh über ihre Wärme. Skinner berührte ihn
nicht, doch auch seine bloße Anwesenheit verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit.
Wenn sie ihn schließlich doch festnehmen sollten, könnte Skinner ein gutes Wort
für ihn einlegen, überlegte er, und vielleicht würde er es ein wenig einfacher
haben.
Sie fuhren gerade von
seinem Haus weg, als ein Krankenwagen und zwei weitere Polizeiwagen eintrafen.
Mulder sah den blinkenden Lichtern so lange nach, bis sie in der Ferne
verschwanden, dann drehte er sich um und machte es sich bequem. Jetzt brach
sein Herz, während er da zwischen seiner Frau und einem guten Freund saß. Er
hatte alles erreicht, erinnerte er sich traurig. Das erste Mal in seinem Leben,
für einen winzigen schmerzvollen Moment, hatte er alles, das er sich je
gewünscht hatte.
Bis das Zwielicht gefallen
war.
Epilog
Tagebuch des Fox Mulder
Es ist jetzt ein Jahr her.
Genau ein Jahr seit dem Tag, an dem ich von dort weg gegangen bin. Skinner
hatte mich praktisch jeden Schritt von da wegziehen müssen. Ein Jahr, seitdem
ich Angst gehabt hatte, irgendjemandem in die Augen zu sehen, weil ich
überzeugt war, dass alle, die mich trafen mich bestrafen wollten. Ein Jahr,
seitdem mein Leben neu begonnen hat. Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass
ich soweit gekommen bin. Aber ich bin,
um eine alte Redensart zu verwenden, noch lange nicht unter der Erde.
Wenn das Leben die Summe
aller unserer gemachten Abenteuer wäre, hätte ich wohl für zehn Menschen in
meinen vierzig-und-noch-was Jahren gelebt. Abenteuer ist für mich irgendwie ein Schimpfwort
geworden, und trotzdem habe ich keine Wahl. Ich muss weiter machen, darf mich
nicht unter kriegen lassen. Herausforderungen entgegentreten und mehr solcher
Abenteuer durchstehen. Scully sagt mir immer wieder, dass wenn ich auch nur
denke, anders als so leben zu wollen, würde sie mich dafür büßen lassen. Und
diese Frau mit dem Temperament kann einem schon Angst einjagen. Wenn ich mich
jetzt umbringen wollte, hätte ich keinen Zweifel daran, dass sie es schaffen
würde, meine Seele zu finden und ihr ganz schön den Marsch zu blasen.
Glücklicherweise habe ich
keinen solchen Todeswunsch mehr.
Ich war vor lauter Angst
fast in einem katatonischen Zustand, als ich auf dem
Rücksitz des Polizeiwagens gesessen habe, nachdem ich den Hurensohn erschossen
hatte, der versucht hatte, unser Leben zu zerstören. Das letzte Mal, das ich in
einem solchen Wagen gefahren war, war es mein Weg in die Hölle gewesen, die
kein vernünftig denkender Mensch je erfahren sollte. Ich war mit so sicher
gewesen, dass ich nun auch auf dem Weg zu diesem Leben war, und ich habe mich
über Skinner und Scully geärgert, die rechts und links neben mir gesessen haben
und meine sichere Flucht verhindert hatten.
Also saß ich wie ein Stein zwischen den beiden, weil ich fürchtete, dass
ein Wort oder eine Bewegung etwas in mir loslösen und mich in eine schreiende
und tobende Furie verwandeln würde. Ich blieb in diesem Zustand, bis sie mich
an einen Tisch dem Officer gegenüber setzten, der
meine Aussage aufnehmen sollte. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, und
betete zu Gott oder irgendeinem Gott, der gerade zuhörte (ich war nicht
wählerisch), dass sie meine Geschichte glaubten. Ich wollte es ihnen erklären,
kühl und nüchtern, warum ich Morrow eine Kugel in seinen Kopf gejagt hatte,
doch zu meinem großen Schrecken bracht ich nichts weiter als irgendwelche
erstickten Schluchzer von mir. Ich gab's schließlich auf, vergrub meinen Kopf
in meinen Armen und ließ mich gehen. Ich hätte diese gewaltsame Welle von
Emotionen sowieso nie im Leben aufhalten können, selbst wenn ich es gewollt
hätte. Am Ende mussten sie Jess rufen, die aus ihrem
Abendessen gerissen wurde, um mich zu beruhigen. Nach einer halben Stunde hatte
sie es mit milden, beruhigenden Worten geschafft, mich soweit zu beruhigen,
dass ich die Geschehnisse soweit rekonstruieren konnte, wie ich sie erlebt
hatte. Scully und Walter füllten die Lücken.
Und dann sagten sie mir,
dass ich gehen könne. Sie mussten es mir drei Mal sagen, bevor ich es ihnen
geglaubt habe.
Wir haben nie
herausgefunden, wie Morrow an all den Sicherheitsvorkehrungen vorbeikommen
konnte, die die Schützen an unserem Haus aufgestellt hatten. Sie sind sie noch ein paar Mal durchgegangen,
wissen aber keinen Deut mehr. Vermutlich
werden wir es nie erfahren. Ich hoffe, dass niemand anderes das System so
austricksen und einbrechen kann, aber soweit ich weiß, gibt es da draußen keine
Verrückten mehr, die es ausgerechnet auf uns abgesehen haben. Wenn nicht gerade jemand, den ich irgendwann
mal eingebuchtet habe, ausgebrochen oder freigelassen worden ist und Rache üben
will. Hey, das ist kein Ding der Unmöglichkeit, das ist schon mal passiert,
aber deswegen kriege ich lange noch keine schlaflosen Nächte. Das Leben ist
dafür viel zu kurz.
Scully hat mich gefragt,
nachdem wir an dem Abend wieder zu Hause waren und ich immer noch über meine
Schulter geguckt habe, weil ich jeden Moment die Polizei mit einem Haftbefehl
vor meiner Türe erwartet hatte, woher ich gewusst hatte, dass ich das Haus
besser leise und mit gezogener Waffe betreten sollte. Sie war verwundert über
meine Antwort, weil ich gesagt hatte, dass es nur eine Kleinigkeit gewesen war,
aber von der Sorte, die mir immer aufgefallen war. Es war die Post. Wenn Scully
tagtäglich nach Hause kommt, öffnet sie die Tür, hängt ihren Mantel auf, stellt
ihre Handtasche weg und geht zurück nach draußen um die Post aus dem
Briefkasten zu holen. Als ich an dem Abend nach Hause gekommen war, stand ihr
Wagen in der Auffahrt, aber die Post war noch immer im Briefkasten. Ich wusste,
dass irgend etwas passiert sein musste, doch Zachary Morrows Arme um meine fast
nackte Frau vorzufinden, hatte ich nicht gerade erwartet. Ehrlich gesagt hatte
ich angenommen, dass sie wieder verschwunden sei—entweder das oder tot auf dem
Boden und die nächste Kugel für mich bestimmt. Die beiden in dieser Position zu
finden war schon ein kleiner Schock für mich, aber ich hatte wieder gelernt,
ihr zu vertrauen—wenn ich es überhaupt jemals aufgehört hatte. Scully war
natürlich wütend und verlegen zugleich, aber sie hatte wieder einmal Morrows
Spiel scheinbar mitgespielt, um ihr eigenes Leben zu retten, worüber ich
überaus dankbar bin. Das Leben, das sie gerettet hatte, bedeutet mir sehr viel.
Und was mich betrifft,
tja, das Leben ist schön. Das ist eine Phrase von der ich nie gedacht hatte,
dass ich sie mal auf mich beziehen würde, und während sicherlich nicht jede
Falte wieder gerade gebügelt ist, sind sie alle auf dem Wege ausgemerzt zu
werden. Emmie ist nun fast offiziell unsere eigene Tochter, denn dem steht
nichts weiter als ein paar Formalitäten im Wege, von denen unsere Anwälte uns
versichern, dass wir uns darüber keine Sorgen zu machen brauchen. Geld regiert
letzten Endes scheinbar doch die Welt, und die Tatsache, dass Scully mit Emmies
leiblichem Vater verheiratet war, bringt uns eine Menge Pluspunkte ein. Das
andere Ehepaar, das versucht hatte, sie zu adoptieren, wird nicht gewinnen,
denn uns kommt außerdem noch zugute, dass das Gericht uns das vorübergehende
Sorgerecht zugesprochen hatte, bis sie die Entscheidung treffen würden. Sie
wohnt hier, und ich bin fest entschlossen, das auch dabei zu belassen. Jetzt
möchte sie einen Hund haben.
Morrows Eltern hatten sich
anfangs nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden können, dass ihre
Enkeltochter bei uns bleibt, doch sie hatten sich schließlich überzeugt gezeigt
und unterstützen uns jetzt wo sie nur können. Besser die Mulder-Familie als
völlig Fremde, nehme ich an. Sie sind eigentlich ganz nett, ausgenommen die
Tatsache, dass ihr einziger Sohn nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
Trotzdem sie ihn sehr geliebt hatten, waren sie nie blind gewesen wenn es um
seine Schwäche ging. Und ganz nebenbei haben sie meine Frau sehr lieb gewonnen.
Scully hat ihre Arbeitsstunden
auf zwanzig pro Woche geschraubt, um, wie sie es ausdrückt, der 'Mami-Kiste'
nachzukommen, weil das immerhin die einzige Chance ist, die sie je haben wird.
Emmie geht seit diesem Herbst in die Schule, und ich schreibe es hier nur unter
Nichtbeachtung jeglicher Bescheidenheit, dass sie ihren Mitschülern bereits
jetzt schon um Längen voraus ist. Ich persönlich denke, dass sie mindestens die
erste Klasse überspringen sollte, aber Scully will deswegen nicht mit den
Lehren darüber sprechen. Sie glaubt, dass ich einfach viel zu stolz auf sie
bin, und sie hat wahrscheinlich recht. Ich liebe die Kleine, als ob sie unsere
eigene Tochter sei, und ich hoffe, dass sie schon bald für den Rest ihres
Lebens den Namen 'Mulder' trägt. Das war etwas, womit wir ihre Großeltern nur
sehr vorsichtig entgegen getreten sind, denn wir fürchteten, dass sie darauf
bestünden, dass Emmie weiter 'Morrow' hieße. Trotzdem wir das Recht dazu haben,
hätten wir nie gegen ihren Willen die Namensänderung durchgezogen. Wie ich schon sagte, es sind sehr nette
Leute, und für Emmie bedeuten sie die Welt. Wir haben uns schließlich auf
Emmaline Renee Morrow Mulder geeinigt. Wir können
letztendlich nicht einfach so tun, als hätte es ihren Vater nie gegeben.
Mr. Morrow hatte uns beide
mit ein wenig Traurigkeit angesehen, als wir dieses Thema anschnitten, und mit
sichtbaren Tränen in seinen Augen hatte er sich gewünscht, dass Emmie nicht den
Namen tragen solle, den ihr Vater beschmutzt hatte. Er hatte gesagt, dass der
Name 'Mulder' ihm als ein guter erschien, und er würde stolz sein, wenn man
seine Enkeltochter unter diesem Namen kannte. Ich musste bei dieser Aussage
natürlich schlucken, und meine jederzeit verständnisvolle Frau hatte sich
augenblicklich aus ganzem Herzen bei den beiden bedankt und mich da raus
geschafft, bevor es sehr peinlich für mich werden würde. Gott—ich liebe diese
Frau.
Es ist schon seltsam,
nicht? Wie viele Katastrophen sich in unserem Leben abspielen mussten, bevor wir uns endlich eingestehen
konnten, dass wir uns lieben? Und dann sogar gleichzeitig, anstatt dass der
eine liebt und der andere weg läuft. Aber das ist etwas, wovon Skinner immer
schon gesagt hatte, dass es ein Spiel sei, das wir seit jeher gespielt haben.
Das hatte er Jess auch gesagt. Sie hatte nur gelacht
und gesagt, dass niemand auf der Welt mehr Talent zu einem solchen Spiel hätte,
wie die Mulder-Familie, und dass wir in der nächsten Sitzung darauf eingehen
würden. Jess ist übrigens auf dem besten Wege, Mrs.
Walter Skinner zu werden, wenn Sie mich fragen, obwohl Walter darauf besteht,
dass sie nur hin und wieder miteinander ausgehen. Sie gehen allerdings ziemlich
oft 'hin und wieder' zusammen aus.
Letzte Woche ist er mindestens drei Mal (von denen ich weiß) mit ihr weg
gewesen, und weil ich glaube, dass er mir nicht jedes Mal verrät, glaube ich,
dass es in Wirklichkeit um die fünf Mal gewesen ist. Nach Außen hin mag er
vielleicht protestieren, aber Jess hat Pläne mit ihm.
Ich kann es in ihren Augen lesen. Es ist schön, ihn endlich glücklich mit
jemandem zu sehen—er war seit seiner Scheidung vor vielen Jahren immer alleine
gewesen.
Vor vielen Jahren... nein.
Ich habe absolut nicht vor, mich heute wieder in sentimentalen Erinnerungen zu
verstricken. Scully war wie auf Eierschalen herum gelaufen und hatte versucht,
mich nicht durch irgendetwas daran zu erinnern, was das heutige Jubiläum
bedeutete—als ob ich das je vergessen könnte. Wie sehr ich diese Erinnerung
auch verschmähen will, ich kann es nicht. Jess hat es
geschafft mich von etwas zu überzeugen, dass mir schon die ganze Zeit klar
gewesen war—ich muss die Erinnerungen meistern, bevor sie mich meistern.
Heute Morgen habe ich
schließlich den Nerv aufgebracht, in Scullys alte Wohngegend zu fahren und habe
dann in einem Anfall von Selbstbewusstsein meinem früheren Vermieter, Mr.
Perrino, einen Besuch abgestattet. Er hat sich wie das letzte Mal auch sehr
gefreut, und ich war stolz auf mich, weil ich lediglich einen klitzekleinen
Stich schmerzhafter Gefühle empfunden hatte. Die damalige Zeit schien nun so weit
von dem Mann entfernt zu sein, der ich jetzt bin, dass es mir jetzt fast so
vorkommt, als hätte ich sie nur geträumt.
Ich habe den alten Raucher
wieder getroffen, und zwar vor ein paar Wochen, als ich mit Walter im Hoover
Gebäude zu Mittag gegessen hatte. Er hatte draußen an dem Büro an der Wand
gelehnt, in dem Kersh einmal gearbeitet hatte—ich
kann mich nicht mehr an den Namen des neuen Assistant Direktor erinnern—und als
ich an ihm vorbei gegangen bin, hatte er wieder eines seiner berühmten
unheilvollen Lächeln gelächelt. Mit meiner neu gefundenen Zuversicht bin ich
geradewegs auf ihn zugegangen und habe ihm eine Frage gestellt, die mir schon
seit Wochen auf der Seele gebrannt hatte.
"Warum", habe
ich gefragt, "haben Sie mich gewarnt, dass Morrow aus dem Gefängnis
ausgebrochen ist? Welchen Nutzen haben Sie daraus gezogen?"
Er hatte mich eine lange
Zeit nur angestarrt, und zuerst habe ich gedacht, dass er mir nicht antworten
würde. Ich wollte gerade wieder gehen, als er in seine Manteltasche griff und
eine Packung Zigaretten hervorholte. Er senkte seinen Blick, als er sprach.
"Ich bin ein alter
Mann, Fox", sagte er leise und hatte einen sehnsüchtigen Blick in den
Augen, als er mich wieder ansah. "Ich habe Dinge getan, auf die ich nicht
unbedingt stolz bin. Doch alles, was ich gemacht habe, hatte einen Grund. Ich
kenne Sie seit Ihrer Geburt. Ihr Vater war ein Freund von mir, als wir noch
junge Männer waren." Er zuckte beiläufig mit den Schultern. "Ich habe
keinen Grund darin gesehen, dass Morrow Ihr Leben ruiniert, jetzt, wo Sie sich
niedergelassen hatten und glücklich waren."
Er nahm einen Zug von dem
verfluchten Krebs-Stengel und ich glaube, mein Kinn
ist auf den Boden gefallen, als ich seine nächsten Worte hörte.
"Es gibt viel zu
wenig Glück auf dieser Welt. Sie sollten Ihres ergreifen, solang Sie die
Gelegenheit dazu haben."
Er zwinkerte mir zu—ja,
das ist wahr, er *zwinkerte* mir wirklich zu! -- und ging weg. Ich stand nur da
und starrte hinter ihm her wie ein Bescheuerter. Ich stand ein paar Minuten später
immer noch da, als Walter mich fand.
"Was tun Sie hier,
Mulder?" fragte er ganz baff. Ich sollte ihn eigentlich in seinem Büro
treffen, aber jetzt hatte er nach mir gesucht.
Ich schüttelte konfus den
Kopf, lachte nur etwas und sagte ihm, dass ich glaubte, eine Fatal-Morgana
gesehen zu haben. Mir fiel auf, dass obwohl der Raucher vor fünf Jahren mein
Leben fast kaputt gemacht hatte, er letztendlich darauf geachtet hatte, unser
beider Leben zu retten. Wir hätten es vielleicht auch ohne seine Warnung über Morrows
Ausbruch geschafft, aber nur vielleicht. Ich wäre an jenem Tag in mein Haus
gegangen, hätte mich über die Post gewundert, aber trotzdem keinen Verdacht
geschöpft. Und Morrow hätte uns beide umgebracht.
Ich habe mit Vergnügen
Walters Bemühungen gesehen, nicht die Augen zu verdrehen, als ich die Sache mit
der Fatal-Morgana gesagt hatte. Das hatte er immer getan, als ich noch für ihn
gearbeitet hatte.
Ich habe mich
entschlossen, mich nicht weiter darum zu scheren—der Raucher, das Konsortium,
sogar die Kolonisation. Lass einfach irgendwen anderes den Kampf um das Gute
kämpfen. Sie haben ihn schließlich schon Jahre lang gekämpft. Laut Skinner gab
es Fortschritte bezüglich ihrer Versuche, den Aliens
zu widerstehen, die die Erde regieren wollten, also gab es vielleicht Hoffnung
für die Zukunft. Der Unterschied ist nur, dass diese Hoffnung nicht an mir
steht oder fällt, und so wünsche ich es mir auch. Ich will nicht mehr Teil von
all dem sein, denn ich will all meine Energie jetzt in andere Dinge stecken.
Es ist lustig, wissen Sie.
Vor einem Jahr hatte ich alles verloren. Der Krebskandidat hatte es geschafft,
mich vollkommen auseinanderzunehmen, aber nachdem ich mich wieder
zusammengerauft hatte, bin ich glücklicher als je zuvor. Ich habe erkannt, dass
das Einzige, das wirklich zählt, die Gelegenheit ist, mit den Menschen zusammen
zu sein, die man liebt. Ich verfolge jetzt vielleicht nicht mehr so hohe
Ideale, doch ich lebe das erste Mal wirklich mein Leben—wie viele Tage oder
Jahre ich davon noch übrig habe, ich lebe jede Minute meines Lebens. Ich freue
mich so sehr über meine Frau, meine Tochter, meine Studien, und verdammt noch
eins, ich freue mich auch über mein Geld.
Es ist toll, König zu
sein.
ENDE