WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 1/9

(Originaltitel: Ahead Of Twilight)

 

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. < hadyoubigtime@netcologne.de >

*** überarbeitet 2017 ***

 

2.  März 1999

 

Klassifikation: S, A, MSR

Disclaimer: Wenn Fox Mulder mir gehören würde, würde ich ihn mit anderen Dingen beschäftigen als mit dem Lösen von Fällen. Wenn Dana Scully mir gehören würde, würde ich immer mit ihr shoppen gehen. Ich kann auch weder Skinner noch die Schützen mein Eigen nennen oder irgendjemand anderes, den Ihr wiedererkennt. Sie gehören alle Chris Carter, 1013, Fox Broadcasting und all den anderen glücklichen Gestalten.

Spoiler: Alles bis zu Biogenesis kommt hin.

Ein GROSSES Dankeschön an meine schon-ewig-leidende beta-Leserin, Julie, die die Geschichten verständlich macht, und die praktisch die Szene mit Mulder, Byers und Skinner allein geschrieben hat, aber dann auf Co-Autor Rechte verzichtet hat.

Wertung: R für Sprache.

WARNUNG: Tod einer Figur.

ZUSAMMENFASSUNG: Mulders Leben hat sich unwiderruflich verändert und jetzt muss er auf Skinners Hilfe hoffen, sich von einem schrecklichen Fehlurteil zu erholen.

 
 

Das Urteil war schnell gefällt, nachdem die Jury nur drei Stunden für ihre Entscheidung gebraucht hatte. Ein Bundesagent war des Mordes beschuldigt worden. Es war klar, dass dieser Fall alle Schlagzeilen in den Zeitungen und jede Nachrichtenstation füllen würde.

Reporter des ganzen Landes standen dicht gedrängt im Gerichtssaal, alle Augen auf einen Mann gerichtet, der bewegungslos da stand und Angst hatte zu atmen, während er auf sein Urteil wartete. Heute würde er erfahren, was aus ihm geworden war. Der Moment war gekommen, in dem ihm sein ganzes Leben aus den Händen gerissen wurde.

Bis jetzt hatte er noch Hoffnung gehabt, dass sie ihm einfach nur eine Heidenangst einjagen wollten—es war immerhin nicht das erste Mal, dass er verarscht worden war—aber jetzt war das letzte Krümelchen Hoffnung geschwunden. Das Urteil stand, und als es mit tonloser, gelangweilter  Stimme vorgelesen wurde, brach die ganze Welt über ihm zusammen. Endlich verstand er, dass sie viel zu mächtig waren und er ein Nichts war. Jemals anders gedacht zu haben, war ein idiotischer Fehler gewesen.

Seine Schultern zuckten, als der Richterhammer fiel und sein Leben endete.  Von jetzt an war das Leben da draußen für ihn nichts weiter als kalte Existenz. Es würde selbstverständlich Einsprüche geben, aber Mulder wusste tief in seinem Innern, dass es vorbei war. Er war jetzt ein toter Mann, obwohl sein Herz in seiner Brust die kommenden Jahre weiter schlagen würde.

Es war einfach passiert, aber nicht urplötzlich. Die Zeit hatte sich seit Monaten unerbittlich bis zu diesem Moment geschleppt, aber erst jetzt erkannte er, als er der Realität ins Auge blickte, dass er nie wirklich an diesen Moment geglaubt hatte.

Schuldig.

Schuldig des Mordes.

Es kam ihm vor, als ob sich die ganze Welt um ihn herum schwarz färbte, als sich sein Blickfeld zu einem schmalen Streifen verengte, der auf dem Richterhammer endete. Wie konnte das passieren? Wie konnte sein Leben jetzt schon vorbei sein? Es war allen egal, dass er unschuldig war. Der Richter würde alles sagen, was 'Die' ihm befahlen und 'Die' hatten ihn zu Lebenslänglich verdammt. 'Die' würden ihn nicht einfach so umbringen. Wo war da der Spaß? 'Die' wollten, dass er litt. Und welcher Weg war wohl einfacher und besser, dieses Ziel zu erreichen, als ihn in Ketten zu legen und abzuführen, weg von seiner Familie, seinen Freunden und der Welt, die er nie wieder sehen würde?

Eine Hand berührte seinen Arm und er drehte sich um, immer noch unter Schock, um dem Menschen ins Gesicht zu sehen. In ihren Augen standen die Tränen, die sie hier vor all den Reportern und Schaulustigen nicht vergießen wollte, und ihr Gesicht war ein Spiegelbild ihrer Qualen—genau wie seines.

Wortlos legte sie ihre Arme um seine Hüften und ihren Kopf auf seine Brust.  Benommen wollte er seine Hände heben, um sie zu umarmen doch er fühlte den Widerstand, als sie hinter ihm zusammengehalten wurden.

Jetzt schon? Sie wollten ihn jetzt schon abführen? Aber er hatte doch noch keine Gelegenheit gehabt.....

Bevor er überhaupt seinen Gedanken beenden konnte, fesselten sie seine Hände hinter seinem Rücken; das scharfe Zuschnappen des Metalls ließ sie beide zusammenfahren. Das eiskalte Messer der Wirklichkeit durchschnitt Mulders Seele. Es war seine allerletzte Gelegenheit gewesen, sie zu umarmen, und er hatte sie verstreichen lassen. Stolpernd, und für einen Moment widerstehend, versuchte er soweit zu Atem zu kommen, um nach ihr zu rufen.

 

"Scully..." murmelte er, als sie ihn bei den Armen nahmen und ihn grob wegführten. Seine Füße wollten dem Pfad nicht folgen, den die Männer für ihn bestimmt hatten, um ihn zu zermürben. Er fand mit einem Mal wieder seine Stimme, als er immer weiter weg von ihr gedrängt wurde. "Scully!" rief er, und wollte sich seinen Weg zu ihr erkämpfen. Die beiden bulligen Wärter rissen ihn zurück und schleiften ihn auf die Tür zu, als hinter ihm der ganze Gerichtssaal laut wurde. Sie erreichten den Ausgang und er schaffte es noch einmal, soweit von ihnen loszukommen, dass er einen letzten Blick auf die Frau werfen konnte, die ihm alles bedeutete.

Eine einzelne Träne entwich ihr, die ihm auf ihrem Weg über ihre Wange das Herz brach. Skinner spürte, dass sie Trost brauchte und legte einen Arm um ihre Schulter. Mulder sah zu, wie er sie weg führte.

Sein Atem ging heftig und flach und der Schmerz in seiner Brust war am Rande der Unerträglichkeit, doch Mulder warf noch einen Blick in den Saal.  Das letzte Bisschen Freiheit. Der letzte Mensch, den er sah, bevor die Tür sich hinter ihm schloss, war der Raucher, der am Richtertisch lehnte und sich gemächlich eine seiner Höllen-Zigaretten anzündete. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment und der alte Mann lächelte, nickte Mulder zu. Mulder wandte seinen Kopf und alles wurde ihm entrissen.

 
 

Vier Jahre später

 
 

Die Freiheit hat schon was Seltsames an sich, dachte Mulder, als er zusah, wie sich die Szene vor ihm abspielte. Man kann sie nie für selbstverständlich nehmen. An einem Tag hat man sie, und am nächsten Tag kann man sie schon wieder verlieren, sie wird einem einfach ohne Vorwarnung genommen. Für ihn hatte es alles mit einem Hämmern an der Tür angefangen. Die Polizei hatte an einem späten Abend mit einem Haftbefehl gegen ihn Einlass verlangt. Er würde nie die nackte Angst vergessen, die ihn befiel, als sie ihm Handfesseln umlegten und ihn aus dem Haus in den Streifenwagen begleiteten. Trotzdem er wusste, dass er unschuldig war, hatte er Angst gehabt. Er hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt. Irgendwie hatte er geahnt, dass das hier mehr war, als nur ein belangloses Missverständnis.

Die folgenden Wochen und Monate hatte er wie durch einen Schleier erlebt.  Er musste lange Zeit sinnlos eingesperrt in einer Zelle eines kleinen Gefängnisses verbringen. Mulder wusste, dass ein harter Kampf um seine Freiheit außerhalb dieser Mauern stattgefunden hatte, aber in seiner drei mal drei Meter großen Welt konnte er nichts dazu beitragen. Die Zeit war viel zu langsam für ihn hingekrochen. Sie war wie ein Herzschlag, der mit jeder Sekunde wertvolles Leben verlor, langsamer und langsamer und langsamer, bis zu dem Tag, an dem im Gerichtssaal das Urteil verlesen wurde und die Kraft des Lebens völlig versiegte.

Die nächsten vier Jahre würde er damit verbringen, den Rest seiner Zeit auf Erden zu vergessen. Ein Großteil der Tage (eintausendsiebenhundertunddrei, rechnete Mulder) war in relativer Finsternis vergangen, zu viele in Abgeschiedenheit—zum Teil, um ihn zu schützen, zum Teil weil Mulder, der ohnehin nicht gerade von gehorsamer Natur war, herausgefunden hatte, dass

es ohne Hoffnung auf Entlassung keinen Unterschied machte, ob man sich an Regeln hält oder nicht. Er arbeitete von Zeit zu Zeit wie er sollte, um ein wenig von den Leuten wegzukommen. Es wäre vielleicht quälend einsam gewesen, aber es war besser für ihn so. Als Bundesagent einzusitzen war keine schöne Sache. Da würde ihm jeder zustimmen. Trotz dieser Sicherheit gab es Nachteile. Die Tage in Isolation hatten sich sogar noch langsamer dahin geschleppt und Mulder hatte festgestellt, dass sein Leben zwar zu Ende war, seine Existenz sich aber weiter quälte.

Eine vierundzwanzigstündige Periode hängte sich unmerklich an die nächste, jede verschmolz unumgänglich mit der nächsten und der nächsten, bis Mulder sich vorkam, als ob man ihn aus dem Leben in die Hölle gestoßen hätte, in der es den Tod als Ausweg nicht gab. Ein Moment zog sich erbarmungslos in den nächsten - Zeit, die ihn mit ihrer Hartnäckigkeit folterte und ihm zusetzte. Er war sich sicher gewesen, dass er im Gefängnis nicht überleben würde, und er hatte Recht behalten. Der einzige Faktor, mit dem er sich verschätzt hatte war, wie lange ein Organismus brauchte um zu sterben, wenn die Seele aufgegeben hatte.

 

Einige Momente der vierjährigen Monotonität hatte er immer noch kristallklar vor Augen, und das waren genau die Momente, die Mulder für alle Ewigkeiten aus seinem Gedächtnis verbannen wollte. Fragmente von ihnen drängten sich immer noch in sein Bewusstsein, in einer Serie von Standbildern—Erinnerungen, wie er von einem anderen Häftling gefesselt wurde, während ihm ein Wärter die Seele aus seinem Leib prügelte; wie zwei der schlimmsten Mörder, die er je erlebt hatte, ihn während einer Übung in die Ecke getrieben hatten… wie er an der Betonwand der Zelle festgesetzt wurde… als er verzweifelt versuchte, sich herauszuwinden, während…… Er verdrängte diese Erinnerung wie ein Dutzend ähnliche. Es hatte keinen Sinn, diese Torturen noch einmal durchzustehen. Es war vorbei. Er war ein freier Mann.

Mulder warf Skinner einen Blick zu, der hinter dem Steuer saß. Der ältere Mann erhaschte ihn und lächelte. Mulder starrte ihn verblüfft an. Skinner konnte lächeln? Er war sich sicher in all den Jahren, in denen er für ihn gearbeitet hatte, er diese Lippen nie anderes gesehen hatte als fest zu einer Linie zusammengepresst bei Gelegenheiten, in denen er ihn zur Sau gemacht oder Kommentare über seine und Scullys neueste Eskapade zurückgehalten hatte. Nicht, dass Skinner je einer gewesen war, der viel zurückgehalten hatte, grübelte er und seine Gedanken drifteten zu Scully.  Er war in den letzten anderthalb Jahren gut darin geworden, jegliche Gedanken an sie zu vermeiden -- (vierhundertvierundneunzig Tage, flüsterte sein Unterbewusstsein), und obwohl er wusste, dass er jetzt nach seiner Freilassung um das Thema 'Scully' nicht herumkommen würde, schien es im Moment einen auszeichnete Idee, es fürs erste zu vergessen. Später hatte er noch genug Zeit, sich darum zu kümmern. Im Moment war er zu genüge damit beschäftigt sich zu erinnern, wie sich Freiheit anfühlte.

Sie näherten sich jetzt einem dicht bewohnten Gebiet, in dem Geschäfte und Restaurants die Aussicht zierten, und Mulder ertappte sich dabei, wie er sich die Menschen ansah—er suchte Gesichter, die nicht von den Strapazen gezeichnet waren, die seine Mitgefangenen in den letzten Jahren erleben mussten. Mütter mit kleinen Kindern faszinierten ihn; er starrte schamlos aus dem Fenster und nahm die Eindrücke der Freiheit in sich auf.

"Haben Sie Hunger?" Skinners Stimme erschreckte ihn ein wenig. Mulder dachte über die Frage nach. Er konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, an dem er ein Hungergefühl verspürt hatte. Er hatte schon seit langem seinen Appetit verloren, und er war sich sicher, dass er nie wieder welchen bekommen würde. Doch er konnte nicht abstreiten, dass das Angebot von echtem Essen (Freiheits-Essen) sich nicht schlecht anhörte. Also nickte er und Skinner fuhr in die Einfahrt des nächsten Burger Kings. Als sie den Lautsprecher erreichten, in den man seine Bestellung sprechen konnte, warf Skinner Mulder einen Blick zu—er verstand, dass nach all den Jahren, in denen fast jede Entscheidung n von anderen für ihn getroffen worden war, Mulder jetzt beim besten Willen keine schnelle Wahl treffen konnte. Er bestellte zwei Burger, Pommes Frites und etwas zu trinken und rückte dann mit dem Wagen auf. Mulder lehnte sich währenddessen in seinem Sitz zurück, schloss die Augen und zog erwartungsvoll den Geruch ein, der durch das offene Fenster ins Auto strömte. Gerüche der Stadt. Die Abgase der Autos in der Warteschlange, und der alles übertrumpfende Lärm der Kinder auf dem Spielplatz. Mulder versuchte den Kloß in seinem Hals, der sich auf einmal gebildet hatte, herunterzuschlucken und hoffte, dass Skinner nicht gerade jetzt ein Gespräch mit ihm anfangen wollte.

Dem schien jedoch nicht so, und Skinner fuhr Stück für Stück weiter bis zum Ausgabefenster, bei dem er bezahlte und Mulder etwas Kaltes zu Trinken und eine wohlriechende Papiertüte reichte. Er nahm seinen eigenen Becher und stellte ihn in der dafür vorgesehenen Halterung vor ihm ab. Dann fuhr er langsam über den Parkplatz. Als er eine freie Parklücke direkt vor dem Spielplatz gefunden hatte, stellte er den Wagen ab und schaltete den Motor aus. Mulder öffnete die Augen, die bis jetzt geschlossen waren, als er den Duft des Fastfoods inhaliert hatte, und sah wie Skinner ihn fragend ansah.  Es war ihm peinlich, als er feststellte, dass er die Tüte fest an sich drückte, als ob er vermeiden wollte, dass jemand sie ihm wegnahm. Er hielt sie Skinner hin, der sich einen Burger und Pommes daraus nahm und sie dann zurückgab. Mulder nahm sich seine Mahlzeit und schob zögernd, aber froh wie ein Schneekönig die erste Pommes Frites in den Mund. Es gab nichts, entschied Mulder, das auch nur im Entferntesten mit Pommes und Burgern aus einem schmierigen Fastfood-Laden mithalten konnte.

 

Skinner hielt sich nicht lange mit seinem Essen auf, doch Mulder ließ sich Zeit und genoss es. Als sie fertig waren, sammelte Skinner den Müll auf und warf ihn in einen Papierkorb neben dem Auto. Als er sich wieder zu Mulder wandte, blickte dieser gedankenverloren auf die spielenden Kinder vor ihnen. Da war ein kleines Mädchen, ungefähr vier Jahre alt, mit rotblonden Haaren. Skinner seufzte innerlich. Er wusste, dass er sich quälte, weil er Scully einfach nicht loslassen konnte. Er fragte sich, wie lange ein Mann brauchen würde, um über die Frau hinwegzukommen, die er leidenschaftlich und mit all seiner Hingabe liebte—denn das empfand Mulder zweifellos für seine frühere Partnerin.

"Mulder", sagte er und fasste ihn leicht am Arm. Mulder drehte sich mit einem Blick zu ihm um, der dermaßen gequält aussah, was Skinner noch nie zuvor gesehen hatte. Er dachte, er hätte in Vietnam schon alles gesehen, doch damit lag er falsch. Kein Anblick traf ihn tiefer als der des blanken Schmerzes in diesen braunen Augen. Einen Moment später war er jedoch schon verschwunden, als Mulder Scully aus seinem Kopf verdrängte. Er konnte den Gedanken an sie jetzt nicht ausstehen. Er würde sich später damit auseinandersetzen.

Wortlos fuhren sie weiter. Nach einer halben Stunde wurde Mulder langsam müde. Er lehnte seinen Kopf auf die lederne Kopfstütze und merkte, dass er zum ersten Mal einschlafen konnte ohne fürchten zu müssen, im Schlaf weggeschleppt und... verletzt zu werden. Er blickte zu Skinner und ein seltsam ungewohntes Gefühl befiel ihn. Es war so lange her, dass er einen Moment brauchte, um zu erkennen, was es für ein Gefühl war.  Sicherheit. Es war ein Gefühl der Sicherheit. Bei Skinner fühlte er sich sicher.

 
 

Mulder erwachte mit einem Mal, als der Wagen zum Stehen kam. Perplex sah er sich in der Tiefgarage um. Skinner war bereits dabei, seine große Tasche aus dem Kofferraum zu ziehen, als Mulder zögerlich aus dem Auto stieg.

"Sir?" begann er stotternd, aber Skinner war anderer Meinung.

"Mulder, Sie arbeiten nicht mehr für mich, und Sie brauchen mich nicht so formell anzureden. Nennen Sie mich Walter." Er knallte den Kofferraum zu und schob Mulder in Richtung des Aufzugs.

"Wo sind wir, Sir—Walter?" fragte Mulder. Er hatte Mühe mit dieser ungewohnten Anrede. Er würde wohl etwas Zeit brauchen, bis es saß.

"Wir sind bei meiner Wohnung. Sie bleiben erst mal eine Weile bei mir, bis Sie wieder auf die Füße gekommen sind und das Geld erhalten haben."

Das Geld. Mulder wusste, dass er einiges geerbt hatte, als seine Mutter gestorben war—Scully hatte ihm bei einem ihrer letzten Besuche über den Willen seiner Mutter unterrichtet. Teena Mulder war zuversichtlich gewesen, dass Skinner und Senator Matheson irgendwann Erfolg haben und ihren Sohn aus dem Gefängnis holen würden, und hatte ihm all ihren nicht zu verachtenden Besitz hinterlassen. Sie hatte ihrerseits sowohl von ihren Eltern als auch von ihrem verstorbenen Mann Geld geerbt. Sie hatte jedoch ein bescheidenes Leben geführt, also hatte sich mit den Jahren durch Investitionen und Zinsen eine beträchtliche Summe angesammelt. Sie betrug, laut Scully, etwas über dreieinhalb Millionen Dollar. Mulder hatte das glatt umgehauen. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass seine Eltern oder Großeltern so reich gewesen waren. Sie hatten überhaupt nicht den Anschein gemacht, aber rückblickend konnte er sich an eine oder zwei Gelegenheiten erinnern, an denen sie sich etwas gegönnt hatten, was bei dem Einkommen seines Vaters kaum möglich gewesen wäre.

Er war überrascht gewesen, dass sie nichts für Samantha hinterlassen hatte.  Seine Mine verdunkelte sich, als er erkannte, dass seine Mutter zweifellos über einige streng geheime Dinge Bescheid gewusst hatte. Er fragte sich, ob es damit zu tun hatte, dass sie sich sicher gewesen war, dass Sam nie zurückkommen würde. Er fragte sich auch, ob seine Mutter mit Scully darüber gesprochen hatte.

Jetzt, wo er aus dem Gefängnis war, sollte ihm das Geld legal überwiesen werden. Allerdings nahm Mulder an, dass es wie so vieles andere im Rechtssystem eine ganze Weile dauern würde. Nach dem Geständnis des wirklichen Mörders hatte es Monate gedauert, bis Skinner und Matheson seine Freilassung durchgebracht hatten. Es war eine neue Verhandlung nötig gewesen, und obwohl sie rasch verlaufen war, sobald sie einmal in Gang gesetzt war, hatten sie sich auf den Kopf stellen müssen, um sie erst einmal einberufen zu lassen. Mulder schien es, als ob das Rechtssystem nur widerwillig jemanden wieder loslässt, den es erst einmal eingekerkert hatte -- als ob man sichergehen wollte, dass dieser Jemand hundertprozentig etwas Unrechtes getan hatte und dementsprechend genau dort war, wo er hingehörte.

Mulder lag nicht sehr viel daran, mit einem Mal so viel Geld zu bekommen, aber während der Zeit, in der er sich entschied, was er mit dem Rest seines Lebens anstellen sollte, würde er Mittel brauchen um zu leben. Er konnte nicht wieder zurück zum FBI, das war klar. Irgendwie hatte Mulder seine Zweifel daran, dass das Bureau ihn wieder einstellen würde, trotzdem seine Unschuld bewiesen worden war. Und er war sich nicht sicher, ob er überhaupt zurückgehen wollte. Es würde nicht dasselbe sein ohne Scully.

Nichts war dasselbe ohne Scully.

Er folgte Skinner in den Aufzug und sie fuhren wortlos bis in den siebten Stock, wo sie ein menschenleerer Flur erwartete. Skinners Wohnung war nur ein Stück den Gang hinunter. Er schloss die Tür auf und ließ Mulder herein.  Mulder war ziemlich beeindruckt, dass die Wohnung seines früheren Chefs groß, geräumig und eigentlich ganz ordentlich und einladend war.

Skinner sah Mulder seine Überraschung an. "Eine Haushälterin kommt zweimal die Woche hierher." Skinner hängte seinen Mantel an den Haken hinter der Tür, als Mulder immer noch unschlüssig in der Tür stand.

Er gehörte nicht hierhin. Er gehörte nirgendwo hin. Es stimmte ihn missmutig, dass Skinner so viel dran setzen musste, um ihn aus dem Knast zu holen und jetzt wusste er nicht wohin er sollte. Er räusperte sich, "Si—

Walter, ich weiß nicht..."

"Was ist, Mulder?" fragte Skinner und sah ihn fragend an. Er wusste, dass es in der ersten Zeit sehr schwer für Mulder sein würde, und er hätte nicht im Traum daran gedacht, ihn in dieser Situation allein zu lassen. Er hatte genug in Mulders Freilassung investiert, um sich jetzt nicht für seinen ehemaligen Agenten verantwortlich zu fühlen.

"Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen", sagte Mulder mit gesenktem Blick und einer Stimme, die gerade etwas lauter als ein Flüstern war.

Skinner betrachtete den gebrochenen Mann vor ihm und wollte diejenigen auf der Stelle umbringen, die den willensstarken Menschen zerstört hatten, der Mulder einmal gewesen war. Eine Welle purer, blinder Wut durchfuhr ihn und er atmete tief durch, um sich im Zaum zu halten. Mulder brauchte jetzt keine Wut, es würde ihm nur Angst machen. Skinner musste jetzt ruhig und gelassen sein, so ruhig und gelassen wie er nur sein könnte. Sogar wenn der Drang ihn fast verbrannte, dem Raucher und allen anderen, die für Mulders Gerichtsverhandlung verantwortlich waren, ein für alle Male einen Strick um den Hals zu legen und ihn langsam Stück für Stück zuzuziehen.

"Sie sind keine Last, Mulder. Ich freue mich sogar über ein wenig Gesellschaft. Ich habe ein Gästezimmer mit Bad, also ist es nicht so, dass wir uns auf der Pelle hocken werden." Er hob Mulders Tasche auf. "Jetzt kann ich wenigstens mit jemandem samstagabends Football gucken", rief er über seine Schulter, als er den Flur herunter ging. Mulder folgte ihm nach kurzem Zögern, weil er nicht wusste, was er sonst machen sollte.

Sie gingen in das Gästezimmer, das Mulder wie benommen in Augenschein nahm. Einige seiner Sachen waren bereits hier—Bücher, persönliche Gegenstände, sogar sein Computer. Er war vollkommen geplättet, als er sah, wie viel Skinner augenscheinlich daran lag, dass er es hier gemütlich hatte. Es war offensichtlich keine Entscheidung von jetzt auf gleich gewesen. Skinner hatte genug Zeit gehabt, es sich anders zu überlegen und etwas anderes für ihn beschaffen können. Vielleicht hieß das ja, dass Skinner wirklich seine Gesellschaft wollte. Das Gefühl, erwünscht zu sein, war völlig neu für ihn.

Skinner warf seine Tasche auf das Bett und öffnete sie. "Ich habe heute Morgen einige Ihrer Sachen aus ihrem Bekleidungsbestand geholt", erklärte er. "Sie sind vielleicht ein wenig groß, bis Sie wieder etwas zunehmen, aber sie sind besser als das." Er deutete auf das nichtssagende Outfit, dass Mulder bei seiner Entlassung bekommen hatte.

Mulder sah sich im Zimmer um. Sein Blick blieb an dem großen Bett hängen— war das wirklich für ihn? -- und hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Er versuchte, seine überschäumenden Emotionen unter Kontrolle zu halten und atmete zitternd und tief durch. Skinner, der zu verstehen schien, dass er gerne allein sein wollte, nickte in Richtung des Nebenzimmers. Das sei sein Bad, sagte er zu Mulder, dann verschwand er in der Tür.

Sobald die Tür hinter Skinner ins Schloss gefallen war, gab Mulder den Kampf auf und ließ seinen Tränen freien Lauf. Er wurde von seinen Emotionen überwältigt. Allen voran empfand er ein fast erdrückendes Gefühl der Dankbarkeit Skinner gegenüber—ein Gefühl, das Mulder nach der langen Zeit in der Rolle des Opfers überhaupt nicht umsetzten konnte. Skinner hatte nie aufgegeben, bis Mulder freigelassen wurde. Er hatte nie aufgehört, an seine Unschuld zu glauben. Es wäre mit der Zeit so einfach für Skinner gewesen, Mulder im Gefängnis vor sich hin rotten zu lassen und sich um seinen eigenen Sachen zu kümmern. Aber das hatte er nicht getan.  Skinner hatte sein Vorhaben mit einer Entschlossenheit fortgesetzt, die Mulder einmal besessen hatte, und anders als er hatte Skinner in seinen Bemühungen Erfolg gehabt. Senator Matheson hatte zwar seinen Teil dazu beigetragen und die Schützen waren auch nicht untätig gewesen, aber Mulder wusste, dass Skinner der Grundstein der ganzen Operation gewesen war.

Hand in Hand mit der Dankbarkeit kam auch Traurigkeit, als er erkannte, was er alles verloren hatte. Dinge, die er nie zurückbekommen würde, oder die er sich nie zurückholen könnte. Seinen Job, seine Mutter, die letzten vier Jahre seines Lebens und vor allem.....

Langsam ließ es sich auf das Bett nieder und vergrub sein Gesicht in dem Laken, um die Tränen aufzufangen und das Schluchzen zu ersticken, als er rasch seine hart erkämpfte Kontrolle verlor. All die Angst, der Frust und die Verzweiflung brachen mit einem Male durch. Mulder konnte die Flut nicht mehr aufhalten. Wie ein Kind weinte er lange; jedes Mal, wenn er dachte, dass er sich gefangen hatte, übermannte ihn eine weitere Welle des Schluchzens, der er sich nur hilflos hingeben musste. Dann, endlich, streckte er sich völlig erschöpft auf dem Bett aus, genoss dessen Größe und schlief ein.

Skinner sucht in der Küche nach etwas nicht allzu Schwerem, das Mulder zumAbendessen zu sich nehmen könnte. Er wusste, dass er einen empfindlichen Magenhatte. Scully hatte sich immer Sorgen über die Appetitlosigkeit ihres Partners gemacht, und er fürchtete, dass Mulder nach dem Emotionsausbruch, den er aus dem Schlafzimmer hören konnte, lediglich eine leichte Mahlzeit zu Abend essen könnte. Die meisten Leute würden es gar nicht mitbekommen, aber er stand den beiden so nahe wie eh und je, und nachdem Mulder mit Scullys Hilfe seinen Hintern mehr als einmal gerettet hatte, waren sie regelrecht Freunde geworden. Freunde kümmern sich umeinander, so ist er erzogen worden, und genau aus diesem Grunde hatte er Mulder nie aufgegeben.  Das, und weil es sich absolut sicher war, dass Mulder unschuldig war. Sein Gesicht verhärtete sich, als das gedämpfte Schluchzen nicht enden wollte und immer weiter und weiter ging. Er ballte seine Hände zu Fäusten und musste dem Drang widerstehen, sie in die nächste Wand zu rammen.

 
 

Ein Klopfen an der Tür weckte Mulder. Er bemerkte, dass es schon spät war. Draußen war es bereits dunkel und sein Blick zur Uhr wanderte, war es 18.30 Uhr. Er setzte sich auf und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Augen waren rot und geschwollen, seine Nase zu und in seinem Kopf trieb ein Presslufthammer sein Unwesen.

"Herein", rief er und schnüffelte verstohlen, als Skinner den Kopf zur Tür hereinsteckte.

"In ein paar Minuten ist das Abendessen fertig", verkündete er und ignorierte die offensichtliche Tatsache, dass Mulder geweint hatte. "Wenn Sie möchten, können Sie duschen und sich umziehen."

Mulder saß bewegungslos auf dem Bett, unsicher was er als nächstes tun sollte. Skinner sah ihm seine Unentschlossenheit an, machte die Tasche auf und händigte ihm ein paar Sachen zum Umziehen. Mulder nahm die Kleidung dankbar an, stand auf und streckte seine steifen Gliedmaßen.

"Ich lasse Sie dann allein", sagte Skinner und zog sich zurück. Mulder öffnete neugierig die Tür zu dem Badezimmer und stellte erfreut fest, dass es recht geräumig war. Doch als er die große Wanne entdeckte, befielen ihn plötzlich wieder Erinnerungen an die Gefängnisduschen. Er kniff die Augen zusammen und für einen Moment war er wieder dort - er spürte den Drang, so schnell wie möglich sauber zu werden und wieder da rauszukommen, bevor jemand ihn findet, der nicht das Geringste dagegen hat, ihn leiden zu sehen. Mulder hasste es, dass die simple Aufgabe sich zu waschen tagein tagaus ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen gewesen war. Mit einem tiefen Seufzen ließ er diesen weiteren unerfreulichen Gedanken fallen und schwor, nie im Leben wieder eine Dusche zu nehmen. Er steckte den Stöpsel in die Wanne und ließ das Wasser so heiß wie möglich laufen. Von nun an bräuchte er sich auch nie wieder beeilen, bevor das lauwarme Wasser eiskalt wurde. Nie wieder.

Mulder schloss die Tür zum Badezimmer und sank mit dem erfreulichen Gedanken, endlich wieder Privatsphäre im Bad zu haben, dankbar in die Wanne. Natürlich dachte er nichts Falsches von Skinner, aber alte Vorsichtsmaßnahmen waren schwer wegzulegen. Es fiel ihm schwer, sich zu entspannen wenn die Tür nicht abgeschlossen war. Er hatte nicht viele Dinge in seinem Leben so genossen, dachte er, als er untertauchte und das heiße Wasser den Gefängnisgestank von seinem Körper waschen ließ. Dann griff er nach dem Shampoo, das Skinner bereitgestellt hatte, und nahm sich vor, gleich morgen früh zum Friseur zu gehen. Der Gefängnisfriseur war ein gutherziger Mensch, aber seine Haarschnitte waren keinen müden Dollar wert.  Sein viel zu kurzer Haarschnitt—für Mulders Geschmack—war zudem noch ungleich und zackig. Er wollte sich erst mal einen ansehnlichen Haarschnitt verschaffen und dann es solange wachsen lassen wie es ihm gefiel. Um die Bekleidungsvorschriften des Bureaus brauchte er sich immerhin keine Sorgen mehr zu machen.

Eine Dreiviertelstunde später erschien Mulder in frischen und bequemen Klamotten wieder in der Badezimmertür und sog den Duft des Essens ein, der ins Zimmer hineinströmte. Nach seinem Zusammenbruch zuvor hatte er gedacht, dass er seinen Appetit für den Rest des Abends los sein würde, aber Skinner hatte es mit was auch immer er vorbereitet hatte geschafft, dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Als Mulder in die Küche kam, fand er ihn in Jeans und T-Shirt am Herd vor, und er konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen. Selten hatte er ihn so legier gesehen.

"Fühlen Sie sich besser?" fragte Skinner nonchalant, wobei er innerlich über Mulders kleines Grinsen einen Freudentanz aufführte.

"Viel besser." Noch ein Fast-Lächeln. "Ich hätte nie gedacht, dass Sie so häuslich sind", sagte Mulder leise und senkte seinen Blick.

"Tja, niemand entkommt der Hausarbeit", sagte Skinner philosophisch.

"Setzen Sie sich, Mulder."

Mulder nahm an dem kleinen Küchentisch platz und beobachtete Skinner, der jeweils die Hälfte der Suppe in die beiden Schüsseln goss und den leeren Topf in die Spüle stellte. Mulder hatte bereits das Sandwich auf seinem Teller beäugt. Es war Mortadella mit Käse und einer dicken Schicht Mayonnaise und sah sehr verlockend aus.

Skinner setzte sich und deutete auf den Löffel neben Mulders Schüssel.  "Hauen Sie rein", sagte er und biss in sein eigenes Sandwich. "Es ist nichts Besonderes, aber es schmeckt."

"Es riecht gut", sagte Mulder schüchtern und rührte ein wenig in seiner Suppenschüssel herum, bevor er kostete. Er nippte langsam und genoss den salzigen Geschmack. Skinner nickte zufrieden.

Nachdem er ein paar Löffel gegessen hatte, wobei er nicht einmal vom Tisch aufgeschaut hatte, sagte Mulder endlich etwas. Er kam sich wie der letzte undankbare Volltrottel vor, weil er Skinner nicht ausreichend gedankt hatte dafür, dass er ihm das Leben gerettet, ihn zu sich genommen hatte und ihm das Gefühl von Sicherheit wiedergegeben hatte,

aber Worte schienen hier so unzureichend. Er holte tief Atem und versuchte sein Bestes.

"Sir, ich—Walter—ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie ich Ihnen danken soll..." begann er, doch Skinner schüttelte nur langsam den Kopf.

"Sie brauchen mir nicht zu danken, Mulder." Skinners Augen waren hinter seinen Brillengläsern freundlicher, als er sich je vorstellen konnte.

"Aber Sie haben so viel getan, so hart gearbeitet, um mich da rauszuholen..." protestiert Mulder. Er spielte betreten mit der Ecke der Tischdecke.

"Ich hasse Ungerechtigkeit, Mulder", schnitt Skinner ein. "Das ist der Grund, warum ich überhaupt beim FBI bin." Als Mulder nichts erwiderte, fuhr er gedämpfter fort, und Mulder merkte, dass Skinner selbst schmerzhafte Erfahrungen darüber gemacht hatte. "Außerdem hätte es genauso gut mich treffen können. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der Sie mir genauso heraus geholfen hätten, wenn ich für einen Mord, den ich nicht begangen hatte, ins Gefängnis gekommen wäre. Ich finde, ich war es Ihnen schuldig."

Mulders Kopf schoss bei diesem Kommentar in die Höhe. "Sie haben mir gar nichts geschuldet", sagte er verwirrt, "Sie haben uns mehr als einmal geholfen, Scully und mir..." Er verstummte, konnte den Satz nicht zu Ende führen.

Skinner seufzte innerlich. Er wusste, dass das der schwerste Teil sein würde. Früher oder später musste Mulder der Tatsache ins Auge sehen, dass Scully jetzt unerreichbar für ihn war. Er hoffte nur, dass er stark genug sein würde, damit umzugehen. "Mulder, ich weiß nicht, was zwischen Ihnen beiden passiert ist, warum Sie wollten, dass sie Sie nicht mehr besuchen kommt, aber ich weiß, dass sie, nachdem Sie fort waren.... fertig mit der Welt war. Sie hat Sie geliebt, Mulder, egal was Sie vielleicht denken."

Mulder hatte größte Mühe, seine Tränen im Zaum zu halten, doch wieder einmal verlor er den Kampf. Er wischte sie ärgerlich fort, als sie unaufhaltsam seine Wangen hinunter liefen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er hasste es, dass er sein Schluchzen nicht zurückhalten konnte. Skinner stand auf und legte versichernd seine Hände auf Mulders Schultern und tröstete seinen alten Freund mit einer Umarmung. Skinner musste grinsen bei dem Gedanken, dass er hier in seiner eigenen Küche saß und einen weinenden Mann umarmte. Es war gut, dass er sehr weit oben wohnte und so vor neugierigen Blicken durch das Küchenfenster verschont blieb. Das würde nämlich völlig seinen Ruf als gestandener Ex-Marine ruinieren.

Er war noch nie jemandem mit einem mit einem so zerbrechlichen Gemüt begegnet, wie es der Mann vor ihm hatte. Für einen Moment fragte sich Skinner, ob Mulder das alles seelisch jemals überstehen würde. Doch gleich darauf schüttelte er diesen Gedanken ärgerlich ab, denn Mulder war stark und er hatte schon Krisen über Krisen in seinem Leben hinter sich gebracht. Mit Sicherheit würde er diese letzte, größte Hürde meistern, ohne daran zugrunde zu gehen.

"Wie soll ich...." stammelte Mulder unter Schluchzen, "... je ohne sie weiter machen? Ich brauche.... sie.... so sehr...."

"Ich weiß es nicht", sagte Skinner. Er wusste nicht, was er sagen sollte, "aber Sie werden es. Irgendwo in Ihnen ist die Stärke, die Ihnen in schweren Zeiten immer geholfen hat. Sie sind ein Kämpfer, Mulder."

"Aber was passiert.... wenn ein Kämpfer.... nicht mehr kämpfen will?" fragte Mulder, als er allmählich seine Kontrolle wieder erlangte. Er wischte sich mit den Handrücken über das Gesicht und starrte auf den Boden, während er auf die Antwort wartete.

Skinner hatte keine.

 
 

Er hatte an dem Tag so viel geschlafen, erst im Auto und später nachdem er sich ausgeweint hatte, dass er am Abend hellwach war. Nachdem er eine Stunde ohne ein Auge zuzumachen in dem frisch gemachten, komfortablen Bett gelegen hatte, setzte sich Mulder auf und machte die Nachttischlampe neben sich an. Er ging hinüber zum Bücherschrank, doch er fand nichts Interessantes. Ironisch grinsend ging er die Titel der Bücher durch, die ihm einmal gehört hatten. Bevor alles passiert war. Mulder schüttelte mit amüsiertem Ekel den Kopf als ihm auffiel, für welche Dinge er sich damals interessiert hatte. Jetzt schien es alles so unwichtig.

Irgendwann wandte er sich von den Büchern ab und setzte sich an den Computer. Er fragte sich, wie das Gerät nach all den Jahren wohl laufen würde. Als der Computer hochfuhr, erhellte sich die Mattscheibe und Mulder erstarrte. Das Bild, das er als Hintergrundbild ein paar Monate vor seiner Verhaftung installiert hatte, war so klar und deutlich wie am ersten Tag.

Ihre Mutter hatte das Bild gemacht, erinnerte er sich, als er die Augen schloss und tiefe, kontrollierte Atemzüge durch die Nase atmete. Sie waren zu dritt Mittagessen gegangen, um Scullys Geburtstag zu feiern, und er hatte ihr einen neuen Fotoapparat geschenkt. Mrs. Scully wollte ihn unbedingt als erste testen und verlangte, dass sie sich nebeneinander stellen und lächeln. Mulder erinnerte sich, wie er in der letzten Sekunde, bevor das Bild gemacht wurde, seinen Arm um Scullys Hüfte gelegt hatte, und wie Mrs. Scully ihm konspirativ zugezwinkert hatte kurz bevor sie auf den Knopf gedrückt hatte, der diesen Moment festhalten würde. Er hatte seinen Abzug des Bildes zu Frohike gebracht, der es gescannt und bearbeitet hatte und es ihm per e-Mail zugeschickt hatte. Mulder hatte es sogleich installiert, also war es das erste, das er sah, wenn er seinen Computer hochfuhr. Er hatte Scully nie davon erzählt.

Rasch fiel Mulder ein, wie man es einstellt und änderte das Bild in der Systemsteuerung, so dass er jetzt auf einen makellos weißen Bildschirm starrte. Er konnte jetzt noch nicht mit dieser Erinnerung umgehen. Er konnte das Bild aber auch nicht ganz löschen.

Mulder konnte sich nur vage an die Dateien erinnern, die er auf seiner Festplatte hatte, also sah er sie einer nach der anderen durch, um unbrauchbare zu löschen und sich wieder an das Arbeiten am Computer zu gewöhnen. Auf einmal saß er kerzengerade und zog scharf die Luft ein.

Er hatte sein Tagebuch völlig vergessen.

Er hatte nicht jeden Tag etwas herein geschrieben, nur wenn ein Fall besonders interessant oder aufwühlend war. Andere Gelegenheiten in seinem alltäglichen Leben waren auch mit Eintragungen vorhanden, und als er so auf den Bildschirm starrte, fühlte sich Mulder um Jahre zurückversetzt in seinen Erinnerungen, von denen er wünschte, sie genauso einfach aus seinem Gedächtnis löschen zu können, wie die Dateien von seiner Festplatte.

Er lag in einem Krankenhausbett, nachdem er kurz vor dem Ertrinken aus dem Wasser gezogen worden war, und das plötzliche Verlangen, Scully zu sagen wie er fühlte, hatte ihn überwältigt. Es war vielleicht den Medikamenten zuzuschreiben, die man ihm gegeben hatte, redete er sich zynisch ein. Aber dieses Gefühl hatte er ganz sicher nicht aufgrund der Mittel empfunden.

Nachdem er die Worte gesagt hatte, wusste er, dass er es nicht sollte. "Ich liebe Sie", hatte er gesagt, und ihre Reaktion war so vorhersehbar scullyhaft gewesen, dass er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, als sie aus seinem Zimmer gegangen war. Er wusste, dass sie ihm zwar glaubte, es sich aber nicht eingestehen wollte. Sie liebte ihn auch. Dessen war er sich sicher. Es musste einfach so sein, nach allem, was sie zusammen gesehen und getan hatten. Die Hingabe, die sie füreinander hatten, war viel stärker als die in einer normalen freundschaftlichen Beziehung. Es war unumstritten. Er hatte sie nach ihrer Entführung nicht aus der Antarktis zurückgeholt, und sie hatte ihn nicht aus dem Bermuda Dreieck gerettet, weil sie gute Freunde waren, oder weil sie es als berufliche Pflicht empfunden hatten. Sie hatten es getan, denn indem sie den anderen bewahrten, bewahrten sie sich selbst.  Mit einem Mal erkannte Mulder, dass er bis zum Ende gehofft hatte, dass Scully und er eines Tages zusammenkommen würden.

Es brannte ihm in den Fingern, sein Tagebuch zu öffnen und es zu lesen, irgendwie sein altes Leben wieder zu berühren. Vielleicht konnte er einige erfreuliche Momente zurückholen, die zwar selten gewesen waren, die es aber gegeben hatte. Es waren zwar nur wenige gewesen und sie lagen immer weit auseinander, aber es hatte auf jeden Fall solche Momente gegeben - meistens hatten sie mit ihr zu tun gehabt. Er dachte ernsthaft darüber nach und gab schon fast nach, aber im Grunde wusste er, dass es keine so gute Idee war.  Er würde nie wieder Special Agent Fox Mulder vom FBI sein. Nie wieder würde er mit Dana Scully an seiner Seite die X-Akten untersuchen. Diese Zeit war für immer vorbei, entrissen und unerreichbar. All diese Tage und all diese Fälle, die er mit Scully verbracht und erlebt hatte, schienen ihm jetzt wie ein Traum, als ob sie nie passiert wären.

Ein Kloß machte sich in seinem Hals breit und er dachte wieder zurück an den Tag, an dem sie zum ersten Mal in sein Leben gekommen war. Sie war in seine Welt getreten mit einem Ausdruck der Verwunderung auf ihrem Gesicht.  War es Verwunderung über seine Arbeit, oder Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit? Sogar jetzt war er sich nicht sicher. Scully hatte nie wirklich an die Dinge geglaubt, die sie gesehen hatten, denn ihre rationale Denkweise hielt sie einfach davon ab. Sie war jedoch eine echte Partnerin gewesen, die immer zu ihm hielt und ihm half, sogar wenn sie nicht unbedingt verstand, was vor sich ging. Sie waren so jung gewesen, so unschuldig, und das Wissen, das sie besessen hatten, hatte gerade mal an der Oberfläche von den Tiefen geschabt, die sich bis heute aufgetan hatten.  Die Kriminellen waren nichts weiter als das—Kriminelle. Nicht wirklich böse. Rückblickend konnte er den genauen Moment nennen, in dem sie für ihn böse geworden waren. Es war der Moment, in dem er erkannt hatte, dass 'Die' ihm Scully weggenommen hatten. Dass es nicht nur Duane Barrys verrückte Aktion gewesen war. Und in genau der Sekunde ist es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen.

Sein Blick glitt über die Eintragungen von 1998. Er wusste genau, in welcher seine Gedanken über sein Geständnis zu Scully standen. Er war so froh darüber gewesen, dass er endlich den Mut gefunden hatte, es ihr zu sagen, doch er war gleichzeitig auch enttäuscht gewesen, dass sie ihn danach nie darauf angesprochen oder es irgendwie sonst erwähnt hatte.

Vielleicht hatte sie es ihm nicht geglaubt, vielleicht hatte er seine Hoffnungen zu hoch geschraubt. Scully hatte ihn geliebt, verdammt, das wusste er. Sogar, als er sie aus seinem Leben geworfen hatte, hatte er ihre Liebe noch lange danach spüren können. Und dann war eines Tages Skinner gekommen, der ihm die schrecklichen Neuigkeiten gebracht hatte...

Er bewegte den Cursor zu dem Tagebuch-Icon. Übelkeit kam in ihm auf und er überlegte, ob er es sich überhaupt antun sollte. Wenn er es jetzt lesen würde, würde er sie glatt noch einmal verlieren. Entschlossen schüttelte er den Kopf und ließ es bleiben. Er klickte auf den Ordner mit den Tagebuch-Einträgen und löschte ihn unwiderruflich. Genau wie das Leben, das sie repräsentierten. Genau wie Scully.

Letztlich hatten sie sich doch nicht gegenseitig retten können.

Mulder starrte für einen Moment auf den leeren Fleck, auf dem zuvor etwas gewesen war, das für all die schönen Dinge in seinem Leben stand. Alles zusammen in sechs—viel zu kurzen—Jahren. Gott, nur ein so kleiner Prozentsatz seines Lebens war glücklich gewesen. Es war sie. Sie war der Grund. Ihre Freundschaft war die einzige, die ihm etwas bedeutet hatte. Erinnerungen wallten ungebeten auf, Erinnerungen an die Meinungsverschiedenheiten, die Fälle, ihr seltenes Lächeln... der Schmerz war fast unerträglich.

Und dann schlug es ein wie eine Bombe aus dem Nichts.

"Oh, Gott, Scully, was habe ich getan?" Er sprang von dem Computer zurück und verlor fast das Gleichgewicht. Er starrte auf den Monitor und seine Augen füllten sich mit noch mehr Tränen. Weg. Sein ganzes Leben war mit einem einzigen Klick einer Maus weggewischt. 'Oh Scheiße!' schoss es ihm durch den Kopf. 'Oh Gott NEIN!'

Ein gellender Schrei aus Mulders Zimmer riss Skinner aus seinem Bett. Er rannte den Flur hinunter und alle Sorge, Mulder eventuelle Peinlichkeiten zu ersparen, verließen ihn bei der Verzweiflung, die er hörte. Er warf die Schlafzimmertür auf und suchte nach der Ursache, aber soweit er sehen konnte, war alles in Ordnung. Kein Blut, keine Explosion, nichts. Nur Mulder, der wie wahnsinnig auf die Tastatur seines Computers hämmerte.

"Mulder, was ist los? Was ist passiert?" Nichts. Mulder schien gar nicht zu merken, dass er im Zimmer war. Skinner kam auf Mulder zu und merkte, dass er etwas vor sich hin sprach. Was sagte er da? Er wurde nicht ganz schlau daraus.

"Oh Gott nein! Das hab ich nicht gewollt! Scheiße! Gib's wieder her!" Mulder holte mit dem Arm aus, um den Computer vom Tisch zu fegen, doch Skinner ergriff noch rechtzeitig und drehte Mulder in dem Stuhl zu ihm.

"Mulder, was ist los? Was zum Teufel ist passiert?"

Doch Mulder starrte ihn nur an. Sein Mund öffnete und schloss sich, doch kein Ton kam heraus. Skinner griff seine Schultern und sah ihm mit festem Blick in die Augen, um ihn zum Reden zu bringen. "Beruhigen Sie sich. Atmen Sie tief durch. Nochmal. Und noch einmal." Mulders Augen wurden wieder klarer und zu Skinners Erleichterung fügte er sich. Als sich Mulder wieder gefasst hatte, fragte er noch einmal, "Was ist los?"

"Ich.... ich... hab's gelöscht. Alles! Ich wollte es nicht und jetzt ist alles weg.... einfach so..."

Skinner blickte verwirrt auf den Computer, dann wieder auf Mulder. "Es ist

nicht gelöscht, Mulder, es ist nur im Papierkorb. Da kann man es wiederherstellen."

Doch Mulder schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe keinen Papierkorb, ich habe es so eingestellt, dass alles sofort ganz gelöscht wird."

"Okay, nur die Ruhe, keine Panik. Gerade Sie müssten wissen, dass nichts wirklich verschwindet." Er ging zum Telefon und wählte. Nach einer kurzen Pause, "Hi, ich bin's. Bitte kommen Sie schnell her. Ja, gut, es gibt nur ein Problem mit seinem Computer."

Zwanzig Minuten später öffnete er einem verschlafenen Byers die Tür. Die Schützen waren ihm während der Zeit, in der Mulder im Gefängnis war eine große Hilfe gewesen - sie waren eine unglaublich große Hilfe gewesen in moralischen und technischen Dingen. Sie hatten sich mit Skinner abgewechselt, so dass Mulder jeden Samstag Besuch hatte, um Unterlagen durchzugehen und zu helfen wo sie nur konnten. Und im Laufe der Zeit waren sie ebenso Freunde von Skinner geworden.

"Hey, Mulder, wie gehts?" war alles, was Byers von sich gab, als er ins Zimmer kam.

Mulder seufzte und erklärte, was passiert war. Byers hörte genau zu.

"Also, du hast ihn nicht ausgemacht?"

"Nein." Mulder vergrub sein Gesicht in seinen Händen. "Ich kann nicht glauben, dass ich so etwas Idiotisches gemacht habe."

"Ach, kein Problem", sagte Byers heiter. "Das passiert jedem mal." Er schob Mulder vom Computer weg und setzte sich davor. Mit lautem Geklapper der Tastatur verließ er Windows und ging ins DOS-System. Er machte ein paar Mal 'uh-huh, hmmm', aber das war auch das einzige, was man im Raum außer der Tastatur hören konnte.

"Hier", kündigte er ein paar Minuten später an. "Welche Ordner willst du wieder haben?"

"Du hast sie gefunden?" fragte Mulder eifrig und beugte sich über den Computer."Ich weiß nicht mehr genau, wie sie heißen, aber sie fangen alle mit einem 'j' an und enden auf '.txt'."

Wieder flogen Byers Finger über das Keyboard und ein paar weitere Minuten später war alles wiederhergestellt.

"Fertig", grinste er, stand auf und winkte Mulder zurück in den Stuhl.

Mulder begann sofort, ein paar Dateien zu öffnen und überzeugte sich, dass auch wirklich alles da war. "Danke", warf er über seine Schulter, als Skinner und Byers sich leise zurückzogen.

"Wie geht es ihm?" fragte Byers, als sie ins Wohnzimmer kamen. "Wir haben uns gedacht, dass es das Beste wäre, wenn wir ihn nicht gleich am ersten Tag überfallen."

Skinner seufzte abermals. "Besser als erwartet, aber nicht so gut, wie ich's gehofft hatte. Ich versuche, ihn zu beruhigen."

"Scully?" fragte Byers neugierig, doch Skinner schüttelte warnend den Kopf.

"Im Moment kein gutes Thema für eine Unterhaltung."

"Sie hat nicht angerufen?"

"Nein, und ich bezweifle, dass sie es tun wird. Ich würde sie sowieso nicht

mit ihm reden lassen, selbst wenn sie anruft. Er wäre noch zu viel für ihn."

Byers gähnte ausgiebig, nickte und machte sich auf zu Gehen. Skinner blickte noch einmal über den Flur auf das Gästezimmer, doch ging dann schließlich in sein eigenes Zimmer, um zu schlafen und ließ Mulder in Ruhe.

 
 

Mulder hatte schon eine Woche Freiheit genossen bevor Skinner endlich den Nerv gefunden hatte, das Thema anzuschneiden. Er freute sich überhaupt nicht auf Mulders Reaktion; er fürchtete, dass er denselben Ausdruck in seinen Augen sehen würde, den er hatte, wenn Scully ins Gespräch kam.  Skinner kannte und fürchtete diesen Ausdruck, denn er wusste, dass Mulder sich stundenlang ohne etwas zu sich zu nehmen in seinem Zimmer einschließen würde. Seufzend und mental die Daumen drückend sprach Skinner das Thema eines Tages nach dem Frühstück an. Jetzt, wo Mulder wieder frei war, würde er einer Menge Probleme ins Auge sehen müssen—und dieses war eines der schlimmsten.

"Mulder, ich habe über etwas nachgedacht."

Mulder hob den Kopf von seinem Teller, auf dem er sein Rührei hin und her geschoben und so getan hatte, als würde er essen. Er legte die Gabel beiseite und sah Skinner erwartungsvoll an.

Er hatte eine schlimme Nacht mit Alpträumen hinter sich, und Skinner fragte sich insgeheim, wie viele davon vom Gefängnis und wie viele von anderen grausamen Erinnerungen handelten, die ihn nicht losließen. Er hatte die Schreie in Mulders Zimmer gehört und zuerst geschwankt bei der Entscheidung, zu ihm zu gehen und ihn zu beruhigen oder ihn allein zu lassen, damit er selbst damit fertig werden konnte. Die Antwort auf die Frage bekam er, als er vor Mulders Tür gestanden hatte und sein gedämpftes Schluchzen mitanhören musste, das von dem Kissen nicht völlig verschluckt werden konnten. Skinner hatte sich umgedreht und war leise zurück in sein Zimmer gegangen, um ihm seine Würde zu lassen. Er konnte nichts für ihn tun.

"Sie waren noch nicht beim Grab Ihrer Mutter", sagte Skinner ruhig. "Soll ich Sie hinfahren?"

Mulder wich alle Farbe aus seinem Gesicht und er begann, nervös seinen Toast in kleine Stücke zu zerreißen, die er auf den Teller neben den ungegessenen Rühreiern fallen ließ. Mulder starrte auf das Durcheinander auf seinem Teller und nickte stumm. Eigentlich wollte er, nachdem er freigelassen worden ist so früh wie möglich zu seiner Mutter gehen, aber Skinner hatte schon so viel für ihn getan, da wollte er nicht fragen. Er hatte kein eigenes Auto mehr und er wollte Skinner nicht um seinen Wagen bitten. Außerdem war er sich nicht sicher, ob er nach all den Jahren überhaupt noch fahren konnte—obwohl man so was eigentlich nie ganz verlernt.

Der Gedanke daran, sich hinters Steuer zu setzen und mit dem Stadtverkehr herumzuschlagen, macht Mulder Angst. Und die Idee, am Grabe seiner Mutter zu stehen, gezwungen ihren Tod zu akzeptieren, erschreckte ihn ins Unermessliche. Bis jetzt hatte er es geschafft, diesen Gedanken genauso wie viele andere schmerzhafte Erinnerungen zu verdrängen, und er hatte sich eingeredet, dass sie am Leben war und dass es ihr gut ginge. Es war ja nicht so, als ob er sie oft gesehen oder mit ihr geredet hatte, bevor....  Trotzdem - er wusste, dass sie immer für ihn da gewesen war, wenn er sie brauchte. Und jetzt.....

Er schluckte. Er wollte jetzt auf keinen Fall wieder anfangen zu heulen.  "Ja, das würde ich gerne tun, Sir." Er konnte sich nicht daran gewöhnen, seinen ehemaligen Chef mit seinem Vornamen anzureden, und ihn einfach 'Skinner' zu nennen, stand außer Frage.

Skinner seufzte innerlich bei dem 'Sir'. Wann würde Mulder endlich dazu übergehen, ihn als Freund anzusehen, und nicht als strikten Vorgesetzten?  Er nahm an, dass es schwer für ihn war, im selben Haus mit dem Mann zu leben, der vorher eine zu respektierende Autorität war, doch er hoffte, es würde sich mit der Zeit geben.

"Gut, dann können wir fahren, sobald wir hier fertig sind", sagte Skinner und aß weiter. "Es ist nicht weit. Wir haben sie hier in der Nähe begraben.  Ich dachte mir, dass Sie es so vorziehen würden."

Mulder musste lächeln. Es versetzte ihn immer wieder in Erstaunen, dass Skinner weder in seiner Entschlossenheit sein Gewissen zu beruhigen nachgab, noch aufhörte, fest daran zu glauben, dass er ein es eines Tages schaffen würde. Mulder hatte die Hoffnung jemals frei zu kommen schon lange aufgegeben, als Skinner mit der unglaublichen Nachricht gekommen war, dass der wirkliche Mörder gefasst worden sei. Er hatte offensichtlich wieder zugeschlagen—dieses Mal aus eigenen Motiven—und als man seine Wohnung durchsucht hatte, hatte man Beweisstücke gefunden, die auf den Mord verwiesen, wegen dem Mulder einsaß. Weil sie ihn bei seinem letzten Mord auf frischer Tat ertappt hatte, hatte ihn das D.A., beeinflusst durch einen hoch stehenden Senator und einem Assistant Director des FBI, zu einem Geständnis bewegt, das sowohl seinem Seelenfrieden, als auch—in seinem Fall—seiner Gesundheit wohl tat. Sie versicherten ihm, dass wenn er gestehen und demzufolge Mulder entlasten würde, er der Todesstrafe entkommen würde. Der Anwalt des Verdächtigen war sich im Klaren, dass sein Klient höchstwahrscheinlich einer Verurteilung oder sogar einer Exekution nicht entkommen würde, also hatte er ihm geraten, auf den Deal einzugehen und alle Hebel für Mulders Freilassung wurden in Bewegung gesetzt.

Das war alles, was man Mulder über die ganze Geschichte erzählt hatte. Er wollte auch gar nicht mehr wissen. Jedes Mal, wenn Skinner ihn darauf ansprach, wechselte Mulder das Thema. Manche Dinge, fand Mulder, vertrugen keine Diskussionen. Er wusste nur, dass es jetzt ein freier Mann war und dass er lieber sterben würde, als jemals wieder zurück zu müssen.

 
 

Als sich ihr Wagen dem Friedhof näherte, fühlte Mulder wie die Kälte in ihm mehr und mehr zunahm, bis er sich schließlich vorkam, als wäre er völlig gelähmt. Sein Verstand versuchte verzweifelt dem zu entkommen, was Mulder eigentlich zu akzeptieren versuchte. In seinen Händen hielt er einen Strauß pinkfarbener Rosen fest umklammert—es waren die Lieblingsblumen seiner Mutter gewesen. Die spärliche Unterhaltung, die er und Skinner während der Fahrt gehabt hatten, hatte sich vor einigen Meilen ganz verlaufen. Jetzt befiel ihn wieder die gewohnte Tunnelvision. Sein Atem ging schwerer, und er wusste, dass er den Rest des Tages brauchen würde, um sich von diesem Alptraum wieder zu erholen.

"Sie liegt hier drüben", sagte Skinner und zeigte auf einen großen Grabstein nicht weit von ihnen entfernt. "Sieht aus als ob S.... jemand kürzlich hier gewesen ist." Gerade noch rechtzeitig konnte er es verhindern, Scullys Namen zu äußern. Was Mulder jetzt am wenigsten brauchte, war eine Erinnerung an die Liebe, die er verloren hatte. Skinner merkte, dass er jetzt die einzige Verbindung zu Mulders vorherigem Leben war, und er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis Mulder auch die Stricke zu ihm durchtrennen würde, um wirklich so viele Erinnerungen wie möglich auszulöschen. Irgendwie schien es ihm unumgänglich. Er hatte den Mann immer gut leiden können, aber erst durch die letzte Woche hatte er erkannt, wie sehr er ihn in den vier Jahren vermisst hatte. Wie sehr ihm die Diskussionen gefehlt hatten, die sie immer in seinem Büro über Fälle geführt hatten, wie sehr er seinen leidenschaftlichen Einsatz und brennende Intensität vermisst hatte. Mulder war einer der stärksten Persönlichkeiten, die er jemals getroffen hatte—zumindest war er es einmal gewesen. Als er nun beobachtete, wie er über den Friedhof zum Grab seiner Mutter ging, machte er einen sehr müden Eindruck. Müde und traurig. Kein Funke des alten Mulders war mehr in ihm zu sehen, obwohl Skinner Spuren von ihm während der einen Woche in Freiheit schon gesehen hatte. Er war davon überzeugt, dass der Mulder, den er gekannt hatte, noch irgendwo in ihm schlummerte, und er war fest entschlossen alles zu tun, um ihn wieder hervor zu holen. Andererseits, Mulder war ohne Scully irgendwie... 'unvollständig'. Das war ein zu banales Wort, um zu beschreiben, was Mulder jetzt war. Zerbrochen. Ja, das war es. Mulder war zerbrochen. In Stücke gerissen.

 

Mulder näherte sich beklommen dem Grab seiner Mutter. Er wusste, dass er sich verdammt nochmal zusammenreißen musste, aber er wusste auch, dass es ein richtiger Zug war. Etwas, dass er tun sollte. Etwas, dass er tun musste.  Neben dem Grabstein stand ein Topf mit Nelken und Mulder fragte sich, wer die wohl gebracht hatte. Doch nicht etwa....?

Diesem Gedanken ging er ebenfalls aus dem Weg und kniete neben dem Stein, auf dem er die Konturen der Buchstaben sanft mit dem Finger nachfuhr. Teena Mulder. 'Geliebte Mutter' stand dort. Er dachte über diese Worte nach. Ja, er hatte sie geliebt, wie jeder Sohn seine Mutter liebt. Er wollte auch glauben, dass sie ihn ebenfalls geliebt hatte, er sehnte sich nach Zuwendung und Zärtlichkeiten. Wenn sie doch nur da gewesen wäre an seiner Seite, wären die schrecklichen Erfahrungen der letzten zehn Jahre vielleicht leichter zu ertragen gewesen. Doch sie war einfach nicht diese Art Mutter gewesen. Sie schien immer eher zurückhaltend und kühl - erst recht nach Samanthas Verschwinden. Wenn die Dinge anders gelaufen wären, wäre er jetzt vielleicht nicht da, wo er nun mal war. Er hätte vielleicht nicht etliche Jahre damit verbracht, eine schwer zu ergreifende Wahrheit zu suchen, die er nie gefunden hatte. Eine Wahrheit für seine Schwester, von der er jetzt wusste, dass er sie nie finden würde.—dann hätte er vielleicht nicht die letzten vier Jahre seines Lebens verloren. Dann hätte er vielleicht nicht Scully verloren.

"Mom", flüsterte er leise, fast ängstlich zu laut zu sprechen, doch er empfand das Bedürfnis, mit ihr zu reden. "Ich vermisse dich. Ich wünschte, dass alles zwischen uns..... anders gewesen wäre, einfacher. Ich wünschte... ich wäre für dich da gewesen, Mom. Ich wünschte.... " seine Stimme schwankte und er musste aufhören, bevor er zusammenbrach. Er ließ sich aus der Hocke auf den Boden nieder, zog die Knie an seine Brust und legte seine Arme darum. Mulder starrte ins Leere, als er sich schutzsuchend umschlang und an die Zeiten in seinem Leben dachte, in denen seine Mutter ihre Liebe für ihn gezeigt hatte. Davon hat es nicht viele gegeben, doch jetzt hielt er verzweifelt an den wenigen Malen fest, an die er sich erinnern konnte. Er musste an die schönen Dinge an ihr denken. Er konnte sie fast nach ihm rufen hören, als er sich seinen Erinnerungen hingab, die so greifbar waren, dass sie ihn reizten und unaufhörlich plagten.

So saß er da für eine lange Zeit, in der er gelegentlich die Augen schloss, wenn es zu schmerzhaft wurde, bis er nach und nach wieder zurück zur Wirklichkeit gelangte und schuldbewusst an Skinner dachte, die persongewordene Geduld, die auf ihn wartete. Er blickte hinüber zu dem Wagen, wo Skinner still für sich ein Buch las. Mulder bewunderte immer noch alles, was sein früherer Boss für ihn getan hatte. Er war sich nie sicher gewesen, ob Skinner ihn je gemocht hatte, aber jetzt hatte er den Eindruck, dass er es wirklich tat. Der Gedanke gab ihm etwas innerliche Wärme, die er nach der Kälte des Morgens dankbar willkommen hieß.

Mulder erhob sich und klopfte den Schmutz von seiner Hose. Es war an der Zeit sich zu verabschieden. Traurig stellte er fest, dass er sie im Grunde kaum gekannt hatte—er vermisste sie mit einer schmerzenden Einsamkeit, die er nie erwartet hätte. Als er zurück zum Auto ging, dachte er beiläufig, dass er sich neue Sachen zum Anziehen besorgen musste. Diese hier waren immer noch viel zu groß.

Skinner sah auf und steckte wortlos sein Buch weg, als er ihn kommen sah.  Er bemerkte Mulders feuchte Augen, doch er sah auch, dass sein Gesicht frei von vergossenen Tränen war. Skinner schickte innerlich ein Dankesgebet zum Himmel—er hatte befürchtet, dass dieser Besuch zu viel für ihn sein könnte, doch offensichtlich war er so stark, wie vermutet hatte. Es war vielleicht sogar das, was Mulder gebraucht hatte, um wieder anfangen zu leben, dacht er, als er den Wagen nach Hause lenkte.

"Wissen Sie, wer die Blumen an ihr Grab gebracht hat?" fragte Mulder plötzlich. Skinner dachte nach, bevor er antwortete.

"Nein", log er ohne eine Miene zu verziehen. Er hatte nicht vor, Scully in Mulders Gegenwart zu erwähnen. Nicht heute. Sogar jetzt nicht, wo Mulder gerade so stark war. Ein Mann kann nur ein gewisses Maß an Schmerz ertragen. Er biss die Zähne zusammen, als er sich bemühte, einen plötzlichen Emotionsstoß vor dem Mann an seiner Seite zu verbergen.

Gott verdamme sie alle, dachte er mit innerlich rasender Wut. Sie sollen alle zur Hölle fahren. Mulder hat das nicht verdient. Scully hat das nicht verdient. Zusammen hätten sie so viel erreichen können, wenn man ihnen nur die Chance gegeben hätte.

Mulder hatte seit Jahren viel für Scully empfunden, so viel war klar.  Mulders Gefühle waren oftmals wie ein offenes Buch. Skinner war sich nicht sicher gewesen, ob sie auch so fühlte. Bis zu dem Tag von Mulders Gerichtsverhandlung. Ihre Hingabe zu ihrem Partner in der Zeit und ihre ausgesprochene Niedergeschlagenheit, nachdem Mulder in Ketten von ihr weg geführt worden war, haben alle möglichen Zweifel vernichtet. Scully liebte Mulder ebenfalls.

Deshalb war es so schwer zu verstehen, warum sie getan hatte, was sie getan hatte.

 
 

Ende TEIL Eins

 
 
 
 
 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 2/9

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

( laurita_castellano@yahoo.com )

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. < hadyoubigtime@netcologne.de >

 
 

Dana Scully Morrow saß noch lange nach Mitternacht in ihrem Zimmer am Schreibtisch. Alles war nun still im Haus, ihr Mann und ihre Stieftochter schliefen. Sie war nach stundenlangem Herumwälzen aus ihrem Bett gekrochen, denn sie hatte einfach keinen Schlaf gefunden. Es war soweit. Morgen musste sie den Anwalt anrufen, der Mulders Treuhandvermögen verwaltete und sie musste ein Treffen mit Mulder und dem Anwalt arrangieren, um dem rechtmäßigen Besitzer die Vollmacht über das Geld zu übertragen. Nach diesem Treffen würde ihre letzte Verbindung zu Mulder durchtrennt sein.

Das Bild in ihrer Hand wies schon Spuren der Abnutzung auf. Dana hielt es immer gut versteckt. Es hatte einen besonderen Platz in ihrer dritten Schreibtischschublade, zwischen den Seiten der 'M'-Worte in ihrem Wörterbuch. 'M' für Mulder. Es war ein Foto von den beiden, das ihre Mutter einmal gemacht hatte, auf dem Mulder spielerisch einen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte. Sie wusste, dass Mulder das Bild auf seinem Computer hatte—

Frohike hatte er ihr vor Ewigkeiten geflüstert. Sie wusste auch, dass sie eigentlich überhaupt nichts von dem Bild wissen sollte. Sie lächelte traurig, als sie sich an die alten Zeiten erinnerte. Dann lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und blickte wehmütig ins Leere, als sie die Pfade der Erinnerung zurück ging zu ihrer Partnerschaft, die sich in Freundschaft und letztendlich in Liebe vertieft hatte. Wären sie ein normales Paar gewesen, hätten sie zweifellos geheiratet und bis jetzt einige Kinder gehabt, doch bei Mulder war nichts normal. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass den regulären Alltag zu opfern der Preis dafür war, ihn in ihrem Leben zu haben. Sie hatte schon oft daran gedacht, sich jetzt zur Ruhe zu setzen und über die Dinge zu schreiben, die sie in der Zeit—relativ kurzen Zeit— erlebt hatten, und vom Schreiben zu leben. Sie beide hatten sicherlich mehr ungewöhnliche und unerklärbare Dinge gesehen, als irgendjemand anderes.

Sie dachte an die Zeiten, in denen sie niemand anderem vertraut hatten, sondern nur sich gegenseitig; nie wissend, wer auf ihrer Seite stand, aber immer mit der Sicherheit des unerschütterten Vertrauens ineinander. Es hatte ihnen geholfen, als nichts anderes es tat—das Gewissen, dass wenn alles drunter und drüber ging, es immer noch diese eine Konstante gab, auf die sie sich immer verlassen konnten. Dana wusste, dass sie nie die Kraft oder den Mut dazu gehabt hätte, gegen ihren Krebs zu kämpfen, wenn Mulder sie nicht ununterbrochen mit seiner Entschlossenheit dazu gebracht hätte, alles Menschenmögliche zu tun, um zu helfen. Letzten Endes war er derjenige, daran glaubte sie fest, der ihr das Leben gerettet hatte. Er hätte bestimmt nicht das erste Jahr im Gefängnis überlebt, wenn es nicht ihre Besuche gegeben hätte, auf die er sich regelmäßig freuen konnte, und ihre Liebe, auf die er sich verlassen konnte. Zumindest hatte er das, bis....

Entschieden legte sie das Bild wieder zurück, schloss die Schublade vor neugierigen Augen ab und verließ den Raum.

Die alten Zeiten waren jetzt vorbei.

Sie schlenderte in die Küche, und weil sie immer noch nicht müde war, machte sie sich eine Tasse Kakao. Während sie am Tisch saß und an dem Getränk nippte, sah sie ihr Spiegelbild, das sich im Glas zum Innenhof spiegelte. Wer war diese Frau? Sie sah so alt aus, irgendwie, und traurig.  Mit einem Kopfschütteln merkte Dana, dass sie älter und betrübter war als vor einigen Jahren. Seit Mulder im Gefängnis war, hatte sie mehr und mehr das Interesse am Leben verloren. Stattdessen hatte sich eine weite Leere in ihrem Inneren breit gemacht, die sie mit allen Mitteln zu füllen versuchte. Doch mit nicht sehr großem Erfolg. Die Beziehung zu ihrer Mutter ist seit ihrer Heirat mit Zachary Morrow etwas angespannter geworden, aber Margaret Scully hatte es schließlich akzeptiert und ihr viel mit ihrer neuen Enkeltochter geholfen. Zachs Tochter war liebenswert und eine kleine Schönheit und Maggie hatte sie ebenso schnell lieb gewonnen wie Dana. Mit der Zeit hatte sich ihre übliche Mutter-Tochter Verbundenheit wieder gefunden, doch beide wussten voneinander, dass sie trotzdem nicht anders über die Sache dachten. Maggie Scully hatte sich so sehr Fox Mulder als Schwiegersohn gewünscht, und sie hatte Zachary nie völlig akzeptiert.  Dana wurde es klar, dass es nie anders sein würde, und alsbald sie sich über diese Angelegenheit einigermaßen ausgesprochen hatten, war dieses Thema nie wieder zur Sprache gekommen. Dana wusste, dass sie großes Glück hatte, eine Mutter zu haben, die sie liebte und die zu ihr hielt, sogar wenn sie Dinge tat, die sie enttäuschten. Niedergeschlagen fragte sie sich, ob für Mulder vielleicht nicht alles anders gelaufen wäre, wenn seine Mutter ähnlich hinter ihm gestanden hätte.

Sie hatte schon immer eher undankbare Gedanken gehabt, was Mrs. Mulder anging. Ihr Kontakt mit ihr war immer beschränkt gewesen und in den Zeiten, in denen eine Mutter immer an der Seite ihres Sohnes sein sollte—wenn Mulder krank oder verletzt gewesen war—war sie nie da gewesen. Sie wusste, dass die Beziehung zwischen ihrem Partner und seinem einzigen Elternteil mehr als nur gespannt gewesen war, und es war nie ein Gesprächsthema gewesen, über das sie sich beide gerne ausgelassen hätten.  Wegen dieser Erkenntnis war Dana auch so überrascht gewesen, als Teena Mulder nicht lange nach der Inhaftierung ihres Sohnes zu Besuch aufgetaucht war.

"Ich bin gekommen, um mit Ihnen über eine sehr ernste Angelegenheit zu sprechen, Miss Scully", hatte sie gesagt, nachdem Scully ihr in der kleinen Küche ihres Apartments Kaffee eingeschenkt hatte.

Scully hatte sich überrascht mit hochgezogenen Augenbrauen zurück gelehnt und gewartet. Sie konnte sich nicht vorstellen, was Mrs. Mulder mit ihr besprechen wollte, das sie als 'ernste Angelegenheit' betrachtete.

"Ich weiß, dass Mr. Skinner mit ein wenig Unterstützung von Ihnen, wie ich vermute, versucht, die Unschuld meines Sohnes in diesen lächerlichen Anschuldigungen zu beweisen", war die Frau fortgefahren. Scully nickte und in ihr tat sich die Frage auf, ob die nicht aufhörende Hilfe und Liebe, die sie für Mulder hatte, als 'ein wenig' Beitrag zählte.

"Ich habe keine Zweifel daran, dass er eines Tages Erfolg haben wird, doch ich bin dennoch realistisch. Es könnte Jahre dauern, bis Fox wieder hier ist, und auch wenn er nach Hause kommt, wird er nicht in der Lage sein, für sich selbst zu sorgen—zumindest nicht für die erste Zeit. "

"Mrs. Mulder, ich verstehe nicht... "

"Dann lassen Sie es mich Ihnen erklären, junge Dame", hatte Teena sie abrupt unterbrochen. "Ich werde nicht ewig leben. Ich hoffe, dass ich dann noch leben werde—ich habe es sogar vor—wenn Fox frei gelassen wird, aber falls das nicht der Fall ist... "

"Möchten Sie, dass ich mich um Mulder kümmere?" hatte Scully verwirrt gefragt.

Mrs. Mulder seufzte leise. "Ich habe mein Testament gemacht. Etwas, das ich noch nie zuvor gemacht habe." Sie zuckte leicht mit den Schultern. "Ich habe immer gedacht, dass Fox sich um solche Details kümmern würde. Er war eine so große Hilfe, als sein Vater gestorben ist. Und jetzt scheint es, als ob er nicht da sein wird."

Scully rutschte beklommen auf ihrem Sitz. Sie fragte sich, ob Mrs. Mulder sie bitten würde, sich um das Begräbnis zu kümmern, falls die alte Dame sterben sollte.

"Ich habe ihm natürlich alles hinterlassen, da er ja mein einziger lebender Verwandter ist", fuhr sie fort. Ihr Blick war gesenkt und Scully wusste, dass sie genauso wie sie selbst an Samantha gedacht hatte. Sie hatte schon fast den Mund aufgemacht, um die Frage zu stellen, doch dann hatte sie sich eines besseren besonnen.

"Ich weiß, dass Sie meinen Sohn lieben", sagte Teena urplötzlich und ihr durchdringender Blick richtete sich wieder auf Scully, als ob ihre blauen Augen direkt in ihre Seele sehen würden. "Ich weiß, dass man sich auf Sie verlassen kann, dass Sie ihm nie weh tun könnten. Deswegen würde ich Ihnen gerne die Erbschaftsverwaltung übergeben, wenn ich sterben sollte, bevor Fox wieder frei ist."

Scully fühlte sich, als ob ihr der Hals zugeschnürt würde. Sie hatte sicher nicht erwartet, dass Mrs. Mulder ihr eine derartige Verantwortung wie diese überlässt—sie hatte nicht einmal gedacht, dass die Frau sie überhaupt mochte.

"Wie ich aber schon sagte, ich hoffe an diesem Tag noch am Leben zu sein", sprach Mrs. Mulder weiter und ignorierte Scullys Erstaunen, "aber falls es nicht so sein wird, bin ich gekommen, um Sie zu bitten, diese Bürde auf sich zu nehmen als die engste und vertrauteste Freundin meines Sohnes."

Scully schluckte merklich. Sie wusste nicht, ob sie durch den emotionalen Moment so gerührt war, oder weil Mrs. Mulder wohl hingenommen hatte, dass es im Falle ihres Sohnes nie Gerechtigkeit geben würde. So unterschiedlich die beiden Frauen auch waren, sie glaubten beide fest an Mulders Unschuld und wünschten sich sehr, dass er wieder freigelassen würde.

"Es ist keine Bürde", sagte sie, als sie ihre Stimme wieder fand. Ihr kam es vor, als würde sie sich von der anderen Seite des Raumes beobachten, wie in einem Traum. "Ich würde mich sehr freuen, Ihnen und Mulder nach meinen Möglichkeiten zu helfen."

Mrs. Mulder hatte ihr ein schiefes Grinsen geschenkt und ihre Hand dankbar gedrückt. "Mein Anwalt wird Sie anrufen", sagte sie schon im Aufstehen, als sie ihre steife Formalität wieder gewonnen hatte, da der Moment vorbei war. Sie hatte Scully allein gelassen mit diesen neuen Umständen.

Nachdem Mrs. Mulder gegangen war, hatte Dana wie benommen in die Schwärze ihres Kaffees gestarrt. Sie dachte über Mulders Familie nach und über die Allianz, die sie nun mit ihr hatte. Sie fragte sich, wie viel Kontrolle genau Mrs. Mulder ihr in dieser Sache gegeben hatte (nicht sehr viel, so stellte es sich später heraus; das meiste wurde über die Anwälte abgewickelt, doch Scully wurde für die ein oder andere Unterschrift verlangt) und um wie viel Geld es eigentlich ging. Mrs. Mulder hatte offensichtlich keine Geldbeträge für Samanthas Rückkehr bestimmt, das wunderte Scully. Vielleicht hatte sie sich irgendwann damit abgefunden, dass ihre Tochter umgekommen ist. Oder vielleicht wusste sie, dass wenn Samantha jemals wieder auftauchen würde, ihr älterer in sie vernarrter Bruder dafür sorgen würde, dass sie versorgt sein würde. Oder vielleicht, kam es Scully in den Sinn, vielleicht wusste sie einfach, dass Samantha nie von denjenigen, die sie entführt hatten, zurück gebracht werden würde.

Es war nicht vor Teena Mulders Tod ein Jahr später, als Scully die genauen Ausmaße von Mulders Erbe erfahren hatte, und die zusätzlichen, ziemlich überraschenden Zusätze im Testament der Frau. Das Geld sollte verwahrt werden, worum sich Mrs. Mulders Anwälte und Scully kümmern sollten, bis zu Fox' Entlassung aus dem Gefängnis. Falls er im Gefängnis sterben sollte, ohne sein Vermögen je antreten zu können,  soll der ganze Besitz—die ganzen dreieinhalb Millionen Dollar—Dana Katherine Scully zukommen.

 

Dana schüttelte sich aus ihren Gedanken und vergrub müde ihr Gesicht in ihren Händen. Zachary hatte das Geld gewollt, sie konnte es in seinen Augen lesen, wenn er dachte, sie würde nicht hinsehen. Sie hatte ihm allerdings natürlich nie solch persönliche Angelegenheiten erzählt, da sie absolut nicht geneigt war, so etwas mit ihm zu diskutieren. Doch nach ihrer Heirat hatte sie herausgefunden, dass ihr Bruder Bill seinem Freund die ganze Story erzählt hatte. Sie war sehr wütend gewesen, als sie es herausgefunden hatte, doch da war es schon passiert. Sie und Zach hatten deswegen eine ihrer schlimmsten Auseinandersetzungen, und sie sind sich tagelang aus dem Weg gegangen. Irgendwann hatte Dana dann beschlossen um ihrer Stieftochter Willen die Wogen wieder zu glätten. Es war zwischen ihr und ihrem Mann nie sehr einfach gewesen, aber seit dem Vorfall war es nie so gut wie es hätte sein können.

Sie war immer gewissenhaft gewesen mit ihren Besuchen bei Mulder. Ohne Ausnahme war sie jeden Samstag mit Klatsch und Neuigkeiten hingegangen und der besten Laune, die sie aufbringen konnte. Mulder hatte sich anscheinend gefreut, sie zu sehen, dankbar für jeglichen Kontakt mit der Außenwelt und besonders für ihre Gesellschaft. Sie wollte ihn so gerne berühren, seine Hand nehmen, bei ihm sein, aber sie waren jedes Mal durch eine dicke Glaswand getrennt gewesen. Manchmal sah sie diese Wand als ein Symbol ihrer ganzen Beziehung. Sie konnten sich sehen, miteinander reden, Witze machen, sich gegenseitig unterstützen, aber jedes Mal, wenn sie nach mehr griffen, war da eine Barriere zwischen ihnen. Manchmal war es eine selbst erbaute, und manchmal, wie jetzt, war es eine, die ihnen aufgezwungen worden war. Und das Hindernis war stark genug, egal, wie es entstanden war.

Mit der Zeit hatte sie gemerkt, dass Mulder sich mehr und mehr von ihr distanzierte, und es hatte ihr Angst gemacht. Sie glaubte nicht, dass sie noch mehr von ihm verlieren könnte, sie war jetzt schon so unsäglich einsam ohne ihn. Sie hatte ihren Job als Agentin beim FBI weiter gemacht, nachdem Mulder weg war, doch schließlich hatte sie sich zurück nach Quantico versetzen lassen, wo sie jetzt unterrichtete. Zuweilen kam es ihr vor, als ob sie nie gegangen wäre und ihre lange Partnerschaft mit Mulder nichts als nur eine Illusion gewesen war. Jedes Mal, wenn er sich ein Stück weiter zurückzog, starb ein kleiner Teil von ihr. Sie wusste, dass die empfindliche Beziehung, die sie zueinander hatten, mehr und mehr in sich zusammenfiel, und sie hatte Angst, dass sie hilflos dastehen ihrem Verfall zusehen musste. Ihr Herz verkümmerte mit jedem Besuch ein Stückchen mehr, bis sie sich irgendwann davor fürchtete, anstatt sich darauf zu freuen.

Manchmal fand sie ihn krank oder verprügelt vor, und sie fragte sich, wie viel er vor ihr geheim hielt. Es war klar, dass es im Gefängnis Prügeleien gab, und sie betete, dass sich Mulder nicht auf Probleme einließ und sich zurück hielt. Doch so war Mulder nie gewesen. Schon bald war ihr klar, dass er ein geeignetes Ziel für jemanden war, der nach Opfern suchte. Er war kleiner als viele der Insassen—und sein Appetitschwund und gleichgültige Einstellung trug nur zur Verminderung seiner Statur bei—und das Bewusstsein, dass er einmal ein Bundesagent gewesen war, machte ihren Hass auf ihn noch größer. Wenn sie ihn darauf ansprach, wechselte Mulder jedes Mal hastig das Thema. Er wollte nicht mit ihr über die Situation reden.  Letztendlich ließ sie davon ab, obwohl es ihr das Herz brach, die Schwellungen und Prellungen auf seinem Körper sehen zu müssen.

Seine Zurückgezogenheit von ihr wurde jedoch immer mehr offensichtlich, bis sie es irgendwann nicht mehr leugnen konnte. An einem Samstag, sechzehn Monate nach seinem Urteil, riss ihr der Geduldsfaden.

"Mulder, sag mir, was los ist." Ihre Stimme war tastend und kontrolliert gewesen, obwohl sie bei seinem Anblick weinen wollte. Er war wieder verprügelt worden, und dieses Mal sah nicht nur sein Gesicht schlimm aus, sondern er hielt zudem noch einen Arm an seinen Körper. Zuerst konnte sie nicht entscheiden, ob sein Arm oder seine Brust verletzt war, doch dann wurde es klar, dass es seine Rippen waren, die ihm höllisch weh taten. Sie fragte sich, ob der Gefängnisarzt ihn untersucht hatte.  Wahrscheinlich nicht. Mulder würde nie nach einem Arzt fragen, und hier gab es niemanden, der ihn dazu antrieb, wie sie es immer getan hatte.

Er schnaubte entrüstet. "Nichts ist los, Scully", grummelte er. "Alles bestens. Ich bekommen drei leckere Malzeiten am Tag, habe ein bequemes Bett zum schlafen, und ich muss nicht arbeiten. Was kann man schon mehr verlangen?"

Sie schluckte den bissigen Kommentar herunter, der ihr auf der Zunge lag. Mulder hatte es schon einmal an ihr ausgelassen, als er wütend war. Es hatte ihr damals nichts ausgemacht, und sie würde es jetzt auch nicht zulassen.

"Ich meine", erklärte sie vorsichtig, "warum ziehst du dich von mir zurück?  Du warst in letzter Zeit nicht sehr gesprächig, wenn ich dich besuchen kam, und vor zwei Wochen wolltest du mich gar nicht erst sehen!"

"Mir ging's nicht gut", murmelte er ohne ihr in die Augen zu sehen.

Sie sagte nichts einen Moment lang. "Okay", schließlich. "Es ging dir nicht gut. Das akzeptiere ich. Was ich allerdings nicht akzeptieren kann, ist die Art, wie du dich von mir distanzierst." Frust drang in ihrer Stimme durch.  "Was ist anders, Mulder? Es kommt mir vor, als würde ich dich gar nicht mehr kennen."

"Vielleicht tust du das auch nicht", entgegnete er bitter und hob seinen Blick, der sich durch das Glas in ihre Augen bohrte. "Du hast überhaupt keine Ahnung, Scully, du hast keinen blassen Schimmer, wie es hier drin ist! Jede Woche machst du deinen Mitleidsbesuch und dann gehst du wieder zurück in dein schönes, bequemes, sicheres Leben, und ich bleibe hier mit einer weiteren Woche in der Hölle vor mir!"

Seine Worte trafen sie wie ein Hammerschlag. Sie hätte nie gedacht, dass er ihre Besuche als "Mitleid" betrachtete. "Dem ist nicht so, und du weißt das, Mulder!" widersprach sie aufbrausend. "Ich komme her, um dich zu sehen, weil ich es will—nicht weil ich muss. Du bedeutest mir etwas."

"Ich habe dich nie darum gebeten." Seine Stimme war kalt geworden, und sie zuckte als ob er sie geschlagen hätte.

Nach einem stillen Moment versuchte sie es noch einmal. "Du weißt, dass wir alles tun, um dich hier raus zu holen", erinnerte sie ihn verzweifelt. "Es braucht nur seine Zeit..."

"Es dauert viel zu lange." Er schnaubte kurz in freudlosem Lachen.

"Andererseits, ich habe ja jetzt genug Zeit, was?"

Sie beugte sich vor zu ihm und ihre Seele schmerzte, als er von ihr zurück wich. "Du hast mich, Mulder", hatte sie gesagt. "Du wirst mich immer haben."

"Nein, Scully, ich werde dich nie haben", sagte er schneidend. "Nicht dich oder irgendjemand anderen. Und weißt du was? Das ist okay so. Ich brauche niemanden, und vor allem nicht dein Mitleid." Er hatte sich umgedreht und sich mit den Händen durch seine kurz geschnittenen Haare gestrichen, deshalb hatte er ihren Blick tiefsten Verrats nicht gesehen.

"Hör auf, dir um mich Sorgen zu machen, Scully", sagte er, als er sah, dass sie ihre Tränen zurück hielt. Der Anblick verschaffte ihm eine gewisse wütende Befriedigung. Er hatte heute fast sein Ziel erreicht. Wenn er noch einen drauf setzte, würde er erfolgreich sein. "Hör auf, auf mich zu warten. Hör auf mich zu besuchen." Er nahm einen langen, tiefen Atemzug, als ob seine nächsten Worte all seine Kraft kosten würde, und sagte, "Ich will dich nicht mehr sehen. Vergiss einfach, dass wir uns je kannten."

Scully griff blind nach hinten zu ihrem Stuhl, denn ihre Knie begannen nachzugeben. Sie wusste genau, was Mulder da tat. Sie konnte die Taktik nicht genau benennen, aber sie erkannte sie. Er fühlte sich schuldig, weil sie so viel in ihn und seinen Fall hineinsteckte, und er versuchte sie herauszuhalten, sie abzudrängen, sie freizulassen. Von seinem eigenen, egozentrischen Standpunkt aus glaubte Mulder, dass wenn sie ihn los wäre, er ihr einen Gefallen tun würde. Und in einem Moment absoluter Wut fragte sie sich, ob er es um ihretwillen tat oder nur sein Schuldbewusstsein lindern wollte.

"Mulder—" ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, kaum wahrnehmbar in dem Raum.

"Nein", erwiderte er resolut mit seinem üblichen "es hat keinen Zweck" Gesichtsausdruck. "Es ist vorbei. Was auch immer wir vielleicht gehabt haben ist vorbei. Wir hatten nie eine Chance."

Als sie ihre Stimme wiedererlangt hatte, gab ihr ihre Wut Kraft. "Ich werde es nicht zulassen", sagte sie mit wallenden Emotionen in ihren Worten. "Ich werde nicht zulassen, dass du mich aus irgendeinem verqueren Selbstmitleid aus deinem Leben streichst. Du kannst mich nicht so einfach loswerden."

Er schenkte ihr ein Lächeln, das sie mit seiner Schärfe durchteilte. "Doch, das kann ich, Scully. Es ist das letzte, worüber ich noch entscheiden kann."

Er drehte sich zu dem Wärter um, der sorgsam das Gespräch ignorierte, und Scully fragte sich insgeheim, wie viele solcher Szenen wie diese er im Laufe der Jahre schon gesehen hatte. "Bringen Sie mich zurück", kommandierte Mulder, und der Wärter machte sich daran, die Tür zu öffnen.

"Nein. Warten Sie!" rief Scully und drückte ihre Hand gegen das Glas, das sie trennte, als er von ihr entfernte.

Er hielt für einen Moment an, doch drehte sich nicht zu ihr um. "Es ist vorbei, Scully", sagte er zur Wand. "Geh, und lebe dein Leben. Ich kann nicht für dich da sein."

"Mulder, du musst gar nichts für mich sein", flehte sie. "Das ist nicht etwas, das ich von dir erwarte. Ich habe ein Leben, und ein Teil davon ist hier bei dir."

"Ich will nicht, dass du mich wieder besuchen kommst", wiederholte er grimmig. Er hatte seine Zähne fest zusammen gepresst, und sie wusste irgendwie trotz ihres eigenen Leids, wie viel ihn diese Worte gekostet hatten. "Ich will dich nicht mehr sehen."

"Mulder, tu mir das nicht an. Sag mir nicht, wie ich mein Leben leben soll", hatte sie gerufen, zitternd vor Angst und Wut. Das eiskalte Gefühl in ihrer Magengegend sagte ihr, dass wenn er jetzt gehen würde, sie ihn für immer verlieren würde.

Er griff nach der Türklinke und drehte sich ein wenig zurück zu ihr. Sie sahen sich einige Sekunden an, in denen sie den Schmerz in seinen Augen sehen konnte, bevor er dem Wärter zunickte und leise durch die Tür glitt.  Fort.

Sie sah ihm nach, schwer atmend. Jahrelange Erfahrung ermöglichte es ihr, ihre Tränen im Zaum zu halten, die ungebrochen über ihr Gesicht strömen wollten. Sie würde hier nicht weinen, sagte sie sich fest entschlossen, und schaffte es, sich zusammenzureißen, bis sie im Auto war. Dort hatte sie für ein paar Minuten vollkommen die Kontrolle über ihre Emotionen verloren - schreiend, weinend, auf das Lenkrad hämmernd aus purer Wut auf ihn, auf sich selbst, auf den Raucher—auf die ganze Welt, die ihn ihr weggenommen hatte und ihm alles genommen hatte, ihn zu einer leeren Hülle gemacht hatte, die sie gerade verlassen hatte.

Nach ein paar Wochen fast unerträglichen Leidens, in denen sie erkannt hatte, dass Mulder sie nicht wirklich aus seinem Leben haben wollte, sondern dass er sich lediglich wie Mulder benahm, war sie wieder ins Gefängnis gegangen, um ihn wieder regelmäßig zu besuchen. Doch er wollte sie nicht sehen.

Er war ihr seitdem nicht mehr unter die Augen getreten.

Mit der Zeit hatte es Scully geschafft, ihre Wut auf ihn immer weiter hochzukochen, die die anderen Gefühle übertraf, die sie hin und wieder übermannen wollten. Mulder war ein Idiot, sagte sie sich abweisend. Ein selbstsüchtiger Bastard, der ihre Zeit nicht wert war. Er wollte sie nicht, und er hatte es ihr unmissverständlich gesagt. Ihre Beziehung zu beenden— wenn man es überhaupt als Beziehung bezeichnen konnte—war das Beste für sie beide. Sie versuchte die leise innere Stimme davon zu überzeugen, die drohte, anderer Meinung zu sein. Sie würde ihm geben, was er wollte.  Gar kein Problem. Ihn zu verlassen war einfach.

Es war das Fernbleiben, das unmöglich war.

 
 

Walter Skinner setzte seine Brille ab und rieb sich müde den Nasenrücken. Er hatte gerade ein höchst unbehagliches Gespräch mit Scully hinter sich (er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, sie als 'Dana Morrow' zu bezeichnen, nicht einmal nach all der Zeit) und jetzt war er ein Mann mit einem Problem. Scully hatte am nächsten Tag ein Treffen mit dem Anwalt vereinbart, der sich um Mulders Erbschaft kümmern sollte. Er sollte sicherstellen, dass Mulder bei diesem Treffen erscheinen würde, um alle Formulare zu unterzeichnen, die ihn zum rechtmäßigen Bevollmächtigten über das Geld machen würden. Es musste sein. Es war unumgänglich. Es würde die Hölle für Mulder werden.

Skinner war müde, das Thema Scully ständig vor sich herzuschieben, aber er wollte Mulder nicht unnötig aufregen. Der Blick in den Augen seines Freundes, wenn er an Scully dachte, war herzzerreißend und erschreckend, als ob Mulder in jenen dunklen Abgrund sehen würde, von dem in der Literatur so oft gesprochen wird, und ihn angesichts seines eigenen Schmerzes lächerlich fand.

Es war nicht eine Woche nach ihrer Verlobung mit Zachary Morrow, als Mulder abermals in Einzelhaft gesteckt worden war - länger als er bisher dort verbracht hatte. Skinner war gerade für seinen Besuch zwei Mal im Monat gekommen, nur um darüber informiert zu werden, dass sein früherer Agent "verrückt geworden" sei. Er hatte einen Mitgefangenen in der Halle attackiert und geschlagen, bevor die Wärter ihn aufhalten konnten. Erst mehr als einen Monat später hatte Skinner ihn wieder sehen dürfen, und als es soweit war, war es ihm nicht möglich, eine Erklärung für sein gewalttätiges Verhalten zu bekommen. Mulder hatte über die ganze Sache Stillschweigen behalten und Skinner wusste, dass er ihn nicht drängen durfte.

Scully hatte ihn nach ihrem letzten Treffen mit Mulder angerufen, als sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle und zu ihrer üblichen kühlen, zuversichtlichen Art zurückgefunden hatte. Skinner hatte engagiert versucht, sie zu überreden Mulder nicht fallen zu lassen - wie er fand -, doch es hatte nichts gebracht. Als Scully daraufhin versuchte hatte, mit Mulder Frieden zu schließen und er sie drei Samstage hintereinander nicht sehen wollte, hatte sie Skinner wissen lassen, dass sie nicht mehr zu ihm gehen würde. Sie gab Mulder was er wollte. Er konnte in ihren Augen sehen, dass sie über die Wahrheit bezüglich Mulders Verhalten Bescheid wusste, aber sie war zu tief unter ihrem eigenen Schmerz vergraben, dass er bezweifelte, dass es etwas änderte.

Gut ein Jahr später hatte sie ihre Verlobung bekannt gegeben. Sie war zu ihm gekommen, um es ihm unter vier Augen zu sagen. Sie wusste, dass er es an Mulder weiterleiten würde. Skinner hatte die Tränen hinter ihrem Lächeln gesehen, aber Scully hatte sie in ihrer Eigenart abgeschüttelt.

"Er will mich nicht", hatte sie in neutralem Ton auf seine unausgesprochene Frage geantwortet. "Ich habe ihm genug Zeit gelassen, um damit fertig zu werden, aber er will mich immer noch nicht sehen. Er schickt meine Briefe zurück." Sie hatte tief und beruhigend durchgeatmet. "Ich kann Mulder nicht dazu zwingen, eine Beziehung mit mir einzugehen, Sir. Er hat es mehr als deutlich gemacht, dass es vorbei ist."

Aber Skinner wusste, dass es für Mulder nicht vorbei war - dass es nie vorbei sein würde.

Mulder die Neuigkeit zu berichten war eine der schwierigsten Aufgaben, um die Skinner je gebeten wurde. Mulder hatte Skinner angestarrt, mit toten Augen, hatte sich dann weggedreht und sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Skinner hatte still und wie auf heißen Kohlen da gesessen in dem Bewusstsein, dass der andere Mann mit den Tränen kämpfte, bis Mulder endlich den Kopf gehoben hatte. Sein Gesicht war kreideweiß gewesen.  Skinner hatte dieses Gesicht viele, viele Male gesehen, normalerweise wenn Mulder verbal von Kollegen oder Vorgesetzten attackiert wurde, aber er hatte es noch nie gesehen, wenn Mulder die Tiefe seiner Emotionen zu verbergen versuchte. Er war aufgestanden, Hände in den Taschen, und hatte Mulder ruhig gefragt, "Gibt es etwas, was ich diese Woche für Sie tun kann?"

Bringen Sie mich um, hatten diese gequälten Augen gebeten, doch Mulder hatte nur kurz den Kopf geschüttelt und seinen Blick stur auf die Wand gerichtet, als Skinner die Besucherkabine verlassen hatte. Er wusste, dass früher oder später Mulders sorgsam aufgerichtete Fassade bröckeln würde, und er hoffte, dass Mulder allein sein würde, wenn das passierte. Jetzt, als er sich daran zurück erinnerte, stellte sich Skinner die Frage, ob Mulder sich absichtlich in Einzelhaft verlegen lassen hatte, um in Einsamkeit um Scully zu trauern.

Seit seiner Freilassung hatte es Mulder gewissenhaft vermieden, das Thema Ex-Partnerin anzuschneiden, und Skinner war sich sicher, dass er ein Wiedersehen nach Möglichkeit für immer aufschieben würde. Doch leider war es nicht möglich, und jetzt war die Zeit gekommen.

Skinner legte seinen Kopf auf seine Arme und dachte für einen Moment an die Komplikationen innerhalb Mulders Familie. Teena Mulder hatte ihren Sohn geliebt, zweifellos. Es war bei den Treffen, die er mit ihr nach Mulders Verhaftung gehabt hatte, offensichtlich gewesen - jedoch hatte sie ihren Sohn nicht ein einziges Mal im Gefängnis besucht. Er nahm an, dass sie den Anblicks ihres inhaftierten Sohnes nicht ertragen konnte. Es

würde für jede Mutter schwer sein, und Teena hatte in ihrem Leben sicherlich mehr als genug Probleme und Schrecken erleben müssen, wenn es um ihre Familie gegangen war.

Obwohl sie Mulder nie besucht hatte, hatte sie mit Skinner immer Kontakt gehalten, und er war froh gewesen, ihr regelmäßig Berichte über sein Befinden und über jegliche Versuche ihn zu befreien zu erteilen. Es war eine sehr schwere Zeit gewesen, und als er so über das Leben und den Tod nachdachte, fragte sich Skinner, ob Teena jetzt an einem Ort war, von dem sie sehen konnte, dass sie letzten Endes ihr Ziel erreicht hatten. Sie war immer eine starke Frau gewesen, bis zu ihrem Ende.

Er konnte sich noch an den Tag erinnern, an dem sie ihn angerufen und gebeten hatte, ob er ihr helfen könne, Mulders Sachen zu packen. Skinner hatte innerlich gestöhnt, und mit einem kalten Schauer am Rücken zugesagt. Er wollte nicht durch Mulders Sachen wühlen, er käme sich viel zu sehr wie ein Eindringling bei jemandem vor, der bereits genügend durchmachen musste. Vor allem wollte er nicht bei Mrs. Mulder sein, wenn sie irgendwann unvermeidlicherweise zusammenbrechen würde. Jedoch war er dazu bestimmt der "Stärkere" zu sein, und er war noch nie jemand gewesen, der sich vor seinen Pflichten drückte. Sie hatte ihn allerdings überrascht, indem sie ruhig und entschlossen durch die Habseligkeiten ihres Sohnes gegangen war, ohne auch nur eine einzige Träne zu vergießen. Sie hatten Seite an Seite mit nur geringem Wortwechsel stundenlang gearbeitet, und als sie fertig waren, hatte sie bemessen die Möbelpacker kommen lassen, die alles an den Aufbewahrungsort bringen sollten.

"Ich glaube, ich muss seinen Wagen verkaufen", hatte sie Skinner leise gesagt, "aber ich fürchte, alles andere kann ich nicht abgeben. Er wird es brauchen, wenn er frei kommt."

"Mrs. Mulder—" begann er, doch sie schüttelte entschlossen den Kopf.

"Ich habe vollstes Vertrauen, dass Sie meinen Sohn retten werden, Mr. Skinner. Ich muss daran glauben. Ich kann ihn nicht auch noch verlieren." Mit diesen Worten schritt sie entschlossen aus dem Zimmer und Skinner sah ihr mit Bewunderung nach. Mumm, hätte es sein Vater genannt. Sie hatte Mumm.

Er ließ sich auf Mulders Couch nieder und blickte sich im Zimmer um, das nun von allen persönlichen Gegenständen befreit war, und er dachte an den Mann, der hier gewohnt hatte. Wie viele Jahre hatte er in dem kleinen Apartment gelebt? Skinner wusste es nicht. Mulder war hier gewesen, als sie sich getroffen hatten, aber es war zu lange her, um einen Eindruck zu hinterlassen.

Er war nicht oft hierher gekommen, obwohl einige seiner Besuche denkwürdig gewesen waren. Er hatte noch genau vor Augen, wie er auf dieser Couch gesessen hatte, während Scully ihre Waffe auf ihn gerichtet hatte. Sie hatten die Waffen aufeinander gerichtet—er wusste, dass sie ihn nicht umbringen würde, doch er hätte ihr zugetraut zu schießen, um sich zu schützen, sogar vor ihm --, als ein Geräusch an der Tür sie abgelenkt hatte. Zu ihrer größten Verwunderung war der Mann hineingekommen, von dem sie beide gedacht hatten er sei mit einem Container in New Mexico in die Luft gejagt worden. Der Ausdruck auf Scullys Gesicht bei Mulders unerwartetem Auftreten hatte er in den nächsten angespannten wenigen Minuten gar nicht wahrgenommen, aber als er sich später daran erinnerte, erkannte er, was er bedeutet hatte. Er fragte sich, wann sie sich ineinander verliebt hatten, und wie er so blind gewesen war es nicht zu bemerken.

Er konnte sich daran erinnern wie er an dem Morgen nach Mulders Selbstmord hierher gekommen war, und er wusste noch, wie er gefürchtet hatte, den Blick des Mannes, der nur wenige Wochen vorher sein Leben gerettet hatte, zu Gesicht zu bekommen. Und Scully—Scully war kontrolliert wie immer gewesen, und er hatte geglaubt, dass sie innerlich auseinander fiel.  Natürlich hatte er später herausgefunden, dass das ganze nur gestellt war, aber er zweifelte, dass unter anderen Umständen ihre Reaktion anders gewesen wäre. Er blickte nach oben an die Decke und ein Zittern durchlief ihn, als er sich an die Überwachungsmaßnahmen für Mulder erinnerte. Wie hatte der Mann all diese Dinge überlebt, die ihm angetan worden waren? Und die Scully angetan wurden? Sein Blick glitt zum Fenster—Scully ist an genau diesem Fenster angeschossen worden, obwohl man jetzt davon nichts mehr sehen konnte. Keinem von ihnen blieb mehr als Erinnerungen—gute und schlechte.

Es war so schwer gewesen, ihr Vertrauen zu gewinnen, und am Anfang war er sich gar nicht so sicher, warum er es überhaupt haben wollte. Er war ihr Vorgesetzter, sie arbeiteten für ihn, das sollte genügen. Aber irgendwann in der ganzen Zeit hatte er diese beiden Agenten wie keine anderen respektieren gelernt, und er verspürte den Wunsch, dass sie ihn ebenfalls in dieser Hinsicht respektierten. Letztendlich hatte er sein Ziel erreicht, und mit der Zeit kam ihm der Gedanke an die beiden als seine Freunde, trotzdem Skinner eher ein Einzelgänger war. Er hatte kein einziges Mal weder Mulder noch Scully angerufen, um sie zum Essen einzuladen, aber er wusste, dass wenn er sie je brauchen würde, er auf sie zählen konnte. Und genau das, das war seine Meinung, machte einen treuen Freund aus. Er wusste, dass seine Loyalität den beiden gegenüber zeitweise in Frage gestellt worden war, aber Mulder—und Scully auch auf eine gewisse Weise— hatte ihm geglaubt. Deshalb half er Mulder jetzt. Skinner hob den Kopf von seinen Armen und griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch, um Mulder über das Treffen zu informieren, doch dann entschied er sich anders. Solche Neuigkeiten sollte man besser persönlich bringen, dachte er. Auf die Art konnte Mulder auch nicht weg laufen. Er musste dieses Treffen mit Scully hinter sich bringen, um mit seinem neuen Leben anzufangen. Skinner wusste, dass Mulder sich dagegen wehren würde, und er würde ihn besser überreden können, wenn er Auge in Auge vor ihm stand. Mulder war das ganze Wochenende nach dem Besuch am Grab seiner Mutter in einem labilen Zustand gewesen, und Skinner war bedacht gewesen, ihm viel Freiraum zu lassen. Letzten Abend schien es ihm erheblich besser gegangen zu sein, er hatte bis spät in die Nacht Fußball mit ihm gesehen, und er hatte noch geschlafen, als Skinner am nächsten Morgen zur Arbeit gefahren war. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und begann zu überlegen, wie er Mulder diese schlechten Neuigkeiten am besten überbringen könnte.

 

"Mulder, Sie müssen ihr irgendwann gegenüber treten."

"Warum?" fragte Mulder stur. "Nennen Sie mir einen guten Grund warum."

Skinner schüttelte verärgert den Kopf. "Weil das Problem nicht aus der Welt geschafft ist und Sie sie nicht für immer meiden können. Weil sie früher oder später ihren Weg kreuzen werden und Sie können sich genauso gut jetzt mit ihr treffen. Weil diese Dokumente unterzeichnet werden müssen, und es für alle Beteiligten einfacher ist, wenn Sie und Dana sich zusammen mit einem Anwalt treffen."

Mulder spitzte die Lippen, sagte aber nichts weiter. Skinner ging in sein Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Mulder hatte eine Diskussion angefangen, als er ihm sagte, dass der Anwalt ihm genauso gut die Sachen zum Unterzeichnen zuschicken könnte, aber Skinner war fest entschlossen, Mulder nicht einfach so aus dieser Sache herauszulassen. Er wollte mehr als jeder andere dieses Treffen zwischen Mulder und Scully hinter sich bringen.  Vielleicht konnte Mulder dann die Fragmente seiner Selbst wieder zusammenbauen.

In dem Augenblick, als Skinner aus der Tür war, sank Mulder erschöpft auf einen Stuhl, weil seine Beine ihn nicht mehr halten wollten. Sie nach all dieser Zeit wiedersehen? Wie würde er reagieren? Wie würde sie reagieren?  Würde sie kühl und distanziert sein, order ihm nett wie einen alten Freund begrüßen? Mulder wusste nicht, was schlimmer wäre. Seine Erfahrung sagte ihm, dass ihr eisiges Äußeres ihn scharf kritisieren konnte, aber so zu tun als ob.... Er schüttelte den Kopf. Sie konnten nicht einfach so tun, als wäre alles beim alten. Sie konnten die stechenden Worte bei ihrem Abschied nicht leugnen. Alles, was sie jetzt tun konnten war zu versuchen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Scully hatte ihr Leben weiter gelebt, reflektierte er grimmig. Es war höchste Zeit, dass er es auch tat. Mulder rieb sich sein Gesicht und verdrängte stur eine Welle der Emotionen. Dann stand er entschlossen auf. Skinner hatte recht gehabt. Er konnte es nicht weiter auf die lange Bank schieben.

"Wann ist der Termin?" fragte er, als Skinner aus dem Schlafzimmer kam, und Skinner atmete innerlich erleichtert aus.

"Morgen", sagte er ohne große Worte, seine autoritäre Haltung verriet nicht das kleinste Anzeichen seiner Sorge. "Zehn Uhr. Nehmen Sie meinen Wagen, ich fahre mit dem Taxi zur Arbeit."

Mulder zögerte. Er war seit über vier Jahren nicht mehr Auto gefahren, und jetzt bot ihm Skinner seinen Wagen ohne mit der Wimper zu zucken an. Ihm wurde ganz mulmig. Was, wenn er einen Unfall baute? Andererseits würde er nach dem Treffen mit Scully Zugriff auf eine große Menge Geld haben. Wenn er Skinners Auto zu Schrott fahren würde, würde er ihm einfach ein neues kaufen, sagte er sich. Veilleicht würde er sich selbst auch eins kaufen. Vielleicht war es schon höchste Zeit dafür.

Mulder war am nächsten Morgen früh auf den Beinen und lief in der Wohnung ruhelos umher. Skinner nervte das ziemlich, brachte ihn aber nicht aus der Ruhe. Skinner frühstückte und sah zu, wie Mulder mit seinem Frühstück herumspielte, aber nicht einen Krümel davon nahm. Er würde Mulder sowieso keinen Gefallen damit tun, wenn er ihn zum Essen überreden und er Scully mit einem vollen Magen treffen würde. Nicht mit seiner Neigung zu Übelkeit bei viel Stress. Erst als er aufstand, um zur Arbeit zu fahren, warf er Mulder seinen Autoschlüssel hin mit der Ermahnung, "Zehn Uhr, Mulder.  Seien Sie pünktlich."

Mulder fing den Schlüssel mit einem Kloß im Hals und ging auf sein Zimmer, um sich fertig zu machen. Scully das erste Mal seit Jahren zu sehen würde ihm eine Extraportion an Zuversicht abverlangen, von dem er in letzter Zeit leider nicht sehr viel hatte. Er beschloss ein Bad zu nehmen und etwas von seinen neuen Sachen anzuziehen. Zumindest hingen die nicht so lasch an ihm herunter wie seine alten Klamotten. Er hoffte, dass sobald dieses Treffen hinter ihm lag, er endlich seinen Appetit wiederfinden würde. Er konnte es überhaupt nicht leiden so dünn zu sein und kränklich auszusehen.

Nachdem er sich rasiert hatte, kämmte er sich und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Seine Rippen standen zu sehr hervor, aber sie würde es unter einem locker sitzenden Hemd nicht sehen. Seine Arme und Beine waren ebenfalls dünner als gewöhnlich, und er nahm sich vor, ein wenig zu trainieren. Wieder mit dem Laufen anzufangen hörte sich wundervoll an, und durch regelmäßiges Training würde er auch mehr essen und Muskeln ansammeln. Als sie am Montag Abend Fußball im Fernsehen gesehen hatten, hatte Skinner vorgeschlagen, einige seiner alten Basketball-Freunde anzurufen, aber Mulder hatte ihm etwas sarkastisch zu Verstehen gegeben, dass es sich nicht gerade einladend anhörte, sich mit ein paar Typen zu messen, die größer, stärker und in besserer Form waren. Skinner hatte kurz gelacht und sich wieder dem Spiel zugewandt, was Mulder mehr zu schätzen wusste, als Skinner je geahnt hätte. Er wollte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, er wollte einfach normal sein. Zumindest so normal wie möglich, gegeben den Umständen.

Skinner hatte ihm fünfhundert Dollar geliehen, so dass er sich ein paar Kleider und einige andere persönliche Gegenstände kaufen konnte. Mulder hatte das Geld für einen Moment verdattert angesehen, bevor er es mit einem wohlbekannten Gefühl von Dankbarkeit vermischt mit einer kräftigen Dosis Schuldgefühle in seine Jeanstasche gestopft hatte. Skinner sollte das alles nicht für ihn tun. Er war so eine Last für ihn. Betreten hatte er sein Dankeschön gemurmelt und Skinner hatte einfach anerkennend genickt und ihm lediglich gesagt, er könne es wieder zurückzahlen, wenn er ein reicher Mann wäre. Mulder konnte sich immer noch nicht richtig mit dem Gedanken abfinden, dass ihm einmal so viel Geld gehören würde. Für einen Moment überlegte er, einen beträchtlichen Teil davon zu verschleudern, wie zum Beispiel für einen brandneuen Ferrari, aber er verwarf diese Idee rasch wieder. Das war einfach nicht seine Art.

Mit einer Einladung zum Mittagessen hatte er Langly dazu überredet, ihn zu einem nahe gelegenen Einkaufszentrum zu fahren, damit er sich beim dortigen Friseur einen vernünftigen Haarschnitt zulegen konnte. Sie waren einige Zeit in verlegener Stille gefahren, dann hatte Mulder geseufzt und beschlossen, das Eis mit seinem alten Freund zu brechen.

"Tut mir leid, aber ich bin keine gute Gesellschaft", fing er an, aber Langly schüttelte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass seine Entschuldigung völlig unnötig war. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll."

"Wir sind nur froh, dass du zurück bist, Mulder. Sorry, dass wir dich noch nicht besucht hatten, aber wir wollten dich nicht in Verlegenheit bringen.  Wir haben uns gedacht, dass wenn du soweit bist, du es uns wissen lässt, und ich glaube, damit hatte ich recht."

Mulder lächelte. "Tja, es gab eben niemand anderen, den ich hätte fragen können mich für eine Weile mitten in der Woche herumzukutschieren", witzelte er. "Alle meine anderen Freunde arbeiten um diese Tageszeit."

"Klar, Mulder, du musst sie dir sicher mit Müh und Not vom Leibe halten, was?" sagte Langly ironisch. Mulder musste lachen, weil es so absurd war, und schon bald lachte Langly mit. Langly ergriff die Gelegenheit Mulder zu fragen, ob er nicht 'mit den Jungs rumhängen wollte am Freitag'—sie vermissten seinen Witz und seine Gesellschaft.

Wieder musste Mulder grinsen. "Ihr vermisst doch nur das Bier, das ich euch bringe", sagte er, aber er willigte ein. Für einen Moment überlegte er, ob er Skinner nicht mit einladen sollte, aber dann dachte er sich, dass Skinner sicherlich froh sein würde, wenn er ihn für einen Abend mal los würde. Es war wirklich höchste Zeit, wieder zu leben.

Langly hatte angeboten, mit Mulder rein zu gehen, doch Mulder dankte ihm und sagte, dass er dieses kleine Abenteuer außerhalb seines sicheren Heims wohl alleine hinbekommen müsse. Es war ein komisches Gefühl für Mulder, in der Warteschlange an der Kasse zu stehen. Er fragte sich, ob die Verkäuferin an der Kasse merken würde, wo er die letzten vier Jahre gewesen war. Er fühlte sich fehl am Platz, als ob das Wort "Ex-Sträfling" auf seiner Stirn gestempelt wäre. Er war im Gefängnis dazu gezwungen gewesen, jeden als eine mögliche Bedrohung zu betrachten, so dass er nun jedem einzelnen misstrauisch gegenüber war. Er hatte extra eine Geschäft ausgesucht, das um diese Zeit nicht so voll sein würde. Egal, er würde jedenfalls froh sein, wenn dieses Unterfangen vorbei war.

Bridgette, das süße junge Ding, das ihm die Haare geschnitten hatte, hatte sich mit ihm unterhalten wollen, aber er konnte keinerlei Smalltalk aufbringen. Neckend hatte sie verlangt, wo er sich das Desaster, das sie da vor sich fand, wohl eingefangen hätte. Mulder hatte lediglich gegrint. "Frank."

"Frank?" fragte sie mit einer erhobenen Augenbraue.

"Ja. Ein alter Freund meines Vaters", log er todernst. "Er hat meine Haare geschnitten seit ich ein kleiner Junge war. Frank wird langsam alt und sein Sehvermögen ist nicht mehr das, was es einmal war, aber ich kann mich nicht dazu durchringen ihn einfach so abzuservieren."

"Und warum sind Sie dann hier?" fragte Bridgette, als sie flott schnippelte und kämmte und das Durcheinander, das sein Haarschnitt war, unter ihrer magischen Schere bezwang.

"Ich kann mich auch nicht dazu durchringen, mit so einem schlimmen Haarschnitt herumzulaufen."

Sie lachte. Das kichernde Lachen einer jungen Frau, die noch nicht erfahren hatte, wozu Menschen fähig waren, und die wegen ihrer Entschlossenheit und Sturheit sicher nie zur Zielscheibe durchtriebener Leute sein würde. Mulder seufzte innerlich und genoss den Gedanken daran, dass es noch Unschuld auf der Welt gab, während er zugleich den Verlust derselben in ihm selbst betrauerte. Es war so lange her, seit er das letzte Mal wirklich gelacht hatte.

Nachdem er sich mit neuen Sachen und neuem Haarschnitt endlich wieder wie ein Mensch fühlte, rief Mulder Langly von einem Münztelefon an. Langly war binnen weniger Minuten da und Mulder hatte den Verdacht, dass er gar nicht von dem Parkplatz des Einkaufszentrums gefahren war, aber er stellte keine Fragen. Er wusste, dass er sich glücklich schätzen konnte mit Freunden wie den Einsamen Schützen und Skinner - Freunde, die sich für ihn ins Zeug gelegt und Opfer gebracht hatten, und die ihn nie im Stich lassen würden.

Nur schade, dass man das von ihr nicht behaupten konnte.

Dana sah zum zwanzigsten Mal an diesem Morgen auf die Uhr. Es war immer noch erst 8.45 Uhr, und sie hatte noch etwa eine Stunde totzuschlagen, bevor sie Mulder treffen würden. Die Fahrt zum Büro des Anwalts würde nur etwa zehn Minuten dauern. Jeden Morgen spülte sie das Frühstücksgeschirr ab und machte die Betten, aber jetzt hatte sie nichts anderes zu tun als zu sitzen und zu warten. Mitten im Wohnzimmer saß ihre Stieftochter auf dem Boden und spielte zufrieden mit ihren Puppen. Sie musste lächeln beim Anblick der kleinen Vierjährigen und dachte über ihr jetziges Leben nach.  Es war nicht toll, aber Nymphe, wie Dana sie nannte, war der Lichtblick in ihrer Existenz. Als Dana schließlich die Spannung nicht länger aushalten konnte, fragte sie die Kleine, "Hast du Lust auf einen Spatziergang im Park?"

Die Augen des kleinen Mädchens leuchteten auf und Dana hüpfte das Herz. Sie liebte dieses Kind. Manchmal fragte sie sich, ob Zachary ihr seine Tochter so zeitig in ihrer Beziehung vorgestellt hatte, um ihre Entscheidung ihn zu heiraten zu beeinflussen. Ihr Bruder Bill war ebenfalls behilflich gewesen, da Zach ein alter Freund von ihm war. Er hatte schon seit Jahren versucht, sie und Zach zu verkuppeln, aber er hatte sich zurückgehalten, weil sie Mulder zum Partner hatte. Doch seit Mulders Verhaftung hatte Bill nicht eine einzige Gelegenheit verpasst sie darauf aufmerksam zu machen, dass Zach ein gesunder, zuverlässiger und unverheirateter Mann war, was andererseits auch ein verdeckter Seitenhieb an Mulder war. Scully hatte sich während der ersten zwei Jahre standhaft geweigert, bis sie schließlich einwilligte und mit dem eisernen Entschluss, mit ihrem Leben weiterzumachen, mit ihm ausging.

Nachdem Mulder sie abgewiesen hatte, hatte sie sich zuerst gegen den Gedanken gesträubt, mit anderen Männern auszugehen, weil sie noch zu sehr an ihm hing. Doch als die Zeit verstrich, und er stur den Kontakt mit ihr verweigerte, hatte Dana letztlich eingesehen, dass es eine ausweglose Situation war. Es war Mulders Entscheidung gewesen, und er hatte sie getroffen. Sie musste ebenfalls eine Entscheidung treffen - entweder herumsitzen, ihre Wunden lecken und auf ihn warten, oder sich um etwas Zufriedenheit (wenn schon nicht großes Glück) in ihrem Leben zu bemühen.  Als Zachary ihr nach einem Monat einen Heiratsantrag gemacht hatte, hatte Dana ein paar Tage darüber nachgedacht. Ein oder zwei Mal war sie sogar drauf und dran gewesen, Mulder zu besuchen, um mit ihm darüber zu reden - aber sie hatte sich umentschieden, als sie sich an den Schmerz erinnerte, den sie nach ihrem letzten Besuch durchgestanden hatte. Mulder wollte sie nicht, rief sie sich stur ins Gedächtnis. Er hatte keinen Blatt vor den Mund genommen, um es ihr deutlich zu machen. Sie würde nicht noch mehr ihrer Zeit wegen ihm verschwenden. Sie und Zach hatten eine kleine, aber schöne Hochzeit gehabt, und Dana hatte nie zurückgeblickt - zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Als sie jetzt mit ihrer Tochter auf dem Rücksitz in Richtung Park fuhr, versuchte sie sich abermals davon zu überzeugen, dass sie keine Gefühle mehr für Mulder hatte.

Mulder musste zugeben, dass es ihm gut tat, wieder hinter dem Steuer eines Autos zu sitzen. Nach einigen Minuten gewöhnte er sich langsam wieder daran und schon bald fuhr er bequem und ohne Probleme, wenn auch etwas vorsichtiger als gewöhnlich, in die entgegengesetzte Richtung der Adresse, die Skinner ihm gegeben hatte. Für kurze Zeit zog Mulder in Erwägung abzuhauen und einfach nicht zu hinzugehen, doch dann gestand er sich reuevoll ein, dass Skinners Wagen zu stehlen ihm nicht gerade gute Karten bei seinem Gastgeber bescheren würde—und wenn man ihn schließlich fände, würde Skinner ihn wahrscheinlich für so eine Aktion eigenhändig umlegen. Er hatte deutlich gemacht, dass er keinerlei Entschuldigungen für ein Nichterscheinen akzeptieren würde. So versuchte Mulder damit zurechtzukommen, dass er ihr heute gegenübertreten musste. Ohne Wenn und Aber. In seiner Verzweiflung redete er sich ein, dass die ganze Geschichte wohl nicht länger als eine halbe Stunde dauern würde. Dreißig kurze Minuten. Gerade mal lang genug, um eine alte Wiederholung von Night Gallery im Fernsehen zu gucken. Mit dem Unterschied, dass es hier keine Werbeunterbrechung geben würde - und keine Gnadenfrist. Er hatte bereits beschlossen, dass ein kräftiger Drink nach diesem Treffen genau das Richtige sein würde.

Er blickte auf die Uhr und stellte fest, dass er noch über eine Stunde hatte, bis er im Anwaltsbüro sein musste. Eine rasche Entscheidung getroffen, schwang er den Wagen auf den Freeway. Mit ziemlich dem gleichen Gefühl, das er hatte, als er seine alten Tagebucheintragungen auf seinem Computer gelesen hatte, näherte er sich seiner alten Wohngegend. Und er stellte sich dieselbe Frage - wollte er sich das wirklich antun? Doch mit jeder Minute, die er näher zu seiner früheren Wohnung kam, wurde die Antwort für ihn klarer. Ja, er würde sich das antun, und er würde es mit ziemlicher Sicherheit später bereuen.

Doch man musste Auf Wiedersehen sagen können, und Mulder wollte es hinter sich bringen. Er wollte alle Geister austreiben, die ihn in seinen Träumen verfolgten, und ihn mit den Erinnerungen an das, was er verloren hatte, verspotteten. Stelle dich deinen Ängsten, sagte er sich entschlossen.  Stelle dich und lasse sie hinter dir. Alles schön und gut, behauptete sein Ich, doch je näher er zum Hegal Place gelangte, desto stechender wurde der Schmerz in seiner Magengegend, bis er fürchtete, er müsse anhalten und sich übergeben. Als er endlich vor seinem alten Wohngebäude parkte, zitterten seine Hände stark und er fühlte sich schwindelig. Er lehnte sich zurück an die Kopfstütze und kniff die Augen fest zusammen, um für etwas Mut zu sammeln, wovon er bereits wusste, dass es keine gute Idee war.

Schließlich, nach einer intensiven innerlichen Auseinandersetzung, in der sein Verstand seinen Gefühlen einhämmerte, dass dieser Schritt für eine Heilung nötig war, stieg Mulder entschlossen aus dem Wagen aus und ließ nicht zu, dass seine Feigheit ihn von seinem Vorhaben abbrachte. Er war jetzt hier. Es würde nicht einfach werden, aber er musste sehen, wie...

Mulder klopfte an die Tür des Vermieters und blickte sich in dem bekannten Korridor um. Er sah genauso aus wie der oben. Plötzlich überkam ihn eine Vision ohne Vorwarnung  - er konnte die Szene fast wie einen Film vor sich sehen, der sich in einer transparenten Realität, wie ein Hologramm, vor ihm abspielte. Scully... er... der Korridor vor seinem Apartment... Er ballte die Fäuste und ließ sich von dem Schmerz wieder zurück in die Wirklichkeit treiben. Einen Moment später löste er die Fäuste und bemerkte, dass so stark gedrückt hatte, dass er an einer oder zwei Stellen blutete. Er wischte seine Hände an seiner Jeans ab, als die Tür sich öffnete und er starrte in das Gesicht seines früheren Vermieters.

"Mr. Mulder?" fragte der Mann sichtlich erstaunt.

Mulders Augen trafen nur kurz auf seine, dann senkte er seinen Blick zu Boden. Natürlich wusste Mr. Perrino wo er die letzten Jahre gewesen war.  Jeder wusste es. Mit einem gemurmelten "Es tut mir Leid", drehte er sich um und wollte gehen, als die Stimme der alten Mannes ihn aufhielt.

"Schön Sie zu sehen", sagte er aufrichtig. "Ich habe in der Zeitung über ihre Verfahren gelesen. Wie geht es Ihnen?"

Mulder drehte sich langsam zu ihm zurück, Ungläubigkeit auf seinem Gesicht.  Mr. Perrino war froh ihn zu sehen? Warum? Er war nicht gerade ein Mustermieter gewesen - Schießereien, unbefugte Überwachungen und der Vorfall mit dem Wasserbett, das er gar nicht haben durfte. Mulder war überzeugt gewesen, dass sein Vermieter froh war, ihn los zu sein.

"Ich habe sowieso nie daran geglaubt, dass sie schuldig waren bei diesen an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen", fuhr Mr. Perrino lebhaft fort und ignorierte Mulders sichtliche Zweifel. "Sie waren immer ein Mieter, der allen auf den Geist gegangen ist, aber Sie waren trotzdem immer ein netter junger Mann. Sie hätten nie das tun können, was die behauptet haben."

Immer noch auf den Boden starrend nickte Mulder unmerklich und murmelte ein geflüstertes "Danke sehr. Ich weiß das sehr zu schätzen. Jeglicher Ärger, den ich damals verursacht habe, tut mir sehr leid."

"Oh, machen Sie sich deswegen keine Sorgen", sagte der alte Mann frohgestimmt. "Das ist doch alles schon ewig her. Brauchen Sie eine Wohnung? Wie das Schicksal so will, ist Ihr altes Apartment gerade leer.  Allerdings muss ich Sie darauf aufmerksam machen", sagte er mit erhobenem Zeigefinger, "keine Wasserbetten."

Bei seinen Worten stockte Mulder der Atem. Konnte er das tun? Sollte er das tun? Doch die Entscheidung nahm ihm Mr. Perrino selbst ab, der bereits den Schlüssel vom Schlüsselbrett neben seinem Schreibtisch gegriffen hatte und Mulder sanft aus seiner Tür schob.

"Lassen Sie uns einfach hoch gehen und Sie können es sich ansehen, in Ordnung? Ich weiß, dass der letzte Mieter die Wände gestrichen hat, vielleicht mögen Sie die Farbe nicht, aber wir können es ja jederzeit ändern, nicht wahr?"

Mit einem Gefühl der Resignation, wie ein Mann auf dem Weg in den Todestrakt, folgte er Mr. Perrino gehorsam in den Aufzug bis in den vierten Stock, seine alte Etage. Als er hier gewohnt hatte, hatte er meistens die Treppen genommen, weil er üblicherweise viel zu sehr in Eile war, und keinen Nerv auf den langsamen alten Lift hatte. Aber Mr. Perrino war Mitte achtzig und Mulder nahm an, dass Treppensteigen wohl zu viel für ihn sein würde. Seine Vorahnung verstärkte sich, als sie sich der Tür näherten, hinter der er so viele Jahre gelebt hatte. Während Mr. Perrino mit dem Schlüssel beschäftigt war, streckte Mulder vorsichtig eine Hand aus und berührte leicht die "2" an der Tür. Sie glänzte viel mehr als die "4", offensichtlich war sie vor nicht allzu langer Zeit erneuert worden. Er grinste ein wenig, als er sich daran erinnerte, wie viele Nerven ihn diese "2" gekostet hatte.

"Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass die Mieten etwas gestiegen sind in der Zeit, in der Sie fort waren, aber ich..." Mr. Perrino hielt inne und sah Mulder etwas verlegen von der Seite an. "Haben Sie bereits einen Job gefunden, Mr. Mulder?"

Mulder schüttelte leicht den Kopf, seine Augen klebten an der Stelle, wo seine Couch so lange gestanden hatte. "Ich wohne bei einem Freund", sagte er gedankenverloren und ging weiter in das Zimmer hinein. Er war erleichtert, dass er nicht unter einer solchen Spannung stand, wie er erwartet hatte, sein Körper schützte sich selbst vor dem Leiden, das er auch beim Grab seiner Mutter empfunden hatte. Er ahnte, dass seine Nerven ihn zu einem späteren Zeitpunkt nicht vor einem emotionalen Zusammenbruch bewahren würden, aber das wichtigste war, dass es nicht hier passierte.  Nicht jetzt. Nicht vor dem Mann, der ein Symbol seines vorherigen Lebens war. Sein Gesicht hellte sich wieder auf, denn er erinnerte sich mit einer gewissen Freude an seine Fische, und er fragte sich, was wohl aus ihnen geworden war. Er würde Skinner heute Abend fragen. Er wusste, dass Skinner sich ihrer angenommen hatte, aber er hatte in der Wohnung kein Aquarium gesehen.

Er ließ sich von Mr. Perrino durch das ganze Apartment schieben und beachtete das Gerede des Mannes nicht besonders, als Welle um Welle an Erinnerungen über ihn hinwegrollten. Er bemerkte, dass der Teppich im Schlafzimmer erneuert worden war, und ihm fiel der Ozean wieder ein, in den er eines Morgens getreten war—wieder und wieder, obwohl ihm das niemand geglaubt hatte—als sein Wasserbett ein Loch hatte. In der Küche schloss er seine Augen und sah sich selbst eine Pizza in den Ofen schieben, während Scully im Wohnzimmer mit Akten, Computer und Notizen beschäftigt und darauf wartete. Dann hatten sie sich zusammen gesessen mit der Pizza und Unterlagen und bereiteten einen Bericht für Skinner vor.

Das war nicht lange nach ihrer Rückkehr von ihrer Entführung gewesen, und er war noch immer erfreut und aufgewühlt wegen ihrer Rückkehr gewesen.  Mulder ging zurück ins Wohnzimmer und starrte an die Decke. Er war definitiv auf der sicheren Seite, wenn er behauptete, dass seine Nachmieter nie überwacht worden waren und niemand jede ihrer Bewegungen beobachtet hatte.

Seine Augen schweiften über die nackte Wand, an der seine Ledercouch gestanden hatte, und Mulder fuhr es kalt den Rücken herunter. Für eine Sekunde konnte er fast Scullys Hand über seine Haare gleiten fühlen, als er erschöpft und müde dort gelegen hatte. Was hatten sie an diesem Tag gemacht? Scully hatte von seinem Telefon aus angerufen, daran konnte er sich erinnern. Sie hatte nicht laut gesprochen, um ihn nicht zu stören, als er mit geschlossenen Augen und gekreuzten Armen da lag und einfach ihre Anwesenheit genoss. Es war ein schlimmer Tag gewesen, das wusste er auch noch. Sie waren wieder einmal drauf und dran, alles zu verlieren. Doch wie ausweglos die Situation sein mochte, das bloße Streicheln ihrer Hand über seine Stirn hatte sehr geholfen.

Abermals schüttelte er den Kopf und zwang sich wieder in die Wirklichkeit zurück.

"Möchten Sie es haben? " fragte Mr. Perrino und sah ihn erwartungsvoll an, und für eine kurze Sekunde hatte Mulder bereits das Wort "ja" auf der Zunge.

Doch zum Glück siegte sein Verstand und er schüttelte wieder den Kopf - dieses Mal langsamer. "Es tut mir Leid, Mr. Perrino, aber ich weiß nicht, ob es eine so gute Idee ist, jetzt wieder hier einzuziehen. Hier gibt es so viele Erinnerungen..."

"Natürlich, ich verstehe." Mr. Perrino war nicht sauer und ohne ein weiteres Wort drehte sich Mulder um und verließ die Wohnung.

Er kam nicht weit, bevor die Wucht der Erinnerung ihn erfasste und er sich nach Luft schnappend an die Wand lehnen musste. Genau hier. Es war genau die Stelle, und Herr im Himmel, er konnte immer noch ihre Hände an seinem Nacken spüren, wie sie ihn festgehalten hatte, ihre weichen Lippen an seiner Stirn, konnte immer noch die Akzeptanz und Liebe in ihren mit Tränen angefüllten Augen leuchten sehen, als er sich näher heran beugte, und näher und näher, und fast ihren Mund berühren konnte, ...

"Mr. Mulder! Wir brauchen einen Krankenwagen!" hörte er Mr. Perrino aus weiter Ferne rufen.

Mulder hielt sich seinen linken Arm und kämpfte gegen den stechenden Schmerz an, der durch seine Brust schoss und glitt langsam zu Boden. Er zwang sich zu ruhigen Atemzügen, stetig und gleichmäßig. "Nein", keuchte er, aber sein ehemaliger Vermieter ignorierte ihn und hämmerte bereits an die Tür des Nachbarn.

"Nein!" brachte er hervor, dieses Mal etwas lauter. Der Schmerz fing bereits an nachzulassen. "Mr. Perrino, es geht mir gut."

"Es geht Ihnen nicht gut, sie haben einen Herzinfarkt!" Mr. Perrino ließ nicht locker. Er bearbeitete die Tür neben Mulder.

"Nein", sagte er schwach, und sammelte dann seine Kräfte. Der hämmernde Schmerz in seinem ganzen Körper war jetzt fast ganz weg. "Es ist kein Herzinfarkt, es ist eine Panik-Attacke." Er versuchte zu grinsen, um ihn zu überzeugen, doch sein Grinsen verzog sich augenblicklich zu einer schmerzverzerrten Grimasse, als ein letzter Stich seinen Körper durchschoss. "Das passiert mir manchmal. Es geht vorbei. Wirklich."

"Sind Sie sicher?" fragte Mr. Perrino zweifelnd. Er wollte immer noch den Notarzt rufen, aber mit einem schnellen Blick auf seine Uhr, bestätigte Mulder seinen Verdacht. Er würde zu spät zu dem Treffen kommen, wenn er nicht sofort fahren würde. Er wollte Skinner heute Abend nicht gegenübertreten, wenn er es versäumen würde.

Höflich lehnte er die Bemühungen des alten Mannes ab und stand auf, wobei er sich immer noch an der Wand anlehnte. Er brachte ein Lächeln für Mr. Perrino fertig und ging bedachtsam den Korridor hinunter. Jetzt war er für den Aufzug dankbar. Mr. Perrino sah, dass er nichts weiter tun konnte und folgte ihm, eine Hand ausgestreckt, sollte Mulder sein Gleichgewicht verlieren, aber Mulder gewann mit jedem Schritt mehr Trittsicherheit. Als sie im Erdgeschoss ankamen, fühlte sich Mulder wieder soweit normal, dass er Gott sei Dank Mr. Perrino davon überzeugen konnte, dass er imstande war, Auto zu fahren. Der Mann sah ihm nach, als er davon fuhr, und winkte ihm, und Mulder fühlte eine Welle unerwarteten Wohlgefühls. Es gab jemanden außerhalb seines kleinen Freundeskreises, der froh war ihn wieder als freien Mann zu sehen. Mr. Perrino war wirklich freudig überrascht über seinen Besuch gewesen, und Mulder konnte erleichtert ein schwieriges Unternehmen von seiner Liste der zu erledigenden Dinge streichen. Er fragte sich, ob er es je fertig bringen würde, in Scullys frühere Wohngegend zu fahren.

Um nicht von der drohenden Traurigkeit übermannt zu werden, die er bereits in sich aufbauen fühlte, schaltete Mulder das Radio an und entschied, dass bei Scullys Wohnung vorbeizufahren eine ausgesprochen bescheuerte Idee sei.  Die Panik-Attacke saß ihm immer noch in den Knochen und er musste auch noch zu diesem Treffen.

Er hatte keine Probleme, das Anwaltsbüro zu finden und stellte Skinners Wagen auf dem Parkplatz neben der Straße ab. Er stieg aus und nahm einen tiefen Atemzug der kühlen Morgenluft - und wieder überkam ihn das Gefühl, frei zu sein. Es war erstaunlich, was man alles vergessen kann. Zum Beispiel, nicht mehr jede Sekunde wachsam über seine eigene Schulter sehen zu müssen, und einfach aus dem Bauch heraus zu entscheiden wo man gerade hingehen möchte. Mulder hatte sogar kein Handy mehr, das ihn nervte, und er empfand dieses Gefühl der Privatsphäre und Freiheit als äußerst wohltuend.

 

Sie hielt den Atem an und vergaß für einen Moment, die Schaukel zu schwingen, bis ein Quietschen des kleinen Mädchens sie wieder in die Wirklichkeit holte.

Mulder war hier.

Er stand neben seinem Auto und blickte die Straße herunter. Sie hatte ihn gut im Blick. Gedankenverloren schob sie die Schaukel weiter an und sog seinen Anblick hungrig in sich auf. Er hatte abgenommen, was ihn sogar noch größer aussehen ließ. Seine Haare waren kürzer als gewöhnlich, doch es unterstrich sein Profil sehr gut. Er trug schwarze Kleidung, und sie fragte sich, ob das Absicht war. Sie konnte sich daran erinnern, ihm einmal ein Kompliment ausgesprochen zu haben -- das war mindestens hundert Jahre her -- wie gut er in Schwarz aussehen würde. Seine Jeans saß eng an seinen Beinen, doch nicht zu eng, und sein Hemd hing locker an ihm herunter, nicht im Hosenbund wie üblich. Als sie ihn so beobachtete, nahm er seine Sonnenbrille ab und warf sie in den Wagen, bevor er die Tür zuknallte. Er drehte sich um, um auf den Eingang des Gebäudes zuzugehen, und sie ertappte sich dabei, wie sie nach ihm rief.

"Mulder!"

Er erstarrte. Nach einer Sekunde drehte er sich um und suchte, woher der Ruf gekommen war, und sah wie Scully ihm von der anderen Straßenseite zuwinkte. Er schluckte und weigerte sich zuzulassen, dass sein Herz heute zusammenbrach. Er ignorierte sie und betrat das Gebäude.

Scully starrte ihm schockiert nach. Sie wusste nicht, welche Reaktion sie von Mulder zu erwarten hatte, aber sie hatte sicherlich nicht gedacht, dass er sie überhaupt nicht beachten würde.

"Mami, wer ist das?" fragte das Mädchen auf der Schaukel.

"Es ist nur ein Freund, Nymphe. Ein alter Freund", antwortete Scully wie in Trance, ihr Blick immer noch auf die Tür gerichtet, in der Mulder verschwunden war.  Sie schüttelte den Gedanken an ihn ab, lächelte das kleine Mädchen an und streckte eine Hand nach ihm aus. "Wir müssen jetzt zu Mamis langweiliger Verabredung gehen, aber ich verspreche, dass wir danach zum Mittagessen zu McDonald's gehen, okay?"

Die Kleine nickte glücklich, sprang eifrig auf die Beine und nahm Scullys Hand.

Nachdem sie achtsam die Straße überquert hatten (und Nymphe sie ernst daran erinnerte, dass sie nach beiden Straßenseiten gucken mussten), öffnete Scully die Glastür und führte ihre Tochter hinein. Die Sekretärin am Empfang begrüßte sie mit einem Lächeln.

"Mrs. Morrow?" fragte sie und nach fast unmerklichem Zögern nickte Scully.  Morrow. Sie hatte sich noch nicht dazu durchgerungen ihren Namen ändern zu lassen, und bevorzugte es, 'Dr. Scully' genannt zu werden. Nur wenige sprachen sie mit 'Mrs. Morrow' an, so dass sie sich noch nicht an diesen Namen gewöhnt hatte.

"Einfach durch diese Tür, bitte." Die Sekretärin deutete ihr den Weg. "Mr. Mulder ist bereits eingetroffen."

Scullys Herz hüpfte in ihren Hals, als die Frau seinen Namen sagte. Sie schob das Mädchen vor sich in das Büro und half ihr auf einen der Stühle in dem Konferenzzimmer. Aus ihrer Handtasche holte sie ein Malbuch und eine kleine Schachtel mit Wachsmal-Stiften, an die sie in letzter Minute noch gedacht hatte, bevor sie losgefahren war. Während der ganzen Zeit beschäftigte sie sich nebenbei mit ihrer Tochter, um Mulder nicht ansehen zu müssen. Aber sie spürte seine Anwesenheit, die über den Tisch hinweg nach ihr strebte, und für einen Moment konnte sie schwören, dass sie das Aftershave roch, das er immer getragen hatte.

Jetzt, wo Nymphe mit ihrem Buch beschäftigt war, hatte sie keine Ausrede mehr wegzuschauen und letztendlich ruhten ihre Augen auf Mulder, der nun versuchte wegzusehen. Keiner von beiden hatte mit der Frühreife des Kindes gerechnet.

"Sind Sie ein Freund von Mami?" fragte sie und blickte Mulder nachdenklich mit großen Augen unter ihren dunklen Zöpfen an.

Als Mulder nicht antwortete, half Scully aus. "Er ist ein sehr alter Freund von Mami, Emmie. Sein Name ist Mulder."

Sie sah ihn für einen Moment an und wandte sich dann wieder an Scully. "Er sieht aber nicht so alt wie Opa aus."

Der Anwalt kam gerade rechtzeitig zur Tür herein, um diesen Kommentar mitzubekommen, und sein Lachen brach etwas von der Spannung im Raum. Mulder lachte nicht wirklich, aber der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen. Endlich sah er Scully an, aber er mied trotzdem noch ihren Blick.

"Emily?" fragte er mit seltsam erschrockener Stimme.

"Emmaline, Emmie ist die Kurzform", korrigierte sie ihn ruhig, und sah ihm dabei ebenfalls nicht in die Augen. Scully würde es nie zugeben, nicht einmal vor sich selbst, aber die Ähnlichkeit der Namen von Zacharys Tochter und ihrer eigenen waren ein weiterer Grund für ihre Entscheidung gewesen ihn zu heiraten. Doch sie war wahrlich nicht so oberflächlich. Es war ihr wohl bewusst, dass es einen Unterschied zwischen den beiden Mädchen gab.  Emily war blond gewesen und hatte ein rundliches Gesicht. Emmie hingegen besaß das dunkle Haar und die Augen ihrer Mutter, und ein fein gezogenes Gesicht. Emmie würde einmal eine richtige Schönheit werden, dachte Scully.  Es würde nicht viele Jahre dauern und die Jungs würden sich um sie reißen.

Als die lange Pause in betretene Verlegenheit auszuarten drohte, räusperte sich der Anwalt. Er wusste nicht recht das Karma zwischen diesen beiden Menschen zu deuten, aber es war fast greifbar. "Lassen Sie uns zur Sache kommen, in Ordnung?" forderte er auf und Mulder und Scully wandten ihm dankbar ihre Aufmerksamkeit zu.

"Hier ist ihre Kopie aller Unterlagen, Mrs. Morrow", sagte er und reichte ihr eine Mappe. Mulder zuckte unmerklich bei dem Namen.

Als sich Scully über den Tisch lehnte, um die Unterlagen anzunehmen, bemerkte Mulder einen dunklen Fleck auf ihrem Oberarm. Instinktiv streckte er seine Hand danach aus, doch er konnte sie im letzten Moment zurückziehen. Er wollte sie nicht berühren. Wenn er ihre Haut unter seinen Fingerspitzen spürte, würde er diese Nacht wohl kein Auge zu machen.

Scully entging sein fragender Blick nicht und versicherte, "Es ist nichts schlimmes. Ich bin gestern gegen ein Regal gerannt. Ich hab nicht hingesehen und bin ziemlich hart dagegen gestoßen. Ich habe mich auch am Kopf gestoßen, aber ich bin okay."

Er riskierte einen kurzen Blick in ihr Gesicht und wäre fast erstarrt, als sie ihn anlächelte. Er sah die Falten unter ihren Augen und erkannte mit einer gewissen Traurigkeit, dass sie zu seinen passten. Sie waren beide älter geworden in den letzten vier Jahren.

 
 

"Also, sie ist jetzt bei ihm, was?" fragte Bill Scully und schob Zach ein weiteres Bier zu. Sein Freund war ziemlich fertig gewesen wegen der Tatsache, dass seine Frau heute Morgen Mulder sah, so dass Bill aus Norfolk hergefahren war, wo er dieser Tage stationiert war, um den Tag mit ihm zu verbringen. Es war eine lange Fahrt gewesen, aber Bill und sein Schwager waren schon seit Schulzeiten gute Freunde. Die Kilometer auf seinem Tacho und das Spritgeld machten Bill nichts aus, wenn es bedeutete, dass er bei Zach sein konnte, wenn es ihm schlecht ging.

Zach war wirklich fertig heute, und es störte Bill ein wenig, dass er nicht den genauen Grund wusste. War es, weil Dana bei Mulder war, oder war es die Tatsache, dass Mulders Entlassung aus dem Gefängnis jegliche Chance für Dana zunichte machte, das Geld zu erben? Zach hatte sich schon über eine Stunde über beide Themen ausgelassen.

"Als Dana mir sagte, dass der Wille der alten Dame..." er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. "Ich hätte nie geglaubt, dass dieses Arschloch je aus dem Knast kommt."

"Er hätte nie entlassen werden dürfen", meinte Bill dazu und starrte in sein Bierglas. Sie hatten jeder sein Drittes und sie hatten keineswegs vor, bald mit dem Trinken aufzuhören. Jedes Mal, wenn Bill an Mulder dachte und daran, wie sehr seine Familie wegen ihm hatte leiden müssen, nahm er einen weiteren Schluck. Bis jetzt hatte er es geschafft, Mulder für jedes Unglück, dass der Scully-Familie in den letzten zehn Jahren widerfahren war, die Schuld zu geben. Je mehr er trank, desto kreativer wurde er. Nur mit Mühe konnte er seine Aufmerksamkeit auf seinen Freund wenden.

"Weißt du, was das Schlimmste daran ist?" fragte Zach stocksauer. "Als wir geheiratet haben, wollte sie ihm helfen raus zu kommen! Sie hat sich gegen sich selbst gestellt. Gegen *mich* gestellt! Du kannst deinen Arsch darauf wetten, dass ich dem ein Ende gesetzt habe", sagte er zufrieden zu seinem Freund.

"Wie hast du das gemacht?" fragte Bill, während er wieder einen Schluck nahm.

"Ich habe meine Möglichkeiten, sie im Zaum zu halten", sagte Zach geheimnisvoll und unterstrich es mit einem hämischen Grinsen. "Dana macht normalerweise immer das, was ich ihr sage."

"Wird auch Zeit, dass sie einen echten Mann gefunden hat, der ihr zeigt wo es lang geht", nuschelte Bill.

"Oh, und ich bin genau dieser Mann, mein Freund, ich bin genau so einer." Zach nahm einen langen Schluck von seinem Bier, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und rülpste. "Dieser Schweinehund hätte in dem Loch verrecken sollen", tönte er.

"Ja, das hätte er", stimmte Bill zu und fragte sich, warum Mulder immer auf seinen Füßen zu landen schien.

Zach lehnte sich konspirativ zu Bill und flüsterte, "Ich hab versucht, das zu arrangieren, aber leider läuft nicht immer alles wie man will."

Bill starrte seinen Kumpel nur an, er stelle lieber keine Fragen. Er wusste, dass Mulder während seiner Inhaftierung einiges an Prügel hatte einstecken müssen, einmal sogar so schlimm, dass er einige Wochen im Krankenhaus verbringen musste. Seine Schwester hatte diese Information von Skinner bekommen und an ihn weitergegeben. Er hatte angenommen, dass das eben das Leben im Gefängnis mit sich brachte, aber jetzt... Zach redete, als ob er damit etwas zu tun gehabt hatte. Aber das war absurd. Zach war ein netter, normaler Kerl mit Frau und Kind und einem Job. Er war nicht jemand, der verwickelt sein könnte in... oder doch? Mit einem weiteren ordentlichen Schluck Bier beschloss Bill, es gar nicht wissen zu wollen.  Sicherlich war es nur der Alkohol, der hier sprach. Zach wurde immer zu einem unglaublichen Prahlhans, wenn er trank.

"Jetzt ist es also weg. Die ganze Kohle, einfach weg", trauerte Zach der Erbschaft nach.

"Hm, vielleicht auch nicht", meinte Bill nach einem Moment benebelter Erkenntnis. "Du hast vielleicht immer noch eine Chance da ranzukommen, aber dann wirst du wahrscheinlich ein sehr alter Mann sein—"

"Was redest du da?" wollte Zach wissen. Er wirkte plötzlich viel nüchterner als ein paar Sekunden zuvor.

Bill zuckte die Schultern. "Ich weiß, dass bevor Mulder eingelocht wurde, er Dana zu seiner Erbin gemacht hat, für den Fall, dass seine Mutter ins Gras beißt solange er noch hinter schwedischen Gardinen ist", erklärte er.  "Natürlich war sein Vermögen damals noch lange nicht so groß wie jetzt, wahrscheinlich weniger als zehntausend Dollar." Er lehnte sich näher, als ob er ihm eine wichtige und äußerst geheime Tatsache eröffnen wollte. "Denn jetzt ist es eine ganze Menge mehr."

Zachary starrte Bill lange an. Lange genug, dass es Bill unbehaglich wurde.  Dann stand er auf einmal auf. Er holte Geld aus seiner Tasche und warf Bill einige Scheine hin. "Ich muss gehen", sagte er und klopfte ihm auf die Schulter. "Danke, dass du hergekommen bist und mir moralische Unterstützung gegeben hast, alter Freund."

"Wo gehst du hin?" rief Bill, aber Zach war bereits aus der Tür.

 
 

Es war vorbei. Die Papiere waren unterzeichnet, signiert und besiegelt und Mulder war ein reicher Mann. Zumindest für seine Verhältnisse. Das Wissen, dass er jetzt all das Geld zu seiner Verfügung hatte, war ein seltsames Gefühl für ihn, und irgendwie war es auch beängstigend. Nichtsdestotrotz hatte er bereits entschieden, dass die erste Anschaffung ein Auto sein würde. Dann würde er sich vielleicht nach einem Haus umsehen. Skinner hatte sich sehr gut um ihn gekümmert, ihn wie einen Freund behandelt anstatt wie einen Psychopaten oder Außenseiter. Doch früher oder später würde seine Anwesenheit zur Last werden.

Mulder verließ das Büro rasch, während Scully Emmie half, ihre Sachen zusammenzupacken. Er hoffte, dass er einen Abgang machen könnte, ohne mit ihr reden zu müssen. Dann plante er, sich irgendwo in eine nahegelegene Bar zu verziehen und den Nachmittag damit zu verbringen, sich gehörig einen hinter die Binde zu kippen. Das Gefühl in ihrer Nähe zu sein war unerträglich gewesen, viel schlimmer als er es sich je vorgestellt hatte. Er war fix und alle von den Anstrengungen, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Er hatte während des ganzen Alptraums keine Mine verzogen, und als es vorüber war, hatte er schnellstens seine Sachen gepackt und war regelrecht zur Tür heraus gerannt.

Scully beobachtete ihn mit einem Ausdruck ärgerlichen Unglaubens auf ihrem hübschen Gesicht. Sobald das Meeting begonnen hatte, hatte Mulder seine Business-Fassade übergezogen, sich völlig darauf konzentriert und sie ignoriert. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt, privat mit ihm zu sprechen, und als er in der Tür verschwand wusste sie, dass wenn sie ihn jetzt gehen lassen würde, sie nie wieder eine Chance dazu haben würde. Sie hatte nicht vor, all die Jahre ihrer Freundschaft wegzuwerfen, nur weil Zach und Emmie jetzt im Spiel waren. Scully warf die Wachsmal-Stifte ungeordnet in die Tasche und hob Emmie hoch, obwohl sie langsam zu schwer wurde, um getragen zu werden, und eilte ihm nach.

Mulder war schon bei Skinners Wagen angekommen, öffnete die Tür und stieg erleichtert ein. Ohne hinzusehen tastete er nach der Sonnenbrille, die er vorher aufs Armaturenbrett geschmissen hatte—es ist wohl besser, seine leicht feuchten Augen vor neugierigen Blicken zu verbergen. Gott, sie war immer noch so schön. Der Meinung war er trotz allem. Sie war dünner als er sich erinnern konnte, aber nicht so schrecklich knochig wie damals, als sie mit ihrem Krebs zu kämpfen hatte. Ihr Gesicht hatte etwas gealtert ausgesehen, doch als sie gelächelt hatte... Mulder zog die Luft ein, um den plötzlichen Schmerz in seiner Brust zu vertreiben. Als sie Emmie angesehen hatte, hatte er die alte Zufriedenheit an ihr gesehen und es brach ihm fast das Herz, dass nicht er der Grund dafür war. Es war sogar einem Außenstehenden klar, dass Scully dieses Kind liebte. Offensichtlich liebte sich auch den Vater des Kindes, fiel ihm zu diesem Thema ebenfalls ein. Sie hatte ihn geheiratet.

Er griff nach hinten, um die Autotür zu schließen und sein Magen drehte sich um. Sie stand da. Sie war ohne einen Mucks bis zum Auto gekommen.

"Mulder", begann sie, und er umgriff eisern das Lenkrad.

"Verschwinde, Scully", murmelte er.

"Nicht bevor wir miteinander gesprochen haben."  Sie blieb standhaft. "Du kannst nicht einfach so vor mir weg laufen."

"Warum nicht?" rief er aufbrausend, unfähig sich im Zaum zu halten. "Hast du das nicht auch gemacht?"

Sie starrte ihn mit roten Wangen an. "Du hast nicht mich nicht gewollt!" erinnerte sie ihn wütend. "Du hast darauf bestanden, dass ich gehe, und als ich versucht habe, dich zu besuchen, wolltest du mich nicht sehen! Meine Briefe kamen zurück... du hast mich total aus deinem Leben gestrichen." Sie atmete schwer vor Entrüstung, doch er ignorierte es.

"Oh, komm schon, Scully, du kanntest die Situation. Du kanntest *mich*. Du musst doch gewusst haben, dass das nicht das ist, was ich wirklich wollte." Er sah hinter seiner Brille zu ihr auf und sie verspürte auf einmal den Wunsch, sie ihm von der Nase zu reißen und ihn zu zwingen, sie anzusehen.

"Das habe ich sehr wohl gewusst, Mulder, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass du mich absolut nicht an dich heran gelassen hast."

Er drehte sich ein wenig weg, ertappt. Er wusste, dass es stimmte, was sie sagte, er hatte sie ausgeschlossen, aber verdammt noch mal, sein Ego bestand darauf, er hätte auf sie gewartet, wäre er an ihrer Stelle gewesen!  Als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte, sagte er ruhig, "Es war falsch, Scully. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du dein Leben damit vergeudest, auf mich zu warten."

'Habe ich ja auch nicht!' wollte sie keifen, aber sie tat es nicht, als sie merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. Es berührte sie plötzlich, dass Mulder sie immer noch liebte. Sie hatte es bis jetzt nicht wirklich geglaubt. Dieses Treffen musste eine wahre Tortur für ihn gewesen sein.

Scully ließ Emmie auf den Boden herab, behielt aber immer noch einen festen Griff an ihrer Hand, und lehnte sich an den Wagen. Ihre Züge waren sanft, als sie ihm den Rücken zuwandte. "Aber ich wollte auf dich warten, Mulder", sagte sie leise. "Ich wollte nichts anderes. Und ich war bereit zu warten, aber du hast mich nicht gelassen. Wenn du mich nicht völlig ausgeschlossen hättest, wenn du mir nur einen Funken Hoffnung gelassen hättest, an dem ich hätte festhalten können..."

"Scully..."

"Ich war einsam, Mulder." Ihre Stimme hatte einen dunkleren Ton angenommen, und ihm fiel auf, dass sie ihre Tränen zurückhielt. "Ich habe dich bereits damals schon so vermisst, und als du mich zurückgestoßen hast, hatte ich erst recht das Gefühl, dich verloren zu haben." Sie hielt inne und sah mit leerem Blick auf die andere Straßenseite, wo Kinder im Park spielten. "Zach war auf einmal da. Er war fürsorglich, seine Gesellschaft war nett, und er hatte eine Tochter, die ich sehr mochte." Sie drückte die Hand der Kleinen und lächelte sich versichernd an. Das kleine Mädchen sah ein wenig erschrocken aus wegen dem ernsten Ton der Unterhaltung. Scully bemerkte mit einer gewissen Traurigkeit, dass Emmie schon so viele Auseinandersetzungen zwischen Erwachsenen gesehen hatte, dass sie nicht besonders überrascht aussah. Sie zuckte die Schultern und fuhr fort, "Es tat einfach zu weh zu hoffen, dass wenn du frei kommst, du irgendetwas mit mir zu tun haben wolltest. Ich habe wirklich gedacht, dass ich dir nichts mehr bedeute."

Es kam ihm vor, als würde eine Last von der Schwere eines Elefanten auf ihn fallen und für einen Moment konnte er nichts weiter tun, als zu keuchen.  "Willst du damit sagen, dass es meine Schuld ist?" fragte er schließlich mit erstickter Stimme. "Ich habe dich dazu gebracht, Scully?"

Sie sah zu ihm hinunter, und das Leiden, das sie in seinem halb verdeckten Gesicht sah, erschreckte sie zutiefst. Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, um ihn zu beruhigen, doch er schreckte zurück als hätten ihre Finger seinen Arm verbrannt.

"Ich konnte nicht in Ungewissheit leben, Mulder", sagte sie und in ihrer Stimme lag eine Bitte nach Verständnis. "Ich musste mich entscheiden. Als du mir deutlich gemacht hast, dass ich dich nicht haben kann, habe ich mich für Zach entschieden."

"Und für Emmie."

Trotzig hob sie ihr Kinn. "Ja, und für Emmie. Ich liebe Zach vielleicht nicht so wie ich dich geliebt habe, aber wir kommen gut miteinander aus."

Jetzt drehte er sein Gesicht wieder etwas zu ihr, doch sein Blick war immer noch gesenkt. "Geliebt?" fragte er mit erstickter Stimme, als er versuchte, seinen innerlichen Schmerz unter Kontrolle zu halten.

Sie sah ihn geradewegs, aber kurz an. "Ich habe diese Gefühle verborgen, Mulder. Ich musste es tun, um weitermachen zu können."

Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Nachdem Scully Emmie in den Wagen gesetzt hatte, stieg sie selbst ein und fuhr los.

Mulder sah sie davon fahren und wünschte sich die Stumpfheit und Trübheit, die er manchmal empfand. Doch dieses Mal empfand er nicht die willkommene Gefühllosigkeit, die ihm über den Emotionswirbel hinweg half. Da er viel zu aufgewühlt war, um jetzt Auto zu fahren, riss er sich die Sonnenbrille von den Augen, warf sie beiseite und stieg aus. Er schlug die Tür so fest er konnte zu und schlug mit den Händen in den Hosentaschen und gesenktem Blick den Weg zum Park auf der anderen Straßenseite ein.

 

Zachary hatte eigentlich nicht vor gehabt zu tun was er tat als er aus der Bar herauskam. Er war auf dem Weg nach Hause, nachdem Bill mit seinem Gerede über das Drecksschwein Mulder an die Grenzen seiner Geduld gestoßen war, als es ihn wie ein Blitz traf. Warum sollte er sich das Arschloch nicht mal ansehen? Er hatte Fotos von ihm gesehen, die meisten unscharf und grieselig aus Zeitungsberichten über die beiden Verhandlungen. Soweit Zach es beurteilen konnte, gab es nichts an dem berühmten Mulder, das das stetige und unerklärliche Interesse seiner Frau an ihm rechtfertigen würde.  Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass wenn er sich beeilen würde, er es noch rechtzeitig zum Anwaltsbüro schaffen würde, bevor das Treffen zu Ende war. Er bog an der nächsten Ampel rechts ab und schlug die Richtung seines neuen Ziels ein.

Als er den Häuserblock erreicht hatte, wo sich das Büro befand, fuhr er langsamer und näherte sich mit aufmerksamem Blick dem Parkplatz. Er blickte sich um und sah, wie die Tür des Hauses sich plötzlich öffnete. Ein großgewachsener, dunkelhaariger Mann ließ die Tür hinter sich zufallen und ging mit großen Schritten auf das Auto zu, das neben Danas parkte. Gerade als er eingestiegen war, sah Zach wie seine Frau mit Emmie auf dem Arm aus der Eingangstür herauskam. Rasch fing sie den Mann ab. Zach fuhr in einer Parklücke, um die Unterhaltung zu beobachten. Er konnte natürlich nichts hören, aber es war durch ihre Mimik ersichtlich, dass ihre Unterhaltung recht hitzig verlief. Zach lächelte selbstgefällig mit der Zuversicht, dass Dana ihren Ex-Partner gerade verabschiedete. Doch dann sah er, wie seine Frau eine Hand nach ihm ausstreckte. Selbst aus der Entfernung konnte er sehen, dass es eine hingebungsvolle Geste war, und sein Grinsen verzog sich zu einer Grimasse der Eifersucht. Im nächsten Moment steckte Dana Emmie auch schon hastig ins Auto und war bald mit dem Auto außer Sichtweite.

Zach beobachtete die Szene weiter und sah wie der Mann, der kein anderer als Fox Mulder sein konnte, aus seinem Auto ausstieg, die Tür zuschlug und auf den Park zu ging. Später sagte er sich, dass es einfach eine zu gute Gelegenheit war, um sie verstreichen zu lassen. Er hatte noch Bill Scullys Stimme im Ohr: 'Es ist jetzt viel mehr Geld'. Er fühlte nichts als Wut.  Ohne Vorwarnung trat er das Gaspedal durch und fuhr direkt auf den Mann zu, der gerade die Straße überquerte.

Mulder sah verwirrt durch den Lärm auf, gerade noch bevor der Truck ihn erwischte und er durch die Luft geschleudert wurde. Er kam hart auf dem Asphalt auf und blieb nach Luft schnappend liegen. Er hörte jemanden schreien, doch als er unter Schmerzen seinen Kopf nach dem Truck drehte, der ihn gestreift hatte, bemerkte er, dass der Fahrer gar nicht aus seinem Fahrzeug gestiegen war. Stattdessen musste er mit Schrecken zusehen, wie der Truck langsam zurückfuhr. Mulder versuchte sich aufzusetzen, doch er sank von Schmerzen gepeinigt wieder zurück. Das Stechen in seiner Brust war so plötzlich und so stark und keine seiner Muskeln wollten ihm gehorchen.  Er kämpfte gegen das Hämmern in seinem Oberkörper an und rollte sich auf die andere Seite, um den Angreifer sehen zu können. Mulder erstarrte vor Schreck und konnte nur zusehen, als der Pickup wendete und mit größer werdender Geschwindigkeit geradewegs auf ihn zukam. Hilflos schloss Mulder die Augen und wartete auf den Aufprall.

Zachary drückte abermals das Gaspedal mit einem hämischen Lächeln durch, mit der Absicht mit diesem Anlauf zu Ende zu führen, was er begonnen hatte, als er eine Frau mit wildem Geschrei auf das Geschehen zulaufen sah. Es war möglich, dass sie alles gesehen hatte. Sie war eine Zeugin. Wenn er Mulder umbrachte, konnte sie ihn möglicherweise später identifizieren. Zachary traf eine rasche Entscheidung das Risiko nicht einzugehen. Er hoffte, dass die Frau in ihrer Hysterie nicht daran dachte, sich sein Nummernschild zu merken. Er beschleunigte seinen Truck und wich in letzter Sekunde aus, bevor er Mulders Kopf erwischte. Mit quietschenden Reifen bog er um die nächste Ecke und lies den Verletzten auf der Straße liegen. Die Frau schrie ununterbrochen seinen Namen.

"Mr. Mulder! Mr. Mulder! " Joyce, die Sekretärin aus dem Anwaltsbüro war nach einem Gang zum Getränkeautomaten zu ihrem Arbeitsplatz zurück gekehrt, als sie zufällig nach draußen sah und mit Entsetzen beobachten konnte, wie Mulder von dem Truck angefahren wurde. Augenblicklich ließ sie ihre Cola fallen und stürzte mit lautem Geschrei hinaus. Ihr Chef, den sie durch ihr Geschrei auf die Situation aufmerksam gemacht hatte, war ebenfalls hinausgelaufen und hatte rasch die Lage eingeschätzt. Joyce war eine gute Sekretärin, aber sie war nicht jemand, den man in einer Notsituation als erste herbeirufen würde stellte er grimmig fest, als er die Polizei und einen Krankenwagen rief.

 
 
 

Mulder öffnete langsam die Augen, und stellte nach und nach fest, dass er einige starke Medikamente bekommen hatte. Dessen war er sich sicher, denn er spürte die Schmerzen in seiner Brust, aber irgendwie tat es gar nicht weh. Es war lediglich etwas, dessen er sich bewusst war. Er versuchte seinen Arm zu bewegen, doch er war zu schwer. Mit einem Seufzen fragte er sich, wer ihn dieses Mal zusammengeschlagen hatte und warum. Seine Wahrnehmung festigte sich und er stellte erleichtert fest, dass er sich gar nicht im Gefängniskrankenhaus befand. Das hier war ein normales Krankenhaus mit einem normalen Krankenbett und neben dem Bett saß Skinner, der in ein Magazin vertieft war.

"Willkommen zurück, Mulder", begrüßte Skinner ihn, rieb sich den Nasenrücken und legte das Heft beiseite. Er gähnte, streckte sich und lächelte ein wenig. "Ich würde Sie glatt fragen wie es ihnen geht, aber ich glaube, ich kann es mir vorstellen."

"'s geht ei'entlich", lallte Mulder, und Skinner musste lachen.

"Das ist immerhin etwas. Können Sie sich erinnern was passiert ist?"

Mulder nickte einmal, verzog das Gesicht und verzichtete auf ein weiteres Nicken. Großer Fehler. In Gedanken fing er mit der Inventur an: Kopf, Brust, Arm... welcher Körperteil an ihm war eigentlich noch heil? Er zwang seine Augen wieder auf und wagte einen Blick auf die untere Hälfte seines Körpers. Erleichtert seufzte er. Kein Gips oder Verband dort unten, seine Beine schienen in Ordnung zu sein, er hatte nur Schmerzen in seinem Oberkörper. Als er so ruhig da lag, begannen die Medikamente wieder zu wirken und minderten die Auswirkungen seiner Kopfbewegung.

"Ein Auto hat mich angefahren", sagte Mulder und merkte, dass sich seine Zunge einen Tick zu schwer anfühlte. "Ein großes Auto."

"Das stimmt", nickte Skinner. "Es war Fahrerflucht. Ich bin überrascht, dass Sie sich daran erinnern können."

Mulder drehte langsam seinen Kopf und sah Skinner an. "Das war keine Fahr'flucht", sagte er langsam. " 's war Absicht."

Skinner runzelte die Stirn und betrachtete Mulder. Er bekam gar nicht so erschlagende Mengen an Medikamenten. Andererseits hatte er immer schon ziemlich verrückte Einfälle gehabt. "Warum glauben Sie das?" fragte er dann.

Mulder verzog das Gesicht ein wenig. Er wusste, dass sein früherer Boss die Antwort nicht mögen würde. Nach einem langen Zögern sagte er, "Ich weiß es einfach. Er versuchte noch einmal mich anzufahren."

"Wer?"

"Der Fahrer."

"Konnten Sie ihn erkennen, Mulder?"

"Nein", murmelte er. Er schluckte, denn plötzlich war sein Hals ganz trocken geworden. Skinner hielt ihm ein Glas Wasser an die Lippen, von dem Mulder ein paar kleine Schlucke nahm.

"Wissen Sie wenigstens, ob es ein Mann oder eine Frau war?"

"Nein."

"Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, dass er sie noch mal anfahren wollte?" Skinner wollte nicht ungeduldig erscheinen, aber die einzige Augenzeugin in diesem Fall hatte klar und deutlich angegeben, dass der Truck Mulder angefahren hatte, zurück gefahren war und verschwunden war.  Die Sekretärin hatte einen überraschend zusammenhängenden Ablauf geschildert, wenn man mal bedachte, in welchem Zustand sie gewesen war. Und es gab Skinners Meinung nach nichts an ihrer Aussage das andeutete, dass der Vorfall etwas anderes als ein einmaliges Anfahren mit anschließender Fahrerflucht war.

"Zurück gefahren", erklärte Mulder und kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an, die ihn übermannen wollte. "Er wollte wieder auf mich zu. Sie hat geschrien un' er hat sich aus'm Staub gemacht." Seine Stimme ebbte zu einem Flüstern ab.

Mulder entspannte sich in den Kissen - erschöpft von dem Versuch es Skinner verständlich zu machen. Er hatte es in dem Moment gewusst, als er auf die vordere aufgemotzte Stoßstange des riesigen Trucks gesehen hatte, und ihn im Rückwärtsgang langsam Anlauf nehmen sah, dass er sterben würde, aber er war vollkommen unfähig gewesen es zu verhindern. Er konnte nicht einmal ausweichen, nicht nach Hilfe rufen, konnte nur da liegen und hilflos zusehen, wie der Pickup auf ihn zukam. Er hatte die Augen geschlossen und Sekunden später den Luftzug gespürt, als der Truck an ihm vorbeirauschte.  Er nahm an, dass er daraufhin das Bewusstsein verloren hatte, und erst hier mit den Nachwirkungen der Narkose aufgewacht war.

Skinner nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen, wonach er die Brille wieder aufsetzte. "Mulder", sagte er und sah seinem Freund in die Augen.  "Ich weiß, dass Sie davon überzeugt sind, aber ich habe absolut keinen Hinweis darauf gefunden, dass es so gewesen ist."

Mulder schüttelte verzweifelt den Kopf, soweit es ging, und ignorierte das plötzliche Hämmern, das ihn vollends wach machte. "Jemand hat versucht mich umzubringen."

"Glauben Sie, dass er Sie speziell im Visier hatte oder hätte es irgendein anderer Passant sein können?" fragte Skinner aus Interesse. Es war ja nicht so, dass Mulder noch nie Ziel für Anschläge gewesen war, aber jetzt gab es für niemanden einen Grund, ihn umzubringen. Er war nicht länger eine Gefahr für diejenigen, die ihn zuvor aus dem Weg haben wollten. Sie würden ihn sicher in Ruhe lassen. Außerdem, wenn sie Mulder umbringen wollten, würden sie ganze Arbeit leisten. Sie konnten sich keine Fehler wie diesen leisten und sie würden keine Amateure beauftragen.

"Weiß nich' ", sagte Mulder mit noch schwererer Stimme, als ihm die Augen zufielen und es wieder schwarz um ihn wurde.

Skinner dachte über das nach, was Mulder gesagt hatte, und ging auch noch einmal die Aussage der Sekretärin durch, doch er konnte beim besten Willen nicht zu dem Schluss kommen, dass Mulder Recht hatte. Sein früherer Agent muss sich geirrt haben. Wer würde ihn umbringen wollen? Eine Gestalt an der Tür riss ihn aus den Gedanken.

"Wie geht es ihm, Sir?" fragte Scully und trat leise in das Zimmer. Sie hatte Skinners Anruf bekommen, doch sie musste erst einen Babysitter für Emmie finden, bevor sie ins Krankenhaus eilen konnte. Zachary war nicht begeistert gewesen, als sie ihm sagte, dass sie den ganzen Abend weg sein würde, um einen alten Freund im Krankenhaus zu besuchen. Der daraufhin folgende Streit war so heftig gewesen, dass die Nachbarn ihn mit Sicherheit hören konnten, und sie fragte sich, ob er noch wach sein würde, wenn sie nach Hause kam. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.  Sie hoffte nicht. Sie hasste es, wenn Zach sich betrank, und er hatte den ganzen Tag getrunken. Zuerst mit ihrem Bruder Bill, später alleine. Die heftigsten Auseinandersetzungen hatten sie nur, wenn er unter Alkoholeinfluss stand. Was heute noch verstärkend hinzukam war, dass er sich schon den ganzen Tag über den Verlust von Mulders Geld beklagt hatte. Sein Interesse an Teena Mulders Erbe war ihr schon immer zuwider gewesen.

"Er ist ziemlich mitgenommen, aber er wird sich erholen", war Skinners Antwort.

Scully trat näher und Skinner bot ihr einen Stuhl an. Sie lächelte dankbar, setzte sich und nahm Mulders Hand in ihre. "Sein Puls ist etwas schnell", stellte sie fest.

"Er war vor einer Minute noch wach. Scully", sagte Skinner und hockte sich neben ihren Stuhl, so dass sie nicht zu ihm aufschauen musste, "haben Sie irgendetwas Verdächtiges gesehen oder gehört, bevor Sie gefahren sind?"

Sie sah ihn verwundert an. "Nein, warum?"

Skinner presste seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammen und Scully wurde zurückversetzt in die Zeit, als sie und Mulder vor ihrem Boss im Büro saßen und er genau diesen Gesichtsausdruck hatte. Üblicherweise bedeutete es, dass er anderslautende Informationen hatte und nicht so recht wusste, was er damit machen sollte.

"Mulder scheint zu glauben, dass es kein Unfall war, sondern ein Mordanschlag", sagte er gleichmäßig.

Ihre Augen weiteten sich bei dieser Andeutung. "Aber wer würde...? Und warum?" fragte sie. "Die Leute, die ihn entlassen haben..."

"Wenn sie gewollt hätten, hätten sie sicherlich eine Möglichkeit gefunden, seine Freilassung zu verhindern", unterbrach Skinner sie. "Sie haben eine Verhandlung manipuliert, sie hätten die zweite sicherlich ebenfalls anders ausgehen lassen können. Ich glaube nicht, dass es diese Leute waren. Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass es überhaupt ein Anschlag war. Ich glaube, dass Mulder sich irrt, aber er besteht darauf, und Sie wissen, dass Mulder sehr hartnäckig ist. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf setzt..."

"... könnte es eine Atombombe nicht aus der Welt schaffen", stimmte sie lächelnd zu. "Aber wissen Sie, Sir, Mulder hatte öfter Recht als Unrecht. Zumindest teilweise."

"Ich bin überrascht, dass Sie das zugeben, Scully. Sie haben ihm doch immer das Gegenteil beweisen wollen." Scully stockte, und er beeilte sich hinzuzufügen, "Ich möchte nicht unhöflich sein, aber Sie haben Mulder seine paranormalen Ideen noch nie abgekauft."

Jetzt war ihr klar, dass Skinner sie mit dem was er sagte nicht beleidigen wollte. "Ich habe sie ihm nicht abgekauft. Ich kaufe sie ihm immer noch nicht ab. Aber es gelingt uns immer wieder, mit unseren jeweiligen Sichtweisen Kompromisse zu machen..."

"Aber nicht immer", endete er an ihrer Stelle.

Traurig schüttelte sie den Kopf und kämpfte gegen ihre Tränen an, als sie Mulders Hand drückte. "Nein, nicht immer", flüsterte sie. "Nicht oft genug."

Skinner deutete mit einer Kopfbewegung auf den Mann im Krankenhausbett.  "Wie wird er wohl reagieren, wenn er aufwacht und Sie hier vorfindet?" fragte er mit erzwungener Gleichgültigkeit. "Haben Sie beide sich ausgesprochen?"

"Nein", gestand Scully betreten.

"Ich möchte nicht, dass er sich aufregt", warnte er. Als er aufstand erinnerte das Knacken seiner Knie daran, dass er langsam in die Jahre kam.

Was du auch versuchst, gestand er sich selbst ein, du wirst jeden Tag älter. "Er hatte einen langen Tag. Ich will nicht, dass er sich Ihretwegen noch mehr aufregt, egal wie gut Sie es mit ihm meinen." Scully traute ihrer Stimme nicht und nickte nur, ihre Augen immer noch auf Mulder gerichtet.

"Ich werde dann mal gehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht", sagte Skinner.  Es schien der eleganteste Weg zu sein, ihr etwas Zeit alleine zu lassen, und Scully schien dankbar darüber zu sein. Sie nickte wieder. Skinner verließ den Raum und schloss die Tür leise hinter sich.

Scully betrachtete Mulder während er schlief, sein Kopf leicht von ihr abgewandt. Er hatte sich nicht sehr verändert seit sie ihn das letzte Mal vor vielen Monaten gesehen hatte. An dem Tag, an dem er sie aus seinem Leben geworfen hatte. Er hatte ein paar Falten mehr, aber sie ebenfalls. An seinen Schläfen kam das Graue schon langsam durch, und sie streckte ihre Hand aus, um  ihm liebevoll die kurzen Strähnen von der Stirn zu streichen.

Mulder fühlte ihre Hand auf seinem Gesicht und öffnete benommen die Augen.

"Scully?" fragte er. Er wusste nicht, ob es nur ein Traum war.

Sie antwortete nur, indem sie lächelte. Er fragte sie, wie oft sie diese Szene schon gehabt hatten: wie er in einem Krankenhaus aufwacht und sie neben seinem Bett sitzt und wartet. Auf ihn wartet. Warum hatte sie nicht dieses letzte, wichtigste Mal gewartet? Er seufzte und verdrängte diesen Gedanken. Sie hatte es ihm erklärt so gut wie man es erklären kann, nahm er an. Er würde Zeit brauchen, um das zu akzeptieren, was sie sagte, aber er wusste, dass sie die Wahrheit sagte.

"Es tut mir Leid, dass ich nicht früher hier sein konnte", sagte sie mit sanfter Stimme. "Ich musste warten, bis Zach nach Hause kommt, um auf Emmie aufzupassen."

Er bemühte sich, sie klar vor sich zu sehen. "Weiß er, dass du hier bist?" fragte er mit fester Stimme, bemüht, sich trotz seines morphiumumnebelten Verstandes deutlich zu artikulieren.

"Ja", log sie und redete sich ein, dass es eigentlich nur eine halbe Lüge war. "Er wünscht gute Besserung."

Mulder grinste schwach. "Wer's glaubt", war seine einzige Reaktion.

"Mulder, wegen unserem Gespräch vorhin..."

"Vergiss es, Scully. Ich verstehe jetzt, dass du getan hast was du für richtig gehalten hast. Vielleicht werde ich es mit der Zeit sogar akzeptieren können, aber das soll mein Problem sein. Es gibt allerdings etwas, das du jetzt für mich tun müsstest." Er sah ihr direkt in die Augen und versuchte, klar zu bleiben.

"Was denn, Mulder?"

"Derjenige, der mich angefahren hat, wer immer das auch war... Scully, es war vorsätzlich. Ich habe es Skinner schon erzählt, aber er glaubt mir nicht. Du musst herausfinden, wer mich umbringen will und warum." Der ernste Tonfall machte ihr Angst, und sie fragte sich auf einmal, ob Skinner mit Mulder über eine psychologische Therapie gesprochen hatte.

"Warum glaubst du das?" fragte sie sanft und wiederholte Skinners Frage.

Mulder hatte immer noch keine richtige Antwort.

"Ich bin einfach davon überzeugt", erwiderte er leise und senkte seinen Blick. "Ich kann es nicht erklären, aber ich weiß es. Ich konnte es in dem Moment fühlen, Scully. Skinner glaubt mir nicht, aber du siehst sicher, dass es ein viel zu großer Zufall wäre."

//Sie müssen mir glauben, Scully// flüsterte eine Stimme aus der Vergangenheit.

Sie schüttelte langsam den Kopf, als sie die Frustration auf seinem Gesicht breit machte. "Es tut mir leid, Mulder, aber ich glaube es nicht. Skinner sagt, dass es keine Hinweise gibt..."

"Was ist mit dem Truck?" unterbrach er sie und bekämpfte das Gefühl der Verzweiflung. "Hat irgendjemand den Truck näher ansehen können oder den Fahrer?"

//Niemand sonst auf diesem verdammten Planeten tut es...//

Scullys Augen weiteten sich bei der Erinnerung, aber sie nahm sich zusammen und ließ ihre Gedanken nicht in die Vergangenheit abschweifen. "Die einzige Zeugin ist Joyce, die Sekretärin aus dem Anwaltsbüro. Alles, was sie uns sagen konnte ist, dass es ein roter Truck war. Und dass es definitiv ein Anfahren mit Fahrerflucht gewesen ist", fügte sie betonend hinzu.

"Scully, das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist Joyce' hysterisches Gekreische", murmelte er sarkastisch und merkte, dass er jetzt doch langsam den Kampf gegen die Beruhigungsmittel verlor. "Sie ist sicherlich nicht die verlässlichste Zeugin."

"Du warst verletzt. Du warst bewusstlos. Macht dich das verlässlicher?" Sie drückte seine Hand, um die Schärfe ihrer Behauptung zu mildern, doch er zog seine Hand weg.

"Ich weiß, was ich geseh'n hab', un' ich weiß, was passiert is' ", beteuerte er, mit unklarer werdenden Stimme.

"Tja, wenn es bei deinen Eindrücken bleibt, haben wir nichts in der Hand", sagte Scully. Es hatte sie verletzt, dass er ihr seine Hand wieder entzogen hatte. "Die Polizei wird natürlich weiter nach dem Fahrer des Fahrzeugs suchen, aber wir wissen beide, dass die Chancen nicht sehr hoch stehen."

Er nickte wissend und drehte sich ein wenig, um sie besser ansehen zu können. Ihre Hand lag auf dem Bettrand und der Ärmel ihrer Bluse war ein wenig hochgeschoben, so dass er den dunklen Fleck über ihrem Handgelenk nicht übersehen konnte.

"Was ist das?" fragt er und deutete darauf.

Scully zog ihre Hand hastig zurück und verschränkte die Arme. "Was ist was?"

"Scully, komm mir nicht so!" sagte er ärgerlich. Er wusste genau, was es war. Sie hatte es bei dem Treffen am Vormittag zerreden können, und Mulder hatte ihr geglaubt, weil die Scully, die er kannte, vor jedem die Waffe ziehen würde, der es wagte, sie zu schlagen. Doch das hier war zu offensichtlich, um es zu ignorieren. "Das waren Handabdrücke. Hat er das getan?"

Scully war sauer. Es ärgerte sie, dass er es bemerkt hatte, und dass sie es nicht besser verborgen hatte. Zach hatte während ihrer Auseinandersetzung ihr Handgelenk gegriffen und es fester gehalten als er sollte, und sie musste ihn erst ermahnen, bevor er ihren Arm mit einem entschuldigenden Ausdruck losgelassen hatte. Er war ein großer Mann, sie war eine kleine Frau, und wenn sein Temperament gelegentlich mit ihm durchging, neigte er dazu, ihr Handgelenk ziemlich hart anzufassen. Wie konnte Mulder nur denken, dass es etwas anderes als das war? Was für eine Frau, glaubte er, sei aus ihr geworden?

"Vielleicht mögen Zach und ich es wild, Mulder. Hast du schon mal daran gedacht?" erwiderte sie kühl. "Was geht dich das an?"

Ihre Worte trafen ihn wie ein Strahl kalten Wassers. Er lehnte sich in den Kissen zurück, seine Augen glühten wie Kohlen. "Nicht das geringste", sagte er knapp. "Was du und dein Mann tun", sagte er und betonte das Wort extra, "ist deine Sache. Ich glaube kaum, dass er es toll fände, wenn du den Abend am Bett eines anderen Mannes verbringen würdest, also solltest du besser nach Hause gehen. Es gibt keinen Grund, warum wir uns noch sehen sollten."

Er konnte sie nicht ansehen, als sie von ihrem Stuhl aufstand und auf die Tür zuging. Dort hielt sie inne und drehte sich um, als ob sie etwas sagen wollte, doch sein Gesicht war wie zu Stein erstarrt und eine Sekunde später war sie verschwunden.

Mulder zwang sich zum gleichmäßigen und ruhigen Atmen, und umfasste die Bettkante so fest er konnte. Er wusste, dass wenn er sich dem Gefühlsschwall in ihm kampflos hingeben würde, er zusammenbrechen würde. Und er war fest entschlossen, seine Selbstkontrolle zu bewahren. Sie nicht an sich heranzulassen. Keine Träne zu vergießen.

 

 

 

Ende TEIL Zwei

 

 

 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 3/9

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>

 

Zachary Morrow betrachtete interessiert die dritte Schublade von Danas Schreitisch. Sie war verschlossen. In den meisten Punkten ihres Lebens war Dana offen und ehrlich, doch Zach wusste, dass es etwas gab, das sie vor ihm verborgen hielt. Einerseits machte es ihn wütend, doch andererseits war das ein Bestandteil des geheimnisvollen Wesens, das er so attraktiv an seiner Frau fand. Er hatte Bills kleine Schwester schon immer sehr anziehend gefunden, und als er sie heranwachsen sah, wurde seine Bewunderung zu Verlangen und zu noch etwas andrem. Zach war nicht unsterblich verliebt in Dana - er würde nie wieder diesen Fehler machen, nachdem es ihn mit Allison, seiner ersten Frau, so erwischt hatte. Nachdem Allie ihn betrogen hatte, hatte Zach sich geschworen, nie wieder zu heiraten, doch die Aussichten, allein eine Tochter aufziehen zu müssen, waren so einschüchternd gewesen, und außerdem hatte sich Zach nach jemandem an seiner Seite gesehnt. Er wollte jemanden haben, mit dem er sein Leben teilen konnte, wenn schon nicht sein Herz. Sich für Dana zu entscheiden, war die offensichtliche Lösung gewesen. Sie kannten sich schon Ewigkeiten, er war immer gut mit der Scully-Familie ausgekommen, und je älter Dana wurde, desto sexier und attraktiv wirkte sie auf ihn. Seit der Inhaftierung ihres Partners, Mulder, hatte sie oft sehr traurig und leidend ausgesehen, und nach Zachs Ansicht verlieh ihr dieser Ausdruck eine weisere und sanftere Haltung. Es gab etwas in ihrem Leiden, das das Beste aus Dana herausholte.

Neugierig begann er den Schreibtisch nach dem Schlüssel abzusuchen. Zach hatte getrunken, und wenn er trank, war er nicht er selbst, das würde er als erster zugeben. Er hatte außerdem auch wieder an die Erbschaft gedacht. Das Geld, das ihm durch die Lappen gegangen war - oder nicht. Die Frage, die Zach dieser Tage primär beschäftigte war, ob Mulder sein Testament geändert hatte. Er hatte die beiden vor dem Anwaltsbüro streiten sehen. Und als Dana an dem Abend, nachdem sie dieses Arschloch im Krankenhaus besucht hatte, nach Hause gekommen war, war sie sehr reserviert gewesen. Er fragt sich, ob sie sich gestritten hatten, und ob der Streit ihn dazu gebracht hatte, seinen letzten Willen zu ändern. Er hatte keine höfliche Möglichkeit gesehen, diese Frage zu stellen, und Dana wich jedes Mal aus, wenn er Mulder auch nur erwähnte.

Als er die ganze Schreibtischoberfläche und die offenen Schubladen abgesucht hatte, fuhr Zach instinktiv mit den Händen über die Unterseite des Schreibtisches. Manchmal klebten Leute ihre Schlüssel an die Unterseite. Seiner Meinung nach kein besonders gutes Versteck, aber trotzdem... Als er nichts fand, kam er zu dem Schluss, dass Dana tatsächlich gerissener war, als die normale Durchschnittsfrau. Aus einer Ahnung heraus zog er die mittlere Schublade hervor und betastete das Innere. Er war drauf und dran, die Schublade aufzugeben, als seine Finger etwas ertasteten. Er befühlte es genauer und ein triumphierendes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Einen Moment später zog er den Schlüssel heraus, auf dem noch kleine Stücke des Klebestreifens pappten. Er trank sein Glas aus und rammte den Schlüssel gewaltsam in das Schloss der Schublade, grinsend, als er passte.

Doch sein Grinsen verschwand, als er sah, was sich darin befand. Nichts, außer einem sehr großen, sehr staubigen Wörterbuch. Verwirrt sah er hinter dem Buch nach, hob es hoch, um auf die Unterseite zu sehen, und holte es schließlich heraus. Er legte es auf seinen Schoß und begann darin zu blättern. Er erwartete nichts Besonderes zu finden, als zu seiner Überraschung das Buch aufklappte und ein Foto herausfiel, das sorgsam in der Mitte der Buchseiten lag. Es war ein Bild von Dana und ihrem Ex-Partner, offensichtlich vor Mulders Verhaftung vor all den Jahren. Mit einem Gefühl der Eifersucht bemerkte Zach den entspannten und glücklichen Gesichtsausdruck auf dem Gesicht seiner Frau. Er konnte sich nicht daran erinnern, sie in seiner Gesellschaft jemals so gesehen zu haben.

Das Glas längst vergessen, trank er jetzt direkt aus der Flasche und betrachtete den Mann auf dem Foto mit Verachtung. Fox Mulder. Der Grund für so viele Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Dana. Er hatte wirklich geglaubt, dass sobald sie verheiratet waren, sie über diesen Idioten hinwegkommen würde. Sein eigenes Interesse an Dana hatte mehr Gründe als nur das Geld, das sie beinahe geerbt hätte, aber trotzdem—ein Mann erwartet von seiner Frau, dass sie ihn liebt. Dana konnte sehr einschüchternd werden mit ihrer Cleverness und ihrer Hingabe zur Wissenschaft, aber Zach war willensstark. Er tat sein Bestes, um sie zu kontrollieren und sie zu unterwerfen, und es trug sogar zu seiner Begeisterung bei, dass er nie Erfolg hatte. Dana war keine Frau, die man zähmen konnte—sie war ein Wildfang. Sie konnte auch eine Katze im Sack sein, wenn sie wollte. Er fragte sich, ob sie in den Momenten Mulder hinter ihren geschlossenen Augenliedern sah.

Vorsichtig stellte Zach die Flasche Jack Daniels auf den Tisch neben das aufgeschlagene Wörterbuch. Aufgeschlagen bei 'M'. 'M' für 'Mulder'. Wie süß. Mit einem Schnauben zerriss er das Bild in zwei Hälften. Zu schade, dass er nicht genauso leicht das Herz aus Mulders Brust reißen konnte. Bei Gott, er hatte es versucht. Das erste Mal hatte ihn fünfhundert Dollar gekostet. Der Wärter, den er bezahlt hatte, damit er den Wichser zusammenschlug, hatte seinen Job gut gemacht, aber er war unterbrochen worden, bevor er seine Sache beenden konnte. Er ist gefeuert worden und Mulder hatte drei Wochen im Krankenhaus verbracht. Der zweite Versuch—Zach grinste kalt. Der war zwar umsonst gewesen, aber die Schadenfreude, die er beim Geräusch empfunden hatte, als sein Truck gegen seinen Körper prallte, machte die Tatsache, dass das Schwein wieder mal überlebt hatte, fast wieder wett. Er und Dana hatten an diesem Abend so schlimm wie noch nie gestritten, bevor sie weggefahren war, um den Typen im Krankenhaus zu besuchen. Sie war allerdings nicht lange weg gewesen, stellte er im Nachhinein fest, und er war nicht besonders froh gewesen, als sie wieder zu Hause war. Sie hatten sich in jener Nacht heiß geliebt, aber es war eine Wut in ihr, eine Leidenschaft, die nichts mit sexueller Anziehungskraft zu tun gehabt hatte. Er hatte in der Nacht gedacht, dass der Grund dafür der Streit war, den sie vorher gehabt hatten, aber jetzt fragte er sich, ob sie sich nicht mit Mr. Perfect gestritten hatte. Das würde einiges erklären. Zum Beispiel warum sie in dem Monat nach seiner Entlassung nichts von dem Kerl gehört hatte. Zumindest nahm Zach das an.

"Was fällt dir ein??" Das unerwartete Ertönen ihrer Stimme ließ ihn zusammenzucken.

"Verdammt, Dana! Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich nicht so heranschleichen sollst?" rief er wütend, als er herumwirbelte.

"Zach?" fragte sie und riss die Augen auf, als sie das zerfetzte Bild sah. "Was hast du an meinem Schreibtisch zu suchen?"

Er schnaubte ein Lachen. "Vielleicht kannst du mir sagen", begann er und lehnte sich mit einem weiteren Schluck Jack Daniels in seinem Stuhl zurück, "warum meine Frau ein Bild von einem anderen Mann ach-so-gut versteckt in ihrer Schublade hat." Sein Kommentar war trügerisch harmlos, und Dana fragte sich, wie voll die Whiskeyflasche gewesen war, bevor Zach angefangen hatte zu trinken. Sie war jetzt zu zwei Dritteln leer, und wenn er diese zwei Drittel heute getrunken hatte... sie seufzte innerlich. Sie sollte besser versuchen, ihn ins Bett zu kriegen.

"Komm schon, Zach", begann sie schmeichelnd und fuhr zusammen, als er mit der flachen Hand vehement auf den Tisch schlug, so dass der Stifthalter erzitterte.

"Mach dich nicht über mich lustig!" brauste er auf.

"Psst, du weckst Emmie", bat sie, und befürchtete, dass dies wieder einer der Sorte Streit wird, den sie so schnell nicht mehr vergessen würde. Üblicherweise stieg er nach solchen Auseinandersetzungen immer in seinen Truck und machte sich mit quietschenden Reifen aus dem Staub, und sie musste sich fragen, ob er es in einem Stück wieder nach Hause schaffen würde.

"Emmie", informierte Zach sie mit eiskaltem Unterton, "ist es gewohnt, dass sich ihre Mutter wie eine Schlampe benimmt. Ihre wirkliche Mutter war nicht anders."

Scully zuckte innerlich zusammen, denn sie erinnerte sich daran, wie Zach ihr erzählt hatte, wie seine erste Frau umgekommen war. Sie war auf dem Weg zu einem Rendezvous mit ihrem Freund gewesen, als das kleine Flugzeug, in dem sie saß, abstürzte und alle Personen an Bord umgekommen waren. Emmie war noch nicht einmal zwei Jahre alt gewesen.

"Ich benehme mich nicht wie eine Schlampe, ich versuche dir auszureden, dich wie ein Betrunkener zu benehmen!" warf sie verärgert zurück. Sie schaffte es gerade noch, der Glasflasche auszuweichen, die um Haaresbreite ihren Kopf verfehlt hatte, und neben ihr gegen die Wand knallte.

Dana starrte ihren Mann entsetzt an. Sie hatte ihn noch nie so gesehen. Sie wusste, dass er schon immer eifersüchtig auf Mulder war, aber das erklärte nicht wie ein einfaches Foto ihn zur solchen Rage brachte. Kurz nachdem sie geheiratet hatten, als Zach noch dachte, er könne sie kontrollieren, hatte er sogar darauf bestanden, dass sie ihre Unterstützung in Mulders Fall aufgibt. Sie hatte ihm diese Bitte erfüllt im Interesse der Familienharmonie, denn sie konnte sich darauf verlassen, dass Skinner und die anderen nicht aufgeben würden. Sie hatte die hässliche Gier in Zachs Augen gesehen, jedes Mal wenn Mulders Geld ins Gespräch kam, und es hatte Ärger gegeben, als sie zu Mulder ins Krankenhaus gegangen war. Aber sie hatte ihn noch nie mit dieser kalten, mörderischen Wut aus der Haut fahren sehen.

Der beste Weg mit dieser Situation umzugehen war, ihr aus dem Weg zu gehen, entschied Scully und drehte sich um, um mit einem Ausdruck größter Abscheu auf dem Gesicht den Raum zu verlassen. Zach war wie der Blitz aus dem Stuhl.

"Nicht so schnell", grummelte er und fasste ihren Arm über ihrem Handgelenk und riss sie zu sich herum. Sie starrte auf seine Finger, die ihren Unterarm zerquetschten und genau die Flecken hinterlassen würden wie an dem Tag, als sie bei Mulder im Krankenhaus gewesen war. Sie hob drohend ihren Blick zu ihm.

"Lass mich los", zischte sie. Zach lies ihr Handgelenk fallen und sie drehte sich um, so dass sie den nackten Hass in seinen dunklen Augen nicht sehen konnte. Sie sah den ersten Schlag nicht kommen.

 

Mulder quälte sich aus dem Schlaf gerade mal soweit, um ans Telefon gehen zu können. Er tastete auf dem Nachttisch danach herum und drückte sogar den richtigen Knopf, als er es schließlich fand.

"H'lo", nuschelte er, gähnte und rieb sich mit der freien Hand die Augen. Er setzte sich auf, als er Maggie Scullys Stimme ausmachte.

Es war eine Stimme, die er in den letzten Wochen ziemlich oft gehört hatte. Sie hatte ihn einige Male pro Woche angerufen, um mit ihm zu plaudern. Sie schien zu verstehen, dass er immer noch Gefühle für ihre Tochter hatte. Doch dieses Mal war es etwas anderes. Sie hatte immer fröhlich geklungen, wenn sie in angerufen hatte, aber heute lag ein seltsames Flüstern in ihrer Stimme, das ihm Angst machte. Es deutete eine Tragödie an.

"Fox, Sie sollten so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen", sagte sie und er konnte hören, dass sie Tränen zurückhielt.

"Mrs. Scully, was ist passiert?" wollte er wissen und fühlte bereits, wie die altbekannte Panik seine Brust zuschnürte. Er zwang sich zu ruhigem Atmen und machte die Lampe neben seinem Bett an. In Dunkelheit hörte sich alles doppelt so schlimm an.

"Sie wird es überstehen, Fox, ich möchte nicht, dass Sie sich Sorgen machen..."

"Ist etwas mit Scully... Dana passiert?" fragte er ungeduldig. Er starrte auf seine Finger und befahl ihnen im Stillen, mit dem Kribbeln darin aufzuhören. Er kannte die Anzeichen für einen panischen Anfall sehr gut, und er hatte dafür jetzt einfach keine Zeit.

"Sie wurde geschlagen. Sie und Zachary haben sich gestritten und er..."

"Wo ist sie?" unterbrach er sie, war bereits aus dem Bett und suchte nach seinen Klamotten. "In welchem Krankenhaus?"

Er hörte zu, als sie ihm die Details erklärte, schmiss dann das Telefon aufs Bett und zog sich an. Er dachte wirklich er hätte sich unter Kontrolle, bis die Vorstellung von Scullys leblosem, geschundenem Körper in seinem Kopf auftauchte. Seine Augen weiteten sich und er sank mit einem heftigen Japsen zu Boden - all seine Kraft entwich ihm.

"Nein, nein, nein", hörte er seine eigene Stimme wie aus einer weiten Entfernung und mit dem Teil seines Gehirns, das noch nicht ausgeschaltet war, griff er abermals zum Telefon. Er wusste, dass er Hilfe brauchte. Er musste den Mann anrufen, der zu seinem Lebensretter geworden war.

Skinner meldete sich ein wenig gereizt am Telefon, denn er war nie bester Laune, wenn er gerade geweckt wurde. Im ersten Moment dachte Mulder, er hätte es lieber bleiben lassen, doch er konnte nicht mehr zurück. Skinner würde am Display erkennen, wer angerufen hatte.

"Mulder?" fragte Skinner als nur Stille in der Leitung war. "Mulder, sind Sie das? Ist alles in Ordnung?"

"Scully", brachte Mulder hervor, und mühte sich ab, ausreichend zu atmen.

"Was ist mit Scully?" fragte Skinner milder. Er machte sich Sorgen um Dana, aber jetzt musste er erst mal Mulder beruhigen, bevor er etwas tat, was ihm schaden würde.

"Sie ist verletzt."

Skinner konnte Mulders schweren Atem durch die Leitung hören. "Wie schwer verletzt?" fragte er, als er sich aufsetzte und das Licht anknipste. Es stand jetzt schon fest, dass er diese Nacht keinen Schlaf mehr bekommen würde.

"Ich... ich weiß es nicht... ihre Mutter hat angerufen..."

"Ganz ruhig, Mulder. Ist Scully im Krankenhaus?"

Noch mehr schweres Atmen. "Ja."

Skinner war schon auf dem Weg ins Badezimmer und sammelte unterwegs seine Sachen auf. "Dann legen Sie jetzt auf, ziehen sich an und warten auf mich. Ich werde in zwanzig Minuten da sein, um Sie abzuholen, und dann fahren wir zusammen da hin. Fahren Sie bloß nicht in dieser Verfassung. Haben Sie verstanden, Mulder?"

Einen langen Moment herrschte Stille in der Leitung, dann ein schwaches, "Ja, Sir."

"In Ordnung. Ziehen Sie sich jetzt an. Ich werde gleich da sein."

Skinner warf sich in frische Klamotten und hetzte zur Tür mit der Befürchtung, Mulder könnte seine Anordnungen missachten und doch alleine ins Krankenhaus fahren. Das letzte, was er jetzt brauchte, war ein fast hysterischer Mulder hinterm Steuer.

Zu seiner Erleichterung fand er Mulder vor wie er ruhig auf ihn wartete, komplett angezogen und seine Panik für den Moment offensichtlich unter Kontrolle. Skinner schob Mulder zu seinem Wagen und fuhr, nachdem er sich nach dem Krankenhaus erkundigt hatte, still los. Er würde wohl bessere Informationen Maggie Scully als von Mulder bekommen. Das blasse, finster drein blickende Gesicht des Mannes neben ihm auf dem Beifahrersitz verbat jegliche Konversation.

Als sie am Krankenhaus ankamen, wurden sie rasch zu Scullys Zimmer durchgewiesen. Sie waren gerade im Korridor, als ihnen ihre Mutter entgegen kam. Sie beendete gerade ein Gespräch mit einem der Ärzte, als sie die beiden Männer sah, und ihr erleichtertes Lächeln gab Skinner Hoffnung, dass Scully nicht allzu schlimm verletzt war.

"Wie geht es ihr?" fragte Mulder eilig, den Blick schon auf das Krankenzimmer nebenan gerichtet.

"Sie wird es überstehen, Fox. Er hat es nicht geschafft, sie schwer zu verletzen, vielleicht weil er betrunken war. Ich glaube, er hat nicht richtig zielen können", sagte sie bitter.

"Kann ich sie sehen?"

"Sie schläft, aber Sie können hineingehen, wenn Sie möchten." Er eilte auf die Tür zu, auf die sie zeigte. "Fox!" rief sie ihm hinterher, als ich plötzlich etwas einfiel.

Mulder drehte sich um, seine Hand schon auf dem Türgriff.

"Sie sieht schlimm aus. Viel schlimmer als es eigentlich ist."

Er nickte und betrat das Zimmer. Zuerst konnte er die Gestalt im Bett gar nicht ansehen. Seine Ohren vernahmen das leise Piepen der Instrumente, eines für die Zufuhr von Medikamenten, und ein Tropf. Ein Katheder hing am Bett und Mulders Magen zog sich zusammen, als er den Hauch von Rot in ihrem Urin sah. Das Arschloch hat auch ihre Nieren erwischt.

Dann nahm er sich zusammen und hob seinen Blick langsam, an der herunterhängenden Bettdecke hoch, über die erhöhte Bettkante bis hin zu dem, was ihr Gesicht sein sollte. Es war mit Verbänden halb verdeckt, nur ein paar wenige Haarsträhnen lugten unter dem Weiß hervor. Ein Auge war völlig verbunden. Ihr Arm, der auf ihrer Brust lag, war übersäht von Fingerabdrücken, die Mulder nur zu gut kannte.

Instinktiv trat er erschrocken einen Schritt zurück bei Scullys Anblick, so dass er mit dem Rücken gegen die Wand prallte. Er hob die Hände vors Gesicht, um dem Anblick zu entgehen und hörte sein Stöhnen, als ob es nicht sein eigenes wäre. Er wusste, dass er die Kontrolle verlor, doch er konnte nicht dagegen ankämpfen. Langsam sank er an der Wand zu Boden, als seine Knie nachgaben, und Tränen formten sich in seinen verdeckten Augen.

Das war alles gar nicht wirklich. Das konnte nicht passieren. Sie sollte doch eigentlich die Starke sein, die Konstante - auch wenn er sie nicht haben konnte, wusste er doch mit Sicherheit, dass es sie gab, dass sie da war, glücklich und lebendig. Die Frau, die vor ihm lag und flach atmete, die Schönheit ihres Gesichtes durch Verbände verunstaltet, konnte unmöglich seine Scully sein. Natürlich, ermahnte er sich, war sie nicht mehr seine Scully. Wenn sie es wäre, läge sie jetzt nicht hier. Er würde ihr nie weh tun, würde ihr nie Leid zufügen, auf welche Weise auch immer, aber dieses Schwein...

Seine Faust ballte sich und er wurde von einer Wut ergriffen, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Der Drang entstand in ihm, ein Menschenleben zu beenden, einfach weil besagter Mensch es nicht wert war, auf der Welt zu sein. Für einen Moment überlegte Mulder, wie gut es tun würde, seine Pistole an Zachary Morrows Schläfe zu legen und abzudrücken. Im nächsten Augenblick merkte er, wie Skinner seine Hände von seinem Gesicht zog und ihn völlig entgeistert anstarrte. Hatte er ernsthaft überlegt...? Nein, Mulder wusste natürlich, dass es außer Frage stand, Morrow nachzustellen und ihn umzubringen, ganz egal wie befriedigend es im Augenblick erschien. Nie im Leben würde er das Risiko eingehen, wieder ins Gefängnis zu müssen.

"Mulder, sind Sie in Ordnung?" fragte Skinner besorgt und half seinem Freund auf die Beine. "Kommen Sie her und setzten Sie sich."

Mulder ließ sich von Skinner auf die andere Seite des Bettes führen und auf einen Stuhl platzieren. Mrs. Scully erschien neben ihm mit einem Glas Wasser, das er mit einem gemurmelten "Danke" annahm. Mulder brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen und ließ dann seinen Blick wieder zu Scully wandern.

Von dieser Seite aus gesehen sah sie nicht so schlimm aus. Sie hatte blasse Quetschungen auf den Teilen ihres Gesichtes, die sichtbar waren, doch im Großen und Ganzen sah es normal aus. Ihre Hand, die an ihrer Seite lag, war ebenfalls unverletzt, und Mulder streckte langsam seine Hand aus, um seine Finger mit ihren zu verschränken.

"Scully", murmelte er und beugte sich vor, um ihr leises Atmen vernehmen zu können. Das stetige Heben und Senken ihrer Brust beruhigte ihn. Schließlich wandte er sich zu Maggie und fragte, "Wie schlimm ist sie verletzt?"

Maggie erklärte ihm ihren Zustand, und keine der Verletzungen war wirklich schwerwiegend, so dass seine Anspannung langsam zu verfliegen begann.

"Sie wird Ihre Kraft brauchen, Fox", sagte sie zu ihm und tätschelte ihn an der Schulter. "Sie hat Sie immer schon gebraucht."

Einen Moment lang starrte er sie nur an, schluckte und blickte dann wieder auf die kleine Gestalt seiner ehemaligen Partnerin. Er sollte stark sein?  Wie? Er hatte keine Kraft mehr übrig. Scully war immer diejenige gewesen, auf die er sich stützen konnte in harten Zeiten. Sie war eine Quelle der Kraft gewesen, wenn er drauf und dran war aufzugeben und sich hängen zu lassen, und ihre Entschlossenheit hatte ihn über mehr als nur einen schweren Weg geleitet.

Er bemerkte kaum, dass Skinner und Mrs. Scully den Raum verließen, so sehr war er in seinen Gedanken versunken. Wenn ich es ihr nur gesagt hätte, schalt er sich immer und immer wieder. Wenn ich ihr nur gesagt hätte, was ich an dem Tag im Gefängnis fühlte, anstatt sie abzuweisen, würde sie jetzt nicht hier liegen. Sie hätte gewartet, wenn ich ihr etwas gegeben hätte, worauf sie hätte warten können. Doch ich habe sie geradewegs in die Arme eines anderen Mannes getrieben - eines Mannes, der ihr weh getan hatte. Wenn ich sie nur nicht angelogen hätte.

Mulder hielt ein Schluchzen zurück, das in ihm hochkam. Seine Schuld. Es war seine Schuld, er war nicht ehrlich zu ihr gewesen, auch nicht zu sich selber. Scully war eine erwachsene Frau, sie konnte selbst entscheiden, wie sie ihr Leben leben wollte. Doch er hatte ihr dieses Recht genommen. Er hatte die Entscheidung für sie beide getroffen, und es war die falsche Entscheidung gewesen. In einem Versuch, sich seiner Schuld zu entledigen, hatte er sie beiden an diesen Punkt gebracht - Scully war mit einem Mann verheiratet, den sie nicht liebte, ein Mann, der ihr so weh getan hatte, während sein eigenes Leben so verloren war wie ein frei treibendes Boot auf hoher See.

Keine Lügen mehr, beschloss er. Nie mehr. Von jetzt an werde ich zu ihr und zu mir ehrlich sein. Ich werde ihr sagen, was ich empfinde, sogar wenn es bedeutet, etwas von meiner Würde zu verlieren. Sie fühlt vielleicht nicht genauso, aber ich würde sie wenigstens mit Ehrlichkeit verlieren und nicht mit einer Lüge.

Mit diesem Entschluss legte Mulder seinen Kopf auf ihr Bett, neben ihre verschlungenen Hände, und fiel schließlich in einen ruhelosen Schlaf.

 
 

"Scully?"

Die Stimme drang durch einen blauen Schleier zu ihr durch, als sie sich bemühte, sie zu identifizieren. Sie strengte sich an und schaffte es zumindest ein Auge zu öffnen. Das andere war verbunden. Sie brauchte einen Moment, um das zu realisieren. Als ihr Blick schließlich klar wurde, sah Scully auch den Urheber der Stimme.

"Mulder?" murmelte sie schwach.

Sanft strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, die auf ihre Stirn gefallen war und lächelte. "Willkommen zurück."

"Wie... wie bin ich hierher gekommen?" fragte sie und ihr nicht verbundenes Auge sah sich im Raum um.

Sein Lächeln verschwand. "Einer der Nachbarn hatte das Theater gehört und die Polizei informiert", erklärte er ihr mit ernstem Ausdruck. "Gerade noch rechtzeitig, oder das Schwein hätte dich glatt umgebracht."

Sie schloss ihr Auge, als ob sie die Erinnerung abblocken wollte. Sie schluckte und einen Moment später drückte Mulder ihr ein paar Eisstücke an ihre Lippen. Dankbar nahm sie das Angebot an und trank langsam, als das Eis schmolz. Als ihre Kehle nicht mehr so trocken war, konnte sie besser sprechen.

"Zach?"

"Im Knast", sagte Mulder geradeheraus. "Wo er hingehört."

"Mulder, er hat versucht..."

"Er hat versucht, dich umzubringen, Scully."

Sie schüttelte frustriert den Kopf. "Er hat versucht, *dich* umzubringen, Mulder. Er ists gewesen."

Mulders Augen wurden weit, als er den Zusammenhang erkannte. "Der Fahrer, der mich angefahren hat?"

Sie nickte.

"Bist du sicher, Scully?"

Ihr Mund verzog sich zu einem grimmigen Lächeln. "Ich kann es nicht beweisen, aber ich hatte schon vorher einen Verdacht. Ich habe mir seinen Truck angesehen, aber..."

"Der Truck ist so groß, dass meine dürre Gestalt keinen Kratzer hinterließ", endete er trocken für sie.

"Da war ein Kratzer", sagte sie und lächelte jetzt wirklich, als sie seine Reaktion sah. "Ein sehr kleiner allerdings. Ich konnte ihm nichts beweisen, ich kann es immer noch nicht. Aber ich weiß es, Mulder."

Er nickte. "Du hast vielleicht Recht", stimmte er zu. "Aber was hat dich dazu gebracht, ihn zu verdächtigen?"

Sie wartete einen Augenblick und sammelte ihre Kräfte und ihre Gedanken.  Das Gespräch war sehr ermüdend für sie, aber es war das erste Mal seit Jahren, dass Mulder mit ihr redete wie mit einem Menschen, und sie wollte das Gespräch noch nicht beenden. Er schien ganz wie der alte Mulder, der Mulder, den sie vermisste. Der, den sie liebte.

"Sein Truck", erklärte sie leise, "ein großer roter Truck, genauso wie die Zeugin es beschrieb. Und er war wütend, weil er das Geld nicht bekommt."

Er hob die Augenbrauen. "Mein Geld?"

"Bill hat ihm davon erzählt. Aber es gab keine Beweise, und ich.... wollte nicht wahrhaben, dass er zu so etwas fähig ist."

"Und dennoch war er dazu fähig", sagte er und wies auf ihre Wunden und Prellungen.

Sie regte sich unbehaglich. "Ich weiß, was du denkst, Mulder, aber du liegst falsch. Er hatte mich noch nie geschlagen."

Es war klar, dass er ihr das nicht abnahm. "Komm schon, Scully, so ein Verhalten entsteht nicht über Nacht. Es muss doch vorher schon Anzeichen dafür gegeben haben. Ich habe schon vorher blaue Flecken an dir gesehen."

"Aber die waren woanders her." Sie sah den Ausdruck auf Mulders Gesicht und es war ihr auf einmal sehr wichtig, ihn zu überzeugen, dass sie ihm die Wahrheit sagte. "Er hat mich ein paar Mal etwas hart angefasst", gab sie zu, "gewöhnlich wenn wir uns gestritten haben. Aber Mulder, ich schwöre, dass er noch nie die Hand gegen mich erhoben und mir weh getan hat. Da ist alles in der Hitze der Situation passiert. Zach vergisst eben manchmal seine eigene Kraft, wenn er sich aufregt. Und hinterher hat es ihm immer leidgetan." Sie bestand auf diese Tatsache, und ihr Blick wanderte zum Fernseher, zum Fenster, zur kahlen Wand... alles war besser, als ihn anzusehen und ihn ihre Enttäuschung sehen zu lassen.

Er streckte seine Hand aus und wischte eine Träne von ihrer Wange, die ihr entkommen war. Entschlossen kämpfte sie gegen die an, die folgen wollten.  Mulder setzte sich auf seinem Stuhl zurück, als ob er merken würde, dass das Thema langsam unerträglich wurde. Letztendlich richtete sie ihren Blick doch auf ihn, schniefend.

"Und, warum bist du hier?" fragte sie und die Sanftheit ihrer Stimme beschwichtigte ihre Worte.

Ein kleines Lächeln. "Weil ich hier sein wollte. Weil ich hier sein musste. Weil ich beschlossen habe, nicht mehr zu lügen."

Sie regte sich wieder, um sich einen besseren Blickwinkel zu verschaffen, und zuckte, als der Schmerz scharf durch ihre Rippen schoss. "Lügen?" fragte sie.

Er spitzte die Lippen für einen Moment, als ob er intensiv nachdenken würde, und fixierte sie dann mit festem Blick. "Uns beide anzulügen. Ich weiß, ich habe mal gesagt, dass ich dich nie wiedersehen will, aber es war eine Lüge, Scully. Ich wollte dich sehen, weil ich... weil ich dich immer noch liebe", endete er eilig.

"Oh, Mulder...."

"Ich weiß, du empfindest nicht genauso", fuhr er fort und hielt eine Hand hoch, um ihre Worte aufzuhalten, "und ich möchte, dass du weißt, dass das okay für mich ist. Es ist natürlich nicht das, was ich will, aber ich kann es verstehen. Du hast einen Ehemann..."

"Nicht mehr lange", warf sie bitter ein.

Das ließ ihn innehalten. "Du wirst ihn anzeigen?" fragte er und sein Magen zog sich vor Hoffnung zusammen.

"Mulder, ich habe dir gesagt, dass ich ihn nicht so liebe wie... naja, wie ich sollte. Durch diese ganze Geschichte ist mir klar geworden, dass es ein großer Fehler war. Ich hätte stärker sein sollen, als ich schwach war." Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. "Ich hätte auf dich warten sollen."

"Oh, Scully, ich hätte dich lassen sollen", flüsterte er, senkte den Kopf auf seinen Arm und lehnte sich etwas weiter vor auf dem Bett. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus, um ihm über das Haar zu streicheln. Nach einem Moment wandte er sein Gesicht dem ihren zu, und sie sah Gott sei Dank keine Tränen.

"Weißt du, irgendwie ist es lustig", bemerkte er, während ihre Finger sein Gesicht entlang strichen und sie ihre Hand dann aufs Bett fallen ließ.

"Was ist lustig?"

"Trotz allem, was 'Die' uns angetan haben, das Schlimmste haben wir uns selbst angetan."

Sie lächelte traurig. "Willst du damit sagen, dass wir es zulassen, dass die gewinnen?"

"Sie müssen nicht gewinnen, Scully. Das Ergebnis hängt auch von uns selbst ab. Das Spiel wird nicht vorbei sein, ehe wir nicht aufhören zu spielen.  Oder erst, wenn wir tot sind.

'Egal wie die Winde wehen

Oder wie die Wellen uns erreichen

Wir werden unsere Reise fortführen

Und das entfernteste Ufer erreichen

Bevor das Zwielicht fällt... '"

 

Nun füllten sich ihre Augen doch mit Tränen. "Das ist wunderschön, Mulder. Wo ist das her?"

Überrascht sah er sie an. "Ich weiß nicht mehr."

Sie lachte durch ihre Tränen, weil er so verwundert drein schaute. Mulder konnte sich natürlich nicht immer an alles erinnern, aber er hatte gewöhnlich einen Anhaltspunkt. Und es war völlig untypisch für ihn, dass er sich absolut nicht mehr daran erinnerte. Offensichtlich überraschte diese Tatsache sogar ihn selbst.

"Habe ich in der High-School mal gelernt, glaube ich", sagte er locker.  "Der Punkt ist, wir sind nur dann besiegt, wenn wir uns für besiegt erklären."

"Du meinst, wenn wir das Handtuch werfen?" fragte sie amüsiert.

Er grinste. "Das hat bis jetzt niemand von mir verlangt, obwohl ich das ein oder andere Mal nahe dran war", erwiderte er fröhlicher. "Lass uns das Spiel also weiterspielen, Scully. Lass uns weiterspielen, bis wir gewinnen."

"Oder bis wir sterben."

Er nickte.

"Tja, Mulder, so lange du nicht vor hast, wieder Regierungsgeheimnisse aufzudecken und das Paranormale zu erforschen, gibt es für niemanden einen Grund, uns aus dem Weg räumen zu wollen."

"Ausgenommen Zach."

"Der ist im Gefängnis. Und ich *werde* ihn anzeigen." Wieder musste sie ihre Position verändern, dieses Mal etwas vorsichtiger. "Willst du wieder Regierungsgeheimnisse aufdecken und das Paranormale erforschen?"

Er faltete seine Hände zusammen, stützte sein Kinn darauf und blickte ins Leere. "Nicht in nächster Zeit. Genaugenommen habe ich momentan überhaupt keine Pläne. Ich.... treibe momentan irgendwie. Ich habe allerdings ein Haus gekauft, also brauche ich Skinner nicht mehr auf der Tasche liegen - sozusagen."

Sie ignorierte seinen Versuch, das Thema zu wechseln. "Wie lange hast du vor, dich treiben zu lassen?"

Er setzte sich auf seinem Stuhl zurück und biss sich auf die Lippe. Sie konnte ihm ansehen, dass er einen innerlichen Kampf führte gegen seine 'Keine Lügen mehr' Politik. Schließlich sprach er weiter, und am Klang seiner Stimme konnte sie erkennen, dass er die Wahrheit sagte.

"Ich habe mich nie für einen Feigling gehalten, Scully, aber jetzt glaube ich, dass ich einer bin."

"Warum das?" fragte sie und griff nach seiner Hand. Sie spürte, dass das Gespräch ihm nicht leicht fiel, aber es war an der Zeit, endlich die Hindernisse zwischen ihnen beiden wegzuräumen. Höchste Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Beziehung zu beginnen, wie auch immer diese Beziehung aussehen mochte.

"Kannst du dich noch an all die Male erinnern, wo ich gesagt habe, dass ich mich nicht vor ihnen fürchte?" Sie neigte ihren Kopf in Bestätigung. "Doch jetzt habe ich Angst vor ihnen. Ich habe Angst, weil ich weiß, zu was sie fähig sind - und was sie nicht tun werden. Ich hatte immer angenommen, dass sie mich, sobald ich eine zu große Last würde, einfach umlegen würden, aber jetzt... jetzt weiß ich, dass sie das nicht tun werden. Sie schicken mich stattdessen in die Hölle."

"Du glaubst, dass sie versuchen werden, dich wieder dorthin zu schicken?"

Langsam schüttelte er den Kopf. "Ich weiß nicht. Ich will es auch nicht herausfinden. Ich *werde* es nicht herausfinden. Dessen bin ich mir sicher.  Ich werde mich umbringen, bevor ich jemals wieder ins Gefängnis gehe." Seine Worte waren vehementer als er es beabsichtigt hatte, und Scully lief es kalt den Rücken herunter. Er meinte wirklich was er sagte.

"Und was ist mit Samantha? Was ist mit deinem Vater? Melissa? Was mir passiert ist, was dir passiert ist? Gibst du das alles etwa auf?" In ihrer Stimme lag kein Ärger, lediglich eine Frage, aber es erschreckte sie, dass Mulder womöglich seine Leidenschaft für die Suche verloren hatte.

"Melissa ist tot, und mein Vater auch. Keine Wahrheit, keine Antworten werden sie je zurück bringen. Und was Samantha betrifft.... wie viele Jahre habe ich Antworten gesucht und keine gefunden? Ich habe so viele widersprüchliche Geschichten über meine Schwester gehört, dass ich nicht mehr weiß, wem oder was ich glauben kann."

"Also hast du beschlossen, an nichts mehr zu glauben?"

Er seufzte. "Im Augenblick ist das alles, was ich tun kann, um den Glauben an mich wiederzufinden."

Sie hätte vielleicht mehr gesagt, doch die Tür zu ihrem Zimmer öffnete sich im nächsten Moment und Maggie Scully kam herein.

"Mom."

"Dana, du bist wach! Fox, warum haben Sie mich nicht gerufen?" fragte sie vorwurfsvoll, aber ihre Augen lachten Mulder an.

"Ich... wir haben geredet", stammelte Mulder. Er konnte immer noch nicht locker mit der Gesellschaft von Scullys Mutter umgehen. Er wusste noch nicht, ob Scully von ihrem Besuch bei ihm wusste, als er einen Monat zuvor im Krankenhaus lag, oder von den zahlreichen ermunternden Anrufen, die er seither von Maggie bekommen hatte. An manchen Tagen waren sie das einzige gewesen, das ihn aufrecht erhalten hatte. Mulder wusste, dass er ohne ihre Ermutigung oder die der Jungs und vor allem Skinners, heute ohne Zweifel ein Fall für die Psychiatrie wäre.

Maggie lächelte nun breit und nahm auf dem Stuhl neben dem Bett ihrer Tochter Platz, den er für sie freigegeben hatte. "Wie fühlst du dich, mein Schatz?" fragte sie Dana.

"Dumm", antwortete Dana geradeheraus.

"Oh, jetzt..."

"Nein, Mom, du hast von Anfang an Recht gehabt."

"Nein." Sie sprach das Wort abrupt. "Lob mich nicht zu viel, Dana. Wenn ich je geahnt hätte, dass Zachary so etwas tun würde, hätte ich irgendwie einen Weg gefunden, eure Hochzeit zu verhindern. Ich habe es auch nicht kommen sehen."

Scully versuchte Mulder anzusehen und festzustellen, ob er darauf reagierte, doch sie konnte ihn nicht sehen, ohne ihren Kopf zu drehen, was einfach zu weh tat.

"Er war all die Jahre ein Freund deines Bruders gewesen", fuhr Mrs. Scully fort, "all die Jahre war er in unserem Haus willkommen, und dann tut er so etwas meiner Tochter an...."

"Mom, er war betrunken, er war nicht er selbst...."

"Entschuldige dich nicht für ihn, Scully!" befahl Mulder scharf aus der Ecke, in die er sich zurück gezogen hatte. Er trat wieder in ihr Blickfeld, als er merkte, dass sie ihn gar nicht sehen konnte. "Viele Leute betrinken sich hin und wieder. Das ist aber kein Grund, seine Frau derartig zusammenzustauchen." Seine Stimme barg keinerlei Vergebung, und Scully wusste, dass egal wie sehr sie sich bemühte, sie Mulder nie dazu bringen würde, die Sache aus Zacharys Sicht zu sehen. Nicht, dass Zach es nicht verdiente bestraft zu werden - oh und wie er es verdiente! - und sie wollte auch sehen, dass es so geschah. Immerhin hatte sie ihn geheiratet, obwohl sie einen anderen Mann liebte.

"Fox hat Recht, Dana. Es gibt auf der ganzen Welt keine Entschuldigung dafür." Maggies Gesichtszüge verhärteten sich, und Scully erinnerte sich mit einem Schlag an die einzigen Male, an dem sie diesen Ausdruck bei ihrer Mutter gesehen hatte. Als Melissa gestorben war. Als ihr Vater gestorben war. Es wurde ihr klar, wie nahe dran sich Maggie geglaubt hatte, ihre einzige Tochter auch noch zu verlieren.

"Ich weiß", flüsterte Scully und schloss wieder ihr Auge. "Ich weiß, dass du Recht hast. Ihr beide habt Recht. Mulder?" Sie suchte ihn wieder. "Könntest du einen guten Scheidungsanwalt für mich besorgen? Ich möchte die Angelegenheit sofort in die Wege leiten."

Er grinste, ein echtes Mulder-Grinsen. Das erste, das sie seit - Gott, wie lange war es her? Jahre! - sah. "Ich rufe Pamela gleich an und höre nach, wen sie empfiehlt", sagte er und meinte damit seine eigene Anwältin.

Scully war Pamela Mondale noch gut in Erinnerung. Sie war groß, ein wenig schwerer, aber mit einem so fröhlichen Gesicht und Verhalten, dass ihr Hang zu Übergewicht kaum merklich war. Sie hatte die einzigartige Fähigkeit, ihre Klienten sofort zu beruhigen, erinnerte sich Scully. Jeder, der mit Mulders Fall zu tun hatte, wusste, dass Pamela alles zu Mulders Verteidigung geben würde. Scully hatte keine Zweifel, dass sie für Mulder in einem fairen Kampf einen Freispruch bekommen hätte.

"Ich sollte jetzt gehen", sagte er und trat an ihr Bett, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Sie genoss die sanfte Berührung seiner Lippen auf ihrer Haut. Das war auch etwas, dass sie verloren hatten. Niemand hatte es ihnen genommen, sondern sie selbst hatten es geopfert. Vielleicht konnten sie es wieder zurück bekommen.

Er endete den Kuss und wollte sich gerade wieder aufrichten, als sie ihre Hand ausstreckte, seinen Nacken umfasste und ihn wieder zu sich zurück zog.  Sie erwiderte den Kuss auf seine Wange und flüsterte dann in sein Ohr, so leise, dass nur er es hören konnte, "Ich glaube an dich, Mulder."

Er richtete sich auf und wandte seinen Blick ab. Sie wusste, dass er es wegen den wallenden Emotionen tat, die ihn durchfluteten. Sie hatte ihn fast zum Weinen gebracht. Das war gar nicht ihre Absicht gewesen, aber es war ihr wichtig, dass Mulder wusste, dass er sich auf ihren Glauben verlassen konnte, sogar wenn er sich nicht auf seinen verlassen konnte.  Genau wie in alten Zeiten. Mit einem raschen Kuss auf Maggies Wange verließ Mulder den Raum ohne sich umzusehen.

 
 

"Was zum Teufel machen Sie da?"

Der ruppige Satz traf ihn wie ein Ziegelstein, als er aus Scullys Krankenzimmer herauskam. Mulder hob seinen Blick vom Boden und starrte geradewegs in das wütende Gesicht ihres Bruders Bill. Er sah erschöpft und müde aus, und Mulder nahm an, dass er den ganzen Weg von Norfolk bis hierhin durchgefahren war, als er die Meldung über seine Schwester erhalten hatte.

"Keine Sorge, ich gehe wieder", sagte er und wollte an Bill vorbei gehen.  Er wollte sich nicht hier im Krankenhaus mit ihm anlegen, und ganz sicher nicht vor Scullys Tür. Er war genervt, als Bill sich ihm in den Weg stellte. "Verzeihung", sagte er ruhig, sah den anderen unverwandt an und zwang sich nicht einzuknicken.

"Sie sind für all das verantwortlich, wissen Sie das", informierte Bill ihn. "Wieder etwas, dass Sie meiner Familie angetan haben."

Anstatt sich selbst zu verteidigen, beschloss Mulder, Bill sich erst einmal beruhigen zu lassen. Er wollte so oft wie möglich im Krankenhaus sein, während Scully sich erholte, also musste sich ihr Bruder an seine Anwesenheit gewöhnen. Oder zumindest damit leben.

"Der einzige Grund, warum Zach trinkt, sind Sie!" zischte Bill. Er senkte seine Stimme, als er bemerkte, wie eine Schwester ihn anstarrte. "Er hat das Bild gefunden, wo ihr beide drauf seid. Es hat ihn so aufgeregt, dass er sich betrunken hat, und er und Dana haben sich gefetzt—ebenfalls wegen Ihnen— und eins führte zum anderen."

"Eins führte zum anderen?" fragte Mulder verwundert durch Bills Fähigkeit, ihm für alles auf der Welt die Schuld in die Schuhe schieben zu können. Für einen Moment fragte er sich, wie Umweltverschmutzung und Hungersnöte auf der Welt seine Schuld sein könnten. Er hatte keinen Zweifel, dass Bill weitschweifende Erklärungen dafür finden würde es ihm aufzuladen, wenn er nur die Gelegenheit bekommen würde.

"Ja. Und jetzt ist Zachs Leben ruiniert, Danas Leben ist ruiniert, und alles wegen Ihnen."

"Und woher wollen Sie das alles wissen?" verlangte Mulder.

"Weil ich gerade von Zach komme. Er ist wirklich total fertig wegen all dem. Er fühlt sich schrecklich. Ich kann nur hoffen, dass ich Dana überreden kann, nichts Unüberlegtes zu tun, bevor Sie sie zu etwas bringen wollen."

Mulders Geduld war jetzt langsam am Ende. Sein Gesicht verfinsterte sich und er trat einen Schritt näher an Bill, der unbewusst einen Schritt zurück tat und jetzt zwischen der Wand und seinem ärgsten Feind stand.

"Wollen Sie mir sagen", begann Mulder verhängnisvoll, "dass nachdem Sie die halbe Nacht von Norfolk hierher gefahren sind, weil Ihre Schwester im Krankenhaus liegt, Sie zuerst zu dem Mann gegangen sind, wegen dem sie hier ist?"

"Ich wollte zuerst seine Sicht der Dinge. Ich würde jeden Kerl umbringen wollen, der meiner Schwester weh tut. Sie sollten das wissen!  Aber Zach und ich sind schon seit Ewigkeiten Freunde und er ist nicht jemand, der..."

"Und wollen Sie mir auch sagen, dass Sie versuchen werden, sie zu überreden, sich *nicht* von diesem Schwein scheiden zu lassen?" Mulders Stimme blieb gefährlich leise, aber er drückte sich noch ein Stück näher zu Bill, und mit Genugtuung bemerkte er das sichtbare Unbehagen des anderen, je näher er rückte.

"Ich erwarte nicht von Ihnen, unseren Glauben zu verstehen, Mulder, aber wir glauben fest an die Unantastbarkeit der Ehe. Außerdem", beharrte Bill, "und sah auf einen Punkt irgendwo über Mulders Schulter, "ist eine Scheidung keine Lösung. Eheberatung..."

Mulder fuhr fort, als hätte Bill überhaupt nichts gesagt. "Und was Zachs miese Laune betrifft—Ihre Schwester steht gerade große Schmerzen durch wegen diesem Mann. Sie hat überall Blutergüsse, ihr Gesicht ist in einem schlimmen Zustand, sie hat eine angebrochene Rippe und alles wegen ihm. Ich bin so froh zu hören, dass es ihm mies geht. Wollen Sie wissen, wie viele Medikamente Ihre Schwester schlucken muss?"

Auf Bills Gesicht stand der Ekel geschrieben. Er platzierte seine Hände auf Mulders Brust und stieß ihn ein paar Schritte zurück. Er drehte sich weg und warf im Weitergehen über seine Schulter, "Wenigstens weiß ich wo meine Schwester ist, Mulder. Ich habe meine nicht verloren wie Sie."

Mulder hörte ein entsetztes Einatmen an der Tür zu Scullys Zimmer, und beide Männer drehten sich um, um Mrs. Scully dort stehen zu sehen, einen feindseligen Blick auf Bill gerichtet. Er hatte den Anstand rot zu werden und wenigstens schuldbewusst auszusehen. Sie zog sich wieder in das Krankenzimmer zurück und schloss die Tür bestimmt hinter sich. Bill machte Anstalten ihr zu folgen.

Mulder fühlte, wie sein Magen eine Etage tiefer rutschte, aber er hatte nicht vor, diesen Schweinehund einfach so davonkommen zu lassen. Er packte Bill am Arm und schwang ihn herum. "Wenn Sie jetzt da rein gehen und Dana ermutigen bei dem Mann zu bleiben, der ihr das angetan hat, werden Sie womöglich bald selbst die Erfahrung machen wie es ist, eine Schwester zu verlieren", warnte er.

Bill blickte herunter auf Mulders Hand, schüttelte sie dann ab und betrat ohne ein weiteres Wort Scullys Zimmer. Mulder lehnte sich gegen die Wand, kniff die Augen zusammen und ballte die Fäuste, um gegen das Zittern anzukämpfen. Er konzentrierte sich auf seine Atmung. Langsam und gleichmäßig, sagte er sich, langsam und gleichmäßig.

"Das ist das neue Ich", murmelte er sarkastisch. Die mutige Wahrheit, die er Scully gegenüber gezeigt hatte, und jetzt die Konfrontation mit Bill hatten ihn emotional ausgelaugt. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er nur ein Mal eine solche Bestimmtheit an den Tag legen müssen. Das war, als er Skinner gesagt hatte er ziehe aus. Skinner war nicht gerade begeistert davon gewesen, weil er der Meinung war, dass Mulder noch nicht selbständig genug war, aber Mulder wollte es durchziehen. Letztendlich konnte er mit Mulder einen Kompromiss schließen. Er würde ihn nicht vom Ausziehen abhalten, wenn er versprechen würde, sich beraten zu lassen.  Er hatte ihm eine Visitenkarte in die Hand gedrückt—und Mulder hatte viel später erkannt, dass Skinner sowieso vor hatte, ihn damit zu konfrontieren—mit dem Namen der Therapeutin.

"Sie ist gut. Sie hat schon viel mit ehemaligen Häftlingen gearbeitet. Und wie ich so höre, wird sie Sie ernst nehmen", hatte Skinner mit einem Grinsen beigefügt. "Ich würde es begrüßen, wenn sie mir den Gefallen tun würden."

Mulder hatte die Karte gelesen. Er war gleichzeitig verärgert, da er annahm, dass Skinner voreilig urteilte, war aber auch beeindruckt vor der Tiefe des Mitgefühls und Verständnisses, das der Mann mit dem mürrischen Äußeren entfalten konnte. Letztendlich hatte Mulder, um keinen Streit anzufangen und zu vermeiden, dass sich einer seiner wenigen Freunde von ihm distanzierte, im Einverständnis genickt. Mulder hatte sich am nächsten Tag nach einem Haus umgesehen, und Skinner hatte ihn sehr unterstützt, als er ein passendes gefunden hatte. Es war nicht weit von Skinners Wohnung gelegen, was den Assistant Director aufatmen ließ. Er war sich sicher, dass Mulder künftig noch mehr Krisen durchzustehen hatte, größere und kleinere, und er wollte nicht weit weg sein, wenn Mulder Hilfe brauchte.

Ein Haus zu kaufen dauert nicht sehr lange, wenn man bar bezahlte, stellte sich heraus, und innerhalb von zwei Wochen war Mulder eingezogen, wenn nicht sogar eingelebt. Er hatte seitdem aus den Umzugskisten gelebt, und räumte Sachen nur ein, wenn er Lust hatte. Am allermeisten erfreute er sich an seiner Unabhängigkeit. Er mochte Skinner, hatte seine Gesellschaft angenehm empfunden, aber er hasste das Gefühl, eine Last zu sein. Es war schon schlimm genug, ihn hin und wieder für ein aufmunterndes Gespräch anzurufen, und Mulder gratulierte sich dazu clever genug zu sein, sparsam mit den Anrufen umzugehen. Er wusste, dass nach Jahren im Gefängnis, er nicht alles auf einmal alleine schaffen konnte. Skinner hatte ihm zu verstehen gegeben, dass wenn er ihn brauchte, aber nicht anrufen würde, es ihm hinterher sehr leid tun würde. Obwohl er das scherzhaft gesagt hatte, hatte Mulder den verborgenen Ernst darin herausgehört. Wenn er also Hilfe benötigte, würde er ihn anrufen. Mulder wollte es sich mit Skinner nicht vermiesen.

 
 

Dana sah auf, als ihr Bruder ihr Krankenzimmer betrat und lächelte so gut es mit den Verbänden ging.

"Bill", begrüßte sie ihn und streckte ihre Hand nach ihm aus.

"Wie geht es dir, Dana?" fragte er sanft und setzte sich neben ihr Bett.

"Wie es ihr geht? Sieh sie doch an!" brauste ihre Mutter auf und drehte sich von dem Fenster zurück, wo sie gestanden hatte. "Dein Freund hätte sie fast umgebracht!"

"Mom...."

"Komm mir nicht mit 'Mom', Bill. Ich habe schon eine Tochter verloren, und ich habe nicht vor, noch eine zu verlieren." Der Ärger in ihren nicht sehr lauten Worten ließ Bill einen Schauer über den Rücken laufen.

"Melissas Tod war nicht Zachs Schuld", argumentierte er.

Scully rollte das Auge, das nicht verbunden war. "Fang jetzt nicht mit Mulder an, Bill", warnte sie schwach. Die Aktivitäten des ganzen Morgens zehrten langsam an ihren Kräften und ihr war klar, dass sie sich auf keinen Streit einlassen wollte.

Bill grinste und rieb sich den Handrücken. "Ich bin nicht hier, um dir ein Problem zu machen, Dana", sagte er ihr sanft. "Ich bin gekommen, um zu sehen, wie es dir geht."

"Ich werds überleben", sagte sie trocken.

Er nickte. "Ich war bei.... Zach", zögerte er.

Sie starrte ihn an. "Du hast ihn besucht? Heute Morgen?"

"Ja, ich... weißt du, ich wollte ihm nur eine Gelegenheit für eine Erklärung geben, Dana."

Sie rutschte ein wenig auf ihrem Bett und er bemerkte das schmerzverzerrte Gesicht, als ihre Rippen ihr einen Stich versetzten. "Da gibt es nichts zu erklären", sagte sie kalt.

"Dana...."

"Nein, Bill. Er ist durchgedreht und wie Mom sagte, er hätte mich umbringen können." Sie starrte geradewegs auf die Wand, weigerte sich auch nur einen Blick in seine Richtung zu werfen und ihr Gesicht sah fest entschlossen aus.

"Hat er jemals schon so etwas gemacht?" bohrte er. Als sie nicht antwortete, fuhr er fort, "Dana, du weißt, dass er dich liebt. Er hat halt... sein Temperament ist eben mit ihm durchgegangen. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung", fügte er rasch hinzu und hob die Hand, um ihre wütenden Argumente, die er kommen sah, zurückzuweisen. "Es tut ihm Leid.  Verdammt, Dana, der Typ ist am Boden zerstört. Er ekelt sich so sehr vor sich selbst, und er hat eine Scheißangst.... dich zu verlieren."

"Er wird mich verlieren", sagte sie bestimmt mit stählernem Blick. "Er hat mich bereits verloren. Es ist alles nur eine Frage von Formalitäten."

Er schüttelte den Kopf, schon bevor sie geendet hatte. "Tu das nicht, Dana. Triff keine überstürzten Entscheidungen..."

Jetzt hatte Maggie Scully genug. "Wie kannst du so etwas nur sagen?" verlangte sie von ihrem Sohn. "Wie kannst du deine Schwester ansehen, wie sie in einem Krankenhausbett liegt und ihr sagen, dass der Mann, der ihr das angetan hat, sie liebt?" Sie umfasste die Umrandung des Bettes so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. "Er hat sie nie geliebt, nicht wirklich. Er hat bloß an das Geld gedacht, dass sie vielleicht erben würde."

Bill schaffte es, geschockt auszusehen. "Mom, das ist nicht wahr!" protestierte er.

"Doch, das ist es, und du weißt es", bestand Maggie darauf. "Bill, du bist nicht so blind."

"Trotzdem, eine Scheidung ist keine Lösung", sagte er stur nach einem Augenblick schockierender Stille. "Sie sollte mit Father McCue reden..."

"Wirst du jetzt endlich aufhören?!" fuhr Scully ihn an, sammelte all ihre Kraft in ihrer Stimme. "Das ist ganz allein meine Entscheidung, und *niemand* hat da etwas zu sagen außer mir."

Bill drehte sich zu ihr und sah sie finster an. "Und was ist mit Mulder?" fragte er wütend. "Du hörst auf ihn und ignorierst deine eigene Familie!"

Sie starrte ihn nieder, bis er seinen Blick senkte und die Decke ansah, unter der sie lag.

"Bill, ich weiß, du meinst es nur gut", sagte sie bestimmt. "Ihr beide meint es nur gut, aber ich bin bei weitem alt genug, als dass mir jemand sagen müsste, was ich tun soll. Ich werde nicht weiter mit einem Mann verheiratet sein, der versucht hat mich umzubringen, und ich glaube nicht, dass Gott will, dass ich das tue."

"Was ist mit Emmie?" fragte ihre Mutter gespannt. "Wenn Zach im Gefängnis ist, wer kümmert sich dann um sie?"

"Sie kann womöglich bei Zachs Eltern wohnen, bis ich aus dem Krankenhaus entlassen werde", gab Dana zurück. "Dann kann sie bei mir bleiben. Es sei denn, das Gericht verbietet es aus irgendeinem Grund."

"Wenn die Scheidung endgültig ist, ist nicht garantiert, dass du das Sorgerecht bekommst", erinnerte Bill sie. "Wenn du dich von Zach trennst..."

"Ich verklage ihn, Bill, das ist endgültig. Versuch nicht, mich davon abzubringen."

"Ich meine nur, dass du an das Kind denken solltest."

Er nahm ihre Hand, was sie zuließ. Sie erwiderte seinen Händedruck nicht, zog ihre Hand aber auch nicht weg. "Was glaubst du soll ich tun, Bill?" fragte sie letztendlich. "Sag's mir genau."

"Ich glaube, du solltest ihm vergeben", erwiderte Bill prompt. "Ich denke, du solltest zur Eheberatung gehen... nein, Dana, hör mir zu", überrumpelte er sie, als sie versuchte, ihn zu unterbrachen. "Ihr zwei könnt es schaffen, das weiß ich. Du hast selbst gesagt, dass er nie zuvor die Hand gegen dich erhoben hat, was lässt dich annehmen, dass er es wieder tun wird?"

"Warum sollte ich ihm noch eine Gelegenheit dazu geben?" fragte sie. "Was wird er mir das nächste Mal antun, wenn er sich betrinkt und wütend wird?"

"Er wird sich nicht wieder betrinken. Er hat mir versprochen, dass er zu den Anonymen Alkoholikern geht. Und was das wütend werden betrifft.... wenn du all die Bilder mit Mulder wegschmeißt, und diesen Kerl für immer aus deinem Leben streichst, wird er keinen Grund mehr haben, wegen irgendetwas sauer zu sein."

"Er hat ein Bild gefunden", sagte sie mit ruhiger, stechender Stimme. "Er hat in meinen persönlichen Sachen herumgeschnüffelt und hat ein Bild von mir und einem Mann gefunden, mit dem ich viele Jahre lang eng zusammen gearbeitet habe. Wenn das alles ist, um ihn auf 180 zu bringen...."

"Schluss jetzt!" unterbrach Mrs. Scully. "Bill, du regst sie nur zunehmend auf. Dana ist alt genug, um selbst zu entscheiden."

Bill stand abrupt auf und beugte sich dann herunter, um seiner Schwester einen Kuss auf die Wange zu geben. "Ich hoffe du weißt, dass ich dich liebe, Dana", sagte er ihr leise. "Ich würde dich nie zu etwas drängen, von dem ich denke, dass es schlecht für dich wäre."

Sie seufzte. "Das weiß ich, Bill, aber ich glaube nicht, dass du meine Situation vollkommen verstehst."

Er schüttelte den Kopf, verließ das Zimmer und Scully fühlte sich plötzlich zurückversetzt an einen anderen Tag, in eine andere Zeit, als sie in einem Krankenhausbett gelegen und fast dasselbe Gespräch mit Bill geführt hatte.  Er war auch damals nicht offen für ihre Beweggründe gewesen, hatte sich schon mit dem Tod seiner Schwester abgefunden. Er hatte sich dem Vorschlag Mulders, Scully mit seiner Idee heilen zu wollen, widersetzt, weil es etwas war, das weder ihm noch dem Arzt je zuvor untergekommen war. Ihr Bruder und Mulder waren verschieden wie Tag und Nacht—einer war immer bereit alles zu glauben, und einer war immer sicher, alle Antworten schon zu haben.

Sie sah herüber zu ihrer Mutter. "Mom, was denkst du, was ich tun soll?" fragte sie und fragte sich, welche Antwort die treu religiöse Maggie Scully wohl geben würde.

Mrs. Scully zog ihren Stuhl näher heran und nahm die Hand ihrer Tochter fest in ihre. "Ich denke, du solltest die Entscheidung treffen, die richtig für dich ist", sagte sie lediglich. "Dein Bruder wird es wohl nicht unterstützen, aber Dana, niemand muss damit leben können außer dir.  Vertraue Gott, mein Schatz. Er versteht viel mehr, als wir ihm zutrauen, dessen bin ich mir sicher."

Dana lächelte durch ihre Tränen, die plötzlich ihre Augen überfluteten, und ihre Mutter trocknete sie sanft. "Ganz egal, wie du dich entscheidest, ich werde immer für dich da sein, meine Kleine", sagte sie.

Scully klammerte sich blind an die Hand ihrer Mutter. "Ich weiß, Mom. Ich habe es immer gewusst. Selbst als wir unsere Meinungsverschiedenheiten hatten."

Das Klopfen an der Tür riss die beiden aus ihrem innigen Moment. Maggie lächelte, als sie Mulders Kopf hinter der Tür auftauchen sah.

"Wenn ich ungelegen komme...." begann er zögernd, aber sie winkte ihn hinein.

"Kommen Sie herein, Fox. Ich muss sowieso etwas Luft schnappen gehen, und es geht mir besser, wenn Sie hier bei ihr sind."

"Sicher, Mrs. Scully. Mit Vergnügen", freute er sich und setzte sich auf den Stuhl, den sie frei gab. Er sah ihr nach, als sie das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss.

"Und? Hast du dir mit Bill draußen im Gang den Kampf deines Lebens geliefert?" fragte Scully mit einem Anflug eines vielsagenden Lächelns.

Er lachte kurz. "Nicht ganz, aber wir waren nahe dran." Er beugte sich etwas nach vorne. "Ich habe gerade Pamela angerufen. Sie schickt einen ihrer Anwaltskollegen heute Nachmittag her, um mit dir zu reden. Scully, du solltest eine einstweilige Verfügung in Betracht ziehen."

Sie runzelte die Stirn. "Warum das, Mulder? Ich werde Zach verklagen, er geht ins Gefängnis."

"Bill ist gerade auf dem Weg, um die Kaution zu stellen."

"Was?! Hat er dir das gesagt?"

Mulder schüttelte den Kopf. "Nein, aber dessen bin ich mir sicher. Und ich glaube, dass du die erste bist, mir der Zach reden will, sobald er frei ist."

Nachdenklich schürzte sie die Lippen und sah ihn an. "Was glaubst du wird passieren, Mulder? Du hast offensichtlich darüber nachgedacht."

Er setzte sich auf dem Stuhl zurück und kreuzte die Beine. "Ich glaube, dass er herkommen und versuchen wird dich zu überzeugen wie leid es ihm tut. Ich glaube, er wird dir alles versprechen, das du hören willst, damit Du Dich nicht scheiden lässt."

"Warum?" fragte sie. "Er liebt mich nicht, nicht wirklich. Warum würde er so fest entschlossen sein wollen, mit mir verheiratet zu bleiben?"

Er lächelte. "Ganz einfach. Weil du immer noch als meine Erbin eingetragen bist. Ich habe den Eindruck, dass Bill ihm davon erzählt hat."

Sie sah ihn mit offenem Mund an. "Immer noch?"

Er zuckte die Schultern. "Es gibt niemand anderen, dem ich das verdammte Geld überlassen würde, Scully." Er grinste. "Nach all dem, was du mit mir durchgestanden hast, und nach allem, was du für mich riskiert hast, verdienst du es."

"Mulder, du musst das ändern", drängte sie ihn. "Ändere es und lass es die Leute auch wissen, dass du es geändert hast. Sonst wirst du immer in Gefahr sein."

"Nicht, wenn er im Gefängnis ist. Du sorgst dafür, dass er da landet, und bis dahin werde ich aufpassen."

Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. "Nein", sagte sie langsam, "ich denke, dass das tiefer gehen kann, als wir denken."

Er merkte, wie sich sein Magen wieder zusammenzog. "Was meinst du damit?" fragte er und versuchte seinen Tonfall neutral zu halten.

"Ich erinnere mich da an etwas, das Emmie mal gesagt hat..." Scullys Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie angestrengt nachdachte, was ihre Stieftochter mal ausgeplaudert hatte. "Eine Zeit lang hat sie einen Lieblingssatz gehabt. Ich weiß es noch, weil es mich sehr geärgert hat.  'Sein Arsch ist so gut wie tot'."

Mulder lachte. Er war überrascht, dass ihn etwas in einer Situation wie dieser amüsieren konnte.

Scully sah ihn gespielt verärgert an. "Du hast gut lachen, Mulder. Du bist noch nie mitten im Supermarkt von einer Vierjährigen blamiert worden!"

"Okay", grinste er, "aber was hat das mit Zach zu tun? Oder mit mir?"

"Emmie hat mir gesagt, woher sie diesen Ausdruck hat, und ich versuche mich gerade zu erinnern..." Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und merkte, wie die Erinnerung langsam ihren Weg in ihr etwas benebeltes Gedächtnis bahnte.

"Zach hat ihm Geld gegeben", sagte sie schließlich. "Emmie sagte, dass ihr Dad dem Polizisten einen Dollar gegeben hätte..."

"Ein Dollar?"

"Sie ist doch ein kleines Mädchen, Mulder. Sie hat einen Dollar erkannt, aber es hätte genauso gut irgendeine andere Banknote sein können."

"Aber warum einem Polizisten? Ich verstehe immer noch nicht ganz..."

"Vielleicht war's nicht wirklich ein Polizist", sagte Scully. "Vielleicht war es ein Wärter."

Mulder erstarrte und riss die Augen auf. "Du meinst den, der mich geschlagen hat?" fragte er schließlich und bemühte sich mit aller Willenskraft, das Zittern aus seiner Stimme herauszuhalten. Es würde nichts bringen Scully wissen zu lassen, wie sehr ihn die Möglichkeit erschreckte, Zach könnte hinter dem versuchten Mord an ihm stehen.

"Das war genau zu der Zeit, als du so schlimm zusammengeschlagen worden bist, als Emmie diesen Ausdruck die ganze Zeit gebrauchte", bestätigte sie, nahm wieder seine Hand und drückte sie beruhigend.

"Scheiße, Scully!" hauchte er und spürte, wie die Angst wieder in ihm hochstieg. "Glaubst du, das stimmt?"

Sie nickte düster. "Genau das befürchte ich. Er hatte immer schon ein übermäßiges Interesse an deinem Geld, Mulder."

"Und was sollten wir jetzt machen?" fragte er und fuhr sich mit einer hilflosen Geste mit der Hand durch seine kurzen Haare, die mittlerweile schon etwas nachgewachsen waren. Ärgerlich dachte er daran, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der ihm problemlos etwas dazu eingefallen wäre, doch er war nicht mehr der Mann aus dieser Zeit. Der Fox Mulder, der mit links komplexe Gleichungen wie diese lösen konnte, war an dem Tag gestorben, als er für schuldig verurteilt worden war. Der heutige Mulder konnte manchmal kaum den Tag überstehen, geschweige denn einen Mörder überführen.

"Wir sollten zur Polizei gehen..."

"Nein!" unterbrach er sie scharf. "Keine Polizei. Mit denen bin ich für den Rest meines Lebens fertig."

"Mulder..."

"Scully, ich vertraue denen nicht. Wir wissen doch schon, dass die bestechlich sind", fügte er bitter hinzu. "Ich will nichts mit Staatsgewalt zu tun haben. Außerdem, wir können ihm doch überhaupt nichts nachweisen, oder?"

Bedauernd schüttelte sie den Kopf. "Ich denke nicht."

"Also, was sind unsere anderen Möglichkeiten?" Er war aufgestanden und ging jetzt im Zimmer hin und her, hüpfte regelrecht herum in seinem Aufruhr. "Wie kann ich mich selbst vor ihm schützen?"

"Wie ich schon sagte, ändere dein Testament und zwar jetzt, Mulder, heute, so bald du kannst."

Er blieb stehen und dreht sich nach ihr um. "Glaubst du, dass ihn das abschrecken wird?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Zach dich umbringen lassen will, wenn er nichts zu gewinnen hätte."

Er sah sie unsicher an, und tausend Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum. "Vielleicht", stimmte er endlich zu. "Vielleicht."

 
 

Ende TEIL Drei

 
 
 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 4/9

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>

 
 

Mulder öffnete die Tür seines neuen Hauses und trat rücksichtsvoll zurück, um Scully vorzulassen. Es ging ihr besser, aber sie bewegte sich immer noch etwas langsam. Im Stillen dankte er den Sternen, dass er sie hatte überreden können, so lange bei ihm unterzukommen, bis sie sich von ihren Verletzungen erholt hatte. Die offensichtliche Lösung wäre gewesen, bei ihrer Mutter zu bleiben, aber Scully wollte nicht aufdringlich sein. Er vermutete, sie wolle mögliche Familiendiskussionen über ihre bevorstehende Scheidung vermeiden. Obwohl Mrs. Scully ihrer Tochter gesagt hat, sie solle ihre eigene Entscheidung treffen, war sich Mulder im Grunde sicher, dass sie es nur schwer mit ihrem tief religiösen Glauben in Einklang bringen konnte, und die Situation zehrte langsam an Scully. Er wusste, dass sie nicht woanders hin gehen konnte, also bot er ihr sein Gästezimmer an. Sie hatte mit sichtbarer Erleichterung eingewilligt.

Er ließ das Thema Zachary bis auf weiteres bleiben, denn wenn Scully sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde sie es auch durchziehen.  Endlich waren die Scheidungspapiere ausgefüllt und erledigt. Jetzt warteten sie bloß noch auf das Gerichtsurteil, das wie üblich auf sich warten ließ.  Laut Rick Lee, Scullys Anwalt, würde ihr Fall frühestens in zwei Monaten dem Richter vorgeführt werden. In der Zwischenzeit befolgte Scully Mulders Rat und hatte eine Einstweilige Verfügung gegen ihren zukünftigen Ex-Ehemann veranlasst. Allerdings nicht bevor Zachary sie noch einmal besuchen konnte, und Mulders Fäuste ballten sich immer noch, wenn er daran dachte, wie Zach neben ihr im Bett liegt.

Er war am späten Nachmittag im Krankenhaus aufgetaucht, nachdem Bill die Kaution gezahlt hatte, und hatte hilflos dreinblickend Blumen gebracht.  Mulder hatte vom anderen Ende des Flurs, wo der Kaffeeautomat stand, gesehen, wie er in Scullys Zimmer ging, und hatte sich augenblicklich vor ihrer Tür platziert, falls sie ihn brauchen würde. Keine zehn Minuten später war Zach aus dem Zimmer gestürmt, und Mulder fürchterlich wütend angesehen, als er ihn bemerkte, und hatte das Krankenhaus ohne ein weiteres Wort verlassen. Als Mulder vorsichtig in Scullys Zimmer geschlichen war, unsicher, wie er sie vorfinden würde, war er erfreut gewesen, ein triumphierendes Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen.

"Er hat versucht, mir mit Emmie zu drohen", berichtete sie. "Er sagte, ich würde sie nie wiedersehen."

"Und was hast du darauf gesagt?" fragte Mulder neugierig.

"Ich sagte, dass wenn er Emmie nicht von Fremden großziehen lassen will, sei ich seine einzige Option, wenn er erst mal im Gefängnis ist. Seine Eltern sind beide nicht gesund, sie können sich nicht um sie kümmern."

"Ich nehme an, ihm hat diese Antwort nicht so gut gefallen?" meinte Mulder trocken.

"Er war fuchsteufelswild", antwortete sie mit Zufriedenheit in ihrer Stimme. "Tu mir einen Gefallen, Mulder, wirf die hier weg, okay?" bat sie ihn und zeigte auf den Blumenstrauß, den Zach auf ihrem Nachttisch gelassen hatte.

Mulder hatte ihr mit Freunden diesen Gefallen getan.

Jetzt sah sich Scully mit einer Mischung von Verzweiflung und wohl bekannter Rührung im Wohnzimmer seines neuen Hauses um. "Noch nicht ganz fertig mit dem Einzug?" fragte sie mit einer erhobenen Augenbraue. Der Verband um ihren Kopf war ab, und die Prellungen und Schwellungen verschwanden langsam aber sicher. Die Sehkraft ihres linken Auges war wiederhergestellt, worüber sie beide dankbar waren, doch es tat ihr immer noch überall weh, und die angebrochene Rippe würde ebenfalls noch lange zum Heilen brauchen.

Rasch legte Mulder einen Stapel alter Magazine von der Couch beiseite, damit sie sich setzen konnte. Scully ließ sich gerne von ihm helfen, als er ihr seine Hand anbot, und sank erleichtert auf das Sofa. Gedankenverloren rieb sie über den Arm der Couch für einen Moment und sah dann mit einem wissenden Lächeln zu ihm auf.

"Die bringt Erinnerungen wieder hoch", sagte sie leise.

Er nickte, eine Sekunde unfähig zu sprechen. Er hatte sich dadurch auch an die alten Zeiten erinnert. Er hatte sogar in Erwägung gezogen, darauf zu schlafen, wie er es früher immer getan hatte, aber nachdem er so lange bei Skinner gewohnt hatte, hatte er den Luxus, sich in einem bequemen Bett ausstrecken zu können, zu schätzen gelernt. Eine seiner ersten Anschaffungen, nachdem er den Kaufvertrag für das Haus unterschrieben hatte, war ein extra großes Bett gewesen. Mulder hatte beschlossen, nie wieder auf etwas zu schlafen, das ihn an eine Gefängnispritsche erinnerte.  Er liebte seine Couch immer noch, doch sie war nicht länger sein Bett. Er war noch nicht dazu gekommen, das andere Schlafzimmer einzurichten, also hatte er tags zuvor, als Scully einwilligte Hausgast bei ihm zu sein, einen hastigen Sprint zum nächsten Möbelgeschäft hingelegt und das Nötigste für das Zimmer gekauft, das ihres werden würde. Er konnte es sogar einrichten, dass die Sachen schon an diesem Morgen geliefert wurden, indem er einen saftigen Zuschlag zu den üblichen Kosten hinblätterte. Aber es war es wert, alles für sie bereit zu haben. Und als er nun die Zufriedenheit in ihrem Gesicht sah, war er froh, den Aufstand gemacht zu haben.

"Ich bringe deine Sachen in dein Zimmer", sagte er und begab sich mit ihrem Koffer in den Flur. Sie folgte ihm langsam und besah sich das Design des Hauses. Es war größer als sie angenommen hatte. Er schien mit seinem kleinen Apartment immer zufrieden zu sein.

Mulder betrat das Gästezimmer, nur zwei Türen von seinem eigenen Schlafzimmer entfernt, und legte den Koffer auf das Bett. Er drehte sich um und fand Scully direkt hinter ihm vor, die amüsiert drein blickte.

"Was?" fragte er.

Sie lachte kurz auf. "Ich weiß nicht, Mulder. Irgendwie habe ich mir dich nie in einem Haus vorgestellt, ganz bestimmt nicht in so einem großen. Wann immer ich an dich gedacht habe, war das immer in deinem alten Apartment. Du schienst einfach dahin zu gehören."

Als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sah, öffnete Scully den Mund, um sich zu entschuldigen, aber er schüttelte den Kopf. "Ist schon in Ordnung, Scully."

"Ich wollte nicht...."

"Ich weiß." Er seufzte. "Ich habe mich auch immer darin gesehen. Ich habe immer gedacht, dass wenn ich aus dem Knast kommen sollte, ich meinen Weg dahin zurück finden würde. Ich hatte sogar Gelegenheit dazu, aber ich habe sie nicht wahr genommen."

"Erinnerungen?" fragte sie sanft und legte ihre Hand auf seinen Arm.

Er nickte. "So viele Erinnerungen, Scully". Er flüsterte fast. Seine Augen trafen ihre und plötzlich wusste er, wussten sie beide, dass der Kuss vor so langer Zeit jetzt beendet würde.

Seine Hände umfassten zärtlich ihr Gesicht, vorsichtig wegen der Verletzungen, und er fühlte, wie sie seine Hüfte umfasste, ihn näher an sich zog. Langsam, viel langsamer als zuvor, langsamer als er sich je vorstellen konnte, kamen ihre Lippen näher und näher, bis er ihre zarte Berührung an seinen spürte. Er wollte den Kuss kurz und sanft belassen, um ihre Verletzungen nicht zu strapazieren, doch Scully wollte mehr. Sie knetete seinen Rücken mit ihren Händen, während sie ihren Mund drängender gegen seinen presste, und bevor er sich versah, glitt ihre Zunge zwischen seine Zähne, sanft forschend.

Mulder schmolz in ihr, ließ sie die Führung übernehmen. Er wollte kein schlechtes Gewissen bekommen, weil er sie in etwas drängt, wozu sie nicht bereit war. Er öffnete seine Lippen, und sie schmeckte ihn, alles von ihm. Er rieb seine Zunge mit einer Begierde gegen ihre, die schnell aus den Fugen zu geraten drohte. Er spürte, wie ihm schwindelig wurde, wie seine Erregung zunahm, und dann, bevor er völlig seine fünf Sinne verlor, entzog er sich ihrem Kuss. Sein Atem ging heftig.

"Scully, wir können nicht.... du bist noch nicht soweit", stotterte er und merkte, wie seine Knie nachgaben, als er sich auf den Bettrand setzte.

Scully schloss die Augen und atmete tief durch. "Du hast Recht, Mulder", stimmte sie zu, als sie sich selbst wieder gefasst hatte. "So gern ich dich jetzt auch auf dieses Bett werfen und mit dir schlafen möchte, ich kann nicht." Sie setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. "So abstoßend er auch sein mag, Zach ist immer noch mein Ehemann, und ich kann einfach nicht.... mit dir.... nicht wenn ich noch mit ihm verheiratet bin."

"Scully, ich erwarte nicht von dir...." begann er, doch sie bedeutete ihm still zu sein.

"Ich weiß, dass du das nicht tust, Mulder. Das würdest du nie." Sie blickte in seine Augen, klar und ehrlich. "Die Wahrheit ist, ich möchte eine Beziehung mit dir. Das heißt, wenn du mich noch willst."

"Ich glaube, das ist ziemlich offensichtlich", grinste er.

Sie erwiderte das Lächeln. "Wenn meine Scheidung durch ist, Mulder, dann.... können wir darüber reden. Aber bis dahin sind wir einfach nur Freunde, egal, was wir empfinden. Weil, noch ein Kuss wie dieser, und ich schwöre, ich vergesse alle meine Prinzipien."

Er stand auf und rieb sich die schwitzenden Handflächen an seiner Jeans trocken. "Ich lass dich besser für eine Weile alleine", sagte er abrupt, um das Thema zu wechseln. "Du solltest dich etwas ausruhen. Brauchst du Hilfe beim Auspacken?"

Sie schüttelte den Kopf und machte es sich auf dem Bett bequemer. "Ein Nickerchen hört sich jedoch gut an", gab sie gähnend zu. "Ich glaube, ich habe noch Restbestände von Schmerzmitteln in meinem Körper."

Er half ihr unter die Decke zu schlüpfen, machte das Licht aus und schloss die Tür, als er das Zimmer verließ. Draußen lehnte sich Mulder gegen die Wand. Mit einem Mal fühlte er sich ausgelaugt. Er war nicht sicher, ob er es ertragen würde, mit ihr unter einem Dach zu wohnen und sie nicht so berühren zu dürfen, wie er es gerne würde. Er wusste, dass er sich zusammenreißen musste. Wenigstens war sie da.

 
 

Tage gingen über in Wochen, und irgendwie schafften sie es, ihre Leidenschaft füreinander im Zaum zu halten und zu jeder Zeit eine rein platonische Beziehung zu führen. Er sorgte dafür, dass sie auf sich aufpasste, während sie sich weiter erholte, und sie stand ihm bei, wenn es ihm seelisch nicht gut ging. Sie half ihm besonders nach einer schlimmen Therapiesitzung. Er hatte in den letzten paar Monaten ein Mal pro Woche eine Sitzung mit der Therapeutin, die Skinner ihm empfohlen hatte.  Skinner und Scully ermutigten ihn beide, den Anweisungen der Therapeutin zu folgen, und zweimal pro Woche hinzugehen, aber er hatte sich standhaft geweigert. Montags war genug, hatte er resolut geäußert. Und es ging ihm soweit gut.

Eigentlich ging es Mulder sogar mehr als gut, wenn man die Umstände betrachtete, mit denen er fertig werden musste. Seine Panikattacken waren weniger geworden und er überstand die meisten Tage relativ ohne Zwischenfälle. Er konnte zunehmend besser mit den Erinnerungen leben, die ihn unentwegt plagten, was nicht zuletzt daran lag, dass Scully nun Teil seines Lebens war. Der alte Schmerz, der ihm so vertraut geworden war, begann langsam zu schwinden. Er merkte, dass er vergessen hatte, wie sich Hoffnung anfühlte.  Es war schön, sich daran zu erinnern.

Das Leben war ein wenig wie der Traum geworden, den er immer von ihnen beiden zusammen geträumt hatte—Haushalt, Einkaufen, gemütliches Zusammensitzen abends im Haus—alles außer Sex, und Mulder hoffte inständig, dass sobald die Scheidung durch war, sie endlich eine intime Beziehung miteinander eingehen konnten. Er wollte sie fragen, ihn zu heiraten, aber er fürchtete, mit der Tür ins Haus zu fallen.  Vielleicht würde sie nicht dazu bereit sein, sich so kurz nachdem sie ihren Mann losgeworden war, wieder zu binden, schalt er sein gieriges Ego. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf mied er das Thema umsichtig, und erlaubte sich nur in seinen tiefsten Fantasien diesen Traum auszumalen.

 
 

"Was ist los?" fragte Mulder, als er ihr Gesicht sah. Er war gerade vom Laufen zurückgekommen und wollte in die Dusche zu steigen, aber Scullys Anblick, wie sie ruhig und irgendwie verlassen auf der Couch saß, ließen ihn innehalten.

Sie sah bei seinen Worten auf, ihr Gesicht hielt eine Emotion, die er nicht ganz lesen konnte. Spuren getrockneter Tränen waren auf ihren Wangen auszumachen und Mulder wurde von dem plötzlichen Gedanken ergriffen, dass es etwas mit Zach zu tun hatte. Er ließ sich auf das Sofa neben sie nieder und zog sie in eine tröstende Umarmung, die sie dankbar erwiderte.

"Ich habe etwas gemacht", gestand sie. "Ich habe etwas zugestimmt, und Mulder.... ich habe Angst, dass du furchtbar enttäuscht von mir sein wirst." Ihr Schultern zuckten mit dem Schluchzen, das sie zurückhielt.

Mulder hob ihr Gesicht an und strich eine Haarsträhne fort, die auf ihre Augen gefallen war. Sie blickte zärtlich und er wartete.

"Ich habe zugestimmt.... die Anklage gegen Zach fallen zu lassen", sagte sie ein einem Atemzug, und schloss die Augen, als sie auf seinen Ausbruch wartete.

Doch der kam nicht. Als sie sie wieder öffnete, fand sie Mulder in großer Verwirrtheit vor, keine Spur von Wut in seinen Zügen.

"Warum?" fragte er leise, lehnte sie beide zurück an die Couchlehne und zog sie sogar näher zu sich. "Du musst einen guten Grund gehabt haben."

Sie nickte, ihr Gesicht an seiner Brust, und genoss seine Wärme und das Klopfen seines Herzens. Es war so viele Jahre her, seit er sie so gehalten hatte, und noch nie zuvor war ihre Liebe zueinander so greifbar gewesen.

"Ich habe Besuch bekommen von seinen Eltern", erzählte sie und er machte einen grunzenden Laut in seiner Brust. "Es ist okay, es sind sehr nette Leute", informierte sie ihn und sah kurz auf in seine Augen, bevor sie sich wieder an ihn lehnte. "Sie wollten nur mit mir reden."

"Sie wollten dich bitten, ihren Sohn nicht ins Gefängnis zu schicken", korrigierte Mulder mit zurückgehaltenem Ärger in der Stimme.

"Ja und nein", bekräftigte sie. "Sie waren sehr wütend auf Zach wegen dem, was er getan hat, aber gleichzeitig waren sie besorgt um Emmie. Sie können sie nicht großziehen, Mulder, sie sind beide nicht ganz gesund, und sie sind zu alt. Und Emmie hat keine anderen lebenden Verwandten."

"Aber du hast doch gesagt, dass du das Sorgerecht für sie bekommen willst", warf er ein.

Scully seufzte. "Ich will ihr Leben nicht so zertrümmern", sagte sie, "und Emmie liebt ihren Vater. Zach ist sehr gut zu ihr."

"Was haben sie dir versprochen?" fragte er prompt und merkte, wie sie sich in seinen Armen anspannte. Mulder weigerte sich nachzugeben. "Haben sie gesagt, dass du sie sehen könntest, wenn du die Klage fallen lässt?"

Für einen Moment war sie still, und er wusste, dass sie ihre Worte sorgsam auswählte. "Zach hatte dem zugestimmt. Sie dürfte eine Woche im Monat zu mir. Seine Eltern würden sie zu mir bringen und wieder abholen. Es würde die Einstweilige Verfügung nicht verletzen. Zach würde mir nicht zu nahe kommen."

"Und wenn du nicht zustimmst?"

Sie hob ihren Blick und sah ihn an. "Sie haben mir nicht gedroht, Mulder, wenn es das ist, was du befürchtest. Sie sagten, es sei Zachs Idee, und ich glaubte ihnen. Emmie vermisst mich offensichtlich und sie möchte mich sehen."

"Du lässt die Anklage also fallen, und dann was? Wirst du Emmie noch sehen dürfen, wenn die Scheidung durch ist?"

"Ja. Das habe ich sicher gestellt. Hör zu, Mulder, ich weiß, dass das schwer zu glauben ist für dich, aber Zach und seine Eltern sind besorgt um Emmie. Sie wollen, dass sie glücklich ist, und es ist schon schwer genug, eine Mutter zu verlieren, geschweige denn eine zweite. Sie weint und bittet, mich zu besuchen, und Zach hat sich diese Lösung ausgedacht, um sie glücklich zu machen. Andererseits ist er nicht dumm, und er will nicht vor Gericht", fügte sie zerknirscht hinzu. "Die Gelegenheit, sich auf diese Art zu einigen, war offenbar zu verlockend, um sie nicht wahr zu nehmen."

Mulder nickte und erinnerte sich mit einem Anflug von Elend an seine eigene Gerichtsverhandlung. Die Sekunden, bevor das Urteil verlesen wurde, waren mit Abstand die schrecklichsten in seinem Leben. Wie er sich an die unsichtbare Hoffnung geklammert hat, irgendwann frei zu kommen, wie sich sein Magen umgedreht hatte, als das Gericht ihn für schuldig befunden hatte. Für eine Sekunde fühlte er fast Mitleid für Zach, bis ihm Scullys Anblick wieder einfiel, wie sie unter Schmerzen litt und über und über in Verbände eingewickelt war. Er schluckte.

"Ich nehme an, du hast dem bereits zugestimmt?"

Sie entzog sich ihm vorsichtig und setzte sich so, dass sie ihm auf der Couch gegenüber saß. Augenhöhe.

"Ja, das habe ich", bestätigte sie. "Ich möchte sie auch sehen. Sie sagten, sie würden sie Sonntag her bringen, wenn ich ja sagen würde. Mulder, es ist immer noch dein Haus und ich habe mich vollständig erholt. Wenn du nichts mir ihr zu tun haben willst...."

"Nein, nein, Scully", versicherte er ihr hastig. Der Gedanke daran, dass sie ausziehen könnte, versetzte ihn in Schrecken. Er konnte sie nicht noch einmal verlieren. "Ich würde Emmie sehr gerne hier haben. Geht sie dann noch in den Kindergarten oder wird sie hier zu Hause mit mir bleiben?"

Scully musste lachen, glücklich und erleichtert zugleich. "Das würde ich dir nicht antun, Mulder", versprach sie. "Sie wird wie gewöhnlich in den Kindergarten gehen. Sie ist übrigens gerne dort, sie hat eine Menge Freunde. Sie hätte hier nichts zu tun, außer dich zum Wahnsinn zu treiben."

"Dann werde ich sie hinbringen", versprach er und zog sie wieder in seine Arme. Er wollte das Gefühl, sie an seinen Körper zu spüren, noch nicht aufgeben. Es war alles, was er von ihr haben konnte. "Zum Kindergarten, nicht zum Wahnsinn", klärte er und sie lachte abermals.

Scully drückte ihn kurz in Dankbarkeit und entspannte sich dann wieder neben ihm. So saßen sie noch eine ganze Weile und genossen einfach ihrer gegenseitige Nähe. Bald, schwor sie sich, bald würden sie mehr haben.

 
 

Mulder faulenzte neben dem Pool und sog nach einem vitalen Bad den warmen Sonnenschein in sich auf. Er hatte seine Augen geschlossen, als er seine Gedanken gemächlich von einem Thema zum nächsten wandern ließ und die Hitze des beginnenden Sommers auf seiner Haut genoss. Es war ewig her, seit er das tun konnte, und sie genossen beide an dem ersten wirklich warmen Tag seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Ohne Vorwarnung kreuzte auf einmal ein Schatten über ihn, und ein Schauer lief ihm wegen der plötzlichen Kühle über den Rücken. Gemächlich öffnete er die Augen und blinzelte in Scullys lächelndes Gesicht. "Wenn du hier draußen einschläfst, werde ich dich wohl mit Sonnencreme einschmieren müssen, damit du dir keinen Sonnenbrand holst", sagte sie mit einem frechen Grinsen, als ihr Blick über seinen nur mit einer Badeshorts bekleideten Körper glitt.

"Oh, Scully, immer diese leeren Versprechungen!" erwiderte er frech und griff nach seinem Handtuch, das er sich um seine Schultern legte und sich zum Sitzen aufrichtete.

"Wie war dein Tag?" Er kam sich ein wenig seltsam vor, weil Scully immer noch einen normalen Job hatte, während er seit seiner Entlassung kaum etwas getan hatte. Aber es war einfach zu schön, sein eigener Herr zu sein. Das erste Mal seit Jahren sagte niemand ihm wo was zu tun sei oder wohin er gehen sollte, und die Freiheit war erfrischend. Er hatte über den Rest seines Lebens nachgedacht, und einen genauen Plan geschmiedet, aber er fürchtete, Scully damit zu überrennen. Er war ein wenig besorgt, wie ihre Reaktion sein würde, hinsichtlich dessen wie er früher einmal war. Jener Mulder hatte keinen Blick in die Zukunft geworfen, aber der Mensch, der er heute war, hieß die Herausforderung willkommen und, was am wichtigsten war die relative Sicherheit seiner Intentionen.

"Lang und ermüdend", seufzte Scully und ließ sich auf einen Stuhl neben ihn fallen. "Manchmal frage ich mich wirklich, wie ein paar Kollegen es geschafft haben, vom FBI überhaupt angenommen zu werden. Kommt mir das nur so vor oder werden die Leute mit jedem Tag blöder?"

Mulder lachte und Scully sah ihm zu, erfreute sich an dem Geräusch. Sie hörte es nicht oft. Er war viel melancholischer als vorher, und sie vermisste seinen Sarkasmus und seinen Humor mehr als sie gedacht hätte.

Sie schüttelte aufgebracht den Kopf. "Zwei meiner Studenten sind heute bei einer Autopsie umgekippt", sie konnte es gar nicht glauben. "Und die wollen die schlimmsten Kriminellen unseres Landes überführen? Sie würden auf dem Absatz kehrt machen, wenn sie einige der Dinge sehen würden, die wir erlebt hatten."

Mulder ernüchterte auf der Stelle. "Scully, wenn die Leute die Dinge, die du und ich herausgefunden haben, wüssten, wäre das ganze Land am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Vielleicht haben 'Die' ja doch Recht am Ende.  Vielleicht hätten wir unsere Nasen da raus halten sollen."

Sie starrte ihn völlig entgeistert an. Mulder überraschte sie in letzter Zeit unentwegt, weil er sich so verändert hatte, und jetzt war sie geradezu verdattert. Sie hatte hin und wieder versucht, mit Erzählungen über das Paranormale ihn aus seinen Anflügen von Depressionen zu locken, aber er war immer völlig uninteressiert gewesen. Nichts davon bedeutet ihm noch etwas, hatte er ihr gesagt, und sie erkannte, dass er im Grunde gemeint hatte, dass er sich auf die Dinge konzentrieren wollte, ohne die er nicht leben konnte. Der Rest war nur Dekoration. Der Mulder, den sie im vorherigen Leben gekannt hatte, hatte nie tagtäglich um seine Freiheit oder Sicherheit kämpfen müssen - diese Dinge waren alle gegeben. Der Mann vor ihr hatte erfahren, wie leicht sie einem genommen werden konnten, und er war jetzt entschlossen, sich dem zu widmen, das am meisten Bedeutung hatte. Er hatte einfach keine Zeit für die Interessen, die damals sein Lebensinhalt gewesen waren. Noch nicht, jedenfalls.

"Ich glaube", begann sie zögerlich, "dass ich immer gehofft hatte, dass du, sobald du wieder frei bist, da weitermachen würdest, wo du aufgehört hast - auf eine gewisse Art und Weise. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du nicht nach Antworten suchst auf Fragen, die niemand zu stellen wagt."

Langsam schüttelte er den Kopf, und sein Blick verließ nie ihr Gesicht.  "Ich will diese Antworten nicht mehr, Scully. Ich schere mich nicht einmal mehr um die Fragen. Ich weiß, das klingt ziemlich besiegt", fuhr er fort, als er ihren Gesichtsausdruck sah, "und ich will nicht besiegt klingen. An eine Sache glaube ich nach wie vor: dass nichts mich besiegen kann. Nicht nach allem, was ich durchstehen musste. Ich nehme an, man könnte allerdings sagen, dass mich das wieder an den Anfang zurückversetzt hat. Es hat mich irgendwie zu dem Wunsch gebracht, zurück zu meiner inneren Basis zu kommen."

"Was meinst du damit?" fragte sie, zog sich mit den Füßen die Schuhe aus und setzte sich in den Schneidersitz.

"Ich meine damit, zurückzugehen zu dem, was ich anfänglich mit meinem Leben anfangen wollte. Ich wollte nie zum FBI. Die sind auf mich zugekommen und haben mich angeworben. Offensichtlich war einer meine Professoren so beeindruckt von meiner Abschlussarbeit, dass er sie einem Freund beim FBI gezeigt hat, der sie wiederum zur Abteilung für Gewaltverbrechen geleitet hat. Sie hielten mich für eine Art Wunderjunge und boten mir einen Job als Profiler an, wenn ich es durch die Akademie schaffen würde. Ich nahm an, weil es eine Chance war, Geld zu verdienen und mein Leben einige Jahre früher als geplant so zu leben, wie ich es wollte. Zuerst war es auch sehr nett, bis es anfing an mir zu zehren und mich zum Wahnsinn zu treiben", ergänzte er und rieb sich die Nase, wo sich bereits kleine Bläschen bildeten.

"Aber dann hast du die X-Akten gefunden", stellte sie fest.

"Dann habe ich die X-Akten gefunden", bekräftigte Mulder. "Und dann warst du da. Und von da an nahm alles seinen Lauf." Seine Stimme verebbte und er starrte mit leerem Blick über den Hof, während die Nachmittagssonne vom Wasser reflektierte und sein trauriges Gesicht erhellte.

"Und du willst es nicht wieder zurück haben? Willst nicht beweisen, dass sie nicht gewonnen haben, wenn schon nichts anderes?" fragte sie verblüfft.

Mulder schüttelte streng den Kopf. "Nein. Ich will nie wieder etwas mit all dem Zeug zu tun haben. Ich habe sogar daran gedacht, wieder zu studieren, meinen Doktortitel zu machen, so dass ich als Psychologe arbeiten kann."

"Als ich dir als deine Partnerin zugeteilt wurde, habe ich gedacht, dass du bereits Psychologe bist", lächelte sie. "Ich weiß noch, dass ich furchtbar eingeschüchtert war, weil du noch ziemlich jung für einen Psychologen warst."

Er grinste zurück. "Das haben viele Leute gedacht, Scully, aber in Wahrheit habe ich nur ein Vordiplom. Ich kann meinen eigenen Laden also noch nicht aufmachen. Aber ich glaube, das würde mir gefallen. Ich war schon immer gut darin, mich mit den Problemen Anderer auseinander zusetzen und ihnen zu einer Lösung zu verhelfen", berichtete er. "Das wollte ich eigentlich mit meinem Leben machen, als ich noch jünger war. Das FBI war ein Umweg - ein Umweg, der mir im letzten Teil sehr gefallen hat, aber jetzt ist es vielleicht an der Zeit, meinen alten Weg wieder einzuschlagen."

"Ernsthaft? Du willst wirklich wieder studieren?"

Er nickte abermals. "Ich möchte mit Kindern arbeiten. Ich muss etwas tun, Scully, und ich liebe Psychologie noch immer. Wenigstens habe ich den Luxus, die Hälfte der Zeit einen Job zu haben, wenn ich studiere."

Scully lachte. "Das ist allerdings wahr, Mulder. Du musst auch nicht von Bohnen und SpaghettiO leben, wie die meisten verhungernden Studenten."

"Hey, was hast du gegen SpaghettiO?" wollte er wissen und folgte ihr, als sie aufstand und sich auf den Weg ins Haus machte. "Nudeln gehören zum besten Essen der Natur!"

"Natur?" spottete sie, öffnete den Kühlschrank und begann die Zutaten für Pasta Primavera herauszuräumen. "Die Natur hat nichts mit all dem zu tun, Mulder, das ist alles geformt und gepresst in irgendeinem Labor", rief sie ihm nach, als er sich umziehen ging. "Hast du noch nie Soylent Green gesehen?"

"SpaghettiO machen Leute!" paraphrasierte er und seine Stimme hallte im Flur.

Sie lächelte, als sie den Klang seines zufriedenen Lachens hörte. Sie warf geschnittenes Gemüse in eine Schüssel und dachte über Mulders neuen Karriereplan nach. Er hatte vielleicht nicht dieselben Ziele oder denselben Glauben, aber Gott sei Dank war er letztendlich tief im Innern noch der alte Mulder.

 
 

Mulder hielt Scully das Telefon mit einer Grimasse hin als ob ihm etwas weh tun würde. "Zach!" Er formte das Wort mit den Lippen ohne es auszusprechen und ließ den Hörer in ihren Schoß fallen. Es störte ihn immer noch gewaltig, dass Scullys in Scheidung lebender Ehemann versucht hatte, ihn umzubringen, aber bis jetzt hatte die Verfügung ihren Zweck erfüllt. Sie hatten Zach weder gesehen noch von ihm gehört, seit Scully aus dem Krankenhaus gekommen war. Mulder ging zurück zu seiner Aufgabe, die Spülmaschine einzuräumen und beobachtete sie aus dem Augenwinkel.

"Ja?" meldete sie sich grimmig am Telefon und fragte sich, was Zach nach all den Wochen von ihr wollte.

"Dana, tut mir leid, wenn ich dich störe, aber ich muss dich um einen Gefallen bitten. Für Emmie." Er klang entschuldigend und freundlich, so normal, dass sie sich einen Moment lang fragte, ob er die Umstände vergessen hatte, unter denen sie sich getrennt hatten. Er hatte sicherlich nicht vergessen, sie so übel zugerichtet zu haben, dass sie drei Tage im Krankenhaus verbringen musste, dachte sie ungläubig.

"Was?" fragte sie scharf mit einem raschen Blick zu Mulder. Er kratzte gerade Essensreste von den Tellern und schien OK zu sein, also wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Zach zu, in der Hoffnung, ihn schnell wieder los zu werden.

"Am Freitag ist ihr Geburtstag. Ich habe bereits die Kinder aus ihrem Kindergarten eingeladen und alles geplant, aber jetzt stelle ich fest, dass ich es nicht rechtzeitig nach Hause schaffen werde."

Scully seufzte, sie wusste was kam. "Und was soll ich da machen, Zach?" fragte sie misstrauisch und bemerkte, wie Mulder sich bei ihren Worten ein wenig versteifte.

"Wäre es möglich, die Party bei dir zu machen?" fragte er. "Ich könnte die Eltern alle benachrichtigen und ihnen die Adresse geben."

"Warum kannst du nicht einfach die Anfangszeit ändern und dann eine Benachrichtigung schicken?"

"Ich werde dieses Wochenende nicht genug Zeit dafür haben, Dana", sagte er und sie könnte schwören, dass er sich eine Spur weinerlich anhörte, "und Emmie wäre so enttäuscht, wenn die Party ausfallen würde."

Scully sah wieder zu Mulder, aber er hatte ihr den Rücken zugedreht, so dass er sie nicht sehen konnte. Er würde sicherlich nichts gegen diese eine Mal einzuwenden haben? Mulder liebte Kinder, und Emmie hatte ihn schnell um ihren kleinen Finger gewickelt. Außerdem, wie lange konnte eine Geburtstagsparty für ein kleines Mädchen schon dauern? Nicht länger als ein paar Stunden, höchstens.

Sie stöhnte innerlich. "In Ordnung, Zach, ich mach's. Um wie viel Uhr?" Sie griff nach einem Stift und schrieb die Details für die Party auf. Die ganze Zeit fühlte sie Mulders Blick in ihrem Rücken, der sie erschrocken ansah.  Er hatte ja keine Ahnung, zu was sie gerade zugestimmt hatte.

"Gut. Das geht schon klar, Zach. Nein, das wird nicht nötig sein, schick den Kuchen einfach morgens zum Kindergarten, ich werde sie von Mom abholen lassen."

Ohne Hast legte sie den Hörer auf den Tisch und drehte sich langsam zu Mulder um, der sie fragend ansah. "Emmie hat am Freitag Geburtstag", erklärte sie etwas hilflos. "Er muss arbeiten und wollte fragen, ob die Party hier stattfinden könnte. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte machen sollen."

Mulder zog für ein paar Sekunden ein grimmiges Gesicht, doch dann breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. "Sicher, Scully, das geht in Ordnung." Scully wusste, als er sich hastig umdrehte und sich auf das Silberbesteck konzentrierte, dass gar nichts 'in Ordnung' war.

"Sag doch etwas", sagte sie sanft. Sie stellte sich hinter ihn und umarmte ihn von hinten. "Wenn es dich stört, kann ich auch Mom fragen, ob sie die Party bei sich halten kann."

Mulder schüttelte den Kopf, trocknete seine Hände ab und drehte sich zu ihr um. "Das ist es nicht", sagte er ruhig und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. "Es ist nur...."

"Was, Mulder?"

Er seufzte tief. "Was werden die Mütter darüber denken, ihre Kinder im Haus eines überführten Mörders an einer Party teilnehmen zu lassen?"

Scully fuhr überrascht zurück und starrte in sein betretenes Gesicht.

"Mulder! Du bist kein Mörder!" sagte sie scharf.

Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. "Die Leute reden, Scully. Und sie lesen die Zeitung."

"Dann werden sie auch gelesen haben, dass sie dir deine Unschuld nachweisen konnten", verkündete sie eisern. "Du bist kein Krimineller, Mulder, du warst nie einer. Nur, weil ein schreckliches Fehlurteil über dich gefällt worden ist..."

"Scully, wie viele Leute kennen denn die ganze Geschichte? Skandale bleiben hängen, Entlassungen nicht."

"Dann", sagte sie schließlich, "kann jeder, der sein Kind nicht zur Party gehen lassen möchte, zu Hause bleiben. Wir brauchen solche Leute nicht, und Emmie braucht keine Freunde mit dieser Einstellung."

Er lachte kurz über ihre treuen Worte und umarmte sie rasch, bevor er sich wieder dem Geschirr widmete, aber trotzdem war Mulder besorgt. Bis jetzt waren alle Leute, die sein Gesicht aus der Zeitung wiedererkannt haben, hilfsbereit und freundlich gewesen, aber es wäre töricht zu glauben, dass das immer so bleiben würde. Früher oder später würde jemand vorwurfsvoll mit dem Finger auf ihn zeigen und böse Dinge äußern und er fürchtete sich vor der Demütigung. Langsam den Kopf schüttelnd zwang er sich dazu, positiv zu denken. Wie standen die Chancen, dachte er objektiv, dass es auf Emmies Party passieren würde?

 
 

 

"Mrs. Scully! Ich habe Sie gar nicht erwartet", sagte er mit einem nervösen Lächeln, als er die Tür weit für sie öffnete. Scully sollte schon vor zehn Minuten zu Hause sein, und er wurde besorgter mit jeder Minute. Wenn sie nicht bald käme, würde er alleine mit zehn kleinen Mädchen da stehen. Es war nicht nur angsteinjagend, sondern Mulder war nicht davon überzeugt, dass es eine gute Idee war, als Mann der einzige Erwachsene zu sein inmitten von einer Gruppe Vorschul-Mädchen. Nicht heutzutage. Er hatte gehofft, dass er das eine oder andere Elternteil zum Bleiben überreden könnte.

"Ich wollte Scully gerade anrufen", redete er weiter, als Maggie lächelte und ihn zur Begrüßung auf die Wange küsste. "Sie kommt etwas später."

"Ich weiß. Sie wurde auf der Arbeit aufgehalten und hat mich angerufen, ob ich herfahren und hier helfen könne. Das ist sie vielleicht gerade", sagte sie, als das Telefon auf dem Küchentisch zu klingeln begann.

Mulder sprintete um dranzugehen, und tatsächlich war es Scully, die ihm mitteilte, dass ein unerwarteter Vorfall passiert sei, um den sie sich umgehend kümmern musste.

"Es tut mir wirklich leid, Mulder. Meine Mutter eilt dir bereits zur Hilfe."

"Sie ist gerade angekommen, Scully. Danke, dass du sie geschickt hast. Ich bin sicher, wir werden gut zurecht kommen", sagte er stoisch und versuchte die Schmetterlinge in seinem Bauch zu bekämpfen, als der Zeitpunkt der Party sich näherte.

"Mach dir keine Sorgen, Mulder. Mom wird sich um das meiste kümmern. Alles, was du tun musst, ist Kuchen und Eis servieren und darauf zu achten, dass niemand in den Pool fällt."

"Das könnte vielleicht eine zu schwierige Aufgabe sein", antwortete er verdrießlich. "Ich habe gesehen, wie schnell Emmie sein kann, und es werden zehn davon hier sein!"

Scullys Lachen klang in der Leitung. "Mom hat langjährige Erfahrung", versicherte sie ihm. "Sie wird dir sagen, was du zu tun hast."

"Fox!" ertönte es aus dem Zimmer am anderen Ende des Flurs, und Mulder ging mit dem schnurlosen Telefon in die Richtung.

"Ich muss auflegen, Scully, Emmie ruft nach mir. Die Kinder werden in ein paar Minuten hier sein." Mulder legte auf und beeilte sich, dem Rufen des kleinen Mädchens zu folgen.

"Kannst du mein Kleid hinten zumachen?" fragte sie ihn und blickte ihn mit ihren unschuldigen dunkelbraunen Augen an. Emmie hatte schnell Mulders Herz gewonnen, und einen willigen Helfer in ihm gefunden. Sie hatte Probleme, 'Mulder' auszusprechen, dass er schließlich nachgegeben und ihr erlaubt hatte, ihn 'Fox' zu nennen.

"Großmutter Maggie nennt dich auch so", hatte sie hartnäckig darauf bestanden, "und du darfst mich ja auch 'Nymphe' nennen, wie Mami."

Er hatte sich geschlagen gegeben. "Sag es nur niemandem, okay?" ließ er sie versprechen, und sie hatte ernst den Kopf geschüttelt und sich einverstanden erklärt, sein schreckliches Geheimnis zu bewahren.

Mulder drehte sie um und band die Bänder an ihrem Kleid in einer Schleife zusammen. "Bist du bereit, fünf zu werden?" fragte er sie mit einem Augenzwinkern.

Emmie kicherte. "Fox, ich bin bereits fünf! Ich bin um Mitternacht fünf geworden", sagte sie und wiederholte, was Scully ihr gesagt hatte.

Mulder schüttelte den Kopf. "Nein. Ich weiß, deine Mama denkt das, aber das stimmt nicht. Untersuchungen haben ergeben, dass kleine Mädchen nicht fünf werden, bevor ihre Geburtstagspartys nicht offiziell beginnen."

"Was sind 'Untersuchungen'?" fragte sie neugierig und Mulder stöhnte, weil er sich bewusst wurde, dass hundert Fragen auf ihn zukommen würden und er sich das alles selbst eingebrockt hatte.

Glücklicherweise wurde er von der Türklingel vor der Beantwortung ihrer Frage verschont. Er hielt ihr seine Hand hin und fragte sie mit einem Leuchten in den Augen, "Dürfte ich Sie zu Ihrer Party geleiten, Miss Morrow?"

Sie kicherte wieder und nahm seine Hand. Mulder fühlte für einen Moment ein Stechen in seinem Herzen, als er daran dachte, dass er nie Kinder haben würde. Der Gedanke, mit jemand anderem als Scully zusammen zu sein, widerte ihn an, und da sie keine Kinder mehr bekommen konnte, waren seine Hoffnungen, eines Tages Vater zu werden, praktisch verschwunden. Emmies unregelmäßige Besuche mussten eben reichen.

 

Zwei Stunden später war Mulder völlig fertig und bereit sich aufzuhängen, wenn er noch eine weitere Frage nach Kuchen oder noch ein wimmerndes Betteln aufs Klo zu müssen hörte. Die Küche sah aus wie nach einem Erdbeben und Mulder kam sich vor, als wäre er mitten in einem. Geschenkpapier lag überall auf dem Boden und Tischen verstreut, Schokolade, Zuckerguss und Krümel klebten überall, einschließlich auf Mulder selbst. Er war zum Liebling der Mädchen geworden, und alle wollten seine Hand halten oder auf seinem Schoß sitzen. Er hatte sich nie ein eigenes Stück Kuchen genommen, weil er ziemlich satt war von dem 'Möchtest-du-mal-abbeißen'-Stücken, die ihm aufgezwungen worden sind. Emmie, die ihr Versprechen völlig vergessen hatte, hatte ihn stolz als "Mein Fox" allen ihren Freunden vorgestellt, und kichernde "Fox! Fox!"-Schreie waren überall zu hören gewesen.

Maggie hatte über seinen Missmut lachen müssen, und ihn daran erinnert, dass er selber damit angefangen hätte, weil er es Emmie erlaubt hatte. Er warf ihr lediglich einen finsteren Blick zu, "Danke vielmals für die Unterstützung."

Emmie saß freudestrahlend wie eine Königin in der Mitte und dankte allen sehr höflich für die Geschenke, die sie bekommen hatte, und teilte sie dann gewissenhaft in zwei Stapel: die, die sie mochte und die, die sie nicht mochte. Mulder wollte ihr unauffällig sagen, dass sie damit einigen Kindern vielleicht weh tun könnte, doch in dem Moment warf eines der Kinder ein Glas Kinderpunch um und alle brachten sich vor dem roten Saft in Sicherheit. Er und Maggie flogen, um Tücher zu holen, und schafften es gerade noch die Geschenke davor zu bewahren. Als sie mit Aufwischen fertig waren, verkündete Emmie ihren Freunden nun, dass sie ihnen das Zimmern zeigen wolle, in dem sie schlief wenn sie hier war, und neun kichernde Exemplare Frauenzimmer rannten hinter ihr her den Flur entlang.

Mulder kollabierte auf dem Fußboden und sah hoch zu Mrs. Scully, die seelenruhig begann, das Durcheinander aufzuräumen.

"Wie schaffen Sie das bloß?" fragte er erschöpft, und sie lachte.

"Ich bin ein alter Hase, wenn es um Geburtstagspartys geht, wissen Sie. Seien Sie froh, dass es kleine Mädchen sind, Fox. Jungs sind da anders. Als Charles seinen neunten Geburtstag feierte, habe ich mich für nur eine Sekunde umgedreht und sie haben es geschafft, die Katze zu rasieren!"

Mulder verzog das Gesicht. "Gott sei Dank haben wir keine Katze", murmelte er und sah durch die Terrassentür zum Swimming Pool. Seine größte Befürchtung war gewesen, dass eines der Kinder unbemerkt ausrutschen und ertrinken könnte, bevor einer von ihnen etwas machen konnte, doch sobald sie den Kindern gesagt hatten, dass sie nicht raus dürften, hatten sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kuchen und den Geschenken zugewandt.

Schreien und Kreischen ertönte aus dem Flur und mit lautem Getrappel stürmten die Kinder wieder zurück in die Küche. Mulder hockte immer noch auf dem Fußboden, und sie warfen sich sofort auf ihn. Binnen Sekunden war er umringt von zehn kleinen Mädchen, die ihn durchkitzeln wollten.

"Emmie, das zahle ich dir heim!" brüllte er lachend, als er sich bemühte, den kleinen Händen zu entkommen. Es war ein weiteres Geheimnis, dass sie verraten hatte. "Maggie, helfen Sie mir!"

"Mädchen, eure Eltern kommen gerade an." Maggies Stimmte übertönte die Freudenschreie und im nächsten Moment half sie ihm mit einem Lächeln auf die Füße. "Soweit zum Thema 'Rettung in letzter Sekunde'", sagte sie, als er sein T-Shirt zurechtrückte und sich den Hintern abwischte.

"Danke, Maggie. Man kann Emmie eben nicht in ein Geheimnis einweihen", sagte er düster und bemühte sich, die Angeklagte düster anzuschauen, doch er versagte kläglich, als sie ihre Arme um seine Beine warf und ihn umarmte.

"Danke, dass du mir geholfen hast, fünf zu werden, Fox." Sie lächelte zu ihm hinauf und er seufzte. Er wusste, dass er immer dahin schmelzen würde, wenn sie ihn so ansah.

"Gern geschehen, Nymphe", erwiderte er. "Lass uns jetzt deine Freunde verabschieden und ihnen für ihr Kommen danken, okay?"

Emmie wiederholte pflichtbewusst seine Worte zu jedem einzelnen der Mädchen, als seine Mutter oder Vater ankam, um es abzuholen. Es waren nur noch zwei Gäste übrig, als Mulder, der gerade seinen Kopf hob, weil Emmie ihm etwas zugeflüstert hatte, sich einer wütend blickenden Frau gegenüber sah.

"Ich kann nicht glauben, dass mein Mann Jessica hier bei Ihnen gelassen hat", zischte die Frau, und Mulder erschrak vor dem Gift, das ihre Worte spritzten.

"Ich verstehe nicht...."

"Wenn ich gewusst hätte, dass das Ihr Haus ist, hätte ich darauf bestanden, dass Jessica nicht zu der Feier geht. Ich weiß, wer Sie sind. Sie sind ein FBI-Agent und sie haben jemanden umgebracht!"

"Nein, ich...."

"Sie hätten Sie nie rauslassen sollen", unterbrach sie ihn, gab ihm keine Chance, sich zu verteidigen. "Es ist ein trauriger Tag für unser Land, wenn mächtige Freunde und Geld einen Killer frei bekommen."

Sie war verschwunden, bevor er sich soweit sammeln konnte, um zu antworten, und Mulder starrte ihr leichenblass nach. Er hatte gewusst, dass es Leute mit diesen Ansichten gab, aber er war noch nie so jemandem begegnet.... Er spürte wie sein Magen sich zusammenzog und verzog sich schnell durch den Flur ins Badezimmer. Maggie Scully wandte sich verwundert dem Vater des letzten Kindes zu, das abgeholt wurde. Ihre Lippen pressten sich zusammen bei den scharfen Worten der Frau.

"Ist Fox krank, Großmutter Maggie?" fragte Emmie, die ihm sorgenvoll hinterher schaute.

"Es geht ihm bald besser, Emmie", antwortete Mrs. Scully. "Ich glaube, es hat nur zu viel Kuchen gegessen." Sie streckte dem kleinen Mädchen die Hand aus und sagte lächelnd, "Möchtest du mir beim Aufräumen helfen?"

Emmie nickte und ging mit ihr. Schon bald hatten sie die Küche wieder einigermaßen in Ordnung gebracht. Schließlich kam Mulder aus dem Badezimmer, Blick nach unten und Züge ernst.

 

 

"Mulder, es war nur eine dumme, unwissende Frau", sagte Scully beruhigend.  Ihr Herz schmerzte bei seinen traurigen Augen, die er immer noch hatte. Sie hatten Walter zum Abendessen eingeladen und ebenso Maggie, und nun saßen sie alle vier am Tisch, tranken Kaffee und unterhielten sich. Sie bemerkte Mulders Appetitlosigkeit und seufzte innerlich.

"Ich habe schon mal mit Rorberta Jenkins gesprochen. Sie ist eine von diesen Paranoiden, die denken, dass die Regierung plant, die Leute irgendwann in Konzentrationslagern einzuschließen", sprach Scully weiter.  "Natürlich glaubt sie, dass du als früherer FBI-Agent etwas damit zu tun hast. Sie hat sich bestimmt nicht die Mühe gemacht, das Geständnis des wahren Mörders in der Zeitung zu lesen."

"Sie würde sowieso nur glauben, dass das erfunden sei", warf Skinner ein.

"Wirklich? Konzentrationslager?" fragte Maggie mit großen Augen. "Das habe ich ja noch nie gehört."

Scully lachte, weil ihre Mutter so verdutzt blickte. "Das ist doch nur eine dumme Geschichte, Mom, aber einige Leute glauben eben alles."

Mulders geplante Widerworte schwanden, als er sich daran erinnerte, mehr als einmal dessen beschuldigt worden zu sein, aber er wusste, das Scully nur Spaß machte. Das Gefühl der Übelkeit in seiner Magengegend nach Mrs. Jenkins' Gezeter war etwas gewichen, doch er fühlte sich immer noch niedergeschlagen und traurig wegen dem Vorfall. Er hatte es geschafft, Emmie davon zu überzeugen, dass er nicht wirklich krank war, so war sie wenigstens glücklich zu ihrem Vater nach Hause gegangen. Doch sobald sie aus der Tür war, hatte sich Mulder zu einer langen, entspannenden Trainingseinheit in Richtung Pool verzogen.

"So viele Leute haben Sie unterstützt, Mulder. Ich glaube, ich kann nicht ganz verstehen, warum Sie sich durch diese eine Frau so aus der Bahn werfen lassen", sagte Skinner, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rührte in seinem Kaffee.

"Worte tun manchmal weh", warf Scully ein, als sie Mulders Unbehagen sah, doch er schüttelte den Kopf.

"Das ist es nicht, nicht wirklich", sagte er ihnen. "Es ist so schwer zu...." Seine Stimme wurde weicher, als er nach Worten suchte, und sein Blick blieb an einer Serviette hängen, als er erst einmal angefangen hatte zu erklären.

"Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, dass ich endlich frei bin. Ich wache nachts in diesem riesigen Bett auf und bin ganz klein in dessen Mitte zusammengerollt, als ob ich immer noch auf einer Gefängnispritsche schlafen würde. Manchmal sitze ich einfach nur herum und tue gar nichts, und merke, dass ich darauf warte, dass mir jemand sagt, was ich als nächstes tun soll, weil ich vergessen habe, dass ich tun und lassen kann, was ich will. Wenn ich zwei oder drei Männer zusammen in einer Gruppe sehe, ist meine erste Reaktion Angst." Er unterbrach sich für einen Moment und spürte alle Augen auf sich. "Was heute passiert ist, hat all das zurück gebracht. Als sie in diesem Ton mit mir redete, konnte ich mich selbst plötzlich wieder da drin sehen, und versuchen mich gegen die Anschuldigungen zu wehren, die nicht wahr sind, Kämpfe zu kämpfen, die ich nie gewinnen könnte."

Scully streckte ihre Hand aus und legte sie auf seine, hielt sie fest umschlossen, als er zu ihr sah und ihre Finger mit einem dankbaren Lächeln zurückdrückte.

"Jedenfalls, Fox", sagte Maggie weich, "gehen Sie zur Therapie und lassen sich helfen. Es gibt keine Hoffnung für eine Frau wie Mrs. Jenkins."

"Das ist wahr", stimmte Skinner zu. "Sie wird ihr ganzes Leben herumrennen und darauf warten, dass der Himmel über ihr einstürzt, und sie wird nie ihr Glück finden, nicht einmal Zufriedenheit. Nur Enttäuschung mit der Tatsache, dass ihre Vorraussagen sich nicht bewahrheiten."

"Aber sie hat Recht." Mulders Aussage überraschte sie. "Zumindest teilweise. Es waren Geld und mächtige Freunde, die mich da rausgeholt hatten."

"Sie hätten gar nicht erst im Gefängnis sein sollen!" explodierte Skinner.  Er senkte seinen Ton ein wenig, als er Mulder zusammenzucken sah, unvorbereitet auf seine Reaktion. "Tut mir Leid, Mulder, aber ich werde Sie hier nicht sitzen und sich niedermachen lassen, weil irgend so ein Idiot von einer Frau etwas selten Dämliches gesagt hat. Sie waren ein Opfer. Punkt aus. Ihnen wurden vier Jahre Ihres Lebens genommen, und jetzt verdienen Sie jeden einzelnen Tag Ihrer Freiheit, jeden Moment Glück, den Sie bekommen können. Haben Sie Jess wegen dieser Sache angerufen?"

Mulder schüttelte müde den Kopf. "Ich hatte kein Zeit. Außerdem habe ich angenommen, dass ich damit alleine fertig werde."

Skinner schnaubte. "Wann haben Sie Ihren nächsten Termin bei ihr?" forderte er ruhig.

"Montag."

Skinner dachte nach. Scully würde das ganze Wochenende da sein und Mulder helfen können, wenn er wieder meinte, depressiv werden zu müssen. Es würde also bestimmt gut gehen. "Versäumen Sie ihn nicht", wandte er sich schließlich bestimmend an Mulder. "Ich werde Ihnen in den Hintern treten, wenn sie nicht hingehen."

Mulder musste lachen und die Spannung am Tisch war plötzlich gebrochen.

Skinners autoritäre Art war manchmal genau das, was er brauchte, dachte er.  Ein wörtlicher Tritt in den Allerwertesten war hin und wieder das Einzige, das ihm wieder aufhelfen konnte, wenn er gestolpert war, und er war Skinner auf eine kuriose Art und Weise dankbar, dass er diese Art an sich hatte.  Skinner wusste immer, wenn er Hilfe bei etwas brauchte, oder wenn man ihm sagen musste, was er machen solle; manchmal war Entscheidungen zu treffen zuviel für ihn.

 
 

Scully stand am Fenster und beobachtete Mulder heimlich, während er draußen Basketball spielte. Es war etwas, das ihm half wieder klare Gedanken zu fassen, und sie wusste, das Mrs. Jenkins' Bemerkung am Freitag noch deutlich an ihm nagte. Zwar hatte sich seine Stimmung gebessert und sie hatten noch einen netten Abend zu viert gehabt, doch sie hatte den Rest des Abends eine Unruhe in ihm gespürt, die ihn das ganze Wochenende nicht losgelassen hatte, bis er heute endlich zu Shorts und Knicks-Trikot gegriffen hatte und nach draußen gegangen war, um ein paar Körbe zu werfen. Ein Kloß formte sich in ihrem Hals, als sie das Trikot betrachtete. Sie hatte es ihm zu Weihnachten zwei Jahre vor seiner Inhaftierung geschenkt, und es war schnell zu seinem Lieblingshirt geworden. Sie waren gerade von einem Besuch in einem seltsamen Haus wiedergekommen, von dem Mulder überzeugt war, dass es darin spukte, und nachdem sie stundenlang versucht hatte einzuschlafen, hatte sie sich das Geschenk geschnappt und war in ihren Wagen gesprungen.  Sie wollte es ihm sofort geben, denn genaugenommen war es ja schon der Weihnachtsmorgen, da der Zeiger auf der Uhr schon weit nach Mitternacht tickte. Was sie damals am meisten wollte war jedoch seine Nähe, und sich davon zu überzeugen, dass es ihm gut ging. Dass er in Sicherheit war, und seine Gesellschaft genießen. Sie waren nur ein paar Stunden getrennt gewesen, doch sie hatte ihn schrecklich vermisst. So nervtötend Mulder manchmal auch sein konnte, sie hatte ihn damals schon sehr geliebt. Es war ein schwieriges Jahr für sie beide gewesen, erinnerte sie sich, doch nicht halb so schwierig wie die Jahre, die folgen würden.

Er sah zum Haus herüber und sie trat einen Schritt zurück und versteckte sich hinterm Vorhang. Sie wusste nicht genau, warum sie nicht wollte, dass Mulder sie sah, aber ihr gefiel ihre unbemerkte Beobachtungsposition. Sie beobachtete weiter und sah wie Mulder sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn wischte und leichthändig einen Treffer von der weiten Position von der Mitte der Auffahrt landete. Scully zuckte mit den Schultern. Ein Kinderspiel für Mulder. Er war wirklich gut in diesem Sport, und er liebte ihn heiß und innig.

Plötzlich stockte ihr der Atem, als sie sah, wie er im Begriff war, sich das Trikot auszuziehen. Eine Sekunde später hatte er es ausgezogen und beiseite geworfen. Nun stand er halb nackt da und sie fuhr sich unbewusst mit der Zunge über die Lippen, als sie den Anblick in sich aufnahm.

Mulder hatte wieder zugenommen, und er war jetzt muskulös und schlank. Er fing wieder an sich zu bewegen, und seine sehnigen Muskeln arbeiteten, als er die Auffahrt entlang dribbelte und sprang, um den Ball im Netz abzulegen. Er war braungebrannt und sah gesund aus, und Scully wurde es warm vor Vorfreude.

Noch eine Woche. Noch eine Woche in Enthaltsamkeit und er würde ihr gehören. Der Scheidungstermin war endlich festgelegt, und genau heute in einer Woche würde sie wieder eine freie Frau sein. Mulders Frau. Endlich.

Er drehte sich um, so dass sie ihn von vorn sehen konnte, und sie stöhnte fast bei dem Anblick. Schweißtropfen rannen sein Gesicht herunter, sie konnte sie selbst aus dieser Entfernung glänzen sehen, als sie sich in den spärlichen Haaren auf seiner Brust einnisteten. Sie atmete wieder, als er sich plötzlich wegdrehte, und sein starker Rücken und muskulöse Arme es ihr antaten. Sie würde sich heute nicht länger quälen, beschloss sie und ging in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Ein schönes, kühles Bad im Pool würde ihr jetzt gut tun.

 
 

Mit Ausnahme seines verzweifelten Anrufs wegen der Geburtstagsfeier, hatte Scully seit dem Tag, an dem er wutschnaubend aus dem Krankenhaus gestürmt ist, von ihrem Mann überhaupt nichts gehört. Heute würde sich das ändern, dachte sie nervös. Der Tag des Gerichtstermins war endlich angebrochen, und sie würden vor einem Richter stehen, keine drei Meter voneniander getrennt, wenn ihre Ehe offiziell aufgelöst würde. Würde er auf sie zukommen und versuchen sich wieder zu versöhnen, oder würde er sie schlichtweg ignorieren?

Zach hatte sein Versprechen gehalten. Nachdem sie die Anklagen gegen ihn fallen gelassen hatte, durfte Emmie noch drei zusätzliche Wochen nach ihrem Geburtstag ihr und Mulder Gesellschaft leisten. Alan und Katie Morrow hatten sie, wie versprochen, fleißig hin und her gefahren, und Scully war ihnen für ihre Hilfe sehr dankbar. Trotz allem hatten Zachs Eltern Dana sehr gern. Sie liebten ihren Sohn, hatten aber Gott sei Dank keine Illusionen wegen ihm; sie waren schrecklich enttäuscht von ihm gewesen, und sein Vater hatte darauf bestanden, dass er zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker geht, für die er sich angemeldet hatte. Soweit Scully wusste, hatte Zach nicht einen Tropfen angerührt seit dem Abend, an dem er sie so zusammengeschlagen hatte. Soweit sie wusste.

Ihr Bruder Bill war immer noch unumstößlich davon überzeugt, dass sie sich nicht scheiden lassen sollten. Er schlug ihnen sogar vor, verheiratet zu bleiben, aber getrennt zu leben. Scully hätte seinen Worten mehr Glauben geschenkt, wenn sie überzeugt wäre, dass seine Motivation die Ehe zu erhalten kirchliche Gründe wären. Doch leider war Bill in seinem Eifer, Zach von den Konsequenzen seiner Taten zu bewahren, ein Verdächtiger für seine Schwester geworden. Sie fragte sich, ob er von seinen Anschlägen auf Mulders Leben überhaupt wusste. Sie konnte nicht glauben, dass er davon gewusst hatte, geschweige denn, dass er mitbeteiligt gewesen war. Bill mochte vielleicht manchmal ein Riesentrampel sein, aber er meinte es nur gut—allerdings hatte sie schon oft den Verdacht gehabt, dass Zach ihm Einzelheiten gesagt hatte, die sie nie erfahren würde. Die Beziehung zwischen Bruder und Schwester war rapide abgekühlt. Laut Maggie, ebenfalls die Freundschaft zwischen Bill und Zach, und Dana wusste nicht, ob es aufgrund der Prügel war, die sie erhalten hatte. Bill liebte sie, daran hatte sie keine Zweifel.

Jetzt, wo sie sich auf den Richter vorbereitete, um die Ehe aufzulösen, suchte Scully nach ihrem innerlichen Frieden, den sie nur bei seltenen Gelegenheiten empfand. Er war da gewesen, als Father McCue für sie gebetet hatte, als sie wegen ihrem Krebs im Krankenhaus gelegen hatte, und er war auch da, als sie die Entscheidung getroffen hatte, Zach den Laufpass zu geben. Es war eine Art unsichtbarer Tröster, ein süßes Gefühl, dass sie richtig handelte. Sie wünschte sich, dass dieses Gefühl sie jetzt ergreifen und ihre Nerven beruhigen würde. Sie schloss die Augen und atmete tief durch, als sie vor dem Spiegel stand, und suchte nach innerer Bestätigung.  Sie war jedoch nur teilweise erfolgreich; sie spürte ein Gefühl von Ruhe, aber darunter war ein Hauch von Vorahnung. Mit einem Anflug von Furcht erkannte Scully tief in ihrer Seele, dass Zach nicht ohne weiteres von der Bildfläche verschwinden würde.

"Fertig?" fragte Mulder und steckte seinen Kopf durch die halb geöffnete Schlafzimmertüre.

Sie legte die Bürste beiseite und drehte sich mit einem aufgesetzten Lächeln um. "Lass es uns hinter uns bringen", sagte sie heiter, folgte ihm zur Tür. Schweigend stiegen sie ins Auto. Sie sagten nichts auf der Fahrt zum Gerichtsgebäude, doch Mulder griff ab und zu nach ihrer Hand und drückte sie. Scully seufzte, lehnte sich zurück an die Kopfstütze und schloss die Augen. Sie hatte die Nacht zuvor nicht viel geschlafen. Sie war von Albträumen geplagt worden, in denen Zach sie irgendwohin, an einen fernen Ort weg von Mulder, geschleppt hatte. Sie konnte Mulder in ihren Träumen sehen, wie er hilflos nach ihr suchte und Stück für Stück kaputt ging. Sie wusste, dass er jetzt stärker war, als vor ein paar Monaten, aber er war in vieler Hinsicht noch so verletzlich, dass sie sich Sorgen macht.

"Was ist los?" fragte Mulder beschwingt, als er zu ihr herüber sah und ihre gerunzelte Stirn bemerkte. Sie war in den letzten Tagen unverständlich gedankenverloren gewesen, und heute Morgen war sie sogar noch verkrampfter als gewöhnlich. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und versuchte, die Spannung dort herauszumassieren.

Sie schüttelte den Kopf. "Die Nerven, nehme ich an", erwiderte sie und verbannte die Bilder der Albträume aus ihrem Gedächtnis.

"Nach dem heutigen Tag", erinnerte Mulder sie, "wird Zach keinen Anspruch mehr auf dich haben."

"Mulder...."

Sein Herz machte beim Ton ihrer Stimme einen Sprung. "Was ist?" fragte er mit gezwungener Leichtigkeit.

Sie seufzte. Es war offensichtlich, was Mulder von ihrer Beziehung wollte.  Er hatte sich entschieden und war bereit, nach vorne zu gehen. Doch jetzt, wo der Moment gekommen war, bekam Scully einfach Angst. "Ich werde vielleicht etwas Zeit brauchen", sagte sie leise und sah aus dem Fenster.

Er sagte während der nächsten paar Sekunden nichts, lenkte den Wagen auf einen Parkplatz. "Natürlich, Scully", erwiderte er, nachdem er den Motor ausgeschaltet und die Schlüssel abgesteckt hatte. "Du hast alle Zeit, die du brauchst."

Sie dankte ihm mit einem schwachen Lächeln und sie gingen auf das Gerichtsgebäude zu, um ihrem Schicksal zu begegnen.

 
 

Als es an diesem Nachmittag an der Tür klingelte, überlegte Scully, ob sie überhaupt aufmachen sollte. Der Gerichtstermin war äußerst aufreibend gewesen, und Scully war sehr müde. Mulder war zu seiner Therapiesitzung gegangen und sie wollte sich gerade hinlegen, als die Klingel ertönte. Laut stöhnend ging sie zur Tür. Sie wollte den Gast, wer immer es auch war, schnell wieder loswerden. Doch dann überkam sie ein Schatten von Furcht, als sie sah, wer auf der Veranda stand.

"Was willst du denn hier?" fuhr sie ihn an und griff instinktiv nach ihrer Waffe, die natürlich nicht da war.

"Ich wollte nur noch eine einzige Sache mir dir besprechen", sagte Zach, während sein Blick sich in ihre Augen bohrte. "Ist dein Freund da?"

Sie ignorierte die Frage. "Ich habe dir nichts mehr zu sagen", sagte Scully und begann, die Tür zu schließen. Sie bekam nun richtig Angst, als er blitzschnell ihren Arm festhielt. Sie wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, aber er hatte damit gerechnet und verhinderte es.

"Du musst nichts sagen, nur zuhören", sagte Zach mit dunkler, tiefer Stimme und beugte sich zu ihr vor. "Ich will dich nur wissen lassen, dass du ihn nie haben wirst. Wenn du weißt, was gut für euch beide ist, verschwindest du von hier so schnell du kannst. Je länger du bei ihm bleibst, desto wahrscheinlicher ist es, dass.... mein Temperament mit mir durchgeht." Er grinste sie teuflisch an und Scully spürte, wie die Wut in ihr hoch kroch und die Angst übertraf.

"Mach, dass du weg kommst", verlangte sie und versuchte, sich aus seinem Griff zu wenden, doch er hielt sie unerbittlich.

"Lass mich ausreden, Dana. Ich gebe dir eine faire Warnung. Du bringst ihn in Gefahr, wenn du hier bleibst."

"Du drohst mir, Zach? Wenn du mich nicht haben kannst, dann kann es niemand, was?" fragte sie sarkastisch und wünscht sich, Mulder würde jeden Moment zurück kommen. Wenn Zach gewaltsam ins Haus eindringen würde, würde sie sich nicht wehren können außer mit reiner Körperkraft - und er könnte sie leicht übermannen.

Abrupt ließ er ihren Arm los. "Ganz genau", erwiderte er schmeichelnd.  "Also, wenn du ihn in Zukunft nicht im Leichenschauhaus besuchen willst...."

"Du kommst jetzt nicht mehr an sein Geld ran", informierte sie ihn. "Ich bin nicht mehr seine Erbin und du nicht mehr mein Mann. Es ist vorbei, Zach."

Er lachte. "Oh, es geht nicht mehr ums Geld, Dana. Es ging schon seit langem nicht mehr ums Geld. Es geht um das, was mir gehört. Du gehörst mir.  Du wirst immer mir gehören. Keine Unterschrift irgendeines Richters oder irgendein Wisch können das ändern." Plötzlich drückte er ihr einen brauen Umschlag in die Hand, den sie überrascht anstarrte. "Ich werde diese Bude hier beobachten", sagte er mit eisiger Stimme, seine Augen wie grauer Stahl. "Wenn du bis morgen nicht hier raus bist, dann.... nun, wäre es nicht tragisch, wenn ihm ein Unfall zustoßen würde, gerade wenn ihr zusammen ein neues Leben beginnen wollt?"

Er war verschwunden, bevor sie sich fassen und etwas entgegnen konnte.  Scully schloss die Tür und schloss sie mit zitternden Fingern ab. Ihre Knie wurden plötzlich weich und sie sank auf den Teppich, ihrer gesamter Energie beraubt. Der Umschlag rutschte ihr beinahe aus den Fingern, und sie klammerte ihn fest. Was plante Zach? Was immer der Umschlag auch enthielt, es war etwas, das seine Warnung unterstrich.

Sie riss ihn auf und wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ein Stapel Fotos heraus fiel. Mit zitternden Händen hob sie sie vom Boden auf. Eiskalter Schrecken kroch in ihr hoch.

Bilder von Mulder. Wie er das Büro der Therapeutin betrat, wie er aus der Bank herauskam, wie er Emmie im Kindergarten abliefert, beim Joggen—ohne Begleitung, immer alleine. Offen und ungeschützt. Sie sah die Bilder rasch durch. Nebenbei fiel ihr auf, dass sie während der ganzen Zeit gemacht worden sind, in der sie bei Mulder gewohnt hatte, bis sie das letzte Foto fand. Zu Tode erschrocken klammerte Scully daran, ihre Augen zusammengekniffen, als ein leises Stöhnen ihr entfuhr.

Letzten Montag. Wie er in seiner eigenen Auffahrt Basketball spielte. Sie hatte am Fenster gestanden und Mulder zur selben Zeit beobachtet, zu der Zach irgendwo ganz in der Nähe gestanden und das Foto gemacht hatte—und sie hatte es nicht einmal geahnt. Er konnte unbemerkt ganz nah herankommen, nah genug um zu schießen. Um ihn umzubringen. Und er würde es tun. Großer Gott, ja, sie wusste, dass er dazu imstande war—hatte er es nicht schon zwei oder drei Mal versucht? Dieses Mal würde er vorsichtiger sein, gerissener. Dieses Mal würde er vielleicht erfolgreich sein.

Sie wusste, dass sie die Polizei rufen sollte, dass sie das melden sollte, aber die Gewissheit, dass man ihr wahrscheinlich nicht glauben würde, machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie war eine misshandelte Frau, die die Anklage gegen ihren Mann zurückgenommen hatte. Sie hatte Null Glaubwürdigkeit. Wenn sie sie jetzt anrufen würde, würde man sie für eine verbitterte Ex-Frau halten, die Rache suchte. Das war nicht der Ruf, den sie sich wünschte, aber es war einer, der ihr auferlegt worden war, ob verdient oder nicht. Die Schläge der Realität, dachte sie grimmig. Heftige Schläge.

Ihr nächster Gedanke war, Mulder anzurufen, oder sogar Skinner, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger schien ihr das als Lösung.  Skinner würde nur durch offizielle Kanäle gehen können, die zur Polizei zurückführten. Mulder würde deswegen nicht nur rebellieren, er würde Todesangst haben. Wenn sie Mulder erzählen würde, dass Zach nach seinem Leben trachtete, würde er entweder zusammenbrechen oder die Gefahr völlig ignorieren, das hing davon ab, wie seine Sitzung mit Dr. Coslow gelaufen war. Zerknirscht erkannte sie, dass sie in der Falle saßen. Bis Zach tatsächlich versuchte, Mulder Schaden zuzufügen, konnten sie nichts tun.

Schweren Herzens kam Scully auf die Füße und ging, um sich hinzulegen.  Jetzt war es unmöglich zu schlafen, aber sie musste viel nachdenken. Sie musste sich bis morgen entscheiden. Zu hoffen, dass Zach bluffte oder Mulder aufgeben. Sie drehte und wendete das Problem stundenlang, und fiel dann in einen unruhigen Schlaf. Sie bemerkte nur vage, dass Mulder irgendwann zurück kam, ihre Tür öffnete und leise schloss, um sie nicht zu stören. Sie lag ruhig da; es schien ihr besser ihn glauben zu lassen, dass sie schlief. Es machte ihre Entscheidung, die sie langsam zu treffen begann, einfacher, wenn sie ihm nicht gegenübertreten musste.

 
 

Mulder schlief tief und fest auf seinem Rücken, Arme zu beiden Seiten auf dem Bett ausgestreckt. Seine nackte Brust hob und senkte sich rhythmisch mit seinen Atemzügen, und als Scully ihn beobachtete, merkte sie, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet. Sie riss sich zusammen und näherte sich dem Bett.

Sie hatte sich endlich entschieden. Sie musste fort. So lange sie und Mulder zusammen waren, würde er immer in Gefahr sein. Niemand konnte ihn für immer von ihrem Ex-Mann beschützen, und Mulder würde nicht leben können, wenn er ständig über seine Schulter schauen müsste. Es war eines der Dinge, von denen er ihr erzählte hatte, dass er sie an seiner Freiheit mochte—die Gewissheit, dass nicht jeder, den er traf, eine Gefahr für ihn darstellte.

Sie hatte viele Tränen vergossen an dem Abend, als sie in ihrem Bett gelegen hatte und immer noch vorgegeben hatte zu schlafen, als er zur Abendessenzeit nach ihr sah. Sie wusste, dass er mit ihr reden wollte, doch sobald sie ihm von ihrem Vorhaben erzählte, würde es nichts mehr zu bereden geben. Scully wusste, dass wenn sie ihn ließe, er es schaffen würde, sie davon abzubringen, und dabei war sie doch entschlossen. Andererseits hatte sie sich Mulder praktisch versprochen, wenn die Scheidung durch war und ihnen nichts mehr im Weg stand. Sie wusste, dass Mulder erwartete, ihre Beziehung intimer werden zu lassen, und sie musste lächeln, als sie sich erinnerte, wie zuvorkommend er gewesen war, als er ihr alle Zeit versprochen hatte, die sie brauchte. Jetzt blieb ihnen nur noch heute Abend, und sie wollte so viel wie möglich daraus machen. Sie wollte ihn. Oh großer Gott, sie wollte ihn so sehr. Leise stieg sie aus dem Bett und ging zu ihm.

Sie zog ihr Nachthemd aus und legte sich neben ihn ins Bett. Ihr warmer, nackter Körper kuschelte sich an seinen, und er zog sie im Schlaf näher an sich. Scully drehte sich zu ihm um und begann, leichte Küsse über seine Brust zu verteilen und die Haare zwischen seinen Brustwarzen zu küssen.

"Scully?" nuschelte Mulder im Halbschlaf.

"Ja, Mulder", flüsterte sie und ließ ihre Lippen zu seinen gleiten.

Er strich mit seiner linken Hand ihren Rücken hinauf und verflocht sich in ihren Haaren, hielt sie nah bei sich, während seine Rechte leicht ihren Po umfasste. Er war jetzt wach. Noch ein bisschen schlaftrunken, aber sich dessen gewahr, dass sein größter Traum jetzt in Erfüllung gehen würde, wenn auch unerwartet. Ihre Lippen erkundeten jeden Zentimeter seines Gesichtes und seines Halses. Schon bald war er vollkommen erregt und stieß gegen sie mit langsamen, gleichmäßigen Bewegungen.

Ihre Münder trafen wieder sich mit Intensität, ihre Zungen wanden und unterwarfen sich, und sie gaben sich vollkommen ihren Gefühlen hin.

 
 

Als Mulder am nächsten Morgen aufwachte, war er allein.

Er schlug die Augen auf und suchte nach Scully, aber sie lag nicht neben ihm. Er tastete auf dem großen Bett herum, doch er fand keinen warmen Köper. Er saß auf und sah sich im Zimmer um. Das einzige Anzeichen, dass sie in der Nacht da gewesen war, war die Tatsache, dass er nackt war und er vorher Shorts getragen hatte, und seine durch die ungewohnten Anstrengungen leicht beanspruchten Muskeln.

Mulder kletterte aus dem Bett und schlüpfte in die Shorts, die während der Nacht irgendwann auf dem Boden gelandet waren, und tappte durch den Flur in ihr Zimmer. Sie muss zum Schlafen wieder in ihr Zimmer gegangen sein, überlegte er, doch als er die Tür öffnete, raubte ihm der Anblick, der sich ihm bot, fast den Atem.

Sie war fort.

Hastig durchsuchte er das Zimmer. Alles, war ihr gehörte, war weg. Ihre Kleider, ihre Badezimmerutensilien, sogar die Bilder ihrer Familie standen nicht mehr an ihrem Platz. Mulder knallte eine Schublade zu und wirbelte bestürzt herum. Sie würde doch nach so einer Nacht nicht einfach abhauen?  Jetzt gab es für sie keinen Grund mehr, sich zu verstecken, wo sie Zachary los war.

Rasch sah er auf die Uhr und merkte mit verzweifelter Erleichterung, dass er verschlafen hatte. Scully würde schon auf der Arbeit sein. Er ging zurück in sein Schlafzimmer und zog sich eine Jogginghose an, bevor er zum Telefonhörer griff. Wenn er etwas an hatte, kam er sich nicht vor wie auf einem Präsentierteller, und sein Anflug von Angst wich ein wenig, als er ihre Nummer wählte.

"Dana Scully, bitte", sagte er mechanisch zu der Frau, die das Gespräch entgegennahm.

"Es tut mir Leid, Sir, aber Dr. Scully ist heute nicht im Hause."

"Sie ist nicht zur Arbeit erschienen?" fragte er und spürte das Kitzeln wieder. "Hat sie sich krank gemeldet?"

"Nein, Sir, Dr. Scully hat sich zwei Wochen Urlaub genommen. Kann ich Ihnen sonst irgendwie weiterhelfen?"

"Urlaub?" wiederholte er blöd. "Wann hat sie den Urlaub eingereicht?"

"Vor ein paar Wochen, glaube ich", informierte ihn die Sekretärin frostig.  "Das ist wirklich nicht meine Angelegenheit. Kann ich Sie mit jemandem verbinden...."

"Nein. Vielen Dank", sagte er abrupt, legte das Telefon auf den Nachttisch und kämpfte mit der beginnenden Panik. Sie hatte erwähnte, dass sie Urlaub nehmen würde. Vielleicht wollte sie ihn überraschen. Aber wenn das der Fall war, wo war sie dann? Wo waren all ihre Sachen? Er zwang sich zur Ruhe und wählte auswendig eine weitere Nummer.

"Mrs. Scully", sagte er, als sie sich verschlafen meldete.

"Fox?"

"Ja, ich bin's. Dana—ist sie bei Ihnen?" sprudelte es aus ihm heraus in einem Ton, der ein wenig der Panik, in der er war, heraushob. Maggie Scully schloss kurz die Augen und betete für die Kraft, die sie brauchen würde.

"Sie ist nicht hier, Fox", sagte sie sanft. "Sie hat die Stadt verlassen."

Benommen klammerte er den Hörer, ihre Worte durchdrangen kaum den Nebel, der ihn umgab.

"Wo? Wohin ist sie gegangen?" brachte er heraus.

Er hörte sie schwer seufzen. "Sie ist sehr früh heute morgen zu mir gekommen, um mir zu sagen, wo sie hingeht. Sie hat mich gebeten, es Ihnen nicht zu sagen. Sie wusste, dass Sie mich anrufen würden, wenn Sie sie suchen und sie sagte.... Fox, sie braucht einfach ein bisschen Zeit für sich."

Zeit für sich? Heißt das, sie war gegangen, um über ihrer beider Zukunft nachzudenken? Überlegte sie etwa, ihre Beziehung zu beenden, wo sie doch gar nicht richtig begonnen hatte?

"Mrs. Scully, bitte, können Sie mir nicht sagen, wo sie ist? Ich muss dringend mit ihr sprechen."

"Ich kann nicht, Fox. Ich habe es ihr versprochen. So viel Sie mir bedeuten, ich würde ein Versprechen zu meiner Tochter nie brechen." Die Festigkeit in ihrer Stimme drang zu ihm durch, und er wusste, dass weiteres Betteln sinnlos wäre. Es war offensichtlich, woher Scully ihren Dickkopf hatte.

"Können Sie mir denn sagen, wann sie wieder zurückkommt?" fragte er endlich, und der Schmerz in seiner Stimme war so deutlich, dass sie ihn auch spüren konnte.

Sie seufzte abermals, doch gab keine Antwort, und nach einem Moment legte er langsam auf. Scully war wieder vor ihm weggelaufen, dieses Mal ohne jegliche Erklärung, und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was falsch gelaufen war. Was hatte er getan, um sie zu vertreiben? Sie war die Nacht zuvor zu ihm gekommen, es war also nicht so, dass er sie dazu gezwungen hätte. Nach allem, was sie zusammen durchgestanden haben, jetzt, wo sie endlich eine Chance hatten, warum würde sie weggehen wollen?

Verärgert erkannte Mulder die gewohnten Anzeichen einer Panikattacke Er hatte schon seit Wochen keine mehr gehabt, doch diese kam mit einer solchen Wucht, und wenn er nicht sofort etwas unternehmen würde, hätte er ein großes Problem. Blitzartig riss er den Hörer wieder an sich und hämmerte eine Nummer ein, die er in die Schnellwahl einprogrammiert hatte. Wenn ihm jemand helfen konnte, dann....

"Ja, könnte ich bitte Walter Skinner sprechen?" fragte er, als jemand dran ging. Er zwang sich zur ruhigen Atmung und war sich den Messerstichen gewahr, die ihn von allen Seiten befielen.

"Skinner", tönte die barsche Stimme am anderen Ende der Leitung. Mulder hielt mit aller Hoffnung daran fest.

"Walter", sagte er in einem Ton, der fast ein Keuchen war. "Sie müssen mir helfen."

 
 

Ende TEIL Vier

 
 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 5/9

 

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>

 
 

Bestürzt klingelte Walter Skinner bei Mulder. Er hatte keine Ahnung, was im Haus vorging. Mulder war zusammenhanglos am Telefon gewesen, und Walter hatte ihm gesagt, er solle bleiben, wo er war, und nicht einen Finger rühren, bis er da sei. Er hatte sich überstürzt bei seiner Sekretärin entschuldigt und war innerhalb von zehn Minuten aus dem Hoover-Gebäude und hinterm Steuer so schnell unterwegs, wie es nur irgend ging. Er hatte den Verdacht, dass es etwas mit Scully zu tun hatte—er wusste, dass die Scheidungsanhörung einen Tag zuvor gewesen war—aber Mulder hatte ihm nichts sagen können, das irgendeinen Sinn machte.

Nachdem er fünf Minuten draußen gestanden, aber niemand geöffnet hatte, fischte Skinner seinen Schlüssel aus der Hosentasche, die ihm Mulder glücklicherweise für alle Fälle gegeben hatte. Wenn er so darüber nachdachte, kam Skinner zu dem Schluss, dass sich Mulder überraschend kooperativ verhalten hatte seit seiner Rückkehr ins wirkliche Leben. Das Gefängnis hatte offensichtlich wenigstens einen positiven Effekt auf ihn gehabt.

"Ich bin hier."

Er folgte dem Ruf durch den Flur ins große Schlafzimmer und ließ erleichtert die Luft aus den Lungen, als er Mulder lebend und anscheinend gesund vorfand. Er betrachtete ihn geschwind und stellte fest, dass er nicht in unmittelbarer physischer Gefahr war.

"Mulder, was ist passiert?" fragte er und kniete sich neben den Mann, der zusammengerollt auf dem Boden lag. Mulder hatte nur eine Jogginghose an, und als Skinner ihn näher besah, merkte er, dass er zitterte. "Kommen Sie", sagte er und zog Mulder am Arm vorsichtig hoch. "Stehen Sie erst einmal auf."

Mulder ließ sich von Skinner auf die Füße ziehen und protestierte nicht, als er ihn aufs Bett setzte und eine Decke um seine nackten Schultern zog, damit ihm warm würde. Er saß da mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen und wippte langsam vor und zurück, während sein Gehirn die schreckliche Wahrheit zu verarbeiten versuchte—er hatte sie wieder verloren.

"Mulder", wiederholte Skinner, nahm in an den Schultern und zwang ihn, damit aufzuhören. "Sagen Sie mir, was hier passiert ist."

"Ich habe sie verloren", flüsterte Mulder dann. "Sie ist weg."

"Scully?"

Mulder nickte kläglich.

"Was meinen Sie damit, Sie haben sie 'verloren'?" fragte er. "Hat das irgend etwas mit ihrem Ex-Mann zu tun?"

"Ich habe sie verloren." Zutiefst traurig wiederholte er die Worte, und Skinner lief es kalt den Rücken herunter beim Klang der Einsamkeit in seiner Stimme. Das war ein schlechtes Zeichen. Er blickte sich mit seinem trainierten Ermittlerblick um und versuchte, die Situation zu erfassen. Er nahm von dem Zustand des Bettes an, dass die beiden eine Nacht voller Leidenschaft hinter sich hatten und seine Lippen verzogen sich zu einer dünnen Linie bei dem Gedanken, dass Scully danach abgehauen war.

"Mulder, Sie müssen mir hier weiterhelfen. Hat jemand Scully entführt?  Sollten wir die Polizei rufen?" Er musste sich erst einmal ein Bild über die Lage machen, bevor er irgend etwas tat, doch in diesem Punkt vermutete Skinner kein faules Spiel in Scullys plötzlicher Abwesenheit.

Er nahm Mulders Gesicht in seine Hände und zwang den jüngeren Mann ihn anzusehen. "Hat sie jemand entführt?" wiederholte er langsamer und sah ihn durchdringend an.

Mulder sah zu Tode erschrocken aus, als ob er Zeuge von etwas geworden war, das nicht für seine Augen bestimmt war. Schließlich fokussierten sich seine geweiteten Pupillen und er schüttelte kurz den Kopf. "Nein", sagte er mit gebrochener Stimme.

Er zitterte jetzt stärker und Skinner drängte ihn, sich hinzulegen, bis er mit dem Kopf auf dem Kopfkissen lag. Er hob Mulders Beine an, um die Decke darunter über ihn zu legen, die er ihm bis zum Kinn hochzog. Er fürchtet, dass Mulder unter einem Schock litt und Skinner wusste nicht so recht, wie er sich in einer solchen Situation verhalten sollte. Mulder würde ihm in seinem Zustand nicht weiterhelfen können, also hob er das Telefon auf, das neben dem Bett auf dem Boden lag. Mulder hatte es offenbar fallengelassen, als er sich auf dem Boden zusammengerollt hatte. Vielleicht würde Scullys Mutter einige Antworten für ihn haben.

Skinner kramte eine kleine Karte aus seinem Portemonnaie, suchte die Nummer und wählte. Er sah zu Mulder, wie er blass wie ein Geist völlig regungslos da lag, und beschloss dieses Gespräch besser nicht in seiner Gegenwart zu führen.

"Ich komme sofort zurück, Mulder", sagte er sanft und zog sich zurück.

Mulder gab keinerlei Anzeichen ihn gehört zu haben.

"Mrs. Scully? Walter Skinner", sagte er, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. "Was? Ja, es geht um Dana. Wissen Sie, wo sie... Sie hat was???" Er hörte ihr verblüfft zu, als Maggie ihm erklärte, dass ja, ihre Tochter hatte Fox Mulder wieder verlassen. Skinner schluckte seinen Ärger herunter, dankte ihr brüsk und legte auf. Es war nicht Mrs. Scullys Schuld, dass ihre Tochter Mulder zum Narren gehalten hatte, aber die Tatsache, dass sie wusste, wo Dana war und sich weigerte, ihm diese Information zu geben, machte ihn sauer. Er machte die Tür zum Schlafzimmer wieder auf. Mulder hatte sich nicht gerührt. Skinner schloss die Tür wieder und wählte eine weitere Nummer in der Hoffnung, dass Mulders Therapeutin ihm sagen könnte, was er mit ihm machen sollte.

"Ich möchte bitte mir Dr. Coslow sprechen, es ist ein Notfall", sagte er der Sekretärin, die seinen Anruf entgegennahm. "Hier spricht Walter Skinner, und es geht um einen Patienten von ihr, Fox Mulder."

Er wurde in Rekordzeit zu Dr. Coslow durchgestellt, und nachdem er ihr erklärte, was er über den Zustand, in dem Mulder sich befand wusste, wartete er geduldig auf Instruktionen. Skinner verhielt sich ruhig unter Druck, wenn er keinen Grund hatte, in Panik zu geraten, aber Mulders Reaktion—oder eher Reaktionslosigkeit—erschreckte ihn gehörig.

"Ich glaube, es ist besser, wenn Sie ihn her bringen", riet ihm Jess Coslow. "Ich lasse meine Sekretärin meine Termine verschieben, so dass ich mich umgehend um ihn kümmern kann. Er muss vielleicht für einen oder zwei Tage ins Krankenhaus."

"Damit wird er aber nicht einverstanden sein", entgegnete Skinner.

"Walter, er wird keine Wahl haben. Bringen Sie ihn her und lassen Sie mich sehen, was ich tun kann."

Skinner drückte den 'Sprechen'-Knopf, um das Gespräch zu beenden und ging zurück zu Mulder, der immer noch regungslos im Bett lag.

"Mulder?" fragte er leise und fragte sich, ob er eingeschlafen war. Doch Mulder öffnete bei der Frage die Augen einen spaltbreit.

"Dr. Coslow möchte Sie sehen. Sie müssen sich anziehen", sagt er, legte seine Hand hinter Mulders Schultern und hob ihn langsam hoch in eine sitzende Position. Mulder ließ es mit sich machen und saß auf dem Rand des Bettes, während Walter ein T-Shirt aus seinem Schrank holte und in den Schubladen nach Socken kramte.

Am Ende zog Skinner Mulder praktisch an, zog ihm das Shirt über den Kopf, führte seine Arme durch die Ärmel, und zog ihm dann Socken und Schuhe an, als Mulder einfach nur da saß und keine Anstalten machte, es selbst zu tun.  Als das erledigt war, ging Skinner wieder zum Schrank und hob eine leere Sporttasche vom Boden auf. Rasch packte er ein paar von Mulders Sachen hinein und fügte noch Toilettenutensilien aus dem Badezimmer hinzu. Nie im Leben würde er Mulder nach all dem alleine lassen, und wenn er bis heute Abend nicht ins Krankenhaus musste, würde er ihn mit zu sich nehmen.

Mulder schwieg und bewegte sich nicht, sein Blick auf den Boden gerichtet, während Skinner seine Sachen zusammensuchte, und als Skinner schließlich die Tasche vor ihm auf dem Boden stellte, hob er seinen Blick und sah aus, als sei er überrascht, den anderen in seinem Schlafzimmer vorzufinden.

"Sir?" fragte Mulder deutlich verwirrt.

"Ich bringe Sie zu Dr. Coslow, und danach bringe ich Sie zu mir nach Hause", antwortete Skinner entschlossen. "Sie wird Sie ins Krankenhaus einliefern wollen, fürchte ich, aber ich habe mir schon gedacht, dass Sie damit nicht einverstanden sind."

"Es geht mir gut", murmelte Mulder und zog sich hoch, um aufzustehen.

"Es geht ihnen nicht 'gut', es ging Ihnen selten schlechter, und lügen Sie mich nicht an", fauchte Skinner. Mulder zuckte sichtbar zusammen. Skinner milderte seinen Ton etwas. "Ich mache mir Sorgen um Sie, Mulder, und ich lasse Sie in diesem Zustand nicht alleine."

Mulder nickte zögerlich und ließ sich von Skinner durchs Haus und in seinen Wagen führen. Er saß sogar völlig passiv und mit geschlossenen Augen da, als Skinner ihn wie ein kleines Kind anschnallte, zurückgelehnt, als ob der kurze Gang ihn das letzte Bisschen Energie gekostet hätte. Sie wechselten nicht ein Wort während der Fahrt zu Dr. Coslows Büro. Als sie ankamen, musste Skinner ihn wieder abschnallen, ihn aus dem Wagen ziehen und ins das Gebäude schieben, wo die Empfangsdame sie sogleich zum Büro der Therapeutin durchwinkte.

Skinner setzte Mulder auf das eine Ende der Couch und nahm daneben auf einem Stuhl platz, während Dr. Coslow sich auf dem Sofa neben Mulder niederließ.

"Was ist passiert?" fragte sie Mulder, doch der gab keine Antwort. Er schloss die Augen und senkte den Kopf in völliger Erschütterung. Sie blickte mit einer erhobenen Augenbraue zu Skinner, der mit den Schultern zuckte.

"Ich habe Ihnen am Telefon alles gesagt, was ich weiß", sagte er. "Mulder hat keine drei Worte gesagt, seit ich bei ihm angekommen bin."

"Ich habe sie verloren."

Die geflüsterten Worte echoten im ganzen Raum, sie sprachen Bände in ihrer Einfachheit.

"Wen haben Sie verloren, Mulder?" fragte Dr. Coslow sanft.

"Scully."

"Wie haben Sie sie verloren?"

Mulder sah sie verdattert an. "Sie ist weg", sagte er, als ob das alles erklären würde.

Dr. Coslow seufzte. Es würde eine lange Sitzung werden.

"Möchten Sie, dass ich draußen warte?" fragte Skinner, weil er merkte, dass er bei der Therapeutin ein wenig unverkrampfter war.

"Das wäre vielleicht eine gute Idee, wenn es Mulder recht ist", erwiderte sie und sah Mulders leichtes, zufriedenes Nicken. Er war wohl doch nicht so weit weg, wie sie anfangs befürchtet hatte. "Ich kann nicht sagen, wie lange wir brauchen werden, um dem hier auf den Grund zu gehen."

Doch letztendlich hatte es nicht allzu lange gedauert. Keine zwei Stunden später öffnete sich die Tür und ein Mulder erschien, der wenigstens alleine gehen konnte. Sein Gesicht trug entsprechende Spuren, doch er sah nicht mehr aus wie jemand, der den Bezug zur Realität verloren hatte. In der rechten Hand hielt er einen Styroporbecher mit Kaffee, den er in einem Zug austrank und den Becher in einen Mülleimer warf, bevor er zu Skinner herübe ging.

"Sie hatten Recht, sie wollte mich wieder ins Krankenhaus stecken", sagte er gedämpft. "Ich habe ihr gesagt, dass ich stattdessen zu Ihnen fahre. Ist das in Ordnung?"

Skinner stand auf und griff nach seinem Mantel. "Natürlich, Mulder", sagte er. "Ich hatte nicht vor, Sie irgendwo anders hingehen zu lassen."

Mulder lächelte beinahe bei der chefähnlichen Freundlichkeit seines früheren Vorgesetzten. Er konnte immer auf Skinner zählen, er würde ihn in Krisensituationen nie alleine lassen. Leider war Skinner der Einzige, auf den er sich bedingungslos verlassen konnte. Die Schützen waren seine Freunde, aber sie hatten ihre Grenzen, und Scully.... Er biss kräftig die Zähne zusammen. Scully war wie es im Moment aussah für immer aus seinem Leben verschwunden. Er konnte ihr nicht länger vertrauen.

Innerhalb einer Stunde war Mulder wieder in seinem alten Schlafzimmer in Skinners Wohnung eingerichtet. Es war spärlicher eingerichtet als vorher, weil seine persönlichen Sachen jetzt in seinem Haus waren, aber es war immer noch gemütlich und vertraut. Mulder setzte seine Tasche auf dem Boden ab und ging zurück zu Skinner ins Wohnzimmer. Das Letzte, war er im Moment wollte war allein sein.

Skinner sah auf, als er durch die Tür kam. "Sie sehen ein wenig besser aus", bemerkte er und legte die Zeitung beiseite, in der er geblättert hatte.

Mulder bedeutete ihm, doch weiterzulesen. "Lassen Sie sich von mir nicht stören", sagte er mit gesenktem Blick, und Skinner fühlte sich an den Mulder erinnert, den er damals an seinem ersten Tag in der Freiheit vom Gefängnis nach Hause gebracht hatte. Demütig, bescheiden, ängstlich zur Last zu fallen. Im Stillen verfluchte er Scully und wünschte, Mulder würde sich schnell von diesem Rückschlag erholen.

"Sie stören mich nicht", gab er zurück und bot Mulder mit einer Handbewegung einen Sessel an. Als sich Mulder gehorsam gesetzt hatte, fragte er, "Möchten Sie mir nicht erzählen, um was es eigentlich geht?"

Mulder seufzte und rieb seine Hände über sein Gesicht. Er sagte so lange nichts, dass Skinner schon annahm, er würde keine Antwort bekommen.

"Sie hat mich verlassen", murmelte er schließlich gedämpft durch seine Hände.

Skinner schwieg für einen Moment, um seine Worte zu verdauen. Mulder hatte Scully großzügig eine Unterkunft in seinem Haus gewährt, als sie nicht zu ihrer Mutter wollte und nirgendwo anders hin konnte, und Scully schien sich über seine Gesellschaft gefreut zu haben. Die Beiden waren in den letzten zwei Monaten gut miteinander ausgekommen, wie in alten Zeiten. Die kleinen Streits, die Auseinandersetzungen—Skinner war erfreut darüber gewesen, dass sie wieder locker miteinander umgehen konnten. Es war ebenfalls offensichtlich gewesen, dass sie immer noch starke Gefühle füreinander hegten. Mulder machte streng nach seiner 'Keine Lügen mehr'-Einstellung kein Geheimnis aus der Tatsache, dass er Scully liebte, doch Scully war, wie gewöhnlich, viel reservierter gewesen. Jetzt fragte sich Skinner, was genau sie für Mulder empfand.

"Haben Sie sich gestritten?" Irgendwie nahm Skinner an, dass das nicht der Grund war, aber die Frage schien auf der Hand zu liegen. Er konnte genauso gut alle Möglichkeiten erst einmal ausschöpfen.

Mulder schüttelte den Kopf, ließ seine Hände fallen und starrte wieder auf den Boden.

"Wollten Sie mir sagen, was passiert ist?" bot Skinner ruhig an. Er wollte Mulder nicht unter Druck setzen, doch es wäre sehr förderlich für seine Genesung, wenn Skinner wusste, mit was er es zu tun hatte.

Mulder blickte verwirrt, als ob er angestrengt nachdachte. "Ich weiß es nicht genau", antwortete er schließlich. "Jess hat mich dasselbe gefragt, aber ich weiß einfach nicht...."

"Ich nehme an, dass sie Scheidung reibungslos gelaufen ist?"

"Ja."

"Und danach, was haben Sie danach gemacht?"

Mulder wurde rot. "Walter, fragen Sie mich, ob wir...?"

"Ich frage Sie, was Sie danach gemacht haben, Mulder", unterbrach ihn Skinner ernst. "Haben Sie gefeiert, haben Sie irgendwo Mittag gegessen, nach Hause gegangen und haben einen ruhigen Nachmittag verbracht... was?"

"Ich bin zu meiner regulären Sitzung mit Jess gegangen, und Scully war zu Hause, um sich hinzulegen." Mulder war es etwas peinlich, dass er Skinners Frage missinterpretiert hatte, aber Skinner kümmerte sich nicht weiter drum.

"Und nachdem Sie von der Sitzung zurück gekommen sind?"

Der Jüngere seufzte ein wenig und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er blickte vom Boden jetzt zur Decke. "Sie hatte noch geschlafen. Sie hat sogar das Abendessen verschlafen. Ich bin dann um circa zehn ins Bett gegangen. Ich nehme an, sie war von all dem Stress der letzten Woche einfach erledigt."

"Und was ist dann passiert?" Skinner hasste es, wenn er die Informationen so aus Leuten herausquetschen musste, aber in diesem Fall wusste er, dass er es mit Mulder langsam angehen musste.

"Sie.... sie ist zu mir gekommen. Letzte Nacht. Nachdem ich eingeschlafen war." Wieder Verlegenheit.

Skinner ignorierte es. "Sie haben sich letzte Nacht geliebt, Mulder?"

Mulder nickte und kniff bei der Erinnerung die Augen zusammen. "Dann, als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, war sie...."

"War sie weg", beendete Skinner seinen Satz. Er konnte sehen, wie Tränen sich durch seine fest geschlossenen Augen bahnen wollten, und stand abrupt auf. Skinner flüchtete in die Küche, um Kaffee zu machen und Mulder ein wenig Zeit zu geben, sich wieder zu sammeln. Er hoffte, dass Mulder nicht wieder in diesen katatonsich-ähnlichen Zustand fallen würde, in dem er vorher war. Als er ein paar Minuten später zurückkam, war Mulder weg. Als er sich rasch umsah, entdeckte er ihn auf dem Balkon, wo er siebzehn Stockwerke herunter starrte.

"Mulder", rief er leise und betete, dass er wieder rein kommen würde. Er entspannte sich etwas, als Mulder sich umdrehte und er sein Gesicht sehen konnte. Es sah nicht aus wie das Gesicht eines Mannes, der im Begriff war zu springen.

Als ob er plötzlich merken würde, was Skinner wohl denken musste, trat Mulder mit einem schiefen Lächeln wieder zurück ins Wohnzimmer. "Keine Sorge, Walter, ich habe nicht vor, mich aus Verzweiflung von Ihrem Balkon zu stürzen", sagte er.

"Ich bin froh, das zu hören", erwiderte Skinner und spürte seinen rasenden Puls langsamer werden.

"Um ehrlich zu sein, habe ich es einen Moment lang in Erwägung gezogen, aber dann habe ich mich dagegen entschieden. Ich würde Ihnen das nicht antun."

"Gut, Mulder, denn ich bin mir nicht sicher, ob es meiner Karriere gut tun würde, wenn noch ein Mann von meinem Balkon aus in den Tod stürzt."

Zu seiner Verwunderung begann Mulder zu lachen. Kein volles Lachen, aber dennoch ein Lachen. Dankend nahm er die Tasse Kaffee, die Skinner ihm hinhielt und nippte vorsichtig daran.

"Ich werde mich wirklich nicht umbringen", versicherte er Skinner. "Nach allem, was ich durchmachen musste, würde jetzt von einem Balkon zu springen eher trivial sein. Ich meine, ich denke darüber nach, Walter", sprach er weiter, während Skinner zu seinem Sessel zurückkehrte und Mulder beobachtete, wie er langsam wie ein gefangner Tiger im Raum hin und her ging. "Ich habe die schlimmsten Entführungen, Torturen, Schießereien und kräftezehrendsten Enttäuschungen erlebt, und ich habe vier Jahre lang die Hölle im Gefängnis durchgemacht. Irgendwie verleiht mir das alles einen harten Panzer, wenn es darum geht, Scully zu verlieren."

Ein harter Panzer. Und das von einem Mann, der erst heute Morgen zusammengerollt wie ein Häufchen Elend in seinem eigenen Schlafzimmer gelegen hat, kaum dem, was um ihn herum geschah, gewahr. Skinner war kein Psychologe, aber für ihn stand fest, dass Mulder sich seine Gefühle nicht eingestehen konnte. Vielleicht eine Maßnahme zum Selbstschutz, grübelte er, während er stumm darauf wartete, dass Mulder fortfuhr.

Doch Mulder sagte nichts mehr. Er hielt plötzlich in seinem Tiger-Gang inne und drehte sich mit einem kleinen Lächeln zu Skinner um. "Sie glauben mir nicht, oder?"

Skinner stellte seine Tasse ab, bevor er antwortete, um etwas Zeit zu gewinnen, um Zeit zu gewinnen für seine Wortwahl. "Ich glaube, dass Scully Ihnen sehr viel bedeutet", sagte er vorsichtig, "und ich glaube, Sie versuchen einen Weg zu finden, damit umzugehen."

Mulder schüttelte langsam dem Kopf und begann wieder, durch das Zimmer zu wandern. "Nein. Das stimmt nicht. Sie bedeute mir nichts mehr. Vom heutigen Tag an ist sie für mich Geschichte."

"Selbst wenn sie zurück kommt?"

"Sie wird nicht zurück kommen", sagte Mulder sicher.

"Und was, wenn doch, Mulder? Was, wenn sie eine gute Erklärung hat?"

Mulder hielt an und starrte vor sich hin. Seine Emotionen gingen jetzt mit ihm durch. "Welche verdammte Erklärung kann sie schon haben?" rief er wütend. "Was für eine Situation konnte sie dazu gebracht haben, sich mitten in der Nacht herauszuschleichen und die Stadt zu verlassen? Nach dem, was sie getan hat—sie hat mich *benutzt*, Walter! Sie wollte mit mir in die Kiste, und sie hat die Gelegenheit beim Schopf gegriffen, als sie sich ihr bot. Dann hat sie sich einfach aus dem Staub gemacht. Ich habe ihr nie etwas bedeutet."

"Sie haben Unrecht", unterbrach ihn Skinner standhaft. "Sie haben ihr etwas bedeutet. Ich weiß nicht, wie sie jetzt fühlt, aber ich habe Ihnen schon mal erzählt, dass sie fast zerbrochen ist, als sie inhaftiert worden sind."

"*Ich* bin fast daran zerbrochen!"

"Und dann haben Sie sie aus ihrem Leben geworfen." Die Worte kamen nicht als Vorwurf heraus, sondern stellten einfach eine bloße Tatsache dar, doch Mulder wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht, als er es hörte.

"Glauben Sie—glauben Sie, dass sie sich dafür rächt?" Seine Stimme war erstickt, als ob er einen Kloß im Hals hätte.

"Es ist mir in den Sinn gekommen, ja", gab Skinner zu. "Aber das sähe ihr nicht ähnlich. Das wäre nicht die Scully, die wir kennen, wenn sie einfach auf ein bisschen Rache aus wäre. Außerdem hat sie Ihnen nie absichtlich weh getan, Mulder."

Mulder sagte für einige Zeit nichts. "Ich glaube, keiner von uns beiden kennt Scully noch, Walter", sagte er letztendlich mit zum ersten Mal geradewegs auf das Gesicht des anderen Mannes gerichteten Blick. "Ich glaube nicht, dass wir sie überhaupt kennen."

 
 

Skinner rief am nächsten Morgen im FBI-Büro an, um sich ein paar Tage frei zu nehmen. Er hatte an dem Abend, nachdem Mulder zu Bett gegangen war, ein Gespräch unter vier Augen mit Jess Coslow geführt, und sie hatte ihm versichert, dass Mulders Ruhe nichts als Fassade war.

"Er ist in einer Krise, Walter, und zwar in einer großen", erklärte sie ihm. "Früher oder später wird er nichts mehr vorspielen können und wenn er alleine ist, wenn das passiert, weiß ich nicht, was er anstellen könnte.  Ich wünschte, er wäre damit einverstanden gewesen, ein paar Tage im Krankenhaus zu verbringen."

"Ich werde bei ihm bleiben", versprach er ihr. "Er fühlt sich bei mir sowieso wohler. Er hat die Krankenschwestern zur Verzweiflung getrieben.  Ich kann mit ihm umgehen."

"Aber wenn er einen Zusammenbruch hat, können Sie damit auch umgehen?" fragte sie. "Er ist ein fest entschlossener Mann, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat."

"Ich kann auch fest entschlossen sein, Jess. Außerdem war ich mal sein Vorgesetzter und der Einschüchterungseffekt ist immer noch da. Ich komme mit Mulder klar."

Er hatte aufgelegt und sich gewünscht, er wäre so zuversichtlich wie er geklungen hatte. Er war sich nicht sicher, was er tun würde, wenn Mulder versuchen würde, sich etwas anzutun, aber er wusste, dass er es verhindern musste, wenn sich diese Situation ergab. Er würde es nicht zulassen, dass Mulder sich selbst opferte. Nicht nach allem, was er durchgemacht hatte.

Mulder verschlief am nächsten Morgen das Frühstück. Skinner beschloss nach ihm zu sehen, als ihm einfiel, dass Mulder keinen elektrischen Rasierapparat benutzte. Es würde zwar ein schwieriges Unterfangen sein, mit den gesicherten Klingen, die Mulder bevorzugte, seine Pulsadern aufzuschneiden, aber es war sicherlich nicht ein Ding der Unmöglichkeit. Mit klopfendem Herzen öffnete Skinner die Tür zum Schlafzimmer einen Spalt breit. Seine Erleichterung war erheblich, als Mulder verschlafen den Kopf hob und ihn ansah.

"Hab ich verpennt?" fragte Mulder, offensichtlich noch nicht ganz wach.

"Nein, das ist schon in Ordnung. Ich wollte nur mal nach Ihnen sehen."

Skinner begann, die Tür wieder zu schließen, aber Mulder hielt ihn auf.

"Walter, ich weiß, dass Sie sich Sorgen machen, aber das brauchen Sie nicht. Es geht mir gut."

Skinner schnaubte. "Sicher, Mulder. Wenn Sie jetzt aufstehen, kann ich Ihnen noch ein Frühstück warm machen."

"Nein, vielen Dank, ich bin nicht wirklich hungrig", nuschelte das Objekt seiner Besorgnis, und schwang sich aus dem Bett in Richtung Badezimmer.  Skinner schüttelte verärgert den Kopf und ging zurück zu seinem Sofa und Zeitung. Wann, fragte er sich, würde Mulder endlich zugeben, dass es ihm nicht 'gut' ging?

 

Mulders Fassade dauerte weitere anderthalb Tage an, und der Auslöser für seinen letztendlichen Zusammenbruch konnte etwas so einfaches sein, dass es niemand vorhersehen konnte. Skinner hatte seitdem er ihn bei sich hatte versucht, Mulder von potentiell gefährlichen Gesprächsthemen oder Situationen fernzuhalten, und ein Besuch am Grab seiner Mutter beruhigte Mulder normalerweise immer. Als Mulder gefragt hatte, ob er ihn zum Friedhof fahren könne (selbst zu fahren hatte ihm Walter klar und deutlich verboten), willigte Skinner ohne Umschweife ein. Aber in der Sekunde, in der Mulders Blick auf das Grab fielen, erkannte Skinner, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte, doch da war es schon zu spät. Mulder hatte sie auch gesehen.

Die Blumen—weiße Nelken. Blumen, die Scully immer zu Teena Mulders Ruhestätte brachte. Skinner trat zu Mulder und sah, dass sein Gesicht mindestens so weiß wie die Blüten war und seine Augen ins Leere blickten.  Er biss sich auf die Unterlippe, so fest, dass Skinner glaubte, er würde jeden Augenblick anfangen zu bluten.

"Kommen Sie, Mulder, lassen Sie uns zurück zum Auto gehen", sagte er mit fester Stimme, nahm Mulder beim Ellbogen und führte ihn zurück auf den Weg.  Mulder sah ein einziges Mal zurück zu den Blumen, dann resolut nach vorn.

"Es ist egal", murmelte er wieder und wieder zu sich selbst. "Es ist mir ganz egal."

Skinner war besorgt. Mulders Augen hatten wieder diesen Ausdruck eines gejagten Tieres angenommen, und er schien sich innerlich völlig abgeschottet zu haben. Er setzte Mulder ins Auto und schaffte sie beide so schnell es ging da weg.

Wieder in seiner Wohnung wollte er sich eigentlich um die Reparatur seiner alten Kaffeemaschine kümmern, doch er wollte Mulder nicht für eine Sekunde aus den Augen lassen. Mulder hatte sich auf der Couch zusammengerollt und starrte mit weiten Augen und leerem Blick aus dem Balkonfenster. Walter behagte Mulders Vorliebe für dieses Fenster überhaupt nicht, und überlegte ernsthaft, ob es etwas bringen würde, irgendein Schloss davor zu hängen. Höchstwahrscheinlich nicht, denn wenn Mulder da raus wollte, würde er einfach das Fenster zerschlagen. Er sah, wie Mulder anfing zu zittern und deckte ihn mit der Decke zu, die er gewöhnlich an kalten Winterabenden bei Basketballspielen benutzte.

"Sie war da, Walter", sagte Mulder plötzlich. "Sie ist da hin gegangen und hat Blumen auf das Grab meiner Mutter gelegt, aber sie hat sich nicht bei mir gemeldet. Ihre Mutter hat gesagt, dass sie die Stadt verlassen hat, und Maggie würde mich sicher nicht anlügen. Glauben Sie, dass sie die Stadt verlassen hat und all das? Vielleicht hat sie sich nur irgendwo in der Nähe verkrochen. Vielleicht ist sie wirklich einfach nur bei ihrer Mutter."

"Langsam, Mulder!" kommandierte Skinner und Mulder unterbrach seine frenetischen, fast wahnsinnigen Überlegungen.

"Sorry", nuschelte er und Skinner legte einen Moment freundlich seine Hand auf Mulders Schulter.

"Warum bringt Scully Blumen zu dem Grab Ihrer Mutter?" fragte er in der Hoffnung, die Krise, die so offensichtlich an der Oberfläche kratzte, nicht anzustacheln. Je eher sie diese Sache beredet hatten, desto besser für Mulder.

Die Spur eines Lächelns überflog Mulders Gesicht. "Ich habe sie einmal darum gebeten, und sie sagt, dass sie es tut, um Mom Respekt zu erweisen." Ein kleines Lachen. "Sie hat gedacht, dass Mom mich all die ganzen Jahre nicht geliebt hatte, in denen wir zusammen gearbeitet hatten, doch als ich ins Gefängnis musste, hat Scully gesagt, dass sie gemerkt hätte, wie viel ich meiner Mutter bedeutete."

"Die meisten Mütter lieben ihre Söhne, Mulder, selbst wenn sie nicht wissen, wie sie es ihnen zeigen sollen", bemerkte Skinner.

"Warum kann sie mich nicht lieben?" fragte Mulder wie ein kleines Kind.

Skinners einziger Gedanke war, 'da haben wir's wieder'.

"Wissen Sie, dass sie mir nie gesagt hat, dass sie mich liebt? Sie hat es auf so viele Arten angedeutet und hat es mich glauben lassen, aber sie hat es mir nicht ein einziges Mal gesagt."

"Haben Sie ihr gesagt, was Sie fühlen?" fragte Skinner. Es lag auf der Hand, wohin dieses Gespräch führen würde und die Tränen, die er erwartete, würden nicht mehr lange auf sich warten lassen.

"Ja, verdammt!" brauste Mulder auf. "Ich habe es ihr schon vor Jahren gesagt, vor Ewigkeiten, schon mein ganzes Leben lang! Wissen sie, was sie getan hat, Walter? Sie ist einfach weggegangen."

"Damals im Gefängnis?"

"Nein! Zwei Jahre vorher, nach dieser ganzen bescheuerten Bermuda-Sache, in die ich reingeraten war", erklärte Mulder wütend, und Skinner nickte verständnisvoll.

"Ich hab endlich den Nerv gefunden, es ihr zu sagen, und sie hat sich umgedreht und ist gegangen. Sie ist nie darauf zurück gekommen, und ich hatte Angst, es ihr noch einmal zu sagen, und sie...."

"Langsam, Mulder." Seine Worte waren sanft, beruhigend, doch Mulder schien sie nicht gehört zu haben.

".... hat sich einfach umgedreht und *ihn* geheiratet! Wenn sie es nur zur Kenntnis genommen hätte, Walter, wenn sie mir nur gesagt hätte, was sie fühlt.... Wenn Scully mich geliebt hat, wäre ich vielleicht zufrieden gewesen. Ich hätte vielleicht diese verdammte Suche nach der Wahrheit aufgegeben und wäre einfach für sie da gewesen. Vielleicht hätten wir uns ein gemeinsames Leben aufbauen und zusammen glücklich sein können, aber stattdessen sitze ich hier...."

Er hielt inne und beugte sich krampfartig nach vorne, als ob ihm die Luft ausgegangen sei. Jetzt kamen die Tränen. Nicht langsam und nacheinander, sondern alle auf einmal, als ob jemand den Wasserhahn voll aufgedreht hätte. Tiefstes, heftiges Schluchzen zerriss Mulders Körper, während er sich an der Decke festhielt, als ob sie die einzig stabile Sache in einer wahnsinnig gewordenen Welt wäre.

"Ich habe alles wegen ihr verloren", keuchte er zwischen den Schluchzern.  "Alles—mein ganzes Leben—nichts ist mehr übrig. Wie konnte ich ihr nur... wie konnte ich ihr nur vertrauen? Ich bin so lange hinter ihr her gerannt, Walter, *und sie hat mir nicht einmal gesagt, dass sie mich liebt!* Nicht EIN EINZIGES MAL!!"

Skinner ließ ihn weinen und wettern und aus Verzweiflung schreien und seine Wut über das auszulassen, was er durchmachen musste. Gott weiß, er hatte ein hartes Spiel zu spielen, mit niedrigen Karten und keinem einzigen Joker. Er war überrascht, dass Mulder überhaupt so lange in dem Spiel ausgehalten hatte.

"Ich hätte so viel anders machen können, wenn sie es mir nur gesagt hätte!  Sie hat mir nur benutzt, Walter, das ist alles. Ich war jemand, auf den sie sich verlassen konnte, wenn sie Hilfe brauchte, ich habe ihr immer zugehört, wenn sie Probleme hatte, und dann, bevor sie gegangen ist, war ich nur eine schnelle Nummer, die sie sich schon seit Jahren versprochen hatte, denke ich, aber sie hat mich nie geliebt! Und sie *wusste*, sie *WUSSTE* was ich für sie empfand, aber sie hat sich einen Dreck darum geschert! Warum kann sie mich nicht lieben? Warum bin ich ihr nicht gut genug? Was ist nur so schrecklich falsch an mir..."

Seine Worte verstummten nach diesem Ausbruch, weil der Schwall der Tränen und die Bemühungen zu atmen sie nicht mehr möglich machten. Fast eine Stunde saß Skinner da und sah Mulder zu, als sein Herz letztendlich brach.  Alles, was er je erleiden musste, endete in dieser einen Sache: Scully hatte Mulder nie gesagt, dass sie ihn liebt. Walter fragte sich grimmig, was sie damit vermeiden wollte. Die Wahrheit hatte so deutlich auf der Hand gelegen, doch bevor die Worte nicht gesprochen waren, bedeute es Mulder nichts.

Dann, endlich, hörte er auf zu weinen. Mulder war erschöpft und lag matt auf der Couch. Skinner zog und schob, bis er Mulder ordentlich hingelegt hatte und deckte ihn dann wieder richtig zu. Gerade, als er dachte, dass Mulder eingeschlafen war, hörte er geflüsterte Worte von Mulders Lippen. Er beugte sich näher zu ihm, dass er sie gerade mal verstehen konnte, und als er es tat, war er verwirrt.

"Das ist der Rest, Scully."

 
 

Scully starrte auf den Umschlag in ihren Händen. Sie musste ihn nicht einmal öffnen, sie wusste schon, was drin war. Noch mehr Bilder von Mulder, allein und allen Gefahren ausgesetzt. Seitdem sie gegangen war, erhielt sie jede Woche einen solchen Umschlag. Es war offenbar Zachs Art ihr zu zeigen, dass er sie immer noch beobachtete. Sie hatte versucht ihn anzurufen, hatte ihm sagen wollen, er solle Mulder in Ruhe lassen, jetzt, wo sie seinen Forderungen nachgegeben hatte, aber unter seiner Telefonnummer meldete sich nur eine Ansage, dass die Nummer nicht mehr vergeben war. Sie hatte für einen Moment sogar in Betracht gezogen, seine Eltern anzurufen, aber dann hatte sie sich doch dagegen entschieden—sie mussten wegen Zach schon genug durchmachen, und sie sah keinen Grund, sie da auch noch mit reinzuziehen. Sie würden ihr sowieso nicht weiterhelfen können.

In den letzten Tagen hatte sie mit dem Gedanken gespielt Skinner anzurufen, nur um ihn wissen zu lassen, was vor sich ging. Sie wusste auch, dass sie die Polizei informieren sollte, doch als sie an Mulders resolute Vehemenz, die Polizei nicht wegen Zachs Attacken auf ihn einzuschalten dachte, ließ sie es bleiben. Außerdem würden sie diesen Fall einfach als Belästigungsfall behandeln, was bedeutet, dass sie nichts tun können, solange Zach nicht wirklich irgendetwas Konkretes unternimmt. Und dann würde es zu spät sein. Bis jetzt, das war sicher, hatte Zach ihr nur die Fotos geschickt, um seine Drohung aufrecht zu erhalten. Wenn Mulder herausfinden würde, dass die Behörden Interesse zeigten, wäre er wahrscheinlich wirklich in Gefahr. Aus all diesen Gründen verhielt sie sich still, aber der Preis war hoch. Es machte ihr pausenlos zu schaffen und sie litt unter Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit und nur Zach war Schuld. Wenn er sie nur in Ruhe lassen würde—sie ein neues Leben anfangen lassen würde—würde sie damit umgehen können, selbst wenn Mulder nicht in ihrem Leben sein würde. Die andauernde Gewissheit, dass der Mann, den sie liebte, in ständiger Gefahr war, machte aus ihr jedoch ein Nervenbündel.

Plötzlich klopfte es völlig unerwartet an der Tür und Scully schreckte auf.  Niemand kam sie hier besuchen. Niemand. Rasch steckte sie den Umschlag in eine Schublade zu den anderen, die sie bekommen hatte, und sah dann durch den Spion an der Tür.

Bill. Was zur Hölle machte Bill hier? Ihr letztes Gespräch war nicht gerade freundschaftlich verlaufen. Bill hatte ihren Entschluss, Mulder zu verlassen begrüßt, und - um obendrauf noch Salz in die Wunde zu streuen - vorgeschlagen, ihrem Ex-Mann noch eine Chance zu geben.

"Noch eine Chance für was?" hatte sie ihn sarkastisch gefragt. "Mich umzubringen?" Er war absolut nicht auf ihre Seitenhiebe eingegangen.

Sie stand mit ihrer Hand für einen Moment am Türknauf und versuchte sich zu beruhigen, bevor sie öffnete. Wenn sie einen wütenden Bill oder Vorschläge, wie sie ihr Leben leben sollte erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. Bill schaute regelrecht zerknirscht drein.

"Darf ich reinkommen?" fragte er zögerlich nach einem Moment. Er wurde ihm unter Scullys Blick noch unbehaglicher, als ihm während der Warterei vor der Türe eh schon war. Er wollte überhaupt nicht her gekommen sein, aber das Drängen seiner Frau, Tara, sein eigenes Gewissen und der Wunsch mit seiner Schwester Frieden zu schließen, hatte ihn letztendlich zu dieser Tür geführt.

Scully starrte ihn noch einen Moment länger an, immer noch baff, dass er hier war, fing sich dann aber wieder. "Klar", sagte sie kurz angebunden und trat einen Schritt zurück, um ihn hereinzulassen.

Eine ganze Weile stand er unbeholfen im Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung, bevor sie ihm mitleidig einen Sessel anbot. Langsam ließ er seinen großen Körper darauf sinken.

"Dana, ich möchte...." setzte er an, hielt dann aber inne und schüttelte den Kopf. So konnte er nicht anfangen. Es ging nicht darum, was *er* wollte, sondern es ging um seine Schwester.

"Ich bin gekommen um dich um Entschuldigung zu bitten", endete er zögerlich.

"Für?" wollte sie wissen, unwillig ihm die Gefälligkeit von Gnade zu geben.  Er hatte ihr Leben in vielerlei Hinsicht zur Hölle gemacht, und sie war sich nicht sicher, ob sie ihm je vergeben könnte, die Kaution für Zach gezahlt zu haben, nachdem er sie zusammengeschlagen hatte.

"Für alles. Dafür, wie ich mit dir umgegangen bin. Ich weiß jetzt, dass ich kein Recht dazu hatte. Ich will dich immer noch nicht mit diesem Mulder zusammen sehen, aber ich bin froh, dass...."

"Weißt du, Bill", unterbrach ihn Scully kalt, "du hast eine unglaubliche Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, wenn du keine oder nur wenige Fakten über eine Situation kennst. Du hast beschlossen, Mulder nicht zu mögen, bevor du ihn überhaupt kennengelernt hast, und du hast ihm nie eine Chance gegeben. Er hat mir erzählt, was du ihm draußen im Krankenhausgang gesagt hast, als ihr euch getroffen habt, und ich war... Bill, ich habe mich für dich geschämt."

"Ich war nur wütend", sagte er zu seiner Verteidigung. "Es stand schlimm um dich, und ich war..."

"Es war alles seine Schuld? Das ist es, was du sagen wolltest, stimmt's?" Als er schuldbewusst errötete, beugte sie sich näher zu ihm und sagte eindringlich: "Sag mir, was du an ihm nicht magst, Bill. Ich möchte, dass du es in Worte fasst. Ich möchte es verstehen."

Er seufzte und sah sie nicht an. Wie konnte er etwas in Worte fassen, was einfach eine instinktive Ablehnung war? Er wusste nicht genau warum, aber von dem Moment an, als er durch ihrer Mutter von Mulder gehört hatte, von der Suche, auf der er sich befand, und die Einzelheiten erfuhr, wie Missy gestorben war, war er sich sicher gewesen, dass Mulder nichts Gutes bedeutete. Dass Dana letztendlich wegen ihrer Beziehung mit ihm leiden würde. Und wurde er in seiner Ansicht nicht immer und immer wieder bestätigt? Hatte sie nicht wegen ihren Gefühlen und ihrer Hingabe für ihn Himmel und Hölle durch gemacht?

"Wenn er nicht wäre, würdest du ein ganz normales Leben führen", begann er.  "Du hättest jemanden geheiratet, den du liebst, hättest Kinder, wärst glücklich."

"Wie kannst du dir da so sicher sein, Bill? Das Leben bietet keine Garantien. Jeder hat seine Sorgen."

"Du hattest mehr als genug."

Sie zuckte mit den Schultern. "Vielleicht, aber wer entscheidet schon darüber, was genug ist und was nicht? Du? Gott? Du hast mir immer noch nicht gesagt, was ich hören möchte. Behaupte nicht, dass du Mulder hasst, nur weil du daran denkst, was hätte sein können. Sag mir genau, was dich an ihm stört."

"Der Kerl ist verrückt, Dana!" explodierte er. Er hatte genug von dem ganzen Kram. Er mag vielleicht gekommen sein, um sich bei ihr zu entschuldigen, aber sie war immer noch seine kleine Schwester, verdammt, und sie sollte ihn achten. "Er glaubt an Aliens, um Himmels Willen!"

"Du willst also sagen," sagte sie ruhig, "dass du ihn nicht magst, weil er an etwas glaubt, an das du nicht glaubst. Es ist dir egal, dass er ein ehrenvoller Mann ist und nett und ein durch und durch aufrichtiger Mensch.  Du kannst mit ihm nichts anfangen, weil er nicht wie du denkt."

Er warf ihr einen ärgerlichen Blick zu und weigerte sich darauf zu antworten.

"Dann, Bill, glaube ich, dass ich dich auch nicht leiden kann", sprach sie weiter, und er zuckte, weil sie auf den katholischen Glauben anspielte, in dem sie erzogen worden waren. "Magst du mich folglich auch nicht?"

"Natürlich, Dana...."

"Dann akzeptiere mich so, wie ich bin, Bill. Versuche nicht, mich ändern zu wollen. Wenn ich einen Mann liebe, den du nicht akzeptieren kannst, dann halte dich wenigstens aus der Angelegenheit heraus. Ich habe deine Wahl im Punkto Ehemann versucht. Es hat nicht geklappt." Die Ironie in ihrem Worten erinnerte ihn daran, weswegen er gekommen war.

"Hör zu, ich hatte nicht vor, eine Diskussion über Mulder anzufangen", sagte er ratlos. "Ich bin gekommen, um mich für mein Benehmen bezüglich Zach zu entschuldigen. Ich hätte ihn nie aus dem Knast holen dürfen, aber Dana.... ich habe ihm geglaubt."

Sie setzte sich zurück und wartete, bis er fortfuhr.

"Ich weiß, ich war dumm, das zu tun, aber er war so lange mein Freund gewesen, und ich konnte nicht glauben, dass er dir jemals willentlich weh tun würde. Ich war drauf und dran, ihn in Stücke zu reißen, als ich ihn an jenem Morgen gesehen habe, wenn das hilft", fügte er mit einem kleinen Grinsen hinzu, und sie nickte.

"Ein wenig. Es kam mir vor, als ob du mich im Stich gelassen hättest."

"Das tut mir sehr leid. Ich möchte nur, dass du das weißt. Ich kann manchmal ein bisschen blind sein, aber ich liebe dich wirklich und möchte nur das Beste für dich. Ich war so von Zach eingenommen, dass ich die Wahrheit nicht gesehen habe."

"Und jetzt siehst du sie?" Er nickte. "Was hat deine Meinung geändert?" wollte sie wissen. Sie hatte niemandem etwas von Zachs Drohungen gegenüber Mulder erzählt. Es war ihr Geheimnis, eine Bürde, die nur sie tragen musste.

"Etwas, das er mir gesagt hat, hat mich zum Nachdenken gebracht.... Zach hatte mir damals schon etwas erzählt, aber ich habe ihm damals nicht geglaubt. Dana, es war so absurd, und du musst verstehen...."

"Was hat er gesagt?"

Er rieb sich mit einem Finger die Nasenbrücke. Das tat er immer, wenn er sich ärgerte. Es war eine Angewohnheit aus seiner Kindheit, und Dana lächelte.

"Er sagte, dass es ihm nicht mehr ums Geld gehen würde", antwortete er und wiederholte ohne es zu wissen Zachs exakten Wortlaut. "Was bedeutet, dass es ihm irgendwann ums Geld gegangen ist, aber Dana, ich schwöre, ich habe das nicht gewusst. Du und Mom habt versucht, es mir zu sagen, aber ich konnte es nicht glauben. Ich hab geglaubt, dass ihr zwei wegen Mulder so blind gewesen wart, dass ihr Zach nicht verstehen konntet. Jetzt sehe ich, dass ich der Blinde gewesen bin."

Scully wollte laut loslachen. Wenigstens, dachte sie, sieht mein großer Bruder klar, auch wenn es jetzt zu spät ist.

"Kannst du mir vergeben?" fragte er vorsichtig und hielt ihre Hand. "Ich möchte, dass wir wieder Freunde sind."

"Oh Bill, natürlich vergebe ich dir", sagte sie traurig. "Du bist mein Bruder, und ich liebe dich. Aber ich möchte, dass du aufhörst bestimmen zu wollen, was ich machen soll."

"Das werde ich, das verspreche ich. Das habe ich hinter mir", versicherte er ihr. "Tara hat mir gestern Abend die Leviten gelesen, und ich habe gemerkt, wie falsch ich gelegen habe. Versteh mich nicht falsch, Dana, es ändert meine Einstellung gegenüber Mulder nicht, und ich bin froh, dass du nicht mehr mit ihm zusammen bist."

"Und was würdest du tun, wenn ich zu ihm zurückgehen würde?" fragte sie und ihre Hand versteifte sich in seiner. "Ist diese Entschuldigung ernst gemeint, oder würdest du wieder wie früher einmischen?"

"Ich würde es nicht gutheißen", gab er zu, "aber ich verspreche, dass ich zivilisierter sein werde." Er grinste sie an mit einem Lächeln, dem Tara vermutlich damals verfallen war, als sie sich in Bill verliebt hatte, erinnerte sie sich. "Das ist alles, was ich tun kann."

Scully seufzte. "Das ist alles, was ich verlangen kann."

Er zog sie in seine Arme, und sie erwiderte die Umarmung dankbar. Sie hasste es, Streit mit ihm zu haben, besonders wenn Charles in Übersee stationiert war, und sie begrüßte die Gelegenheit, sich mit ihm zu versöhnen.

"Ich gehe jetzt besser", sagte er. "Ich habe eine lange Fahrt vor mir. Tara hat vorgeschlagen, übers Wochenende hierher zu kommen und dich zu besuchen.  Ich wollte es nicht übers Telefon machen."

"Ich bin froh, dass du gekommen bist", lächelte sie. Das erste wirkliche Lächeln, das er seit Monaten von ihr gesehen hatte. "Ich möchte, dass wir miteinander auskommen."

Bill küsste sie rasch auf die Wange und verschwand aus der Tür, die Scully hinter ihm verschloss. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie bezwang sie bevor sie ihr über das Gesicht laufen konnten. Erheblich erleichtert griff sie zum Telefon. Ihre Mutter würde es bestimmt gerne erfahren, dass sie sich mit Bill versöhnt hatte.

 
 

"Wann werden Sie mich nach Hause gehen lassen, Walter?" wollte Mulder wissen. Es war jetzt drei Wochen her, seit sich Scully von Mulder losgesagt hatte und es ging ihm langsam auf den Geist, dauernd beobachtet zu werden.  Skinner hatte sich paar Tage frei genommen, um ihm durch das schlimmste Tief zu helfen. Dann hatte er die Einsamen Schützen darauf angesetzt, auf Mulder acht zu geben und arrangierte rasch einen Urlaub für zwei Wochen. Mulder hatte in all der Zeit vielleicht fünf Minuten Zeit für sich gehabt. Langsam machte es ihn wahnsinnig. Er wollte einfach mal alleine sein, um seine Gedanken und Gefühle zu sortieren.

Skinner hatte auch darauf bestanden, dass er seine wöchentlichen Therapiesitzungen auf drei erhöhte, bis er über den Kern des Schocks hinweg war, und Mulder hatte zähneknirschend zugestimmt, damit Walter ihm nicht andauernd damit auf die Nerven fiel. Insgeheim war er zu Tode erschrocken darüber, wie er daran gedacht hatte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Der Gedanke daran, dass er es wirklich getan hätte, alles weggeworfen hätte, alles wofür er geschuftet hatte, all die Fortschritte, die er gemacht hatte.... Es gab mehr im Leben als nur Dana Scully sagte er sich verärgert und nahm sich vor, sich von dieser Tatsache zu überzeugen. Er hatte sich Psychologie-Seminare in den Universitäten in der Nähe angesehen und fand, dass George Washington die beste Alternative war. Er wollte so früh wie möglich anfangen. Es würde ihm etwas geben, worauf er sich konzentrieren konnte, anstatt auf Scully.

Skinner zuckte beiläufig mit den Schultern. Er erinnerte sich an den früheren Mulder, der einfach Bescheid sagen würde, dass er geht, und nicht erst nach Erlaubnis fragt. Doch er nahm an, dass es diesen Mulder nie mehr geben würde. Seine frühere Arroganz war zum größten Teil verschwunden, und Skinner war sich nicht sicher, ob diese Veränderung von Mulders Erfahrungen herrührten, oder ob es einfach an zunehmender Reife und Urteilsfähigkeit lag. Mulder hatte andere Ziele als vorher, aber im Großen und Ganzen, hatte er sich nicht so verändert. Er war immer noch der Fox Mulder, den Skinner von früher kannte, nur beschwingt durch andere Leidenschaften. Manche Aspekte der Veränderung vermisste Skinner ganz und gar nicht. Es war eine bittersüße Veränderung.

"Ich nehme an, dass ich keine andere Wahl haben werde, wenn ich am Montag wieder arbeiten gehe", gab er zur Antwort mit einem nervösen Kribbeln in der Magengegend. Er bekämpfte es mit starkem Willen—irgendwann musste er Mulder gehen lassen. "Warum haben Sie es so eilig? Fanden Sie es hier in meiner Wohnung so schlimm?"

Mulder grinste, um die Anspielung aus dem Gesagten zu nehmen. "Nicht wirklich, es sei denn man nehme die Tatsache, dass ich nur alleine bin, wenn ich aufs Klo muss."

"Das ist nicht wahr, Mulder. Soweit ich weiß ist Ihnen noch niemand bis in die Badewanne gefolgt", ging Walter auf sein Necken ein. Er wusste, dass Mulder die Einschränkungen hasste, mit denen er leben musste, und er bereute es, dass er sich dazu gezwungen fühlte, aber Mulders Sicherheit stand für ihn an erster Stelle. Zuerst hatte er wirklich große Angst, dass Mulder, stur wie er nun mal sein konnte, einen Weg finden würde, sich etwas anzutun, sobald Skinner ihm den Rücken zuwendete. Als die Tage verstrichen und Mulder keine Anzeichen machte, die diese Furcht bestätigten, war Skinner etwas lockerer geworden. Trotzdem tendierte er immer noch dazu, ständig ein Auge auf ihm zu halten.

"Nein, aber ich warte darauf", antwortete Mulder mit einem raschen Wechsel von Heiterkeit zu Niedergeschlagenheit. Diese plötzlichen Stimmungsumschwankungen machten Skinner am meisten Sorgen. Laut Jess Coslow war es ein Anzeichen dafür, dass nicht alles heile war im Mulderland, trotz seiner unentwegten Proteste, dass alles (Seufz, Walter) 'in Ordnung' war. Er war in den letzten Wochen geradezu allergisch geworden auf diese beiden kleinen Worte. Er war erstaunt darüber, dass Mulder (und auch Scully, gib's zu, Walter) eine anscheinend so harmlose Phrase zu etwas machen konnten, das ihn dazu brachte, seine Hände um irgend einen Hals legen und würgen zu wollen. 'In Ordnung'. 'In Ordnung' stand für 'ja, mir geht es beschissen, aber ich will nicht darüber reden, weil ich selbst damit klar kommen kann—guck mal, wie gut ich das bis jetzt gemacht habe?' oder 'Ich will nicht sagen, was ich fühle, weil ich glaube, dass ich dir sowieso schon zu viele Sorgen bereitet habe.'

"Darauf können Sie warten, bis die Hölle zufriert, Mulder. Ich ziehe die Grenze, Ihren Rücken zu waschen", gab er heiter zurück. Er wollte die Stimmung ungezwungen halten. Wenn Mulder darauf bestehen würde, wieder in sein Haus zu gehen und allein dort zu bleiben, würde er nichts dagegen tun können. Mulder war immerhin ein erwachsener Mann, der psychisch immer noch zurechnungsfähig war. Skinner konnte ihn wirklich nicht im Schlafzimmer einschließen, obwohl er schon einige Male den dringenden Wunsch verspürt hatte, gerade das zu tun.

Seine größte Sorge war, dass sobald Mulder wieder alleine war, er sofort anfangen würde, nach Scully zu suchen, und das, so empfand er, war das Schlimmste, was sein Freund tun könnte. So tief sie ihn auch verletzt hatte, war Skinner der Meinung, dass es das Beste für Mulder war, sie hinter sich zu lassen und weiterzumachen. Er war erfreut gewesen über Mulders Pläne sich fortzubilden, und zu seiner Überraschung war daraus ein handfestes Ziel für ihn geworden. Zuerst hatte er befürchtet, dass es nur ein Hirngespinst war, entstanden in einer Welle von Verzweiflung, aber Mulder war tatsächlich sehr interessiert daran, seinen Diplom zu machen.

"Aber mal im Ernst, Walter." Mulder ließ die Hin- und Herlauferei sein und warf sich auf die Couch. "Ich bin bereit, nach Hause zu gehen. Ich bin sehr dankbar für alles, was Sie für mich getan haben, aber der Punkt ist gekommen, wo ich wirklich wieder allein sein möchte. Ich werde nichts anstellen, ich verspreche es."

Er unterstrich seine Worte mit einem angedeuteten Lächeln, und Skinner seufzte innerlich. Er tippte mit den Fingern auf der Sessellehne, während er überlegte.

"Bitte, Walter." Mulders Stimme war fest, ruhig, und es war keine Spur von Betteln darin, trotz seiner Wortwahl. Es war das erste Anzeichen des alten, hartnäckigen und fest entschlossenen Mulder, den Skinner so lange nicht mehr gesehen hatte, und es half ihm, eine kurz entschlossene Entscheidung zu treffen.

"Na gut, Mulder. Ich kann Sie ja nicht gegen Ihren Willen hier behalten.  Sie können gehen, aber wenn ich erfahre, dass Sie Hilfe brauchten und mich nicht angerufen haben...."

Skinner ließ die Drohung in der Luft hängen, aber Mulder wusste genau, was er sagen wollte. Es bedeutet 'Ich werde Sie verfolgen und jagen und ihren Hintern von hier nach San Francisco treten', und Mulder hegte keinen Zweifel daran, dass sein autoritärer Ex-Chef das ohne zu Zögern tun würde.  Er war schon mehr als einmal Grund für Skinners verbale Tritte in den Hintern gewesen, und er konnte auf einen weiteren gerne verzichten.

"Ich werde Sie anrufen. Wenn ich Sie brauche, werde ich anrufen. Einverstanden?"

Skinner hielt seinen Blick für einen langen Moment, bevor Mulder schließlich weg sah. "Was werden Sie machen?" fragte er, als Mulder von der Couch aufstand um zu packen.

Mulder zuckte die Schultern. "Im Pool schwimmen. Basketball spielen. Mich auf die Uni im Herbst vorbereiten. Das übliche."

"Ich meinte", sagte Skinner vorsichtig, "werden Sie versuche, sie zu finden?"

Mulder war einen Moment lang still. "Ich weiß, was Sie gemeint haben", gab er ungern zu, sein Rücken zu Skinner gewandt.

"Und?" bohrte Skinner, als Mulder nicht zu antworten schien.

Mulder drehte sich zu ihm um. Er sah aus wie ein geprügelter Hund. Schmerz, Traurigkeit, Angst, alles manifestierte sich für wenige Sekunden in seiner Haltung, bevor es durch eine nichtssagende Maske ersetzt wurde, die Mulder dieser Tage so oft trug.

"Warum würde ich sie finden wollen?" fragte er in neutralem Ton.

"Wollen Sie damit sagen, dass Sie sie nicht finden wollen?" konterte Skinner, fest entschlossen, Mulder mit der Wahrheit zu konfrontieren.  "Können Sie sie so einfach gehen lassen?"

Fast zerbrach seine Maske. Aber nur fast. Mulder fing sich in letzter Sekunde.

"Ich weiß, Sie und Scully haben eine gemeinsame Vergangenheit, Mulder", fuhr Skinner sanft fort, "aber es ist an der Zeit zu erkennen, dass sie vielleicht keine gemeinsame Zukunft haben werden."

Mulder stürzte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer.

Als er seine Sachen in eine Tasche stopfte, wappnete Mulder sein Herz gegen weiteres Auseinanderbrechen. 'Es ist egal', sagte er sich streng. 'Jetzt ist alles egal. Konzentriere dich auf deine Zukunft.'

Skinner, der ihm gefolgt war um zu sehen, ob Mulder seine Hilfe bräuchte, hörte das unterrückte Murmeln seines Freundes, als er seine Sachen packte.  Schweren Herzens drehte er sich um und ging auf dem gleichen Weg zurück.  Langsam, Stück für Stück, verlor er Mulder. Sein anfänglicher Verdacht fiel ihm wieder ein, dass Mulder eines Tages sämtliche Stricke zu seiner Vergangenheit lösen würde, ihre Freundschaft eingeschlossen, und er fragte sich, ob dieser Tag näher war, als er vermutet hatte.

 
 

Skinner starrte auf den Telefonhörer in seiner Hand, überrascht und verärgert zugleich über die Person am anderen Ende der Leitung. Es war jetzt sechs Wochen her, seit sie verschwunden war, sechs Wochen, in denen Mulder wieder - wie vorher auch - zu einem verschreckten Häuflein Elend geworden war. Die Depressionen, in die Mulder gefallen war, waren schlimmer als je zuvor, und wenn es nicht Mulders Vertrauen in ihn zerstören würde, hätte er seinen früheren Agenten schon längst wieder zu sich geholt, um auf ihn aufpassen zu können.

Er versuchte, aus der Entfernung ein Auge auf Mulder zu halten, doch das stellte sich als sehr schwierig heraus. Meistens, wenn Skinner anrief, ging Mulder nicht ans Telefon, und wenn er dran ging, klang er kühl und distanziert und ein wenig abgelenkt. Die Gespräche waren kurz und gestelzt.  Ein paar Mal war Skinner unangemeldet bei Mulder vorbeigekommen und hatte seinen Schlüssel gebraucht, als niemand auf sein Klingeln hin öffnete. Die ersten paar Male hatte er Mulder vorgefunden wie er alleine im Dunkeln auf der Couch saß und an die Wand starrte. Er schien überrascht gewesen zu sein, Skinner zu sehen, als ob er die Klingel nicht gehört hätte. Jedes Mal hatte Mulder ihn träge begrüßt und dann wieder vor sich hin gestarrt, als ob er nichts weiter zu sagen hätte. Das einzige Mal, an dem Skinner eine vernünftige Antwort aus ihm herausbekommen hatte war, als er ihm drohte, ihn wieder aus seinen eigenen vier Wänden zu nehmen. Mulder war aufgeschreckt und ihm versichert, dass alles 'in Ordnung' sei. Bei diesen Gelegenheiten konnte Skinner sich nur mit aller Anstrengung zusammenhalten, um ihn nicht höchstpersönlich ein paar hinter die Ohren zu geben.

Sein letzter Besuch war eine Folge des Anrufs, den Skinner von Jess Coslow erhalten hatte, Mulders Therapeutin. Er war zu der Zeit zu drei Sitzungen nicht gekommen, und hatte sich geweigert, sie zurückzurufen oder ihren Anruf entgegenzunehmen. Aus lauter Verzweiflung hatte sie schließlich Walter angerufen in dem Gewissen, dass wenn ihr jemand sagen konnte, was mit Mulder los war, dann nur sein vertrauter Freund. Skinner war ausgerastet.

Er hatte sich überhaupt nicht mit Klopfen aufgehalten, als er bei Mulder angekommen war und umgehend seinen Schlüssel benutzt. Und wie erwartet, saß Mulder in dem durch das abklingende Tageslicht schummrigen Raum auf seinem altbekannten Platz auf der Couch. Er war mit Riesenschritten durch den Raum gestürzt, um ihm zu zeigen, was er von seinem Verhalten hielt, doch der nähere Anblick seines Freundes hielt ihn auf.

Mulder trug die gleichen Sachen, die er vor vier Tagen angehabt hatte, als Skinner ihn das letzte Mal gesehen hatte, und es war offensichtlich, dass er seitdem nicht mehr von diesem Platz gewichen war. Ein halb-leeres Glas Wasser stand vor ihm auf dem Tisch, und Mulder machte keine Anzeichen, dass er Walters Ankunft mitbekommen hatte. Er fuchtelte mit der Hand vor Mulders Gesicht und ihm fuhr der erste ernsthafte Schrecken durch die Glieder, als Mulder einige Sekunden brauchte, um zu reagieren.

"Walter?" fragte er schließlich und rührte sich ein wenig auf dem Sofa.

"Was machen Sie hier?"

"Mulder, wissen Sie, welcher Tag heute ist?" fragte Skinner freundlich.

Mulder runzelte die Stirn. Er wollte im Moment keine Fragen beantworten, und ganz bestimmt nicht so bescheuerte Fragen, welcher Tag heute sei. Er war die ganze letzte Woche damit beschäftigt gewesen, jeden Moment seines Lebens, an den er sich erinnerte, auseinander zu nehmen und zu überlegen, wo er versagt hatte und was er besser machen könnte, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen würde. Nach sorgfältiger Überlegung war Mulder zu dem Schluss gekommen, dass keine Änderungen nötig waren. Sein Leben war völlig außer Kontrolle geraten seit er zwölf Jahre alt gewesen war, schloss er, und nichts, was er hätte tun können, hätte sein Leben von dem Lauf, den es genommen hatte, abbringen können. Irgendwie glaubte er sogar, dass wenn er Samanthas Entführung akzeptiert, das FBI gemieden und stattdessen eine medizinische Karriere in Psychologie verfolgt hätte, wie er es geplant hatte, hätten die Ereignisse ihn dennoch zu diesem Punkt geführt.

"Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?" redete Skinner weiter, als er keine Antwort auf seine vorherige Frage erhielt.

Mulder schüttelte ein wenig den Kopf. "Ich weiß nicht. Es ist mir auch egal. Ich habe keinen Hunger, Walter."

Skinner presste seine Lippen zusammen. Seine erste Reaktion war Wut, doch das würde Mulder jetzt nicht helfen. Stattdessen packte er Mulder und schwang ihn auf die Füße, wobei ihm nicht verborgen blieb, wie viel er an Gewicht verloren hatte, seit Scully weg war. Er schien kleiner, definitiv leichter und etwas transparent.

Skinner schob Mulder vor sich her durch den Flur in sein Zimmer. "Das erste, was Sie machen, ist duschen", sagte er. "Und dann werden Sie etwas essen."

Mulder hielt an und drehte sich mit ausdruckslosem Gesicht, wie die ganze Zeit schon, zu Walter um. "Okay, Walter. Das werde ich tun. Aber ich gehe nicht wieder mit Ihnen nach Hause."

Nach einer zögerlichen Sekunde nickte Skinner. Er wusste, Mulder würde dem in seiner augenblicklichen Verfassung sowieso niemals zustimmen, also hatte er keine andere Wahl, wenn er ihn nicht kurzerhand kidnappen wollte.

Mulder betrat auf Skinners Drängen hin das Badezimmer und nahm die frischen Sachen an, die Skinner ihm in die Hand drückte. Nachdem er die Tür hinter sich zugeschlossen hatte, blickte er perplex um sich. Was sollte er noch mal machen? Ach ja, duschen. Allerdings duschte Mulder nicht mehr, nicht seitdem er im Gefängnis gewesen war, nicht seitdem er sich geschworen hatte, nie wieder völlig entblößt anderen ausgeliefert zu sein. Als ob es sicherer wäre, nackt in einer Badewanne zu sitzen schnaubte Mulder innerlich. Das Schicksal würde einem in den Hintern treten, wenn es nur wollte, und man konnte nicht das kleinste Bisschen dagegen tun. Wenn er schon nicht viel gelernt hatte, das hatte er sich eingebläut.

Automatisch und ohne Nachzudenken ließ er Wasser ein und stieg mit einem gewissen Wohlgefühl in die heiße Wanne. Er hatte sich in letzter Zeit so gelähmt gefühlt, dass jede ihm Abwechslung willkommen war, und er hatte völlig vergessen, wie gut es sich anfühlte, einfach sauber zu werden.

Er blieb eine ganze Weile dort liegen und nahm gedankenverloren (gedankliche Abwesenheit war dieser Tage des Rätsels Lösung - wenn er an nichts dachte war es einfacher, den Tag zu überstehen) die Wärme in sich auf. Als er merkte, wie das Wasser langsam kalt wurde, setzte er sich mit einem plötzlichen Gefühl von Unsicherheit auf. Irgendetwas musste er als nächstes tun. Was nur? Sich abtrocknen, das war's. Nein, Moment. Da war noch ein Schritt davor. Mulder schaltete auf Autopilot und griff nach Shampoo und Seife. Später konnte er sich überhaupt nicht mehr daran erinnern, sich gewaschen zu haben.

Als er immer noch wie von ferngesteuert aus der Wanne stieg, griff er nach einem Handtuch und wickelte sich darin ein. 'Was kommt jetzt?' bohrte das kleine Eckchen Bewusstsein, dass er erlaubte. Er starrte das Waschbecken eine volle Minute an, bevor sein Blick auf die Tube Zahnpasta fiel, die daneben lag. Mechanisch putzte er sich die Zähne und spülte die Zahnpasta den Abfluss hinunter, als seine Gedanken wieder drohten, ins Nichts abzuschweifen. Als er schließlich dreißig Minuten später aus dem Badezimmer kam, war er vollkommen angezogen, frisch gewaschen und gekämmt. Er hatte alles in allem fast zwei Stunden gebraucht.  Skinner, der vorsichtshalber die ganze Zeit vor der Tür gestanden und gehorcht hatte, bereit sie einzutreten, wenn er den Eindruck hatte, dass sich Mulder etwas antun könnte, atmete erleichtert auf. Mulder hatte vergessen, sich zu rasieren, aber Skinner würde einen Teufel tun, und Mulder in seinem Zustand vorschlagen, eine Rasierklinge zu gebrauchen.

"Kommen Sie mit", wies er ihn an. "Sie müssen etwas essen."

Mulder zuckte die Schultern und folgte ihm in die Küche, wo er sich auf den für ihn bereitgestellten Stuhl setzte. Sein Blick verfolgte Skinner, der die Küche nach Essbarem und Geschirr absuchte, und schließlich eine Hühnersuppe zubreitete. Das war vermutlich das Einzige, das nicht schwer in Mulders empfindlichen Magen sein würde, und Skinner hatte keine Ahnung, wie lange Mulder nichts mehr gegessen hatte.

Offensichtlich war der Drang seines Körpers nach Flüssigkeit zu stark gewesen, dachte er, als er an das halb-leere Glas Wasser zurückdachte. Er stellte Mulder die fertige Suppe vor die Nase und drückte ihm energisch einen Löffel in die Hand.

Mulder nahm ihn an und sah für eine Sekunde so aus, als wisse er nicht, was er damit anfangen sollte. Wieder lies er den Autopiloten übernehmen. Es ist schon erstaunlich, dachte Skinner, als er zusah, wie Mulder an der Suppe nippte, was Muskeln und Nerven noch zustande brachten mit nur wenig oder gar keinem Zutun vom Gehirn.

Skinner setzte sich still ihm gegenüber und sah zu, wie Mulder jeden Bissen der Suppe auf seine mechanische und automatische Weise aß. Mulder war bei allem, was er ihn gefragt oder gebeten hatte, vollkommen kooperativ gewesen. Er hatte sich ohne Widerworte gewaschen und gegessen. Er war sich sicher, dass sobald er ihm den Rücken zuwandte, Mulder sich wieder auf der Couch verkriechen und tagelang weder baden noch essen würde, bis ihn wieder jemand dazu zwang. Mit einem Seufzen fragte er sich, wie gut seine Chancen standen, Mulder unter Beobachtung in ein Krankenhaus zu bringen.  Wahrscheinlich gleich Null, dacht er. Mulder war nicht so schlimm dran, dass er eingeliefert werden musste, und freiwillig würde er einem Krankenhausaufenthalt nie im Leben zustimmen.

Sie hatten ausgenommen von Skinners Anweisungen überhaupt nichts miteinander gesprochen. Mulder war die ganze Zeit über still und gehorsam gewesen, deswegen bemühte sich Skinner nun, Mulder aus seiner Schweigsamkeit herauszulocken.

"Warum haben Sie so lange auf der Couch gesessen, Mulder?" fragte er und stützte sein Kinn auf seine Faust.

Mulder sah für einen Moment wie benebelt aus, blickte in der Küche umher und dann in den leeren Suppenteller vor sich, als ob er sich nicht erklären könne, wieso er auf einmal mit vollem Magen vor seinem früheren Chef saß.

Er zuckte wieder die Schultern. "Keine Ahnung."

Skinners Kiefer zog sich zusammen, doch er schluckte seinen Kommentar herunter. "Jess sagt, dass Sie nicht mehr zu den Sitzungen gehen."

Mulder starrte ihn an, als ob er ihn jeden Moment beißen würde. "Das ist mir egal."

Wenn Mulder es abgestritten oder ihn angefahren hätte, weil er sich einmischte, hätte Skinner mit seiner Antwort umzugehen gewusst, aber diese drei Worte jagten ihm einen kalten Schauer den Rücken herunter.

"Was ist Ihnen egal?" fragte er vorsichtig mit der Befürchtung, die falsche Frage zu stellen.

Mulder schüttelte langsam den Kopf und seine Augen verloren langsam Focus.

"Alles. Mir ist alles egal."

"Auch Scully?" Es war ein schwacher Versuch, das wusste er, aber vielleicht würde es eine Reaktion von Mulder hervorrufen—eine Art Reaktion auf tiefsten Schmerz, den Ärzte sich von einem Komapatienten erhoffen.

Doch Mulder zeigte keine Anzeichen tiefsten Schmerzes. Er zeigte keine Anzeichen jeglicher Emotionen. "Es ist mir einfach egal."

Die Endgültigkeit dieser Worte schockierte Skinner zutiefst. Er befürchtete, dass Mulder den Punkt erreicht hatte, wo ihm wahrhaftig alles egal war - egal, ob er aß oder schlaf oder ob er den nächsten Atemzug tat oder nicht. Nicht mehr leben wollen, nicht mehr sterben wollen. Mulder hatte ein Stadium totaler Gleichgültigkeit erreicht. Er hatte in den letzten drei Wochen mehrere Male die Gelegenheit gehabt, seinem Leben ein Ende zu machen, aber er hatte sie nicht ergriffen. Das wiederum war, wenn man darüber nachdachte erschreckend, stellte Skinner fest. Denn wenn es Mulder nicht einmal gelang, genug Energie und Willen aufzubringen, sich selbst aus seinem Unglück zu befördern, was war dann von ihm übrig? Was steckte wirklich noch im Innern dieser leer dreinblickenden Schale? Skinner hatte Angst um ihn, und er wusste nicht mehr weiter.

"Ich komme darüber hinweg, Walter." Er sagte es leise, fast flüsternd, aber es gab ihm eine tröstende Zuversicht. Mulder war immer noch irgendwo da drin. Er hatte sich nur ein einen schützenden Kokon gewickelt, auf der Suche nach Schutz von der Welt, die zu weit mit ihm gegangen ist, ihn zu stark gebissen und einen zu großen Teil aus seinem Hintern gerissen hatte.  Seine seelischen Wunden mussten erst wieder heilen, bevor er sich wieder um sein Äußeres kümmern konnte.

"Ich habe Angst um Sie", gab Skinner zu und wunderte sich selbst über seine Offenheit in dem Moment. Männer redeten so nicht miteinander. Männer sagten Zeugs wie 'Hey Alter, wie geht's, du elende alte Mistratte, kriegst du noch welche rum dieser Tage?' und so weiter. Sie saßen nicht gegenüber am Essenstisch und steckten in einem emotionalen Gespräch. Aber irgendwie schien 'wie geht's dir, du alte Mistratte' hier nicht angebracht zu sein.

Mulder sah ihn unverwandt an. "Das brauchen Sie nicht. Ich bin in Ordnung."

Und dann, "Danke."

Skinner stand auf, denn er konnte nichts weiter tun, wenn er Mulder nicht gerade gegen seinen Willen an einen anderen Ort wegschleppen würde.

"Ich werde Jess anrufen und ihr sagen, dass Sie morgen vorbeikommen werden.  Ich schicke einen der Jungs hierher, um Sie hinzubringen. Geben Sie mir keine Widerworte", warnte er ihn, als er sah, dass Mulder protestieren wollte. "Entweder das, oder ich *werde* Sie zu mir nach Hause nehmen und Sie ins Schlafzimmer einschließen. Haben Sie mich verstanden, Mulder? Ich werde nicht zusehen, wie Sie immer weiter abrutschen."

Ohne auf seine Antwort zu warten drehte Skinner sich um und verschwand aus der Tür. Er ließ einen sprachlosen und etwas verwirrten Mulder zurück. Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass Mulder in wenigen Minuten wieder zu der Couch zurück gehen würde.

 

Seit dem Tag, an dem er Frohike, Byers und Langly um Hilfe gebeten hatte, wurde Mulder ultimativ zu einer Entscheidung gezwungen: entweder kaputt gehen oder wieder anfangen zu leben. Zu ihrer gemeinsamen Erleichterung hatte Mulder sich für letzteres entschieden, obwohl er eher düster vor sich hin lebte. Irgendwie erschien er dunkler und viel ernsthafter in seinem Auftreten als jemals zuvor, doch wenigstens aß er, schlief und badete—er war am Leben. Wenn sie ihn doch nur davon überzeugen könnten, dass es ein Leben nach Scully gab.

Jetzt, zwei Wochen nachdem er Mulder alleine in der Dunkelheit sitzend vorgefunden hatte, starrte Skinner verärgert auf den Telefonhörer, aus dem ihre Stimme kam.

"Walter? Sind Sie dran?" Sie klang unsicher.

Er umklammerte den Hörer und zwang sich zu zivilisiertem Benehmen.

"Ja, ich bin dran", sagte er kurz angebunden. "Wo sind Sie?"

Sie seufzte. "Wenn ich Ihnen das sagen würde..."

"Keine Sorge, Dana. Ich werde es Mulder gegenüber nicht erwähnen."

"Ich bin in Baltimore", beichtet sie. "Ich habe einen Job im Büro des örtlichen Medizinlabors bekommen."

"Das ging aber schnell", warf er ein.

"Ich habe mich frühzeitig darum gekümmert..."

"Bevor Sie ihn hängen gelassen haben", erinnerte er sie grob. "Bevor Sie mit ihm geschlafen haben und ihn dann stehen gelassen haben wie einen Kaktus in der Wüste?"

Er spürte ihr erschrockenes Einatmen eher als dass er es gehört hatte, und eine Welle von Schadenfreude durchfuhr ihn.

"Ich hatte einen Grund dafür", sagte Scully mit kleiner Stimme. "Deswegen rufe ich Sie heute an."

"Ich bin ganz Ohr."

Für einen Moment wollte sie das Telefon ans andere Ende des Zimmers an die Wand werfen und bereute, dieses Gespräch überhaupt angefangen zu haben, doch der Gedanke an Mulder in Zachs Händen zwang sie zur Konzentration.  Ihre Gefühle waren jetzt nicht wichtig. Sie könnte sich später um ihre Wut und Erniedrigung kümmern.

"Mulder könnte immer noch in Gefahr sein, Walter. Ich möchte Sie bitten, ein Auge auf ihn zu haben."

Das ließ ihn hochfahren. "Was meinen Sie damit?" bellte er.

Stockend, doch ohne ein Detail auszulassen, begann Scully ihm von Zachs Besuch an dem Tag der Anhörung zu erzählen, die Fotos von Mulder, die er ihr gegeben hatte, ihre Gründe, weder ihn noch die Polizei bisher kontaktiert zu haben. In der Hoffnung er möge verstehen, warum sie so spurlos verschwunden war, erzählte sie ihm von den weiteren Bildern, die sie erhalten hatte, und welche Ängste sie ausstand, weil Zach immer noch an Mulder heran kommen könnte.

"Warum denken Sie, dass er jetzt noch eine Bedrohung für Mulder ist?" fragte er. "Vielleicht schickt er die Fotos nur, damit Sie ständig daran erinnert werden, dass Sie sich von Mulder fernhalten sollen—was ich zugegebenermaßen für eine ausgesprochen gute Idee halte."

Sie schenkte seinem verbalen Seitenhieb keine Beachtung. "Ich mache mir große Sorgen, weil er immer öfter Fotos schickt. Ich habe anfangs nur einen Umschlag in der Woche erhalten, dann zwei oder drei pro Woche. Und jetzt liegt fast jeden Tag eins vor meinem Haus. Er verfolgt ihn, überall wo er hingeht. Walter, es wäre so einfach für Zach..."

"Ist ja schon gut, Scully, ich werde mir etwas überlegen", sagte er endlich, während er sich den Nasenrücken rieb. "Aber Sie müssen mir versprechen, sich weiterhin von Mulder fernzuhalten. Es ist schon schwer genug für ihn, Sie zu verlieren, ohne dass sie permanent in und aus seinem Leben laufen."

Er traf auf Stille am anderen Ende der Leitung, dann hörte er ihre erstickte Stimme, "In Ordnung. Hauptsache, Sie beschützen ihn, Walter."

Er hörte ein Klicken, als sie auflegte. Er saß da und überlegte eine Weile, bevor er sich zu Taten entschloss.

 
 

"Frohike, fahr rechts ran." Mulder hatte während der ganzen Fahrt von seiner Therapiesitzung nach Hause fast gar nichts gesagt und Frohike hatte jeglichen Versuch ein Gespräch anzufangen aufgegeben, als der unerwartete Kommentar von seinem Freund kam.

"Warum?" wollte Frohike misstrauisch wissen. Wenn Mulder ihm ausbüchsen würde, würde er mit einem wütenden Walter Skinner fertig werden müssen, und das war eine Situation, auf die der nicht so groß gewachsene Mann nicht besonders scharf war.

"Fahr einfach rechts ran," wiederholte Mulder ungeduldig mit einem Blick, der am Rückspiegel des Wagens klebte. "Ich habe nicht vor, herauszuspringen und wegzulaufen, versprochen."

"Okay, Mulder, aber wenn du mich vor Skinner in Schwierigkeiten bringst, hänge ich dich persönlich an deinen Eiern auf", gab Frohike zur Antwort und suchte nach einer geeigneten Stelle anzuhalten. Er fand rasch eine Parklücke, in der er anhielt, drehte sich zu Mulder um und verlangte nach einer Erklärung.

Mulder war ganz blass im Gesicht und er krallte sich am Türgriff fest, als ein unscheinbarer weißer Sedan mit zwei Männern darin vorbeifuhr. Der Fahrer behielt seinen Blick auf der Straße, aber der Beifahrer sah zu ihnen herüber, als der Wagen langsam an ihnen vorbei glitt und um die nächste Ecke bog.

"Kennst du diese Typen?" wollte Frohike wissen als er bemerkte, wie nervös Mulder geworden war. Mulders Hand zitterte leicht und er biss sich auf die Unterlippe.

Mulder schüttelte hastig den Kopf. "Nein, aber sie verfolgen mich schon seit ungefähr einer Woche."

"Red keinen Quatsch!" rief Frohike bestürzt. "Das ist doch nicht etwas Danas Ex-Arschloch, oder?" Es tat ihm auf der Stelle Leid, das er ihren Namen erwähnt hatte, doch er konnte es nicht mehr zurück nehmen.  Zu seiner Erleichterung sah er keinerlei Reaktion auf Mulders Gesichtszügen.

Mulder grinste freudlos. "Nein, verdammt. Wenn der hier auftauchen würde, würde er mich wahrscheinlich in einer Sekunde umlegen. Außerdem hätte er keinen Grund mehr, sich einen Dreck um mich zu kümmern, weil Scully ja weg ist."

"Warum also sind die hinter dir her?"

Mulder drehte sich um, um sich nach hinten umzusehen, und wie er angenommen hatte, tauchte der Sedan hinter dem Häuserblock wieder auf. Als der Fahrer sie immer noch auf demselben Platz stehen sah, wechselte er hastig die Spur und beschleunigte bei Gelb über die Kreuzung.

"Ich habe keine Ahnung", sagte Mulder, seine Augen auf das kleiner werdende Fahrzeug gerichtet, "aber ich sage besser Walter Bescheid. Kannst du mich beim Hoover-Gebäude absetzen? Ich fahre dann mit dem Taxi nach Hause."

"Tut mir Leid, Kumpel, aber ich habe strikte Anweisung, dich nicht aus den Augen zu lassen, bis du sicher wieder in deinen vier Wänden bist."

Mulder seufzte ungeduldig.

"Ich werde mit dir gehen."

Daraufhin nickte Mulder und Frohike fuhr aus der Parklücke. Mulder hielt auf dem ganzen Weg zum FBI-Gebäude Ausschau nach dem weißen Sedan, aber der tauchte nicht wieder auf.

Als sie sich dem Haupteingang näherten, wurden Mulders Schritte immer langsamer, bis er vor der Eingangstür zum Stehen kam. Frohike hätte ihn von hinten fast umgerannt.

"Hey!" protestierte er.

"Tut mir Leid", nuschelte Mulder. Er war im Begriff, es zu tun. Dies hier war einer der letzten Orte aus seiner Vergangenheit, an dem er nicht wieder gewesen war. Wie würde es ihm ergehen, wenn er Skinner gegenüber in dessen Büro saß ohne Scully an seiner Seite und mit dem Gewissen, dass Skinner nicht mehr sein Vorgesetzter war, sondern nur noch sein total heruntergekommener Freund? Seine Lippen zuckten. Natürlich wusste er, wie es sein würde. Als ob eintausend Messer seine Seele zerschnippeln würden.  Auch nichts Neues mehr für ihn.

"Erinnerungen können manchmal das Letzte sein", sagte Frohike hinter ihm und eine Sekunde später fühlte er Frohikes Hand auf seinem Rücken ihm einen kleinen Schubs geben. "Aber da musst du durch, Mulder."

"Ja", antwortete Mulder schließlich und zwang seine sich sträubenden Füße vorwärts. "Ich weiß."

Der Pförtner telefonierte nach oben in Skinners Büro und händigte ihnen nach einem kurzen Gespräch zwei Besucherausweise aus. "Lassen Sie mich nur kurz den Weg erklären, Sir", begann der Mann, aber Mulder wies ihn ab.

"Ich weiß wo das Büro ist", sagte er mit gequälter Stimme. Wann würde es endlich aufhören wehzutun, fragte er sich? Wann würde das Schicksal endlich müde werden, auf seiner gebeutelten Gestalt herumzutrampeln und ihn endlich in Ruhe lassen? Wie viel muss ein Mann überhaupt ertragen können?

Sie betraten zusammen mit ein paar anderen Leuten den Aufzug, die alle wie Mitarbeiter des FBI aussahen. Mulder behielt seinen Blick strikt auf den Zahlen über seinem Kopf. Seine größte Angst war, jetzt irgendjemandem zu begegnen, den er von früher her kannte, zum Beispiel Tom Colton. Jemand, der wusste, wer er einmal gewesen war. Mulder hatte keine Ahnung, dass etwas viel Schlimmeres auf ihn wartete. Manchmal, so dachte er später darüber, ist es besser nicht zu wissen, was einen erwartet. Hätte er an dem Tag geahnt, wen er vor Skinners Büro antreffen würde, hätte er hundertprozentig auf dem Absatz Kehrt gemacht und so sich schnell wie möglich aus dem Staub gemacht.  Doch stattdessen, wohlig in seiner Unwissenheit, zog er Frohike auf Skinners Stockwerk aus dem Aufzug und sie schlugen links den Weg zu seinem Büro ein.

Er starrte den ganzen Weg auf den Boden und seine Bewegungen waren vorwiegend von Gewohnheit gesteuert. Hin und wieder glaubte er Geflüster zu hören und einmal glaubte er sogar jemand seinen Namen sagen gehört zu haben, doch er ignorierte alles. War er nicht sowieso gut darin, geflüsterte Kommentare zu ignorieren? All die Jahre der Übung, stichelnden 'Spooky'-Kommentaren aus dem Weg zu gehen zahlten sich jetzt aus, und er schaffte es, die Stimmen von seiner Wahrnehmung auszublocken. Sie waren fast am Ziel angekommen, als ein wohlbekannter Gestank seine Nasenhöhlen füllte. Ein Schauer kalter Angst überkam ihn.

Er hob seinen Blick und fand sich Aug in Aug mit dem Mann gegenüber, der für seine Inhaftierung verantwortlich gewesen war. Mulder wurde blass und fühlte sich schwindelig, doch blanker Stolz zwang ihn den Augenkontakt zu erhalten und aufrecht stehen zu bleiben und nicht in Ohnmacht zu fallen.  Der ältere Mann nahm beiläufig seine Zigarette aus dem Mund, blies den Rauch aus seiner Nase und besah Mulder von oben bis unten.

"Hallo, Mr. Mulder", kommentierte er schleimig. "Sie sehen überraschend gut aus für einen Mann, der so viele unangenehme Erfahrungen durchmachen musste."

"Bleiben Sie ihm vom Leib, Sie Bastard", grummelte Frohike, aber Mulder hielt eine Hand aus, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Er sagte kein Wort zu dem Raucher. Er hatte ihm nichts zu sagen. Nichts, was auch nur einen kleinsten Unterschied machen würde. Mulder klammerte sich an den letzten Strang Würde, die er noch besaß und sah den Mann genauso eiskalt an, wie er ihn ansah, widerwillig als erster wegzusehen, bis der Raucher schließlich mit einer Geste der Ungeduld seien Weg den Gang herunter fortsetzte. Als er um die Ecke verschwunden war, fiel Mulder in sich zusammen.

Frohike konnte ihn auffangen, bevor er zu Boden fiel. Mulder tat ein paar tiefe, nach Luft ringende Atemzüge und kämpfte gegen die Panik, die seien Brust zusammenzog, an. Frohike zog ihn die letzten paar Schritte zu Skinners Vorzimmer, platzierte ihn in einem Sessel und fragte die Sekretärin, ob sie Mulder ein Glas Wasser bringen könne. Sie zeigte sich einverstanden, holte rasch das Erbetene und Mulder stürzte das Wasser herunter als ob er in der Wüste verdurstete. Er hatte den Eindruck, dass er die Hälfte seines Wasserhaushalts ausgeschwitzt haben musste, während er seinen Erzrivalen niedergestarrt hatte.

Von dem Lärm in seinem Vorzimmer angeregt, tauchte Skinner in seine Bürotür auf und sah sich die Situation an, die sich ihm bot. Der Raucher war erst eben aus seinem Büro gegangen. Er brauchte nicht viel nachzudenken, um sich auszumalen, was hier eben vorgefallen war.

"Was hat er zu Ihnen gesagt?" forschte Skinner verärgert.

Mulder schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen, während er sich darauf konzentrierte ruhig zu atmen. "Nichts", murmelte er. "Es war nichts."

Skinner sah nach einer Bestätigung suchend Frohike an, und der kleinere Mann nickte. "Er war einfach nur überrascht, nehme ich an", sagte er erklärend. "Und das nach dem, was vor einer Stunde passiert ist..."

"Was ist vor einer Stunde passiert?"

Frohike drehte sich zu Mulder in der Hoffnung, er würde es Skinner erklären, doch Mulder brachte kein Wort über seine fest geschlossenen Lippen und seine Augen waren immer noch zugekniffen. Sein Atem ging wieder ruhiger und langsam bekam er auch wieder Farbe im Gesicht, doch er führte offenbar immer noch eine Schlacht gegen die Dämonen in seinem Innern.  Frohike wandte sich wieder zu Skinner und machte eine Kopfbewegung in Richtung seines Büros. Skinner nickte.

"Kommen Sie, Mulder, gehen wir hinein", sagte er und nahm ihn beim Arm, um ihn beim Aufstehen zu helfen. Mulder lies sich führen und ein paar Momente später fand er sich in demselben Stuhl vor, in dem er schon so viele Male in der Vergangenheit gesessen hatte. Zwanghaft unterdrückte er die aufwallenden Qualen, die sich wieder in ihm breit machen wollten, und erzählte Skinner von den Männern, die ihm folgten.

Skinner setzte sich in seinem Stuhl zurück und spitzte die Lippen leicht in seiner Konzentration. "Haben Sie außerdem noch jemanden bemerkt, der Ihnen folgt, Mulder?" fragte er, vielleicht ein wenig zu voreilig. 'Langsam', schalt er sich innerlich. 'Langsam, oder du jagst ihm unnötig Angst ein, er kann sich ja jetzt kaum schon zusammenhalten.'

"Nein", antwortete Mulder verdutzt. "Warum fragen Sie?"

Skinner lehnte sich nach vorne, legte seine Hände zusammen und stützte seinen Kopf darauf. Er sagte eine ganze Weile kein Wort, so dass Mulder die Geduld verlor. "Walter? Gibt es etwas, das Sie mir sagen wollen?"

"Ich lasse Sie beobachten", beichte Skinner letztendlich.

Mulders Augen wurden weit mit dieser Erkenntnis. "Sie lassen was??" fragte er ungläubig. "Reicht es nicht, dass sich meine Freunde wie Babysitter benehmen, jetzt müssen Sie mich auch noch bespitzeln?" Der Verrat war ihm deutlich anzusehen und Skinner beeilte sich, sich zu korrigieren.

"Nein, das ist nicht der Grund, Mulder. Ich habe einen anderen Grund dafür."

Mulder setzte sich zurück. Immer noch misstrauisch, aber er wollte Skinner wenigstens anhören. Still wartete er, bis Skinner erklärte.

"Letzte Woche hat Scully mich angerufen", sagte Skinner, während er von seinem Stuhl aufstand und um den Schreibtisch herumging, um sich vor Mulder auf dessen Ecke zu setzen. Er fragte sich genau wie Frohike, wie es Mulder treffen würde, wenn er Scullys Namen erwähnte, und genau wie Frohike war er überrascht, als Mulder keine Reaktion zeigte. Mulder wartete ganz einfach.

"Sie war besorgt um Ihre Sicherheit", fuhr er dann fort und wies Mulder rasch in alle Details ein, die Scully ihm gegeben hatte. "Scully befürchtet offensichtlich, dass ihr Ex-Mann vorhat, Ihnen etwas anzutun", endete er, "also hat sie mich gebeten, ein Auge auf Sie zu halten. Ich wusste, dass Sie nicht wieder in meine Wohnung gehen würden, also war das die beste Lösung, die mir zu der Zeit eingefallen war."

Mulder seufzte tief und lies seine Augen über den Schreibtisch wandern, das Fenster, den Sessel neben ihm, auf dem Scully so unzählige Male gesessen und ihm beigestanden hatte, seine Theorien bekräftigt hatte selbst wenn sie sie nicht ganz verstanden hatte, hatte sie immer hinter ihm gestanden. Auf dem Sessel saß nun Frohike. 'Wie viel?' fragte er sich wieder. "Wann hört es endlich auf?"

Er hatte nicht bemerkt, dass er das laut gesagt hatte, bis Walter sich vorbeugte, um ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter zu legen.

"Sie schaffen das, Mulder. Wir alle werden Ihnen helfen. Sie müssen das nicht allein durchstehen."

Mulder stand mit einem Ruck auf und stopfte die Hände in seine Hosentaschen. "Ich weiß, Sie meinen das gut, Walter. Ihr alle tut das", sagte er mit einem Seitenblick auf Frohike. "Aber ich muss es alleine durchstehen. Niemand außer mir fühlt wie ich."

Die nackte Qual in seinen Augen riss Skinner das Herz aus der Brust. Er würde alles, was in seiner Macht steht geben, um Mulder vor weiterem Leid zu bewahren, aber er konnte nichts dagegen tun. Mulder hatte mehr Herzschmerz erleiden müssen als je von einem Menschen verlangt werden könnte, und Skinner wusste, dass es noch nicht vorbei war. Es stand noch viel bevor. Irgendwo ganz tief in seinem Herzen, ganz egal wie fest Mulder darauf bestand, dass es ihm egal sei, würde er Scully immer lieben, sie immer brauchen, sich immer nach ihr sehnen. Die Bindung zwischen den Beiden überraschte ihn schon lange nicht mehr; jetzt betrachtete er sie sogar mit einer Art von Neid. Er hatte so etwas mit Sharon nie gehabt. Sie hatten sich nahe gestanden, aber sie waren nie zwei Hälften von einem Ganzen gewesen wie seine beiden früheren Agenten. Er fragte sich, ob die beiden wussten, wie dringend einer den anderen brauchte, um zu überleben. In den letzten Jahren hatte er Mulder langsam dahinvegetieren sehen und nur aufblühen, wenn Scully da war. Und er hatte seit Scully gegangen war seinen Untergang zu etwas, das er nur als Leere bezeichnen konnte, mitangesehen.  Scully hatte sich Sorgen um Mulders Sicherheit gemacht, Skinner fürchtete um Mulders Existenz.

Mulder ging ohne ein Wort zur Tür, Frohike stand auf, um ihm zu folgen.

Skinner griff nach dessen Arm, als er an ihm vorbeiging.

"Passen Sie auf ihn auf", sagte er leise in Frohikes Ohr. "Lassen Sie ihn nicht alleine."

Frohike nickte und eilte Mulder nach, fest entschlossen, dass er heute vor jeglichem Leid bewahrt bleiben würde. Zugefügt durch jemand anderem oder durch sich selbst.

 
 

Ende TEIL Fünf

 
 
 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 6/9

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>

 
 

"Wo ist sie?"

Skinner schloss für einen Moment die Augen und unterdrückte ein wütendes Knurren. Er musste es dem Mann, der dort an seiner Tür stand, lassen—er hatte es fast zwei Wochen ausgehalten, bevor er hier auftauchte, um zu erfahren wo Scully war. Skinner hatte mit weniger als einer Woche gerechnet.

Lange standen sie stillschweigend da und sahen sich nicht an, während Skinner überlegte, welche Antwort wohl in Mulders Interesse sein würde.  Dieser wurde langsam ungeduldig.

"Walter? Ich bin mir sicher, dass sie es Ihnen gesagt hat."

"Was möchten Sie wissen, Mulder?" fragte Skinner, um sich noch etwas Zeit zu verschaffen. Er wäre sowieso nicht um dieses Gespräch herum gekommen, das wusste er ganz genau. Jedes Mal, wenn er mit Mulder gesprochen hatte seit dem Tag, an dem er erfahren hatte, was er über Scullys Ex-Mann wusste, hatte er diese Frage erwartet. Jedes Mal war sie nicht gekommen und er hatte zu seiner extremen Erleichterung ein wenig Besserung in Mulders emotionaler Verfassung gesehen, doch die war nun nicht mehr da. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Haselnussbraune Augen bohrten sich in seine.

"Wo ist sie?" verlangte Mulder abermals, Skinners Frage ignorierend.

"Ich weiß es nicht." Die Lüge war schwach, nicht überzeugend, und Skinner wusste, dass Mulder es ihm nicht abnehmen würde.

Mulder sah ihn mit einem Blick an, der vielleicht einfach nur ein verzogenes Gesicht aussah, doch es schien Skinner eher ein Blick des Betrogenseins, und ging hinter ihm herum in seine Wohnung. 'Lüg mich nicht an', warnte seine Mimik. Er sagte kein Wort, er wartete. Die Stille zog sich unendlich lang hin, lediglich unterbrochen durch das Geräusch ihrer Atemzüge.

Mulder blinzelte zuerst, wie Skinner es erwartet hatte. "Wenn Sie es wirklich nicht wissen, dann helfen Sie mir." Skinner stärkte sich gegen das Flehen in Mulders Stimme. "Helfen Sie mir sie zu finden."

"Wie?" Skinner kannte die Antwort bereits—sie lag auf der Hand.

"Sie haben viele Möglichkeiten das herauszufinden, Walter", gab Mulder gereizt zurück. "Es ist ja nicht so, als ob sie sich einfach in Luft aufgelöst hätte. Sie könnten sie für mich finden."

Skinner ließ den verärgerten Seufzer nun heraus. Wie lange würde sich Mulder damit noch quälen, fragte er sich, bevor er Scully endlich losließ?

"Mulder, ich will Ihnen nicht helfen sie zu finden", sagte er bestimmt, setzte sich und bot Mulder mit einer Geste die Couch an. "Ich möchte auch nicht, dass Sie nach ihr suchen. Außerdem, was Sie von mir verlangen, grenzt an alle Regeln der Ethik - etwas auf das ich nicht vorbereitet bin."

Jetzt sprach die Stille zwischen den Beiden definitiv Bände des Verrats.  Mulder ignorierte das gastfreundliche Angebot und blieb stehen, sein ganzer Körper gespannt wie eine Feder.

"Also gut", sagte Mulder schließlich. "Wenn Sie mir nicht helfen werden, werde ich es alleine versuchen. Ich werde einfach einen Privatdetektiv engagieren."

Er drehte sich um, um zu gehen, und Skinner gab nach. Besorgt. Natürlich würde er so etwas sagen, aber er hatte gehofft, dass Mulder nicht soweit gehen würde. Er könnte ihm genauso gut sagen, was er wissen wollte, überlegte er. Wenigstens würde Mulder ihn in seiner Nähe dulden, wenn er unvermeidlich zusammenbrechen würde.

"Bemühen Sie sich nicht, Mulder", sagte er, und die Reue in seiner Stimme lies Mulder innehalten. "Sie ist in Baltimore. County M.E.'s Office."

Skinner besah sich das Gesicht vor ihm, als Mulder diese Information aufnahm und überlegte, ob er sie nutzen sollte oder es einfach sein lassen.  Er betete, dass Mulder die richtige Entscheidung treffen würde, aber sein Herz sagte ihm, dass sein Freund keine Wahl hatte. Natürlich würde er zu Scully gehen. Es war sein Schicksal.

"Danke, Walter", bekam er die ruhige Antwort. Skinner saß still und bewegungslos, als Mulder aus der Tür aus seiner Wohnung ging.

"Fuck!" brach es aus Skinner heraus. Er war kein Mann, der lauthals fluchte, denn er sah es als kindisch an. Aber unter diesen Umständen fühlte er sich bestätigt. Mulder ging jetzt geradewegs in die Höhle des Löwen, und er konnte nichts dagegen tun. Er ballte seine Hände zu Fäusten und versuchte dem Impuls zu widerstehen, hinter Mulder herzulaufen und ihm Verstand in seinen sturen Dickschädel einzuhämmern. Es würde nichts bringen. Wenn Mulder einmal eine Richtung eingeschlagen hatte, könnte ihn nicht einmal eine stahlharte Mauer davon abbringen.

 
 

Scully trat aus ihrem Büro, müde und erschöpft nach viel zu vielen schlaflosen Nächten. Die Anstrengung, sich Tag und Nacht um Mulder zu sorgen hatte bereits angefangen, ihre Gesundheit anzugreifen. Sogar ihre Kollegen fingen an, von ihrem Auftreten Notiz zu machen. Sie hatte kein Wort von Skinner gehört, sie konnte nur annehmen, dass er sein Versprechen, Mulder zu beschützen, hielt. Doch Zach schickte immer noch Bilder von Mulder, sogar täglich. Der einzige Trost, den sie hatte war, dass Mulder dieser Tage nur selten allein auf den Fotos abgebildet war. Einer der Jungs war offensichtlich jeden Tag bei ihm. Sie nahm an, dass sie das Skinner zu verdanken hatte und sie war froh darüber.

Fast automatisch ging sie ihren Weg zu ihrem Auto, sie war viel zu erschöpft um sich viel um ihr Umfeld zu scheren. Weil sie ihren Kopf gesenkt hielt, während sie ging, wäre sie fast in ihn gelaufen. In letzter Sekunde fühlte sie seine Anwesenheit und sah verwirrt zu ihm auf.

"Mulder!" rief sie aus und der Schock stand auf ihrem hübschen Gesicht geschrieben, als sie zurück trat. "Was machst du...?"

Sein Mund verzog sich in ein sarkastisches Grinsen. "Was ich hier mache?" endete er für sie. "Das ist lustig, ich könnte dich genau dasselbe fragen."

Scully biss die Zähe zusammen. Sie hatte keinesfalls vor, sich hier und heute mit Mulder zu streiten—nicht wenn sie sich so mitgenommen fühlte.  "Geh nach Hause, Mulder", sagte sie kurz angebunden und begann ihren Wagen aufzuschließen. Seine Hand schloss sich über ihre, er drehte sie abrupt um und presste sie nicht allzu fest gegen die Tür, bevor sie sie aufmachen konnte.

"Das sehe ich gar nicht so, Scully", sagte er eisern. "Nicht bevor wir einige Dinge besprochen haben."

"Wir haben nichts zu..."

"Wir haben eine Menge zu bereden!" unterbrach er sie. "Fangen wir an mit dem Grund warum du weg gelaufen bist. Warum bist du in der Nacht überhaupt zu mir gekommen, wenn du mich bloß vögeln wolltest und danach spurlos verschwinden?" verlangte er von ihr mit immer noch verletzter Stimme.  "Hättest du nicht wenigstens die Gnade gehabt, mir eine Nachricht zu hinterlassen?" Sie hatte noch nie dieses Eis in seiner Stimmer gehört, und die Tatsache, dass er geradewegs sie ansprach, machte es fast unerträglich.

Sie riss sich ärgerlich von ihm los, doch er drückte sich noch mehr gegen sie.

"Antworte mir", befahl er leise und legte beide Hände neben ihren Schultern auf den Wagen, um ihr keinen Ausweg zu lassen.

"Ich hatte meine Gründe", sagte sie und blitzte ihn rasend an. 'Geh!' bat ihre innere Stimme. 'Geh, bevor er uns zusammen sieht!'

Er hob in einer wohlbekannten Geste eine Augenbraue. "Und diese Gründe wären...?"

Zeit zu lügen, entschloss sie sich, und zwar richtig zu lügen. Es war der einzige Weg, ihn loszuwerden, was wiederum der einzige Weg war, ihn zu beschützen. Scully ignorierte die Risse in ihrem Herzen und sagte kalt, "Du hast mich zu sehr gedrängt. Du wolltest eine verbindliche Beziehung von mir, zu der ich nicht bereit war."

Er starrte sie ungläubig an. "Ich habe dich gedrängt?" sagte er in diesem ruhigen, kontrollierten Ton, den er nur zustande brachte, wenn er gerade noch Herr über seiner Wut war. "Darf ich dich daran erinnern, dass Du es warst, die zu mir gekommen ist? Dass du es warst, die mich gefragt hat zu mir zu ziehen? Dass du es warst, die es initiiert hatte... ich habe dir gesagt, ich würde dir alle Zeit geben, die du brauchst, und ich habe es so gemeint. Scully, das letzte, was ich getan habe, ist dich bedrängen."

Sie konnte ihn nicht ansehen, konnte ihm nicht in die Augen sehen, nicht in diese Augen, die immer Ehrlichkeit verlangten. Stattdessen fixierte sie ihren Blick auf den obersten Knopf seines Hemdes.

"Ich habe mich bedrängt gefühlt", bestand sie stur darauf. "Ich wusste, dass wenn ich dir sagen würde, dass ich gehen will, du mich überreden würdest zu bleiben, also habe ich mich entschlossen einfach zu gehen. Wie hast du mich überhaupt gefunden?"

Er beachtete ihre Frage nicht. "Und warum dachtest du verschwinden zu müssen?" konterte er geschickt. "Warum bist du nicht einfach zu deiner Mutter gezogen, oder in ein nahegelegenes Apartment? Warum hast du deinen Job gekündigt und die Stadt verlassen mit Anweisungen, dass ich nicht erfahren soll, wo ich dich finden kann? Wenn du mir gesagt hättest, dass du dich überrumpelt fühlst, hätte ich mich gern für eine Weile zurückgezogen. Ich kann verstehen, dass du mich verlassen willst, Scully, aber warum um Himmels Willen musstest du weglaufen?"

Sie musste diese Begegnung beenden und zwar sofort. Die rauen Emotionen in seiner Stimme brachten sie fast um, und sie wusste genau, dass Zach sie beobachten könnte. Sie blickte sich hastig um, doch da war niemand.

"Hör zu, Mulder", sagte sie frostig, lehnte sich vor und sprach fast in einem Flüstern. "Ich habe das getan, was ich tun musste. Ich mache weiter, und du solltest dasselbe tun."

Als er immer noch nicht überzeugt schien, entschloss sie sich, schwerere Geschützt aufzuziehen. Wenn Mulder eine Ahnung gehabt hätte, welche Schwäche und Leere Scully in diesem Moment überfiel, hätte er ihr sagen können, dass er sie vollkommen verstand—dass wenn der Schmerz zu groß wird, um ihn zu ertragen, der Körper einen einfachen Weg kannte sich davon zu isolieren, zumindest für eine gewisse Zeit.

"Ich treffe mich wieder mit Zach", log sie. "Wir denken daran, wieder zusammenzukommen." Das sollte helfen, Dana, sagte sie traurig zu sich. Das sollte ihn jetzt wirklich abschrecken, ist es nicht das, was du willst? Was sonst könnte ihn für immer verjagen?

Mulder war überwältigt, als ob sie ihm eine verpasst hätte. Unter keinen Umständen würde sie zurück zu ihrem Ex-Mann gehen, nach all dem, was er ihm angedroht hatte und was er ihr angetan hatte! Sein Gesicht war ganz weiß und sie konnte fühlen, wie er neben ihr zitterte. Sekunden später wich er zurück und der Kontakt zwischen ihnen war gebrochen.

"Ist das dein Ernst?" fragte er heiser. "Du würdest allen Ernstes zu diesem Arschloch zurück gehen nach dem was er dir angetan hat? Was er mir angetan hat?"

Sie sah fort, konnte ihn nicht ansehen. "Du verstehst nicht, Mulder..."

"Du hast Recht", grunzte er harsch. "Ich verstehe es nicht. Nicht dich und auch nicht mich. Ich verstehe nicht warum ich immer noch so besessen von dir bin, nachdem du mir so oft weh getan hast, aber ich kann dir eines mit Sicherheit sagen, Scully. Ich hab die Schnauze voll davon hinter dir herzurennen." Tränen strömten nun über ihr Gesicht, aber er ignorierte sie.

"Du hast immer gewusst, was ich für dich empfinde. Ich habe nie versucht, es zu verstecken", fuhr er fort und nahm ihr die Möglichkeit, etwas zu sagen. "Manchmal habe ich gedacht, dass du dasselbe empfindest, aber ich bin nie schlau aus dir geworden, und du gibst nie etwas über dich Preis.  Ich habe diese Ratespiele jetzt satt, all die Lügen, und ich bin fertig mit dir. Ich kann nicht von jetzt auf gleich aufhören dich zu lieben, Scully, das weiß ich. Aber ich werde irgendwann aufhören. Ich brauche dich nicht, um zu überleben, und ich kann dir nicht mehr vertrauen."

Sie erschrak. Diese Worte erdrückten ihr Herz mehr als irgendwelche andere, die er gewählt haben könnte. Der Gedanke, dass Mulder, der Mann, der an ihrer Seite durch Dick und Dünn gegangen war, der Mann, den sie in so vielen Enttäuschungen und Leid erlebt hatte, der gesagt hatte, dass sie die einzige sei, der er vertraute, diese Worte so mir nichts ihr dir nichts an den Kopf werfen konnte—bis dahin hatte sie nie das volle Ausmaß gesehen, in dem er sich von ihr betrogen fühlte.

Bevor sie ihre Gedanken in irgendeine mögliche Antwort umsetzen konnte, war er verschwunden. Er war in sein Auto gesprungen und mit quietschenden Reifen und Kies aufwirbelnd vom Parkplatz gerast. Scully hielt ihre wallenden Tränen zurück und nahm benommen Platz in ihrem Auto. Es war die einzige Lösung, versicherte sie sich, und er hatte Skinner, der ihm beistehen würde. Er hatte Skinner als Vertrauten. Er war besser dran ohne sie. Er war in Sicherheit ohne sie. Sie senkte ihren Kopf zum Lenkrad und gab endlich dem lauten Schluchzen nach, das sie so viele Wochen lang bekämpft hatte. Es war nun wirklich vorbei, das wusste sie. Selbst wenn Zach das Interesse an ihm und ihr verlieren würde, würde er ihr nie die Qualen verzeihen, durch die sie ihn hatte gehen lassen. Einige Wunden schnitten zu tief, um je verziehen werden zu können.

 
 

Mulder wusste nicht was er tun sollte, also fuhr er einfach. Er raste gedankenlos durch die Straßen, während ihn jetzt dieselbe Leere überfiel, die sich in ihr aufgetan hatte, als sie ihm den tödlichen Schlag verpasst hatte, und ihn in schützenden, dennoch falschen Trost hüllte. Er lies den Gedanken nicht zu, dass sie sich vielleicht wieder mit Zachary Morrow versöhnen würde. Es war einfach zuviel zu ertragen. Die Scully, die er kannte und so lange geliebt hatte, hätte geradewegs eine Kugel durch die wertlose Gestalt des Mannes gejagt, aber sie war jetzt eine andere Frau.  Sie hatten sich beide so unglaublich verändert den Menschen gegenüber, die sie einmal gewesen waren. Ein Hauch von Kameradschaftlichkeit wallte stetig durch sein Bewusstsein, eine Erinnerung jagte die nächste, bis er nach Luft rang und nur kaum die Tränen bemerkte, die seine Wangen herunter rannen.  Wie konnten zwei Menschen, die so vollkommen ineinander verschlungen waren, zulassen, dass irgendjemand oder irgend etwas anderes sie trennte?  Die Tatsache, dass er vier Jahre hinter Gittern verbracht hatte, sollte total irrelevant sein, aber es war zu spät gewesen. Er hatte sich von ihr abgewandt, und sie hatte ihm den Rücken zugekehrt—beides war Mitschuld an der Zerstörung dessen, was ihnen am meisten bedeutete. Wenn sie nur mit äußeren Umständen hätten fertig werden müssen, um durchzuhalten. Aber weil jeder von beiden sein Eigenes zu der chaotischen Mixtur zufügte, hatten sie für immer die Chance verloren, das von anderen herbeigeführte Zerstörte wieder gutzumachen.

Stunden und Meilen später, und bevor Mulder sich dem überhaupt gewahr war, war es Mitternacht. Er wurde müde, denn sein Körper war trotz des Tumults in seinem Kopf erschöpft, also drehte er widerwillig um in Richtung seines Hauses. Sollte er einfach auf sein Bett fallen mit der Gedanken an die einzige, wertvolle Nacht zusammen, oder sich einfach in den quälenden Erinnerungen verlieren, die mit seiner Ledercouch zusammenhingen? Er warf in Gedanken eine Münze (Kopf verliert, Zahl verliert) und entschloss sich, wahrscheinlich auf dem verdammten Fußboden zu schlafen.

Es war kurz nach ein Uhr morgens, als er sein Auto in der Auffahrt parkte.  Er schleppte sich zu seiner Tür und fummelte nach dem Schlüssel. Als er es schließlich schaffte, die Tür zu öffnen, fiel er fast in das dunkle Wohnzimmer. Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich total erledigt gegen die Wand. Seine Hände tasteten gerade nach dem Lichtschalter, als ein unsäglicher Schmerz in seiner rechten Wade ihn auf der Stelle niederriss.

Seine Nervenenden registrierten den Schmerz bevor seine Ohren den ohrenbetäubenden Knall oder seine Augen das gleißend blendende Licht vernahmen. Der Schreckensschrei, der ihm entfuhr wurde geradewegs von seinem augenblicklichen Schnappen nach Luft erstickt. Während er immer noch zu verstehen bemühte, was passiert war, hielt Mulder sein stechend schmerzendes Bein und versuchte den Blutstrom zu stoppen. In der nächsten Sekunde wurde eine Lampe angemacht und er konnte den Angreifer sehen. Sein Blut gefror in seinen Adern, als er in Zachary Morrows Gesicht blickte.  'Natürlich, wer sonst', schaltete er benebelt.

"Morrow", keuchte er.

"Niemand anderes." Das Grinsen auf Zachs Gesicht war pure Bosheit, und das Licht reflektierte von der kleinen Pistole, die er abermals auf sein hilfloses Opfer richtete. Mulder kämpfte, um auf die Beine zu kommen, doch bevor er die Balance wiedererlangt hatte, traf ihn Zachs Kugel ein zweites Mal, diese Mal genau unter seinem Brustkorb. Durch die Gewalt des Geschosses wurde er gegen die Tür zurückgeworfen, und er spürte, wie er langsam zu Boden sank. Seine Augenlieder flatterten als er versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben. Genau diese noch funktionierende Ecke seines Gehirns fragte sich, ob er einen dramatischen roten Streifen auf seiner weißen Tür hinterlassen würde. So sah es nämlich immer in Filmen aus, dachte er. Er fragte sich, ob Zachary wirklich so ein schlechter Schütze war, oder ob er absichtlich daneben schoss, um die Tortur zu verlängern.

"Warum..." fragte er keuchend. Er saß mehr schlecht als recht aufrecht gegen die Tür gelehnt, durch und durch erschrocken und geschwächt, und er konnte nur zusehen, wie sein Feind sich ihm langsam näherte. Seine Augen klebten auf der Waffe. Glock, 9mm, sagte ihm sein trainiertes Auge, als ob es einen Unterschied würde, mit welcher Waffe er ermordet würde. Er zwang sich aufrecht zu bleiben und sah zu, wie Zach sich neben ihn kniete, sein Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt. Schweiß tropfte von seiner Stirn, genau wie von Mulders. Er konnte den Wahnsinn in Zachs Augen sehen und fragte sich seltsamerweise, was Zach in seinen Augen sah.

"Sie gehört immer noch mir, weißt du", sagte Zach beiläufig, als er den Lauf der Pistole an der Seite von Mulders Gesicht hinab streichen lies. "Und nichts und niemand wird das je ändern."

Still wartete Mulder was als nächstes passieren würde. Für einen Moment hoffte er, Zach würde ihm eine Kugel durch den Kopf jagen, aber im nächsten erwachte sein Überlebenswille. Vielleicht könnte er nach Hilfe rufen, wenn er dieses Arschloch loswerden könnte.

"Richtig", stimmte Mulder zu mit vor Schmerz erstickter Stimme. "Sie gehört dir."

Zachs Augen weiteten sich. Er hatte diese Antwort gar nicht erwartet. Dann schloss er sie zu engen Schlitzen. Mulder war ein cleverer Bursche, sagte er sich, aber nicht clever genug. Zu versuchen, ihn einfach aus der Bahn zu werfen, würde nicht funktionieren.

"Es freut mich sehr, dass wir uns einig sind", sagte er schmeichelnd. Er stand auf und ging ein paar Schritte zurück. "In diesem Fall macht es dir nichts aus, wenn ich ihr das verpasse, was sowieso auf sie zukommt, habe ich recht?"

Die bohrende Frage in Mulders Augen bestätigte seine Vermutung, dass er sie immer noch wollte, immer noch glaubte, er könne sie haben. Es war ein Problem, das er ein für alle Mal aus der Welt schaffen musste. Er hob die Waffe erneut und feuerte ein drittes Mal. Die Kugel traf sein Opfer in den Oberarm. Mulder hielt seine neue Verletzung und fühlte, wie er die Balance verlor. Eine Sekunde später lag er auf dem Boden und sah in gebanntem Horror seinen Angreifer an.

"Lass sie in Ruhe", flüsterte er, unfähig genug Kräfte für eine festere Stimme zusammenzubringen. "Tu ihr nicht weh."

"Aber sie gehört mir. Das hast du selbst gesagt", konterte Zach. Er stand über Mulder, mit je einem Fuß auf einer Seite des fast leblosen Körpers unter ihm, und richtete die Waffe wieder auf ihn. "Ich kann alles mit ihr machen, was ich will."

Mulder sah, wie der Lauf auf seine Stirn gerichtet war, und schluckte krampfhaft. Jetzt war es soweit. Jetzt sollte es enden. Der Schmerz sollte hier und jetzt enden, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, und mit einem letzten trotzig-herausfordernden Blick in die Augen seines Feindes schloss er die Augen und wartete. Eine Sekunde später wurde er zerrissen von tausend Messerstichen, als die Kugel sich nicht durch seine Stirn, sondern durch seinen Unterleib bohrte. Fast unfähig zu atmen, fühlte er die Welt um sich herum verblassen. Er hieß die Ohnmacht willkommen, wollte sie, griff nach ihr. Mit geschlossenen Augen und flachen, hastigen Atemzügen wartete Mulder auf den Tod. Er hörte eine Stimme an seinem Ohr, die wieder die Worte flüsterten, "Sie gehört mir. Ich werde sie nie gehen lassen." Sein Körper wurde zur Seite getreten, als Zach die Tür öffnete und hinter sich schloss.

Der Schmerz bewegt zu werden holte ihn wieder völlig ins Bewusstsein zurück und mit einem Geistesblitz erkannte er, wohin Zach jetzt ging. 'Scully', dachte er frenetisch, 'ich muss sie warnen bevor ich sterbe.' Er klammerte sich an seine letzte Kraftreserve und kroch hartnäckig durch den Flur zum Telefon. Seine Gedanken arbeiteten, auch wenn er fühlte wie das lebensnotwendige Blut langsam aus seinem Körper floss. Er kannte ihre Telefonnummer nicht. Wie sollte er sie warnen? Natürlich. Maggie. Sie war Scullys einzige Hoffnung.

Nach qualvollen Minuten erreichte er den Tisch, auf dem das Telefon war und ihn mit seiner Nähe und Unerreichbarkeit höhnisch anstarrte. Sein erster Versuch, danach zu greifen, war erfolglos, denn sein verletzter Arm war einfach zu schwach, um über seinen Kopf zu greifen. Beim zweiten Versuch, bei dem er seinen gesunden Arm benutzte, konnte er das Kabel fassen, so dass er die ganze Basis über den Tischrand zog. Er heulte auf, als sie auf seiner Brust landete und erneut eine Ladung stechender Pfeile durch seine Magengegend schoss. Er brauchte all seine Willenskraft um die an der Schwelle kratzende Bewusstlosigkeit fern zu halten, und tastete nach den Kurzwahltasten. Maggie war Nummer drei, direkt nach Walter und Jess, und er schluchzte erleichtert, als seine Finger ihr Ziel fanden. Er drückte auf den Knopf und wartete. Endlich, nach sieben Klingelzeichen, hob sie ab.

"Hallo?" sagte Maggie Scully verschlafen. "Wer ist da?"

"Mag..." keuchte er, unfähig das Wort zu beenden. Der graue Schleier war wieder da, und ganz egal wie sehr er dagegen anzukämpfen versuchte, er spürte, wie er abtrieb.

"Fox? Fox, sind Sie das?" Ihre Stimme war jetzt kräftiger, besorgt. Sie hatte seit dem Morgen von Danas Weggang nicht mehr mit ihm gesprochen. Er hatte sich geweigert, ihre Anrufe zu beantworten. Sie konnte es verstehen, wenn auch sie sehr traurig darüber war. Doch jetzt war er offensichtlich in Schwierigkeiten. Sie konnte kurzes, heiseres Atmen hören am andern Ende der Leitung.

"Scully... Zach" brachte er hervor. "Wird ihr... wehtun..."

"Was ist mit Dana?" fragte Maggie, die jetzt vollkommen wach war und bereits nach ihren Kleidern suchte. "Fox, was ist passiert?"

Ihre Stimme drang durch die Leitung, doch sie wurde nicht erhört. Mulder hatte letztendlich die Schlacht gegen das Grau verloren.

Nach einem überhasteten Anruf bei Dana, in dem sie ihre Tochter anwies, sofort ihre Wohnung zu verlassen, ("Stell keine Fragen, Dana, GEH EINFACH!") wählte sie 911 und teilte ihnen die wenigen Details, die sie hatte, mit. Sobald ihr versichert wurde, dass ein Rettungswagen zu Fox unterwegs war, hob sie abermals das Telefon ab und rief Walter an. Er hatte sich in letzter Zeit ebenfalls sehr distanziert verhalten, aber es war nur, weil er ihr die Tatsache übelnahm, dass sie Dana geholfen hatte, sich vor Fox zu verstecken. Durch die verdammten Anruferkennungsgeräte der beiden Männer war sie praktisch aus ihrem Leben ausgeschlossen. Stur schob sie ihre Unterlippe nach vorne und nahm sich vor, das Telefon so lange klingeln zu lassen wie es brauchte, damit er abhob. Jetzt war nicht die Zeit für Schmollen.

 
 

Scully näherte sich zögernd Mulders Krankenbett. Er war gerade erst nach stundenlanger Operation und zwei Stunden Erholung in sein Zimmer gebracht worden. Traurig besah sie seine stille, blasse Gestalt unter dem Laken. Er hatte großes Glück gehabt. Röhren und Schläuche führten wie Schlangen von unter seiner Decke wie metallene und plastische Symbole zu der Verwüstung, die durch Zacharys Kugeln über ihn gekommen war.

Sie hatte keinen Zweifel daran, wer der Schütze gewesen war, nur wo er sich gerade befand, wusste sie nicht. Laut Maggie war er kurz im Rettungswagen erwacht und hatte die Notärzte angefleht, sie vor der Gefahr zu warnen. Die Polizei war in Zacharys Wohnung eingedrungen, doch sie war leer.  Offensichtlich war der Bewohner dem unordentlichen Berg von Klamotten in seinem und dem Schlafzimmer seiner Tochter nach zu urteilen in höchster Eile abgehauen. Er hatte Emmie ohne jegliche Erklärung bei seinen Eltern abgesetzt, das sagten Mr. und Mrs. Morrow aus, als die Polizei sie befragte, doch sie hatten keine Ahnung, wo ihr Sohn hingegangen sein könnte.

Skinner wollte, dass die Polizei Wachen vor Mulders Krankenzimmer postierte, aber nach heftigem Hin und Her hatte Scully ihn überredet, Langly und Frohike stattdessen anzurufen. Sie sagte, dass Mulder wahrscheinlich bis zu einer Herzattacke aufregen würde, wenn er sich nicht nur hilflos in einem Krankenhaus wiederfinden würde, sondern zudem noch umringt von uniformierten Wachen. Er würde eher glauben, dass sie dort seien um ihn zu festzuhalten und einzuschränken anstatt für seine Sicherheit zu sorgen, erinnerte sie Skinner, und nach kurzer Überlegung stimmte er ihr zu. Demzufolge wurden zwei von Mulders engsten Freunden (die, denen er noch traut, Dana, erinnerte sie sich traurig) direkt vor der Tür seines Zimmers stationiert, die sie soeben schloss, um etwas Privatsphäre mit dem Menschen in dem Bett zu haben.

Scully zog einen Stuhl zu sich heran und griff durch das Bettgeländer, um seine Hand zu halten. Sie musste gegen ihre Tränen ankämpfen, als sie fühlte, wie leblos und schlaff sich seine Hand anfühlte. Selbst jetzt war es nicht sicher, ob Mulder überleben würde, und sie wurde daran erinnert, wie sie selbst im Koma gelegen hatte. Sie hatte gespürt, wie er ihre Hand gehalten hatte, wie seine Stimme sie gebeten hatte, ihn nicht allein zu lassen, doch sie hatte nicht die Kraft gehabt, ihm zu antworten. Sie fragte sich, ob er sie jetzt hören konnte.

"Mulder", begann sie und hielt inne. Was sollte sie sagen? Welche Entschuldigung könnte je ausreichen für all das Unglück, das er wegen ihr hatte erleiden müssen? Letztendlich entschloss sie sich, gar nichts zu sagen, legte ihren Kopf auf den metallenen Bettrand und gab sich zufrieden seine langen, wohlgeformten Finger zärtlich zu streicheln. Scully hatte schon immer Mulders Hände bewundert. Hände, die einem Pianisten gehören könnten oder vielleicht einem talentierten Chirurgen, doch stattdessen wurden sie benutzt, schreckliche Fälle zu lösen und einige der gefährlichsten Kriminellen des Landes zu fassen. Die Hände eines Helden.  Hände, die in letzter Zeit zu viele Tränen getrocknet hatten.

"Bitte, erhole dich", flüsterte sie, als sie ihre Augen schloss und ihn weiter streichelte. "Bitte verlass mich jetzt nicht."

Gegen Abend redete ihre Mutter auf sie ein, zu gehen und etwas zu essen, also wanderte Dana gehorsam in die Krankenhauscafeteria, wo sie sich ohne sich zu rühren vor einen Teller mit einem Hühnchensandwich und einer Handvoll Brezeln setzte. Die leere Kaffeetasse vor ihr deckte ihren Tagesbedarf an Nahrung, und als Skinner sich neben sie setzte, schüttelte er nur den Kopf. Er wusste nicht, was er aus der ganzen Situation machen sollte. Scully verbringt eine Nacht voller Leidenschaft mit Mulder, Scully verschwindet und hinterlässt in Mulder einen gebrochenen Mann, Scully erzählt Walter, dass sie sich von Mulder fernhalten muss, um ihn zu beschützen, und jetzt weigert sie sich, von Mulders Seite zu weichen.  Skinner konnte nur annehmen, welches Szenario zu der grundlosen Attacke auf Mulder geführt hatte; Scully hatte zugegeben, dass sie ihren früheren Partner am Tag zuvor gesehen hatte, aber sie wollte absolut keine näheren Details preisgeben.

Sie sah auf, als er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte, und sah dann wieder herunter auf das unangerührte Essen.

"Hat Mom Sie geschickt?" fragte sie leise.

"Sie wollte, dass ich nachsehe, ob Sie etwas essen, aber wo ich das hier so sehe", antwortete er und wies geringschätzig auf das Sandwich, "rate ich davon ab."

Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. "Ich hätte den Burrito nehmen sollen. Mulder hätte ihn genommen."

"In diesem Fall", beobachtete Skinner philosophisch, "würde er jetzt wahrscheinlich wegen einer Lebensmittelvergiftung oben liegen, und nicht wegen Schusswunden." Als er sah, dass seine Versuche einen Witz zu machen nichts brachten, lehnte er sich wieder ernst geworden näher zu ihr.

"Ich möchte, dass Sie mir erzählen, was passiert ist, Scully", beorderte er sie in seinem besten Assistant Direktors Tonfall, und er vernahm ein Gefühl der Bestätigung, als ihr Kopf in die Höhe schoss. Ihr Instinkt, seiner Autorität nachzugeben, war immer noch stark.

"Mulder wollte mich gestern sehen", sagte sie endlich, langsam, als ob sie die Worte aus sich herausziehen müsste. "Aber ich nehme an, dass Sie das wissen. Sie müssen ihm gesagt haben, wo ich bin." Es lag nur eine Spur von Beschuldigung in ihren Gesichtszügen, doch Skinner bemerkte es und forderte sie im Stillen heraus, sein Verhalten zu kommentieren.

"Ich hatte keine Wahl, er wollte einen Privatdetektiv anheuern. Ich habe keinen Grund gesehen, ihn das Geld dafür ausgeben zu lassen, weil jeder vernünftige Detektiv Sie im Handumdrehen gefunden hätte. Es ist ja nicht so, als ob Sie versucht hätten, sich zu verstecken."

Sie nickte und akzeptierte seine Erklärung.

"Was ist also passiert?" fragte er wieder und wünschte sich sehnlichst eine Tasse Kaffee herbei.

Sie zuckte sie Schultern. "Wir haben gestritten. Das scheint in letzter Zeit die einzige Art zu sein, in der wir kommunizieren können."

"Hört sich für mich eher nach fehlender Kommunikation an."

"Haben Sie ihm von Zach erzählt? Von den Bildern?"

"Ich musste ihm alles erzählen, Scully. Er ist vor einigen Wochen in mein Büro gekommen, weil das Beobachtungsteam, das ich auf ihn angesetzt habe, ihm Angst eingejagt hatte."

"Beobachtungsteam?" fragte sie ungläubig. "Walter, wie konnten Sie das tun? Jemand mit Mulders Erfahrung könnte kaum übersehen, dass..."

"Er hat ihren Ex-Mann übersehen", gab Skinner prompt zurück.

Sie grinste freudlos. "Ich bin sicher, dass Zach sich nicht bewährter, professioneller Beschattungstechniken bedient. Er lauert Leuten auf. Und das offensichtlich ziemlich gut."

Nun musste er mit den Schultern zucken. "Jedenfalls hat es die Sache auch nicht besser gemacht, dass Mulder im Flur vor meinem Büro unserem Zigaretten rauchenden Freund in die Arme gelaufen war."

Sie erschrak. "Was hat er zu Mulder gesagt?" fragte sie, während ihre Finger die Styroporkaffeetasse würgten, die sie in den Händen hielt.

"Nichts hat er gesagt, laut Frohike zumindest. Ich nehme an, es war eher der Schreck, dem Mann zu begegnen, und natürlich war Mulders erster Gedanke, dass er verantwortlich für die Beschattung ist."

Sie nickte. "Logisch. Und dann haben Sie es ihm gesagt?"

"Ich musste es tun, Dana, er war zu Tode erschrocken. Ich konnte ihm natürlich nicht einfach so sagen, warum ich ihn beobachten lasse, ohne ihm den Grund zu sagen."

Sie drehte den leeren Kaffeebecher in ihren Händen mit erzwungener Ruhe.

"Wie hat er reagiert?"

"Vorhersehbar. Was haben Sie beide gestern zueinander gesagt?"

Sie sah zu ihm auf, dann wieder herunter. "Vorhersehbares. Er wollte wissen, warum ich gegangen bin. Er hat nie etwas von den Bildern gesagt."

Skinner saß für einige Sekunden still da, bis es ihm dämmerte, dass sie nicht vorhatte fortzufahren. "Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie beide sich in keinster Weise einig geworden sind, und dass Sie sich einfach so getrennt haben, wobei Mulder die schnellere Variante eines Abgangs gewählt hat?"

Sie starrte ihn an. "Sie kennen ihn sehr gut", beobachtete sie.

"Ich kenne seine Fähigkeit, Konflikten aus dem Weg zu gehen, ja. Aber er hat Sie aufgesucht, also nehme ich an, dass er einige Antworten haben wollte."

"Ja, das wollte er."

"Und hat er sie bekommen?"

Eine Träne gelangte schließlich durch die Barriere ihre linke Wange herunter, bald gefolgt von weiteren. "Ich habe nicht gewusst, dass Sie es ihm gesagt haben", sagte sie erstickt. "Ich habe gelogen, um ihn zu schützen, und es war das Schlimmste, was ich je hätte tun können."

Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und ließ ihre Gefühle heraus. Sie war erschöpft von stundenlanger Sorge um Mulder und Angst, dass Zach jede Sekunde auftauchen könnte, und der Befürchtung, dass es Mulder dieses Mal nicht schaffen würde. 'Alle guten Dinge sind drei!' bekräftigte eine Stimme in ihrem Innern, und sie zitterte bei der Andeutung, dass Zachs dritter Versuch Mulder umzubringen von Erfolg gekrönt sein könnte.

Skinner streckte seine Hand aus und rieb für einen Moment sanft ihre Schulter. Wie wütend er auf Dana Scully auch gewesen sein mochte, nachdem sie Mulder augenscheinlich im Stich gelassen hatte. Als er die Frau so am Boden zerstört vor sich sah, brachte es zu viele Erinnerungen in ihm zurück. Mulder und Scully gehörten immer noch zusammen. Das würden sie immer. Doch leider, dachte Skinner, wenn sie sich nicht bald einig werden könnten, würde es Mulder geradewegs umbringen.

"Ich bin mir sicher, dass wenn Sie die Möglichkeit haben, es ihm zu erklären, er es verstehen wird."

Sie rieb ihre tränenverwaschenen Augen, um wieder etwas Selbstkontrolle zu erlangen. "Das glaube ich nicht", sagte sie weinerlich. "Er hat mir gesagt... Walter, er sagte, dass er mir nicht mehr vertraut."

Das war das Letzte, was Skinner zu hören erwartete hatte, und seine Augenbraun schossen in die Höhe. Er quetschte sein Gehirn aus nach den richtigen Worten, und endlich fiel ihm etwas ein, von dem er dachte, dass es sie vielleicht etwas trösten würde. "Sie haben sich sein Vertrauen schon einmal verdient, Scully. Sie können es sicherlich noch ein zweites Mal."

"Wenn er mir eine Chance dazu gibt", murmelte sie und ihre zusammengefallenen Schultern zeigten an, wie sie über ihre Chancen dazu dachte. Sie stand auf und warf den Teller mit Essen in den nächsten Mülleimer, zusammen mit dem ruinierten Becher. "Ich gehe wieder nach oben."

Er sah sie mit mehr als nur ein wenig Angst davongehen. Mulders Vertrauen zu gewinnen war so verdammt schwer, aber Scully hatte es fast von Anfang an gehabt. Wenn er allen Ernstes den Glauben an sie verloren hatte, wusste Skinner nicht, ob noch so viel von der Beziehung übrig geblieben war, das man retten konnte.

 
 

Sie war seitdem nicht mehr von seiner Seite gewichen, und am Abend des zweiten Tages seines Komas, schrak sie hoffnungsvoll von ihrem Stuhl auf, als er sich endlich regte. Sie hatte die ganze Zeit über beobachtet, wie sich seine Brust hob und senkte, jede Stunde, dass er nur ja gleichmäßig atmete, was seine Chancen zu überleben nur steigern konnte, und als er seine Augen öffnete, wusste sie ohne Zweifel, dass er es schaffen würde. Erleichterung durchflutete ihren Leib und Seele, schwächte sie mit ihrer Intensität, so dass sie sich schlapp wieder auf ihren Stuhl zurückfallen ließ. Sie hielt immer noch seine Hand, als er langsam den Kopf wandte, um sie anzusehen.

Zuerst waren seine Augen etwas unfokussiert, aber als sie sich endlich auf sie richteten, begannen sie vor Ärger zu glänzen, dass ihr angst machte. Sie versuchte, durch ihre Tränen zu lächeln, doch Mulders Ausdruck blieb versteinert, als er sie weiterhin ansah. Dann benetzte er seine Lippen und versuchte zu sprechen. Seine Stimme raspelte wie Holz, als sie durch seinen trockenen Hals krachte, aber sie brachte sein Anliegen klar herüber.

"Ver—schwinde", ächzte er und sie schreckte vor seiner Zornigkeit zurück.

"Mulder..."

"Sofort." Seine Stimme wurde deutlicher, als sein Hals mit Speichel angefeuchtet wurde. Als er herunterblickte und sah, dass sie seine Hand hielt, zog er sie zurück.

Als Mulders Finger aus ihren glitten, hatte Scully ein kurzes aber schockierendes Déjà vu zu dem Tag, an dem sie ihn in Handschellen von ihr fortgeführt haben. Er hatte sie an dem Tag nicht verlassen wollen, doch er wurde gegen seinen Willen abgeführt. Dieses Mal wandte er sich ab, weil er es wollte.

"Ich kann nicht gehen", gab sie zu und strich eine Haarsträhne von seiner Stirn. Es gab ihrem Herzen einen Stich, als er versuchte, von ihrer Hand zu weichen. Die plötzliche Bewegung ließ den Schmerz in seinem Unterleib wieder auflodern, zusammen mit dem in seinem Arm und Bein und schließlich auch in seiner Seite. Scully sah wie er die Lippen zusammen presste und wie sein blasses Gesicht das letzte bisschen Farbe verlor und ahnte, was vor sich ging. Hastig drückte sie auf den Knopf, der eine Dosis Medikamente durch Mulders IV auslösen würde, und binnen weniger Minuten ging es ihm etwas besser, weil es betäubt war.

"Geh weg, Scully", flüsterte er und schloss die Augen, als die Drogen seine Schmerzen linderten.

"Sorry, Partner", sagte sie, "ich lass dich nicht alleine."

Er seufzte leicht. "Wir sind nicht länger Partner, Scully. Wir sind nicht einmal Freunde. Und wir waren nie Geliebte, ausgenommen von der einen Nacht."

Sie wusste, dass sie ihm sehr weh getan hatte, dass er das Recht dazu hatte, ihr als Vergeltungsmaßnahme ebenfalls weh zu tun, aber sie zuckte zusammen bei dem Stich, den seine Worte ihr gaben. Trotzdem—jetzt zu gehen, wo er die ganze Geschichte kannte, warum sie gegangen war, war undenkbar. Mulder würde es verkraften. Er würde nur Zeit brauchen.

"Wir können es wieder zurückholen, Mulder", begann sie, aber er schüttelte langsam den Kopf.

"Ich will es nicht wieder zurück, Scully. Ich will DICH nicht wieder zurück. Lass mich einfach in Ruhe."

Bevor sie den Mund öffnen konnte, um zu protestieren, stand Skinner neben ihr und fasste sie bestimmt, aber nicht zu fest am Ellbogen. Sie sah erstaunt zu ihm auf. Die beiden Männer konnten doch nicht ernsthaft von ihr verlangen, dass sie jetzt geht?

"Mulder", versuchte sie noch einmal. "Ich will, dass du weißt, dass ich nie gewollt habe, dass es dazu kommt."

Er schloss die Augen und wandte sich ab. "Du bist diejenige, die gesagt hat, dass sie es beenden will, Scully. Jetzt hast du, was du wolltest."

Sie hatten sich nichts mehr zu sagen, als sie sich von Skinner von seinem Bett ziehen ließ, aus seiner Nähe, aus seinem Zimmer.

"Er kann doch nicht... er meint doch nicht..." stammelte sie, als sie draußen im Gang standen.

Skinner legte seine Hand auf ihre Schulter und unterbrach sie streng.

"Lassen Sie ihn gehen, Scully." Erschrocken sah sie zu ihm auf.

"Ein für allemal, lassen Sie ihn gehen. Es ist das Beste."

Sie starrte ihn eine volle Minute lang an, bevor sie sprach. "Ich werde für eine Weile fort bleiben", sagte sie vorsichtig, "um ihm Zeit zu geben, sich zu erholen. Aber es ist nicht aus zwischen uns, Walter. Es kann nicht aus sein. Ich kann Zach nicht gewinnen lassen, nicht nach allem, was wir durchgemacht haben. Und ich glaube nicht, dass es wirklich das ist, was Mulder will. Es liebt mich immer noch."

"Das mag vielleicht so sein", stimmte er zu, "aber er ist am Ende seiner Kräfte angelangt. Lassen Sie ihn gehen. Bitte, Scully." Seine sanften braunen Augen hielten mehr als eine Forderung, ein dringendes Flehen. Er bat sie, ganz einfach. "Er hält dieses Hin und Her nicht mehr aus. Sie haben ihn zu oft herumgezerrt."

"Ich gehe. Fürs erste", gab sie endlich zurück. Er sah wie sich ihre kleine Gestalt entfernte, als sie den Korridor herunter ging, und ließ seine Augen nicht von ihr, bis sie in den Aufzug stieg und seinem Blickfeld entschwand.  Er fragte sich, wie Mulders Reaktion hierauf sein würde, sobald er sich von seinen Verletzungen erholt hatte.

 
 

"Tut mir leid, Scully, er schläft gerade", log Skinner, als er Mulder beobachtete. Physisch erholte er sich sehr gut, doch psychisch war sein Freund ein einziges Wrack. Mulder versuchte, den Aufruhr in seinem Kopf vor Skinner zu verstecken, doch er hatte wenig Erfolg damit. Skinner kannte mittlerweile jede Ecke und jede Seite seiner Gedanken, und er kannte jegliche Art Mulders, seine wahren Gedanken zu überspielen.

"Ich werde ihm ausrichten, dass Sie angerufen haben." Er legte auf und seufzte. "Werden Sie wieder mit ihr reden?" fragte er, kreuzte die Arme und senkte seinen Blick auf den Mann im Krankenhausbett.

Mulder zuckte die Schultern. "Früher oder später, nehme ich an, muss ich das wohl", räumte er ein. "Aber nicht solange Sie hier sind, um mich davor zu bewahren." Sein Grinsen widersprach der Ernsthaftigkeit dieser Worte, und wenn Skinner nur ein flüchtiger Bekannter gewesen wäre, hätte er sich vermutlich täuschen lassen. Stattdessen erkannte er jedoch, was Mulder hinter seiner Wortwahl wirklich gemeint hatte. Er hatte wirklich das Gefühl von seiner Ex-Partnerin beschützt werden zu müssen.

"Wissen Sie, Mulder, ich zweifele sehr daran, dass Scully Sie in irgendwelche Büsche ziehen würde, um Sie zu vergewaltigen", sagte er trocken. "Einfach mit ihr am Telefon zu reden würde Sie nicht sonderlich in Gefahr bringen, und sie würde Sie nicht mehr so belästigen. Wie lange, glauben Sie, lässt sie sich diese Abweisungs-Routine noch gefallen?"

Mulder grinste. "Vielleicht lange genug, damit ich nach Seattle umziehen kann."

Skinner grunzte. "Ja, ich kann Sie mir in Seattle gut vorstellen."

"Ich hab gehört, dass es schön ist dort", kommentierte Mulder und das Zwinkern in seinen Augen wurde prominenter. Es war während der letzten Woche ein Insider-Joke zwischen ihnen geworden, seit Mulder erwähnt hatte, dass der einzige Weg, Scully für immer aus seinem Leben zu streichen, ein Umzug in die andere Hälfte des Kontinents wäre.

"Es regnet viel dort", endete Skinner. Mulder hasste Regen. Mulder hasste alles, das ihn zwang, in der Wohnung zu bleiben. "Ernsthaft, Mulder."

Mulder sah zu ihm auf und rutschte ein wenig, um den Druck von seinem verletzten Bein zu nehmen. Rasch sah er weg, als er den strengen Ausdruck auf Skinners Gesicht sah. Seufzend nickte Mulder. Er wusste, dass sein Freund es langsam Leid war, Scully wegen ihm dauernd anlügen zu müssen. Sie hatte seit dem Tag, an dem er aufgewacht war und sie neben sich vorgefunden hatte zweimal versucht, ihn zu besuchen, und jedes Mal hatte sie Skinner höflich aber bestimmt abgewiesen. Früher oder später würde er ihr gegenüber treten müssen.

"Ich weiß, Walter, ich weiß. Es ist nur... jedes Mal, wenn ich daran denke, läuft es mir kalt den Rücken herunter."

Skinner schüttelte verärgert den Kopf. "Sie behaupten die ganze Zeit, dass Sie über sie hinweg sind, aber ich weiß genau, dass das nicht stimmt. Ich erzähle ihr, dass Sie schlafen, aber sie weiß genau, dass ich lüge. Sie sagt, dass Sie ihnen nicht wieder wehtun will. Lügt sie etwa?"

Mulder wickelte gedankenabwesend eine Ecke seines Bettlakens um seinen Finger, hin und her, während er über eine Antwort nachdachte. Schließlich sagte er, "Ich glaube ihr ja, dass sie mir nicht weh tun will. Ich glaube nicht, dass sie das je wollte. Scully hat einfach nur ein paar falsche Entscheidungen getroffen."

Das war zu viel für Skinner. "Sie haben noch nie eine falsche Entscheidung in Ihrem Leben getroffen, Mulder?" fuhr er ihn durch sein Lachen an.

Mulder warf ihm einen wütenden Blick zu. Er wollte mitlachen, aber das würde ihn zu viel Anstrengung kosten. Die letzten Minuten freundschaftlichen Neckens war alles, wofür er emotional in der Lage war.

"Ich bin Experte darin, falsche Entscheidungen zu treffen, Walter", antwortete er ernsthaft, als er sich zurück in die Kissen legte.

Skinner runzelte die Stirn. Es war ein erheiternder Moment zwischen ihm und Mulder gewesen, aber es war immer noch eine Tatsache, dass sein Freund verletzt war, sowohl körperlich als auch seelisch. Und der innere Schmerz würde viel länger brauchen, um zu heilen.

 
 

Skinner stand am Empfang der Schwesterstation und wartete geduldig auf die Aushändigung von Mulders Entlassungspapieren und Verschreibungen.  Er musste noch eine Woche lang Antibiotika nehmen - nur um sicherzugehen hatte der Arzt ihnen gesagt - und er bekam auch einige Schmerztabletten, falls er sie brauchen würde. Skinner wusste bereits jetzt schon, dass sie reine Zeitverschwendung waren, aber bevor er mit Mulders Arzt zu diskutieren anfing, zeigte er sich einverstanden. Wenn Mulder die Medikamente das Klo runterspülen wollte, wenn er zu Hause war, war das seine Entscheidung.

Skinner hatte verzweifelt versucht Mulder davon zu überzeugen, dass alleine nach Hause zu gehen keine gute Idee war, aber Mulder ließ sich nicht davon abbringen. Er könne auf sich selbst aufpassen, versicherte er, und es würde ihm viel besser gehen in seinen eigenen vier Wänden. Skinner hatte zum Schluss nachgegeben, unter der Bedingung, dass Mulders Haus rund um die Uhr bewacht werden würde, dieses Mal von ausgebildeten Beamten. Dem hatte Mulder nach einigem Hin und Her widerwillig zugestimmt. Er ignorierte das ziehende Gefühl in seiner Magengegend bei dem Gedanken daran, dass er mit Uniformierten zu tun haben würde. Er wusste, dass es albern war, aber die Erinnerung, in Handfesseln aus seinem Wohnung hinausgeführt worden zu sein und daran, dass ihm Jahre seines Lebens genommen worden waren, war klar und deutlich wie am ersten Tag.

Nachdem Skinner die Diskussion verloren hatte, Mulder nicht in seiner Wohnung genesen zu lassen, tat er alles was er konnte, um so viel Sicherheit und Bequemlichkeit wie möglich für Mulder zu gewährleisten. Er war am Tag zuvor in Mulders Haus gewesen und hatte sich seine Vorräte und Erste-Hilfe-Utensilien angesehen, und war rasch zur nächsten Apotheke und Supermarkt gefahren, um die Sachen zu besorgen, von denen er dachte, dass Mulder sie brauchen würde. Er hatte sich außerdem vorgenommen täglich bei ihm vorbeizuschauen, um zu sehen, ob er gut zurecht kam, aber er hatte nicht den Eindruck, als müsse er diese Entscheidung seinem Freund geradewegs auf die Nase binden.

"Walter?"

Eine Stimme neben seinem Ellbogen zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er drehte sich um und fand Scully an seiner Seite, zögerlich und unsicher.

"Was ist los, Scully?" fragte er brüsk und gab vor, über ihr plötzliches Erscheinen nicht überrascht zu sein. Sie hatte während der letzten Woche nicht angerufen. Offensichtlich hatte sie die Nase voll gehabt von Mulders andauerndem Unwillen mit ihr zu sprechen, und Skinner hoffte, dass sie die Sache aufgegeben hatte. Doch das war wie es aussah nicht der Fall.

Scully sah nervös zu der Tür zu Mulders Zimmer, dann wieder zu ihm. "Ich möchte ihn sehen", sagte sie.

Skinner drehte sich jetzt ganz zu ihr um, beugte sich über den Empfang und betrachtete sie absichtlich genau. Sie wurde rot unter diesen beobachtenden Augen, doch sie hielt seinem Blick stand.

"Warum?" fragte er. "Haben Sie etwas an ihm gefunden, dass Sie noch nicht in tausend Stücke zerrissen haben?"

Verärgert öffnete sie ihren Mund, aber sie zügelte ihr Temperament. "Ich möchte nur fünf Minuten mit ihm", sagte sie. "Wenn ich ihn jetzt nicht sehen kann, werde ich später eine Gelegenheit dazu finden. Es gibt da etwas, das ich ihm sagen muss, Walter."

Er stand auf und sagte kein Wort für eine ganze Weile. Schließlich nickte er ein einziges Mal, drehte sich um und entließ sie damit. Scully schluckte den Klumpen in ihrem Hals herunter und ging in Richtung Mulders Zimmer in der Hoffnung, Skinner würde es sich anders überlegen und sie zurückrufen.

Die Tür war nur angelehnt und sie drückte sie langsam auf. Mulder war wach, komplett angezogen und saß auf seinem Bett. Er stopfte ein paar persönliche Sachen in seine Tasche und sah auf, erschrocken, als er sie bemerkte.

"Du schon wieder", sagte er mit tonloser Stimme. "Irgendwie habe ich mir gedacht, dass du auftauchst."

Scully schloss die Tür hinter sich und ignorierte die kalte Begrüßung. Sie zog einen Stuhl zu sich, setzte sich vor ihn hin und nahm seine Hand. Er zog sie nicht weg, aber er erwiderte auch nicht ihre Geste. Er ließ sie einfach seine schlaffen Finger in ihre nehmen. Passiv. Ohne Widerstand.

"Ich muss mit dir reden", begann sie und hielt dann inne. Wie konnte sie ihm nur all die Gefühle in ihrem Herzen deutlich machen? Er hatte gesagt, dass er ihr nicht mehr vertraut. Hatte er noch genug Vertrauen zu ihr, dass er ihr glaubte, wenn sie ihm sagte, was sie fühlte? Er wartete, seine Augen ein flackerndes Grün, während sie ihre Gedanken sammelte.

"Eine ganze Menge ist zwischen uns falsch gelaufen", sagte sie leise, "und das meiste ist wahrscheinlich meine Schuld."

Sie wartete, dass er aufsprang und die Schuld für die ganze Situation auf sich zog—denn so war es immer in der Vergangenheit gewesen. Doch der Mann vor ihr war ein völlig anderer Mulder als der, den sie so lange Zeit gekannt hatte. Er saß nur still da.

"Ich weiß, dass ich mit der Drohung, die Zach gemacht hat, nicht richtig umgegangen bin", gab sie zu. "Ich war durcheinander, und ich hatte solche Angst um dich. Ich wusste nicht, dass du versuchen würdest, alleine mit ihm fertig zu werden, oder ob er dich geradewegs in blanke Panik treiben würde. Und ich wusste, wir wussten beide, dass Zach auf jeden Fall dazu imstande ist, die ganze Sache durchzuziehen."

Sie blickte ihn an, und er nickte, damit sie fortfuhr. Ihren Blick wieder zu ihren geschlossenen Händen senkend, suchte sie die Worte, um weiterzusprechen.

"Ich bin gekommen, um dich um eine letzte Chance zu bitten, Mulder." Verärgert spürte sie, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, die sie krampfhaft zurückhielt. Tränen würden ihn jetzt nicht erweichen, Tränen würden sie nur schwächen und sie unbeholfen aussehen lassen.

Sie hatte nicht erwartet, dass er etwas sagen würde, und als er es tat, waren seine Worte wie ein Peitschenschlag.

"Noch eine Chance wofür?" flüsterte er. "Mich umzubringen?"

Ihre Lippen versuchten das Wort 'Nein' zu formen, aber er ließ sie nicht ausreden.

"Du hast deine Sache bereits gut beendet, Scully", sagte er mit einer vor Traurigkeit zitternden Stimme, die nur schwer den Zorn und... was noch, Verachtung?, zurückhielt. "Du bist diejenige nach allem, was mir passiert ist, die mir schließlich den Rest gegeben hat. Du hast mich gebrochen, wie mich niemand anderes hätte brechen können. Wie viele Male muss ich dich noch verlieren? Gott, Scully, wie viele Male glaubst du, dass ich das noch kann?"

Die Tränen strömten nun unkontrolliert über ihr Gesicht, seine gepeinigten Worte machten es unmöglich, sie aufzuhalten.

"Ich will dir keine Chance mehr geben. Ich würde eine weitere Chance nicht überleben." Er schüttelte den Kopf, und das traurige Lächeln auf seinen Lippen war das Zeichen, dass sie verloren hatte. "Ich halte es nicht mehr aus, Scully."

Mit diesen Worten entzog er vorsichtig seine Hand aus ihrer und stand auf.  Er drehte sich um und zog den Reißverschluss seiner Reisetasche zu. Er ignorierte das erstickte Schluchzen, dass sie zu unterdrücken versuchte.

"Mulder..."

"Ich kann das nicht mehr", wiederholte er, warf sich die Tasche über die Schulter und verzog etwas das Gesicht, weil es ein wenig weh tat.

Sie drehte sich um, als sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde. Skinner stand da und wartete. Auch er beachtete sie nicht. Mulder folgte ihm aus der Tür und den Gang hinunter ohne sich auch nur eine Sekunde umzudrehen.  Scully blieb wo sie war für einige Minuten, sammelte ihre aufgewirbelten Gedanken und nahm sich zusammen, bevor sie sich etwas Wasser ins Gesicht spritzte und steif aus dem Gebäude ging. Sie hielt sich den ganzen Weg bis nach Baltimore zusammen und zwang jeglichen Gedanken an Mulder zornig aus ihrem Bewusstsein. Die Einsamkeit, die sie empfand, als sie daran dachte, dass die beiden Männer, die so lange ihre Freunde und Verbündete gewesen waren, sie aus ihren Leben ausschlossen, war erdrückend. Mit einer Entschlossenheit, die sie nur durch das jahrelange Kämpfen und Gegenwehr entwickelt hatte, zwang Scully sich, sich zu strukturieren. Sie hatte eine Menge nachzudenken.

Ihre Wahl war klar, ihre Entscheidung unmöglich—es weiterhin versuchen, oder ohne ihn weiterleben.

 
 

Ende TEIL Sechs

 
 
 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 7/9

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>

 
 

Mulder wartete geduldig, bis Skinner ihn auf die Couch gesetzt hatte, Medikamente und Antibiotika griffbereit, die Fernbedienung in der Hand und das Telefon in der Nähe. Er hatte eingewilligt, sich auszuruhen und sofort anzurufen, wenn es etwas brauchen würde. Brav beteuerte er, dass er bald etwas essen würde und dankte Skinner für seine Hilfe und sein Angebot, ihm weiterhin beizustehen, doch er versicherte seinem Freund, dass es ihm gut ging, er zurechtkommen würde und keinen Babysitter bräuchte. Als Skinner schließlich zähneknirschend gegangen war, atmete Mulder erleichtert durch und schwang sich in eine aufrechte, sitzende Position. Er hatte einen Plan und er hatte vor ihn auszuführen, bevor das Gefühl der Gelähmtheit, das seine Seele in eine schützende Hülle schloss, verschwand.  Skinner hatte gedrängt, hatte ihn fast genötigt, einige Tage in seiner Wohnung zu verbringen, aber Mulder hatte sich festgebissen und blieb standhaft. Er wollte nach Hause gehen. Er würde zurechtkommen. Mulder hatte genau sehen können, wie er bei dieser Wortwahl die Zähne zusammengebissen hatte, aber es war ihm egal. Er hatte es leid, von seinen eigenen Freunden ständig als Invalide behandelt zu werden, und er war fest entschlossen, sich von nichts und niemandem von dem Weg abschrecken zu lassen, zu dem er sich entschieden hatte.

Das Leben, sagte sich Mulder während er die benötigten Utensilien zusammensuchte, hatte kein Scheißrecht darauf, so mit ihm umzugehen! Er fand die alte Kiste mit den Reinigungssachen für seine Pistole in einer Kiste im Schlafzimmer. Er holte sie heraus und nahm sie mit ins Wohnzimmer.  Dann stattete er der Küche einen Besuch ab, wo er eine halbvolle Flasche Scotch unter der Spüle hervorkramte, die zwischen den Reinigungsflaschen und Spültüchern versteckt war. Er stellte sich ein Glas vor, sogar on the rocks, und zuckte gleichgültig die Schultern. Dazu gab es wirklich keinen Grund.

Den letzten Gegenstand, den er hervorfischte, hatte seinem Vater gehört.  Mulder hielt es mit einer gewissen Ehrfurcht, als er ihn aus der Kiste nahm. Das Schlafzimmerlicht reflektierte bläulich von seiner stahlbläulichen Oberfläche, als Mulder den hölzernen Griff ungezwungen auf seiner Handfläche hielt. Er und sein Vater waren ungefähr dieselbe Größe und Körperbau, obwohl Bill Mulder in den letzten Jahren ein wenig geschrumpft war, wie alle älteren Leute. Doch trotzdem passte die Waffe in Mulders Hand wie für sie gemacht. Er hob ihr Gewicht mit einer aus Erfahrung resultierenden Zuversicht. Er hatte seit Jahren keine Schusswaffe mehr in der Hand gehabt, doch die Zeit schmolz hinweg, als er den Revolver umdrehte. Korrekterweise nicht geladen. Er hatte gewusst, dass er das nicht sein würde, doch er sah aus Gewohnheit nach. 'Behandle eine Schusswaffe immer so als wäre sie geladen', erinnerte er sich an die Stimme seines Vaters. Wie viele Jahre lag das schon zurück? Dreißig?  Fünfunddreißig? Mindestens einhundert, kam es ihm schließlich so vor.  Die Waffe erschien ihm überraschend sauber, nach so langer Zeit des Nichtgebrauchs, doch Mulder nahm sie dennoch mit zur Couch zusammen mit der dazugehörigen Munition, und machte sich gewissenhaft an die Arbeit, die Waffe zu reinigen. Er hatte keine Lust darauf, sich seinen Plan von einem nicht gesäuberten Revolver durchkreuzen zu lassen. Heute Abend würde es keinen Platz für Fehler geben.

 
 

Scully hatte ihre Wohnung in Baltimore erreicht und direkt ein heißes Bad genommen. Ihr einziges Zugeständnis für die Tatsache, dass Zachary noch immer auf freiem Fuß und gefährlich war, war die Haustür hinter sich zuzuschließen. Er könnte sonst ins Haus gelangen und sie holen, dachte sie mit aufkommender Traurigkeit. Er konnte ihr wehtun, sie sogar töten, und es würde egal sein. Alles war nunmehr egal. Sie spottete über sich, als sie erkannte, dass ihre Gedanken aus einem gotischen Roman stammten. Das Leben war in letzter Zeit ziemlich gotisch, verteidigte sie sich. Und Romanzen haben nicht immer ein Happy End.

Trotz der Vergangenheit, die sie hinter sich hatten, hatte Scully nie wirklich daran geglaubt, dass ihr Mulder irgendwann nichts mehr bedeuten würde. Als er ihr gesagt hatte, dass er ihr keine Chance mehr geben würde, waren seine Augen kalt und tot gewesen. Sie hatte ihm seine Gefühle immer von den Augen ablesen können, doch heute hatte sie es nicht vermocht. Heute hatten sie nur von Gleichgültigkeit gezeugt, und das erschrak sie mehr als alles andere. Wenn Mulder gesagt hätte, dass er sie hasste, hätte sie vielleicht ein wenig mehr Hoffnung gehabt, denn Hass war immerhin ein Gefühl, ein sehr starkes Gefühl. Und es gab immer die Möglichkeit, dass sich Hass in Liebe verwandelt, vor allem, wenn die Liebe einmal sehr stark gewesen war. Gleichgültigkeit war so... endgültig.  Sie ließ ihre Klamotten einfach auf einen Haufen auf den Boden fallen, zum Teufel mit der Ordnung, und stieg dankbar in das dampfende Wasser.  Normalerweise beruhigte das Badeöl, das sie immer verwendete ihre mitgenommenen Nerven, doch ihr momentanes Problem würde sich nicht so einfach lösen. Sie schnappte nach Luft, als die Erinnerung, wie Mulder und Skinner ihr den Rücken zuwandten und gingen, sie mit einem Schlag traf, und sie hob sogar tatsächlich ihre Hände zu ihrer Brust in einem kläglichen Versuch, den Stich in ihrem Herzen zu mildern. Sie zwang sich ruhig zu atmen und blinzelte heiße Tränen zurück, während sie den Gedanken von sich abzustoßen versuchte. Jetzt zu heulen brachte ihr überhaupt nichts. Sie musste einen Weg finden, Mulders Herz wiederzugewinnen. 'Morgen ist ein neuer Tag!' zitierte ihre innere höhnische Stimme, und sie schöpfte augenblicklich Hoffnung daraus. Obwohl er nicht Rhett Butler war, Mulder war für sie bestimmt, und sie für ihn. Und nichts konnte daran etwas ändern. Sie war viel zu wichtig für ihn, als dass er sie einfach wie ein vergessenes Jungendhobby beiseite lassen könnte. Tief drinnen, unter all den Schichten des Dementi und Selbstschutz, musste er sie noch lieben. Das musste er einfach.

 
 

Skinner lief unruhig in seiner Wohnung hin und her; eine Angewohnheit von Mulder, dachte er sarkastisch, als er an dem Kaffee nippte, der in den letzten Wochen sein Hauptnahrungsmittel geworden war. Er glaubte nicht ganz daran, dass Mulder all die Versprechen halten würde, die er ihm abverlangt hatte. Leg dich hin, ruh dich aus, nimm deine Medikamente, überanstrenge dich nicht...

"Verdammt!" fluchte Skinner lauf. "Ich benehme mich wie seine Mutter!" Okay, vielleicht nicht wie Mulders Mutter, korrigierte er sich, aber wie *eine* Mutter. Teena Mulder hatte ihren Sohn nie verwöhnt, und das war eine verdammte Schande, denn wenn Mulder ein wenig mehr mütterliche Zuwendung in seiner Kindheit gehabt hätte, würde er heute vielleicht nicht so wenig von sich selbst halten.

Das Kreuz, das er zu schleppen hatte, gab er schließlich zu, war, dass er Mulder nicht vollkommen vertraute. Er kannte die Tendenz zur Selbstverstümmelung seines früheren Agenten, und die Szene heute Morgen im Krankenhaus mit Scully hatte mehr Schaden angerichtet, als Mulder sich hatte anmerken lassen. Ihr zu sagen, dass er sie Jahre lang geliebt hatte, dass er ihr nicht länger vertraute, dass er es nicht noch einmal mit ihr versuchen wollte, um ihre Beziehung wieder zu reparieren... es muss Mulder innerlich zerrissen haben. Doch in üblicher Muldermanier hatte er seine Gefühle heruntergeschluckt und eine Maske aufgesetzt. Und dann hatte er sich von ihr umgedreht und war gegangen.

Es schien immer so zu laufen mit Mulder und Scully, dachte er, als er auf seinem Balkon stand und siebzehn Stockwerke unter ihm dem Verkehr zusah.  Wenn der eine dazu bereit war, mit beiden Füßen hineinzuspringen, hielt der andere sich zurück, weil er nicht willens war, seine Gefühle einzugestehen, geschweige denn danach zu handeln. Und dann würden sie in dem traurigen und bizarren Tanz der Selbstzerstörung die Stellungen tauschen und den Tanz fortführen, während die Welt ihre diskordante Musik dazu spielte. Sie würden füreinander sterben, wurde ihm klar, aber sie weigerten sich füreinander zu leben.

Missmutig gestimmt bei der Erkenntnis, eine wundervolle Liebesbeziehung wohl niemals entstehen sehen zu können, dachte Skinner über den Sprung nach, von dem er vor nicht allzu langer Zeit Angst hatte, dass Mulder ihn machen würde. Vielleicht wäre es besser gewesen. Vielleicht ist es jetzt das Beste, Mulder über sein Unglück hinwegkommen zu lassen. Er schüttelte den Kopf. Es war nicht bloßes Unglück, das Mulder widerfahren war. Manchmal passierte den Menschen nur (ein Unglück), bei Mulder war es Unglück und manchmal UNGLÜCK. Schmerz und Leid auf diese oder jene Weise war sein ständiger Begleiter gewesen, seit er zwölf Jahre alt war. Wie oft hatte er sein Leben eigentlich wirklich mit Freuden genießen können? Nur wenige Male, zwischen denen Welten lagen, und die meisten davon hingen zusammen mit der Frau, von der er sich heute Morgen abgewandt hatte, fasste Skinner zusammen. Er fragte sich, wie Mulders Leben wohl ohne wohlwollende äußerliche Einflüsse verlaufen wäre. Es machte jetzt keinen Sinn, darüber nachzudenken, sagte er sich schließlich. Das Leben eines jeden wurde von äußerlichen Einflüssen bestimmt. In Mulders Fall schien es nur, als ob er diese mit Zins und Zinseszins hätte. Bei dem Gedanken musste Skinner lachen. Zur Hölle, Mulder hatte *alles* mit Zins und Zinseszins.

 
 

Der erste Schluck Scotch direkt aus der Flasche brannte ihm in der Kehle.  Mulder hatte nie viel daran gefunden zu trinken, er hielt sich höchstens am Limit eines gelegentlichen Bieres mit Freunden. Hochprozentiger Alkohol aus der Flasche war eine völlig neue Erfahrung. Er hatte die Flasche irgendwann mal an einem depressiven Tag gekauft und hatte sich ein paar Getränke gemixt, um etwas lockerer zu werden. Er hatte nicht viel getrunken, denn er wusste, dass er sich mit weniger Kontrolle über sich selbst schon bald auf einer Straße wiederfinden würde, die lang zu gehen er keinerlei Intentionen hatte. Sein Vater war Alkoholiker gewesen, und Mulder kannte den Aspekt der Persönlichkeit eines Menschen, der einem leicht durch diesen Dämon genommen werden kann. Seine Waffe dagegen war immer Tabu gewesen, was immer sehr gut funktioniert hat. Er war diesem Prinzip treu geblieben und hatte die Flasche ganz hinten in dem Schränkchen versteckt und bis heute vergessen.  Er hatte bis jetzt jede Krise überstanden ohne sein Gehirn künstlich benebeln zu müssen (obwohl er schon zugeben musste, dass er den automatischen Selbst-Schutz-Nebel, in den er in letzter Zeit immer wieder gefallen war, immer angenehm willkommen geheißen hatte) -- doch heute verlangte er nach mehr. Wenn er seinen Plan wirklich ausführen wollte, würde er durch das Zeug ein wenig Mut gewinnen müssen, erklärte er sich selbst und nahm einen weiteren Schluck. Einen größeren diesmal, größer als ein Nippen, aber noch nicht ganz ein Mundvoll. Er hatte keinen Zweifel daran, dass er noch bevor die Nacht anbrach nicht mehr an kleinen Schlucken hängen würde, sondern den Alk womöglich in riesigen Mengen in sich hinunterschlingen würde.

Es würde eine lange Nach werden.

Er griff nach Stift und Block, die er neben dem Telefon aufbewahrte. Es käme nicht gut, sich einfach so ohne Grund eine Kugel durch den Kopf zu jagen, überlegte er. Zumindest Walter verdiente mehr von ihm, genau wie Frohike, Byers und Langly. Scully verdiente gar nichts.

Er hatte Senator Matheson nicht lange nach seiner Entlassung angerufen, um ihm seinen Dank auszusprechen, doch ihm wurde gesagt, dass der Senator außer Landes war. Sein Brief, in dem er ihm dankte, war unbeantwortet geblieben, und Mulder hatte den traurigen Schluss gezogen, dass seine Freundschaft zu Matheson nur eine politische Verbindlichkeit sein musste.  Er hatte keinen weiteren Versuch mehr unternommen, Matheson zu kontaktieren, denn schon in seiner Kindheit hatte er gelernt, dass einseitige Freundschaften nicht sein Ding waren—sie hatten ihm immer Unglück gebracht --, und Matheson selbst hatte sich auch nicht gemeldet.  Offensichtlich waren die Bemühungen um ein neues Verfahren ein letzter Gefallen für einen alten Freund gewesen. Einem Freund, mit dem er nicht länger bekannt zu sein wünschte.

Er suchte nach Worten, um den Brief an Skinner aufzusetzen. 'Lieber Walter' war, obwohl es eine allgemein gebräuchliche Anrede war, viel zu kitschig für Mulders Geschmack. Skinner war viel mehr als nur eine 'lieber Freund', nichts für das das Wort vielleicht stehen mochte. Es war ein feminines Wort, das Frauen untereinander bedenkenlos gebrauchen konnten ohne seltsame Blicke einzufangen, aber von Männern wurde verlangt, mehr männliche Emotionen zu zeigen. Beziehungsweise gar keine. 'Lieber' schien jemanden zu betreffen, den man liebte, sogar intim ist, es passte einfach nicht.  Andererseits war Skinner in den letzten paar Jahren so viel mehr als ein einfacher Freund für ihn gewesen. Mulder war damals, als er verurteilt worden war, sehr erstaunt über Skinners völlige Hingabe für seinen Fall gewesen. Er hätte nie gedacht, dass er so viel Unterstützung von ihm bekommen würde, und er hatte sicherlich nicht gehofft, dass Skinner oder irgendjemand sonst es unter Umständen in Erwägung ziehen würde, ihm zu helfen. Er hatte jedem Besuch mit der Angst entgegengesehen, Skinner würde vielleicht nicht rechtzeitig oder gar nicht erscheinen, bis er schließlich überzeugt wurde, dass Skinner - aus welchen Gründen auch immer er so handelte - ihn nicht im Stich lassen würde. Nach und nach hatte Mulder ihm das Vertrauen entgegengebracht, dass er sich erhofft hatte, und eine Freundschaft von einer Tiefe und Festigkeit entstand, die Mulder noch mit keinem anderen Menschen gehabt hatte. Zuvor hatte er nur Samantha gehabt, doch sie wurde ihm genommen, und er konnte unmöglich die Beziehung zu Skinner mit brüderlichen Aspekten beschreiben. Manchmal dachte er daran, dass es vielleicht so sei, wenn man einen älteren Bruder hat. Jemand, auf den man sich verlassen kann, dem man vertrauen kann, mit dem man streiten kann, Zeit verbringen, und - was das Wichtigste ist - jemand, der einen wieder auf den richtigen Weg bringt, wenn man von ihm abgekommen ist.  Skinner war das alles immer für Mulder gewesen, nur hatte Mulder es bis kürzlich nicht richtig erkannt.

Nach dem ganzen Hin und Her entschied er sich für ein einfaches 'Walter' und kritzelte das Wort oben auf das erste Blatt des Notizblocks. Dann saß er da, starrte auf die leere übrige Fläche und fragte sich, wie er dem Mann, der im wahrsten Sinne des Wortes sein Erretter gewesen war, erklären konnte, warum er das alles weg warf.

 
 

Das Badewasser wurde langsam kalt, als sie endlich aus der Wanne stieg und sich in ein großes, flauschiges Handtuch einwickelte. Etwas der Spannung des vergangenen Tages war verschwunden, doch Scully wurde das kriechende Gefühl der Besorgnis nicht los, das sich langsam aber sicher in ihr breit machte. Irgendetwas stimmte nicht. Mulder war überhaupt nicht wie er selbst gewesen heute Morgen, und wenn ihm erst mal etwas im Kopf umher ging, konnte er ziemlich unberechenbar sein. Sie setzte sich auf den Rand ihres Bettes und starrte neugierig zum Telefon. Sollte sie das Risiko eingehen, ihn anzurufen und zu fragen, ob alles in Ordnung sei? Was würde es ihr überhaupt bringen? Mulder würde ihr lediglich sagen, 'es ginge ihm gut', wenn er ihr überhaupt antwortete.

Gut. Scully verzog das Gesicht, als sie daran dachte, wie viele Male sie ihn mit dieser Phrase hatte stehen lassen. Sie hatte bis vor kurzem nie wirklich gewusst, wie weh es tun konnte, wenn es einem gesagt wird.

Zuerst war Mulder leicht verärgert und sogar etwas amüsiert, dass sie sich bemühte, Stärke durch ein Wort zu äußern. Einmal hatte er sie in seinen Armen gehalten und sie weinen lassen, während er tröstende Worte in ihr Ohr geflüstert hatte nur einige Sekunden, nachdem sie diesen Satz geäußert hatte. Er hatte es ihr nie abgenommen, selbst wenn es hin und wieder mal stimmte. In späteren Jahren wurde er bei diesen Worten regelrecht sauer, hatte es ihr sogar ein oder zwei Mal zum Vorwurf gemacht, eher als Rache als der Wunsch, seine Gefühle vor ihr zu verbergen, überlegte sie. Doch jetzt war es ein Wunsch, sie zu verbergen. Mulder hatte Mauern um Mauern um sich herum aufgestellt, und Scully fürchtete, dass sie jetzt, selbst wenn sie den Rest ihres Lebens damit verbringen würde, die Mauersteine abzubauen, nie den Mann hinter dem Wall erreichen würde. Und der Mann hinter dem Wall litt so unsäglich....

Resolut, bevor sie ihre Meinung wieder ändern konnte, griff sie zum Telefon. Das Schlimmste, was er tun konnte war auflegen, sagte sie sich, doch sie musste wenigstens versuchen, mit ihm zu reden.

Das Telefon klingelte sechs Mal, bevor der AB abnahm und seine Stimme vom Band die kurze Nachricht losließ. Seufzend legte Scully auf. Er war vielleicht nicht zu Hause, doch es konnte auch einfach nur sein, dass er nicht mit ihr reden wollte. Nach ein paar Minuten, in denen sie mit sich selber kämpfte und sich versicherte, dass Fox Mulder ein erwachsener Mann war, der auf sich selbst aufpassen konnte, griff sie abermals widerwillig zum Telefon. Fox Mulder war vielleicht ein erwachsener Mann, doch es gab Tage, an denen er definitiv NICHT auf sich selbst aufpassen konnte - und sie vermutete, dass heute wieder einer dieser Tage war. Auch wenn Skinner sie in der Luft zerreißen würde, war er zumindest ein sicherer Weg zu Mulder. Ein Weg, der ihr wohl versperrt werden würde.

 
 

Skinner wollte ihren Anruf erst gar nicht annehmen, doch er wusste, dass ihm keine Wahl blieb - er konnte sie nicht so hängen lassen. Er war wütend auf Scully, ebenso auf Mulder, weil sie sich so verhalten hatten, wie sie es in der letzten Zeit getan hatten, aber er brachte es nicht über sich, sie einfach zu ignorieren. Er zog es sowieso vor, dass sie ihn anrief und nicht Mulder. Er konnte ihr eher widerstehen als Mulder.

"Skinner", bellte er in den Hörer, als er nach dem fünften Klingeln abnahm.  Er hörte wie sie am anderen Ende der Leitung für einige Sekunden atmete, bevor sie schließlich den Mut zum Sprechen fasste. Er wusste, dass es schwer für sie sein musste, nach all dem, was im Krankenhaus passiert war.  Aber das hieß noch lange nicht, dass er es ihr leichter machen müsste.

"Haben Sie mit ihm gesprochen?" fragte sie dann und Skinner vernahm die Müdigkeit in ihrer Stimme. Für eine Sekunde fiel ihm auf, wie sie sich alle in letzter Zeit anhörten. Müde. Ausgelaugt.

"Nicht mehr, seit ich ihn heute Nachmittag gesehen habe. Warum?"

Sie seufzte tief, als ob sie nur widerwillig fortfuhr. "Ich weiß, dass sich das dumm anhört... vielleicht ist es das auch... aber etwas, das er gesagt hat, macht mir Sorgen."

Skinner setzte sich auf. Er wollte immer noch nicht alle Details wissen, die zwischen Mulder und Scully an diesem Morgen passiert waren. Mulder hatte sich strikt geweigert, mit ihm darüber zu sprechen.

"Was hat er gesagt?" fragte er schnell und tastete mit den Zehen nach seinen Schuhen, deren er sich vorher zwecks Bequemlichkeit entledigt hatte.  Er hatte eine Ahnung, dass dieser Anruf ihn am Ende zu Mulders Haus führen würde.

"Er hat gesagt... Walter, hat Mulder Ihnen erzählt, worüber wir gesprochen haben?"

"Nein. Was hat er gesagt, was Ihnen Sorge macht?" Er wurde es langsam leid, sich vor dieser Frau dauernd wiederholen zu müssen. Irgendwann in den letzten paar Jahren hatte Scully eine bemerkenswerte Eigenschaft entwickelt, Dinge auf einem Weg anzugehen, den er schlichtweg als Umweg betrachtete. Das völlige Gegenteil der früheren, geradewegs zum Punkt kommenden FBI-Agentin. Er fragte sich, ob die Heirat mit Zachary Morrow daran schuld sei.

"Er sagte, er könne das nicht mehr. Das waren genau seine Worte, Walter...  'Ich kann das nicht mehr.' Es hörte sich nicht wie etwas an, das man erwartet. Es hörte sich... bedrohlich an."

Er rollte die Augen. "Bedrohlich?" fragte er ungläubig. "Muss ich Sie daran erinnern, dass es Mulder ist, von dem wir beide reden?"

"Ich weiß, dass es Mulder ist, Walter, aber da war etwas in seiner Stimme... und in seinen Augen", entgegnete sie. "Irgendetwas ging ihm da im Kopf herum, aber ich wusste einfach nicht was. Und das allein macht mir schon Angst. Ich habe versucht ihn anzurufen, aber er geht natürlich nicht ans Telefon."

"Gut so. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber im Moment sind Sie das letzte, was er braucht."

Sie sagte nichts für eine ganze Weile, und er konnte fast den Schnitt hören, den seine Worte durch sie getan hatten. Aber es tat ihm auch nicht besonders leid.

"Da haben Sie vielleicht Recht", sagte sie schließlich, "doch ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie nach ihm sehen würden. Ihren Anruf wird er bestimmt annehmen."

Skinner rieb sich müde die Augen. "In Ordnung", meinte er abrupt. "Ich werde nachsehen."

"Danke", sagte sie in einem Ton, der gerade an 'frostig' vorbeigeschlittert war. Er hörte das Klicken in der Leitung und wusste, dass sie verärgert aufgelegt hatte, aber wieder scherte er sich wenig darüber. Mulder hatte sich vielleicht mit ihrer Hilfe ziemlich schnell von seinem Aufenthalt in diesem Rattenloch erholt—Skinner hatte ihn noch nie so glücklich gesehen als in der kurzen Zeit, in der Scully bei ihm gewesen war—aber die ganzen zusätzlichen Quälereien, die sie ihrem Ex-Partner zugefügt hatte, ließen sein Gesicht seine festen Züge behalten. Er war immer noch auf eine Art ein gebrochener Mann, nur teilweise wieder aufgebaut, und Skinner fürchtete, dass Mulder nie anders werden würde.

Er streckte seine eingeschlafenen Muskeln—in seinem Alter auf seinem Stuhl einzuschlafen war kein sehr guter Gedanke. Er griff nach dem Telefon, um kurz Mulder anzurufen und sich nach ihm zu erkundigen, als er innehielt.  Scully mochte vielleicht der Grund von vielen von Mulders Problemen sein, doch niemand verstand Mulders Psyche besser als seine frühere Partnerin.  Wenn sie glaubte, dass er etwas Schreckliches vorhaben könnte, wäre es womöglich besser, ihm unerwartet einen Besuch abzustatten. Ein vorheriger Anruf würde Mulder nur die Möglichkeit geben, eine Ausrede zu finden, wenn er überhaupt ans Telefon gehen würde. Er prüfte seine Taschen, ob seine Brieftasche und Schlüssel darin waren und machte sich auf in Richtung der Tür.

Mulder, sagte er sich, du sitzt besser still und leise auf deinem Sofa und guckst Fernsehen, wenn ich ankomme.

 
 

Mulder machte keinen Mucks, als es an der Tür klingelte; er ahnte bereits, wer es sein könnte. Nach all der Zeit hatte er eine Art Skinner-Gespür entwickelt - die Fähigkeit zu unterscheiden, wann sein Freund sich Sorgen um ihn machte und wann diese Sorgen Walter dazu veranlassten, nach ihm zu sehen. Dieses Skinner-Gespür war die ganze letzte Stunde präsent gewesen, seit er Scullys Anruf unbeantwortet gelassen hatte. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, welchen Schritt sie als nächstes tun würde. Er saß in derselben Position wie in den letzten zwanzig Minuten. Die Waffe seines Vaters lag locker auf seinem Schoß, er umfasste sie nicht einmal richtig.  Seine Gedanken waren während des Nachmittags weite Strecken gewandert, doch sie waren letztendlich, mithilfe einer unerklärlichen Kraft, die ihn immer noch durchfuhr, zu einer Entscheidung gekommen. Eine, mit der er leben konnte.

Nach ein paar Minuten hörte er, wie Skinner das Schloss aufmachte. Als sich die Tür schwungvoll öffnete, erhellte das letzte Bisschen Tageslicht den Raum und nur teilweise seine Gestalt auf dem Sofa. Immer noch regungslos wartete er darauf, dass sich Skinner näherte. Skinner tat dies sehr vorsichtig, als ob er fürchtete, dass Mulder jede Sekunde die Waffe an seinen Kopf richten könnte. Als sein Freund ruhig vor ihm stand und offensichtlich nach Worten suchte, tat ihm Mulder schließlich regelrecht Leid.

"Es ist okay, Walter." Behutsam legte er die Pistole auf den Wohnzimmertisch und schubste sie etwas zu Skinner. "Ich habe mich bereits entschieden, es nicht zu tun."

Skinner versuchte erfolglos ein kleines erleichtertes Lächeln zurückzuhalten und setzte sich in den Sessel zu Mulders Linken. Er wartete, dass er weiter sprach.

"Ich kann auch ohne sie leben", fuhr Mulder alsbald fort. "Das weiß ich jetzt."

Skinner blickte auf die fast leere Flasche Scotch, und Mulder musste kurz lachen. "Ich musste mich erst betrinken, um klar denken zu können, können Sie das glauben?"

Skinner antwortete nicht. Er setzte sich nur zurück und hörte Mulder zu.

"Aber jetzt denke ich wieder klar. Das erste Mal seit einer langen Zeit denke ich wieder klar. Und ich habe heute Nachmittag etwas erkannt, Walter.  Ich habe erkannt, dass ich gerade ohne sie gelebt habe. Sie war sowieso nie mein. Ich habe sie vom ersten Augenblick an gewollt, und ich habe mich ihr geöffnet, ich habe mich ihr *hingegeben*, Herz und Seele und Gedanken und letztendlich sogar meinen Körper, aber sie war nie, *nie* mein. Ich wollte daran glauben, und ich habe mir eingeredet, dass sie meine Gefühle erwidert, doch es war alles eine Lüge."

Skinner nahm diese Neuigkeiten wortlos an. Mulder redete jetzt mehr als in den letzten zwei Wochen zusammen, und auch wenn er wusste, dass das zum Teil dem Alkohol zu verdanken war, schien Mulder sich etwas von der Seele reden zu müssen. Neugierig nickte er in Richtung der Waffe. "Was hat Ihre Meinung geändert?"

Er meinte einen gewissen Ausdruck über Mulders Gesicht huschen zu sehen, doch bevor er deuten konnte, welcher Art er war (Fragend? Angst? Erfurcht?) war er vorbei. Mulder lächelte und setzte sich auf der Couch zurück. "Sie.  Meine Mutter. Mein Vater. Samantha. Ich habe erkannt, dass ich euch allen mehr schulde als das. Und wissen Sie was, Walter, ich bin der letzte. Der letzte der Mulder-Familie, zumindest von diesem Zweig meines Stammbaums.  Nach mir werden keine mehr sein. Das Vermächtnis meiner Familie ist nicht, dass ich aus der Welt scheiden will."

Er blickte hoch zu Skinner. Sein Lächeln war jetzt verschwunden und sein Gesicht vollkommen ernst. "Jeder von euch verdient mehr von mir als das hier. Insbesondere Sie."

"Sie schulden mir gar nichts, Mulder", sagte Skinner verlegen.

"Doch, das tue ich. Ich hätte es ohne Sie nie so weit geschafft, wussten Sie das nicht? Verdammt, ich hätte es nicht mal durch diese vier Jahr im Fegefeuer geschafft, wenn ich nicht eine Schulter zum Anlehnen gehabt hätte, nur habe ich das damals nicht erkannt. Sie haben mein Leben gerettet, Walter, öfter als ich zählen kann."

"Unsinn. Sie hätten dasselbe für mich getan, und Sie hätten es aus genau demselben Grund getan. Weil Sie mein Freund sind. Weil es das Richtige war."

Jetzt lächelte Mulder wieder, dieses Mal war es ein wirkliches Lächeln.  Sein erstes seit vielen Tagen, wenn nicht Wochen. "Wahrscheinlich. Ich weiß jetzt jedenfalls, dass es an der Zeit ist, nach vorne zu schauen. Ich bin dabei, einige Entscheidungen zu treffen, doch ich will sie Ihnen noch nicht verraten,  ehe ich mir sicher bin. Sie werden nämlich meine Vergangenheit hinter mir lassen."

"Was ist mit ihren schulischen Plänen, Mulder?" fragte Skinner mit Interesse. "Sie waren so entschlossen..."

"Ich bin immer noch entschlossen. Das ist etwas, das ich immer schon tun wollte, und ich möchte es auch beenden. Ich weigere mich, dass mir Scully, oder meine Vergangenheit, oder irgendetwas anderes diese Ziele nimmt." Für einen Moment wurde er sehr still, als ob er seine Gedanken für eine Erklärung sammeln würde. Dann sagte er lediglich, "Heute wollte ich sterben. Ich habe mich jedoch anders entschlossen. Von jetzt an werde ich leben."

Mächtig, dachte Skinner. So mächtig und so viel leichter gesagt als getan, weil der ganzen Angelegenheit zugrunde immer noch eine kleine rothaarige Frau stand aus Mulders Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

"Lieben Sie sie noch?"

Mulder schien über diese Frage nicht überrascht zu sein. "Ich denke, ich liebe sie noch, auf eine gewisse Art und Weise. Zumindest der Teil von mir, den mein Verstand noch nicht erreichen konnte, liebt sie noch. Aber ich kann sie nicht haben. Ich habe sie nie gehabt. Ich weiß nicht, ob sie jemals jemand haben wird. Doch damit kann ich jetzt leben." Er ließ seine Finger über den Rand der Flasche kreisen. "Scully ist keine Frau, die irgendein Mann haben kann."

"Es gibt noch andere Frauen, Mulder", sagte Skinner mild, während er genau wusste, dass es für Mulder nie eine andere Frau geben würde. Mulder hatte sein Herz verloren—es war nicht länger in seinem Besitz, und jede Frau, die in Zukunft zu tief in sein Leben eindringen würde könnte nur enttäuscht werden.

"Ja, die gibt es", stimmte Mulder zu, unfähig Skinner anzusehen. "Ein ganzes Land voll."

"Also", sagte Skinner dann, stand auf und reckte sich, "Dann machen Sie sich auf, Mulder. Sie kennen das Spiel."

Mulder warf seinen Kopf zurück und lachte. "Sie müssen es einfach satt haben, mich als Ihren Hausgast zu haben, Walter!" sagte er. Er wusste, dass es sinnlos war und genoss zugleich das Familiäre an ihrer Beziehung. Ein Teil von ihm verachtete die Tatsache, dass er sich zu so einem bedürftigem, armseligen Individuum entwickelt hatte, aber er hatte sehr wohl die Fortschritte bemerkt, die er gemacht hatte, das musste er zugeben. Er stand auf und hob die Tasche auf, die er neben der Couch fallen gelassen hatte, als Skinner ihn zuvor nach Hause gebracht hatte.

"Aber wenn Ihr Herz sich anders entscheidet, Mulder, dann aber richtig", antwortet Skinner und schloss die Tür zu Mulders Haus fest hinter sich zu.  "Das hatten Sie nämlich schon, Gott sei Dank, und ich werde einen Teufel tun und sie nicht allein lassen, wenn sie wieder einmal durch so etwas gehen müssen."

Mulder lachte abermals. "Lassen Sie uns gehen, Boss", sagte er grinsend und Skinner rollte die Augen, als er Mulder durch die Tür nach draußen folgte.

Es würde ihm mit der Zeit besser gehen. Es müsste ihm einfach besser gehen.

Es gab keinen anderen Weg nach oben als den.

 
 

"Bill!" Scully war entzückt, als sie ihren Bruder am anderen Ende der Leitung vernahm. Sie hatte stundenlang in ihrer Wohnung herumgehangen, weil sie da sein wollte, wenn Skinner anrief. Doch dadurch, dass er nichts von sich hören ließ, gewann sie die Zuversicht, dass es Mulder gut ging, und sie fragte sich demzufolge, ob Skinner sie überhaupt anrufen würde, wenn dem nicht so wäre. Nachdem sie gesehen hatte, wie die beiden heute Morgen zusammen weggegangen waren, hätte sie nichts mehr überraschen können. Sie hatten sich ihr gegenüber regelrecht verschworen.

Sie überlegte, einige Krankenhäuser anzurufen, in denen Mulder landen könnte und in denen er schon einmal gewesen war, doch dann ließ sie es bleiben. Außerdem, sagte sie sich, was könnte sie schon tun, wenn sie ihn irgendwo als Patienten finden würde? Mulder würde sie sicherlich nicht willkommen heißen, und Skinner würde sie ohnehin nicht durch die Tür seines Krankenzimmers lassen. Wenn also irgendetwas nicht stimmte, hätte er sie schon angerufen. Er musste wissen, dass Mulder ihr immer noch etwas bedeutete, selbst wenn die ganze Situation ganz schrecklich falsch gelaufen war.

Mit diesem Gedanken war Dana aufgesprungen, als das Telefon sein schrilles Klingeln von sich gegeben hatte, mit der vagen Hoffnung, dass es Skinner sein würde, oder Mulder, mit wenigstens einer kleinen Information.

Sie hätte eigentlich enttäuscht sein sollen, stattdessen ihren Bruder am Telefon zu haben, doch sie war heute Abend in einer so fragilen Verfassung, dass jede freundliche Stimme willkommen war. Bill hatte die Situation immer noch nicht vollständig akzeptiert, doch er bemühte sich wenigstens, das musste sie ihm lassen. Und er war schockiert über Zachs brutalen Angriff auf Mulder gewesen.

"Ich wollte nur mal fragen, wie es dir geht", begrüßte er sie. "Mom hat erzählt, dass Mulder heute aus dem Krankenhaus entlassen worden ist. Ich dachte... irgendwie dachte ich, dass du heute bei ihm sein würdest."

Sie biss die Tränen zurück, die in diesem Moment durchkommen wollten, und riss sich zusammen. Es war der einzige Weg, mit dieser Art von Gespräch fertig zu werden.

"Er war nicht wirklich ansprechbar für mich heute Morgen", gab sie wahrheitsgemäß zu und ließ den Teil aus, wo Mulder ihr durch seine Vertrauenslosigkeit das Herz gebrochen hatte.

Bill entfuhr ein Geräusch des Ekels und sie merkte, dass sie verärgert wurde.

"Bill, du verstehst unsere Situation nicht", sagte sie messerscharf. "Das hast du nie getan."

Er war still für einen Moment, und in ihrem Kopf hörte sie bereits die Worte, von denen sie hoffte, dass er sie nicht aussprechen würde. Nach einer langen Minute stimmte er ihr zu. "Du hast Recht. Das werde ich nie.  Aber es ist dein Leben, Dana, und alles, was ich will ist, dass du glücklich bist. Wenn Mulder der Mann ist, der dich glücklich macht, werde ich mein Bestes tun, um nicht in deinem Weg zu stehen."

Sie lachte fast bei dem Gedanken daran, dass Bill versuchen würde, es zu akzeptieren, weil diese Einsicht nun um Jahre zu spät kam.

"Er wollte mich nicht, Bill", sagte sie leise. "Er hat sich von mir abgewandt."

"Er war wahrscheinlich verletzt und verwirrt."

Sie nahm den Hörer von ihrem Ohr und starrte ihn perplex an. War das wirklich ich Bruder oder einer von Mulders 'Klonen'? Sie konnte gar nicht glauben, dass er auch nur ein Wort darüber verlor, das Mulder in Schutz nahm, geschweige denn einen ganzen Satz.

Er schien ihre Ungläubigkeit zu bemerken. "Dana, ihr zwei seid in letzter Zeit nur Achterbahn gefahren, immer ganz oben oder ganz unten. Das war schon so, seit er entlassen worden ist. Mein Gott, sogar noch davor. Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass ich das je sagen würde, aber ich wünschte wirklich, dass ich dich nie dazu gedrängt hätte, Zach zu heiraten.  Vielleicht, wenn ich meine Nase aus deinem Leben herausgehalten hätte, wären du und Mulder jetzt zusammen und du wärst glücklich."

Jetzt war es ganz sicher—das konnte nicht Bill Scully sein.

Als ob er ihr Gesicht sehen konnte, lachte er. "Ich weiß, was du jetzt denkst, Dana, aber ich hatte eine Menge Zeit, mir diese ganze Sache durch den Kopf gehen zu lassen. Und Tara hat auch viel mit mir geredet. Ich weiß, dass ich selbstsüchtig war und bemutternd dir gegenüber... es ist sehr schwer für mich, nicht immer den großen Bruder zu spielen. Ich will damit nicht sagen, dass ich es gutheiße, wenn Fox Mulder mein Schwager werden würde, ich möchte nur sagen, dass ich versuchen würde, damit umzugehen."

"Tja, Bill", sagte Dana und wunderte sich im Stillen über die Einsichten im Leben, die immer zu spät kamen, "nichts dergleichen ist wahrscheinlich. Er will nicht einmal mehr mit mir reden. Er hat mir gesagt, dass er mit mir fertig sei."

Bill fluchte leise. "Aber du kannst das nicht dabei belassen! Einfach so, ungeklärt. Du musst ihn wenigstens dazu bringen, darüber zu reden."

"Bill, ich kann Mulder zu nichts *bringen*! Er ist ein erwachsener Mann, und außerdem steht Walter Skinner voll und ganz hinter ihm. Wenn Skinner nicht will, dass ich Kontakt zu Mulder habe, wird er auch dafür sorgen."

"Geh zu ihm, Dana", drängte er plötzlich. "Gleich morgen früh. Geh einfach unangemeldet hin. Lauere ihm auf, wenn du musst. Hast du noch diese Handfesseln?" sagte er nur halb im Spaß.

Sie musste lachen. "Bill! Natürlich nicht!" Dann, "Glaubst du wirklich, ich sollte einfach so vor seiner Tür auftauchen?"

"Ich glaube, dass das vielleicht der einzige Weg ist", sagte er wieder ernst.

Sie schwieg für einige Sekunden und dachte nach. Sie stellte sich die Situation vor. Mulder würde ihr womöglich die Tür vor der Nase zuknallen.  Er würde ihr wahrscheinlich mit seinen grausamen Worten noch mehr wehtun, als er es eh schon hatte. Worte, die genau wussten, wohin sie zielen sollten und wie tief sie verwunden sollten. Oder, und das war auch möglich, obgleich nur sehr entfernt, würde er sie einfach nur anhören. Plötzlich fiel ihr ein Satz ein, den ihr Vater gebraucht hatte, als sie noch ein Kind war. Sie schauderte, als sie seine Worte so klar und deutlich hörte, als wäre sie immer noch zehn Jahre alt. 'Du bist nur besiegt, wenn du aufgibst.'

"Bevor das Zwielicht fällt... und das entfernteste Ufer erreichen bevor das Zwielicht fällt..." murmelte sie Mulders Gedicht vor sich hin.

"Was?" fragte ihr Bruder.

"Nichts", sagte sie schnell. "Ich habe gerade nur an etwas gedacht, was Mulder einmal zu mir gesagt hat. Weißt du, Bill, ich glaube, du hast Recht.  Ich glaube ich gehe auf deinen Vorschlag ein. Morgen."

"Gut, Dana", applaudierte er. "Du warst immer jemand, der das Leben bei den Hörnern nimmt. Gib jetzt nicht auf."

"Vielleicht übernachte ich morgen bei Mom", sprach sie weiter. "Denn wenn Mulder mich rauswirft, kann sie mir einen heißen Kakao kochen und Hühnersuppe und mich bis zum Abwinken bemuttern."

Bill lachte. "Ich glaube nicht, dass er das tun wird, Dana. Das glaube ich wirklich nicht."

Sie legte auf und drückte die Daumen. 'Gott, ich hoffe, dass du dieses eine Mal Recht behältst, Bill!' sagte sie sich.

 
 

Einen Häuserblock weiter saß ein Mann ruhig in einem unscheinbaren Sedan-Viertürer. Mal grinste er, mal starrte er die kleine metallene Vorrichtung auf dem Beifahrersitz an: ein handgroßer Scanner, mit dem man Anrufe von Handys und schnurlosen Telefonen innerhalb eines sehr großen Radius decodieren konnte. Er staunte, dass die Frau, die so viele Jahre lang eine FBI-Agentin gewesen war, so unvorsichtig war, private Gespräche über einen Gegenstand führte, der mit so einfachen Mitteln regelrecht als Mikrofon für die breite Öffentlichkeit fungieren konnte.  Sein Gesicht verdunkelte sich, als sie ihm ihre Pläne für den nächsten Morgen eröffnete. Doch am Ende war es völlig egal, was sie vorhatte, weil er nämlich bereits etwas vor hatte. Er würde sich heute Abend keine Fehler erlauben können.

Er beobachtete, wie die Lichter in Scullys kleiner Wohnung ausging, eins nach dem anderen, bis nur noch ein schwacher Schein durch das vorderste Fenster schien. Es war ihre Nachttischlampe, deren Licht kaum einmal aus der Schlafzimmertür reichte, so schwach, dass man genau hinsehen musste, um es noch das Wohnzimmerfenster erreichen zu sehen. Er kannte die Anordnung aller Gegenstände in ihrer Wohnung peinlich genau, weil er schon sehr oft da gewesen war, während sie fort war. Er wusste, dass sie mit offener Schlafzimmertür schlief, weil er einmal durch den Jack Daniels gestärkt, den er in letzter Zeit allen anderen Nahrungsmitteln vorzog, sich mitten in der Nacht, während sie schlief, in ihre Wohnung geschlichen hatte und sich zufrieden überzeugt hatte, dass sie in Sicherheit war. Er hatte in dem dunklen Zimmer gestanden und sie durch die Schlafzimmertür angesehen, dicht genug dran, um das gleichmäßige Heben und Senken ihrer Brust auszumachen, doch nicht nahe genug, um sie berühren zu können. Und in dieser Nacht hatte er seinen Plan erfasst.

Sein Plan. Er hatte tagelang über jedes kleinste Detail nachgedacht, einige Ideen verworfen und andere hinzugenommen, hatte ihn in seinem Kopf auseinandergenommen wie ein Kunstwerk, etwas, das man sehen konnte, etwas, das man beschützen und hegen musste. Als er schließlich mit dem Ergebnis zufrieden war, war er in Gedanken zwei Schritte davor zurück getreten, um es aus gebührender Entfernung zu bewundern—mit Ehrfurcht vor seinen eigenen Fähigkeiten und der Auffassung, dass er ein Naturtalent war.  Er hatte jedoch gezögert, seinen Plan in die Tat umzusetzen, weil er fürchtete, dass wenn er aus Unachtsamkeit im falschen Moment zuschlagen würde, sein ganzes peinlichst genau durchdachte Kunstwerk über den Haufen geworfen würde. Jetzt schien es so, als ob sie die Entscheidung für ihn getroffen hätte, und jetzt galt es keine Zeit mehr zu verlieren, kein Überlegen und Durchdenken, ob nicht diese oder jene Kleinigkeit doch verändert werden sollte. Der Moment würde schnell kommen, und er würde entschlossen voranschreiten, und er würde gewinnen. Kein Platz für Fehler heute Abend.

 
 

Mulder ging auf und ab. Schon wieder. Skinner sah ihm still zu und bewahrte Geduld, bis er sich schon Beruhigungsmittel in Mulders Essen tun sah, um ihn ruhig zu halten. An diesem Punkt entschied er, dass er stattdessen doch lieber mit ihm reden sollte.

"Mulder, setzen Sie sich hin!" grollte er mit beherrschter Stimme, und Mulder, den der Ton und das Gesagte überraschte, tat wie ihm geheißen.

Er sah verlegen aus, als er erkannte, was er die ganze letzte Stunde getan hatte.

"Sorry", murmelte er und starrte auf den Teppich. "War wohl zu sehr in Gedanken."

Skinner ging zum Kühlschrank und holte zwei Flaschen heraus, wandte sich dann zu Mulder und gab ihm eine Flasche Bier.

"Hier, trinken Sie das, Mulder", befahl er und Mulder gehorchte abermals.

Er drehte den Verschluss auf und nahm einen großen Schluck.

"Das ist gut", kommentierte er und besah das Etikett. Importiert. Er grinste. Irgendwie hatte er geahnt, dass Skinner ein Snob war, wenn es um Alkohol ging.

Der Scotch, den er vorher getrunken hatte, war gesackt und das Essen, das ihm Skinner praktisch aufgezwungen hatte, hatte ebenfalls seinen Zweck erfüllt. Mulder setzte sich bequem in seinem Sessel zurück und nippte wieder an der bernsteinfarbenen Flüssigkeit und starrte die Wand an. Er wusste, dass Walter wollte, dass er erzählte, worüber er nachdachte, aber er hatte ihm wirklich nichts zu sagen. Jedenfalls nichts, dass er laut aussprechen wollte.

Es lag auf der Hand, dass ein Besuch in Jess Coslows Praxis am nächsten Morgen an der Tagesordnung war. Wenn sie heute nicht einen Termin in einer anderen Stadt gehabt hätte, wäre er jetzt schon da gewesen. Mulder ahnte bereits, dass es eine lange und aufreibende Sitzung werden würde, in der er eine Menge Dinge sagen musste, die er lieber unter Verschluss halten würde. Es gab einfach keinen Weg, Walter oder Jess die emotionale Epiphanie zu beschreiben, die er an dem Nachmittag durchlebt hatte.

Er hatte jede Intention es zu tun—die Pistole lag bereit, den Brief an Walter geschrieben (zwar kurz, aber prägnant wie jede Notiz, die Mulder je jemandem geschrieben hat, der ihm wichtig war), die Flasche bis auf den letzten Tropfen geleert.... er musste nur noch die Pistole heben und den Abzug ziehen.

Er war schon auf bestem Wege dorthin, der Lauf war schon einmal in seinem Mund gewesen und zeigte nach oben. Bereit, das, was noch von seinem erbärmlichen, verwirrten Gehirn übrig war quer über die dahinterliegende Wand zu verteilen, als er sie gehört hatte. Samantha. Ihre Stimme, so klar, als stünde sie vor ihm: "Nicht, Fox!"

Natürlich wusste er, dass das ein Moment aus seiner Kindheit gewesen war, das ihn wieder eingeholt hatte—es war nicht *wirklich* Samanthas Stimme, die aus dem Grab zu ihm sprach oder wo immer sie auch sein mochte. Er konnte sich sogar genau an den Tag erinnern, an dem sie diese Worte gesagt hatte. Es war an ihrem sechsten Geburtstag gewesen, seine Mutter hatte einige ihrer Freunde zu einer kleinen Geburtstagsparty eingeladen. Er hatte gelächelt, als er sich an Emmies Geburtstagsparty erinnerte, die gar nicht mal so lange her war—kleine Mädchen waren immer gleich, ganz egal welcher Generation sie angehörten. Klar, Sams Freunde haben ihn nicht umgeworfen und ihn gekitzelt, weil sie ihn in seiner Art nicht ausstehen konnten. Große Brüder konnten manchmal die Pest sein.

Sie hatten ihn unbarmherzig gehänselt an diesem Tag, Witze über seinen verhassten Namen gemacht, auf einer Serviette Karikaturen von ihm gezeichnet mit Wachsmalstiften, die ihre Mutter bereitgestellt hatte, doch sicherlich nicht zum Zwecke der Demütigung für ihren Sohn. Sie hatten sein Leben generell zur Hölle gemacht. Fox hatte sich letzten Endes in einem Wutanfall eins von Samanthas Geschenken geschnappt, eine wunderschöne Puppe in einem langen blauen Kleid und blonden Locken, und hatte ihr den Kopf umgedreht. Samantha, die davon überzeugt war, dass ihr Spielzeug jeden Moment kaputt gehen würde, hatte die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen und angefangen zu weinen, mit derselben Stimme, die er heute gehört hatte, "Nicht, Fox!"

Er war nicht imstande gewesen, die Bitte seiner Schwester, die er so sehr liebte, zu verweigern, selbst wenn ihre Freunde ihn fast zum Wahnsinn trieben. Er hatte gespürt, wie sich sein Herz zusammengezogen hatte, als sie dieses kindische, vertrauensvolle Lächeln getan lächelte. Er hatte ihr die Puppe zurückgegeben. Dann hatte er sich umgedreht, um aus dem Zimmer zu gehen und gehört, wie ihre Freundinnen angefangen haben zu kichern. Ein Gefühl der Dankbarkeit hatte ihn überkommen, als er hörte, wie Samantha ihnen augenblicklich durch ein "Pssst!" gebot damit aufzuhören. An dem Abend, nachdem die Gäste gegangen und das Haus aufgeräumt waren, hatte sie ihm eine Zeichnung gegeben, die sie gemacht hatte. Sie hatte jede ihrer Freundinnen gemalt, die ihn an dem Tag geärgert hatte (alle mit völlig unschmeichelhaften Gesichtszügen und Klamotten), und sie beide haben auf seinem Bett gesessen und lange über die Zeichnung nachgedacht. Als ihre Mutter schließlich darauf bestanden hatte, dass sie endlich zu Bett gingen, hatte Sam ihn auf die Wange geküsst und sich mit der völligen Arglosigkeit, die nur ein kleines Kind haben kann, bei ihm bedankt.

Jetzt, wo er sich daran erinnerte, rieb er gedankenabwesend seine Wange dort, wo Samantha ihn vor so vielen Jahren geküsst hatte, und hörte in seinem Kopf "Danke, Fox", widerhallen. Er wurde weich in diesem Moment, er wurde immer weich, wenn es um sie ging. So wie heute auch.

Es gab absolut keinen Weg wie er Skinner oder irgendjemand anderem je erzählen könnte, dass seine seit langem vermisste Schwester ihn zum Leben überzeugt habe. Sie würden ihn sicherlich einschließen und den Schlüssel wegwerfen.

Er bekam es fast selbst nicht mit, wie er sein Bier leer trank, und schon bald darauf reichte ihm Skinner ein weiteres.

"Versuchen Sie mich abzufüllen, Walter?" fragte er überrascht.  Üblicherweise tat Skinner alles extrem geistesgegenwärtig, doch er hatte nun selbst schon einen großen Teil seines zweiten Bieres intus, und Mulder hatte den Eindruck, dass es ein langer Abend werden könnte.

"Sie haben selbst gesagt, dass Sie besser nachdenken können, wenn sie betrunken sind", erinnerte ihn Skinner grinsend. "Ich möchte nicht, dass sich ihre Urteilsfähigkeit wieder trübt, bevor wir morgen zu Jess gehen."

Mulder seufzte. Er hatte es so satt behandelt zu werden als sei er ein hilfloses Kind, obwohl er wusste, dass er manches Mal den Eindruck erweckte. Außerdem war er einfach.... müde. Er war allem müde. Des Lebens, der ständigen Schlachten, die er anscheinend dauernd führen musste, sowohl körperlich als auch emotional. So viel sein Ego sich auch dagegen wehrte, es war sehr angenehm und tröstend, sich einfach zurücksetzen zu können und Skinner alles machen zu lassen. Es war ein Felsen in der Brandung, dass es einen Menschen gab, der sein Vertrauen niemals missbraucht hatte und von dem er glauben konnte, soweit, dass er es auch nie würde.

Sein zweites Bier trank er viel, viel langsamer als das erste, während der Alkohol langsam einen angenehmen Nebel über sein Gehirn legte. Er zog sich mit den Füßen seine Schuhe ab und legte seine Füße auf den Hocker, um sich danach gemütlich tiefer in die Polster des weichen Sessels zu legen. Im Handumdrehen war er eingeschlafen.

Skinner betrachtete ihn grinsend, als Mulder langsam in den Schlaf sank, und als seine Finger den Halt an der Flasche verloren, nahm er sie ihm ab.  Er warf eine Decke über Mulders schlafende Gestalt und verließ leises das Zimmer. Ein wenig Schlaf würde Mulder gut tun. Zweifellos würde er in der Nacht sowieso aufwachen und ins Bett gehen, doch jetzt wollte Skinner ihm nicht seinen schwer-verdienten Schlaf rauben, denn Mulder hatte schrecklich müde und fertig ausgesehen.

 
 

Scully las noch bis lange nach Mitternacht, unfähig ihre zappelnden Nerven zu beruhigen jedes Mal, wenn sie daran dachte, Mulder am nächsten Morgen zu begegnen. Dann, es war schon fast zwei Uhr, machte sie das Licht aus und zwang sich ruhig liegen zu bleiben. Sie konzentrierte sich darauf, lange und tiefe Atemzüge zu nehmen, damit ihr Körper sich, wenn er schon nicht einschlafen wollte, wenigstens in Ruhephasen erholte. Jedes Mal, wenn sich vor ihrem inneren Auge ein Bild von Mulder aufbauen wollte, wie er sich von ihr abwandte, forcierte sie es eisern beiseite. Jedes Mal, wenn sie seine Stimme hörte, dass er ihr nicht mehr vertraute, erinnerte sie sich daran, dass ihm weh getan worden war, und dass das einfach der Grund war, warum er mit den bissigsten Worten wie nur irgend möglich nach ihr geschnappt hatte. Nachdem sie eine Dreiviertelstunde lang permanent versucht hatte, diesen Tag von aus ihren Gedanken zu verbannen, löste sich endlich die Spannung in ihr und sie fiel in einen leichten Schlaf.

Der Mann im Auto lächelte, als der schwache Lichtstrahl im Fenster der Frau ausging. Er würde noch eine Stunde warten und dann in Aktion treten. Die Zeit war gekommen.

 
 

Mulder wachte am Morgen auf, als er fühlte, wie etwas gegen seinen Fuß stupste. Er schlug die Augen auf und blickte in Skinners Gesicht. Als er sich umsah, um sich zu orientieren, fiel ihm auf, dass er die ganze Nacht in Skinners Wohnzimmer geschlafen haben musste.

"Sorry, dass ich Sie nicht aufgeweckt habe", entschuldigte sich Skinner, als sich Mulder reckte und streckte. "Ich habe nicht gedacht, dass Sie so lange schlafen würden."

"Schon okay", nuschelte Mulder gähnend. "Wie spät ist es?"

"Fast neun. Ich habe Jess angerufen und einen Termin für zehn vereinbart. Sie müssen also in die Gänge kommen."

Mulder nickte grummelnd und machte sich auf ins Badezimmer. Und wenn nicht frisch gebrühter, heißer Kaffee auf ihn wartete, wenn er da wieder rauskam, würde er Skinner den Hals umdrehen, sagte er sich. Mulder ließ sich in das warme Badewasser gleiten und fühlte abermals, wie der feste Knoten in seinem Magen sich zu formen begann und er einige Momente später am ganzen Körper zitterte. Fluchend drehte er das heiße Wasser weiter auf und versuchte sich zusammenzunehmen. Er konnte sich jetzt keine Panikattacke leisten— nicht jetzt. Nicht, wenn er Jess gleich gegenübertreten musste und sich eine plausible Erklärung ausdenken musste, warum er sich am Vortag nicht über den Jordan geschossen hatte. Er fragte sich welchen Grund er angeben konnte, durch den er weniger Probleme mit ihr haben würde als sowieso schon.

Als er schließlich aus dem Bad auftauchte, wartete Skinner mit Kaffee und Toast auf ihn und trug ihm auf gut zu essen. Mit einem Seitenblick auf die Uhr schlang Mulder den Toast herunter und nahm die Kaffeetasse mit, als sie die Wohnung verließen. Sie würden nur zehn Minuten zu Jess' Büro brauchen, aber es würde knapp werden.

Eine halbe Stunde später saß er auf der Couch und nippte an einer weiteren Dosis Koffein, während er stumm auf den Boden starrte. Sie kamen absolut nicht voran, und das einzige, das ihn davon abhielt aufzustehen und aus der Tür zu gehen war die Gewissheit, dass er dafür durch Walter-"The Marine"-Skinner hindurch musste. Er schauderte bei dem Gedanken. Walter war sein Freund, aber er konnte manchmal auch verdammt erschreckend sein, und Mulder hatte Skinners Geduld in letzter Zeit auf eine harte Probe gestellt.

Seufzend versuchte er sich darauf zu konzentrieren, was Jess ihm erzählte.  Er bekam ihre Worte inmitten eines Satzes wieder mit und starrte verdattert, als er merkte, was sie tat.

"...und es erscheint mir offensichtlich, Mulder, dass Ihr Vater Sie, als Sie noch ein Kind waren, schrecklich missbraucht hatte, und dass Sie es Ihrer Mutter extrem übel nehmen, dass sie Sie nicht davor bewahrt hatte.

Diese immer wieder auftauchende Tendenz von Ihnen, die Sie an den Tag

legen, um Aufmerksamkeit zu erlangen, selbst zu dem Punkt, wo Sie sich selbst in die Hände eines wohlbekannten Feindes legen, damit er sie erschießen kann, spricht von ihrer tiefen Psychose, an der Sie leiden."

Er hielt ihrem Blick stand solange er konnte und prustete dann einen Lacher. Er musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht den Kaffee auszuspucken. Er schluckte mit ersichtlichen Schwierigkeiten und brach in schallendes Lachen aus, so dass seine Augen tränten, bis er seine Tasse absetzen musste, um sich den Bauch zu halten.

"Oh Gott, Jess, das war klasse!" keuchte er zwischen Lachkrämpfen.

Jess setzte sich mit einem zufriedenen Grinsen in ihrem Sessel zurück. "Ich dachte schon, Sie würden noch bis zum Ende der Sitzung da sitzen und mich ignorieren, also habe ich mir gedacht, ich könnte auch etwas Spaß haben."

Mulder wischte sich die Augen und ein Lacher kam immer noch hier und da in ihm hoch. "Ich hab schon seit der Schule nicht mehr so ein blödsinniges Psychogebabbel gehört", sagte er. "Wie haben Sie das gemacht?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Hab ich neulich mal im Internet gelesen", lächelte sie. "Und wenn Sie immer noch vorhaben, Ihr Studium zu beenden, werden Sie in Zukunft noch viel mehr von solchem blödsinnigen Psychogebabbel hören, Mulder, aber um auf unser Thema zurückzukommen...."

Mulders Blick fiel und seine Hände formten unabsichtlich Fäuste.

"Worüber können Sie so schwer sprechen?" fragte sie sanft.

"Sie werden mich für verrückt halten", murmelte er.

Jetzt war sie es, die schnaubte. "Nach all der ganzen Zeit, was könnten Sie mir jetzt noch über sich sagen, was ich nicht schon weiß, Mulder?" wollte sie wissen. "Wenn gestern etwas passiert ist, dass sie davon überzeugt hat, *keinen* Selbstmord zu begehen, was kann daran schlecht sein?"

Er nickte, auch wenn ihm nicht völlig behaglich war nach ihren Fragen.

"Aber Sie fühlen sich immer noch nicht wohl, wenn Sie darüber sprechen."

Noch ein Nicken.

"Hat es etwas mit ihrer Kindheit zu tun? Mit ihrer Schwester?"

Wie der Blitz hob er den Kopf und seine Augen bohrten sich in ihre.

"Woher.... woher wissen Sie das?"

Jess schüttelte langsam den Kopf. "Ich habe es nicht gewusst, ich hatte nur eine Ahnung. Sie haben eine Menge Leid in ihrem Leben erfahren, Mulder, und so viel davon geht von der Zeit aus, in der Sie zwölf waren. Hat es etwas mit Samanthas Entführung zu tun?"

"Nein", sagte er langsam, "etwas, das einige Jahre davor passiert ist. An Sams Geburtstag..."

Sie wartete einen Moment. "Wie alt waren Sie da?"

Ein kleines Lächeln überflog sein Gesicht. "Ich war zehn. Ich war ein richtiges Balg, wissen Sie? Ich hab sie und ihre Freunde immer geärgert, und an dem Tag haben sie es mir zurückgezahlt. Sie haben mir Schimpfwörter hinterhergerufen, haben mich gemalt und so Zeugs."

"Das muss Sie sehr verletzt haben", observierte Jess, und Mulder nickte abermals.

"Das hat es, ein bisschen, ja, aber wenn ich jetzt zurückblicke, scheint es so unwichtig. Jedenfalls habe ich es mir bis zur Geduldsgrenze gefallen lassen, und dann habe ich eines von Samanthas Spielzeugen genommen und gedroht, es kaputt zu machen."

"Und haben Sie?"

"Nein", flüsterte er. "Ich konnte es nicht. Ich hätte ihr nie wehtun können. Ich habe sie geliebt. Sie war alles was ich hatte...."

"Was ist also passiert?"

Mulder rieb sich mit der Hand über das Gesicht und spürte, wie er leicht anfing zu schwitzen dort. Verdammt, dachte er, nach all den Jahren sollte es doch nicht mehr so schwer sein, darüber zu sprechen. Es war doch bloß eine Geburtstagsparty.

"Sie hat mich gebeten, es nicht zu tun." Er grinste sehnsüchtig. "Im Grunde genommen hatte sie mir befohlen, es nicht zu tun. Sie konnte ganz schön bestimmend sein, wenn sie wollte. Ich habe einen Blick in ihre vertrauensvollen Augen geworfen und wusste, dass ich es nicht übers Herz bringen würde. Und später ist sie dann zu mir gekommen und.... hat mir gedankt. Jess, sie war so unschuldig, und sie hatte mir so vertraut, und ich...."

Er verstummte. Mulder wusste, dass wenn er fortfuhr, er anfangen würde zu weinen und dies war eine Sitzung, in der er sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen.

"Ihre Schwester hat Ihnen also gedankt, dass sie ihr Spielzeug nicht kaputt gemacht haben, und das macht Ihnen Schuldgefühle?"

"Ja."

"Warum?"

"Weil ich es ihr in erster Linie überhaupt nicht hätte androhen sollen, verdammt noch mal!" explodierte er. "Ich war ihr großer Bruder, ich sollte auf sie aufpassen und sie beschützen, und sie konnte mir nicht einmal vertrauen, dass ich nicht.... Welche Art von Bruder tut so etwas?"

Wieder hielt er inne.

Nach einer Minute lehnte sich Jess nach vorne, bis sich ihre Knie fast berührten.

"Ihrer Beschreibung nach zu urteilen ist das das gleiche Benehmen, das zehn Jahre alte Brüder seit je her an den Tag legen", sagte sie sanft. "Sie scheinen schrecklich viel von sich selbst zu erwarten."

Verstohlen rieb er sich den Augenwinkel. "Was meinen Sie damit?"

"Nun", sagte sie und lehnte sich wieder zurück, da sie jetzt seine Aufmerksamkeit hatte, "Sie denken schlecht von sich für etwas, das man von jedem Kind erwarten könnte damit fertig zu werden, und Sie haben den Punkt noch nicht ganz ergriffen."

Er sah auf in ihr ernstes Gesicht, keine Spur mehr von den Witzeleien, die sie erst vor ein paar Minuten ausgetauscht hatten. "Und welcher Punkt ist das?"

"Dass Sie das Spielzeug heile gelassen haben. Sie haben ihr Vertrauen nicht gebrochen. Und später—das einzige Mal, an dem sie so dringend Ihre Hilfe gebraucht hatte—haben Sie alles in Ihrer Macht stehende getan, um ihr zu helfen. An diesem Tag haben Sie ihr Vertrauen ebenfalls nicht verloren."

Mulder sah baff aus, als ob ihm das nie eingefallen wäre. Er hatte sich immer die Schuld dafür gegeben, dass er Samantha für eine so lange Zeit nicht beistehen konnte, dass ihm nie in den Sinn gekommen wäre, sich Punkte für das Versuchen anzurechnen.

Jess ließ es eine Weile sinken, und als sie auf seinem Gesicht weniger Stress lesen konnte, stellte sie noch einmal die Preisfrage.

"Was aus Ihrer Erinnerung hat sie dazu gebracht, sich nicht umzubringen?" fragte sie in einem Ton, der so ruhig und sanft war wie eine Schneeflocke.

Ein fragendes Lächeln breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. "Ich habe sie gehört", gestand er schließlich. "Ich habe ihre Stimme gehört, dieselbe Stimme, die mir zurief, es nicht zu tun. Und ich kann ihr nichts abschlagen." Er blickte hoch zu Jess, um sicherzugehen, dass sie verstand, was er meinte.

"Ich habe sie nicht retten können, Jess, aber *sie hat mich* gerettet. Sie hat mich bewahrt...."

Jess reichte ihm ein Päckchen mit Taschentüchern, nach der er blind grabschte, ein paar herausnahm und sich das Gesicht abwischte, nachdem er sich von ihr weg gedreht hatte. Ohne Vorwarnung erschlug ihn die Erschöpfung nahezu und er fiel zurück auf die Couch.

"Es ist in Ordnung, nicht?" fragte er nach ihrer Zusicherung suchend. "Dass ich ihr nicht helfen konnte, aber sie mir?"

"Wenn sie alles getan hätte, um Sie zu retten, es aber nicht gereicht hätte, hätten Sie sie dafür verantwortlich gemacht?"

Erkenntnis flog über sein Gesicht und er schüttelte verneinend den Kopf.

"Nein."

Sie nickte und war zufrieden. "Sehen Sie, und genauso ist es umgekehrt, Mulder."

 
 

Scully starrte dumpf aus dem Fenster des Flughafenwagens. Sie waren mit dem Wagen losgefahren, den sie dann aber am Flughafen stehen gelassen hatten und diesen hier von einem Dauerparkplatz gestohlen hatten. Es war unwahrscheinlich, dass der Besitzer ihn in den nächsten Tagen vermissen würde, und bis dahin würde es sowieso zu spät sein. Zachs Plan würde vollendet sein.

Sie war am frühen Morgen durch eine Hand aufgewacht, die ihr fest den Mund zu hielt und sie hatte eine Waffe an ihrem Hals gespürt. Zachs unverwechselbare Stimme hatte ihr ins Ohr geflüstert, was genau sie tun müsste, wenn sie nicht wollte, dass Mulde zuerst stürbe. Sehnsüchtig hatte sie an die Waffe in ihrer Schublade gedacht, die, zwar nur einen Meter von ihr entfernt, nun unerreichbar für sie war. Durch ein Nicken hatte sie ihm gezeigt, dass sie mit ihm kooperieren wolle. Zach hatte die Waffe achtsam auf sie gerichtet, während sie aufgestanden war, sich angezogen hatte und mit ihm zum Wagen gegangen war. Sie hatte seine Anweisungen befolgt, zum Flughafen zu fahren und hatte zusehen müssen, wie er den Flughafenwagen aufgebrochen hatte.

Er hatte ihre Hände fest auf ihrem Rücken zusammengeschnallt und den Sicherheitsgurt um sie gelegt, und war dann vom Parkplatz gefahren, ohne sie in irgendeiner Weise einzuweihen. Er versicherte ihr, dass solange sie tat, was er wollte, Mulder außer Gefahr sei, und sie hatte sich an dieser Aussage festgeklammert in der Hoffnung, dass sie wahr sei. Wenn sie all dies aushalten musste, und Mulder trotz ihrer Bemühungen leiden musste....

Sie schauderte, als sie sich an Zachs Hand auf ihr erinnerte. Nichts hatte Scully auf den Ekel vorbereitet, den sie empfunden hatte, als ihr Ex-Mann sie angefasst hatte. Der Gedanke daran, dass sie diesen Mann einmal sehr gemocht hatte, intim mit ihm gewesen war, machte sie jetzt krank, und sie schluckte, um zu verhindern, dass ihr die Galle hochkam. Sie konnte immer noch seine Zunge in ihrem Mund spüren.

Die Fahrt erschien ihr stundenlang. Die Stadt wich dem Land, dann öder, trockener Prärie, die nur spärlich durch eine kleine Stadt hier und da unterbrochen wurde. Zach hatte sich auf den Nebenstraßen und weniger befahrenen Highways gehalten, und jede Meile, die sie hinter sich ließen, nahm ihr einen Funken mehr Hoffnung.

Er hatte gesagt, sie würde mit seinem Namen sterben—sie fing an, ihm das zu glauben.

 
 

Mulder war sehr still auf der Fahrt zurück zu Skinners Wohnung. Er wollte ihm nicht alles brühwarm erzählen, was in der Sitzung vorgefallen war, doch Skinner meinte, den jüngeren Mann etwas entspannter zu sehen. Mit großer Sicherheit war etwas hinter diesen Türen der Therapieräume passiert, dachte er, etwas Gutes, doch wenn Mulder noch nicht bereit war, darüber zu reden, konnte er warten. Als sie zu Hause angelangt waren, ging Mulder unverzüglich in sein Zimmer, und als Skinner eine Stunde später nach ihm sah, fand er seinen Freund ruhig und fest schlafend vor. Skinner zog sich leise zurück, denn er wusste, dass sich Mulder am Rande der Erschöpfung befinden musste, und schloss die Tür.

Als das Telefon plötzlich um drei Uhr klingelte, nachdem es den ganzen Vormittag über nichts von sich gegeben hatte, schlief Mulder immer noch.  Skinner sah auf den Namen auf dem Display und zog eine Grimasse.

Bill Scully? Was würde der ihm schon erzählen wollen?

"Skinner", bellte er grantig in den Hörer.

"Mr. Skinner, hier ist Bill Scully, Danas Bruder." Seine Stimme klang besorgt und es lag keine Spur der Großspurigkeit darin, an die sich Skinner von früheren Treffen mit ihm erinnerte.

"Ja?" Er behielt seinen Tonfall knapp. Besorgt oder nicht, im Moment konnte sich Skinner keine Situation vorstellen, in der er ein Gespräch mit irgendeinem Mitglied der Scully Familie willkommen hieß.

"Ich habe mich nur gefragt.... haben Sie meine Schwester heute gesehen?"

Bei diesen Worten wurde Skinner hellhörig. "Nein, warum? Sollte ich das?" fragte er mit einem Blick den Flur hinunter zu Mulders Zimmer vorsichtig nach.

"Ist... ist Mulder bei Ihnen?" Bills Stimme war immer noch zögerlich, als ob er wüsste, dass seine Fragen ungebeten seien, doch das Gefühl hatte, sie trotzdem stellen zu müssen.

"Ja, er ist hier. Er schläft. Er hatte gestern einen harten Tag."

Bill seufzte leise. "Dana sagte mir gestern Abend, dass sie vorhatte, ihn heute Morgen zu besuchen und dann zu ihrer Mutter zu gehen. Doch Mom hat bis jetzt nichts von ihr gehört, und als ich bei Mulder angerufen habe, ist niemand dran gegangen."

"Mulder hat die Nacht hier geschlafen."

"Aber wenn Dana ihn nicht zu Hause vorgefunden hat, würde sie nicht als nächstes zu Ihnen kommen? Mulder ist in letzter Zeit oft da gewesen, richtig?"

"Was wollen Sie damit sagen?" verlangte Skinner, der sich beherrschen musste, sich zu zügeln.

"Hören Sie, Mr. Skinner, ich möchte damit gar nichts sagen. Ich weiß, dass Sie Mulder eine große Hilfe sind. Dana hat es mir erzählt. Ich weiß nur nicht, wo meine Schwester steckt, und weil ihr verrückter Ex-Mann auch nicht auffindbar ist, tut es mir Leid, wenn ich ein wenig besorgt bin!" Bill fing an sich zu entschuldigen, und er wurde immer lauter. Skinner konnte die nackte Angst in seiner Stimme hören.

"In Ordnung, Scully, beruhigen Sie sich", sagte Skinner.

"Scully? Was zum Teufel will sie denn?" wollte Mulder wissen, der hinter ihm stand. Skinner schloss frustriert die Augen.

"Nicht Dana. Bill." In der Sekunde, in der diese Information Skinners Mund verlassen hatte, streckte Mulder die Hand nach dem Telefonhörer aus, ein Ausdruck purer Entschlossenheit auf seinem Gesicht.

Skinner schüttelte den Kopf, doch Mulder riss ihm mit einem warnenden Seitenblick das Telefon aus der Hand.

"Bill? Worum geht es?" fragte er dann.

"Mulder, sind Sie das? Es geht um Dana. Sie scheint.... hm, ich kann....  ich kann sie nicht finden, Mulder."

Skinner sah, wie alle Farbe aus Mulders Gesicht wich und fluchte in sich hinein. Er legte seine Hände auf Mulders Schultern und bedeutete ihm sich hinzusetzen.

"Was meinen Sie damit, Sie können sie nicht finden?" fragte Mulder barsch.

"Sie sagte, sie würde heute Morgen nach Virginia gehen, um mit Ihnen zu reden und dann zu Mom, aber sie ist nie da aufgetaucht", floss es übereilt aus Bill heraus. "Sie hat Mom nicht angerufen, sie geht nicht an ihr Handy, auch zu Hause nicht ans Telefon, und die Sekretärin in ihrem Büro sagte, dass Dana sich heute Morgen auch nicht gemeldet hatte, geschweige denn vorbeigekommen sei!"

"Scheiße!" flüsterte Mulder und sah auf zu Skinner. "Zach hat sie."

Skinner nickte und griff nach seinem Handy. Er wählte bereits, als Bill antwortete, "Das ist das, wovor ich Angst habe."

"Bill, hören Sie, Skinner geht der Sache nach. Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden sie finden." Er dachte einen Moment lang nach. "Er ist ihr Freund—haben Sie eine Idee, wo er hingegangen sein könnte?"

"Er ist nicht mehr mein Freund, Mulder", antwortete Bill grimmig. "Und nein, ich habe keine Ahnung, aber ich kann seine Eltern anrufen und gucken, ob sie irgendetwas wissen."

"Tun Sie das und rufen Sie mich dann zurück."

Er legte auf und sah zu Skinner.

"Ich habe die Polizei von Baltimore benachrichtigt", berichtete Skinner ihm. "Sie schicken jemanden raus zu ihrer Wohnung, dann rufen sie uns zurück."

 

Während der ganzen nächsten Stunde stand es außer Frage, Mulder davon abhalten zu wollen, wie eine Katze seine Wohnung zu durchstreifen. Er tat es ja die meiste Zeit selber. Als das Telefon ging, riss Mulder es bereits von der Station bevor das erste Klingeln überhaupt komplett war.

"Ja?" meldete er sich knapp. "Hat er? Okay, das ist klasse. Okay, danke Bill. Wir melden uns, wenn wir mehr wissen." Er ließ den Hörer fallen und sackte für einen Moment darüber zusammen. Dann richtete er sich wieder auf.  "Zach hat Emmie letzte Nacht bei seinen Eltern gelassen. Er sagte er würde zu einer Fachtagung in Los Angeles fahren. Irgendetwas über Dermatologie."

"Morrow ist ein Dermatologe?" Skinner war verwundert.

Mulder zuckte die Schultern. "Keine Ahnung", sagte er desinteressiert. "Mag sein. Ich weiß, dass er irgendeinen Doktor hat. Scully hat nie viel über ihn erzählt, und ich habe nicht gefragt."

"Warten Sie eine Sekunde, Mulder", sagte Skinner, als sein Handy klingelte.  "Die Chancen sind nicht schlecht, dass sie noch lebt, und wir Zeit haben, sie zu finden."

Die Polizei von Baltimore war dran, und Skinner schlenderte telefonierend in die Küche, wo er einen weiteren Telefonanruf tätigte. Er behielt Mulder am anderen Ende des Raumes im Auge, doch der bewegte sich auf der Couch sowieso nicht. Er saß nur da mit gesenktem Kopf und den Händen zwischen seinen Knien, fast wie in einer betenden oder meditierenden Haltung. Als er das Gespräch beendete, ging er zurück zu Mulder und stellte sich vor ihn hin. Mulder sah zu ihm auf und Skinner sah den blanken Schrecken in seinen Augen - die Gewissheit, dass sein sparsames Glück ihnen ausgegangen war, dass diese Mal sicherlich das letzte Mal sein würde.

"Es findet eine Tagung von Dermatologen und anderen Ärzten in Los Angeles diese Woche statt", berichtete er, und Mulder nickte kurz, als ob er das erwartet hätte.

"Sie haben nichts in Scullys Wohnung gefunden, aber ihr Auto ist nicht auffindbar. Mulder", sagte er vorsichtig und setzte sich neben seinen Freund auf die Couch. "Haben Sie daran gedacht, dass Scully nur wieder davongelaufen ist?"

Mulder starrte ihn überrascht an. "Warum sollte sie das tun? Von was könnte sie jetzt weglaufen?" bohrte er.

Skinner spitzte nachdenklich die Lippen. "Vielleicht vor Zach."

"Aber das würde sie ihrer Familie nie antun", protestierte Mulder. "Sie hätte ihnen gesagt, wo sie hinginge. Nein, Walter, Zach hat gedroht, sie zu holen, und das hat er auch getan. Ich weiß es. Ich kann es fühlen."

"Tja, Mulder, wenn ich mich recht erinnere, waren Sie ein ausgezeichneter Profiler. Ich nehme an, dass sie sich der Fähigkeiten jetzt bedienen, denn wenn sich Ihre Vermutungen als korrekt erweisen, müssen wir Scully so schnell wie nur irgend möglich finden."

Mulders Magen drehte sich bei Skinners Worten, aber er wusste, dass er Recht hatte. Früher hatte er das mal gekonnt. Er hatte es sogar verdammt gut gekonnt.

"Ich denke, dass er das Auto loswerden wird", sagte er langgezogen. "Sie müssen Scullys Wagen finden und prüfen, ob in der Gegend, wo es aufgefunden wird, Autos gestohlen worden sind. Das wird eines der ersten Dinge sein, die er machen wird... die er wahrscheinlich schon getan hat."

Skinner wählte bereits. "Und dann?" fragte er mit dem Hörer am Ohr.

Mulder stand still und grub in seinem Gedächtnis. "Er hat seine Tochter hier gelassen - das heißt, dass er entweder noch in der Nähe ist, oder dass er vorhat, hierher zurückzukommen."

"Wo würde er hingehen?"

Mulder seufzte. "Ich weiß es nicht. Es würde uns weiterhelfen, wenn wir etwas über sein Motiv wüssten."

"Ich dachte, sein Motiv ist es, sie umzubringen", sagte Skinner mit erhobener Augenbraue und wandte sich dann wieder dem Telefon zu. "Ja, Walter Skinner wieder, ich muss mit Captain Penn sprechen."

Mulder fuhr fort, als Skinner gebeten wurde zu warten. "Wenn das alles wäre, hätte er es in ihre Wohnung erledigen können. Doch er hat sie stattdessen gekidnappt, ein Auto geklaut... er will noch etwas anderes, Walter. Ich weiß bloß nicht was."

 
 

Scully hob den Kopf und sah sich schlaftrunken um, als der Wagen langsam anhielt. Sie waren an einer kleine Tankstelle an einem staubigen Highway inmitten von... war es schon Iowa? Sie war sich nicht sicher. Sie sah zu Zach und schenkte ihm ein kleines Lächeln. Als er sie letzte Nacht wollte, wusste Scully, dass sie keine Wahl hatte. Sie hätte sich wehren und sich im Kampf verletzen können, möglicherweise hätte er sie auch direkt umgebracht, oder sie könnte ihm vorgaukeln, dass sie noch Gefühle für ihn hatte und vielleicht, vielleicht einen Ausweg finden.

Mit einem Knoten im Bauch und einem Kloß im Hals hatte sie ihm zärtliche Worte zugeflüstert, Worte der Verzeihung, sagte ihm, wie sehr sie ihn vermisst hatte, wie sehr sie es bereuen würde, ihn verlassen zu haben, und Zach hatte, wie er eben war, ihr alles geglaubt. Es war genau das gewesen, was er hatte hören wollen. Als sie von dem verlassenen Rastplatz gefahren waren, an dem sie die letzte Nacht verbracht hatten, hatte sie es geschafft ihn zu überreden, ihre Fesseln loszumachen.

Sie hatte ihn zuvor gefragt, wohin er führe, und er hatte mit einem strahlenden Lächeln geantwortet, "Las Vegas".

"Um zu heiraten", bestätigte sie und er hatte genickt.

"Zach", hatte sie gesagt und eine Hand auf seine Oberschenkel gelegt, während sie die Abscheu ignorierte, "du hast davon gesprochen, dass ich mit deinem Namen sterben würde."

Er hatte auf ihre Hand hinunter gesehen, dann wieder zu ihr und ein ernsthafter Gesichtsausdruck war über seien Gesichtszüge gekommen. "Ich hatte geplant, dich zu töten, Dana".

Sie schaffte er erschrocken auszusehen, als ob ihr dieser Gedanke nie in den Sinn gekommen wäre, und er hatte ihre Hand von seinem Bein zu seinen Lippen genommen. "So sehr wollte ich, dass du mein bist", hatte er geflüstert, und in Scullys Augen standen Tränen.

Blinzelnd und sich ausnahmsweise zum Weinen zwingend, hatte sie ihn mit einem Blick vollsten Verständnisses angesehen. Er brauchte nicht zu wissen, dass es Tränen der Angst, Wut und Frustration waren. Sie wollte ihn glauben lassen, dass es Tränen des Kummers und des Mitgefühls waren—Tränen für ihn waren.

"Oh, Zach", murmelte sie. "Aber wäre es nicht besser, wenn ich mit deinem Namen *leben* würde?"

Er lächelte und trat aufs Gas, wodurch er sie noch rascher an ihr Ziel bringen würde. Bald darauf war sie eingeschlafen.

Jetzt blickte sie sich auf der Tankstelle um, die vollkommen verlassen da lag. Lediglich die Neonleuchtschrift 'Open' zeigte an, dass geöffnet war.

"Warte hier", hieß Zach sie an, als er ausstieg. "Ich gehe schnell tanken."

"Ich muss mal die Toilette benutzen", sagte sie und nachdem er sie lange und suchend angesehen hatte, nickte er sein Einverständnis.

Sie ging hinter das Gebäude und drückte die Klinke, die wahrscheinlich verschlossen sein würde. Sie wurde nicht enttäuscht. Ihre Augen schweiften über das weite Gelände um die Tankstelle und sie musste den Impuls loszulaufen unterdrücken. Noch nicht, sagte sie sich. Sie würde sich hier nirgends verstecken können. Sie ging zurück zum Eingang und wollte gerade hereingehen, als seine Stimme sie anhielt.

"Wo gehst du hin?" wollte er wissen und sie konnte schwören Misstrauen herauszuhören, dass immer noch übrig geblieben war.

"Schlüssel", sagte sie und zeigte auf die Tür.

"Ich hole ihn", sagte er, drehte den Tankverschluss zu und betrat die Tanke. Schon einen Moment später war er zurück und begleitete sie zur Toilette. Er hielt ihr die Türe auf und Dana erkannte mit Verdruss, dass er hier draußen auf sie warten würde.

"Es dauert nicht lange", sagte sie und strich ihm leicht über die Wange. Er lächelte und schloss die Tür hinter ihr.

Hastig durchwühlte sie ihre Handtasche in der Hoffnung, ein Stück Papier darin zu finden. Sie fand nichts passendes, also riss sie ein Stück von ihrem Scheckbuch aus, riss den Teil mit ihrer Kontonummer ab und suchte frenetisch nach einem Stift. Endlich fand sie einen, und nachdem sie hastig eine Notiz auf das Papier geschmiert hatte, steckte sie alles wieder in die Tasche. Sie betätigte die Toilettenspülung, wusch ihre Hände und platzierte ihre Tasche so auf ihrer Schulter, dass ihre Notiz schnell griffbereit war, sollte sie die Gelegenheit haben, es jemandem zuzustecken, der helfen könnte.

"Ich bringe den Schlüssel zurück, Schatz", sagte sie, als sie wieder vorne am Eingang waren. "Ich wollte mir sowieso etwas Kaltes zu trinken holen."

Er starrte sie einige Momente lang an, und sagte dann, "Warte im Wagen auf mich, ich bringe dir etwas mit."

Scully schluckte ihre Enttäuschung herunter und drückte seine Hand. Dann ging sie ohne sich umzusehen zum Auto. Zach sah zu, wie sie einstieg und sich zurechtsetzte, erst dann ging er hinein.

Sie war sich sicher, dass er sie durch die Fenster des Ladens beobachtete, deshalb ließ sie achtsam ihre Tasche in den Fußraum gleiten und steckte das Stück Papier dabei zwischen ihren Sitz und die Autotür. Als Zach zurückkam und ihr eine Flasche Wasser und eine Tüte Brezeln reichte, lächelte sie ihn dankend an, als ob nichts wäre. Er ließ den Motor an und fuhr langsam los.

"Oh, meine Türe ist nicht richtig zu", sagte sie auf einmal und öffnete sie ein wenig. Die Erleichterung, die sie überkam, als sie sah, wie ihr Zettel hinaus auf den Asphalt wehte, vertuschte sie gekonnt, als sie die Tür vernünftig zuknallte und sich mit einem strahlenden Lächeln zu ihrem Entführer umwandte. "So, alles okay", rief sie freudig, und als sie davon brausten, umfasste sie seine Hand.

"Immer diese verdammten Stadtleute", fluchte er Tankwart, als er sah, wie die Frau ihre Autotür öffnete und dabei ein Stück Papier herausfiel, das direkt neben den Zapfsäulen landete. Immer noch grummelnd ging der kleine Mann die paar Schritte, um den Müll aufzuheben. Er zog es vor, seine Tankstelle und die Umgebung sauber zu halten. Die Leute hielten meistens nicht an, wenn sie annahmen, dass die Toiletten schmutzig sein könnten, und Müll auf dem Boden machte nicht gerade einen guten Eindruck.

Er hob mit einem Ruck das Papier auf und knüllte es zusammen, um es in einen Mülleimer zu werfen, als er bemerkte, dass es ein Abschnitt von einem Scheck war. Diese dumme Kuh von einer Frau hatte keine Ahnung, dass ihre Kontonummer überall in Iowa herumschwirrte, dachte er abschätzig. Aus Neugier strich er den Zettel glatt und ging nach Drinnen, um es sich dort besser anzusehen, als er das Gekrakel auf der Rückseite bemerkte.

"Hilfe! Bin entführt worden. Rufen Sie Polizei!"

"Was zum Henker...?" Er drehte es um und las den Namen—Dana Scully.  Baltimore, Maryland. Die Lady war weiß Gott eine ganze Strecke weit gefahren. War das auch kein Scherz? Der Typ, der bei ihr war, schien ein arrogantes Arschloch zu sein, aber sie machte nicht den Anschein, gegen ihren Willen mitzufahren.

Letztendlich beschloss er, dass es nicht seine Aufgabe war, zwei und zwei zusammenzuzählen und griff zum Telefon. Heute war ein Faulenzernachmittag.  Vielleicht war's auch ein Faulenzernachmittag auf der Polizeistation. Bob Jacobson konnte sich genauso gut den Kopf darüber zerbrechen.

 
 

Ende TEIL Sieben

 
 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 8/9

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>

 
 

Es war nicht besonders schwer, aus den Händen eines Verrückten zu entkommen, wenn man nur die richtigen Leute kontaktierte. Scully brauchte nicht lange, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Nur einige Minuten, nachdem sie von der Tankstelle gefahren waren, ärgerte sie sich über sich selbst, weil ihr eingefallen war, dass sie weder das Nummernschild, noch eine Beschreibung des Autos aufgeschrieben hatte (wie konnte sie nur so blöd sein??). Doch zu ihrer großen Erleichterung spielte das keine Rolle. Keine Stunde war vergangen, nachdem sie es geschafft hatte, ihre verzweifelte Bitte aus der Autotür zu werfen in der Hoffnung, dass der Tankwart den Zettel bemerken, lesen und etwas unternehmen würde, und sie bemerkte im Rückspielgel rob-blaues Blinklicht.

"Scheiße!" grummelte Zach und Dana legte ihre Hand beruhigend auf seinen Arm.

"Keine Sorge, Schatz, es ist bestimmt nichts Wichtiges. Vielleicht bist du ein wenig zu schnell gefahren. Ich bin mir sicher, dass sie dich deswegen anhalten." Sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln und wartete, bis der uniformierte Officer an die Fensterscheibe klopfte, bevor sie ihren Anschnallgurt löste. In der Sekunde, in der Zach sein Fenster öffnete, um mit dem Polizisten zu reden, sprang sie aus dem Wagen.

"Officer, ich brauche Ihre Hilfe", sagte sie bestimmt und wies auf Zach.

"Dies hier ist mein Ex-Mann und er hat mich entführt."

Zach drehte sich völlig perplex zu ihr um. "Liebling?" fragte er und nur sie vernahm den warnenden Unterton darin.

Der Polizist, der zuvor erfahren hatte, nach Fahrzeugen aus Maryland oder umliegenden Staaten zu suchen, zog rasch seine Waffe.

"Steigen Sie aus dem Wagen, Sir."

"Officer, meine Frau ist verwirrt, es war eine lange...."

"Steigen Sie aus dem Wagen, sofort!" wiederholte der Officer und ging mit auf Zach gerichteter Waffe einen Schritt zurück.

Mit einem schweren Seufzen, das den beiden bedeuten sollte, wie lästig ihm diese ganze Angelegenheit war, gab Zach nach. Bevor er protestieren konnte, beorderte der Polizist ihm, sich mit dem Gesicht zum Wagen zu stellen, und schon wurden seine Hände hinter ihm gefesselt.

"Sind Sie Dana Scully?" wollte der Officer barsch von ihr wissen.

"Ja, bin ich", antwortete sie mit einem leichten Zittern in der Stimme, die von der in Aussicht stehenden Hilfe her rührte. "Und sein Name ich Zachary Morrow. Er hat den Wagen gestohlen."

Der Polizist, dessen Namen Scully immer noch nicht erfahren hatte, drückte Zach zurück in den Wagen und griff zum Funkgerät. Innerhalb einiger Minuten wurde ihm bestätigt, dass der Wagen, den sie fuhren, in der Tat als gestohlen gemeldet war, und dass nach Dana Scully und Zachary Morrow gefahndet wurde.

"Ma'am, bitte steigen Sie in den Streifenwagen. Ich werde Sie mit aufs Revier nehmen, um ihre Aussage aufzunehmen."

Widerstrebend stieg Dana in das Polizeiauto und ignorierte Zach vollkommen, der in Handschellen auf dem Rücksitz saß. Bis auf Zachs permanente Androhungen, gerichtliche Schritte zu unternehmen und seinen Forderungen, einen Anwalt zu sprechen, fuhren sie wortlos zurück in die kleine Stadt McCart. Die Polizeiwache war ein kleines Gebäude aus hellbraunen Backsteinen an einer Ecke des Stadtplatzes. Als sie sie betraten, genoss Scully nach dem ständigen grellen Sonnenlicht draußen in der Prärie die angenehme Kühle des Inneren. Sie blinzelte, bis sich ihre Augen an das neue Licht gewöhnten und sah zu, wie Zach in eine Zelle geführt wurde. Als er einen letzten Blick auf sie warf, waren seine Augen wutentbrannt. Scully lief es kalt den Rücken herunter und sie wandte sich zu dem Officer, der im Begriff war, ihre Aussage niederzuschreiben. Jetzt hatte sie keine Zeit für einen Nervenzusammenbruch. Sie musste jetzt auf ihre jahrelange Erfahrung als FBI-Agentin zurückgreifen, um ihre Entführung klar und zusammenhängend zu schildern. Sie durfte nichts auslassen. Nichts.

 
 

"Er will sie", sagte Mulder zuversichtlich, während er mit dem kaputten Styropor der Kaffeetasse spielte. "Er will sie und er wird sie nicht umbringen, noch nicht. Nicht bis er sicher sein kann, dass sie wieder vollkommen ihm gehört."

"Und das soll was heißen, Mulder?" John Alberts, der leitende Agent in dem Fall, wurde ungeduldig. Spooky Mulder war jahrelang im FBI eine Legende gewesen - Himmel, das war er immer noch -, aber jetzt saß er hier und ließ nur kryptische Kommentare von sich, die nicht wirklich weiter halfen.

Als Mulder in den Raum gekommen war, waren alle Augen auf ihn gerichtet gewesen, unter anderem die des Assistant Director Skinner, der jetzt genau hinter ihm stand. Alberts war sicher gewesen, Mulders Gesichtsfarbe erst weichen und dann zu einem aschfahl-grau werden zu sehen. Mulder hatte sich lange umgesehen und sich dann mit auf den Tisch gesenkten Blick gesetzt. Er konnte die Blicke aller Agenten auf sich spüren und wäre am liebsten im Boden versunken. Alberts konnte es ihm nicht verübeln. Wie jeder andere hatte auch er die Story gehört, wie Mulder ein Mord angehängt worden war und er vier Jahre hinter Gittern verbracht hatte, bevor endlich seien Unschuld bewiesen werden konnte und seine Entlassung durchgekommen war. Selbst jetzt gab es im FBI noch einige, die glaubten, dass er das Verbrechen begangen hatte. Aber so wie Alberts die Sache sah, war Mulder ein guter Agent gewesen (auch wenn er an ein paar seltsame Dinge glaubte), der einigen sehr mächtigen Leuten nicht gepasst hatte.

Jetzt, als er Mulder zurück in die Rolle des Profilers schlüpfen sah, als ob er die letzten zehn Jahre nichts anderes gemacht hätte, war Alberst erstaunt über seine Fähigkeiten und er tat ihm mehr als nur ein wenig leid.  Es musste sehr schwer für Mulder sein, hier an einem Platz zu sitzen, von dem er wusste, dass er kein Recht mehr dazu hatte zu sein. Er wurde von einem Dutzend Augenpaargen gemustert und er hatte die Gewissheit, womöglich besser in dem Job zu sein als die meisten, wenn nicht alle, Besitzer dieser starrenden Augenpaare. Er setzte sich Mulder gegenüber.

"Was soll das heißen?" wiederholte er.

Mulder sah zu ihm auf, als ob er dankbar war, dass Alberts ihm ein offenes Ohr schenkte. Die Reaktionen der anderen Agenten zu diesem Fall waren sehr unterschiedlich gewesen, als Skinner Mulder hinzugenommen hatte.  Überwiegend waren sie negativ.

"Ich nehme an, dass er wahrscheinlich nach Reno oder Las Vegas will", sagte Mulder leise. "Irgendwo, wo sie ohne viel Aufhebens heiraten können."

"Das ist das Idiotischste, das ich je gehört habe, Mulder!" brach Agent Brown aus und machte sich nichts aus Alberts' warnendem Blick. "Warum sollte er denken, dass er sie zwingen kann, ihn zu heiraten? Würde die Lady sich nicht einfach weigern?"

Mulder versuchte, über den Sarkasmus in Browns Worten hinwegzusehen und antwortete, "Die *Lady* ist eine ehemalige FBI-Agentin, und dazu eine verdammt gute. Sie würde sich durch diese Situation nicht aus der Fassung bringen lassen. Ich denke, dass sie mit ihm kooperiert, dass sie versucht, sein Vertrauen zu gewinnen, bis sie eine Gelegenheit findet, zu entkommen."

"Vielleicht ist sie freiwillig mit ihm gegangen, haben Sie daran mal gedacht?" sagte Brown und Mulder fühlte Skinners harten Griff auf seiner Schulter, der ihn auf seinem Platz behielt.

"Wir haben die Information, dass das nicht der Fall ist, Agent Brown", antwortet Skinner kühl und ließ seinen Griff auf Mulders Schulter, bis er merkte, dass Mulder sich wieder lockerte. "Sie hatte vor, Mulder und ihre Mutter am nächsten Tag zu besuchen. Sie wäre nicht einfach so mit einem Mann gegangen, der sie missbraucht hatte. Ein Mann, von dem sie sich wegen dieses Missbrauchs hatte scheiden lassen. Meiner Meinung nach steht es außer Frage, dass wir es hier mit einem Verbrechen zu tun haben."

Er zog den Stuhl neben Mulder nach hinten und ließ sich müde darauf nieder.  "Also, sollen wir in Nevada suchen lassen?" fragte er hoffnungsvoll und Mulder nickte.

"Ich glaube, dass er sie dahin bringt. Ich befürchte nur, dass nach..."

"Nach?"

"Ich habe Angst, dass er... nachdem.... er sie vielleicht umbringen wird.  Wir müssen sie baldmöglichst finden, Walter, Scully hat vielleicht nicht mehr viel Zeit."

Skinner hatte bereits den Mund geöffnet, um Mulder ein wenig Ruhe vorzuschlagen, ein Vorschlag von dem er wusste, dass er ihn nicht annehmen würde, als sein Mobiltelefon klingelte. Er fischte es aus seiner Manteltasche und klappte es auf. Zu seinem Erstaunen hörte er Maggie Scullys Stimme am anderen Ende.

"Walter, es geht ihr gut!" Er konnte die Maggies Freudentränen förmlich in ihrer Stimme hören. Die Polizei hat sie in Iowa gefunden, es geht ihr gut."

Als Mulder das Lächeln sah, dass sich auf Skinners Gesicht ausbreitet, wusste er, dass er gute Neuigkeiten von Scully bekommen haben musste. Er streckte seine Hand nach dem Telefon aus, noch bevor Skinner es ihm hinhielt.

"Maggie", kündigte Skinner an, als Mulder ungeduldig das kleine Telefon an sich nahm.

"Maggie? Was ist passiert?" forderte er hoffnungsvoll.

"Oh, Fox, sie haben sie gefunden, und es geht ihr gut!" Maggie begann jetzt zu weinen und Mulder lockte ihr langsam und behutsam die Einzelheiten aus ihr heraus. Seine Augen glänzten ebenfalls verdächtig. Als er schließlich auflegte, stand Skinner auf, sammelte seine Papiere und informierte die Agenten, dass das Entführungsopfer gefunden worden sei, augenscheinlich unverletzt, und dass er sich später mit ihnen treffen würde, um den Bericht zu schreiben.

"Wir müssen nach Iowa, um sie zu holen", sagte Mulder, als sie auf dem Weg zurück in Skinners Büro waren. "Sie kommt sonst ja nicht nach Hause."

Skinner hielt an und wirbelte herum zu Mulder.

"*Wir* müssen sie holen?" fragte er mit erhobener Augenbraue. "Glauben Sie nicht, dass das Aufgabe ihrer Familie ist, Mulder?"

Mulder wurde rot, doch er riss sich zusammen. "Ich gehe", sagte er beständig und sah Skinner in die Augen. "Ich muss. Sie können mitkommen, wenn Sie möchten, Walter, aber ich muss sicher sein...."

Skinner warf geschlagen den Kopf zurück, schloss die Augen und rieb sich mit einer Hand seinen verspannten Nacken. Endlich, nach einer Ewigkeit, nickte er. Dann ging er ohne ein weiteres Wort in sein Büro. Mulder sah seine misstrauischen Gesten und fragte sich, ob er es nicht zu weit getrieben hatte, doch er folgte ihm nach einem Moment und setzte sich, während Skinner seinen Tag umarrangierte. Nachdem er alle ausstehenden Termine für diesen und den nächsten Tag verlegt hatte, ließ er ein muffeliges, "Lassen Sie uns gehen", verlauten.

Mulder war überrascht. "Sie gehen mit mir?" fragte er. "Sie müssen mich nicht babysitten, Walter."

"Doch, einer muss das ja machen!" explodierte Skinner auf einmal. "Wenn Sie meinen Rat befolgt hätten, würden sie nicht mal in die Nähe dieser Frau mehr gehen, aber Sie hören ja nie auf mich, was Mulder? Sie gehen einfach hin und machen was Sie wollen, genau wie damals, als sie noch hier gearbeitet haben, und genau wie damals muss ich immer hinter Ihnen herräumen. Selbstverständlich muss ich mitfahren. Ich kann Sie nicht alleine mit ihr lassen. Wer würde Sie aus ihren Depressionen holen und Ihnen wieder zu einem Bisschen Normalität helfen, wenn sie wieder Ihr Herz bricht?"

Er hielt schweratmend in seiner Triade inne, als er sah, dass Mulder zu Tode erschrocken war. Er saß zusammengekauert in seinem Sessel, die Händen fest in seinem Schoß zusammengedrückt, blass, und die Lippen zu einer Linie gepresst. Es war lediglich der kleine Funken Feuer und Entschlossenheit in seinen Augen, das Skinner erkennen ließ, dass alte Mulder - auf seinem Weg, egal was komme - immer noch da war.

"Hören Sie, es tut... es tut mir leid", entschuldigte er sich und rieb sich abermals den Nacken. "Ich wollte nicht andeuten, dass Sie nicht in der Lage sind, auf sich aufzupassen. Es ist nur... nun, es ist erst nur zwei Tage her, Mulder."

Mehr sagte er nicht, aber Mulder wusste, was Skinner ihm sagen wollte. Vor nur zwei Tagen hatte er Scully offiziell aus seinem Leben gestrichen. Vor nur zwei Tagen hatte er beschlossen, ihr nicht mehr zu vertrauen. Vor nur zwei Tagen war er drauf und dran gewesen, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Ohne Vorwarnung sackte er in sich zusammen, hielt sich die Hände vors Gesicht.

"Mulder?" Er sagte es zögerlich, als ob Skinner fürchtete, dass er mit dem, was er gesagt hatte, Mulder aus seinen mentalen Halterungen gerissen hatte.

Mulder schüttelte leicht den Kopf, und als er seine Hände senkte, war der Assistant Director stolz zu sehen, dass das Feuer nicht aus den braunen Augen verschwunden war.

"Ich verstehe, Walter", gab Mulder bei. "Aber ich muss trotzdem hin. Ich kann es nicht erklären... vielleicht mache ich mir selbst etwas vor, wenn ich sage, dass ich fortan nichts mehr mit ihr zu tun haben werde. Alles, was ich weiß ist, dass Scully mich braucht, und ich muss zu ihr. Aber Sie müssen nicht. Ich bin sicher, dass Maggie und Bill mich davor bewahren werden, irgendetwas Dummes anzustellen."

Skinner schnaubte spöttisch. "Ja, Maggie vielleicht, aber ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass Bill Scully Ihnen nicht noch eine Waffe reichen würde", gab er zurück und Mulder musste ein wenig grinsen.

Am Ende flogen sie alle vier nach Iowa, landeten in Des Moines und mieteten für die zweistündige Fahrt nach McCart ein Auto. Zu seinem Missmut war Mulder auf dem Flug genau zwischen Bill und Maggie gesetzt worden, während Walter drei Reihen hinter Ihnen auf seinem Platz saß. Er hatte Skinner einen bitterbösen Blick zugeworfen, als er den Einzelplatz für sich beansprucht hatte, aber Skinner hatte ihn lediglich freundlich angelächelt, und Mulder kam zu dem Schluss, dass Skinner das als gerechte Strafe dafür empfand, dass er wieder einmal Scully hinterherrannte. Mit einem inneren Stöhnen hatte er sich auf den Platz gesetzt und versucht, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Doch das war ihm nicht vergönnt.

Bill fing an.

"Also", hatte er begonnen, während er Mulder zwar nicht richtig ansah, doch keinen Zweifel daran ließ, dass er ihn ansprach, "Ich nehme an, dass Sie dann bald mein Schwager sein werden." Mulder konnte nur einen Hauch Hohn in seinen Worten vernehmen und war beeindruckt. Es hatte Bill vermutlich viel Stärke gekostet, gemäßigt zu klingen.

"Nein, ich glaube nicht", hatte er flach geantwortet und ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, Bill möge dieses Thema sein lassen.

Doch stattdessen hatte Maggie seine Hand genommen und ihn gezwungen, sie anzusehen.

"Nein, Fox", ermahnte sie ihn und es war offensichtlich, woher Scully ihre stählerne Persönlichkeit hatte, "Ich will nichts von diesem Blödsinn hören.  Ich weiß, dass Dana Ihnen wehgetan hat, und ich weiß, wie sehr es ihr Leid tut. Sie hat nur getan, weil sie überzeugt war, dass es das Beste für Sie ist, und obwohl sie vielleicht nicht die klügste Entscheidung getroffen hat, dürfen Sie nicht vergessen, dass sie auch sehr verletzt und verängstigt war. Sie wollte, dass Sie in Sicherheit sind, egal um welchen Preis. Das können Sie ihr nicht anlasten."

"Ich laste ihr gar nichts an..." begann Mulder, aber es stand schon bald fest, dass er übertrumpft war. Scullys Familie zählte auf eine Heirat, und es schien einfacher, sie reden zu lassen, als zu protestieren. Obwohl, das versicherte er sich, er absolut keine Intention hatte, dem Druck nachzugeben. Nicht dieses Mal.

"Warum lassen Sie sich dann also nicht von ihrer Meinung abbringen?" knurrte Bill. "Dana liebt sie immer noch und Sie haben offensichtlich auch Gefühle für sie, sonst wären Sie nicht hier in diesem Flugzeug."

Dem schien nichts mehr hinzuzufügen, also lehnte sich Mulder mit einem resignierten Ausdruck in seinem Sitz zurück und ließ sie auf ihn einreden, bis er einschlief. Selbst wenn er Scully eines Tages heiraten sollte, sagte er sich schlaftrunken, würde es sicherlich nicht die Hochzeit sein, die Maggie vorschwebte. Nie im Leben würde er sich darauf einlassen. Einmal, entschied er, wollte er die Kontrolle über wenigstens ein Aspekt seines Lebens behalten wollen.

Er wachte auf, als das Flugzeug im Begriff war zu landen. Dankbar schaffte er es, ein tiefergehendes Gespräch zu vermeiden, während sie die Landung anflogen und schließlich anhielten. Im Gedränge der Leute, die ausstiegen und auf ihre Koffer warteten, schaffte es Mulder, sich ein Stück weit hinterher hängen zu lassen, um Skinner abzufangen.

"Retten Sie mich, Walter!" flüsterte er, als sie einige Schritte hinter den Scullys her gingen. "Sie haben mich schon mit Scully verheiratet und sehen uns einem Haus mit weißem Gartenzaun."

Skinner grinste. "Wenn Maggie ein Wörtchen mitzureden hat, werden Sie keine andere Wahl haben, Mulder", gab er zurück, doch als er sah, wie bestürzt sein Freund war, tat er ihm leid. "Stehen Sie einfach Ihren Mann", riet er ihm ruhig und schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln. "Niemand kann Sie zu etwas zwingen, zu dem Sie nicht bereit sind."

"Und wenn sie es versuchen?" fragte Mulder und schaffte es so zu klingen, als ob er nur halbwegs einen Witz machte. Er kam sich ein bisschen vor wie ein kleines Kind, das seinen großen Bruder bat, es vor dem großen bösen Nachbarshund zu beschützen.

Skinner schüttelte den Kopf. "Uh-uh. Sie müssen ganz alleine da durch", sagte er einfach. "Machen Sie sich keine Sorgen, Mulder. Sie stehen viel mehr durch als Sie annehmen. Sie haben mich ja nicht mal dafür sorgen lassen, dass Sie in Virginia bleiben, also wieso sollten Sie sich von den Scullys überreden lassen," sagte er und nickte in Richtung Maggie und Bill, "Sie in eine Ehe zu stecken, für die Sie nicht bereit sind?"

Mulder verzog das Gesicht. "Das ist etwas anderes, diese Frau ist unerbittlich!" zischte er, als er sich neben Bill Scully auf den Beifahrersitz des Mietwagens setzte.

Die Fahrt nach McCart verlief größtenteils ruhig. Bill fuhr den Wagen und Mulder gab vor wieder einzunicken. Der Gesprächsstoff zwischen den Scullys und Skinner war spärlich, denn jeder von ihnen war in seinen eigenen Gedanken versunken. Als sie einige Stunden später die Polizeistation erreichten, besahen sich alle vier für einen Moment die Front des Gebäudes, bevor Mulder schließlich den Mut zusammenkratzte und die Autotür öffnete.  Er stieg aus, streckte sich und blickte sich um. Das dumpfe Gefühl einer Vorahnung in seiner Magengegend ignorierte er.

Mulder blieb zurück und ließ Maggie und Bill in das Gebäude vorangehen. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, wandte er sich zu Skinner. Er öffnete seinen Mund und wollte etwas sagen, doch zu seiner Bestürzung brachte er kein Wort heraus. Skinner warf einen Blick auf den kreideblassen Mulder, der aussah, als hätte er sich gerade unheimlich erschrocken und griff nach seinem Arm.

"Sind Sie okay?" fragte er ruhig und bemerkte, dass Mulder leicht zitterte.

Mulder nickte, schluckte und fand seine Stimme wieder.

"Ich kann das nicht glauben", sagte er und sein Ton verriet seine Ungeduld bezüglich sich selbst. "Ich habe sie erst vor ein paar Tagen gesehen, und nichts war. Warum also fühle ich mich jetzt wie ein nervöser Teenager?"

"Wahrscheinlich weil die Tatsache, dass Sie hier auftauchen ein Zeichen von ihrer Bindung zu Scully ist, die Sie immer versucht haben zu verleugnen", bemerkte Skinner. "Sie können nicht den ganzen Weg nach Iowa fliegen, um sie abzuholen und so tun, als sei es Ihnen egal, Mulder. Sie können nicht beides haben."

Mulder schloss die Augen, lehnte seinen Kopf zurück und atmete heftig aus.

Er massierte seine Stirn, als ob er Kopfschmerzen loswerden wolle.

"Das weiß ich", lenkte er ein. "Aber die Tatsache, dass ich noch Gefühle für sie habe, heißt doch noch lange nicht, dass ich auch danach handele, oder?! Dies hier ist ein Gefallen, den ich jemandem tue, der mir eine sehr lange Zeit sehr viel bedeutet hat, nichts weiter. Die Frau ist Gift für mich, Walter."

Bevor Skinner antworten konnte, flog die Tür der Polizeiwache auf und Bill Scully tauchte auf, seine weinende Mutter in seinen Armen.

"Maggie, was ist los?" wollte er wissen und versuchte, nicht so zu brüllen.

"Was ist passiert?"

"Oh, Fox!" weinte sie, und löste sich von Bill. Ärgerlich wischte sie die Tränen aus ihrem Gesicht. "Dana ist im Krankenhaus. Zachary, er hat...." Sie hielt inne und schüttelte überwältigt den Kopf.

"Das Arschloch hat sie vergewaltigt", stieß Bill mit rotem Gesicht und seine Wut im Zaum haltend hervor.

Mulder verlor alle Farbe, die er so mühevoll wieder gewonnen hatte und seine Augen brannten. Schwindel überfiel ihn und als er blind um sich griff, war er froh, Skinners stützenden Griff um seinen Arm zu haben.

"Ist sie schlimm verletzt, Maggie?" hörte er Skinner fragen und spürte eine Welle von Erleichterung, als Maggie den Kopf schüttelte.

"Sie haben sie zur Beobachtung ins Krankenhaus genommen, offensichtlich ist sie nicht verletzt, zumindest nicht körperlich, nur dass er...."

"Wo ist das Krankenhaus?" Mulder hörte eine Stimme und erkannte matt, dass es seine eigene war.

Bill riss seinen Kopf zur Seite. "County Hospital. Zwei Blocks weiter."

"Ich fahre."

"Mulder...."

"Ich fahre!" bestand er vehement und ließ die scharfe Wut sich in seiner Stimme manifestieren. "Sie müssen sich jetzt um Maggie kümmern."

Widerwillig zog Bill die Schlüssel aus seiner Tasche und gab sie Mulder, der Skinners Griff abschüttelte und auf den Fahrersitz kletterte. Er hatte keine große Mühe, in dem leichten Verkehr zu navigieren. Irgendwie fühlte er sich, als ob er gar nicht in dieser Situation wäre. Keine zehn Minuten später betrat er das Krankenhaus, kurz darauf Scullys Zimmer. Eine Schwester nahm sie vor dem Zimmer in Empfang, und während Bill, Maggie und Skinner sich mit ihr unterhielten, schlüpfte Mulder in den Raum, seine Augen nur auf die Frau in dem Bett gerichtet. Scully drehte ihren Kopf zur Tür, als er hereinkam, und für einen Moment meinte er eine Träne in ihrem Augenwinkel zu sehen, die sie jedoch rasch wegblinzelte.

"Danke, dass du gekommen bist", sagte sie bemessen, aber ihre Hand zitterte, als Mulder sie nahm.

"Bist du... bist du in Ordnung?" fragte er und zwang die Frage über seine Lippen.

Sie nickte grimmig. "Ich nehme an, sie haben es dir gesagt?" fragte sie und sah ihn unter feuchten Augenwimpern an.

Mulder räusperte sich schmerzhaft, um den Kloß, der sich in seinem Hals breit machen wollte, nicht aufkommen zu lassen. "Sie haben deiner Mutter und deinem Bruder gesagt, dass Zach.... dass er...."

Sie drückte seine Hand. "Er hat mir nicht weh getan, Mulder", sagte sie mit einem kleinen Lächeln. "Und trotzdem, es stimmt, was er getan hat, 'Vergewaltigung' ist eine zu harte Beschreibung. Er hat mich nicht wirklich gezwungen, er hat nur.... er hat mich dazu genötigt, Sex mit ihm zu haben.  Technisch gesehen war es eine Vergewaltigung, aber es war sicherlich nicht mit dem zu vergleichen, womit wir damals zu tun gehabt haben."

"Scully, es war gegen deinen Willen!" zischte er durch zusammengekniffenen Zähnen. "Versuch nicht, die Wichtigkeit dessen zu schmälern!"

"Das tue ich nicht", stritt sie ab. "Ich sage nur, dass er mir nicht wehgetan hat."

Ihre Unterhaltung wurde unterbrochen, als sich die Tür öffnete und ihre Familie und Skinner auftauchten. Scully lächelte ihnen schwach zur Begrüßung zu und hielt ihrer Mutter und ihrem Bruder ihre Hand hin.

"Ich bin okay, ich bin okay", wiederholte sie und konnte sie schließlich überzeugen, dass Zacharys Eskapaden, trotzdem sie unwillkommen gewesen waren, keine Narben bei ihr hinterlassen würden.

Doch Mulder wusste es besser. Als Veteran von seelischen Narben konnte er sich sehr gut vorstellen, was das Ganze ihr antat. Er beschloss, Scully zu Jess zu schicken. Sie würde sich weigern und mutig darauf bestehen, dass sie selbst damit klar kommen würde, und er nahm sich vor, ihre Ausflüchte keinesfalls zu tolerieren. Er müsste ihr wahrscheinlich alles Mögliche versprechen, aber er würde sie in Dr. Coslows Büro kriegen, und zwar bald.

 
 

Scully wurde am nächsten Morgen aus dem Krankenhaus entlassen. Mulder hatte bereits Rückflugtickets gebucht. Dieses Mal sorgte er dafür, dass er und Scully Plätze nebeneinander weiter hinten hatten, und Bill, Maggie und Walter weiter vorne. Er wollte mit Scully einige Sachen besprechen, und dafür braucht er Privatsphäre. Außerdem, dachte er mit einem schadenfrohen Grinsen, als er Skinner auf den mittleren Platz setzte, war es eine Gelegenheit sich für den unbequemen Hinflug zu rächen. Und obwohl das wohl Folgen haben würde, würde es ihm jetzt mal Zeit mit Scully allein geben, die er schon so lange brauchte. Nicht zuletzt würde es den dreien Gelegenheit geben, etwas gegen ihn auszuhecken.

"Glaubst du, dass die drei da vorne klar kommen?" fragte Scully unsicher, als sie sich in ihrem Fensterplatz anschnallte.

"Das geht in Ordnung", grinste er und streckte freudig seine langen Beine im Gang aus. "Die stecken bestimmt ihre Köpfe zusammen und planen unsere komplette Zukunft."

Sie sah ihn für einen langen Moment an und drehte dann ihr Gesicht zum Fenster. Mulder könnte sich ohrfeigen. Er hatte sie nicht erschrecken wollen.

"Scully...."

"Haben wir eine gemeinsame Zukunft?" fragte sie offen und drehte sich mit derselben Entschlossenheit zu ihm um, an die er sich so gut aus all den Jahren ihrer Partnerschaft erinnern konnte.

Er schluckte. Jetzt war der Moment der Wahrheit gekommen. Wie konnte er ihr nur seine durcheinandergeworfenen Gefühle erklären, so dass sie es verstand?

"Scully", begann er und suchte seine Worte bedacht aus, "ich möchte dir einen Vorschlag machen."

Misstrauisch sah sie ihn an. "Was für einen Vorschlag?"

"Einen, wo du deine eigenen Bestimmungen aufstellen kannst", sagte er locker und als sie seinem Blick standhielt, senkte er für eine Sekunde seine Augen. "Ich möchte etwas von dir", berichtete er. "Und ich möchte, dass du mir sagst, was ich tun muss, um es zu bekommen."

Bei diesen Worten drehte sich Scully total überrascht vollends in ihrem Sitz um.

"Mulder, du warst in deinem ganzen Leben noch nie so direkt", sagte sie. "Es muss wohl etwas sehr Ernstes sein."

"Es ist mir sehr ernst." Er biss sich auf die Lippe, immer noch unsicher, wie er das Thema anschneiden sollte. Dann, aus einem Impuls heraus, nahm er ihre Hand. Sie starrte auf ihre umeinander gewundenen Finger und wartete, bis er endete.

"Ich möchte, dass du mit Jess sprichst", sprudelte es aus ihm heraus. "Ich weiß, dass du sagst, dass dir das alles nichts ausmacht, aber das tut es, Scully, und ich lasse es nicht zu, dass du alles in dich hineinfrisst und dir mehr schadest als nutzt, und ich weiß ja, dass du es alleine schaffen könntest, aber...."

"Mulder, du plapperst."

Er schwieg und lief rot an. "Sorry", murmelte er mit gesenktem Kopf. "Das mache ich manchmal, wenn ich nervös bin."

Scully drückte seine Hand. "Ja, ich erinnere mich." Sie setzte sich auf ihrem Platz zurück, als das Flugzeug langsam zur Startbahn fuhr. "Also, lass mich das klarstellen", sagte sie, als die Räder den Boden verlassen hatten. "Ich zeige mich einverstanden, deine Therapeutin zu besuchen und die Belohnung dafür suche ich mir selbst aus? Du wirst tun, um was immer ich dich bitte?"

"A-Aber nicht übertreiben", stotterte er und fühlte sich ein wenig unwohl, weil er ihr nun ausgeliefert war. Scully war sehr kreativ, sie nahm nie die auf der Hand liegende Lösung. Weiß Gott, was sie sich ausdenken würde.

Sie saßen wortlos, während das Flugzeug an Höhe gewann, und als der Pilot die Maschine schließlich auf Kurs gebracht hatte und sie ihre Anschnallgurte gelöst hatten, wandte sie sich wieder zu ihm.

"In Ordnung, ich akzeptiere den Vorschlag."

Mulder machte sich eine Flasche Wasser auf, die die Stewardesse ihm gegeben hatte und trank nervös einen Schluck. "Und?" fragte er, als er den Verschluss wieder zu drehte. "Was muss ich dafür machen?"

"Lass Emmie und mich wieder zu dir ziehen", sagte sie ohne Umschweife.

Er starrte sie für eine Minute völlig überrascht über ihre Forderung an, und senkte dann mit einem kleinen Seufzen die Augen. Im Grunde genommen war er nicht wirklich überrascht. Irgendwie hatte er geahnt, dass es etwas in dieser Art sein würde.

"Mulder." Sie berührte leicht seinen Arm und drehte seinen Kopf zu ihr. "Ich bitte dich nicht um irgend eine Art von Verbindlichkeit zu mir, und ich werde nicht versuchen, dich zu.... zu irgendetwas zu drängen, zu dem du nicht bereit bist. Ich bitte dich nur um die zweite Chance, von der wir mal gesprochen haben."

Er glotzte sie an, jetzt vollkommen überrumpelt. Das war viel mehr, als er erwartet hatte. Er hatte befürchtet, dass sie mit knirschenden Zähnen vielleicht mal eine Sitzung dulden würde und sich dann von der Therapie lossagen würde, weil sie ihren Teil der Abmachung eingehalten hatte. Er hatte die Hoffnung gehabt, dass sie während des Gespräches den Bedarf der Therapie erkennen und weiter zu ihr gehen würde.

Er nahm mit seinen Fingerspitzen ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu ihm.

"Ist das ein Versprechen?" fragte er leise.

"Versprochen", bestätigte sie mit vollkommener Ehrlichkeit in ihren Augen.

"Dann denke ich, dass wir unsere Vereinbarung besiegeln sollten", sagte er und bevor sie ausweichen konnte, beugte er sich vor und küsste sie. Seine Finger glitten von ihrem Kinn zu ihrem Nacken, um ihren Kopf zu halten und der anfangs kleine Kuss vertiefte und vertiefte sich. Ihre Hand wanderte an ihm hinauf und strich über sein Haar, und plötzlich küsste sie ihn zurück. Da erkannte Mulder, dass egal was er sonst fühlte, egal wie wirr seine Gedanken gerade in seinem Kopf waren, das hier richtig war.

Das bekannte Geräusch einer sich räuspernden Person neben ihnen ließ Mulder schuldbewusst zurückfahren. Er blickte auf und sah in das Gesicht von Walter Skinner. Dessen Miene war todernst, bevor er wortlos weiter den Gang hinunter zur Toilette ging.

"Scheiße", murmelte Mulder.

"Jetzt hasst er mich", sagte Scully niedergeschlagen. Mulder nahm wieder ihre Hand und drückte sie tröstend.

"Er hasst dich nicht, Scully. Er weiß nur nicht, ob er dir vertrauen kann." Er lachte ein wenig. "Allerdings habe ich eine ausgedehnte Predigt vor mir, sobald ich nach Hause komme."

Sie war bei seinen Worten ganz still geworden und saß sekundenlang kommentarlos da. "Kannst du mir je wieder vertrauen, Mulder?" fragte sie letztendlich, so leise, dass er sie fast nicht verstanden hätte.

Er drehte sich zu ihr und küsste sie abermals, leicht und rasch dieses Mal, dann lehnte er sich zurück an seine Kopfstütze.

"Ich möchte es, Scully. Ich möchte es wirklich."

 
 

Einige Wochen waren seitdem vergangen und Mulder hielt es fast nicht mehr aus. Er ging nun viel öfter joggen als jemals zuvor in seinem Leben, hauptsächlich um bei klarem Verstand zu bleiben. Er und Scully hatten immer Abstand voneinander gehalten, seit sie mit Emmie eingezogen war, und das Durchhalten, Scully vorzumachen als hätte sich nichts geändert, brachte ihn langsam aber sicher um. Sie hatten sich seit ihrem Rückflug nicht mehr geküsst, obwohl Mulder spürte, dass Scully bereit war für einen Kuss oder mehr, was immer er anstreben wollte. Zu wissen, dass sie auch eine intime Beziehung wollte, machte es noch viel schwerer, bei ihrer gemeinsamen Entscheidung zu bleiben. Er weigerte sich strikt, ihre Beziehung intim werden zu lassen—denn Mulder wusste, dass wenn irgendetwas passierte, das sie kaputt machte, es ganz klar sein Ende sein würde. Im Ergebnis waren die Dinge, obwohl sie nach außen hin den Eindruck einer glücklichen Familie machten, ein wenig gespannt.

Scully überwand sich immer wieder, Mulder den Abstand zu geben, den er brauchte in der Hoffnung, dass ihre ständige Anwesenheit eines Tages zu viel für ihn sein würde, und er dem Druck nachgeben würde. Doch bis jetzt hatte Mulder ihre Erwartungen an Willenskraft übertroffen. Zuerst hatte sie eifersüchtig daran gedacht, dass eine andere Frau vielleicht seine Aufmerksamkeit bekommen hatte, doch vorsichtige Beobachtung seines Alltags widerrief diese Annahme. Morgens verließ er das Haus, um zu seinen Seminaren zu gehen, verbrachte den Nachmittag in der Universitätsbibliothek (wie Zeugen bestätigen konnten), und kam zum gemeinsamen 'Familienabendessen' um etwa sechs zurück. Die drei verbrachten die Abende mal vor dem Fernseher, mal spielten sie Spiele, und pünktlich nach den Zehn-Uhr-Nachrichten zog sich Mulder in sein Schlafzimmer zurück. Wenn er in diesem Tagesablauf eine Affäre mit einer anderen Frau quetschen würde, schloss sie, würde er dafür Seminare schwänzen müssen, und sie musste wegen der Absurdität dieses Gedanken grinsen. Mulder machte sein Studium durch und durch Freude, und er widmete sich dem Lernen mit genau derselben Entschlossenheit und Hingabe, mit der er wie üblich alle Projekte anging, die ihn interessierten.

Er machte sich außerdem noch wundervoll als Stiefvater, dachte sie, als sie zusah, wie er Emmie beibrachte, Baseball zu spielen. Emmies Schule hatte in derselben Woche begonnen wie Mulders Uni, und sie war an einem Nachmittag freudestrahlend mit einem Zettel in der Hand nach Hause gekommen. Es war eine Erlaubnis, in einer Teeball-League für junge SpielerInnen im Herbst teilzunehmen. Sie hatte auch genau gewusst, an wen sie sich zu diesem Thema wenden konnte, erinnerte sich Scully lachend. Während sie besorgt war, Emmie könnte sich bei dem Sport verletzen, zumal sie soweit es ihr bekannt war noch nie einen Baseballschläger in der Hand gehabt hatte, hatte Mulder sich augenblicklich seinen Baseballhandschuh, Schläger und Ball geschnappt und es fertiggebracht, einen Schlagbaum nachzustellen. Als sie sah, wie Emmie Mulder mit großer Bewunderung beobachtete, während er ihr die Kunst des Schlägerschwingens erklärte, wurde Scullys Hals ganz trocken. Sie hatte auch mal dort gestanden, wo Emmie jetzt stand und es war eine der schönsten Momente ihres Lebens gewesen. Was wäre vor all den Jahren passiert, fragte sie sich, wenn sie ihrem Impuls gefolgt hätte, sich umgedreht und Mulder in den Arm genommen hätte? Hätte das zu dem Kuss geführt, den sie sich so lange herbei gesehnt hatte, oder wäre er wie ein schüchternes Tier zurück gestolpert, weil er Angst hatte, all die Jahre des Vorspiels aufzugeben, in denen sie sich so nahe geworden waren? Für einen Moment konnte sie sogar noch seine Arme um sich spüren.

Scully schüttelte die Erinnerung ab, öffnete die Hintertür und schritt entschlossen in den Hof.

"Eine Hüftdrehung bevor wir schlagen!" rief sie und ihr Herz blieb stehen, als seine Augen ihre trafen, glänzend mit einer Intensität, die ihr verriet, dass er ebenfalls genau an diesen Abend dachte.

Emmie quietschte. "Das hat Fox auch gesagt!"

"Deine Mutter ist eine Expertin", grinste Mulder. "Ich habe ihr alles beigebracht, was sie weiß."

"Möchtest du mitspielen, Mami?" fragte Emmie und hielt ihr den Schläger hin, und bevor Scully Gelegenheit zum Nachdenken hatte, hielt sie ihn in den Händen. Sie fühlte den bekannten Griff. Schmerzhaft bekannt, obwohl sie ihn nur einmal vor sechs Jahren gehalten hatte.

Sie fuhr mit den Fingern über die glatte Oberfläche und schluckte.

"Ich... ich brauche womöglich eine Auffrischungsrunde", sagte sie und traute sich nicht, Mulder anzusehen.

Augenblicklich begriff er den Hinweis, zog sie zu sich, stellte sie vor den Schlagbaum und schlang seine Arme von hinten um sie. Sein warmer Atem blies gegen ihr Ohr.

"Weißt du noch?" flüsterte er und sie konnte nur nicken, sie traute ihrer Stimme nicht.

"Wie lautet die Regel?"

"Hüf-Hüftdrehung", antwortete sie langsam und nahm seine Nähe in sich auf, seinen Geruch und das beruhigende Gefühl seines Körpers.

Er legte eine Hand auf ihre Hüfte, wie vor sechs Jahren, und zog sie an sich heran. Scully lief es heiß den Rücken herunter, als sie spürte, welche Auswirkung die Situation auf ihn hatte. Sie fühlte, wie er sich an sie drückte und wünschte sich sehnlichst mit ihm allein zu sein, und dass die Dinge anders zwischen ihnen stünden.

"Mami!" schrie Emmie freudig. "Ich glaube das war ein Homerun!"

Das kleine Mädchen sammelte den Ball wieder ein, der etwa 15 Meter weiter neben einem Baum gelandet war. Scully räusperte sich und drehte ihren Kopf, um Mulder anzusehen.

"Ich habe dieses Geburtstagsgeschenk nie vergessen", gestand sie ihm und sah, wie er weich wurde. "Es ist eine meiner schönsten Erinnerungen."

"Meine auch", flüsterte er, und als Emmie den Ball zurück auf den Schlagarm legte, meinte Scully einen zarten Kuss hinter ihrem Ohr zu spüren.

"Gleich nochmal", sagte er und Emmie rannte glücklich dem Ball hinterher, als Mulder und Scully ihn immer und immer wieder fort schlugen. Jedes Mal, wenn Emmie den Ball zurück legte, fühlte Scully die leichte Berührung seiner Lippen auf ihrem Nacken. Am Ende hielt sie der Tortur nicht mehr stand.

"So, das reicht für mich", kündigte sie brüsk an und löste sich von Mulder.  Sie reichte Emmie den Schläger. "Außerdem bist du diejenige, die üben sollte, Nymph. Ich erwarte ein paar Homeruns vor dem Abendessen."

"Okay, Mami", versprach Emmie und stellte sich in die Schlagpositon.

Scully fühlte Mulders Blick, der ihr zurück ins Haus folgte, aber sie wollte nicht zurück schauen. Als sie in der Küche ankam, machte sie sich wahllos ans Abendessen, schenkte dem, was sie tat, kaum Beachtung.  Gedankenverloren landeten ihre Finger auf ihrem Hals und streichelten die Haut, die seine Lippen zuvor berührt hatten. Sie konnte immer noch spüren, wie er sich gegen sie drückte, und der Gedanke, dass er sie immer noch wollte, war äußerst aufregend. Sie hatte befürchtet, dass er sich nicht mehr für sie als Frau interessieren würde, doch Mulders Körper hatte ihn verraten. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, noch einmal auf ihn zuzugehen.

 
 

Sie saßen nach dem Abendessen zusammen im Wohnzimmer, Emmie in der Mitte, und sahen sich einen Disneyfilm an, den die Kleine ausgesucht hatte. Mulder streckte seinen rechten Arm hinter Emmie über der Couchlehne aus, und es schien wie das Natürlichste der Welt, dass Scully ihren linken Arm auf die Lehne legte und zaghaft über seine Finger strich. Dann schien es Mulder das Natürlichste auf der Welt, ihre Hand in seine zu nehmen. So saßen sie den ganzen Film über da und hielten verstohlen Händchen. Mulder brachte Emmie ins Bett, achtete darauf, dass sie sich die Zähne putzte und las ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Als sie schließlich einschlummerte, war es das Natürlichste von der Welt, zurück zur Couch zu gehen und für Scully das Natürlichste von der Welt, sich an ihn zu schmiegen und sich in seine starken, besänftigenden Arme zu legen.

Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und seufzte zufrieden, während Mulders linke Hand durch ihre Haare streichelte. Als sie merkte, wie er sie auf ihr Haar küsste, wich sie ein wenig zurück, um ihn ansehen zu können.

"Wohin führt uns das?" fragte sie unverwandt.

"Ich... ich weiß es nicht genau", antwortete er tastend. "Es scheint aber irgendwie... richtig zu sein."

"Es ist richtig", sagte sie und kuschelte sich wieder an seine Brust. Sie blieben zusammen sitzen und sahen fern, bis die Nachrichten zu Ende waren.  Dann schaltete Mulder den Fernseher aus und wollte gerade aufstehen, als er merkte, wie Scully ihre Hand an seinem Hemd nach unten zu seiner Hüfte gleiten ließ.

Er erstarrte und wartete, was sie tun würde. Als er keine Anzeichen machte, zu protestieren, strichen ihre Finger über die Innenseite seines Schenkels und behutsam über seine wachsende Erregung, bevor sie sich wieder oben auf seine Brust legten.

"Scully...." begann er, doch ehe er weitersprechen konnte, umfassten ihre Lippen seinen Mund und er wurde gefangen in einem leidenschaftlichen Kuss.  Er fühlte, wie er schwach wurde, und als er ihrer Attacke nachgab, rutschte er stetig herunter, so dass sie schon bald auf ihm lag und ihre Zunge seinen Mund gnadenlos und brutal für sich beanspruchte. Er ließ sich gehen und stöhnte leise, als sie sich an ihn drückte, und er strich mit den Händen über ihren Rücken und ihre festen Pobacken.

Eine Stimme in Mulders Hinterkopf wollte protestieren, doch er wusste genau, dass es sinnlos wäre—er konnte sich nicht gegen sie *und* sich selbst wehren. Er fasste unter ihr T-Shirt und fühlte ihre warme Haut. Sie hörte auf ihn zu küssen, bewegte ihre Lippen nach unten und er zog sie noch näher an sich.

'Stopp!' schrie es in seinem Kopf und er versuchte es auszusprechen.

"Sc.... hör..." Doch jetzt fand ihre Zunge sein Ohr, eine seiner sensibelsten Stellen, und schon bald wand er sich unter ihr und flehte nach mehr. Er wusste, dass das keine gute Idee war, er wusste, dass er es später bereuen würde, und er wusste auch, dass es absolut nichts gab, das sie aufhalten konnte. Er hatte nichts mehr, womit er dagegen ankämpfen konnte.

Als ob die Götter sich endlich dazu entschlossen hätten, Mulder ein Mal in seinem Leben ein Lächeln zu schenken, durchbrach eine Stimme aus der Dunkelheit ihre Leidenschaft.

"Mami?"

Scully wich augenblicklich zurück, schwer atmend, und stand auf, bevor Emmie ganz ins Zimmer kommen und mitansehen konnte, wie sie Mulder bearbeitete.

"Ja, Nymph?" fragte sie mit zittriger Stimme, während ihr Blick hungrig über den Mann glitt, der immer noch schwach und zitternd auf der Couch lag.

"Kann ich ein Glas Wasser haben?" fragte Emmie, die in ihrem blauen Nachthemd durch die Tür kam, ihr Kuscheltier fest im Arm haltend.

"Natürlich, Süße", antwortet Scully prompt und schob Emmie in die Küche ohne einen Blick zurück auf Mulder zu riskieren. Innerlich schrie sie über die Unterbrechung, aber es wäre nicht gut, wenn sie sich laut darüber ärgern würde. Emmie war ja nur ein kleines Kind.

Als Emmie zurück in ihrem Bett war, Scully und ihren liebsten Kuscheltieren Gute-Nacht-Küsse gegeben hatte, hatte sich Mulder einigermaßen wieder gefangen. Scully kam zurück ins Wohnzimmer in der Hoffnung, dass sie da weitermachen könnten, wo sie aufgehört hatten. Doch stattdessen fand sie ihn vor der Feuerstelle stehend vor, Rücken zur Tür.

"Mulder?" fragte sie unsicher, und er drehte sich mit einem kleinen Lächeln zu ihr um.

"Scully, nicht."

"Nicht?" fragte sie verwundert.

Er schüttelte wortlos den Kopf.

"Aber du warst genauso dabei wie ich...."

"Nein." Er sagte es ruhig, aber bestimmt. Scully blieb stehen und wartete, bis er es ihr erklärte.

Er hatte gehofft, dass sie seinen Entschluss einfach annehmen würde, doch als sie es nicht tat, drehte er sich zu ihr um und legte seine Hände zur Betonung auf ihre Schultern.

"Ich kann das nicht", sagte er ernsthaft. "Ich möchte, aber ich... ich kann es einfach nicht. Wenn ich es tue, fällt alles wieder in sich zusammen..."

"Das wird es nicht, Mulder", unterbrach sie ihn. "Zach ist im Gefängnis und da wird er auch bleiben. Er kann uns nicht mehr wehtun. Niemand kann uns jetzt etwas tun."

"Du kannst mir wehtun."

Sie schluckte bei seinen Worten, die sich in ihr Herz schnitten. Sie hatte nicht erwartet, dass er so grausam sein würde.

"Es tut mir leid, Scully", fuhr er sanft fort, seine Augen blickten entschlossen. "Ich möchte es so gerne, aber ich lasse nicht zu, dass du mich wieder so hinunter ziehst. Wenn du eine solche Beziehung zu mir möchtest, musst du dir sicher sein und es muss verbindlich sein."

"Verbindlich?" echote sie ungläubig.

Er nickte.

"Von welcher Art Verbindlichkeit redest du, Mulder?"

"Eine, die ein Leben lang hält."

Scullys Herz begann zu schwingen, so unerwartet war seine Antwort. Sie schüttelte sich innerlich, um ihre Gedanken zu ordnen und blinzelte ein oder zwei Mal.

"Mulder, bittest du mich, dich zu heiraten?" fragte sie letztendlich.

Er lachte kurz auf. "Nein, Scully, ich *bitte* dich nicht, mich zu heiraten. Ich *sage* dir, dass wenn du eine intime Beziehung mit mir haben möchtest, du mich heiraten musst."

Sie riss sich los von seinen Händen und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

"Nach allem, was wir durchgemacht haben, verlangst du tatsächlich diese Verpflichtung von mir?" wiederholte sie. "Glaubst du nicht, dass die bloße Tatsache, dass ich hier bin, vor dem Hintergrund der ganzen Vorgeschichte schon Verbindlichkeit genug ist?"

Er schüttelte langsam den Kopf. "Nicht eine, auf die ich mich verlassen möchte, Scully", antwortete er traurig. "Wir waren schon einmal an diesem Punkt, weißt du noch?" Sie lief rot an. "Da, wo wir vor ein paar Minuten auf der Couch waren?" sprach er weiter und zeigte auf das Möbelstück, "Wir waren auch schon mal dort gewesen, weißt du noch? Es hat mich fast umgebracht, dich zu verlieren. Das werde ich nicht noch einmal riskieren. Nicht, wenn mein Leben auf dem Spiel steht. Es ist vielleicht nicht viel wert, aber ich habe es in den letzten Wochen schätzen gelernt.  Ich habe endlich den Punkt erreicht, wo ich weiß, dass ich etwas verlieren könnte, und ich werde mein Leben nicht noch einmal riskieren, Scully."

Er hörte auf zu reden, verschnaufte und wartete auf das, was sie sagen würde.

"Du willst also damit sagen, dass du, ein Mann Anfang vierzig, der hundertprozentig intime Beziehungen zu Frauen in seiner Vergangenheit hatte, nicht mit mir schlafen willst, bis wir verheiratet sind?" Ungläubigkeit tropfte förmlich aus ihren Worten, aber Mulder ließ es links liegen. Er hielt stand. Doch sie drehte sich auf dem Absatz um und machte sich auf Richtung Tür. Kurz davor hielt sie inne.

"Schön", sagte sie kurz angebunden ohne sich umzudrehen. "Wenn es das ist, was du willst, Mulder, dann soll es auch so sein." Dann verschwand sie in der Tür, rannte den Flur hinunter zu ihrem Zimmer und Mulder ließ sich mit weichen Knien auf einen Sessel fallen.

"Großer Gott, ich muss verrückt sein", murmelte er zu sich selbst, als er sich zitternd den Schweiß von der Stirn wischte. Er hatte sich äußerlich ruhig gegeben, so hoffte er jedenfalls, doch innerlich war er während der ganzen Unterhaltung ein Nervenbündel gewesen. "Walter, ich habe endlich deinen Rat befolgt", flüsterte er mit einem unsicheren Lachen.

Er hatte am Tag zuvor mit Skinner zu Mittag gegessen, und wie immer war Walter mehr als direkt mit seinen Fragen gewesen.

"Und, schlafen Sie schon miteinander?" wollte er von seinem Freund wissen, und Mulder hatte sich zunächst schuldbewusst gegeben, bevor er die Frage verneinte.

"Aber Sie würden gerne", hatte Skinner observiert, als er Mulders Reaktion mit wachem Auge beobachtet hatte.

Mulder hatte seinen Schrimps Salat von sich geschoben und war rot geworden, doch er wollte nicht antworten.

"Mulder, hören Sie ein einziges Mal in ihrem Leben auf mich", hatte Skinner gegrinst und Mulders Handgelenk festgehalten, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. "Widerstehen Sie der Versuchung", hatte er gesagt, als Mulder seien Blick zu ihm gehoben hatte. "Das könnte im Endeffekt schlimme Folgen haben. Ich bin sicher, das wissen Sie."

Mulder senkte seinen Blick wieder und nickte. Er grinste nervös seinen Teller an und gestand, "Ich gehe viel, viel öfter laufen in letzter Zeit."

"Sie nehmen auch mehr kalte Duschen, wette ich", kommentierte Skinner, und Mulder stimmte mit einem verlegenen Lachen zu.

"Ich bemühe mich, Walter", sprach er ernsthafter weiter. "Es ist schwer, aber ich tue mein Bestes. Ich versuche, das meiste meiner Zeit mit Lernen zu verbringen, oder mit Emmie zwischen uns."

"Wie geht es dem Kind denn?" fragte Skinner und wechselte somit gnädig das Thema.

"Es geht ihr ganz gut, den Umständen entsprechend." Mulder nahm dankbar den Ball entgegen, den Skinner ihm zugeworfen hatte. "Manchmal fragt sie nach ihrem Vater, aber die meiste Zeit scheint es ihr gut zu gehen."

Skinner nickte. "Was haben Sie ihr über Morrow erzählt?"

Mulder zuckte die Schultern. "Die Wahrheit—für eine Fünfjährige angemessen. Ihr Vater hat etwas getan, das man nicht tun darf und jetzt muss er deswegen für eine Weile weggehen. So ähnlich wie Hausarrest für eine sehr lange Zeit, und ihre Mami und ich würden uns solange gut um sie kümmern, und so weiter."

"Hm, mal sehen... Kidnapping, Vergewaltigung, versuchter Mord... und das nur für den Anfang. Ich würde sagen, Morrow bekommt 'Hausarrest für einige Jahre'."

"Das sollte man meinen, Walter", hatte Mulder mit Unbehagen geantwortet.

"Ich werde das Gefühl nicht los...."

"Welches Gefühl?"

Mulder hatte rasch den Kopf geschüttelt. "Ich weiß nicht recht. Es ist nur ein Gefühl. Vermutlich nichts."

Nach einem langen Moment hatte sich Skinner wieder seinem Essen zugewandt.  "Nach allem, was Sie durchgemacht haben, ist es wohl natürlich, wenn Sie einige Befürchtungen hegen, nehme ich an", überlegte er. Damit ließ er das Thema auf sich beruhen, doch beschloss, genau zu beobachten, was mit Morrow passierte. Er befand sich in Untersuchungshaft von McCart und wartete auf seine Verhandlung, die erst in ein paar Monaten sein würde. Der Assistant Director wusste, dass Mulder und Scully als Zeugen geladen würden, er selbst ebenfalls möglicherweise. Er hoffte, dass die Tatsachen, die sie darlegen würden, zusammen mit der Aussage des Tankwartes und des Officers, der ihn festgenommen hatte, ausreichend sein würden, um Morrow für eine lange Zeit hinter Schloss und Riegel zu bringen. Vielleicht sogar lebenslänglich.

Er fürchtete, dass der einzige Weg, dass Mulder endlich Ruhe finden würde, war, wenn Morrow für immer eingesperrt war.

 
 

Mulder wurde mit Schrecken aus dem Schlaf gerissen, als etwas Klebriges und Schweres ohne Vorwarnung auf seinem Schoß landete.

"Mmpf!" grunzte er, als Emmies marmeladebefleckten Hände sein Hemd betatschten und sie ihm mit ihren süßen Lippen einen Kuss auf den Mund drückte.

"Mami sagt, dass es Zeit ist aufzustehen", sagte sie sachlich und kuschelte sich auf seinen Schoß. "Können wir heute wieder Baseball spielen? Es ist Samstag. Du musst heute nicht lernen, oder?" fragte sie, blickte ihn mit ihren tiefbraunen Augen an und umarmte ihn kurz.

"Vielleicht heute Nachmittag", antwortete er und setzte sie auf sein linkes Bein. "Baseball hat natürlich Vorrang."

"Glaubst du, dass Mami wieder mitspielen möchte?"

Mulder rieb sich nachdenklich sein mit Stoppeln besetztes Kinn. "Ich denke, dass wir sie das fragen müssen", sagte er und sah auf, als die Frau aus ihrer Unterhaltung sich gegen den Türrahmen lehnte.

"Frühstück ist fertig", sagte sie mit neutralem Ton. Keine Spur von ihrem Gespräch am Vorabend war in ihrer Haltung auszumachen, doch sie wirkte müde. Mulder fragte sich, ob sie überhaupt geschlafen hatte. Er hatte nicht gedacht, dass er schlafen würde. Er war überzeugt gewesen, dass seine Gedanken, geschweige denn sein Körper, ihm den Rest der Nacht zur Hölle machen würde, doch offensichtlich war er irgendwann in dem Sessel eingeschlafen.

Mulder stellte Emmie auf ihre Füße und folgte den beiden Frauen in seinem Leben in die Küche. Scully wies ihn auf einen Stuhl, als er Anzeichen machte, ihr helfen zu wollen, und er setzte sich brav hin. Im Stillen genoss er die familiäre Atmosphäre. Seine Augen weiteten sich mir Vorfreude, als sie vor ihm einen Stapel heißer Pfannkuchen auf den Tisch stellte.

"Wow, Scully, ganz oder gar nicht, was?" freute er sich, als er nach Butter und Sirup griff. Scully nickte und setzte sich auf den Stuhl neben ihn.

"Emmie, wenn du fertig gefrühstückt hast, kannst du dich anziehen gehen", sagte sie zu dem kleinen Mädchen. "Fox wird bestimmt gleich mit dir spielen, wenn er etwas gegessen hat."

Sie sah mit Freude, als das Kind glücklich in ihr Zimmer lief, und als sie allein waren streckte sie ihre Hand zaghaft nach Mulders Arm aus. Er sah sie erstaunt an, als sie ihn berührte.

"Ich nehme deinen Antrag an", sagte sie leise und Mulders Herz blieb stehen.

"Du möchtest..."

"Ich möchte dich heiraten", unterbrach sie ihn. "Unter einer Bedingung."

Mulder biss sich kurz auf die Lippe. Jetzt kommts. "Welche Bedingung?"

"Wir heiraten schnell und ohne viel Aufhebens", erwiderte sie in ernsthaftem Ton. "Es ist okay, wenn meine Mutter und Walter dabei sind, sogar die Jungs, wenn du sie dabei haben möchtest, aber ich habe keine Lust mehr auf eine Riesenhochzeit mit einer großen Zeremonie und Kuchen und Brautjungfern und einem teuren Kleid. Eine war genug."

Er lächelte. "War deine Hochzeit so gewesen?"

Scully nickte. "Hauptsächlich um meiner Mutter Willen", sagte sie und zuckte mit den Schultern. "Mir war das alles so ziemlich egal."

"Stimmt, du bist viel zu praktisch veranlagt für solche Dinge", stimmte er zu, als er einen weiteren Bissen des köstlichen Frühstücks nahm, das sie ihm gemacht hatte. "Kann ich dich etwas fragen?"

"Sicher."

"Wirst du mir jetzt immer diese wundervollen Malzeiten kochen, wenn wir verheiratet sind, oder ist das heute nur, um mich weichzuklopfen?" Seine Augen leuchteten, als er auf ihre Antwort wartete.

Sie lachte. "Ich erwarte, dass du deinen Anteil übernimmst, Mulder, da ich momentan die einzige mit einem Job bin!" gab sie zurück.

"Ah, aber ich bin reich und unabhängig", konterte er neckend. "Vielleicht stelle ich ja jemanden an, der alles für mich übernimmt, wenn ich dran bin", stichelte er weiter und schwang seine Hand unterstreichend durch die Küche.

"Oh, und ich soll alles selbst machen, wenn ich dran bin? Da bist du auf dem Holzweg!"

"Aber Scully", protestierte er, "ich bin derjenige mit all dem Geld!"

Sie stellte sich vor ihn hin und kippte seinen Kopf zurück, damit er sie ansehen konnte. "Aber wenn wir verheiratet sind, ist es auch mein Geld.  Sieh dich bloß vor, dass ich dich nicht arm mache."

Er schnaufte und wandte sich wieder seinem Essen zu. "Unwahrscheinlich", meinte er. "Die Anwälte meiner Mutter haben das Geld so sorgfältig investiert, dass ich keinen Tag in meinem Leben arbeiten müsste und sich mein Vermögen trotzdem vermehrt."

"Gut", sagte sie, wieder ernsthaft geworden, und setzte sich wieder. "Ich will nicht geldgierig klingen, Mulder, und es geht mir wirklich nicht um das Geld. Das weißt du, oder?" Sie wartete sein Nicken ab, bevor sie weiter sprach. "Es würde nämlich meinem Sorgerechtsantrag für Emmie nur zugutekommen, wenn ich einen reichen Ehemann habe."

Sein Herz setzte wieder einen Schlag aus. "Ist das der Grund, warum du mich heiraten willst?" fragte er mit erzwungener Gleichgültigkeit. Dankbar sah er den perplexen Ausdruck auf ihrem Gesicht.

"Mulder, du müsstest mich besser kennen!" sagte sie leicht angegriffen.

"Das würde ich keinem von uns antun."

Er nickte entschuldigend. "Ich weiß, Scully. Entschuldige", sagte er beschämt. "Also, wann sollen wir es angehen? Hast du irgendein bestimmtes Datum in Aussicht?"

"Tja", sagte sie und dachte rasch nach, "vor Montag können wir offensichtlich gar nichts machen. Ich schlage vor, dass wir am Montag uns anmelden und Dienstag, spätestens Mittwoch, heiraten."

"Dienstag", sagte er prompt. "Warum warten?"

Sie lächelte. "Genau." Scully nahm seine Hand, und als sie sie drückte, spürte sie wie ihr Herz schneller schlug, als er zurück drückte. "Ich liebe dich, Mulder. Ich hoffe, dass du das weißt, trotz allem. Ich habe dich immer geliebt."

Mulder versteifte sich für den Bruchteil einer Sekunde und seine Augen schossen in die Höhe, um sie anzusehen. Er konnte die Emotionen in ihren Augen lesen. "Ich weiß, Scully", antwortete er.

Scully durchzuckte ein weiterer Schlag bei seinen Worten—und bei den Worten, die sie von ihm hören wollte, die er aber nicht gesagt hatte. Doch bevor sie weiter sprechen konnten, hüpfte Emmie zurück ins Zimmer, gewaschen und angezogen und Mulders New York Yankees Cappy verkehrt herum auf ihrem Kopf.

"Fox, spielen wir Ball?!" rief sie und kletterte wieder auf seinen Schoß.

Mulder schob sie lachend vom Tisch weg.

"In Ordnung, gib mir zehn Minuten", versprach er und ging in sein Zimmer.

Scully lächelte, als sie den beiden zusah.

"Möchtest du mir bei der Wäsche helfen, während du wartest?" fragte sie und zwinkerte Emmie zu. "Ich garantiere dir, dass er länger als zehn Minuten brauchen wird."

"Das habe ich gehört!" rief Mulder aus dem Flur, und Mutter und Tochter kicherten, weil er sich so beleidigt angehört hatte. Dann machten sie sich auf in Richtung Waschküche.

"Mami?" fragte Emmie, als sie ihre schmutzige Wäsche auf entsprechende Stapel warf.

"Ja, Nymph?" Scully schüttete beiläufig Waschmittel in die Maschine, doch sie drehte sich zu der Kleinen um, als sie überrascht hörte, was sie als nächstes sagte.

"Wirst du für immer meine Mami sein?"

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie Emmies todernsten Gesichtsausdruck sah, und sie sank auf die Knie, um das Mädchen in die Arme zu nehmen.

"Natürlich werde ich das, Emmie. Warum stellst du mir eine solche Frage?"

"Jacob sagt, dass Daddy an einen schrecklichen Ort muss, und dass sie mich zu fremden Leuten schicken."

Die Unsicherheit in der Stimme des kleinen Mädchens brach Scullys Herz. Sie wischte die Tränen weg, die über ihre delikaten Wangenknochen gerollt waren.

"Du glaubst mir doch, oder? Nicht Jacob. In Ordnung?"  Emmie nickte. "Ich fürchte, dein Daddy wird eine lange Zeit weg bleiben müssen. Er hat etwas sehr Schlimmes getan und er muss dafür bestraft werden. Doch das soll nicht heißen, dass dein Daddy ein schlechter Mensch ist, verstehst du den Unterschied?" Sie zog die Nase hoch und nickte ein wenig. Scully lächelte sie beruhigend an und nahm sie wieder in die Arme.

"Und während dein Daddy fort ist, musst du bei jemandem wohnen, der gut auf dich aufpassen kann, und ein Mann, ein Richter, wird entscheiden, wer seiner Meinung nach am besten auf dich aufpassen kann. Fox und ich werden zu dem Richter gehen und ihm sagen, dass wir dich sehr lieb haben, und dass wir möchten, dass du bei uns wohnst, und Grandma und Grandpa haben mir erzählt, dass sie das dem Richter ebenfalls sagen werden. Und wenn das dann alles geklärt ist, wird uns der Richter sagen, ob du bei uns wohnen darfst oder nicht."

"Warum sollte er sagen, dass ich das nicht darf?" fragte Emmie und schaute nun wahrhaft verwirrt drein. Scully bewunderte die bittersüße Unschuld eines Kindes.

"Das wird er nicht", versicherte sie ihrer Tochter liebevoll. "Es gibt keinen Grund, dass er dagegen sein wird, und ich bin mir sicher, dass er dich bei uns wohnen lassen wird. Aber jetzt geh lieber nachschauen, ob Fox schon fertig ist, okay?"

Emmie schniefte noch einmal und nickte. Sie war glücklich über die Worte der Frau, die sie als ihre wahre Mutter ansah, und sie rannte mit der Energie, die nur eine Fünfjährige haben kann, aus dem Raum.

Scully ließ sich auf einen Berg von Mulders Hemden sinken, ergriff eines davon und vergrub ihr Gesicht darin. Sie sog den Geruch in sich auf, der auf dem Stoff haftete.

Könnten sie wirklich, endlich, alles haben?

 
 

Ende TEIL Acht

 
 
 

WENN DAS ZWIELICHT FÄLLT - TEIL 9/9

(Originaltitel: AHEAD OF TWILIGHT)

von TexxasRose aka. Laura Castellano

(laurita_castellano@yahoo.com)

 

aus dem Englischen übersetzt von dana d. <hadyoubigtime@netcologne.de>

 
 

Mulder öffnete die Augen und blinzelte verschlafen durch den ungewohnten Raum, während er versuchte, Klarheit in seine wirren Gedanken zu bekommen.  Neben ihm regte sich ein warmer Körper und jetzt fiel ihm alles wieder ein.  Nach all den Jahren des Wartens und Wollens und Hoffens war es schließlich geschehen. Gestern hatte er Dana Katherine Scully zu seiner Frau gemacht.  Es war ein gar nicht so kompliziertes Ereignis gewesen. Sie waren am Montag in der Mittagspause und nachdem seine Vorlesungen für den Tag zu Ende waren zum Standesamt gegangen und am nächsten Morgen, nachdem Scully ihren Vorgesetzten informiert hatte, dass sie sich ein paar Tage frei nehmen wolle, hatten sie ihre Freunde und Familien angerufen und ihnen die Neuigkeiten beigebracht. Byres, Langly und Frohike waren begeistert gewesen, Walter und Maggie hatten die Nachricht eher mit Vorsicht genossen, sind allerdings pünktlich um elf und guter Dinge im Justice Of The Peace Gebäude angekommen, zu dem sie sich durchgefragt hatten. Zu seiner Überraschung hatte Skinner Jess Coslow im Schlepptau.

"Jess?" fragte er und küsste sie zur Begrüßung auf die Wange. "Haben Sie keine Termine?"

"Das Beste daran, sein eigenes Boss zu sein, Mulder, ist, dass man seine Termine selbst arrangieren kann", antwortete sie ihm und blickte mit einem freudigen Lächeln zu Skinner. "Ich habe heute einfach alles verlegt, und hier bin ich. Ich will auf keinen Fall versäumen, wie meine beiden liebsten Patienten heiraten."

Scully hatte bei diesen Worten ganz unbehaglich drein geschaut, denn sie hatte sich immer noch nicht mit der Therapie angefreundet, auf die Mulder bestand, doch trotzdem hatte sie ihren Teil der Abmachung treu eingehalten.  Mulder glaubte schon zu sehen, dass sie Fortschritte machte. Sie gab sich wirklich größte Mühe, das musste er zugeben, beklagte sich nie oder versäumte einen Termin. Kurz nach Walter und Jess war Maggie dazu gestoßen, die erst Dana, dann Mulder stürmisch in ihre Arme genommen hatte.

"Ich bin so glücklich, dass ihr zwei es endlich geschafft habt", flüsterte sie in sein Ohr und Mulder drückte ihre Hand.

"Ich auch", sagte er und küsste sie auch auf die Wange.

"Mr. Mulder, Miss Scully, wir sind jetzt bereit", kündigte jemand aus dem Türrahmen des Standesamtes an. Mulder suchte Scullys Augen.

Sie sah ihn mit einem stetigen, großen Lächeln an und streckte ihre Hand nach seiner aus.

So tat der eine also ihren Schwur für den anderen, ein rechtmäßiger und moralischer Schwur, den Mulder zumindest für immer halten wollte. Es würde für ihn nie eine andere Frau geben, dessen war er sich jetzt sicher. Er hatte die Aufmerksamkeit von mehr als nur einer Studienkollegin auf sich gezogen, und hatte die Möglichkeit in Betracht gezogen, mit der ein oder anderen der intelligenteren und attraktiven Frauen eine schöne Zeit zu verbringen—viele halb so alte Frauen wie er hatten ein großes Interesse an ihm. Doch mit Scully in seinem Kopf und Herzen hatte er ihre Annäherungsversuche jedes Mal höflich aber bestimmt abgelehnt und war jeden Tag zu der Frau zurückgekehrt, die seit dem ersten Tag an immer loyal zu ihm gewesen war. Selbst wenn er sie nie haben könnte, hatte er nachgedacht, niemand anderes interessiert ihn.

Jetzt könnte er sie nicht nur haben, er *hatte* sie, dachte er schelmisch, als er sich herüberrollte und ihre deliziöse nackte Gestalt unter sich gefangen nahm. Sie öffnete ihre Augen und sah auf in das unrasierte Gesicht ihres Mannes. Es war der schönste Anblick, den sie je gesehen hatte.

"Wie soll ich dich jetzt nennen?" fragte er und ein Fragezeichen stand auf ihrem Gesicht.

"Häh?" fragte sie dumm und blinzelte sich den Schlaf aus den Augen, während sie versuchte, die sich ansammelnde Hitze in ihrem Unterleib zu ignorieren.

"Nun ja", sagte er und bewegte sich ein wenig, um sich besser gegen ihre Oberschenkel drücken zu können, "dein Name ist jetzt nicht mehr Scully."

"Nein, da hast du Recht."

"Aber dich 'Mulder' zu nennen wäre sehr verwirrend", fuhr er fort und küsste sie sanft auf ihr Kinn.

Sie zappelte unter ihm. Er stabilisierte seine Position auf ihr und zwang sie somit ruhig zu liegen.

"Ich könnte dich 'Dana' nennen", überlegte er, als seine Finger langsam anfingen, die Seiten ihrer Brüste zu streicheln, "aber das wäre ja langweilig, denn jeder nennt dich so."

"Hm-hm", machte sie und zog die Luft ein, als seine Lippen ihren Weg zu ihrem Hals fanden.

"Morrow?" neckte er und sie schlug die Augen auf.

"Nicht, wenn du lange leben willst", sagte sie mit trügerischer Milde und er musste lachen.

"Einverstanden, 'Morrow' ist aus dem Rennen", gab er klein bei und entlockte ihr ein Stöhnen, als er mit seinem Mund ihre linke Brustwarze bearbeitete. Ihre Hände rutschten an seinem Rücken hoch und runter und sie umfasste seinen Po, als er sie weiter und weiter in die Erregung trieb. Sie wollte schreien, als er ihre Brustwarze losließ und etwas sagte, als ob ihre Nähe überhaupt keinen Effekt auf ihn hätte.

"Belassen wir es also bei 'Dana'", dachte er weiter laut und bewegte seine Hüften gemächlich vor und zurück und stellte so die Situation nach, in der sie so gerne mit ihm sein würde. "Ist das okay für dich?"

"Wenn du.... mich 'Dana' nennen willst, will ich... will ich dich 'Fox' nennen", brachte sie hervor und drückte ihr Becken nach oben, um ihn genauso verrückt zu machen wie er sie.

"Nenn mich 'Fox' und wir sind geschiedene Leute", grinste er und gab ihr schließlich, was sie wollte. "Bei Emmie mache ich eine Ausnahme, aber nur ausnahmsweise."

"Gut", murmelte sie mit ihrem letzten vernünftigen Gedanken. "Ich nehme an, dass wir einfach bei 'Mulder' und 'Scully' bleiben. Das scheint bis jetzt immer funktioniert zu haben."

Es dauerte nicht lange, da hatte sie das Gespräch vergessen, weil seine Lippen, seine Hände und sein ganzer Körper sie übermannte, und innerhalb von nur wenigen Momenten war sie so in ihm versunken—in dem versunken, wozu er sie brachte—und das war genau das, wofür sie ihn so liebte.

 
 

Den Rest des Tages und die Nacht blieben sie in ihrem Hotel, bestellten sich den Zimmerservice, wenn sie Hunger bekamen, liebten sich, wenn sie dazu in der Stimmung waren und verbrachten den Rest der Zeit mit Reden oder zufrieden schlafend in den Armen des anderen. Es schien so, als ob sie nach Mulders Entlassung aus dem Gefängnis vor zehn Monaten eine Menge aufzuholen hatten. Beide fanden, dass es weniger weh tat, von der Vergangenheit zu sprechen, jetzt, wo die Zukunft in ihren Händen war, und neben dem Aufholen vieler Dinge, redeten sie viele Stunden über die Jahre, in denen sie Partner gewesen waren.

"Gibt es Tage, an denen du es vermisst?" fragte Scully ihn und malte mit ihrem Fingernagel gemächlich Kreise auf seine Brust. Er zog sie so nahe er nur konnte zu sich und legte fest seine Arme um sie.

"Nein", antwortete er sicher. Sie hob überrascht den Kopf und sah ihn an.

"Überhaupt nicht?"

"Hm, lass sehen", sagte Mulder nachdenklich. "Ich könnte mich zu Tode arbeiten, Kriminelle oder Aliens jagen, die, wenn sie mich zu fassen kriegen, mich verletzen oder sogar umbringen könnten..." Sie grinste.  "...müsste immer größer werdende sexuelle Anziehung zu meiner süßen Partnerin aushalten..." Sie küsste ihn. "...und immer mit der Befürchtung leben, dass ihr oder mir etwas Schreckliches zustoßen könnte..." Jetzt küsste er sie, und die Wonne stand auf ihrem Gesicht geschrieben. "Oder, ich könnte da sein, wo ich heute bin, nackt in einem Bett neben der Frau, die ich liebe, und die *endlich* meine Frau ist, mit der Gewissheit, dass wenn die Flitterwochen vorbei sind, ich in ein schönes Haus gehen kann, zu einem kleinen Mädchen, das mir ebenfalls sehr ans Herz gewachsen ist, einer vielversprechenden Zukunft mit einer Tätigkeit, die mir großen Spaß macht, einer Freizeitbeschäftigung als Baseballtrainer für Kinder, einem Hund..."

"Ein Hund?"

"...ein Hund, ein Minivan..."

"Mulder, wir haben keinen Hund oder einen Minivan."

"Das werden wir gleich ändern. Wenn ich ein richtiger amerikanischer Vater werde, will ich es auch richtig machen.

"Willst du damit sagen, dass du nicht zufrieden bist? Vermisst du nicht das Aufregende daran?"

"...durchgeknallte Serienkiller..."

"...Plattwurmmänner..."

"...Killer-Katzen..."

"...grüner Schleim..."

"...*gelber* Schleim..."

"...oder die Gefahr, von Skinner in die Mangel genommen zu werden und von deinen Kollegen regelmäßig gemieden zu werden?"

Er lachte. "Naja, Skinner nimmt mich immer noch hin und wieder in die Mangel, aber ansonsten bin ich ziemlich zufrieden mit dem, wie die Dinge so geworden sind."

"Wirklich?" Sie richtete sich auf ihre Ellbogen auf, um ihm direkt in die Augen zu sehen. "Du wünschst dir niemals wir wären...."

"Wünschst du es dir?"

"Nicht im Geringsten", antwortete sie ohne Umschweife. "Ich hatte damals immer solche Angst um dich. Das einzige, das ich bereue ist, dass wir so viel durchstehen mussten, um hier anzukommen."

"Aber sie haben uns nie wirklich den Rest gegeben, stimmts?" fragte er und nahm sie fest in die Arme. Sie schüttelte ihren Kopf an seiner warmen Haut.

"Wie war noch mal das Gedicht, Mulder?"

"Welches Gedicht?" fragte er, momentan verwirrt. "Ach, das. Ich muss es mal nachsehen und es dir ganz vorlesen."

"Ja, das wäre schön."

"Aber jetzt", sagte er und ließ streichelte mit seinen Fingern reizvoll ihre seidene Haut, "würde ich lieber etwas anderes recherchieren."

 
 

Mulder stand, Hände an den Hüften, und sah dem kleinen Mädchen beim Baseballschlagen zu. Noch einen Run und ihr Team würde die Meisterschaft gewinnen. Natürlich war das ein gewisser Druck, unter dem sie stand. Ihr kindliches Gesicht war voll konzentriert, als sie den Schläger schwang und den Ball um ein ganzes Stück verfehlte. Mulder, den die Kinder leicht als Coach für ihr Team gewinnen konnten, signalisierte dem Schiedsrichter für eine Auszeit, ging zu dem Schlagplatz und schenkte dem Kind ein beruhigendes Lächeln, als es ihn mit Befürchtungen im Gesicht anblickte.  Sein eigener Ausdruck zeigte keine Spur des Ärgers, den er empfand - nicht dem Kind gegenüber, sondern den Eltern gegenüber. Jennifers Eltern kritisierten ihre Tochter nämlich permanent bei ihren Bemühungen und lobten sie nie, wenn sie etwas gut machte. Er hatte versucht, sie höflich dazu zu bringen, Jennifer mehr zu unterstützen, doch sie waren äußerst begriffsstutzig bei der ganzen Angelegenheit gewesen.

Und jetzt war keine Ausnahme. Jennifers Vater stand oben auf der Tribüne und rief zu seiner Tochter, "Komm schon, Jennifer, schlaf nicht ein. Wenn du den Ball nicht triffst, verliert ihr das Spiel!"

Scully warf Mr. Norths Rücken einen bitterbösen Blick zu und sah wie Mulder sich zu Jennifer herab beugte, und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Das kleine Mädchen kicherte, wackelte mit den Hüften und nickte, worauf Mulder mit einem zufriedenen Grinsen zurück zum Unterstand für die Spieler ging. Er stellte fest, als sie im Begriff war, den Ball zu schlagen, dass er noch nie im Leben glücklicher gewesen war und sah nicht allzu überrascht, wie Jennifer den Ball traf, so dass er durch die Beine des Ersten Basemans ging und sie den Run nach Hause bringen konnten, den sie brauchten, um das Spiel zu gewinnen.

Die komplette Spielerbank brach in Jubelgeschrei aus und Mulder fand sich auf dem Boden wieder, noch bevor der Läufer an der Home-Base anschlug, begraben unter seinen Spielern. Er hatte ihnen versprochen, dass wenn sie die Meisterschaft gewannen, sie ihn mit Eiswasser übergießen konnten, genau wie im Fernsehen, doch er hatte nicht damit gerechten, auf dem Boden zu liegen, wenn das passierte. Sie konnten den Eiseimer nicht richtig hochheben, deswegen zogen ihn die Mädchen eilig dahin, wo er lag und warfen ihn um, um ihren Trainer zu begießen. Mulder schrie, als das eiskalte Wasser über seine Brust, Bauch und Unterleib floss.

Als die Mädchen schließlich immer noch kichernd von ihm abließen und auseinander wuselten, um zu ihren Eltern zu gehen, machte Mulder die Augen auf und starrte geradewegs in Scullys grinsendes Gesicht.

"Na, gefällt's dir, Mulder?" fragte sie und stupste ihn mit ihrem Zeh, wodurch ein paar Eissteinchen verrutschten und unter sein Hemd auf seinen nackten Bauch rutschten.

"Mehr als du dir vorstellen kannst", keuchte er und wischte es hektisch weg. "Du könntest mir mal helfen, weißt du", grummelte er, als er sich bemühte sich aufzusetzen.

Scully lachte. "Ich helfe doch. Wer, glaubst du, hat Emmie gezeigt, wie man den Verschluss von dem Eiseimer öffnet?" brüstete sie sich, und er starrte sie nur böse an.

"Coach?" hörte er eine Stimme hinter ihm. Er drehte sich um, während er sein T-Shirt auswrang.

"Vielen Dank für alles, was Sie getan haben", bedankte sich einer der Väter von Mulders Spielerinnen, und reichte ihm die Hand. "Die Kinder hatten diese Saison eine Menge Spaß. Shelly bewundert sie sehr, und ich kann auch sehen warum. Sie kommen wirklich gut mit der Horde zurecht."

"Äh, danke", stammelte Mulder und schüttelte dem Mann die Hand. Verdattert sah er ihm hinterher, als sich der Mann entfernte. "Scully, ist das nicht...?"

"Ja", sagte sie und legte einen Arm um seine klatschnasse Hüfte. "Das war der Mann der Frau, die dich auf Emmies Party letzten Frühling so angekeift hat."

"Also ist Shelly...."

"Jessicas Schwester. Und ganz offensichtlich teilt ihr Vater nicht die Meinung seiner Frau über deine heruntergekommene Vergangenheit."

"Sei vorsichtig", sagte er und gab ihr einen Kuss. "Du bist ein erheblicher Teil meiner heruntergekommenen Vergangenheit."

"Und deiner heruntergekommenen Zukunft", sagte sie gut gelaunt. "Oh oh, ich gehe da lieber dazwischen, bevor es zu spät ist", sagte sie und nickte zu Emmie und ein paar anderen Kindern, die allem Anschein nach vorhatten, mitten in den Schlamm zu springen, der durch ihr Freudenfest entstanden war.

Mulder ging zum Wagen in der Hoffnung dort etwas zu finden, womit er sich abtrocknen konnte, als ihn wieder eine Stimme aufhielt. Diese war viel finsterer und eine versteckte Drohung war darin wahrzunehmen.

"Mr. Mulder."

Sein Atem stockte. Er schwang herum und ballte seine Hände zu Fäusten, um das Zittern zu bändigen.

"Sie."

Der andere Mann senkte seinen Kopf zur Begrüßung.

"Was wollen Sie?"

Wie immer kam er ruhig und langsam zum Punkt, schenkte Mulder ein gelassenes Lächeln.

"Ich bin gekommen, um Sie zu warnen."

Mulder machte eine Geste der Ungeduld. "Hören Sie, machen Sie sich wegen mir keine Gedanken", fing er an. "Ich habe nicht die Absicht, jemals wieder Geschäfte mit Ihnen zu machen. Ich weiß nicht, hinter was Sie heutzutage her sind, und es ist mir auch völlig egal."

"Das, worüber ich Ihnen etwas sagen möchte, wird Ihnen nicht egal sein", sagte der alte Mann milde und ignorierte Mulders Ärger.

"Und was ist das?" wollte Mulder wissen, Hände auf den Hüften und Augen glitzernd. "Was können Sie mir jetzt noch sagen wollen?"

"Zachary Morrow ist aus dem Gefängnis ausgebrochen."

Mulder stand stocksteif, doch sein Herz raste, als er das hörte. Der Mann drehte sich um und begann gelassen über den Parkplatz weg zu gehen, bevor Mulder seine Stimme wieder finden konnte.

"Warten Sie!" rief er. "Woher wissen Sie das? Warum sagen Sie mir das?" fragte er, aber der Besucher machte keine Anzeichen, dass er ihn gehört hatte, stieg in ein wartendes Auto und verschwand, bevor Mulder noch mehr sagen konnte.

"Das kann nicht wahr sein", murmelte er vor sich hin, als er sich zurück zum Spielfeld drehte. "Sie hätten uns sicher benachrichtigt."

"Über was hätten sie uns benachrichtigt, Mulder?" fragte Scully, als sie und Emmie zu ihm kamen und ihm den Schrecken ansehen konnten. Etwas war offensichtlich passiert, Mulder war blass wie ein Geist.

"Nichts", erwiderte er locker. "Also, Emmie, bist du bereit für das Eis, das ich dir versprochen habe?"

"Klar!" rief sie und hüpfte freudig auf und ab. "Ich möchte den großen Bananenspilt, Fox, weißt du noch, den du mir versprochen hast."

"Ja, das weiß ich noch", stimmte er zu, öffnete die Tür und wartete, bis sie sich angeschnallt hatte. "Den größten, den sie haben."

Scully warf ihm über dem Dach des Autos einen fragenden Blick zu, doch er schüttelte nur den Kopf. Nach einem zweiten suchenden Blick nickte sie unmerklich und stieg in das Auto. Es musste warten.

 
 

"Wie konnte das passieren?" verlangte sie Stunden später, als sie vor dem Feuer stand, das Mulder im Wohnzimmer gemacht hatte. Scully schauderte und blickte sich im Raum um, als ob sie Zach jeden Moment hinter der nächsten Ecke erwartete.

"Scully, beruhigen Sie sich bitte", sagte Skinner, der auf der Couch saß.  Er war angerufen worden, und nach einer kurzen und knappen Unterredung mit dem Sheriff von McCart, hatte er die Information, die der Raucher Mulder gegeben hatte, bestätigt. Zachary Morrow war drei Tage zuvor, während der Überführung eines Gefangenen aus der Zelle entkommen, und bis jetzt gab es noch keine Hinweise auf seinen Aufenthaltsort.

"Mich beruhigen?" schrie sie wütend. "Ein Verrückter ist da draußen, dem vielleicht der Sinn danach steht, meine ganze Familie umzubringen, und Sie wollen, dass ich mich beruhige? Dieser Idiot von einem Sheriff aus irgendeinem Hinterhofskaff hält es nicht einmal für nötig, hier anzurufen, und Sie wollen, dass ich mich beruhige?"

"Scully", unterbrach Mulder sie, "Walter hat Recht, und das weißt du. Wenn wir jetzt in Panik verfallen, hilft uns das auch nicht weiter."

Sie verschränkte die Arme und atmete schwer, doch sie sagte nichts mehr.

"Vielleicht kommt er gar nicht hierhin", warf Byers aus der Ecke ein, in der er stand, weil er aus der Schusslinie bleiben wollte. Mulder hatte gleich nachdem sie nach Hause gekommen waren die Jungs angerufen, die sofort vorbei kamen und ihre neuesten Sicherheitsvorrichtungen installierten.  Jetzt hatten sich alle sechs im Wohnzimmer versammelt und keiner wollte gehen und die Mulder-Familie sich selbst überlassen.

"Natürlich kommt er hierher!" keifte Scully.

"Vielleicht nicht", sagte Mulder ruhig. "Wenn er jetzt schon seit drei Tagen frei ist, und bis jetzt nicht aufgetaucht ist, könnte es sein, dass er das gar nicht vor hat."

"Das glaubst du doch nicht wirklich, Mulder, oder?" fragte Frohike. Mulder gab seine Verstellung auf und rieb sich müde die Stirn.

"Nein", gab er schließlich zu. "Das glaube ich nicht."

"Also, warum ist er noch nicht hier?" formulierte Langly seine Frage. "Und warum hat der Kerl dir überhaupt davon erzählt? Ich dachte immer, der spielt gegen dich."

Mulder schüttelte den Kopf, er war zu müde geworden, um nachzudenken. "Ich habe keine Ahnung, warum der Mann die Dinge tut, die er tut, aber bei einem bin ich mir sicher—er macht nie etwas aus reiner Selbstlosigkeit."

"Zach könnte zu Fuß unterwegs sein, womöglich ist es das sogar", sagte Scully, die Mulders Erschöpfung sah und jetzt anfing nachzudenken. "Wenn er ein Auto gestohlen hätte, würde es zu einfach sein, ihn zu schnappen—er hat diesen Fehler schon einmal gemacht, er wird es sicher nicht ein zweites Mal tun."

"Wie lange würde er zu Fuß von Iowa bis Virginia brauchen?" wollte Frohike wissen.

"Das kommt darauf an, ob er per Anhalter fährt oder sich komplett von der Straße fernhält... es gibt da so viele Möglichkeiten. Wenn er wirklich vor hat, hierhin zu kommen, wird er nicht riskieren, gefasst zu werden, bevor er seinen Plan nicht ausführen kann. Also stellen wir uns die Frage, was können wir dagegen tun?"

Mulder seufzte und rieb sich wieder seinen Kopf. Scully stellte sich hinter seinen Sessel, um seine Schultern zu massieren. Er lehnte sich in ihre Hände und ließ seine Gedanken schweifen.

"Wir müssen ganz normal weiterleben", sagte er schließlich. "Ich kann meine Vorlesungen nicht versäumen, Emmie muss zur Schule...."

"Ich rufe morgen ihre Schule an und erkläre, was passiert ist. Ich werde ihnen sagen, dass Emmie mit niemandem außer mir das Schulgelände verlassen soll", warf Scully ein und Mulder nickte.

"Würde es nicht sicherer sein, sich hier zu verschanzen, nur für ein paar Tage?" fragte Byers, denn er fürchtete um Mulder und Scully bei dem Gedanken, dass sie alleine draußen sein könnten, wenn Morrow auftauchen sollte.

Skinner rutschte auf seinem Sessel herum und sprach dann. "Wie lange sind ein paar Tage? Sie können sich nicht auf unabsehbare Zeit hier verstecken, wenn man die Tatsache bedenkt, dass wir nicht wissen, wann und ob Morrow vielleicht auftauchen könnte. Ich kann das Haus bewachen lassen, und Mulder und Scully sind beide ausgebildete Agenten. Niemand kann für ihre völlige Sicherheit garantieren, aber wir können unser Bestes tun."

"Ich denke, Sie haben Recht", murmelte Byers, doch er war nicht vollkommen überzeugt.

"Wir werden umso wachsamer sein, bis er gefasst wird, Byers, aber mehr, außer die Polizei zu verständigen, können wir nicht tun", sagte Mulder, der plötzlich froh war, dass er die Pistole seines Vaters noch hatte. Legal oder nicht, er hatte vor, sie immer bei sich zu tragen, bis Morrow wieder hinter Gittern saß, und Scully würde dasselbe tun, schwor er sich. Und was Emmie betraf....

Vielleicht können wir es arrangieren, dass Emmie für eine Weile bei deiner Mutter bleiben kann", schlug er vor und beugte seinen Kopf zurück, um seine Frau anzusehen.

"Ich bin sicher, Mom würde sie sehr gerne zu sich nehmen", stimmte Scully zu und ging, um ihre Mutter anzurufen. Einige Minuten später kam sie zurück und berichtete, dass Maggie Emmie am nächsten Tag von der Schule abholen würde und sie bei sich behalten würde, bis sie entschieden, dass es ungefährlich war nach Hause zu gehen.

Etwas später trennten sie sich. Skinner war der letzte, der ging. "Sie wissen, dass Sie mich anrufen sollen, wenn Sie mich brauchen."

"Ja, Walter."

"Und Sie wissen auch, dass ich Sie in den Hintern treten werde, wenn Sie es nicht tun."

Mulder grinste. "Ja, Walter. Und danke", sagte er gerade noch rechtzeitig, bevor Skinner die Tür hinter sich schloss. "Für alles."

Skinner nickte und trat heraus. Mulder schloss die Tür mit dem Zusatzriegel ab und wandte sich zu Scully. Wortlos begannen sie ihren Weg durch das Haus und sahen jede Tür und jedes Fenster nach, um sicher zu gehen, dass sie fest verschlossen waren.

"Ich werde heute Nacht kein Auge zumachen", meinte Scully. "Ich will nicht einmal ins Bett gehen. Was ist, wenn er einbricht? Was, wenn er versucht, Emmie etwas anzutun?"

"Ich glaube nicht, dass er sich mit ihr beschäftigen wird", argumentierte Mulder, doch als er ihren Gesichtausdruck sah, gab er klein bei. "Aber ich verstehe, was du meinst. Ich mache uns einen Kaffee."

Sie hielten in seinem Arbeitszimmer Wache, das genau gegenüber Emmies Zimmer auf der anderen Seite des Flures lag. Die ganze Nacht hielten sie ihre Ohren gespitzt und hörten auf alles, was eine mögliche Gefahr darstellte. Gegen Morgen ging Scully, um den Vorrat an Kaffee aufzufüllen und Mulder begab sich ins Badezimmer, um sich für seine Frühkurse fertig zu machen. Er wollte sich erst in der Gegend umsehen, bevor er zur Uni fuhr.

Nachdem er aus dem Haus gegangen war, fuhr er eine kurze Zeit herum, doch als er nichts Ungewöhnliches bemerkte, schlug er den Weg zur Universität ein. Scully hatte Emmie zur Schule gebracht und der Lehrerin Bescheid gesagt, dass nur sie oder Maggie Scully bis auf Weiteres zu dem Kind durften. Als Mulder in seiner Pause anrief, konnte sie ihm berichten, dass zwischenzeitlich nichts passiert ist. Alles schien in bester Ordnung, und für einen Moment gestattete sich Mulder die Hoffnung, dass nichts geschehen würde - dass Morrow nach Mexiko anstatt nach Virginia gegangen sei. Doch tief in ihm drin wusste er, dass das nicht stimmte. Mit einem Stich von Traurigkeit spürte er den Griff des Revolvers in seiner Manteltasche; er hätte nie gedacht, dass er noch einmal eine Waffe tragen würde.

Während der nächsten beiden Tage war die Stimmung extrem gereizt. Sie ahnten beide, dass etwas auf sie zukam, doch sie konnten nicht sagen, wann oder aus welcher Richtung es sie treffen würde. Aufgrund der hoch strapazierenden Situation und der Tatsache, dass ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren, war es auf eine gewisse Art und Weise eine Erleichterung, nachmittags nach der Arbeit nach Hause zu kommen und Zach dort vorzufinden, dachte Scully.

Er kam hinter der Tür hervor, als sie ins Haus kam, nahm ihr blitzschnell ihre Waffe ab und befahl ihr, den Flur herunter ins Schlafzimmer zu gehen.  Sie starrte ihn für einen langen Moment an und gab schließlich nach, als sie sah, wie er die Pistole in seiner Hand ein wenig näher an ihre Seite brachte. Er sah furchterregend aus, und Scully hatte keine Zweifel an seiner Entschlossenheit. Er würde sie, ganz klar, noch einmal vergewaltigen und sie dann umbringen. Dann würde er auf Mulder warten und ihn ebenfalls erledigen. Ihre Mutter wäre vielleicht die Nächste, wenn Zach versucht, seine Tochter abzuholen. Die einzige Möglichkeit, die Scully sah war, zu versuchen ihn hinzuhalten. Mulder würde bald zu Hause sein. Vielleicht könnten sie ihn zu zweit übermannen oder austricksen.

Doch ihre Vorstellungen wurden alsbald zunichte gemacht. Als sie nämlich das Schlafzimmer erreichten, befahl er ihr, sich auszuziehen und sich aufs Bett zu legen.

"Zach...."

"Ich hab gesagt *mach es*!" zischte er und stieß die Pistole in ihre Brust.  Sie schluckte hart und griff nach den Knöpfen ihre Bluse, während sie sich fragte, wo zum Teufel die Wachposten waren, die das Haus bewachen sollten.

Mit zitternden Fingern öffnete sie langsam die Knöpfe, einen nach dem anderen, während er gierig zusah. Sie kämpfte dagegen an, dass ihr bei dem Gedanken von Zachs Händen auf ihr die Galle hochkam und ließ die Bluse zu Boden fallen.

"Jetzt den Rock", wies er sie an. "Aber langsam. Ich will es genießen."

Es kam ihr nur zu Gute, denn jede Sekunde, die sie die Sache hinauszögern konnte, brachte Mulder näher nach Hause. Sie betete, dass er nicht in einen Stau geriet oder anderweitig aufgehalten wurde. Sie riskierte einen raschen Blick auf die Uhr. Mulder würde mit ein bisschen Glück in etwa zehn Minuten durch die Tür kommen. Plus / minus ein paar Minuten.

Scully tastete hinter ihrem Rücken nach dem Reißverschluss ihres kurzen braunen Rocks und öffnete ihn Zentimeter für Zentimeter. Sie ließ sich soviel Zeit wie nur irgend möglich. Zachs Augen wurden größer und sein Grinsen breiter, als der Reißverschluss schließlich auf war und Scully den Rock langsam, so langsam, herab ließ, über ihre Schenkel, ihre Knie und ihre Waden und wie in Zeitlupe einen Fuß nach dem anderen daraus hob. Er lockerte sich ein wenig, lehnte sich gegen die Wand und bedeutete ihr weiterzumachen. Langsam und sinnlich ließ Scully ihre Hände von ihren Hüften zu ihren Knien und zurück gleiten, und entledigte sich schließlich eines Schuhes. Sie schaffte noch einen Blick auf die Uhr, als sie sich hinunterbeugte.

Noch sieben Minuten.

Sie wiederholte die Bewegung, um den zweiten Schuh auszuziehen und überlegte, was sie als nächstes ausziehen sollte. In jedem Fall die Strumpfhose, entschied sie rasch. Vielleicht konnte sie verhindern, zu viel von sich diesem Perversen preis zu geben. Ihre Hände strichen träge ihre Beine hoch, über ihre Schenkel und wieder ein Stück herunter, dann endlich hakte sie ihre Daumen im elastischen Band der Strumpfhose ein.

"Du hast es immer noch drauf, Baby", sagte Zach und mit einer Schauer von Ekel bemerkte sie seine nicht übersehbare Erektion. Sie bemühte sich, ihren Eindruck nicht zu zeigen und zwinkerte ihm sexy zu, wonach sie sehr langsam begann, das Kleidungsstück über ihre Beine gleiten zu lassen, Zentimeter für Zentimeter.

Vier Minuten.

Als sie die Strumpfhose schließlich aus hatte, ließ sie sich noch mal gemächlich durch ihre Finger gleiten, bevor sie sie auf den anwachsenden Berg der anderen Kleider warf. Jetzt stand sie vor Zach nur noch in BH und Höschen und mit einem flauen Gefühl im Magen erkannte sie, dass sie mindestens noch ein Kleidungsstück ausziehen musste. Mulder würde frühestens in drei Minuten da sein, und wenn er zu spät kommen würde....

"Tanz für mich, Dana", wies Zach sie an und sie starrte ihn für eine Sekunde verwundert an. Dann schaltete sie ohne weiteres, denn die Ausführung seines Befehls war eine weitere Verzögerung. Sie begann sachte, sich zu einer imaginären Musik hin und her zu wiegen und ließ ihre Hände überall über ihren Körper gleiten, ähnlich wie Mulders Hände, als sie sich geliebt hatten. Sie schloss die Augen und versuchte, die Angst, die sie hatte, zu vertreiben, stellte sich die starken Hände ihres Mannes vor, die sie berührten, beruhigten, und in ihrem Kopf hörte sie seine Stimme, die ihr sagte wie wunderschön sie sei, wie sexy, wie sehr er sie wollte.

"Dreh dich um."

Die Wirklichkeit schlug mit Zachs Stimme auf sie ein, und mit einem weiteren Schlucken drehte sie ihm den Rücken zu, ebenso verführerisch wie all ihre anderen Bewegungen. Sekunden später fühlte sie seine Arme um sich, die sie gefangen hielten, während sein Körper sich an sie presste.

"Du gehörst immer noch mir, Dana", flüsterte er und streichelte ihre Wange.  "Und du willst mich immer noch, das sehe ich dir an." Seine Linke verließ ihre Hüfte und umfasste ihre Brust und seine Finger rutschten unter den seidigen Stoff ihres BHs. Sie unterdrückte ein Schaudern.

"Ich weiß, dass du glaubst du liebst ihn", sprach Zachs tiefe Stimme weiter in ihr Ohr, "aber er kann dich unmöglich so glücklich machen, wie ich es kann. Hab ich nicht recht?"

Sie antwortete nicht, und er kniff schmerzhaft in ihrer Brustwarze.

"Habe ich recht?" verlangte er und sie schüttelte den Kopf, erleichtert, als er den Druck auf ihre empfindliche Haut minderte.

Wieder blickte sie auf die Uhr und schloss kurz verzweifelt die Augen.

Mulder war schon zwei Minuten zu spät.

"Ich glaube, das hier muss weg", grummelte Zach an ihrem Nacken. Seine freie Hand glitt nach hinten zum Verschluss ihres Büstenhalters, den er mit einer einfachen Bewegung öffnete. Er zog ihr das Kleidungsstück aus und warf es auf den Boden. Scully zitterte.

"Und jetzt...." sagte er, als seine Finger das Gummiband ihres Höschens erreichten, und sie erschraken beide vor dem Geräusch, das hinter ihnen ertönte.

"Nimm deine Hände von ihr."

Scully klappte fast erleichtert zusammen, als sie Mulders Stimme hörte, doch Zach ergriff sie fest um ihre Hüften und wirbelte herum, als ob er schon erwartet hätte, dass sein Feind auftauchen würde. Mulders Gesichtszüge verhärteten sich, als er sah, dass Scully fast gänzlich ausgezogen war, aber er behielt trotzdem einen festen Griff an seiner Waffe. Jetzt war keine Zeit für Scham.

"Lass sie los", forderte er abermals mit direkt auf Zachs Kopf gerichtetem Revolver.

Zach lachte und hob seine eigene Waffe an Scullys Schläfe.

"Scheint so, als stehe es eins zu eins", kommentierte er gelassen und betrachtete Mulder amüsiert.

Nach einer langen, gespannten Sekunde antwortete Mulder, "Wenn du ihr weh tust, bringe ich dich um."

"Dann wird meine Folter vorbei sein, aber deine wird Ewigkeiten andauern, Mulder", prahlte Zach. "Was glaubst du wird die Polizei denken, wenn du *noch einen* Menschen tötest? Werden sie dich wieder gehen lassen? Oder werden sie dich einfach nur mitleidig ansehen, abtrünniger FBI-Agent und Sträfling, und dich so schnell zurück ins Gefängnis werfen, dass du nicht mehr weißt, wo oben und unten ist?" Er bemerkte das Zucken in Mulders Kiefermuskeln und wusste, dass er den richtigen Nerv getroffen hatte. "Ich denke, wir beide kennen die Antwort darauf."

"Mulder, hör nicht auf ihn...."

"Schnauze!" zischte Zach, festigte den Griff an ihr und stieß den Lauf seiner Pistole barsch gegen ihren Kopf. "Lass die Männer die Sache austragen, Baby."

Scullys Augen verdichteten sich zu Schlitzen bei dieser hohlen Bemerkung, doch sie hatte sich soweit unter Kontrolle und erwiderte nichts. Sie konnte nicht gegen ihn kämpfen, er war viel stärker, und jetzt mit ihm zu streiten würde ihr nichts bringen.

"Also, was soll's sein, Mulder?" spottete Zach, und sein Grinsen wurde breiter, als er sah, dass Mulder unsicher wurde. "Erschießt du mich und gehst zurück in den Knast, oder lässt du mich nehmen, was mir gehört und verschwindest?"

"Sie gehört nicht dir", hielt Mulder kurz und bündig fest. "Du warst nicht Manns genug, sie zu behalten."

Zachs Grinsen verschwand augenblicklich und er suchte rasch nach einem Kommentar, der Mulder noch weiter aus der Bahn werfen würde. "Du hasts geschafft, Mann", sagte er und starrte Mulder kalt an. "Geld, ein schönes Haus, eine Zukunft.... willst du das wirklich alles für diese kleine Schlampe riskieren?"

Er schüttelte Scully, als er das sagte, und Mulders Finger zog sich enger um den Abzug.

"Sie hat mit mir geschlafen, weißt du", fuhr er in einem zuversichtlichen Ton fort, als ob er ein großes Geheimnis preisgeben würde. "Als wir nach Westen gefahren sind, hat sie sich von mir vögeln lassen. Mehr als nur einmal. Sie ist nichts weiter als eine...."

Wie auch immer Zach seine Ex-Frau gerade benennen wollte, ihm wurde das Wort abgeschnitten, als Mulder feuerte. Der Knall war ohrenbetäubend in dem geschlossenen Raum, und Zach starrte Mulder perplex an, während sein Gesicht roter und roter wurde, Blut aus seiner offenen Wunde auf seiner Stirn lief und sein Körper zurück gerissen wurde.

Mulder sackte an der Wand zusammen und legte die Waffe vorsichtig auf die Kommode. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen, als Scully sich hinunter beugte, um den Mann zu ihren Füßen zu untersuchen.

"Scully, bitte sag mir, dass er nicht tot ist", stöhnte Mulder hinter seinen Händen. Scully blickte auf und sah, wie er langsam an der Wand herunter rutschte.

Sie rollte Zach auf den Rücken und fühlte seinen Puls. Ein Gefühl von Reue, Wut und Freude durchfuhr sie, als sie keinen fand. Sie stand auf, wischte sich das Blut von den Händen und griff nach ihrem Bademantel, der ein Stück weit von ihr über einer Stuhllehne hing. Sie zog ihn an, um den Berg ihrer Klamotten als Beweisstück liegen zu lassen.

"Mulder", sagte sie, hockte sich neben ihn und zog seine Hände von seinem Gesicht. "Mulder, komm her zu mir."

"Er kann nicht tot sein", flüsterte Mulder wieder und wieder. "Bitte sag mir, er ist am Leben, Scully. Er kann nicht tot sein."

"Mulder, er ist tot. Er wird uns nie wieder weh tun."

Mulder lachte seltsam, es machte Scully angst. Es war der Klang des Lachens eines Mannes, der im Begriff war, wahnsinnig zu werden.

"Aber verstehst du denn nicht, Scully", sagte er und verschluckte ein Schluchzen, "er hatte recht. Ich wollte ihn nicht umbringen. Ich dachte nicht, dass ich ihn umbringe, aber ich konnte nicht zulassen, dass....  Scully, er hatte recht!"

"Was? Mulder, wovon redest du?" fragte sie völlig durcheinander, als sie ihn auf die Füße zog.

"Er hatte recht, Scully!" schrie Mulder regelrecht, als er ihre Hände von sich stieß. Er stand auf und ging ohne sich umzudrehen auf die Schlafzimmertür zu. Scully gefror das Blut in den Adern, als er seine Waffe aufhob.

"Mulder...." begann sie und streckte ihre Hand aus in der Hoffnung, ihn zu beruhigen.

"Nein! Ich werde nicht wieder dahin zurück gehen!" rief er und sie war überrascht, als sie sah, wie Tränen seine Wanger hinunter rollten. "Ich kann das nicht, Scully." Seine Augen bettelten um Verständnis.

"Sie werden dich nicht wieder ins Gefängnis schicken, Mulder", sagte sie versichernd, doch sie war sich nicht sicher, ob er es überhaupt hörte.

"Doch, das werden sie", konterte er, während er immer noch langsam zurück wich und sie sich ebenso langsam näherte. "Sie werden mich ein Mal ansehen und sofort wissen, was ich getan habe, und sie werden den Schlüssel weg werfen, und ich *kann* nicht, Scully, ich werde nicht zulassen, dass sie das tun."

"Du hattest keine andere Wahl", argumentierte sie. "Sie werden einsehen, dass du es tun musstest, dass du nur deine Familie beschützt hast", erklärte sie, aber er war wie festgefahren. In seinen Gedanken war er bereits wieder hinter Gittern.

Er schüttelte entschlossen den Kopf und hob die Waffe, und gerade, als sie zu ihm springen wollte, um seinen Tod zu verhindern, wurde Mulder von zwei starken Armen von hinten ergriffen, die ihm augenblicklich den Revolver entrissen, den er gerade auf sich selbst richten wollte. Scully atmete erleichtert durch und nahm rasch die Waffe an sich, die Skinner ihr hin hielt.

Mulder kämpfte kurz gegen den eisernen Griff an, doch gab bald auf, als ob er erkannte, dass es sinnlos war, gegen Skinner und Scully anzukämpfen. Er stand still und starr da, als Skinner ihn losließ.

"Sir, wie sind Sie...?" begann Scully, doch sie wurde unterbrochen, als die beiden Officers Waylon und Scott ins Zimmer kamen.

"Verdammt!" fluchte Scott. "Zuerst werden wir wegen einem Notfall von hier weg gerufen, um gleich darauf zurück beordert zu werden, weil ein Nachbar einen Schuss im Haus gehört hat. Leute, bei euch ist immer was los, was?"

Scully erklärte, was vorgefallen war, als die beiden Polizisten den Tatort und die Leiche inspizierten und den Vorfall meldeten. Mulder stand still wie eine Statue an der Wand, Skinner direkt neben ihm, um ihm Halt zu geben wenn nötig.

"Wie konnten Sie rechtzeitig hier sein?" konnte sie ihn schließlich fragen.

"Ich war gerade auf dem Weg nach Hause und hatte einfach das Gefühl, es wäre besser mal nachzusehen", sagte er schulterzuckend. "Es ist nur ein paar Blocks von meinem Heimweg entfernt, also... Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich die Haustür sperrangelweit und Mulder mit der Knarre in der Hand vorfand."

"Walter, er ist davon überzeugt, dass sie ihn deswegen wieder einsperren werden", sagte Scully leise zu ihm. "Sie müssen ihn überzeugen, dass das nicht geschehen wird. Er hat momentan so eine Angst, dass ich befürchte, dass er überhaupt nichts von all dem hier mitbekommt."

Skinner drehte sich zu Mulder, dessen vor Angst aufgerissenen Augen auf die beiden Polizisten gerichtet waren. "Mulder", sagte er, doch er erhielt keine Reaktion."

"Mulder!"

Mulder sah seinen Freund verschreckt an.

"Es wird Ihnen nichts passieren", sagte Skinner zu ihm, aber Mulder schüttelte vehement den Kopf und schloss erschrocken die Augen.

"Sie werden mich wieder da reinstecken, Walter", murmelte er. "Ich kann da nicht wieder hin. Sie hätten mich nicht aufhalten sollen...."

"Nein, Mulder, niemand wird sie einsperren", wiederholte Skinner standhaft.

Officer Waylon hob seinen Kopf.

"Sie müssen alle drei mit auf die Wache kommen, ich brauche Ihre Aussage", sagte er zu Skinner, der nickte.

"Ich verstehe, Jack", erwiderte er, "aber Mulder hier befürchtet, dass er verhaftet wird."

Jack Waylon betrachtete die Szene, die sich vor ihm abspielte: den Mann, der mit kreideweißem Gesicht und sichtbar zitternd an der Wand gelehnt stand, während seine Frau, nur in einem Bademantel gekleidet, versuchte ihn zu beruhigen.

"Das bezweifele ich, Mr. Skinner", antwortete er sicher. "Wir haben hier einen Typen, der aus der U-Haft ausgebrochen ist, in dem er wegen Kidnapping war. Jemand, von dem erwartet wurde, dass er hier auftaucht, jemand, der diesen Mann hier bedrohte und der ihn zudem mehrfach angeschossen haben soll. Der versucht hat, seine Frau zu vergewaltigen und sie mit einer Waffe bedroht... Ich denke, dass die meisten Leute mir zustimmen, wenn ich sage, dass das, was Mr. Mulder getan hat, Notwehr war."

"Haben Sie das gehört, Mulder?" fragte Skinner ihn, nachdem er sich zu ihm umgedreht hatte. "Wir werden auf die Wache gehen und unsere Aussage aufnehmen lassen, aber sie *werden nicht* verhaftet, haben Sie mich verstanden?" Er schüttelte Mulders Arm etwas, um seine Worte zu untermalen.

Mulder nickte unmerklich, doch er war immer noch nicht überzeugt. Er erwartete, jeden Moment in Handfesseln gesteckt zu werden und war umso mehr erleichtert, als er etwa eine halbe Stunde später zwischen Skinner und Scully in den Streifenwagen gesteckt wurde. Scully hielt seine Hand in ihren Händen, und er erwiderte den sanften Druck. Ihm war eiskalt und er war froh über ihre Wärme. Skinner berührte ihn nicht, doch auch seine bloße Anwesenheit verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit. Wenn sie ihn schließlich doch festnehmen sollten, könnte Skinner ein gutes Wort für ihn einlegen, überlegte er, und vielleicht würde er es ein wenig einfacher haben.

Sie fuhren gerade von seinem Haus weg, als ein Krankenwagen und zwei weitere Polizeiwagen eintrafen. Mulder sah den blinkenden Lichtern so lange nach, bis sie in der Ferne verschwanden, dann drehte er sich um und machte es sich bequem. Jetzt brach sein Herz, während er da zwischen seiner Frau und einem guten Freund saß. Er hatte alles erreicht, erinnerte er sich traurig. Das erste Mal in seinem Leben, für einen winzigen schmerzvollen Moment, hatte er alles, das er sich je gewünscht hatte.

Bis das Zwielicht gefallen war.

 
 

Epilog

 
 

Tagebuch des Fox Mulder

Es ist jetzt ein Jahr her. Genau ein Jahr seit dem Tag, an dem ich von dort weg gegangen bin. Skinner hatte mich praktisch jeden Schritt von da wegziehen müssen. Ein Jahr, seitdem ich Angst gehabt hatte, irgendjemandem in die Augen zu sehen, weil ich überzeugt war, dass alle, die mich trafen mich bestrafen wollten. Ein Jahr, seitdem mein Leben neu begonnen hat. Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass ich soweit gekommen bin.  Aber ich bin, um eine alte Redensart zu verwenden, noch lange nicht unter der Erde.

Wenn das Leben die Summe aller unserer gemachten Abenteuer wäre, hätte ich wohl für zehn Menschen in meinen vierzig-und-noch-was Jahren gelebt.  Abenteuer ist für mich irgendwie ein Schimpfwort geworden, und trotzdem habe ich keine Wahl. Ich muss weiter machen, darf mich nicht unter kriegen lassen. Herausforderungen entgegentreten und mehr solcher Abenteuer durchstehen. Scully sagt mir immer wieder, dass wenn ich auch nur denke, anders als so leben zu wollen, würde sie mich dafür büßen lassen. Und diese Frau mit dem Temperament kann einem schon Angst einjagen. Wenn ich mich jetzt umbringen wollte, hätte ich keinen Zweifel daran, dass sie es schaffen würde, meine Seele zu finden und ihr ganz schön den Marsch zu blasen.

Glücklicherweise habe ich keinen solchen Todeswunsch mehr.

Ich war vor lauter Angst fast in einem katatonischen Zustand, als ich auf dem Rücksitz des Polizeiwagens gesessen habe, nachdem ich den Hurensohn erschossen hatte, der versucht hatte, unser Leben zu zerstören. Das letzte Mal, das ich in einem solchen Wagen gefahren war, war es mein Weg in die Hölle gewesen, die kein vernünftig denkender Mensch je erfahren sollte. Ich war mit so sicher gewesen, dass ich nun auch auf dem Weg zu diesem Leben war, und ich habe mich über Skinner und Scully geärgert, die rechts und links neben mir gesessen haben und meine sichere Flucht verhindert hatten.  Also saß ich wie ein Stein zwischen den beiden, weil ich fürchtete, dass ein Wort oder eine Bewegung etwas in mir loslösen und mich in eine schreiende und tobende Furie verwandeln würde. Ich blieb in diesem Zustand, bis sie mich an einen Tisch dem Officer gegenüber setzten, der meine Aussage aufnehmen sollte. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, und betete zu Gott oder irgendeinem Gott, der gerade zuhörte (ich war nicht wählerisch), dass sie meine Geschichte glaubten. Ich wollte es ihnen erklären, kühl und nüchtern, warum ich Morrow eine Kugel in seinen Kopf gejagt hatte, doch zu meinem großen Schrecken bracht ich nichts weiter als irgendwelche erstickten Schluchzer von mir. Ich gab's schließlich auf, vergrub meinen Kopf in meinen Armen und ließ mich gehen. Ich hätte diese gewaltsame Welle von Emotionen sowieso nie im Leben aufhalten können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Am Ende mussten sie Jess rufen, die aus ihrem Abendessen gerissen wurde, um mich zu beruhigen. Nach einer halben Stunde hatte sie es mit milden, beruhigenden Worten geschafft, mich soweit zu beruhigen, dass ich die Geschehnisse soweit rekonstruieren konnte, wie ich sie erlebt hatte. Scully und Walter füllten die Lücken.

Und dann sagten sie mir, dass ich gehen könne. Sie mussten es mir drei Mal sagen, bevor ich es ihnen geglaubt habe.

Wir haben nie herausgefunden, wie Morrow an all den Sicherheitsvorkehrungen vorbeikommen konnte, die die Schützen an unserem Haus aufgestellt hatten.  Sie sind sie noch ein paar Mal durchgegangen, wissen aber keinen Deut mehr.  Vermutlich werden wir es nie erfahren. Ich hoffe, dass niemand anderes das System so austricksen und einbrechen kann, aber soweit ich weiß, gibt es da draußen keine Verrückten mehr, die es ausgerechnet auf uns abgesehen haben.  Wenn nicht gerade jemand, den ich irgendwann mal eingebuchtet habe, ausgebrochen oder freigelassen worden ist und Rache üben will. Hey, das ist kein Ding der Unmöglichkeit, das ist schon mal passiert, aber deswegen kriege ich lange noch keine schlaflosen Nächte. Das Leben ist dafür viel zu kurz.

Scully hat mich gefragt, nachdem wir an dem Abend wieder zu Hause waren und ich immer noch über meine Schulter geguckt habe, weil ich jeden Moment die Polizei mit einem Haftbefehl vor meiner Türe erwartet hatte, woher ich gewusst hatte, dass ich das Haus besser leise und mit gezogener Waffe betreten sollte. Sie war verwundert über meine Antwort, weil ich gesagt hatte, dass es nur eine Kleinigkeit gewesen war, aber von der Sorte, die mir immer aufgefallen war. Es war die Post. Wenn Scully tagtäglich nach Hause kommt, öffnet sie die Tür, hängt ihren Mantel auf, stellt ihre Handtasche weg und geht zurück nach draußen um die Post aus dem Briefkasten zu holen. Als ich an dem Abend nach Hause gekommen war, stand ihr Wagen in der Auffahrt, aber die Post war noch immer im Briefkasten. Ich wusste, dass irgend etwas passiert sein musste, doch Zachary Morrows Arme um meine fast nackte Frau vorzufinden, hatte ich nicht gerade erwartet. Ehrlich gesagt hatte ich angenommen, dass sie wieder verschwunden sei—entweder das oder tot auf dem Boden und die nächste Kugel für mich bestimmt. Die beiden in dieser Position zu finden war schon ein kleiner Schock für mich, aber ich hatte wieder gelernt, ihr zu vertrauen—wenn ich es überhaupt jemals aufgehört hatte. Scully war natürlich wütend und verlegen zugleich, aber sie hatte wieder einmal Morrows Spiel scheinbar mitgespielt, um ihr eigenes Leben zu retten, worüber ich überaus dankbar bin. Das Leben, das sie gerettet hatte, bedeutet mir sehr viel.

Und was mich betrifft, tja, das Leben ist schön. Das ist eine Phrase von der ich nie gedacht hatte, dass ich sie mal auf mich beziehen würde, und während sicherlich nicht jede Falte wieder gerade gebügelt ist, sind sie alle auf dem Wege ausgemerzt zu werden. Emmie ist nun fast offiziell unsere eigene Tochter, denn dem steht nichts weiter als ein paar Formalitäten im Wege, von denen unsere Anwälte uns versichern, dass wir uns darüber keine Sorgen zu machen brauchen. Geld regiert letzten Endes scheinbar doch die Welt, und die Tatsache, dass Scully mit Emmies leiblichem Vater verheiratet war, bringt uns eine Menge Pluspunkte ein. Das andere Ehepaar, das versucht hatte, sie zu adoptieren, wird nicht gewinnen, denn uns kommt außerdem noch zugute, dass das Gericht uns das vorübergehende Sorgerecht zugesprochen hatte, bis sie die Entscheidung treffen würden. Sie wohnt hier, und ich bin fest entschlossen, das auch dabei zu belassen. Jetzt möchte sie einen Hund haben.

Morrows Eltern hatten sich anfangs nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden können, dass ihre Enkeltochter bei uns bleibt, doch sie hatten sich schließlich überzeugt gezeigt und unterstützen uns jetzt wo sie nur können. Besser die Mulder-Familie als völlig Fremde, nehme ich an. Sie sind eigentlich ganz nett, ausgenommen die Tatsache, dass ihr einziger Sohn nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Trotzdem sie ihn sehr geliebt hatten, waren sie nie blind gewesen wenn es um seine Schwäche ging. Und ganz nebenbei haben sie meine Frau sehr lieb gewonnen.

Scully hat ihre Arbeitsstunden auf zwanzig pro Woche geschraubt, um, wie sie es ausdrückt, der 'Mami-Kiste' nachzukommen, weil das immerhin die einzige Chance ist, die sie je haben wird. Emmie geht seit diesem Herbst in die Schule, und ich schreibe es hier nur unter Nichtbeachtung jeglicher Bescheidenheit, dass sie ihren Mitschülern bereits jetzt schon um Längen voraus ist. Ich persönlich denke, dass sie mindestens die erste Klasse überspringen sollte, aber Scully will deswegen nicht mit den Lehren darüber sprechen. Sie glaubt, dass ich einfach viel zu stolz auf sie bin, und sie hat wahrscheinlich recht. Ich liebe die Kleine, als ob sie unsere eigene Tochter sei, und ich hoffe, dass sie schon bald für den Rest ihres Lebens den Namen 'Mulder' trägt. Das war etwas, womit wir ihre Großeltern nur sehr vorsichtig entgegen getreten sind, denn wir fürchteten, dass sie darauf bestünden, dass Emmie weiter 'Morrow' hieße. Trotzdem wir das Recht dazu haben, hätten wir nie gegen ihren Willen die Namensänderung durchgezogen.  Wie ich schon sagte, es sind sehr nette Leute, und für Emmie bedeuten sie die Welt. Wir haben uns schließlich auf Emmaline Renee Morrow Mulder geeinigt. Wir können letztendlich nicht einfach so tun, als hätte es ihren Vater nie gegeben.

Mr. Morrow hatte uns beide mit ein wenig Traurigkeit angesehen, als wir dieses Thema anschnitten, und mit sichtbaren Tränen in seinen Augen hatte er sich gewünscht, dass Emmie nicht den Namen tragen solle, den ihr Vater beschmutzt hatte. Er hatte gesagt, dass der Name 'Mulder' ihm als ein guter erschien, und er würde stolz sein, wenn man seine Enkeltochter unter diesem Namen kannte. Ich musste bei dieser Aussage natürlich schlucken, und meine jederzeit verständnisvolle Frau hatte sich augenblicklich aus ganzem Herzen bei den beiden bedankt und mich da raus geschafft, bevor es sehr peinlich für mich werden würde. Gott—ich liebe diese Frau.

Es ist schon seltsam, nicht? Wie viele Katastrophen sich in unserem Leben abspielen  mussten, bevor wir uns endlich eingestehen konnten, dass wir uns lieben? Und dann sogar gleichzeitig, anstatt dass der eine liebt und der andere weg läuft. Aber das ist etwas, wovon Skinner immer schon gesagt hatte, dass es ein Spiel sei, das wir seit jeher gespielt haben. Das hatte er Jess auch gesagt. Sie hatte nur gelacht und gesagt, dass niemand auf der Welt mehr Talent zu einem solchen Spiel hätte, wie die Mulder-Familie, und dass wir in der nächsten Sitzung darauf eingehen würden. Jess ist übrigens auf dem besten Wege, Mrs. Walter Skinner zu werden, wenn Sie mich fragen, obwohl Walter darauf besteht, dass sie nur hin und wieder miteinander ausgehen. Sie gehen allerdings ziemlich oft 'hin und wieder' zusammen aus.  Letzte Woche ist er mindestens drei Mal (von denen ich weiß) mit ihr weg gewesen, und weil ich glaube, dass er mir nicht jedes Mal verrät, glaube ich, dass es in Wirklichkeit um die fünf Mal gewesen ist. Nach Außen hin mag er vielleicht protestieren, aber Jess hat Pläne mit ihm. Ich kann es in ihren Augen lesen. Es ist schön, ihn endlich glücklich mit jemandem zu sehen—er war seit seiner Scheidung vor vielen Jahren immer alleine gewesen.

Vor vielen Jahren... nein. Ich habe absolut nicht vor, mich heute wieder in sentimentalen Erinnerungen zu verstricken. Scully war wie auf Eierschalen herum gelaufen und hatte versucht, mich nicht durch irgendetwas daran zu erinnern, was das heutige Jubiläum bedeutete—als ob ich das je vergessen könnte. Wie sehr ich diese Erinnerung auch verschmähen will, ich kann es nicht. Jess hat es geschafft mich von etwas zu überzeugen, dass mir schon die ganze Zeit klar gewesen war—ich muss die Erinnerungen meistern, bevor sie mich meistern.

Heute Morgen habe ich schließlich den Nerv aufgebracht, in Scullys alte Wohngegend zu fahren und habe dann in einem Anfall von Selbstbewusstsein meinem früheren Vermieter, Mr. Perrino, einen Besuch abgestattet. Er hat sich wie das letzte Mal auch sehr gefreut, und ich war stolz auf mich, weil ich lediglich einen klitzekleinen Stich schmerzhafter Gefühle empfunden hatte. Die damalige Zeit schien nun so weit von dem Mann entfernt zu sein, der ich jetzt bin, dass es mir jetzt fast so vorkommt, als hätte ich sie nur geträumt.

Ich habe den alten Raucher wieder getroffen, und zwar vor ein paar Wochen, als ich mit Walter im Hoover Gebäude zu Mittag gegessen hatte. Er hatte draußen an dem Büro an der Wand gelehnt, in dem Kersh einmal gearbeitet hatte—ich kann mich nicht mehr an den Namen des neuen Assistant Direktor erinnern—und als ich an ihm vorbei gegangen bin, hatte er wieder eines seiner berühmten unheilvollen Lächeln gelächelt. Mit meiner neu gefundenen Zuversicht bin ich geradewegs auf ihn zugegangen und habe ihm eine Frage gestellt, die mir schon seit Wochen auf der Seele gebrannt hatte.

"Warum", habe ich gefragt, "haben Sie mich gewarnt, dass Morrow aus dem Gefängnis ausgebrochen ist? Welchen Nutzen haben Sie daraus gezogen?"

Er hatte mich eine lange Zeit nur angestarrt, und zuerst habe ich gedacht, dass er mir nicht antworten würde. Ich wollte gerade wieder gehen, als er in seine Manteltasche griff und eine Packung Zigaretten hervorholte. Er senkte seinen Blick, als er sprach.

"Ich bin ein alter Mann, Fox", sagte er leise und hatte einen sehnsüchtigen Blick in den Augen, als er mich wieder ansah. "Ich habe Dinge getan, auf die ich nicht unbedingt stolz bin. Doch alles, was ich gemacht habe, hatte einen Grund. Ich kenne Sie seit Ihrer Geburt. Ihr Vater war ein Freund von mir, als wir noch junge Männer waren." Er zuckte beiläufig mit den Schultern. "Ich habe keinen Grund darin gesehen, dass Morrow Ihr Leben ruiniert, jetzt, wo Sie sich niedergelassen hatten und glücklich waren."

Er nahm einen Zug von dem verfluchten Krebs-Stengel und ich glaube, mein Kinn ist auf den Boden gefallen, als ich seine nächsten Worte hörte.

"Es gibt viel zu wenig Glück auf dieser Welt. Sie sollten Ihres ergreifen, solang Sie die Gelegenheit dazu haben."

Er zwinkerte mir zu—ja, das ist wahr, er *zwinkerte* mir wirklich zu! -- und ging weg. Ich stand nur da und starrte hinter ihm her wie ein Bescheuerter. Ich stand ein paar Minuten später immer noch da, als Walter mich fand.

"Was tun Sie hier, Mulder?" fragte er ganz baff. Ich sollte ihn eigentlich in seinem Büro treffen, aber jetzt hatte er nach mir gesucht.

Ich schüttelte konfus den Kopf, lachte nur etwas und sagte ihm, dass ich glaubte, eine Fatal-Morgana gesehen zu haben. Mir fiel auf, dass obwohl der Raucher vor fünf Jahren mein Leben fast kaputt gemacht hatte, er letztendlich darauf geachtet hatte, unser beider Leben zu retten. Wir hätten es vielleicht auch ohne seine Warnung über Morrows Ausbruch geschafft, aber nur vielleicht. Ich wäre an jenem Tag in mein Haus gegangen, hätte mich über die Post gewundert, aber trotzdem keinen Verdacht geschöpft. Und Morrow hätte uns beide umgebracht.

Ich habe mit Vergnügen Walters Bemühungen gesehen, nicht die Augen zu verdrehen, als ich die Sache mit der Fatal-Morgana gesagt hatte. Das hatte er immer getan, als ich noch für ihn gearbeitet hatte.

Ich habe mich entschlossen, mich nicht weiter darum zu scheren—der Raucher, das Konsortium, sogar die Kolonisation. Lass einfach irgendwen anderes den Kampf um das Gute kämpfen. Sie haben ihn schließlich schon Jahre lang gekämpft. Laut Skinner gab es Fortschritte bezüglich ihrer Versuche, den Aliens zu widerstehen, die die Erde regieren wollten, also gab es vielleicht Hoffnung für die Zukunft. Der Unterschied ist nur, dass diese Hoffnung nicht an mir steht oder fällt, und so wünsche ich es mir auch. Ich will nicht mehr Teil von all dem sein, denn ich will all meine Energie jetzt in andere Dinge stecken.

Es ist lustig, wissen Sie. Vor einem Jahr hatte ich alles verloren. Der Krebskandidat hatte es geschafft, mich vollkommen auseinanderzunehmen, aber nachdem ich mich wieder zusammengerauft hatte, bin ich glücklicher als je zuvor. Ich habe erkannt, dass das Einzige, das wirklich zählt, die Gelegenheit ist, mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt. Ich verfolge jetzt vielleicht nicht mehr so hohe Ideale, doch ich lebe das erste Mal wirklich mein Leben—wie viele Tage oder Jahre ich davon noch übrig habe, ich lebe jede Minute meines Lebens. Ich freue mich so sehr über meine Frau, meine Tochter, meine Studien, und verdammt noch eins, ich freue mich auch über mein Geld.

Es ist toll, König zu sein.

 

ENDE