WORLD WITHOUT
END: DRITTER BAND
Originaltitel: World Without
End: Book Three
Autor: Rachel Anton < RAnton1013@aol.com >
Übersetzung: Kristin (
tini243@crosswinds.net )
Rating: NC-17
Kategorie: Post Kolonisation, Scully/Krycek
Zusammenfassung: Wohin wendet
man sich, wenn alles was man kannte nicht mehr existiert?
Disclaimer: Jeder, den ihr wiedererkennt gehört nicht mir.
Spoiler: Keiner, der mir einfällt.
Autorenbemerkung: Dieses ist der Dritte Band einer aus drei Bänden
bestehenden Serie. Ich empfehle, die ersten beiden Bände zu lesen, bevor ihr
mit diesem beginnt.
Anmerkung des Übersetzers: Oder
auf dieser Seite in der deutschen Übersetzung.
WORLD WITHOUT END
Dritter Band
Kapitel 1
Die Welt ist jetzt sehr viel kleiner, als
sie es früher war.
Zumindestens scheint es so zu sein. Wenn ich unsere dezimierte
Bevölkerung ansehe, alle an einem Ort versammelt, habe ich das Gefühl, als wäre
das halbe Universum verschwunden.
Alex hat entschieden, sehr weise wie ich
meine, das Meeting in einem anderen Vorlesungssaal abzuhalten als früher. Einem
kleineren. Es gibt nicht sehr viele freie Plätze, aber es ist trotzdem ein
bisschen angsteinflößend als ich mich umsehe und
denke, dass es das jetzt ist, dass das alles ist, was übrig ist.
Ich habe versucht, meine Identität nicht zu
sehr mit diesem Ort zu verflechten. Ich war vorher Teil einer Gruppe, zusammen
mit den anderen, die wie ich waren, den anderen Klonen. Als ich sie verlor,
fühlte ich mich ausgeschlossen und orientierungslos. Ich möchte das nicht noch
mal fühlen. Aber wenn man so lange mit Menschen zusammen lebst, wie ich schon
hier lebe, wird es schwierig, sich zu distanzieren. Es ist schwierig,
unbeteiligt zu bleiben, wenn es schlecht läuft.
Es läuft sehr schlecht. Es ist schwer zu
sagen, wie schlimm es noch werden wird, weil die unglücklichen Ereignisse nur
ein paar Wochen her sind, aber es sieht nicht gerade sonderlich
vielversprechend aus.
Es ist nicht nur, das
wir so viele Leute verloren haben. Es ist noch nicht mal, dass wir unsere
Verbündeten verloren haben, uns vielleicht neue Feinde gemacht haben. Das sind
schlechte Zeichen, sicher, aber ich spüre, dass die wahre Bedrohung nicht von
außen kommt, sondern von innen.
Ich habe eine Freundin, Laurie. Laurie ist
Sklavin gewesen und bei ihr wurde vor sechs Monaten Krebs diagnostiziert. Sie
hatte einen Geliebten, der Jordan hieß. Jordan starb bei dem Kampf im
Hauptquartier der Rebellen. Wir haben ein Heilmittel für Laurie, aber sie will
es nicht einnehmen. Sie hat mir vor ein paar Tagen gesagt, dass sie lieber
sterben würde, als in dieser beschissenen Welt ohne Jordan weiter zu machen.
Sie sagte, dass das einzige, was sie davon abhält, sich umzubringen die
Hoffnung ist, Alex eines Tages für das bezahlen zu lassen, was er getan hat.
Es gibt viele
Lauries. Und unglücklicherweise gibt es nicht sehr viele Leute wie Dana oder
Brian, die loyal sind, nicht nur unserer Sache gegenüber, sondern auch ihm
gegenüber.
Die Teilung ist heute noch offensichtlicher
als sonst. Alex sitzt in der Mitte eines großen, rechteckigen Tisches im
vorderen Teil des Raumes, Dana sitzt zu seiner Rechten und Brian zu seiner
Linken. Es sitzen noch ein paar andere an diesem Tisch, Alex' Berater, die
Chefs der Farm, der Nahrungsmittelverteilung und des Haushaltskomitees, aber
der Rest von uns sitzt auf der anderen Seite des Tisches. Ich habe nicht das
Gefühl, dass ich hierher gehöre. Jeder auf dieser Seite scheint sehr, sehr
wütend zu sein.
Das Meeting hat noch nicht offiziell angefangen,
aber die Leute reden schon miteinander. Bittere, gemeine Worte fliegen durch
den Raum und stärken sich an sich selbst. Ich hoffe, dass Alex nicht das
Potential an Dummheit unterschätzt, das großen Gruppen innewohnt. Wenn sich der
Mob erst einmal fest in die Köpfe eingenistet hat, dann fangen unsere Probleme
richtig an.
Ich versuche Augenkontakt zu Dana zu
bekommen, um ihr aufmunternd zuzulächeln, aber sie sieht nicht von ihrem
Notizblock auf. Sie sieht blass aus, fast krank. Alex sieht so cool aus wie
immer. Manchmal denke ich, dass es ihm Spaß macht, ein Objekt des Hasses zu
sein.
"Entschuldigen Sie, Miss. Ich habe eine
Einladung zum Lynchen für heute morgen erhalten. Bin ich hier richtig?"
Mulder. Ich lächle halbherzig zu ihm hinauf
und biete ihm mit ausgestreckter Hand den leeren Platz neben mir an.
"Eigentlich nicht, das ist ein Zirkus.
Warum bleibst du nicht trotzdem?"
"Denkst du, dass Brian heute seine
Löwenbändigernummer aufführt?"
"Vielleicht, wenn du ihn nett darum
bittest."
Er setzt sich seufzend hin und fährt sich
mit den Fingern durch die Haare. Er scheint selbst ein wenig nervös zu sein.
Ich bin froh, dass er sensibel genug ist, um besorgt zu sein und dass er sich
nicht wegen seiner persönlichen Probleme den anderen anschließt. Ich bin froh,
aber nicht überrascht.
"Wie denkst du wird es laufen,
Roseanne?"
"Nicht gut."
"Die Leute sind ziemlich wütend,
richtig?"
"Scheint so."
Er rutscht auf seinem Stuhl hin und her und
schaut über seine Schulter. Dann sieht er wieder zu mir und lehnt sich nah zu
mir, leise sprechend. Ich kann mir nicht helfen. Es bringt mir ein billiges
kleines Vergnügen.
"Ich kann nicht anders, als mich für
all das ein wenig verantwortlich zu fühlen,"
murmelt er mit einer so sexy Stimme, dass mir fast komplett entgeht, was er
gesagt hat.
"Verantwortlich? Wie
verantwortlich?"
"Vor ein paar Monaten habe ich Krycek erzählt, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, die
Allianz mit den Rebellen zu beenden. Ich weiß, dass er das nicht meinetwegen
getan hat, aber ich habe ihn auf diese Idee gebracht."
Ich weiß nicht, was mich mehr überrascht.
Dass es die beiden es jemals geschafft haben, eine zivilisierte Unterhaltung zu
führen, oder dass Alex tatsächlich auf etwas gehört haben könnte, was Mulder
gesagt hat.
"Es war keine schlechte Idee, Mulder.
Und es waren noch andere Faktoren am Werk."
Bevor ich diese Faktoren aufzählen kann,
räuspert sich Alex und steht auf, um zu sprechen. Ich denke nicht, dass ich
jemals in meinem Leben soviel Mitgefühl für ihn hatte. Ich hoffe, dass sich
niemand dazu entschließt, ihn zu erschießen.
"Okay, ich denke wir sollten beginnen," sagt er und die Unterhaltung verebbt bis auf ein
bisschen leises Flüstern. "Zuerst möchte ich allen dafür danken, dass ihr
gekommen seid. Wir haben sehr viele Dinge zu besprechen. Wir müssen uns vielen
Herausforderungen stellen und ich denke, dass es am besten ist dies zu tun,
wenn wir alle zusammenarbeiten."
Irgendein fremdartiger, dämonischer Teil von
mir ergreift meinen Stift und schreibt, "Um wie viel willst du wetten,
dass sie diese Rede geschrieben hat?" in mein Notizbuch. Derselbe Dämon
schiebt das Buch in Mulders Richtung und mir wird erst nach dem der Dämon fertig
ist bewusst, dass Mulder das vielleicht nicht sonderlich komisch finden könnte.
Zum Glück für den Dämon und für mich lächelt
er.
"Wir alle haben in letzter Zeit große
Verluste erleiden müssen und ich fürchte, es stehen uns weitere bevor. Die
kommenden Monate werden nicht leicht werden. Die Vorräte werden uns gerade dann
ausgehen, wenn wir sie am meisten brauchen; im Winter. Das bedeutet, dass wir
dazu gezwungen werden, sie ab jetzt zu rationieren."
"Was rationieren?" ruft jemand von
den billigen Plätzen.
"Rationieren...na ja, alles.
Nahrungsmittel, Wasser, Elektrizität, medizinische Versorgung...ich habe, ich
habe mit den Leuten von der Farm gesprochen und wir haben einige Ideen, wie wir
unsere landwirtschaftliche Entwicklung besser nutzbar machen könnten und wir
hoffen, dass wir bis zum Winter genug Nahrungsmittel für jeden haben werden.
Aber im Moment müssen wir etwas sparsamer sein. Wir alle werden etwas von den
Bequemlichkeiten abgeben müssen, an die wir gewöhnt waren."
"Bequemlichkeiten? Welche denn? Die
Bequemlichkeit zu wissen, dass die Menschen, die du liebst nicht brutal
ermordet werden? Ist das eine der ‚Bequemlichkeiten', die wir für die Sache
opfern müssen, Alex?"
Oh-oh. Es ist Laurie. Sie flippt schon aus. Und ich sehe
es schon, dass Alex das nicht gut handhaben wird. Er sieht sie mit dem Blick
an. Diesem gruseligen, eiskalten Starren, das jeden, den es trifft, sei es
Mann, Frau oder Kind, in Angst und Schrecken versetzt. In manchen Situationen
ist das ein nützliches Werkzeug. Aber diese hier ist definitiv keine davon. Es
ist gut, dass er jetzt eine menschliche Hälfte hat.
"Laurie, es tut uns allen Leid, was mit
Jordan passiert ist," bietet Dana von ihrem Platz
aus an. Sie hat ihre Hand auf Alex' Arm gelegt, wahrscheinlich in der Hoffnung,
ihn davon abhalten zu können, die arme Frau zu erwürgen.
"Was all diesen Menschen passiert ist,
die wir verloren haben. Es ist eine schreckliche Tragödie für uns. Was wir zu
tun versuchen ist sicherzustellen, dass sie nicht umsonst gestorben sind. Wir
haben so viel verloren, aber wir haben etwas sehr wichtiges gewonnen. Wir sind
jetzt frei. Wir haben die Freiheit unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und
unsere eigenen Fortschritte zu machen. Wir arbeiten nicht mehr für die
Rebellen, nur noch für uns selbst. Wir haben die Chance dazu, wirklich
unabhängig zu werden. Meinst du nicht, dass Jordan das gewollt hätte?"
"Du kannst es drehen und wenden wie du
willst, Dana. Tatsache ist, er ist für nichts gestorben. NICHTS! Und du WEISST
das!"
Sie beginnt zu zittern und bricht mit einem
Weinkrampf zusammen und glücklicherweise sitzt jemand neben ihr, der ihr ein
wenig Trost spenden kann. Offen gestanden, weiß ich nicht, ob ich jetzt dazu
fähig wäre. Ich kann nicht sehr gut mit Hysterie umgehen.
Und Dana kann das auch nicht. Aber sie
bleibt ruhig.
"Laurie, es muss nicht so sein. Wenn
wir alle zusammenarbeiten, können wir diesem schrecklichen Verlust vielleicht
eine Bedeutung geben. Wir haben ein paar Übergangspläne ausgearbeitet und wenn
ihr alle zuhören ..."
"Es gibt keine Bedeutung, Doktor Scully," lässt sich eine leise Stimme hinter mir hören. Es
ist Thomas, einer der Männer, der von der fehlgeschlagenen Mission
zurückgekehrt ist.
"Ich war dort. Ich sah diese Männer,
sah, wie sie lebendig verbrannt wurden. Für absolut nichts. Ich bin sicher,
dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt, bis uns alle das gleiche Schicksal
trifft. Und ich denke wir alle wissen, wem wir das zu verdanken haben."
Sein zorniger Blick fällt direkt auf Alex,
der jetzt auf jeden Fall vor Wut schäumt. Wenn es jetzt etwas gibt, was er
braucht, dass ist es Kontrolle. Und dieses Meeting ist nach nur fünf oder zehn
Minuten sehr stark außer Kontrolle geraten. Er öffnet seinen Mund, um zu
sprechen, aber Dana erhebt sich von ihrem Sitz und unterbricht ihn.
"Jetzt warte mal einen Moment. Ich kann
mich erinnern, dass ich von dir ganz andere Töne gehört habe, *bevor* all das
passiert ist. Tatsächlich ist es so, wenn ich mich recht erinnere, dass du
ziemlich hin und weg von diesem ganzen Plan warst. Genau wie viele andere von
euch. Ich kann mich nicht erinnern, dass *irgendjemand* hier irgendeine Art von
Einwänden gegen den Plan gehabt hat, den Alex unterbreitet hat. Wir alle haben
gedacht, dass es eine gute Idee wäre. Wir alle haben ihn unterstützt."
Ihre leidenschaftliche Verteidigung ist
rührend und etwas ironisch. Wenn ich mich recht entsinne, war Dana die einzige,
die gedacht hat, dass diese ganze Sache ein Fehler wäre.
"Also was, es ist nicht so gelaufen,
wie wir es alle erwartet hatten. Wir haben verloren. Jetzt seid ihr also der
Meinung, dass es die ganze Zeit eine schlechte Idee war und wendet euch gegen
den Menschen, der ... den Mann, der..."
Sie stützt sich mit der Handfläche auf den
Tisch und scheint ein wenig zu schwanken. Ihre Augen schließen sich und sie
atmet tief durch. Alex' Gesicht verliert jede Spur von Zorn und er dreht sich
zu ihr, total erschrocken. Alle im Raum werden totenstill und scheinen ihren
Atem anzuhalten.
Schließlich öffnet sie ihre Augen wieder,
legt die Hand über den Mund und murmelt, "Entschuldigt,"
in ihre Finger. Sie dreht sich von der Menge weg und flüchtet aus dem
Hintereingang des Raumes.
Ein Wiederaufwallen der Gespräche folgt
ihrem Weggang. Worte wie Krebs, Zusammenbruch und "Was zur Hölle sollen
wir jetzt tun?" scheinen aus jeder Richtung zu kommen. Aber ich weiß, dass
es das nicht ist. Ich habe die Tests gesehen, die sie heute Nachmittag
durchgeführt hat. Ich dachte, sie seien nur Vorsichtsmaßnahmen, Teil einer
Allgemeinuntersuchung ihres Körpers. Sieht so aus, als wäre es mehr als das.
Mulder rutscht neben mir herum, anscheinend
in der Absicht, aufzustehen und ihr zu folgen. Und Alex, armer Alex, steht
einfach da mit offenem Mund und sieht aus, als wenn ihm gerade jemand einen
Schlag in die Magengrube versetzt hätte.
Keiner von beiden wird in der Lage sein, ihr
jetzt zu helfen.
Ich stehe von meinem Platz auf und gehe zur
Tür, halte kurz an, um mit Alex zu sprechen.
"Ich werde gehen. Du bleibst," sage ich zu ihm.
"Ich kann nicht...ich..."
"Doch Alex. Bleib einfach hier. Ich bin
sicher es geht ihr gut. Und ich weiß, dass sie will, dass du hier bleibst und
das zu Ende führst."
Er nickt und ich renne aus der Tür, hoffe
wider besseres Wissen, dass er es fertig bringt, mit dieser Situation ohne sie
umzugehen.
Ich brauche bloß eine Minute, um sie zu
finden. Ich folge einfach den Würgegeräuschen. Sie hat es nicht ganz bis zu den
Toiletten geschafft. Sie ist in der Tür zusammengekrümmt und erbricht sich auf
den weißen Linoleumfußboden.
Ich steige über sie und hole ein paar Rollen
Toilettenpapier, um alles wegzuwischen. Ich nehme an, das ist eine Woche TP
Ration.
Ich trage den Haufen, zusammen mit einem
Becher Wasser wieder zur Tür, setze mich neben sie auf den Boden und sehe ihr
ein paar Minuten lang dabei zu, wie sie sich ihr kleines Herz aus dem Leib
kotzt.
Als sie fertig ist, setzt sie sich auf ihre
Knie und ich gebe ihr das Wasser und eine Handvoll Papier, damit sie sich ihren
Mund abwischen kann. Ich beginne sauberzumachen, obwohl sie mir sagt, ich muss
das nicht tun.
Ich bringe es fertig, das meiste von dem
Zeug vom Boden wegzuwischen und die Toilette hinunterzuspülen. Es stinkt
trotzdem. Nichts riecht schlimmer als abgestandene Kotze.
"Geht es dir besser?" frage ich
und setze mich wieder neben sie auf den Boden.
"Ein bisschen. Danke."
"Hast du es Alex gesagt?"
"Alex was gesagt?"
"Ich habe die Tests gesehen, die du an
dir durchgeführt hast, Dana."
"Roseanne, ...nicht."
"Nicht was?"
"Ich möchte jetzt nicht darüber
reden."
"Warum nicht?"
"Weil ich...ich weiß noch nicht, was
ich tun soll."
Tun? Was zur Hölle kann sie tun? Sie ist
schwanger. Es ist ja nicht so, dass sie das sehr lange geheim halten kann.
Außer...
"Dana, du denkst doch nicht etwa
darüber nach, es loszuwerden, oder?"
Das Ausbleiben einer Antwort ist Antwort
genug. Ich bin nicht sicher, was ich dazu sagen soll. Sicher ist es ihre
Entscheidung und wir haben die Technologie, um es sicher durchzuführen.
Aber irgendwas schreit dabei einfach
"falsch". Und nicht wegen irgendwelcher moralischer Bedenken. Es
erscheint mir einfach wie eine vertane Chance. Eine
Chance, die ich niemals haben werde. Eine Chance, von der sie selbst dachte,
sie würde sie nie haben.
"Dana, das ist, es ist ein Wunder. Es
ist unglaublich. Dir ist hiermit eine wunderbare Chance gegeben worden."
"Wunderbare Chance? Roseanne, schau
dich um. Wie kann ich es rechtfertigen, jetzt ein Kind in diese Welt zu setzen?
Wie kann ich ein - ein Baby haben und noch nicht einmal wissen, ob in fünf
Jahren noch jemand am Leben ist, der sich darum kümmert?"
Das ist ein hartes Argument. Natürlich hat
sie recht. Trotzdem habe ich das Gefühl, sie macht einen Fehler. Ich habe das
Gefühl, dieses Baby ist der Hoffungsschimmer, den wir alle so verzweifelt
brauchen. Aber wie fair wäre es, all diese Erwartungen auf ihre Schultern zu
laden? Sie ist nur eine Frau, die versucht zu leben.
Ich bin sprachlos.
"Du...du solltest es ihm trotzdem
erzählen."
Sie wischt wieder über ihren Mund und sieht
mir in die Augen. So viel Traurigkeit liegt darin, als sie mich fragt, "Welchem
ihm?"
Ende Kapitel 1
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Kapitel 2
Ich habe keine Alpträume mehr gehabt. Nicht
mehr seit dieser Nacht, in der sie mir gesagt hat, dass sie mich liebt. Nicht
mehr, seit sie mir vergeben hat. Nein, ich hatte keine Alpträume mehr, aber
meine Träume waren auch nicht gut. Es waren diese Art Träume, wie ich sie als
Kind hatte. Nicht furchtbar genug, um Alpträume zu sein, aber nicht gut genug,
um sie zu genießen. Angstträume. Träume davon, zur Schule zu kommen und keine
Hosen anzuhaben, die Hauptrolle in einem Stück zu spielen und meinen ganzen
Text vergessen zu haben.
Heute haben sich die Gefühle aus meinen
Träumen in der Realität manifestiert. Das Meeting war nicht so schlimm, wie es
hätte sein können. Niemand hat eine Waffe gezogen und mich erschossen. Nicht
furchtbar vielleicht, aber nicht gut.
Durch Danas hastigen Abgang habe ich mich
noch verletzbarer und unsicherer dort oben gefühlt, und ich war unfähig, mich
auf die vor mir liegende Aufgabe zu konzentrieren, weil ich mir so viele Sorgen
um sie gemacht habe. Die Leute haben sich ein bisschen beruhigt und ich hatte
die Möglichkeit, ein paar von meinen Plänen vorzustellen, aber nichts von dem,
was ich sagte, wurde mit viel Enthusiasmus aufgenommen.
Und ohne Dana war ich nicht in der Lage,
wirkliche Begeisterung oder Überzeugungskraft auszustrahlen. Sie haben durch
mich hindurch gesehen, direkt in das Herz meiner Angst und Verwirrung. Ich
hätte genauso gut nackt sein können.
Obwohl sie still waren, konnte ich ihren
Zorn spüren, ihre Abscheu vor meiner Hilflosigkeit. Ich habe diese Dinge selbst
empfunden. Warum sollten sie es also nicht tun? Sie wissen es so gut wie ich.
Der Kaiser hat wirklich keine Kleider. Oder Nahrungsmittel. Oder
Toilettenpapier.
Der Himmel ist dunkel heute Nacht. Kein
Stern beleuchtet meinen Weg, als ich nach Hause laufe. Kein Mond scheint auf
die Bäume und zeigt mir, ob sich jemand hinter ihnen verbirgt. Ich beginne, ein
wenig schneller zu laufen, schaue ziemlich oft über meine Schulter und
wünschte, ich hätte mich dazu entschlossen, mit Brian zurückzugehen. Oder sogar
mit Mulder. Weil wir gerade von bemitleidenswert sprechen.
Zu dem Zeitpunkt, an dem ich an meiner
Zimmertür ankomme, habe ich tatsächlich meine Waffe aus dem Holster
gezogen und halte sie in der Hand. Ein bisschen Paranoia hat noch nie jemandem
geschadet, nehme ich an. Mir hat sie sicher schon öfter geholfen, als ich
zählen kann.
Als ich die Tür öffne, finde ich Roseanne
auf der anderen Seite, die über meinen Anblick ein wenig erschrocken aussieht.
"Was machst du mit dem Ding? Versuchst
du, jemanden umzubringen?" flüstert sie ärgerlich.
Das Zimmer ist fast so dunkel, wie es
draußen war. Sie hat nur ein kleines Licht über dem Herd angeschaltet. Ich lege
die Waffe auf den Küchentisch und sehe mich nach Dana um.
"Wo ist sie?"
"Sie schläft, Alex. Sei leise."
"Okay...aber, ist sie in Ordnung?"
"Es geht ihr gut. Es wird ihr wieder
gut gehen."
Ich laufe wieder zum Schlafzimmer zurück und
Roseanne versperrt mir mit ausgestrecktem Arm den Weg.
"Lass sie einfach schlafen, Alex. Sie
braucht Ruhe."
"Was zum Teufel ist los mit ihr?"
Sie starrt mich einen Augenblick lang mit
einem extrem eigenartigen Gesichtsausdruck an. Mitleid? Es sieht fast wie
Mitleid aus.
"Nichts. Es ist nichts mit ihr los, Alex.
Sei ... sein einfach leise. Und wenn sie aufwacht sorge dafür, dass sie ein
bisschen Saft trinkt."
"Saft?"
"Ja, Saft. Du hast doch welchen,
oder?"
"Ich nehme an. Keine Ahnung."
Mein Gott, ich kann nicht denken. Wie zum
Teufel kann sie von mir erwarten, dass ich weiß, ob ich Saft habe oder nicht?
Wie soll ich mich gerade jetzt an so etwas erinnern können?
"Kümmere dich einfach um sie, Alex.
Sorge dafür, dass sie etwas nahrhaftes zu essen
bekommt und ... kümmere dich einfach um sie."
Mich um sie kümmern? Was denkt sie, was ich
vorhabe?
"Roseanne, was ist mit ihr los?"
"Nur...nur eine Magengrippe denke
ich."
Sie lügt mich an. Das weiß ich. Aber ich
will von ihr die Wahrheit sowieso nicht hören. Ich muss mit Dana sprechen.
"Magengrippe. Das ist sehr interessant.
Ähm, Roseanne, könntest du ...äh..."
Ich gestikuliere in Richtung Tür und sie
beeilt sich, dorthin zu kommen, offensichtlich genauso bestrebt, hier zu
verschwinden, wie ich bestrebt bin, sie loszuwerden. Ich öffne ihr die Tür,
aber gerade als ich sie hinter ihr wieder schließen will, dreht sie sich um und
sagt mir ein weiteres Mal, "Kümmere dich um sie, Alex."
Wenn sie das noch einmal sagt, werde ich ihr
eine runterhauen, also schließe ich schnell die Tür, bevor sie die Chance dazu
bekommt.
Als ich mich wieder umdrehe, steht Dana,
oder vielmehr lehnt an der Wand.
"Dana."
"Es geht mir gut. Es geht mir
gut."
"Bist du sicher? Komm her und setz
dich."
Ich gehe rüber zur Couch und tippe auf die
Kissen, aber sie bewegt sich nicht. Es ist so verdammt dunkel hier drin. Ich
kann kaum ihr Gesicht erkennen. Sie sieht allerdings schwach aus.
"Was ist passiert? Roseanne sagte, du
hättest eine Magengrippe?"
"Äh..." Sie stößt sich von der
Wand ab und ihre Beine fangen sofort an nachzugeben.
"Hier, komm und setz dich."
Sie läuft zur Couch, aber braucht eine
unnormal lange Zeit dazu. Jeder Schritt scheint ein Kampf für sie zu sein. Als
sie endlich wieder neben mir sitzt, seufzt sie erleichtert.
"Wie ist es gelaufen?" fragt sie.
"Es war ... es ging. Keine Ahnung.
Nicht besonders toll."
"Na ja, jedenfalls bist du immer noch
am Leben."
Sie lächelt mich schwach an und lächle noch
viel schwächer zurück.
"Ich habe ihnen ein paar von meinen
Ideen vorgetragen."
"Und?"
"Nicht viel Reaktion. Aber niemand
hatte andere Ideen. Nicht, dass sie es erwähnt hätten, aber ich denke, sie
planen gerade jetzt eine Meuterei."
Sie nimmt meine Hand in ihre beiden Hände
und zieht sie auf ihren Schoß. Sie trägt einen dieser flauschigen Flanell
Schlafanzüge, die ich so mag und ihre Beine fühlen sich so weich und warm an.
So sicher. Ich fühle mich fast das erste mal am
heutigen Tag sicher.
"Alex, du musst dir klarmachen, dass
sie ebenso verwirrt sind wie wir. Und was es noch schlimmer macht ist, dass sie
fühlen können, dass du dich unbehaglich fühlst. Was hast du am Anfang getan, um
ihr Vertrauen zu bekommen? Bevor ich hier war?"
Bevor sie hier war. Das erscheint mir wie
ein anderes Leben. Eine Million Jahre her. Ich erinnere mich aber daran. Ich
erinnere mich an einen ähnlichen Kampf und an das Selbstvertrauen, das ich
damals hatte.
"Ich wusste Dinge. Ich hatte
Verbindungen. Ich wusste, wie ich sie in Sicherheit bringen konnte."
"Na ja, du hast immer noch ein paar
Verbindungen. Oder vielleicht brauchst du noch nicht einmal Verbindungen.
Vielleicht können wir jetzt selbständig sein."
"Ich möchte das gern glauben."
"Nein,"
sie drückt meine Hand und sieht mir aufmerksam in die Augen. "Du MUSST es
glauben. Verstehst du?"
"Ich versuche es, Dana. Es ist nur so,
wenn ich mir alles realistisch betrachte, ist es schwer zu sehen, wie das
funktionieren soll."
"Du musst als aller erstes aufhören,
gegen sie anzukämpfen. Du musst ihnen das Gefühl geben, dass sie persönlich für
ihr eigenes Überleben verantwortlich sind."
"Kämpfen? Ich bin nicht der, der
kämpft, Dana. Wie soll ich reagieren, wenn sie mich ansehen wie ein Rudel
tollwütiger Hunde?"
"Siehst du, das ist es, wovon ich
spreche. Höre auf damit zu reagieren. Ich sage nicht, dass sie recht haben und
du unrecht. Oder umgekehrt. Du musst sie zur Selbständigkeit anleiten, in jeder
Hinsicht. Es ist der einzige Weg, wie wir überleben können. Und ich glaube,
dass du das tun kannst, Alex."
Oh, Djewotschka,
ich weiß, dass du recht hast. Aber im Moment will ich niemanden zu irgendetwas
anleiten. Ich will mich einfach nur in deinen Armen zusammenrollen und
schlafen.
"Ich bin einfach so müde, Dana. Ich bin
dessen so müde."
"Ich weiß. Aber du bist schon so weit
gekommen. Gib jetzt nicht auf, Alex."
Ich lege meinen Kopf nach unten auf ihre
Schulter und vergrabe meine Nase in der Beuge ihres Halses, noch nicht bereit,
schon aufzugeben, aber bereit, mich auszuruhen. Sehr bereit dazu, mich in den
Kokon unseres Bettes einzuhüllen und die einzige gute Sache zu genießen, die es
auf dieser Welt noch gibt.
"Alex..."
"Hmm?"
"Ich muss...ich muss dir...etwas
sagen."
"Was denn, Baby?"
"Es ist etwas, dass du nicht gern hören
wirst."
Ich hebe meinen Kopf von ihrer Schulter,
sehe in ihr Gesicht und spüre das erste Zucken eines Herzinfarktes.
"Was?"
"Etwas, das ich nicht beabsichtigt
hatte, dir zu sagen..."
"Du bist krank. Du bist wieder krank,
richtig? Es ist zurück."
"Nein. Nein, Alex. Nein."
"Nein?"
"Nein."
In Ordnung. Dann ist es in Ordnung. Es
könnte nichts schlimmeres als das sein. Es gibt nichts,
was schlimmer wäre als das.
"Also, was ist es?"
Sie drückt ein letztes Mal meine Hand, lässt
sie dann los, fährt mit den Fingern durch ihre Haare und sieht zur Decke.
"Oh Gott, wie kann ich das tun?"
"Dana, was ist es? Es kann nicht so
schlimm sein."
"Es ist schlimm, Alex. So...Gott."
Tausende von Möglichkeiten schwirren in
meinem Kopf herum und eine davon schwingt sich an die Spitze und die ist fast
genauso schlimm wie der Krebs. Sie verlässt mich. Sie liebt mich nicht und sie
verlässt mich wegen Mulder. Oder einfach nur so.
Aber das kann nicht stimmen. Sie hat mir
gesagt, sie liebt mich. Sie hat es gesagt. Warum hätte sie sich die Mühe machen
sollen, wenn es nicht wahr wäre?
"Dana, bitte, sag es mir einfach. Du
machst mir Angst."
Sie atmet tief und zitternd ein und als sie
ausatmet, sehe ich, wie sich in ihrem Augenwinkel eine Träne bildet. Ich
beobachte, wie sie an ihrer Wange herunterrollt, während sie sagt,
"Mulder. Mulder und ich...nachdem du
gegangen bist, nach unserem Streit, als du...als du wolltest, dass ich dich
verlasse. Ich..."
"Du was?"
"Ich war so verwirrt. So verletzt. Ich
habe mich so schuldig gefühlt."
Oh Gott. Nein. Einfach...nein.
"Was hast du getan?"
"Ich..."
Sie sieht zu mir auf, jetzt offen weinend
und ich weiß, was sie getan hat. Ich weiß es. Und ich spüre, wie sich die Wände
um mich herum zusammenschließen, der Boden unter mir strudelt und droht, mich
in einem Abgrund zu verschlingen. Mein Herz schlägt noch schneller als vorher
und obwohl es zwanzig Grad minus draußen sind, schwitze ich und möchte das
Fenster öffnen.
Aber außerdem spüre ich Hoffnung, widerlich
in ihrer Zwecklosigkeit, dass es nicht so schlecht ist, wie ich denke, dass es
ist.
"Ich bin zu ihm gegangen, Alex."
"Und?"
Sie starrt mich nur an, fleht mich mit ihren
Augen an, es selbst rauszufinden, so dass sie es nicht sagen musst. Naja,
vielleicht habe ich es rausgefunden, aber sie wird nicht so leicht davonkommen.
"Bitte hasse mich nicht. Bitte."
"Sag mir einfach, was du getan
hast."
"Oh, Alex. Ich war so...ich habe mich so
verloren gefühlt. Und ich, ich habe mich an die einzige Sache gewendet, die mir
vertraut war."
"Dana...?"
"Ich habe die Nacht mit ihm verbracht,
Alex."
Mein Mund trocknet aus und meine Kehle
scheint sich zusammenzuziehen und eine Minute lang bringe ich kein Wort heraus.
"Was bedeutet das? Hast du...bitte sag
mir, dass du es nicht getan hast."
Sie sitzt einfach da, zitternd und weinend
und sagt nicht eine einzige verdammte Sache mehr. Also das ist es. Sie hat es
mit ihm getrieben. Genau so, wie ich es erst gedacht hatte. Ich habe sie
rausgeworfen, weil ich dachte, sie treibt es mit ihm und was tut sie? Sie geht
hin und treibt es mit ihm. So kannst du auch beweisen, dass ich Recht habe,
Dana. Himmel Herrgott.
Aber was kann ich wirklich sagen? Was sollte
ich sagen? Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
"Wie oft?" ist schließlich das,
was ich sage. Sie starrt weiterhin und weint.
"Einmal, Alex. Einmal,"
flüstert sie mit etwas Empörung in der Stimme. Als wenn es eine unvernünftige
Frage wäre. Als wenn was mit mir nicht stimmen könnte, dass ich denke, es
könnte mehr als das gewesen sein. Was zur Hölle sollte ich denken?
Was zur Hölle sollte ich tun? Mir ist zum
Kotzen zumute. Und danach, anschließend Mulder zur Strecke zu bringen und ihm
seine Eier in den Hals zu schieben.
Aber Dana...mein Gott, Dana. Was sollte ich
zu ihr sagen? Ich kann es noch nicht mal mehr ertragen, in ihre verweinten
Augen zu sehen. Ich kann nicht wütend auf sie sein, wenn sie weint. Ich habe
das Gefühl, sie erwürgen zu müssen und dann sehe ich sie an und zerfließe
einfach.
Ich stehe von der Couch auf und bewege mich
zum Küchentisch, drehe ihr meinen Rücken zu, so dass ich nicht mehr ihr mitleiderregendes
Gesicht sehen muss und sie mir leid tut.
SIE tut mir leid.
"Alex, was auch immer du jetzt von mir
denkst, ich möchte...ich muss dich daran erinnern, dass ich dich liebe. Das
habe ich immer. Nichts könnte das ändern."
Ein Bild von den beiden zusammen entsteht in
meinem Kopf, sie, wie sie sich sinnlich und gleichmäßig auf ihm bewegt und er,
wie er mit einem ekelerregend glückseligen Gesichtsausdruck unter ihr liegt.
Ich muss mich sehr zusammenreißen mich nicht umzudrehen und sie zu fragen, was
zur Hölle sie denkt, was dieses Wort bedeutet.
Aber das frustrierende daran ist, ich weiß,
dass sie weiß, was es bedeutet. Und ich weiß, dass sie mich liebt. Nach allem,
was wir gerade durchgemacht haben, allem, was sie vorhin zu mir gesagt hat,
über ihren Glauben an mich und ihre Unterstützung, wie könnte ich das überhaupt
in Frage stellen? Und nach allem, was sie mir vergeben hat, wie kann ich ihr da
eine Sünde nachtragen?
Aber wie kann mich das nicht krank machen?
Wie kann es mich nicht dazu bringen zu hassen?
"Dieser...Hurensohn."
"Nein, Alex, nicht. Ich bin zu ihm
gegangen. Als mein Freund, mein...mein Geliebter aus der Vergangenheit."
"Das ist mir egal, Dana! Es ist mir
egal, ob du nackt Mambo auf seinem Kopf getanzt hast. Dieser verfluchte Bastard
hat mich angelogen!"
"Gelogen? Was meinst du mit,
gelogen?"
Wie schnell wir doch vergessen. Ich nehme
an, dieser kleine 'Waffenstillstand', den mir Mulder vor all den Monaten
angeboten hat, so bedeutungslos war, wie ich damals geahnt hatte. Es hat sie
sicherlich trotzdem beeindruckt. Aber jetzt hat sie es vergessen. Sie hat
vergessen, dass er mir gesagt hat, er hätte sie aufgegeben. Dass er willens
wäre, sie gehen zu lassen, so dass sie mit mir zusammen glücklich sein könnte.
"Es spielt keine Rolle. Jetzt nicht mehr.
Schlimmer noch als das, er hat dich ausgenutzt, Dana."
"Nein, Alex, so war es nicht."
Gott, bitte. Bitte halt die Klappe. Bitte
hör auf ihn zu verteidigen und mir zu erzählen, dass du es wolltest. Ich muss
jemanden hassen können. Ich will nicht dich hassen, Dana.
Bitte.
"Hör zu, ich möchte nicht, dass du ihm
dafür die Schuld gibst, Alex."
"Nein, natürlich willst du das
nicht."
"Sieh mal, wenn ich mich recht
entsinne, durfte ich nicht mehr in unserem Bett schlafen."
Also was, musste sie sich zwei Tage später
im Bett eines anderen zur Hure machen? Gibt es hier nicht genug Betten?
Oh Gott, beruhige dich. Ich kann sie das
nicht sehen lassen.
"Also, was ist dein Punkt, Dana? Es ist
nicht seine Schuld, es ist meine?"
"Nein! Alex, mein Gott. Muss es immer
die Schuld von irgendjemandem sein? Es ist...einfach passiert. Es ist vorbei.
Ich habe es getan. Was zur Hölle spielt es jetzt noch für eine Rolle, wessen
Schuld es war?"
"Ich WEISS es nicht Dana! Warum
erzählst du es mir, wenn es für dich keine Rolle mehr spielt? Willst du, dass
ich mich noch beschissener fühle, als ich es schon tue?"
Ich brülle jetzt. Brülle, und bin selbst den
Tränen nahe und das ist einfach nicht gut.
"Nein. Nein, Alex. Ich erzähle es dir,
weil ich es muss. Weil ich...weil ich keine Magengrippe habe."
Sie schnieft und wischt ihr Gesicht mit den
Ärmeln ihres Schlafanzuges ab, als ich mich zu ihr umdrehe.
"Was zum Teufel soll das
bedeuten?"
"Ich habe mich nicht heute in der Halle
übergeben, weil ich eine Magenkrankheit habe. Ich habe mich übergeben, weil
ich... weil...ich bin schwanger."
Wir starren und danach eine ziemlich lange
Zeit ein. Nach ein paar Minuten, während denen ich es in Erwägung gezogen habe,
meine Haare Strähne für Strähne auszureißen oder, besser noch, einfach aus dem
Fenster zu springen und allem schnell ein Ende zu machen, zuckt sie kurz und
eigenartig mit den Schultern und bricht die Erstarrung.
"Dana, ich kann nicht ... ich verstehe
das nicht. Es ist nicht möglich. Du kannst nicht schwanger sein."
Sie zuckt wieder mit den Schultern und
wischt noch mehr Feuchtigkeit von ihrem Gesicht.
"Ich bin es. Ich habe jeden möglichen
Test durchgeführt, außer irgendeinem armen Kaninchen meinen Urin zu injizieren
und ich bin ohne jeden Zweifel schwanger."
"Aber es ist nicht...das ist physisch
nicht möglich, Dana."
"Es sind schon eigenartigere Dinge
passiert."
"Nicht in letzter Zeit."
"Der Punkt ist, es ist eine
unbestreitbare Tatsache. Ich bin schwanger."
Die Realität dieser zweiten, erderschütternden Eröffnung, die sie mir heute Abend
gemacht hat, fängt an, sich ein wenig zu setzen und einen kurzen, erbärmlichen
Moment lang bin ich irgendwie glücklich. Sie wird ein Baby haben. Wir werden
ein Baby haben.
Aber dann erinnere ich mich an ihre erste Aussage.
"Also, du erzählst mir diese beiden
Dinge zur gleichen Zeit, weil..."
Ihr Kopf senkt sich und sie kaut auf ihren
Lippen, ein Zeichen dafür, dass noch mehr schlechte Neuigkeiten kommen werden.
"Du bist mit seinem Baby
schwanger."
Ein schwerer Seufzer und dann ein sehr
leises, kaum hörbares, "Vielleicht."
"VIELLEICHT?!"
Sie nickt und ich sinke in einen der
Küchenstühle, weil mich meine Beine nicht mehr tragen können.
"Du und ich, äh, das war weniger als
zweiundsiebzig Stunden nach Mulder. Ich glaube weniger als
achtundvierzig."
"Oh mein Gott."
Oh mein Gott. Oh Gott. Mir wird schlecht.
Wirklich.
"Alex, ich...ich weiß nicht, was ich
sagen soll."
"Hast du Mu...hast
du es ihm schon gesagt?"
"Nein, nein, das habe ich nicht. Ich
denke nicht, dass ich das tun werde."
"Na ja, es wird ziemlich schwierig
werden, es geheim zu halten, wenn du anfängst aufzugehen wie ein Ballon."
"Nein, Alex, nein. Ich werde es nicht
behalten. Ich werde die Schwangerschaft abbrechen."
"Du...was?"
"Roseanne kann mir helfen. Es ist
völlig sicher."
"Nein, Dana. Du, das kannst du
nicht."
"Ich muss, Alex."
"Ich kann nicht...ich verstehe das
nicht. Ich verstehe nichts von alledem."
"Alex, denk doch mal darüber nach.
Erstens, wenn es Mulders Kind ist, könnte es noch nicht mal menschlich sein.
Wer weiß, was es werden könnte? Und dann, wenn ich es habe, was ist, wenn etwas
passiert? Wie kann ich ein Kind in diese Welt setzen, Alex? Wenn wir noch nicht
einmal wissen, wie wir von Tag zu Tag überleben sollen?"
"Ich weiß nicht...ich weiß nicht. Ich
...Himmel, ist da noch MEHR?"
Ich erwarte schon fast, dass sie ihre Haut
abstreift und ihr grünes, schuppiges Inneres enthüllt oder dass sie mir sagt,
sie würde den Widerstandskampf aufgeben und zum Clown-College
gehen.
Aber sie schüttelt ihren Kopf, nein. Da ist
nicht noch mehr.
"Ich kann meine Sachen schnell
zusammenpacken, wenn du willst, dass ich gehe."
"Du willst gehen? Hast du mir das alles
deswegen erzählt? Damit ich dich wieder rausschmeiße und du frei sein
kannst?"
"Nein. Ich möchte bleiben. Ich brauche
dich, Alex. Jetzt mehr als je zuvor."
Ich plumpse in den Stuhl und reibe meine
Augen, versuche sie aus meinem Blickfeld zu verbannen, so dass ich klar denken
kann. Wie zum Teufel soll ich klar denken können? Wie soll ich mich davon
abhalten, zu schreien oder diesen Ort in Stücke zu schlagen? Wie hat sie das
getan, als ich ihr gestanden haben?
Aber das war anders. Da ging es um die
Vergangenheit, um Dinge, die ich ihr vor vielen Jahren angetan habe, als ich
sie noch nicht einmal kannte. Das ist jetzt. Das ist persönlich. Sehr
persönlich.
Nach ein paar Minuten spüre ich sie hinter
mir, wie sie meine Schultern berührt und leicht massiert.
"Ich liebe dich, Alex. Das tue ich
wirklich."
"Das ist einfach...es ist ein großer
Haufen Mist, Dana."
"Ich weiß. Es tut mir Leid."
Sie lehnt ihren Kopf nach unten, küsst mein
Ohr und flüstert es wieder, "Es tut mir Leid. Ich wollte dir nie weh
tun."
"Gibt es eine Möglichkeit rauszufinden,
wer der Vater ist?"
"Das spielt doch nicht wirklich eine
Rolle, oder? Ich habe dir gesagt, ich kann nicht mit gutem Gewissen ein Kind
auf diese Welt bringen."
"Aber was ist, wenn es meins ist? Wenn
es unseres ist? Möchtest du das nicht?"
"Ich - wie kann ich das, Alex?"
"Was ist auf einmal mit ‚gib nicht auf'
passiert? Siehst du nicht die Hoffnung darin?"
"Ich habe Hoffnung. Meine Hoffnung ist
du und ich. Wie kann man von einem Kind erwarten, dass es Hoffnung hat, wenn es
in diese Welt hineingeboren wird? Es würde noch nicht mal diesen Bezugspunkt
haben, wie wir ihn haben."
Ich kann die Logik in dem sehen, was sie
sagt. Aber irgendetwas in mir schreit einfach, dass das falsch ist. Selbst wenn
es nicht meines ist. Selbst wenn mich das umbringen würde. Selbst wenn ich
allein bei dem Gedanken daran, dass das möglich wäre, fühle, wie ich langsam
sterbe.
"Wir könnten ihr das geben. Vielleicht
ist sie ja besser dran ohne diesen Bezugspunkt. Sie würde völlig neu sein und
frisch, ohne all diese Erwartungen und Bedürfnisse."
"Ich weiß es nicht, Alex. Ich weiß es
nicht. Ich weiß...es einfach nicht."
"Dann denk darüber nach. Bitte."
"Das werde ich. Ich werde darüber
nachdenken. Aber jetzt im Moment, Alex, genau jetzt muss ich etwas anderes
wissen."
Sie kniet sich vor mir hin, legt ihre Hände
auf meine Oberschenkel und sieht mit offenem, flehendem Gesichtsausdruck zu mir
hoch.
"Ich muss wissen, das
du mir vergibst, Alex. Oder dass du mir irgendwann verzeihen kannst, wenn auch
nicht jetzt. Ich muss wissen, dass du es versuchen willst."
Vergebung. Du bist so gut darin, Dana. Ich
bin es nicht. Ich bin nicht gut darin, zu vergeben und zu vergessen. Und jetzt
im Moment...genau jetzt, stürmen die Bilder meinen Verstand, drehen und wenden
sich wie irgendein surrealer, pornographischer Diavortrag. Wie soll ich sie
jemals wieder berühren können, ohne diesen Mist zu sehen? Wie soll ich ihr das
geben können, was sie mir so leicht gewährt hat? Wie soll ich sie ansehen
können, ohne dass es mir weh tut?
Ich möchte dir verzeihen, Dana. Bitte sag
mir, wie.
Ende Kapitel 2
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 3
"Liebst du ihn noch, Dana?"
Die Frage ist eigentlich einfach, aber die
Antwort ist die komplexeste Sache der Welt. Es ist nicht die Frage, die ich von
ihm erwartet hätte. Nichts ist so gelaufen, wie ich es erwartet hatte.
Ich hatte Zorn erwartet. Wut. Tellerwerfen
und Schreien und dass er mich für immer aus seinem Zimmer und aus seinem Leben
wirft. Ich dachte nicht, dass er mich wirklich schlagen würde, aber ich habe
erwartet, dass er das wollen würde.
Ich nehme an, ich hätte es besser wissen
müssen. Das wäre eine Standardreaktion gewesen und Alex ist alles andere als
Standard. Er schlägt nur auf diese Weise um sich, wenn seine Wunden
oberflächlich sind. Wenn sie so tief einschneiden, wie die Dinge, die ich ihm
gerade erzählt habe, zieht er sich fast vollständig in sich zurück. Je mehr es
ihm weh tut, um so ruhiger erscheint er. Aber ich
kenne ihn. Ich weiß, dass hinter dieser relativ gelassenen Oberfläche ein Sturm
tobt. Und die Art, wie ich auf seine Frage antworte, könnte ihn zerstören.
Aber ich muss ihm die Wahrheit sagen. Ganz
besonders jetzt. Es gibt keine andere Wahl.
"Ja, das tue ich. Das werde ich
immer."
Er zuckt zusammen, als wenn ich ihn
geschlagen hätte, was ich wahrscheinlich genauso gut hätte tun können.
Vorsichtig berühre ich seine Wange mit meinen Fingerspitzen. Seine Haut ist
eiskalt.
"Ich liebe Mulder, Alex, aber du bist
der Grund, aus dem ich früh aufstehe. Du bist derjenige, der mir die Kraft
gibt, den Grund, in dieser Welt weiterzumachen."
Er atmet heftig ein und zieht sich verspätet
von meiner Berührung zurück. Seine Augen leuchten und brennen, als er mich
anstarrt und nach der Wahrhaftigkeit in mir sucht.
"Bereust du, was du getan hast?"
fragt er kühl, nach einer langen Pause.
Wieder gibt es auf diese Frage keine rechte
Antwort. Und die anklagende Natur der Frage erschreckt mich. Ich nehme an, dass
es auf eine verdrehte Weise ein gutes Zeichen ist. Wenigstens gibt er jetzt
nicht mehr Mulder die alleinige Schuld. Akzeptanz ist der erste Schritt zur
Vergebung.
"Ich bereue, dass ich dir weh getan
habe, Alex. Das ist nichts, was ich jemals gewollt habe. Aber ich...ich kann
nicht sagen, dass es mir Leid tut, dass es passiert ist. Es war ein Abschluss,
den wir beide gebraucht haben. Und es hat mir geholfen, mir darüber klar zu
werden, wie sehr ich es jetzt brauche, mit dir zusammen zu sein."
"Du musstest es mit jemandem treiben,
um zu bemerken, dass du mich liebst? Ist es das, was du sagst?"
"Nein, das ist nicht..."
Oh, wie kann ich das tun? Wie kann ich es
erklären, wenn ich es noch nicht einmal selbst verstehe? Ist es so einfach, wie
er es gerade gesagt hat? Nein. Es war mir schon sehr lange vorher klar, dass
ich ihn liebe.
"Es hat mir geholfen, eine Tür zu
schließen, die schon viel zu lange offen war. Es hat mich befreit, nicht dazu,
dich zu lieben, Alex. Ich habe dich schon geliebt, aber dadurch konnte ich dir
diese Liebe geben. Ich konnte dir mein Herz geben. Vollständig."
Ich greife nach seiner Hand, die zur Faust
geballt auf seinem Oberschenkel liegt. Ich hebe sie an und drücke sei auf meine
Brust.
"Alex, du bist derjenige, der hier
lebt, in meinem Herzen. In jeder Minute jeden Tages."
Seine Finger strecken sich langsam und seine
Handfläche drückt sich gegen mich. Seine Augen sind voller Tränen und ich
stelle fest, dass sich meine eigenen als Antwort darauf auch füllen.
"Ich liebe dich, Alex. Ich brauche dich," kriege ich durch den Klumpen in meiner Kehle heraus.
"Du bist meine Wahl. Nicht mal meine Wahl. Es gibt keine Wahl. Du bist es
für mich. Der einzige, den ich.. der einzige."
Er nickt und drückt meine Hand, bevor er sie
wegzieht und seine Augen wischt.
"Ich muss...ich muss gehen," murmelt er.
"Gehen? Was, was heißt das?"
"Es heißt, dass ich gehen muss. Ich
werde nur..."
Er steht auf und stößt den Stuhl nach hinten
um in seiner plötzlichen Eile, von mir wegzukommen.
"Wirst du wiederkommen?"
Er nimmt sich seinen Mantel von der
Couchlehne und zieht ihn an, ist schon halb aus der Tür, bevor er sich umdreht,
um mich anzusehen. Ich knie immer noch auf dem Boden, starre auf den
umgekippten und verlassenen Stuhl.
"Ich werde zurückkommen. Ich werde
heute nacht zurückkommen.
Ich muss einfach ... ich muss einfach hier weg. Für eine Weile."
"Bitte denke daran, dass ich dich
liebe, Alex. Und dass es mir Leid tut. Bitte denke daran."
"Ich weiß,"
sagt er und geht aus der Tür.
Rennt wieder weg. Aber dieses Mal werfe ich
ihm sein Bedürfnis nach Abstand nicht vor. Ich verstehe es. Ich begrüße es
fast. Alles was ich jetzt tun kann ist darauf zu warten, dass er zu mir
zurückkehrt. Und zu hoffen, dass er sich nicht dazu entschließt, dass er das
lieber nicht tun will.
XXXXXXXXXXXXXXXXX
Ich habe nicht bemerkt, dass Alex sich neben
mich ins Bett gelegt hat, bis das erste graue Licht der Morgendämmerung durch
unser Fenster gekrochen ist. Das war frühestens halb sechs. Er war fast neun
Stunden weg.
Er hatte sein T-Shirt und die Boxershorts
angelassen, aber wenigstens hatte er seine Hose ausgezogen. Ein kleines Zeichen
von Intimität ist besser als gar keins. Und die Tatsache, dass er überhaupt
nach Hause gekommen war, war an sich schon ein gutes Zeichen.
Ich fragte mich, wo er hingegangen ist und
was ihm die ganze Zeit durch den Kopf gegangen ist. Ich wollte mit ihm reden,
ihn im Arm halten, um zu wissen, dass mit uns alles in Ordnung ist.
Aber sobald ich seinen Namen gesagt hatte,
teilte er mir mit, dass es nichts weiter zu sagen gäbe. Er sagte mir, dass er
jetzt erst mal mehr als alles andere Schlaf brauchte.
Also ließ ich ihn.
Ich beobachtete ihn einige Stunden, ertappte
mich dabei, wie die schnellen Bewegungen seiner Augen unter den Lidern mich
fast hypnotisierten. Ich versuchte, mir seine Träume vorzustellen.
Ich muss irgendwann eingenickt sein, denn
als ich nach neun Uhr wieder aufschreckte, war das Bett schon wieder leer. Ich
geriet in Panik, weil ich dachte, ich hätte seine Rückkehr vielleicht nur
geträumt. Aber nach einem Moment hörte ich ihn im Nebenzimmer umherlaufen.
Ich zog meinen Bademantel an und ging, um es
noch mal zu versuchen, mich mit ihm zu unterhalten. Ich fand ihn voll bekleidet
wie er gerade wieder seinen Mantel anzog.
"Wohin gehst du?"
"Arbeit,"
erwiderte er und fügte dann hinzu, "Ich empfehle dir, das gleiche zu
tun."
"Alex, wir..." fing ich an, aber
brachte den Satz nicht zu Ende.
"Ich brauche ein bisschen Zeit, Dana.
Es tut mir Leid."
Dann war er wieder weg.
Also habe ich das einzige gemacht, was mir
einfiel. Ich habe ein paar Sachen angezogen und mich für die Arbeit fertiggemacht.
Ein bisschen Normalität in unserem Leben beizubehalten, ein bisschen Routine,
scheint eine gute Idee zu sein. Aber während ich meine Morgenroutine
durchführe, bringt mich jede Bewegung den Tränen nahe. Hormone. Und die
Sehnsucht nach ihm.
Zeit, hat er gesagt. Er braucht ein bisschen
Zeit. Wie viel Zeit wird genug sein, frage ich mich. Wie lange wird es dauern,
bis er mir wieder in die Augen sehen kann und sich nicht verraten fühlt?
Wie lange wird es dauern, bis er mich wieder
berühren kann?
Er braucht es so sehr, geliebt und gewollt
zu werden. Es bricht mir manchmal das Herz zu wissen, wie zerbrechlich er
wirklich im Inneren ist, trotz seines fast beängstigend kalten Äußeren. Wenn
wir das hier hinter uns bringen und endlich frei sein könnten, endlich in der
Lage wären uns einfach nur zu lieben und einfach...einfach nur sein könnten,
das wäre so gut. So richtig. Wenn ich unsere Chance dazu ruiniert hätte, könnte
ich mir das nie verzeihen.
Ich würde alles dafür tun.
Ich muss hier raus.
Ich bringe das, was ich tun muss schnell zu
Ende und beeile mich, ins Labor zu kommen. Erst als ich schon halb über dem
Campus gelaufen bin wird mir bewusst, dass ich meinen Dämonen nicht entkommen
kann. Mulder ist sicher im Labor und ich werde ihm davon erzählen müssen. Wenn
schon nicht von der Schwangerschaft, aber er muss wissen, dass ich Alex von uns
erzählt habe. Und sei es nur zu seiner eigenen Sicherheit. Das ist keine
Unterhaltung, auf die ich mich freue.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Als ich ins Labor komme, sind Mulder und
Roseanne dort. Allerdings nimmt sich Roseanne, so bald ich durch die Tür bin
den Stapel Papier, den sie sich angesehen hatte und flitzt
an mir vorbei aus der Tür. Sie murmelt etwas von der Bibliothek oder der
Krankenstation. Ich kann es nicht wirklich verstehen, weil sie so leise
spricht. Es ist mir auch nicht so wichtig, dass ich genau hingehört hätte. Ich
bin zu abgelenkt.
Als sie fort ist, weiß ich, dass es jetzt
soweit ist. Es hat keinen Sinn, es aufzuschieben oder darum herumzutanzen. Bevor
er überhaupt hallo sagen kann, sage ich zu Mulder, "Setz dich. Wir müssen
reden."
"Scully...?"
"Ich muss dir etwas sagen."
In seinen Augen steht die Panik.
"Ist es wegen gestern? Darüber, dass es
dir schlecht geworden ist?"
"Nein. Nicht...na ja, doch, aber..."
"Scully? Warum ist dir schlecht
geworden?"
"Es ist nichts, Mulder. Es geht mir
gut. Aber ich..."
"Nein, Scully, was ist es? Es ist nicht
die Behandlung, oder? Ist irgendetwas schief gelaufen?"
"Nein. Nichts ist schief gelaufen.
Ich..."
Ich kann das nicht. Ich kann ihm nicht in
die Augen sehen und das geheim halten. Ich dachte, ich könnte es, aber mir war
nicht klar, wie es sein würde, wie unfair es mir erscheinen würde, wenn ich ihm
gegenüberstehe. Es könnte sein Kind sein. Es ist nicht richtig, ihm das
vorzuenthalten. Ich kann das nicht mehr tun. Keine Geheimnisse mehr.
"Ich bin schwanger,"
sage ich einfach.
Er starrt mich eine Sekunde lang
ausdruckslos an und dann lacht er. Als wenn ich ihm einen verdammten Witz
erzählt hätte.
"Nein, ehrlich Scully. Was ist
los?"
"Mulder..."
Mehr sage ich nicht. Ich nehme nicht an,
dass ich das muss. Mein Gesichtsausdruck sagt ihm wohl alles, was er wissen
muss, weil irgendwann sein Kiefer nach unten klappt und seine Augen sich weiten
und verwirrt aussehen. Ich kann den Hamster in seinem Gehirn fast sehen, der im
Rad herumläuft.
"Die Behandlung?"
"Sie scheint meine Fruchtbarkeit wieder
hergestellt zu haben."
Es entsteht ein langes Schweigen. Ich fühle
mich total unwohl dabei, auf eine Reaktion zu warten, irgendeine Reaktion.
Alles wozu er fähig zu sein scheint, ist noch mehr berauschtes Starren.
"Überraschung,"
murmle ich, eigentlich mehr, um die Totenstille auszufüllen, als aus
irgendeinem anderen Grund.
Ich kann die unausgesprochenen Fragen
regelrecht aus seinem halboffenen Mund kommen hören. Wie? Warum? Wann? Worüber
zur Hölle redest du?
"Wow,"
bringt er schließlich raus. "Das ist...das ist was. Ähm, Glückwunsch. Das
ist großartig. Wirklich."
Oh Mulder. Netter Versuch. Wirklich. Ich
weiß, dass es das ist, von dem er denkt, dass ich es hören will, als versuche
ich wenigstens zu lächeln.
"Nein, Mulder. Es ist nicht...es ist
nicht großartig."
"Nein, nein, das ist es. Scully, dass
sind großartige Neuigkeiten. Das bedeutet, dass all die Frauen, die die
Behandlung erhalten, wieder empfangen können. Wann willst du es ihnen
erzählen?"
Sein Horizont hat sich plötzlich darüber
hinaus erweitert, was es für ihn und für mich bedeutet und jetzt lächelt er. Er
strahlt fast.
"Ich weiß es noch nicht. Mulder, hör
zu. Ich möchte, dass du mir einen Augenblick lang zuhörst."
Sein Blick wird wieder besorgt und er setzt
sich vor mich hin.
"Was ist Scully? Gibt es ein Problem
mit der Schwangerschaft? Es geht alles in Ordnung mit dir, oder?"
"Es ist alles Ordnung, ja. Körperlich
ist alles so weit normal. Allerdings gibt es ein Problem. Mit der
Schwangerschaft. Insbesondere mit der ... der Herkunft."
"Herk...."
Ein weiteres Licht geht sichtbar in seinem
Kopf an.
"Herkunft wie Vaterschaft?"
"Ja. Wie, ich weiß es nicht."
Er nickt, lang und langsam. Ich suche nach
Zeichen von Verurteilung oder Ärger in seinen Augen, aber da gibt es keine.
Allerdings sehe ich ein bisschen Aufregung. Sogar Glück. Er möchte, dass ich es
bekomme. Er möchte, dass es seines ist. Ich kann das spüren. Ich kann es in den
tiefen, heftigen Atemzügen von ihm hören.
"Weiß er..."
"Ja. Das ist teilweise der Grund, aus
dem ich dir das erzähle. Ich würde ihm eine Weile aus dem Weg gehen, wenn ich
du wäre."
"Nein, Scully, darüber mache ich mir
keine Sorgen. Bist du...mein Gott, was wirst du tun?"
"Das einzige, was ich tun kann."
"Und das ist?"
"Mulder, ich kann kein Kind in diese
Welt setzen. Was für ein Leben könnte ich ihm bieten?"
Er lacht wieder, was so ungefähr die letzte
Reaktion ist, die ich von ihm erwartet hätte. Er scheint sich von seinem Schock
relativ schnell erholt zu haben. Jeder ist heute voller Überraschungen.
"Scully, komm schon. Denkst du, dass es
schlimmer ist, als es vorher war? Wenn überhaupt, dann ist es besser."
"Besser? Du denkst es ist
*besser*?"
"Die Leute hier sind gezwungen, viel
gemeinschaftlicher miteinander zu leben und zu arbeiten. Es ist der einzige
Weg, um zu überleben. Ich denke, dass ist besser, als die Art, wie es vorher
war."
"Aber Mulder, wir wissen noch nicht
einmal, ob wir am Enden dieses Monats genug zu essen haben werden. Wir wissen
nicht, ob eine Truppe von Alien Invasoren morgen kommt und diesen Ort
abfackelt!"
"Nein, das wissen wir nicht. Aber waren
unsere Leben wirklich jemals sicher? Ich meine, zur Hölle, diese ganze Sache
ist die ganze Zeit auf uns zugekommen und wir haben es gewusst und haben
trotzdem mit unserem Leben weitergemacht, so gut wir konnten."
"Das ist etwas anderes."
Er hebt eine Augenbraue, fordert mich still
dazu heraus zu erklären, inwiefern das so anders ist. Bevor ich eine Antwort
habe, ist er zu einer zufälligen Anekdote übergegangen.
"Scully, erinnerst du dich daran, wer
Martin Luther war?"
"Ja, natürlich weiß ich, wer Martin
Luther war. Inwiefern ist das von Bedeutung?"
"Na ja, er hatte eine Baumschule. Für
Bäume, weißt du? Die Leute haben ihn gefragt, was er tun würde, wenn morgen die
Welt untergehen würde. Er hat ihnen gesagt, dass er hinausgehen und einen Baum
pflanzen würde."
"Ich bin kein Lutheraner."
"Trotzdem ist das eine ziemlich weise
Art, die Dinge zu betrachten, wenn du mich fragst."
Hat dich irgendjemand gefragt, Mulder? Mein
Gott, was ist überhaupt mit ihm los? Wie kann er so ruhig sein? So vernünftig.
Kocht es nicht ihn ihm?
"Hör zu Scully, ich kann dir nicht
sagen, was du tun sollst. Du solltest das tun, was du für richtig hältst. Was
immer sich für dich richtig anfühlt. Alles was ich sagen kann ist, dass ich es
hassen würde zu sehen, dass du eine Entscheidung aus Angst triffst."
"Ich wollte niemals ein Kind,
Mulder."
"Wolltest du nicht? Was ist mit...
Emily?"
"Emily war nicht meine Wahl."
"Aber du hast sie geliebt."
"Ich habe sie genug geliebt, um sie
gehen zu lassen. Weil sie nicht hätte sein sollen."
"Und du denkst, dass dieses Kind nicht
hätte sein sollen?"
"Ich weiß...ich weiß es nicht."
Ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht mehr
diese persönliche, private Entscheidung zu einer Schlacht von Mulder und Scully
Spitzfindigkeiten machen. Ich kann nicht ruhig das Für und Wider debattieren,
wenn mein Inneres schreit. Wenn ich darüber noch mit einem einzigen weiteren
Menschen reden muss, wird sicher mein Kopf explodieren.
"Scully, du denkst zu viel," sagt er jetzt zu mir. Na ja, ich habe das vorher
nicht getan.
"Denkst du nicht, dass das eine
Entscheidung ist, die Nachdenken erfordert?"
"Ja, aber du denkst dich in eine Wolke
hinein. Warum nimmst du dir nicht einfach deinen Hund und machst einen netten
langen Spaziergang. Kriege deinen Kopf frei. Das macht es dir einfacher, auf
dein Herz zu hören."
Trotz der Abgedroschenheit dieser Aussage,
könnte er recht haben. Ich nehme an, dass ein Spaziergang nicht schaden könnte.
Er steht auf und zieht mich in eine
unerwartete Umarmung, nach dem ich meinen Mantel angezogen habe. Ich drücke ihn
kurz und ziehe mich schnell zurück, erschrocken von meiner Reaktion auf das
kleinste Anzeichen von Zuneigung. Ich habe das Gefühl, als könnte ich schon
wieder weinen. Verdammte Hormone.
Als wir uns wieder ansehen, gibt es keine
Unbeholfenheit. Darüber bin ich froh.
"Scully, du weißt, du weißt, dass ich
dich unterstützen werde, egal was du tust, ja?"
"Ja, ich weiß. Danke."
"Und du weißt, dass ich dich liebe,
ja?"
"Ich weiß Mulder. Ich liebe dich
auch."
Er lächelt mich warm an und mir fällt ein,
dass es noch etwas gibt, das er wissen sollte. Etwas wichtiges.
"Mulder, ich möchte dir sagen, dass
wenn die Umstände...nicht so wären, wie sie sind, ich glücklich wäre, ein Kind
mit dir zu haben."
Das bringt mir ein breites Grinsen ein und
ein Schmatz auf die Wange. Aber hinter diesem Grinsen, in seinen Augen, sehe
ich etwas anderes. Etwas, dass er versucht, vor mir zu verbergen. Vielleicht
ist er nicht so ruhig, wie er scheint. Sicherlich tut ihm das weh. Oder
verwirrt ihn zumindestens. Oder...irgendwas. Mein
Gott, er muss irgendetwas fühlen. Es ist offensichtlich, dass er nicht will,
dass ich die Schwangerschaft abbreche, aber da muss noch mehr in ihm vorgehen.
Ich wünschte, er würde das mit mir teilen, aber ich weiß, dass er das nicht tun
wird. Er will es mir nicht noch schwerer machen. Er hat nicht mehr das Gefühl,
dass er das noch darf. Ich denke ich beginne zu verstehen, wie es in Zukunft
zwischen uns sein wird.
"Pass auf dich auf, Scully," sagt er, als ich aus der Tür gehe.
Als ich draußen bin, allein mit mir, wird
mir bewusst, dass die Dinge nicht mehr so klar sind, wie sie mir noch vor ein
paar kurzen Stunden erschienen. Bevor ich jemandem davon erzählt habe, war ich
sicher. Ich dachte nicht, dass hier eine Entscheidung zu treffen wäre. Jetzt
bin ich nicht so sicher, dass ich mir überhaupt jemals sicher war.
Ende Kapitel 3
XXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 4
Vor langer Zeit hat mir Scully mal erzählt,
dass sie sich nach einem normalen Leben sehnt, dass sie sich manchmal fragt,
wie es sein würde, sich niederzulassen und eine Familie zu gründen. Allerdings
denke ich, dass das für sie nur ein flüchtiger Gedanke war. Ich denke, dass ich
derjenige war, der das tief im Inneren gewollt hat.
Worum ging es mir sonst in meinem ganzen
Lebenswerk?
Ich habe nicht nach dem heiligen Gral
gesucht. Ich habe nach meiner Schwester gesucht, nach einer Familie.
Was ich damals vielleicht nicht begriffen
hatte war, dass ich in Scully eine Familie gefunden hatte. Gefunden und
verloren. Nun bekommt sie ihr normales Leben, so abnormal, wie alles und jedes
um sie herum geworden ist. Als sie es das erste Mal sagte, hoffte ich, dass sie
über uns sprach, darüber, sich mit mir niederzulassen. Vielleicht hat sie das
auch, aber das spielt jetzt keine Rolle. Sie hat ihr häusliches Glück mit
jemand anderem gefunden.
Ich hatte unrecht, was Scully betrifft. Sie
ist nicht wirklich eine andere Frau, als sie früher war. Sie ist immer noch der
Mensch, in den ich mich verliebt habe. In all den Hinsichten, die zählen, in
all denen, die sie zu Scully machen. Sie wird immer stark sein, mutig, stur,
aufreizend logisch. Der Unterschied kommt von den Erfahrungen, die sie ohne
mich gemacht hat und davon, in wen sie sich verliebt hat. Verändert, ja, aber
immer noch Scully. Sie ist nur nicht mehr meine Scully.
Nicht meine Scully, aber sie trägt mit
durchaus vorhandener Wahrscheinlichkeit mein Kind.
Die kühle, äußere Ruhe, dich ich zeigen
konnte, als sie mir diese lebensverändernde Neuigkeit
erzählte, war sowohl zu meinem eigenen Besten, als auch zu ihrem. Ich wollte
stark und hilfreich für sie sein, aber noch mehr als das habe befürchtet, dass
ich zu einem Haufen plapperndem und bettelndem Brei geworden wäre, wenn ich mir
erlaubt hätte, instinktiv und emotional zu reagieren. Es hätte sie sicher nicht
davon überzeugt, dieses Baby zu bekommen. Das wäre in keiner Weise für
irgendjemanden gut gewesen. Wer möchte schon, dass sein Kind einen emotionalen
Mülleimer als Vater hat?
Außerdem war ich nicht sicher, was ich
gefühlt habe. Selbst jetzt, fast zwei Stunden später, bin ich mir immer noch
unsicher. Ich weiß, dass mein Magen in Aufruhr ist und ich den geschmacklosen
Matsch, der vorgibt, ein Mittagessen zu sein nicht genießen kann, auch wenn ich
hungrig war, als ich heute morgen aufgewacht bin.
Alles was ich scheinbar tun kann, ist die grünen und braunen Häufchen auf dem
Teller hin und her zu schieben und aus dem Fenster der Cafeteria zu schauen wie
ein depressiver Geisteskranker.
Es ist eigenartig darüber nachzudenken, wie
die Umstände die Art ändern können, wie man ein Ereignis betrachtet, den Eindruck,
den es macht.
Es gab eine Zeit, als der Gedanke daran,
Scully zu schwängern dem Himmel so nah gewesen wäre, wie ich es mir nur zu
träumen gewagt hätte. Tatsächlich habe ich es mir die meiste Zeit noch nicht
einmal gewagt. Es schien nicht nur unmöglich, sondern auch überaus unpraktisch.
Wenn es jedoch trotzdem passiert wäre, wäre ich überglücklich gewesen.
Jetzt hat sich unsere Situation so drastisch
geändert, dass der Erzeuger von Scullys Kind zu sein etwas nicht zu glaubendes
ist, eine Bastardierung eines Traumes. Es sollte dazu führen, dass ich es
weniger will. Das sollte es, aber das tut es nicht.
Vor einigen Monaten habe ich auf diesem
Platz gesessen und über meinen Karass nachgedacht,
diese Gruppe von Menschen, die um mich herum angeordnet sind, unauflösbar mit
mir verbunden sind und darüber, was möglicherweise der Zweck unserer Verbindung
sein könnte. Ist es das? Bin ich deswegen hier? Um dieses Leben in diese Welt
zu bringen?
Gott, ich sollte das nicht wollen. Aber ich
tue es. Ich tue es wirklich. So schmerzvoll es auch sein wird zu sehen, wie sie
ein Kind mit einem anderen Mann hat, oder wie sie mein Kind gemeinsam mit ihm
aufzieht, und mich dabei als eine Art post-apokalyptischen Wochenendvater
zurücklässt, ich will es trotzdem.
Ich bin kein Idiot. Ich weiß dass, egal wer
die biologischen Eltern sind, wenn Scully dieses Baby bekommt, es das Baby von
ihnen *beiden* sein wird. Ja, wenn es meines ist wird sie mich sicher ein Teil
seines Lebens werden lassen, aber ich weiß, dass sie dann ihre kleine Familie
haben werden und ich werde immer ein Außenstehender sein. So verwirrend das
auch sein würde, es ändert nichts an der Tatsache, dass ich will, dass sie
neues Leben in diese sterbende Welt bringt. Ich möchte, dass eine andere
frische, unschuldige Seele Teil meines Karass' wird.
Ich habe früher gedacht, dass ich ein
schrecklicher Vater wäre. Emotional gestört, impulsiv, extrem von sich selbst
eingenommen, ganz abgesehen von meinem fragwürdigen familiären Background. Es
erschien mir falsch und unfair, ein Kind in *meine* Welt zu bringen.
Ich habe Scully gesagt, es wäre jetzt eine
bessere Zeit, um ein Kind zu haben. Ich habe nicht nur über unsere Umgebung
gesprochen. Ich bilde mir ein, dass ich immer noch meine Antriebskraft habe,
meine Intensität, meinen Willen, nach Gerechtigkeit und Wahrheit zu suchen,
aber mehr als das, würde ich gern überleben. Ich möchte die menschliche Rasse
gern wachsen und gedeihen sehen, anstatt dahinsiechen und sterben, selbst wenn
ich jetzt nicht mehr dazugehöre.
Vielleicht, wenn wir das lebend überstehen,
wir alle, wird die Welt ein besserer Ort sein. Vielleicht werden wir dann etwas
gelernt haben. Oder vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon? Das wichtigste
für mich ist, dass ich mich jetzt besser ausgerüstet fühle, besser vorbereitet
darauf, Vater zu sein, als ich es jemals in meinem Leben war.
Ich hoffe nicht nur einfach, dass sie es
behält. Ich hoffe, dass es meines ist.
Vielleicht bin ich noch selbstsüchtiger, als
ich es vorher war. Ich weiß, dass es schwieriger für sie wäre, wenn es meines
wäre. Aber ich habe jetzt so viel von mir zu geben, so viel Liebe zu
verschwenden.
Trotzdem ist es natürlich ihre Entscheidung.
Ich habe ihr meine Aussichten gezeigt. Es gibt nichts mehr, was ich noch tun
könnte, als wäre es das beste, ich würde es einfach
aus meinem Kopf bekommen. Das beste, aber
wahrscheinlich nicht möglich. So ähnlich wie essen. Ich gebe es auf.
Außerhalb der Cafeteria, im Hof, sitzen die
Leute auf Bänken, spielen mit selbstgebauten Frisbees, liegen auf Decken im
Gras und fangen ein paar Strahlen der Sonne, die hier nur sehr selten zu sehen
ist. Es ist ein wundervoller Tag und die Probleme, die uns plagen scheinen
zeitweilig in Vergessenheit geraten zu sein für ein bisschen Spaß und
Ausgelassenheit.
Ich wünschte, ich könnte vergessen. Ich
möchte auch gern ausgelassen sein.
Vielleicht ein Frisbeespiel, um mich auf
andere Gedanken zu bringen.
Gerade als ich beginne, das ernsthaft in
Erwägung zu ziehen, sehe ich ihn. Er ist leicht auszumachen in diesem See der
Frivolität.
Schwarz gekleidet, wie immer, beleidigter
aussehend als normalerweise, kommt er direkt auf mich zu. Einen Augenblick lang
scheint alles und jeder andere zu verschwinden. Showdown am O.K. Corral.
Ich höre, was Scully zu mir gesagt hat.
//Weiß er es?
Ja. Das ist teilweise der Grund, aus dem ich
dir das erzähle. Ich würde ihm eine Weile aus dem Weg gehen, wenn ich du wäre.
Nein, Scully, darüber mache ich mir keine
Sorgen. //
Und das tue ich nicht. Ich habe versucht,
nicht über die Tatsache beleidigt zu sein, dass sie dachte ich würde Angst vor
ihm haben, dass sie offensichtlich wirklich gedacht hat, dass ich welche haben
sollte. Ich hatte noch nie Angst vor ihm und sehe keinen Grund dafür, jetzt zu
einem Feigling zu werden.
Ich muss es ihm anrechnen, dass er den
direkten Weg wählt. Ich hatte Arsen in meinem Mittagessen erwartet oder einen
Stich mit einem vergifteten Stift. Irgendeine raffinierte, hinterhältige,
böswillige Reaktion. Etwas, typisch für Alex Krycek.
Ich dachte nicht, dass er im Tageslicht auf mich zukommen und irgendeine
Konfrontation heraufbeschwören würde. Es ist tatsächlich fast eine
Erleichterung.
Er sucht nach einem Grund, mich zu schlagen.
Irgendeinen Grund. Ich kann es in seinen Augen sehen, in seiner Haltung, als er
nur noch ein paar Meter von mir weg ist. Es gibt keinen Grund, es
hinauszuzögern.
"Die Kartoffeln sind heute irgendwie
matschig," teile ich ihm mit als würde ich
denken, er ist hier wegen der Cafeteria und nicht wegen mir. Aus keinem anderen
Grund, egal, was er sich auch eingeredet hat. Ich weiß das, weil dieser
einfache Kommentar alles ist, was nötig war.
Der erste Schlag ist ein direkter Treffer
auf den Unterkiefer und er lässt mich durch seine überraschende Intensität nach
hinten taumeln. Ich hatte nicht erwartet, dass er gleich so fest zuschlagen
würde. Oder überhaupt, ehrlich gesagt. Ich hatte ein kleines Gerangel erwartet,
eine Schlägerei, keinen verdammten Kampf auf Leben und Tod.
"Du verdammter verlogener
BASTARD!" brüllt er während er mich gegen die Mauer der Cafeteria drückt.
Die nächsten Momente vergehen in einem
Rausch, einem Wirbel von fliegenden Fäusten und spritzendem Blut, das mir in
die Augen läuft. Er schlägt mich mit seinem falschen Arm und ich registriere
irgendwo in meinem Unterbewusstsein, dass der mehr Wucht hat, als der richtige.
Das verdammte Ding muss aus Blei sein. Ich dachte früher, dass wir ebenbürtig
wären, wenn er noch beide Arme hätte. Jetzt weiß ich, dass sein Verlust
eigentlich sein Vorteil ist.
Ich höre, wie er Dinge zu mir sagt, wie er
Sachen schreit wie "Lügner", "Bastard", Hass." Lügner.
Immer und immer wieder.
Worüber zur Hölle redet er? Von diesem
verdammten Waffenstillstand?
Oder von etwas ganz anderem?
Das hier geht viel weiter, tiefer als das,
was mit Scully passiert ist. Er hasst mich, ist wahrscheinlich mehr meinetwegen
verbittert, als jeder andere Mensch auf der Welt. Aus viel mehr Gründen, als
mir jemals bewusst war. Sein Arm, all die Zeit, die er damit verbracht hat,
‚mit den Ratten zu leben', sein ganzes verdammtes erbärmliches Leben, all die
Probleme, die er jemals hatte, können bis zu dem Tag zurückverfolgt werden, an
dem er mich kennen gelernt hat, egal ob irgendetwas davon tatsächlich meine
Schuld war oder nicht. So sieht er es und ich fühle das in jedem Schlag, den
ich von ihm abbekomme.
Wütend, bemerke ich durch den Schleier von
Schmerz und Verwirrung. Er ist wütend. Aber noch mehr als das, traurig. Ich
könnte schwören, dass er so aussieht, als sei er den Tränen nahe. Enttäuscht,
verraten, erschreckt über seine eigenen Gefühle. Und das sollte er auch sein.
Alex Kryceks Gefühle sind erschreckend. Die Art, wie
er damit umgeht ist sogar noch viel schlimmer.
Ich fange nicht an mich zu wehren, bis mir
klar wird, dass er mich umbringen wird.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Als ich das Bewusstsein wieder erlange, bin
ich an einem mir nicht vertrauten Ort. In einem Bett, aber weder in meinem
Zimmer noch in der Krankenstation. Ein schwarzer Spitzenumhang hängt vor dem
Fenster neben mir und sorgt dafür, dass das Licht in eigenartiger Weise durch
ihn hindurch fällt und tanzende Muster auf der gegenüberliegenden Wand erzeugt.
Es riecht nach Geißblatt. Ich habe keine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin.
Ich schließe wieder meine Augen, überzeugt
davon, dass das ein Traum ist oder das Wartezimmer zum Himmel. Dann spüre ich
etwas weiches auf meiner Stirn. Könnte das ein Engel sein, der mich küsst?
Das ist es nicht. Es ist ein Waschlappen. Es
ist Roseanne, die meine Wunden reinigt.
"Versuche nicht aufzustehen," weist sie mich an und drückt vorsichtig gegen meine
Brust. Habe ich versucht aufzustehen? Mein Gott, ich bin so verwirrt. Ich frage
mich, ob ich eine Gehirnerschütterung bekommen habe.
"Wo...was ist passiert."
Als ich spreche fühlt es sich an, als hätte
ich Murmeln im Mund.
"Du hast eins aufs Maul gekriegt," informiert sie mich hilfreich.
"Nein, danach. Ich ..AU!"
Verdammt! Was tut sie mir an? Das ist
schlimmer als die eigentlichen Schläge.
"Tut mir Leid, ich muss diese Schnitte
reinigen, bevor du dich infizierst."
Sie hat eine Flasche in der Hand, in der
irgendeinen schlimme Flüssigkeit ist, die sie weiter auf meine Haut schüttet,
genau auf die Stellen, die am meisten weh tun.
Ich greife nach oben, um mich an der Stirn
zu kratzen, wo es nervtötend juckt. Sie schnappt nach meiner Hand, bevor ich da
ankomme.
"Kratz nicht deine Nähte."
Nähte? Himmel Herrgott.
"Wie hat...was..."
"Schh, hör
auf zu sprechen. Du bist in meinem Zimmer. Ich bringe dich in Ordnung. Es wird
dir bald besser gehen."
"Wie hat es aufgehört?" kriege ich
schließlich heraus.
"Ich habe es unterbrochen."
"Das hast du?"
"Ja, das habe ich. Ich bin zwischen
euch getreten. Du hast sowieso schon auf dem Boden gelegen, also war es nicht
schwer. Alles was ich tun musste, war ihn daran zu erinnern, dass alle zugesehen
haben und dann hat er aufgehört."
Warum ist mir das nicht eingefallen? Gott
weiß, dass er nicht wollen würde, dass Scully davon erfährt. Ganz zu schweigen
von der Tatsache, dass es seine Autorität noch weiter schwächt, wenn alle sehen
können, dass er so die Kontrolle verliert.
Der Bastard ist bei mir völlig
durchgeknallt. Nach all den Jahren, all den Kämpfen, hätte ich nie gedacht,
dass das in ihm steckt. Nicht so, Faust an Faust, Mann gegen Mann. Ich nehme
an, dass es nicht überraschend ist, dass er dazu fähig ist, aber mein Gott, wer
hätte gedacht, dass dieser Hurensohn so kämpfen würde?
"Ich hätte es,"
antwortet sie. Habe ich das laut gesagt? "Von jedem, der wie er fickt ist
anzunehmen, dass er mit der gleichen Intensität kämpft."
Ich würde mich übergeben, wenn ich die
Energie dazu hätte. Eine Welle von Übelkeit rollt durch meinen Magen und meine
Augen fallen wieder zu.
Ich träume davon, von Alex Krycek gevögelt zu werden und zwölf Babys zu gebären, die
genau wie er aussehen.
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Er schläft seit fast vier Stunden. Ich
könnte ihn allein lassen. Er wäre sicher. Ich weiß, wie sein Körper
funktioniert. Die Umwandlung hat ihn mit einer viel gesünderen Konstitution
versehen, als die normalen Menschen. Er schläft, um zu heilen, um sich zu
verjüngen. Wenn er aufwacht, werden seine Schnitte verschorft sein, sein Kopf
wird sich besser anfühlen und seine Knochen werden wieder ganz sein. Es ist
wirklich ziemlich bemerkenswert.
Ja, ich könnte ihn allein lassen, aber ich
tue es nicht. Ich bleibe und beobachte ihn, wie er friedlich zwischen meinen
Decken ruht und genieße seine Gesellschaft sogar im Schlaf.
Ich hätte wahrscheinlich nicht sagen sollen,
was ich über Alex gesagt habe. Ich vergesse manchmal, wie es für die Menschen
ist, wenn sie verliebt sind. Ich vergesse manchmal, dass er sie liebt.
Ich habe mir früher gewünscht, dass ich das
fühlen könnte, aber wenn ich sehe, was es ihm angetan hat, ihr, oder auch Alex,
bin ich dankbar, dass ich verschont wurde. Trotzdem, manchmal, wenn ich Mulder
ansehe, denke ich darüber nach.
Als er aufwacht, ist es draußen dunkel. Ich
habe meine Leselampe angeschaltet, sitze an meinem Tisch und versuche mich auf
eine zehn Jahre alte Kopie der New York Times zu konzentrieren, die vor mir
ausgebreitet ist. Alex hat mein Interesse für die alten Zeitungen und
Zeitschriften aus dem Magazin der Bibliothek nie verstanden. "Antike
Geschichte" hat er gemurmelt, wenn er mich lesen gesehen hat. Na ja, ich
mag Geschichte. Ich habe keine Möglichkeit, etwas über meine zu erfahren, also
nehme ich, was ich kriegen kann und lerne etwas über ihre.
Heute Abend allerdings, habe ich wie gesagt,
Mulder beobachtet. Ich war nicht in der Lage, irgendeine Neugier für die Wahl
des vorletzten Präsidenten der Vereinigten Staaten aufzubringen. Ich weiß
jedenfalls, dass es Clinton war. Ich bin nicht völlig unwissend.
Seine Augen flattern während einer Phase
meines besonders langen Starrens auf und er lächelt und krächzt eine Bitte um
Wasser. Ich gebe ihm das Glas, das neben der Lampe steht. Es ist voll und
wartet auf ihn.
"Besser?" frage ich sobald er
alles ausgetrunken hat. Er lächelt mit klaren und lebendigen Augen. Er leckt
etwas von der Feuchtigkeit von seinen Lippen.
"Verglichen womit?"
Ich lache und er sieht erschrocken über diesen
Klang aus. Ich nehme an, dass die Menschen nicht mehr viel lachen.
"Wie spät ist es?" fragt er und
setzt sich ohne erkennbare Schwierigkeiten auf. Die Nähte sehen schon so aus,
als würden sie sich bald lösen.
"Wahrscheinlich ungefähr sieben."
"Montag, richtig?"
"Ja, Montag."
Er nickt und sieht erleichtert darüber aus
zu hören, dass er nicht tagelang geschlafen hat.
Ich gehen zum Bett
hinüber und setze mich neben ihn, kontrolliere seine Verbände und Nähte. Alles
scheint toll zu verheilen, genau wie ich dachte. Es ist wahrscheinlich nicht
mehr notwendig, dass ich Krankenschwester spiele, aber es ist schön, hier im
fast Dunklen zu sitzen und sein Gesicht zu berühren.
Als ich schließlich mit der ausgedehnten
Untersuchung fertig bin, höre ich auf, ihn zu berühren, aber ich bewege mich
auch nicht weg und er tut es ebenso wenig.
Es gibt so vieles, was ich wissen will.
Warum hat er sich nicht gewehrt? Hat er gedacht, er hätte verdient, was Alex
ihm angetan hat? Hat er es verdient? Wie denkt er über Danas Schwangerschaft?
Weiß er es überhaupt? Wie ist es, verliebt zu sein?
"Also...was ist passiert?" Das ist
die einzige Variante, wie ich ihn etwas fragen kann, ohne etwas zu verraten.
Ich wünschte ich wüsste einfach, dass sie es ihm erzählt hat, aber wer kennt
sich schon mit ihr aus?
"Na ja, du hast es selbst gesagt. Ich
habe eins aufs Maul gekriegt."
"Ja, aber warum? Was hast du zu ihm
gesagt?"
"Gesagt?" er lacht. "Es
spielt keine Rolle, was ich gesagt habe, Roseanne. Ich musste nichts
sagen."
"Also hat er einfach so zufällig auf
dich eingeschlagen?"
Er kratzt seinen Kopf und schaut an die
Decke.
"N-nein,
nicht direkt zufällig. Es gab eine Menge Gründe. Aber der hauptsächlichste
Katalysator war äh...Scullys..."
"Schwangerschaft?" bringe ich zu
Ende und erlöse ihn aus seinem Elend. Er sieht erleichtert aus und das
erleichtert mich. Er weiß es schon. Er hat sich nur gefragt, ob ich es wusste.
"Ja, die Schwangerschaft. Und die...äh,
Umstände, die damit zusammenhängen."
"Du meinst die Tatsache, dass du Sex
mit Dana hattest?"
Seine Augen weiten sich überrascht über
meine Offenheit. Ich bin mir nicht sicher warum. Wir beide wissen, was passiert
ist. Warum darum herumreden?
"J-ja, das
wäre das eine. Und die Tatsache, dass ich ihn irgendwie deswegen belogen
habe."
"Das hast du?"
"Na ja, ich habe ihm mehr oder weniger
gesagt, dass es nicht passieren würde und dann ist es passiert."
"Aber wenn du nicht wusstest, dass es
passieren würde, wie kann das dann eine Lüge sein?"
"Ich wusste es nicht, aber ich wollte
es und ich wusste das und es war mir egal, dass ich ihm etwas anderes erzählt
habe, weil ich ihn einfach gehasst habe."
Na ja, das qualifiziert es nach meinen
Maßstäben zwar immer noch nicht als Lüge, aber ich nehme an, dass das nicht
sehr nett war. Ich kann verstehen, dass er sich deswegen schlecht fühlt. Ich
kann allerdings nicht verstehen, inwiefern das eine Rechtfertigung für das ist,
was Alex getan hat. Andererseits war ich noch nie in der Lage, die Gewalt zu
verstehen, die sich die Menschen gegenseitig täglich antun.
"Das war nicht deine Schuld,
Mulder."
"Ich weiß das,"
nickt er. Ich frage mich allerdings, ob er das wirklich tut. Es gibt
wahrscheinlich nichts mehr, was ich sagen kann, um ihn davon zu überzeugen.
Er fährt sich mit den Fingern durch die
Haare, nimmt einen weiteren Schluck Wasser, kratzt an seinen Nähten und diesmal
halte ich ihn nicht zurück. Ich hoffe nur, dass er nicht meint, dass es ihm
schon gut genug geht, dass er gehen kann.
"So, äh...du und Krycek?"
fragt er nach einer längeren Pause in der Unterhaltung. Ich und Krycek was?
Oh. Er bezieht sich wahrscheinlich auf
diesen idiotischen Kommentar, den ich vorhin gemacht habe. Warum kümmert ihn
das? Warum könnte das irgendjemanden kümmern?
"Oh...ja. Eine Weile haben wir es
getrieben wie die Karnickel."
Er lacht ein wenig nervös und wird ganz
bezaubernd pink. Ist ihm das peinlich? Mein Gott, er ist so anders. So anders
als jeder Mann, den ich je gekannt habe.
"Wann, äh, wann war das?"
"Hmmm..."
Mist, ich kann mich gar nicht mehr daran
erinnern, so lange ist das schon her. Es gab so viele andere, davor und danach.
Wenn ich ihm erzählen würde, wie viele, würde er sich wahrscheinlich
meinetwegen schämen.
"Vor langer Zeit,"
lege ich schließlich fest. "Noch bevor er Dana hierher gebracht hat."
"Also war es nicht, während sie
zusammen waren?"
Was ist mit ihm, ist er auf Drogen? Wenn dem
so wäre, wünschte ich, er würde sie mit mir teilen.
"Mein Gott, nein. Ich glaube nicht,
dass er seit dem Tag, an dem sie herkam mit irgendjemandem zusammen war. Er war
ihr treu, bevor sie überhaupt ein Paar wurden. Ich denke wirklich, wenn er
nicht gewesen wäre, hätte sie ... ich weiß noch nicht mal was."
"Sie hat mir erzählt, er hätte sie
gerettet. Das bedeutet viel, wenn sie das sagt."
"Ja, das hat er wirklich. Sie war
schlimm dran. Er hat mir das früher manchmal erzählt, hat mich um Rat gebeten,
wie er damit umgehen soll, was an sich schon eigenartig war. Er hat mich vorher
noch nie wegen irgendetwas um Hilfe gebeten. Aber als mir Brian erzählt hat,
dass er gesehen hat, wie Alex ihre Haare gekämmt hat...na ja, da wusste ich,
dass er ihr wirklich total verfallen war. Ich dachte, Alex Krycek?
Kämmt jemandem die Haare?"
Oh Mist. Ich habe es wieder getan. Er will
nichts von diesem blöden Zeug hören. Warum kann ich nicht einfach die Klappe
halten?
"Es...es tut mir Leid. Ich sollte nicht
über dieses Zeug erzählen. Es tut mir Leid."
Er wedelt mit der Hand vor seinem Gesicht
herum und schüttelt den Kopf.
"Nein, nein. Das ist in Ordnung.
Wirklich."
Er sieht wirklich in Ordnung aus. Gott sei
Dank. Trotzdem ist das wahrscheinlich nicht das beste Thema für zukünftige
Unterhaltungen mit ihm. Wie blöd bin ich eigentlich? Er unterhält sich endlich
richtig mit mir und ich lade diesen Mist auf ihm ab.
"Also was...was ist mit dir?"
fragt er.
"Was ist mit mir?"
"Äh, eigentlich nichts. Ich habe mich
nur gefragt...ob du äh..."
"Was? Mich nach ihm sehne? Nachts wach
liege und mich frage, warum sie und nicht ich?"
"Naja, ich hätte es nicht so ausgedrückt,
aber..."
Er verstummt und ich lache einfach. Es ist
möglicherweise eine verständliche Frage für jemanden, der mich überhaupt nicht
kennt, jemanden, der damals nicht hier war. Trotzdem muss ich darüber lachen.
"Nein. Es war nur Sex, Mulder. Ich habe
ihn nicht geliebt. Er hat mich noch nicht mal gemocht."
"Oh, aha."
Es ist schwer zu ob er enttäuscht oder
erleichtert ist, dass ich nicht von Eifersucht und Bitterkeit zerrissen werde.
Ich denke er ist froh, aber es ist so schwer zu sagen, bei seinem ausdruckslosen
Gesicht.
"Fühlst du...ähm,
fühlst du solche Dinge?" fragt er vorsichtig.
"Welche Dinge? Eifersucht?"
Oder sprichst du von Liebe, Mulder?
"Ja,"
nickt er. "Eifersucht, Zorn, diese Dinge."
"Manchmal tue ich das. Früher war das nicht so, aber ich denke, dass ich sie gelernt
habe."
"Wie Spock,"
lächelt er. Ich weiß nicht, wovon zur Hölle er spricht, aber ich lächle und
nicke trotzdem.
"Denkst du, dass sie es behalten wird,
Mulder?" kann ich nicht widerstehen zu fragen und nutze die Tatsache aus,
dass er hier ist, dass er spricht.
Er denkt eine Weile über die Frage nach,
sieht aus dem Fenster und dann wieder zu mir. Ich frage mich, ob er möchte,
dass sie es behält, ob er möchte, dass es seines ist. Ich frage mich, ob er
gern Vater wäre.
"Ich bin mir nicht wirklich sicher. Sie
schien ziemlich durcheinander zu sein, als ich mit ihr gesprochen habe," sagt er. Vielleicht ist Verwirrung ein gutes
Zeichen. Immerhin denkt sie darüber nach.
"Aber hast du irgendein Gefühl in die
eine oder andere Richtung was sie betrifft? Schien sie mehr in die Richtung zu
neigen, es zu behalten als vorher?"
"Ich weiß es wirklich nicht, Roseanne.
Warum machst du dir deswegen solche Sorgen?"
Eine sehr gute Frage. Eine, auf die ich
keine richtige Antwort habe.
"Ich weiß nicht, Mulder. Ich habe keine
Ahnung, warum ich mir Gedanken mache, aber ich tue es. Ich kann nicht aufhören,
darüber nachzudenken. Ich habe einfach das Gefühl, dass wenn sie es nicht
behält..."
Was denke ich wird passieren, wenn sie es
nicht behält? Wird die Welt enden? Hat sie das nicht schon längst?
Es ist so außergewöhnlich für mich, dieses
ganze Konzept mit den Babys. Ich habe noch nicht viele gesehen und ich war
selbst nie eines, sie erschienen mir immer wie kleine Mutanten. Die Aussicht,
eines um mich zu haben sollte vor allem beunruhigend für mich sein. Aber das
ist sie nicht.
"Keine Ahnung, ich möchte einfach, dass
sie es bekommt. Ich habe sogar Angst, mit ihr darüber zu sprechen, weil ich
mich so eigenartig fühle und ich befürchte, dass ich das falsche sagen
würde."
"Na ja, ich bin mir sicher, dass sie
die richtige Entscheidung treffen wird. Das hat sie immer."
Oh, ich bin mir dessen nicht so sicher.
Überhaupt nicht.
"Mulder, denkst du, dass alles wieder
in Ordnung kommen wird?"
"Definiere alles."
"Ich habe Angst,"
sage ich zu ihm. Ich weiß nicht, warum ich ihm das erzähle. Ich tue es einfach.
"Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keine Angst, aber in letzter Zeit
habe ich wirklich, wirklich Angst. Was denkst du, wird mit uns allen
passieren?"
"Ich...ich weiß es nicht, Roseanne. Ich
wünschte, ich hätte irgendetwas aufmunterndes zu
sagen, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was passieren wird."
"Ich weiß,"
seufze ich, verfluche mich schon wieder dafür, dass ich ihn darum gebeten habe,
mir etwas unmögliches zu geben. "Es tut mir Leid."
"Nein, es muss dir nicht Leid tun. Es
ist normal, Angst zu haben. Ich habe auch Angst. Wir alle haben Angst."
"Ich habe mich aber vorher noch sie so
gefühlt, Mulder."
"Was meinst du?"
Er dreht sich zu mir, Neugier leuchtet in
seinen Augen.
"Hast du das Gefühl, das etwas schlimmes passieren wird? So eine Art Vorahnung?"
"Nein, nichts dergleichen. Ich habe nur
... ich denke, ich habe mir vorher einfach nicht so viele Gedanken gemacht. Ich
hatte immer so eine unbeteiligte Haltung allem gegenüber, aber in letzter
Zeit...ich weiß nicht, erscheinen mir die Dinge
irgendwie realer."
Ich schrecke zusammen, als er seine Hand auf
meine legt, mir tief in die Augen sieht und leicht lächelt. Mein Magen macht
einen verrückten Überschlag.
"Vielleicht wirst du immer menschlicher
und weniger ein Klon. Vielleicht färben wir auf dich ab."
Er reibt seine Handfläche gegen meine
Knöchel um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Auf mich abfärben. Vielleicht
tust du das, Mulder. Vielleicht tust du das.
Ende Kapitel 4
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Kapitel 5
Ich bin ein zwanghafter Listenersteller.
Das war ich schon immer. Auf dem College war mein Wohnheimzimmer ständig mit
irgendwelchen ‚zu-erledigen' Listen zugemüllt, von denen ich die meisten nie wieder angeschaut
habe, nachdem ich sie erstellt hatte, was den Zweck der Sache zwar total
zunichte machte, aber mir tatsächlich das Gefühl gab, ‚etwas zu erledigen'. Als
ich die Entscheidung getroffen habe, ob ich nach Quantico
gehe oder nicht, habe ich bestimmt zehn oder zwanzig Papierstapel verbraucht,
um Listen für Pro und Contra zu erstellen. Natürlich wäre die Contra Liste
entscheidend länger gewesen, wenn ich gewusst hätte, worauf ich mich wirklich
einlasse. Danach ist mein Leben so kompliziert geworden, dass ich ganze
Notizbücher für die Listen einrichten musste, die ich führen wollte. Ich denke
‚Lügen, die ich Mulder erzählt habe' hat einen eigenen Ordner.
Als ich mich heute Nachmittag hingesetzt
habe, um mein Meisterstück zu schreiben, meine Liste von Gründen, aus denen
Dana das Baby behalten sollte, habe ich eine Menge Erfahrung mitgebracht. Ich
war darauf vorbereitet, meine Gedanken zu einer zusammenhängenden,
überzeugenden, inhaltsreichen Argumentation zusammenzustellen, der sie nichts
entgegenzuhalten hätte.
Ich habe genau das getan. Es ist eine lange
Liste. Es ist eine gute Liste. Sie hätte vielleicht gereicht, um sie zu
überzeugen, wenn es nicht darum gehen würde, was ich getan habe, gleich nachdem
ich die Liste fertig hatte.
Ich hatte nicht geplant, Mulder umzubringen.
Ich hatte einfach Hunger. Es war Schicksal, dass ich ihm schließlich da draußen
über den Weg gelaufen bin. Schicksal und Wahrscheinlichkeit. Ich hätte ihn
ohnehin früher oder später getroffen.
Was ich getan habe, als ich ihn sah, war
meine eigene Wahl, freier Wille in Aktion. Egal wie unkontrolliert ich mich in
diesem Augenblick gefühlt haben mag, ich habe getan, was ich getan habe, weil
ich es wollte. Weil ich es brauchte. Weil es sich so verflucht gut angefühlt
hat. Aber jetzt werde ich mit den Konsequenzen leben müssen, von denen eine ganz
sicher die ist, dass Dana meine ganze Liste mit der einfachen Erklärung
ablehnt: "Du bist ein Psychopath."
Also sitze ich hier an unserem Küchentisch
und versuche herauszufinden, wie ich diesen Minuspunkt zu einen
Pluspunkt auf meiner dämlichen Liste machen kann und scheitere kläglich. Fasst
irgendjemand das Baby an, wird Papa ihn umbringen? Ist das ein Pluspunkt?
Ich höre ein Klicken von der Tür und
beobachte, wie all die verschiedenen Schlösser, die ich in letzter Zeit
angebracht habe, eines nach dem anderen aufschnappen. Mami ist zu Hause.
Ich sehe wieder auf meine Liste, darauf
vorbereitet, sie so lange wie nötig zu ignorieren, so lange, wie
menschenmöglich. Sicher weiß sie, was heute passiert ist. Sicher hat sie es
gehört und das letzte, was ich im Moment brauche, ist ein Vortrag über
persönliche Verantwortung und darüber, meine Emotionen in der Öffentlichkeit
unter Kontrolle zu behalten. Mal ganz abgesehen von dem ganzen Thema des Leute
Umbringens.
Sie hat ihren verdammten Hund bei sich und
so bald sie seine Leine abmacht, rennt er zu mir und hat seine dreckigen Pfoten
überall auf meinen Beinen, leckt mein Gesicht und sabbert überall auf mir
herum, setzt einen Dämpfer auf mein cooles Verhalten. Ich versuche ihn zu
ignorieren, aber das verdammte Ding ist hartnäckig.
"Bitte begrüße deinen Hund," fordert sie mich auf, während sie ihren Mantel und
die Leine aufhängt.
"Hallo."
Ich streichle halbherzig den Kopf des
abstoßend anhänglichen Hundes und hoffe, dass das ausreichen wird, ihn zu
beschwichtigen und loszuwerden.
"Hast du heute Abend schon was
gegessen?" fragt sie.
"Ich bin vor ein paar Stunden in die
Cafeteria gegangen."
"Oh wirklich? Ich habe dich dort gar
nicht gesehen. Du bist wohl früh gegangen, hmm?"
"Wird so sein."
Gott, das ist die idiotischste Unterhaltung,
die wir je geführt haben. Ich kann das nicht ertragen, nichts von all dem.
Jetzt wäscht sie das verfluchte Geschirr ab. Ich starre auf meine sinnlose
Liste, bis die Worte ineinander verschwimmen. Ich kann nichts davon wirklich zu
ihr sagen.
"Wie geht es deinem Kopf?" Sie
schaut über ihre Schulter und ich fasse instinktiv nach oben, im die Schramme
zu bedecken.
"Mein Kopf?"
"Ja, dein Kopf."
Sie wischt ihre Hände an ihren Hosen ab und
setzt sich an den Tisch. Ihre Finger fahren über meine und ziehen daran.
"Das ist eine ziemliche Schramme, die
du da hast, Stahlfaust. Was ist passiert?"
Stellt sie sich dumm oder ist das echt?
Vielleicht weiß sie es nicht. Vielleicht sollte ich mir was ausdenken. Etwas,
weswegen sie mich bedauern würde.
"Alex...warum?"
Sie berührt die Seite meines Gesichtes und
ich zucke zusammen.
"Warum was?"
"Alex, ich weiß, was passiert ist.
Jeder weiß, was passiert ist."
Verdammt. Was ist eigentlich mit mir los? Es
ist nicht so, dass ich mir nicht einen etwas privateren
Ort für meinen Ausbruch hätte aussuchen können.
"Das sieht dir nicht ähnlich,
Alex."
Ich muss mich anstrengen, sie nicht
auszulachen. Was zur Hölle denkt sie eigentlich, wer ich bin? Haben wir das
nicht alles schon mal durch? Und jetzt will sie wissen warum. Wie kann sie mich
nach dem warum fragen? Was denkt sie, warum?
"Ich möchte nicht darüber reden."
Sie zieht ihre Hand von meinem Gesicht
zurück und schlägt sie auf den Tisch, erschreckt mich und den Hund, der immer
noch hechelnd und sabbernd zu meinen Füßen liegt.
"Nein, natürlich willst du das nicht.
Warum solltest du dich bemühen, mit mir zu reden, wenn du deinen ganzen Schmerz
an Mulder auslassen kannst? Warum reden, wenn du schlagen kannst? Es ist so
viel einfacher, richtig Alex?"
"Geh zur Hölle."
Ich hatte den Schlag erwartet, aber deswegen
tut er nicht weniger weh. Wenigstens hat sie die Seite meines Gesichtes
getroffen, die nicht schon verwundet ist. Jetzt werde ich einen zusammen
passenden Satz haben.
Was ich nicht von ihr erwartet hätte, ist,
dass sie bleibt, meine Wangen zwischen ihre Finger nimmt und mein Gesicht
zusammendrückt als wäre ich ein Kleinkind, dass sie ausschimpft. Ich habe die
Angst in ihren Augen nicht erwartet.
"Hör mir zu und hör mir gut zu, Alex.
Es tut mir sehr viel mehr Leid, als ich es ausdrücken könnte, dass ich dir weh
getan habe, aber wenn du willst, dass wir irgendeine gemeinsame Chance auf eine
Zukunft haben, dann nimmst du dich besser zusammen und hörst auf, dich wie ein
Kind aufzuführen. Ich werde ein Baby bekommen, Alex und ich kann es mir nicht
leisten, dass es einen Vater bekommt, der unreifer ist, als sein eigenes
Kind."
Zu sagen, dass ich *das* nicht erwartet
hätte, wäre die größte mögliche Untertreibung.
"Ich gehe ins Bett. Wenn du dich dazu
entschließen solltest, mit mir zu reden, kannst du das gern tun."
Sie steht auf und geht weg. Es dauert
beschämend lange, bis ich es fertig bringe, ihr zu folgen. Sie hat sich schon
unter der Decke zusammengerollt und das Licht ausgeschaltet, als ich ins
Schlafzimmer komme. Ich setze mich auf die Seite des Bettes und versuche,
meinen Gefühlen Sinn zu geben und dem, was ich ihr sagen sollte.
Es gibt so viel, was ich sagen könnte. Ich
könnte ihr sagen, dass sie mir das Gefühl gegeben hat, unwürdig zu sein, dass
ich Angst habe, sie zu berühren, weil ich der Erinnerung an Mulder nicht
standhalten könnte. Ich könnte ihr sagen, dass das, was sie getan hat, jeder
Angst Gültigkeit gegeben hat, die ich jemals um uns hatte. Ich könnte ihr
sagen, wie viel Hass ich in meinem Herzen habe, für Mulder und im allgemeinen. Ich könnte ihr von all den Gelegenheiten
erzählen, in denen ich mich zurückgelehnt und zugelassen haben, dass Mulder
mich zu Brei schlägt, weil es meinen Zwecken gedient hat und er es vielleicht
genossen hat und dass es Zeit war, dass er ein wenig davon zurück bekommt.
Ich könnte sie fragen, ob er besser küsst
als ich. Ob sie bei ihm gekommen ist, ob er sie zum Schreien gebracht hat, ob
es ihr gefallen hat, zur Abwechslung mal einen beschnittenen Schwanz im Mund zu
haben.
Ich könnte es, aber ich tue es nicht. Weil
nichts davon im Moment wichtig erscheint. Das alles erscheint, na ja, ein wenig
kindisch.
"Was hat dich dazu gebracht, deine
Meinung zu ändern, Dana?"
Sie rollt sich auseinander und streckt sich
auf ihrem Rücken aus. Das Mondlicht, das durch die Fenster fällt gibt gerade
genug Licht, dass ich ihren Gesichtsausdruck lesen kann. Sie sieht nicht
wirklich verärgert aus.
"Ich bin mir nicht sicher. Eine Menge
Dinge nehme ich an."
"Bist du, äh, glücklich darüber?"
"Ja. Ja, das bin ich."
"Nervös?"
"Sehr."
"Wirst du...wirst du herausfinden,
wer..."
"Bis dahin werde ich ungefähr einen
Monat warten müssen. Ich denke, es ist nötig, dass wir eine
Fruchtwasseruntersuchung machen, nur um sicher zu gehen, dass alle in Ordnung
ist. Dann können wir es rausfinden. Wenn wir
wollen."
Wollen wir? Ich frage mich das. Ich hatte
angenommen, dass das absolut ihre Entscheidung wäre, wenn es so weit kommen
sollte. Der Gedanke daran, es rauszufinden, jetzt, wo es real ist, ängstigt
mich zu Tode.
"Was ist mit dir, Alex? Bist du
glücklich?"
Glücklich. Das ist ein weiter Begriff. Es
ist sicher das, was ich wollte. Aber ist es möglich für mich zu sagen, dass ich
jetzt im Moment glücklich bin?
"Ich...ich bin froh. Ich bin froh, dass
du dich entschieden hast, es zu behalten."
"Aber es macht dich nicht
glücklich?"
"Nein, das-das
tut es."
"Hast du Angst, du könntest es nicht
lieben, wenn es seins ist?"
Diese Frage erschüttert mich ebenso, wie der
zärtliche Ton, in dem sie sie stellt. Wie kann sie mit mir im Ton einer
Liebenden reden und mir so eine Frage stellen, als wäre das alles, was sie von
mir denkt? Ich nehme an ich habe ihr in letzter Zeit nicht viel Grund gegeben,
anders zu denken.
"Mein Gott, Dana. Natürlich nicht.
Ich...ich liebe sie jetzt schon."
Sie atmet tief ein und ist ziemlich lange
still. Ich ziehe mich völlig aus und klettere neben ihr ins Bett.
"Es tut mir Leid, Alex."
"Mir tut es auch Leid."
Sie atmet tief ein und langsam wieder aus.
Dann dreht sie sich zu mir um und lächelt.
"Ich werde ein Baby bekommen."
Sie klingt als könne sie nicht glauben, dass
es wirklich ist. Ich bin mir selbst nicht sicher, ob es das ist.
"Was fängt man mit einem Baby an,
Dana?"
"Oh, keine Ahnung. Man kann es als
Einbruchsalarm benutzen oder als Briefbeschwerer oder so, nehme ich an."
"Oh, ein Briefbeschwerer. So einen
könnte ich brauchen."
Sie lacht und klopft auf ihren Bauch.
"Hörst du das, Baby? Jetzt wird Mister Krycek nicht das Bedürfnis haben, dich wegzuschicken, weil
du nicht produktiv bist."
"Das ist es nicht, was ich gemeint
habe, weißt du. Ich weiß überhaupt nichts darüber."
"Das tue ich auch nicht, Alex. Aber es
wird schon gut gehen. Wir werden lernen."
Natürlich werden wir das. War es nicht das,
was ich ihr eigentlich sagen wollte? Es stand auf dieser verdammten Liste.
Trotzdem erscheint es mir so hypothetisch. Ich habe niemals in meinem Leben
gedacht, ich könnte jemals tatsächlich Vater werden. Der Gedanke ist eigentlich
ein bisschen beunruhigend. Gott allein weiß, dass ich nicht vom besten
Rollenmodell lernen konnte.
Nein, das ist nicht ganz richtig. Ich hatte
eines.
"Hast du schon über einen Namen
nachgedacht?"
"Namen? Alex, ich weiß es erst seit ein
paar Tagen."
"Na und? Gibt es keine Namen, die du
magst? Haben nicht alle Frauen eine Liste von möglichen Babynamen?"
Sie lacht ein bisschen und dreht sich auf
die Seite. Ich spüre ihre Finger unter der Decke, die meine Brust mit einem
federleichten, vorsichtigen Streicheln berühren. Sie fragt mich, ob das in
Ordnung ist, ob wir uns endlich wieder vorwärts bewegen können. Es fühlt sich
in Ordnung an. Es fühlt sich gut an.
"Ich weiß es nicht, ob sie das wirklich
so ist. Vielleicht wenn es mögliche Babies gibt."
"Was hältst du von Eva?"
Sie antwortet mir nicht gleich, aber sie
schmiegt sich ein bisschen enger an mich. Ich habe das Gefühl, als wenn wir
seit langer Zeit das erste Mal wieder im gleichen Boot sitzen. Ja, wir sind
sauer aufeinander, aber mein Gott, wir bekommen ein Baby.
"Eva. Hmm."
"Nein?"
"Ich bin mir nicht sicher. Es ist nett.
Scheint eine gewisse Bedeutsamkeit zu haben."
Oh ja. Vergiss die Bibel.
"Kann sein. Ich habe allerdings nicht
deswegen daran gedacht."
"Weswegen hast du daran gedacht?"
"Es ist das englische Äquivalent des
Namens meiner Mutter."
Sie versteift sich neben mir und ich höre
sie heftig einatmen. Ich nehme an ich bin nie dazu gekommen, ihr überhaupt
irgendetwas über meine Familie zu erzählen, über meine Kindheit. Es erschien mir
immer so unwichtig, so lange her und so weit weg, dass es fast nicht mehr
existierte.
Es ist immer noch nicht so wichtig für mich,
aber ich mag den Namen wirklich.
"Deine...deine Mutter?" flüstert
sie.
"Ihr Name war Evelina. Das bedeutet
Leben."
"Evelina. Das ist wunderschön,
Alex."
"Das war sie."
Ich werde niemals vergessen, wie sie vom
Fenster dieses kleinen Kellers aus ausgesehen hat, wie das Blut und das
Gehirngewebe unter ihrem dicken, schwarzen Haar herausgequollen ist und sich
mit dem Schnee vermischt hat.
"Erzählst du mir von ihr?"
Okay, das ist wirklich der Grund, warum ich
ihr nie von all dem erzählt habe. Ich rede nicht gern darüber. Ich erinnere
mich nicht gern daran und ich erzähle nicht gerne Taschentuchgeschichten, es
sei den aus einem bestimmten Grund, ganz besonders, wenn sie wahr sind. Ich
möchte ihr Mitleid nicht. Nicht dafür.
"Ich...ich erinnere mich nicht an sehr
viel mehr."
"Wie kommt das?"
"Meine Eltern starben beide, als ich
sechs Jahre alt war."
"Oh, Alex. Das tut mir so Leid.
Wie?"
Sie legt ihren Kopf auf meine Brust, sieht
zu mir auf mit diesen klaren, vertrauenden, vergebenden Augen. Ich hoffe
wirklich, dass sie weiß, dass ich ihr das nicht erzähle, damit sie vergisst,
was heute passiert ist. Ich weiß nicht, warum ich ihr das erzähle. Ich weiß
nicht, warum ich überhaupt damit angefangen habe.
"Sie sind hingerichtet wurden. Wegen
Spionage."
"Hingerichtet? Von der Regierung?"
"Von meinem Patenonkel, dem Mann, der
mich schließlich aufgezogen hat. Dem Mann, den ich die meiste Zeit meines
Lebens Vater genannt habe."
"Oh mein...wo-woher
weißt du das?"
"Weil ich gesehen habe, wie es passiert
ist. Ich habe gesehen, wie er den beiden einen Kopfschuss verpasst hat."
Es ist tatsächlich einfacher, das zu sagen,
als ich glaubte. Es ist nichts, was ich jemals jemandem erzählt habe. Nicht
einmal mein Patenonkel wusste, dass ich es gesehen hatte und es war nichts,
worüber wir je gesprochen haben. Er hat mir aus offensichtlichen Gründen nie
erzählt, dass er es getan hat. Ich habe ihn nie zur Rede gestellt, weil ich
befürchtete, er würde das gleiche mit mir machen.
"Du, du wurdest von dem Mann
aufgezogen, der deine Eltern umgebracht hat?"
Bei ihr klingt es wie die schlimmste Sache,
die einem passieren kann.
"Es war nicht so schlecht. Er war ein
sehr mächtiger Mann. Sehr reich. Ich war sehr viel besser dran, als die meisten
Kinder, die ich kannte."
"Aber Alex...mein Gott, wie konntest du
damit leben? Mit ihm leben?"
Darauf habe ich wirklich keine Antwort. Ich
tat es einfach. Ich hatte wirklich nicht großartig die Wahl.
Sie fährt mit ihrer Hand meine Brust hinauf
und legt ihre Hand auf meine Wange, dreht mein Gesicht zu sich herum. Sie
lächelt durch eine tränenüberströmte Grimasse und sie küsst mich zart.
"Das...das erklärt eine ganze
Menge."
"Was meinst du? Was erklärt es."
"Eben...eine ganze Menge."
Ich verstehe nicht, wovon sie redet und ich
denke nicht, dass ich das will. Ich bin nicht in der Stimmung, um analysiert zu
werden.
Ich schlinge meinen Arm um ihre Schultern
und ziehe ihrer nackten Körper näher an mich heran.
Das ist es, wozu ich in Stimmung bin. Nur das.
"Evelina, ja?" seufzt sie an
meinem Hals. "Ich mag das."
Ende Kapitel 5
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 6
Mein Bruder Bill war einer der gemeinsten
Menschen, die ich je gekannt habe. Als Erwachsener reifte er zu einem nur
leicht nervenden Sturkopf, aber in seiner Jugend - naja,
sagen wir einfach er war ein Schmetterlingsflügel-ausreißender,
Katzen-tretender, Schwestern-ärgernder,
tyrannisierender und terrorisierender Typ. Von Grund auf eine Schweinehund.
Charlie, auf der anderen Seite, war ein
sanftes und liebes Kind, der schon frühzeitig Interesse an künstlerischen
Bemühungen zeigte und er verbrachte mehr Zeit damit, in seinem Zimmer zu lesen
und zu malen, als damit, Ball zu spielen und andere Kinder zu ärgern. Er hat
sich Geschichten ausgedacht, dass er mit einem Geist gesprochen hätte oder wie
ein Vogel geflogen wäre. Er war der einzige, der geweint hat, als Mister Bubbles, unser Meerschweinchen, gestorben ist. Er war der
‚Sensible'.
Melissa war die ‚Wilde', die während ihres
letzten Jahres auf der Highschool mit einem viel älteren Hippie in einem VW
abgehauen ist und meine Mutter angerufen hat, sie würde nicht eher
zurückkommen, bis unsere Familie ‚ihre Probleme gelöst' hätte. Sie war die unberechenbare.
Zumindestens für meine Eltern. Ich wusste immer, wie
sie in einer bestimmten Situation reagieren würde.
Ich war die ‚Vernünftige' wie ich annehme,
still, hartnäckig, belesen, erdgebunden. Ich hatte
meine Rebellionen, aber die sind ziemlich unbemerkt vorbeigegangen. Sie waren
untertrieben und persönlich, nicht so großartig und laut wie die von Melissa.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man vier
unterschiedlichere Kinder finden könnte, wenn man sie zufällig an einer
Bushaltestelle heraussucht. Trotzdem wurden wir alle von den
selben Eltern erzogen, im gleichen Haushalt, zur selben Zeit. Ist die
Geburtsreihenfolge wirklich so wichtig? Oder ist die Persönlichkeit doch eher
eine Frage des Charakters als der Erziehung?
Alex' Kindheit war blutig, gewalttätig und
kompliziert. Er ist blutig, gewalttätig und kompliziert.
Mulder's war verwirrend, traurig und
schuldbeladen. Mulder ist, naja, oft all das.
Was ist die Moral dieser Geschichte?
Ich weiß es nicht. Muss jede Geschichte eine
verfluchte Moral haben? Die Moral ist, dass ich schlecht darin bin, schwanger
zu sein.
Die Moral ist, dass ich, anstatt mich darauf
zu konzentrieren, worauf ich mich konzentrieren sollte, über die Vergangenheit
nachdenke. So bin ich jetzt. Abgelenkt, gereizt, in mich gekehrt und mürrisch.
Dieses Treffen hätte in keinen unpassenderen Zeitraum fallen können. Der Brite ist jetzt
schon seit einigen Tagen hier, aber aus irgendeinem Grund hat er den heutigen
Tag gewählt, um sich mit Alex und mir zu treffen. Jetzt in zwei Stunden werden
wir eine Serie von Tests durchführen, welche mir sagen werden, ob das Baby
gesund ist, ob dieses spezielle Leben, das in mir wächst und mich verrückt
macht, menschlich ist oder...etwas anderes, ob er oder sie einen komplizierten
oder schuldbeladenen Vater haben wird, von dem es lernen kann, und ob er oder
sie ein er oder eine sie ist. Wie soll ich mich da konzentrieren?
Vorstellungen erscheinen mir eigenartig und
oberflächlich. Natürlich kenne ich ihn schon. Was sollte ich sagen, wenn ich
dem Mann die Hand schüttle, von dem ich angenommen hatte, dass er starb,
nachdem er Mulder die Information gegeben hatte, die mein Leben rettete? Danke?
Stirbt jemals jemand *wirklich*?
Als er mir sagte, seine Name wäre Robert
Smith, erinnerte er mich an das College, als ich zu einem The
Cure Konzert gegangen bin, obwohl ich für meine
Aufnahmeprüfung hätte lernen sollen. Eine weitere stille Rebellion, wie ich
glaube. Ich nehme an, dass dieser gewisse Robert Smith jetzt tot ist. Oder
vielleicht wurde er auserwählt, wie Mulder. Umgewandelt zu werden wäre
wahrscheinlich eine große Inspiration für ein oder zwei angstgeladene Melodien.
Robert Smith. Wie gewöhnlich. Wie
außergewöhnlich.
Er hat jetzt einen Stock und seine Falten
sind tiefer und zahlreicher geworden. Sieht so aus, als würde es ihn nicht mehr
lange auf dieser Welt geben. Es fällt mir schwer, das zu bedauern.
Als wir alle Platz genommen haben, Alex in
Sicherheit hinter seinem Schreibtisch, ich direkt neben dem launenhaften
Bastard, sagt Alex, dass es ihm Leid tut.
"Es tut mir Leid, wegen Ihrer
Tochter."
Na ja, ich weiß, dass das nicht wahr ist und
der alte Mann scheint es auch zu wissen. Er lächelt auf diese spezielle
britische Weise und sagt, "Ja, ich habe gehört, dass du sie umgebracht
hast."
Wir alle drei sind eine Weile geschockt und
leise und ich beobachte Alex, warte auf eine Reaktion, aber es gibt keine.
Jedenfalls keine sichtbare. Ich bin froh, dass wir nie zusammen Poker spielen.
"Sie hat uns verraten..." beginnt
Alex, aber Smith hebt seine Hand und unterbricht ihn.
Er sagt ihm, dass es keine Rolle spielt.
"Ich wusste immer, dass es so für euch enden würde, so wie ihr beide
gewesen seid."
Wie sind sie gewesen, frage ich mich? Ich
weiß es mehr oder weniger, aber nicht richtig. Ich weiß es nicht aus Marita's Perspektive und, das erste Mal überhaupt, würde
ich das irgendwie gern. Allerdings frage ich mich noch mehr, wie Smith ruhig
hier sitzen und den Tod seiner Tochter mit ihrem Mörder diskutieren kann. In
seinem Verhalten gibt es noch nicht einmal eine Spur von Traurigkeit und ich
stelle fest, dass meine Hand als Reaktion auf die Kälte in Richtung meines
Bauches zuckt. Vielleicht verschwimmt alles, wenn man an so vielen Toden
teilgehabt hat wie er, und selbst deine eigenen Kinder erscheinen ersetzbar.
Wird Alex ein solcher Vater sein? Ich kann
mir das nicht vorstellen, aber gleichzeitig kann ich das. Ich kann sehen, wie
er die Wut und den Schmerz nimmt und tief in sich vergräbt, wo er wächst und
gedeiht und ihn irgendwann umbringt, aber er würde ihn nie zeigen. Besonders
keinem Feind. Ist Smith ein Feind? Hält er Alex für einen?
"Was meinen Sie mit, ‚so wie wir
waren'?" fragt Alex.
"Doppelzüngig, kompliziert, niemals
damit zufrieden, zu lange auf einer Seite zu stehen. Sie war immer sehr eifersüchtig
auf dich, Alex. Weil du darin so viel besser warst als sie. Weil du mehr mein
Sohn warst, als sie meine Tochter gewesen ist."
Alex nickt, als wenn das irgendeine Antwort
wäre. Es erklärt, warum Marita tat, was sie getan hat, aber nichts davon ergibt
für mich wirklich Sinn. Inwiefern war Alex wie ein Sohn für Smith? Inwiefern
war Marita nicht seine Tochter? Wie viel hatte das, was Marita war, mit den
beiden zu tun? Hatte sie ihre eigenen Pläne, die keiner der beiden jemals
erahnen oder verstehen konnte? Wird mein Kind doppelzüngig sein? Wäre das in
dieser Welt eine schlechte Sache?
Ich mag es wirklich nicht, schwanger zu
sein. Manchmal sind die Zweifel so überwältigend, dass ich fast überhaupt nicht
auf irgendetwas konzentrieren kann. Ich frage mich, ob ich mir jemals sicher
sein kann, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, ob ich jemals
diese mütterlichen Instinkte entwickeln werde und aufhöre, mich zu fühlen, als
wäre ein Eindringling in meinem Körper. Es sind jetzt schon fast drei Monate.
Mit Sicherheit sollte ich mich jetzt schon
mehr als Mutter fühlen, als ich es tue.
Da das Marita Thema jetzt offensichtlich
abgeschlossen ist, erwarte ich, dass der alte Mann jetzt selbst eine
Entschuldigung vorbringt und uns Unterstützung anbietet. Deswegen ist er doch
schließlich hier, richtig? Es ist wegen ihm, wegen ihm und seines missratenen
Planes, dass wir in diesen traurigen Zustand des Durcheinanders verfallen sind.
Aber das nächste, was er erzählt, ist das Gegenteil von dem, worauf wir gehofft
hatten, was wir brauchen. Er erzählt uns, dass er uns nicht viel anbieten kann,
dass seine Ressourcen so erschöpft sind wie unsere.
"Die Kolonisten sind zu Phase drei
übergegangen," erklärt er, während er immer Alex
ansieht, niemals mich. Alex nickt als wüsste er, was ‚Phase drei' bedeutet,
obwohl ich mir sicher bin, dass er es nicht weiß. Er hat mir gegenüber nie eine
Phase drei erwähnt, aber das ist typisch Alex. Tue so, als wenn du alles
wüsstest, bis du es weißt.
"Was zur Hölle ist Phase drei?"
frage ich in dem Wissen, dass Alex das nie tun wird.
Es ist das erste, was ich sage, seit dieses
Meeting begann und beide drehen sich zu mir um und sehen mich mit typisch
untertriebener Überraschung an. Oder vielleicht ist es auch Verärgerung, was
ich in Alex' Augen sehe. Vielleicht habe ich seinen Bluff ruiniert. Es ist mir
egal. Ich möchte ganz genau wissen, was hier vorgeht und warum Smith plötzlich
das Gefühl hat, er könne uns nicht helfen.
"Phase drei, mein liebes Kind, ist das
Ende."
Könnte dieser Typ noch anmaßender und
herablassender sein?
"Und was bedeutet das genau? Was waren
die Phasen eins und zwei?"
"Phase eins war Kontakt und
Vorbereitung. Phase zwei, Kolonisation und Wiederaufbau. Phase drei, totale
Ausrottung der menschlichen Spezies und Wiederbesiedelung des Planeten durch
die Kolonisten."
Ich fange an zu verstehen, warum Alex nicht
fragen wollte. Das kranke Vergnügen, dass Smith dabei zu haben scheint, diese
Neuigkeiten zu überbringen, ist ziemlich widerlich.
Was ich nicht verstehe ist, warum das überhaupt
Neuigkeiten sind.
"Totale Ausrottung und
Wiederbesiedelung scheint die ganze Zeit der Plan gewesen zu sein. Was ist
daran neu?"
"Sie haben bis jetzt unsere Hilfe
gebraucht. Die fortbestehende Existenz von ein paar ausgewählten Gruppen von
Menschen war in den ersten Phasen nützlich für sie. Aber jetzt ist ihre Arbeit
getan. Der Planet ist erntereif und sie brauchen uns
nicht mehr."
Ich verstehe nicht, warum das für uns von
Bedeutung ist. Sie haben Menschen am Leben gelassen, um als Sklaven oder Arbeiter
in ihren Drohnenkolonien zu arbeiten. Unsere Gruppe war nie von Nutzen für sie.
Wie konnten das nur
so lange überleben, weil sie uns nicht finden konnten. Richtig?
"Es hat schon begonnen," betont Smith grauenvoll. "Ich weiß von
mindestens zwei Kolonien wie diese, die niedergebrannt wurden, alle Menschen
umgebracht und die Gebäude in Schutt und Asche gelegt. Es ist nur eine Frage
der Zeit, bis sie über unsere beiden Gruppen herfallen."
Ich träume in letzter Zeit von Feuern. Alex
denkt, dass liegt an den Hormonen. Hormone oder nicht, bei seinen Worten läuft
mir ein kalter Schauer über den Rücken.
"Warum sind Sie hergekommen, wenn sie
uns nicht helfen können?" entscheide ich mich schließlich zu fragen. Wenn
alles, was er wollte war, uns mit etwas zu verängstigen, was sehr wohl
unbegründete Weltuntergangsvoraussagen sein könnten, dann hat er sein Ziel
erreicht. Er kann jetzt gehen.
"Ich bin gekommen, um euch vor dem zu
waren, was kommen wird. Und um euch persönlich zu sagen, dass ich eure Gruppe
nicht weiter unterstützen kann."
"Und um noch ein paar Leute
zusammenzuholen. Ist das richtig?" unterbricht ihn Alex eigenartig. Die
beiden Männer fechten mit ihren Blicken einen unerklärbaren Kampf aus.
"Leute? Alex, wovon sprichst du?"
frage ich und fahre damit fort, mich mehr für die Tatsachen zu interessieren,
als für ihre Psycho-Spielchen.
"Er hat mir Laurie und Walker
gesprochen," teilt mir Alex mit und wendet sich
dann Smith zu. "Oder etwa nicht?"
Laurie und Walker haben versucht etwas
anzuführen, von dem sie zu glauben scheinen, es sei eine Untergrundbewegung zur
Niederwerfung des "tyrannischen Krycek
Regimes", zu dem ich offensichtlich als "verwöhntes und
gleichgültiges Zubehör" gehöre. Oder so was. Natürlich ist es extrem
schwierig, in einer Gemeinschaft von dreihundert Leuten irgendetwas im
Untergrund zu halten. Jeder weiß, was sie zu tun versuchen.
"Worüber mit ihnen geredet?" frage
ich beide. Alex ist derjenige, der mir antwortet.
"Sie werden mit ihm gehen. Sie und ihre
ganze Gruppe. Das ist es, was er die ganzen Tage gemacht hat. Sie für sich
gewinnen, sich mit ihnen gegen uns verbünden."
Alex klingt so ruhig, absolut so, als sei
ihm das alles egal. Ist das auch wieder ein Bluff? Manchmal wünschte ich, er
würde mich in die Pläne für seine Spielchen einweihen.
Ich sehe zu Smith und warte auf ein Dementi,
aber da kommt keines.
Wie konnte mir entgehen, dass das direkt
unter meiner Nase passiert ist? Hat Alex es mir erzählt und ich habe es
vergessen? Habe ich es selbst bemerkt und vergessen? Beides ist erschreckenderweise möglich. Ich behalte in letzter Zeit
mehr Wasser als Informationen.
Na gut, schön. Wenn diese Leute gehen
wollen, lassen wir sie. Wir sind ohne diese interne Bedrohung besser dran.
"Wie können wir wissen, dass Sie uns
die Wahrheit sagen?" frage ich Smith. "Wie können wir wissen, dass
Sie nicht nur versuchen uns Angst einzujagen, so dass Sie sich an unseren
Ressourcen bedienen können?"
Der Bastard lacht tatsächlich und ich bin
sehr nahe dran, seinen alterschwachen Körper mit Stock und allem aus dem
verdammten Fenster zu werfen.
"Welche Ressourcen?" fragt er,
nachdem er damit fertig ist, jovial zu lachen. Genau das reicht mir dann,
fürchte ich. Hormonell bedingt oder nicht, ich weigere mich hier zu sitzen und
noch länger so zu tun, als würden wir mit diesem verwerflichen Subjekt
verhandeln.
Ich stehe auf und versuche mich so gut wie
mögliche zusammenzunehmen, als ich zu ihm sage, "Gehen Sie. Wenn uns
bestehlen und uns ins Gesicht lachen alles ist, wozu sie hergekommen sind, dann
will ich, dass Sie auf der Stelle verschwinden."
"Dana, beruhige dich,"
höre ich Alex sagen, aber es ergibt für mich keinen Sinn. Ich bin ruhig. Oder?
Aber ich bin es nicht wirklich. Mein Gesicht
ist heiß und ich bin sicher, dass ich rot bin. Mein Brustkorb zieht sich
zusammen. Es ist wahrscheinlich das beste, sich
hinzusetzen und Alex das Reden zu überlassen, angesichts meiner ‚Umstände' und
der Art, wie es mich im Moment handeln lässt.
"Was ist mit den Rebellen?" fragt
Alex, als ich mich wieder hingesetzt habe. "Warum sind die uns nicht
gefolgt?"
Smith sieht ihn mit diesem mysteriösen,
halb-bedrohlichen Gesichtsausdruck an und sagt, "Es gibt keine Rebellen
mehr."
Selbst Alex kann seinen Schock nicht
verbergen.
"Gar keine?"
"Die Rebellen wurden ebenfalls von den
Kolonisten zerstört. Die Kolonisten hatten schon immer die Macht, sie
auszulöschen. Aber die Rebellen haben für eine gewisse Zeit einen Zweck für sie
erfüllt, genau so, wie wir Menschen, aber jetzt ist
ihre Nützlichkeit vorüber und sie wurden eliminiert."
Trotz der Tatsache, dass die Rebellen unsere
Feinde geworden sind, ist der Gedanke an Eliminierung, Völkermord, schrecklich
beängstigend. Ich würde lieber den Rest meines Lebens damit verbringen, gegen
die Rebellen zu kämpfen, als zu akzeptieren, dass die Kolonisten so viel Macht
haben. Wenn sie dazu in der Lage sind, eine ganze Rasse vom Angesicht der Erde
auszulöschen, eine Rasse, die so viel stärker war als unsere....
"Und wir sind die nächsten," fasst Alex meine Ängste in Worte.
"Es scheint so zu sein," nickt der alte Mann und ich frage mich, ob er Angst
davor hat zu sterben. Es scheint so, als sei er schon überfällig.
"Ich bin der Ansicht, dass wir mehr
Macht haben, größere Chancen zu überleben, wenn wir zusammen sind, statt
getrennt," fährt er fort. "Die Einladung,
meiner Gruppe beizutreten ist für euch beide auch gültig."
Also das ist es, warum er wirklich hier ist.
Das ist es, was er will. Er will uns alle, nicht nur die Unzufriedenen. Ich bin
mir nicht sicher, wie ich darüber denke. Es verrät ohne Zweifel seine
Verzweiflung, was an sich schon beängstigend ist.
"Ich dachte Sie sagten, dass unser
Untergang unabwendbar wäre?" macht Alex deutlich. Er hat das nie gesagt,
aber es war sicher so beabsichtigt.
"Es ist geplant. Nichts ist
unabwendbar."
Alex öffnet seinen Mund um zu sprechen, aber
ich sehe ihn verzweifelt an - bitte, Alex, bitte sag nichts, bis wir die
Möglichkeit hatten, darüber zu reden - und schließlich sagt er kein Wort.
"Hätten Sie etwas dagegen, wenn Sie uns
kurz alleine lassen?" frage ich Smith.
"Nein, keineswegs. Nehmt euch alle
Zeit, die ihr braucht. Ich denke, wir sind hier fertig."
Er erhebt sich langsam, so langsam, das man schon beim Zusehen frustriert ist und schleppt sich
zur Tür. Ich muss gegen den Drang ankämpfen, ihm auf seinem Weg zu helfen.
So bald er außer Sicht ist, ist Alex auf
seinen Füßen und läuft hin und her. Seine ruhige, gleichmütige Fassade hat sich
in dem Augenblick völlig gewandelt, so bald wir allein waren und ich bin ein
bisschen erleichtert zu sehen, dass er genauso nervös ist wie ich.
"Wir werden nicht mit ihm gehen," stellt er autoritär fest, entschieden, umgehend. Wie
kann er eine solche Entscheidung so schnell treffen? Impulsiv.
"Alex, was ist, wenn er Recht
hat?"
"Ich traue ihm nicht, ich glaube ihm
nicht und ich werde ganz sicher nicht alles im Stich lassen, was wir uns hier
aufgebaut haben, wegen einer *weiteren* Sache, die er gesagt hat!"
"Alex..."
"Wir haben Hunderte von Leuten
verloren, als ich das letzte Mal auf ihn gehört habe, Dana. Hunderte."
Was ist mit meinem Baby?
Der Gedanke schleicht sich ungebeten in
meinen Kopf. Vielleicht kommen diese mütterlichen Instinkte nun doch zum
Tragen. Oder vielleicht habe ich einfach nur eine Heidenangst.
"Was ist, wenn er die Wahrheit sagt,
Alex?"
"Es ist mir egal, ob er das tut. Ich
sterbe lieber hier als bei ihm."
"Also denkst du, dass es unabwendbar
ist?"
Mein Gott, was ist mit meinem Baby? Was ist,
wenn wir einen schrecklichen Fehler machen?
Bei seinem Umherlaufen wird mit übel.
"Alex, warum gehen wir nicht einfach
spazieren und reden darüber?"
Er hält in seiner Bewegung inne und sieht
mich verwirrt an.
"Willst du mit ihm gehen, Dana?"
Wird verdammt noch mal Zeit, dass er fragt.
Dummerweise habe ich darauf keine Antwort.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Die Luft draußen ist kühl. Eine Erinnerung
daran, dass der Winter schnell kommt, was uns entweder nützt, um uns zu
schützen, oder uns zerstört. Wenn wir genug Nahrungsmittel und Energie
aufgespart haben, werden wir es schaffen und der Schnee könnte die
Eindringlinge für eine Weile abhalten.
Wir setzen uns schließlich auf die Bank, auf
der wir mal gesessen haben, um uns über das Schicksal eines kleinen Rottweiler
Welpen zu streiten. Das war vor so vielen Jahren. Schon wieder fast ein ganz
anderes Leben.
Heute sitzen wir hier, um über ein anderes
Schicksal zu reden. Unseres.
"Er hat keinen Plan, Dana. Er weiß
nicht mehr darüber, was er tun soll, als wir es wissen. Er ist verzweifelt und
er hat uns keinen Grund gegeben, ihm zu glauben, dass wir bei ihm sicherer
sind, als wir es hier sind. Und am allerwichtigsten, ich möchte, dass wir bei
den Menschen bleiben, von denen wir wissen, dass wir ihnen vertrauen können,
als das wir mit Leuten fortlaufen, die schon seit Monaten gegen mich gearbeitet
haben."
Alex präsentiert seine Argumentation gut und
sie ist überzeugend. Aber da ist noch etwas, was er nicht bedenkt. Etwas, das
er vergessen hat.
"Alex, was ist mit dem Baby?"
"Was ist mit dem Baby?"
"Na ja, wenn es eine Chance gibt, dass
wir bei ihm sicherer sind, dass das Baby sicherer ist, denkst du nicht, dass
wir dann gehen sollten?"
"Dana, ich denke, dass das Baby am
sichersten bei Menschen ist, die sich um sie sorgen. Menschen, die sie nicht
als ein menschliches Schutzschild benutzen wollen.
Möchtest du sie nicht hier großziehen, in unserem Zuhause?"
Er nimmt meine Hand in seine und als ich in
seine Augen sehe, denke ich, dass das mein Zuhause ist. Er ist mein Zuhause.
Ganz egal, wo wir sind.
Aber dann sehe ich ein bisschen an ihm
vorbei, zu den Bäumen und den Wegen und den Gebäuden, zu den anderen Bänken,
auf denen wir gesessen haben und der Wiese, auf der wir uns geliebt haben und
ich weiß, dass er Recht hat.
Ich erinnere mich daran, wie ich damals in
der Zeit davor die Nachrichten gesehen habe, wie ich diese alten, verrückten
Damen gesehen habe, die in Wohnwagen an Orten wie Florida oder dem ländlichen
Texas gelebt haben. An Orten, die immer und immer wieder von Hurricanes und Überschwemmungen heimgesucht wurden, und die
Reporter haben die Frauen gefragt, warum sind Sie immer noch hier? Warum ziehen
Sie nicht einfach *um*? Die verrückten alten Schachteln haben dann etwas gesagt
wie, "Ich bin seit meinem sechsten Lebensjahr hier und ich gehe nirgendwo
hin! Tornado hin oder her." Ich habe sie aus der Bequemlichkeit meines
Washingtoner Apartments gesehen, meinen Kopf geschüttelt und ein bisschen
gelacht. Aber gerade jetzt in diesem Moment weiß ich, was sie gemeint haben.
"Alex, denkst du, dass ich die richtige
Entscheidung getroffen habe? Wegen des Babys?"
"Das hast du, Dana."
Seine Aufrichtigkeit und sein Vertrauen,
seine absolute Sicherheit und das Fehlen jeglichen Zögerns sind mir eine große
Beruhigung und ich drücke seine Hand ein bisschen fester.
"Es wird alles klar gehen mit uns, Djewotschka. Vertrau mir."
"Das tue ich, Alex. Ich habe
nur..."
"Angst?"
"Ja."
"Die habe ich auch. Aber ich denke
wirklich, dass wir hier besser aufgehoben sind."
Er berührt meinen Bauch und küsst die Seite
meines Halses.
"Wir alle,"
fügt er hinzu und küsst mich dann auf die Lippen. Bei dem Gefühl von seinem
Mund auf meine Lippen höre ich auf zu atmen und das erinnert mich an die
Tatsache, dass er mich schon sehr lange nicht mehr auf sexuelle Art und Weise
berührt hat. Nicht seit dem ich ihm von der Schwangerschaft erzählt habe. Ich
bin mir nicht sicher, ob es eine immer noch vorhandene Besorgnis wegen Mulder
ist oder die fehlgeleitete Angst, dem Baby zu schaden, das ihn auf Distanz
hält, aber egal wie, es ist etwas, worüber wir reden müssen. Bald.
Oder vielleicht auch nicht.
Seine Hand vergräbt sich in meinen Haaren
und er zieht meine Kopf näher an sich heran, füllt
meinen Mund mit seiner Zunge und das ist plötzlich sehr sexuell. Wenigstens für
mich.
Aber gerade als ich soweit bin
vorzuschlagen, dass wir das irgendwo privat weiterführen, zieht er sich von mir
zurück, hinterlässt mich atemlos und glühend und sehr frustriert.
"Der Test,"
sagt er leicht keuchend.
"Was?"
"Der Test. Es ist Zeit für den Test.
Wir müssen gehen."
Der Test. Ich hatte das fast vergessen. Es
gibt nichts schlimmeres, als etwas zu vergessen wovor man sich fürchtet und
dann plötzlich wieder daran erinnert zu werden.
"Alex, wir müssen uns nicht beeilen.
Warum bringen wir das nicht erst zu Ende,"
schlage ich vor und küsse aufmunternd sein Ohr.
"Ich möchte das hinter mich bringen. Du
nicht auch?"
Vielleicht müssen wir es gar nicht tun.
Vielleicht ist es egal, wessen Baby es ist und ob es menschlich oder
außerirdisch ist. Vielleicht...
"Komm schon. Wir können das später
beenden. Ich verspreche es," sagt er, erhebt sich
und hält mir seine Hand hin. Widerstrebend ziehe ich mich hoch. Er legt seinen
Arm um meine Schultern und flüstert mir zu, dass alles gut wird. Alles wird gut
werden.
Ich frage mich, ob selbst er das jetzt noch
glaubt.
Ende Kapitel 6
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 7
Im Leben eines jeden Mannes, kommt der
Zeitpunkt, an dem er gezwungen ist, der Unsinnigkeit seines Lebens offen ins
Gesicht zu sehen, wenn es für ihn keine Pose und keine Verstellung mehr geben
kann, wenn sich alles gegen ihn verschwört, um ihm ein für alle mal zu zeigen,
wie lächerlich seine Existenz doch ist.
Ich denke, dass Krycek
und ich gerade diesen Moment geteilt haben.
Der Nachmittag, der uns an diesen Punkt
geführt hat, war lang und höllisch. Krycek war
während der Tests bei Scully, aber als es so weit war, die Ergebnisse zu
analysieren, wurde er in das behelfsmäßige Wartezimmer am anderen Ende des
Flurs geschickt, wo ich schon seit Stunden am Rande einer vollentwickelten
Angstattacke gesessen hatte.
Ich bin mir nicht sicher, warum Scully und
Roseanne ihn nicht bei sich haben wollten. Ich weiß, dass Roseanne befürchtet
hatte, dass es Scully fertig machen würde, uns beide zusammen im selben Raum zu
sehen, weswegen sie mir höflich aber entschlossen geraten hatte, während der
Prozedur draußen zu bleiben. Als sie vorbei war und sie an der Analyse
arbeiteten, wollten sie uns wahrscheinlich beide nicht in ihrem Weg stehen
haben, aber immer noch nah genug, um uns sofort zu finden. Niemand schien eine
Ahnung davon zu haben, wie lange es dauern würde, Antworten zu finden.
Was auch immer der Grund gewesen ist, ich
glaube, dass keiner von uns beiden froh darüber war, zusammen in diesen Raum zu
stecken, wo die Stühle klein, aus Plastik, unbequem und zahlreich zu einem
nachlässigen Kreis zusammengestellt wurden und die Uhr an der Wand lauter
tickt, als jede Uhr, die jemals existiert hat.
Er setzte sich so weit weg von mir, wie
irgend möglich, was ihn wegen der bizarren Anordnung der Stühle direkt mir
gegenüber platzierte. Das muss ein Klassenzimmer gewesen sein. Wir sind
wahrscheinlich die ersten Menschen, die ihn wieder benutzen, seit die Studenten
evakuiert wurden.
Der Anstarr-Wettkampf dauerte nur wenige
Minuten. Die restliche Zeit haben wir beide andere Punkte von Interesse
gefunden. Ich habe die Uhr beobachtet, wie sie sich von drei über vier bis auf
fünf bewegte. Er fand einen besonders faszinierenden Punkt auf seinem Schuh.
Wir beide sind knurrend hin und her gerutscht, zu groß für unseren Stuhl. Immer
mal wieder ist ein Windstoß zum Fenster hineingefahren
und hat an der Tür gerüttelt und wir beide haben erwartungsvoll aufgeschaut und
gehofft, Roseanne oder Scully zu sehen, haben gebetet, aus unserem Elend erlöst
zu werden.
Ich bin zwei Mal gegangen, um die Toilette
zu benutzen. Er ging nur einmal.
Ich habe über eine Menge Dinge nachgedacht,
während ich wartend in diesem Zimmer saß. Ich dachte über Scully nach, fragte
mich, wie sie sich fühlte, was sie dachte, wie sie reagieren würde wenn sie
herausstellen würde, dass dieses Kind meines ist. Ich widerstand dem Bedürfnis,
mir verdrehte Phantasie Szenarien auszudenken, aber ich hoffte, dass wir in der
Lage sein würden, diese Erfahrung mit Freude zu teilen.
Ich dachte über meinen eigenen Vater nach,
über meine eigene fragwürdige Herkunft und ich fragte mich, ob er es gewusst
hat, wie er sich gefühlt hat, wenn er mich angesehen hat und den Betrug meiner
Mutter sah.
Ich dachte an diese Filme und Fernsehserien
aus den fünfziger Jahren, wo der Vater auf die Entbindung wartet und glücklich
Zigarren an seine Freunde verteilt und ihnen auf den Rücken klopft. Was für
eine verrückte, auf dem Kopf stehende Version von dem, was wir hier erleben.
Ich dachte an Roseanne, wie sie sich in mich
zu verlieben scheint oder dass sie mich vielleicht schon immer geliebt hat und
ich habe es nie gemerkt, weil ich es nicht wollte. Sie ist eine faszinierende
Frau, unberechenbar, offen und ausdrucksvoll, obwohl sie in einem Labor
erschaffen wurde und ich genieße ihre Freundschaft, ihre Gesellschaft. Ich habe
in den letzten Wochen viel Zeit mit ihr verbracht, meisten einfach nur während
der einsamen, stillen Nächte in ihrem Zimmer mit ihr geredet und ich war
dankbar für diese Zeit. Ich habe versucht, die Blicke und Berührungen zu
ignorieren, die Traurigkeit in ihrem Gesicht, immer wenn ich sie verlasse. Ich
will nicht, dass sie mich liebt. Ich will nicht, dass sie Dinge von mir
braucht, die ich ihr nicht geben kann.
Ich dachte über das unabwendbare Vergehen
der Zeit nach. Früher oder später würde das hier zu Ende sein. Früher oder
später würde ich zurück in meinem Zimmer sein oder in der Cafeteria, würde die
Antwort wissen und auf etwas anderes schauen, als auf Alex Krycek's
gelangweilten, steinernen Blick. Aber er war nicht gelangweilt. Es war
gespielt, eine Verstellung meinetwegen, genutzt um die Tatsache zu verbergen,
dass er sich genau so fühlte wie ich. Unangenehm und ängstlich.
Wir verbrachten genau vier Stunden und
zweiunddreißig Minuten in dieser selbst auferlegten Hölle. Ich hätte sicherlich
in den Flur hinausgehen können um zu warten, aber vielleicht wollte ein Teil
von mir bestraft werden. Vielleicht wollte das auch ein Teil von ihm.
Das erste Zeichen dafür, dass die
Neuigkeiten nicht gut waren, kam in Form von Scully's
Abwesenheit. Ich hatte erwartet, dass sie diejenige sein würde, die es uns
mitteilt, aber als Roseanne in der Tür erschien, mit einem Stapel von
Diagrammen und Tabellen in den Händen, war sie allein. Sie war ängstlich und
angespannt, eine Frau, die sich in den Löwenkäfig begibt. Ihr Benehmen war das
zweite Zeichen dafür, dass nicht alles in Ordnung war.
"Und?" Krycek
war der Erste, der etwas sagte. Er war in dem Augenblick auf den Füßen, in dem
sie den Raum betreten hatte. Ich bin sitzen geblieben. Meine Knie zitterten zu
sehr, als das ich hätte stehen können.
"Na ja..." Roseanne hörte auf und
schaute mindestens vier oder fünf Mal zwischen uns hin und her. "Das Baby
scheint gesund zu sein."
Das war eine Erleichterung aber ziemlich
offensichtlich nicht die einzige Information auf die wir gewartet hatten.
Ich verschränkt meine
Finger erwartungsvoll und frustriert. Krycek war
nicht so geduldig.
"Und?" bohrte er nervös. Roseanne
seufzte zitternd und fummelte mit den Zetteln in ihrer Hand herum.
"Und...Dana ist gesund und die
Schwangerschaft sollte nicht allzu kompliziert werden, aber .... da ist
etwas...ungewöhnliches."
"Ungewöhnlich?"
"Ja, ich bin...ich habe irgendwie keine
Ahnung, wie ich es erklären soll."
Sie begann, ihre Zettel durchzuwühlen,
wahrscheinlich, um eine Antwort zu finden, aber die anzusehen schien sie noch
mehr zu verstören und sie legte sie schließlich auf den nächstbesten Stuhl.
"Warum fängst du nicht vom Anfang an," empfahl ich, weil ich mich an die Taktik erinnerte,
die ich in der Vergangenheit angewendet hatte, um Geschichten aus den Leuten
herauszuholen, die mir bei den Fällen begegnet sind.
Krycek rollte seine Augen, offensichtlich nicht daran
interessiert, wie es anfing.
"Naja, der Anfang, äh...ich nehme an
der Anfang war, als Dana entführt wurde."
"Was hat das damit zu tun?" fragte
Krycek und klang ein kleines bisschen verteidigend.
"Unserer Vermutung nach, wurde sie in
einen Zustand der Super-Ovulation versetzt, als sie entführt wurde. Ihre
Eizellen wurden ihr entnommen und da Frauen in ihrem Leben nur eine endliche
Anzahl an Eizellen produzieren können, wurde sie von diese
Prozedur unfruchtbar. Wenigstens ist es das, was wir alle dachten."
"Nun, die Tatsache, dass sie schwanger
geworden ist, hat diese Theorie ja jetzt auf den Müll befördert," unterbrach Krycek, der von
Sekunde zu Sekunde genervter wurde. So nervös ich selbst auch war, war ich doch
extrem neugierig, worauf Roseanne damit hinauswollte.
"So erschien es,"
antwortete sie und schaute Krycek von der Seite an.
"Als sie schwanger wurde hatten wir angenommen, dass das Krebsheilmittel
irgendwie....irgendwie auch ihre Fruchtbarkeit wieder
hergestellt hatte, es bewirkt hatte, dass sie wieder Eizellen produzieren
konnte, die von einem von euch beiden befruchtet wurden."
In diesem Moment hatte sie zu mir gesehen,
was mein Herz dazu brachte, sich lächerlich zu überschlagen. Für den Bruchteil
einer Sekunde war ich mir sicher, dass ich es war.
"Wenn das der Fall gewesen wäre," fuhr sie fort, "würde die DNA des Kindes
charakteristische Merkmale zeigen, die der von Dana ähnlich sind und der des
...des Vaters. Also, äh, jedes Kind bekommt die Hälfte seine genetischen
Materials von der biologischen Mutter und die andere Hälfte vom biologischen
Vater, also wenn wir einen Vaterschaftstest machen, überprüfen wir das Zeug,
was zur Mutter passt und vergleichen den Rest mit einer Probe vom potentiellen
Vater."
Selbst ich konnte einen leichten Seufzer
wegen dieser eingeschobenen Genetik Lektion nicht unterdrücken. Wollte sie es
einfach vermeiden, uns die Wahrheit zu sagen? Das Elend hinauszögern und
verlängern?
"Na ja, als wir versuchten, das zu tun,
stießen wir auf ein kleines Problem. Die, äh, die Sache ist die...das Kind
hat... es gibt kein genetisches Material von Dana. Es ist...es ist von euch
beiden."
Es wäre eine totale Untertreibung zu sagen,
dass diese Nachricht schockierend war. Es wäre eine Übertreibung zu sagen, es
war das eigenartigste, was ich je gehört habe.
"Warte mal, was?" fragte Krycek und wedelte mit seiner Hand in der Luft herum wie
ein Schiedsrichter. "Was hast du gesagt?"
"Ich weiß nicht, wie ich es erklären
soll, Alex. Das Ausschlussverfahren sagt mir, dass es Mulder's Physiologie ist,
die die Situation verursacht hat, weil er derjenige ist, der äh...verändert
wurde. Ich könnte mir am ehesten denken, dass etwas davon Auswirkung auf seine
Spermien hatte und diese sich in diesem Fall wie Eizellen verhalten
haben."
Selbst mein Samen ist zu einer X Akte
geworden. Wahrscheinlich war das nur eine Frage der Zeit.
"Na ja, das erklärt die
Gewichtszunahme."
Glücklicherweise hatte das offenbar keiner
der beiden gehört.
"Also, du sagst, das Kind ist.... dass es..."
Krycek quälte sich. Ich machte dumme Witze. Es war eine
ringsherum beschämende Szene. Aber irgendwo zwischen all der Entmannung und der
Eigenartigkeit, fühlte ich Glück. Freude.
"Es scheint so, als wenn ihr beide die
biologischen Eltern des Kindes seid. Dana ist...nun, sie ist in einer ähnlichen
Situation wie bei einer Invitrofertilisation. Sie ist
die Mutter, aber nicht vollständig."
"Warte. Das ist...das, das kann nicht
stimmen. Es gibt keine...das ist lächerlich. Es gibt keine wie auch immer
geartete wissenschaftliche Grundlage dafür." Krycek
schien dort für eine Weile Scully darzustellen. Abgesehen von der Tatsache,
dass ich niemals irgendwelche Adern auf Scullys Stirn hervortreten gesehen
habe. "Warum sollten die das tun? Es ergibt keinen Sinn!"
"Alex, du kannst es dir selbst ansehen," bot ihm Roseanne an, während sie nach ihren Listen
griff.
"Ich will mir das nicht ansehen! Wo ist
Dana?"
"Sie ist spazieren gegangen. Sie wollte
eine Weile allein sein. Hör zu, Alex, ich weiß, das ist bizarr, aber ist macht
auch wieder in gewisse Weise Sinn. All die Frauen, die sie geholt haben, die
Frauen, die sie jetzt als Sklaven halten, sind alle unfruchtbar wie Dana. Wenn
sie sie als Brutkästen für ihre Kinder verwenden wollten, *würde* es Sinn
machen, eine solche Biologie zu entwickeln. Es ist nur eine kleine
Weiterentwicklung der Hybridenprojekte, die wir beide gesehen haben."
"Nein. Das ist nicht...nein. Ich werde
nicht- ich werde das nicht glauben, bis ich es von Dana gehört habe."
"Alex, sie..."
Bevor Roseanne sagen konnte "will
allein sein," war Krycek
beleidigt aus dem Raum gestürmt und hat mich dort gelassen, wo ich jetzt bin,
im Angesicht meiner eigenen Mutation. Gezwungen dazu zu erkennen, wie unglaublich
lächerlich, verdreht und wundervoll dieses Leben ist. Und ich lache. Gott hilf
mir, ich lache tatsächlich.
Ich weiß, dass das eine unpassende Reaktion
ist. Ich kann sehen, dass Roseanne um meinen Geisteszustand besorgt ist. Mir
ist klar, dass wenn die Realität dieser Situation einsetzt, ich nicht mehr eine
einzige verdammte Sache daran amüsant finden werde, aber was kann ich genau in
diesem Moment anderes tun?
Ich werde Mutter.
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Wieder in den verfluchten Wald. Warum immer
in den Wald? Warum kann sie sich nicht wie ein normaler Mensch verhalten, statt
wie eine verdammte Heldin aus einem Märchen der Gebrüder Grimm?
Wohin würde ein normaler Mensch gehen? Nach
Hause? Zu einer Freundin? In ihr Büro?
Habe alle diese Ort aufgesucht und auch noch
andere. Der Wald ist der einzige Ort, der übrig bleibt und natürlich, da ist
sie hingegangen. Dorthin, wo sie *immer* geht.
"Dana!"
Ich habe ihren Namen schon so oft gerufen,
dass meine Kehle schon rau ist. Zweige haben blutige Spuren auf meinem Arm und
meinem Gesicht hinterlassen. Trotzdem - kann nicht aufhören. Kann nicht
aufhören, bis ich sie gefunden habe.
Wo zur Hölle ist sie?
Warum zur Hölle musste sie wegrennen? Alles
was sie tun musste war, dort hineinzugehen und mir die Wahrheit zu sagen.
Selbst wenn es Mulders ist, ich kann damit leben. Aber Roseanne zu schicken, um
mich anzulügen, wie konnte sie das tun? Wie konnte sie mir das antun? Warum?
"Day-nnaaaah!"
"Hier drüben."
Die Stimme ist klein und leise, besonders im
Vergleich zu meinem gebrochenen Brüllen und es kommt hinter einem Baum hervor.
Sie hockt auf dem Boden in der Nähe eines
Baches und zeichnet mit einem Stock Muster in den Dreck, allein und verlassen
und ich fühle mich wie das Biest im Gegensatz zu ihrer Schönheit. Selbst das
Rascheln der Blätter unter meinen Stiefeln erscheint mir störend und laut.
"Hier bist du."
Ich möchte wirklich sagen "Warum bist
du hier?" aber ich habe ohnehin schon das Gefühl, als hätte ich ihre
Trauer unterbrochen und erneuert.
Und sie ist traurig.
Ich dachte, dass ich mit ihr reden müsste,
dass ich es nicht glauben könnte - wollte, was Roseanne gesagt hat, bis ich es
von Dana selbst gehört habe. Ich war wütend, weil sie nicht da war um es zu
bestreiten und mir eine andere Antwort anzubieten. Aber jetzt wo ich sie ansehe
muss ich sie nicht fragen, um zu wissen, dass sie es auch glaubt.
"Dana..."
Sie muss die Fragen in meinem Kopf hören,
die Verwirrung und die Frustration. Wie kann sie es glauben?
"Es gibt keine andere Erklärung, Alex.
Das Baby ist menschlich und gesund, aber ... dieses Baby... es ist noch nicht
einmal meins."
Ihr Stimme bricht fast unmerklich und etwas primitives und abscheuliches regt sich tief in meinem Magen.
Ich möchte Mulder wieder schlagen und diesmal so lange weitermachen, bis er
wirklich tot ist. Ich möchte, dass sie sieht, was er getan hat und wie er unser
Leben so völlig verdorben hat, wie ein ganz besonders heimtückischer Virus.
Alles, was ich tun kann ist, mich zu übergeben.
Ladungen von widerlichem, ranzig aussehendem
Zeug schießen aus meinen Gedärmen und in den Bach und als nichts mehr übrig
ist, spüre ich ihre Hand, ruhig und tröstend auf meinem Rücken.
"Schh, Alex,
es ist gut. Es ist gut."
Als ich aufgehört habe zu zittern, führt sie
mich etwas den Bach hinauf, dorthin wo ich das Wasser nicht verdorben habe und
wir knien uns zusammen hin, so dass ich mir den Mund ausspülen kann. Sie nimmt
Wasser in ihre Hände und lässt mich daraus trinken.
"Es ist gut,"
sagt sie wieder, aber ich bin mir diesmal nicht sicher, ob sie zu mir oder zu
sich selbst spricht.
Wir sitzen beieinander, lehnen uns
aneinander an und starren lange Zeit schweigsam auf das Wasser. Tausende von
Fragen und Widersprüchen gehen mir durch den Kopf, tausende von Gründen, warum
das nicht wahr sein kann, aber alle verenden auf dem Weg von meinem Gehirn zu
meinem Mund. Es ist wahr. Das ist einfach so.
"Es tut mir Leid,"
flüstert sie schließlich und lässt ihren Kopf auf meinen Arm fallen. Ich möchte
nicht, dass es ihr Leid tut. Ich möchte einfach, dass es weg geht.
"Ich verstehe einfach nicht..."
"Ich auch nicht, Alex."
In dem Moment spüre ich Feuchtigkeit durch
meinen Ärmel sickern und bemerke, dass sie weint. Natürlich. Natürlich weint
sie. Wie konnte mir nicht klar sein, dass sie das tun würde?
Ich hebe ihr Kinn ein bisschen an und
versuche, ihr in die Augen zu sehen, aber die sind geschlossen und stumme
Tränen rollen an ihren Wangen und Lippen entlang.
"Hey, es ist...weine nicht, Baby. Weine
nicht."
"Aber es ist nicht...nicht meins. Ich
kann immer noch kein Baby bekommen."
Gott, sie muss die Entdeckung ihrer
Unfruchtbarkeit noch mal von vorn erleben. Das ist schlimmer für sie, als es
für mich ist. Ich fühle mich auf einmal sehr selbstsüchtig und dumm und
schwach.
"Es ist deins, Dana."
"Nein, nein das ist es nicht. Wie kann
ich...wie kann ich das schaffen, Alex?"
"Möchtest du es nicht mehr haben?"
Sie bedeckt ihr Gesicht mit ihren Händen und
nickt halb und zuckt halb mit den Schultern. Ich bin überrascht, dass mich der
Gedanke immer noch erschreckt.
"Na ja, du ...du musst es nicht
behalten. Ich meine du könntest immer noch...aber Dana, es ist deins."
"Wie Alex? Wie kann es meins sein?"
Sie öffnet schließlich ihre Augen und die
Kombination aus Panik und Wut, die ich in ihr sehe zwingt mich, etwas zu tun,
zu verstehen und zu erklären, inwiefern es wirklich ihres ist.
"Es braucht mehr als nur DNA, um ein
Baby zu machen. Sie wächst in dir, sie würde ohne dich noch nicht einmal
existieren."
Die Argumente bilden sich frisch in meinem
Kopf, als ich sie ihr unterbreite. Es ist alles neu für mich, aber es klingt
richtig. Es fühlt sich richtig an. Vielleicht ist es nicht das Ende der Welt.
"Es tut mir Leid, Alex," sagt sie wieder. Vielleicht klang das mehr nach
einer Anschuldigung, als es beabsichtigt war.
"Das muss es nicht. Ich bin froh, dass
sie existiert. Trotz...na ja, wie auch immer, es ist keine völlig schlechte
Sache."
Sie schnieft und lacht ein bisschen, wischt
ihre Nase mit ihrem Ärmel ab.
"Sieh mich an. Sieh uns an, Alex. Wir
sind hinüber. Wie zur Hölle sollen wir das schaffen?"
"Ich denke wir halten uns ganz gut,
wenn man die Umstände bedenkt."
Sie lacht wieder, diesmal mit etwas mehr Freude
und schüttelt ihren Kopf.
"Es kann sein, dass du damit recht
hast."
Ich weiß, dass ich recht habe. Wir sind die
stärksten Menschen, die ich kenne. Jeder andere wäre schon vor langer Zeit
zusammengebrochen.
"Ich kann nur einfach nicht glauben,
dass es diesen Menschen geben soll, diesen kleinen, winzigen Menschen, der ein
Teil von dir ist und ein Teil von Mulder, der aus mir herauskommt und in dieser
Welt lebt."
Ein weiterer Anfall von Übelkeit überkommt
mich, aber ich bringe es fertig, es dieses Mal unter Kontrolle zu halten und
ihn wieder zurück in meinen Magen zu drücken. Es macht mich krank, aber zur
gleichen Zeit macht es mich glücklich. Es ist eine Kombination, an die ich mich
erschreckenderweise gewöhne.
Ich frage mich, ob sie das Geschlecht des Babys
herausgefunden haben, ob ich damit recht behalten habe, aber ich habe Angst,
dass ich mich geirrt habe und ich mich noch schlechter fühlen würde, es zu
wissen. Ein Junge mit Mulders Genen. Was wenn das Baby genau so wird wie er?
"Nur noch sechs Monate," sagt sie zu mir, nimmt meine Hand und legt sie auf
ihren Bauch. Sie ist plötzlich melancholisch. Ich bin froh.
"Ist das alles?"
"Ja. Ich kriege sogar schon einen
Bauch. Merkst du das?"
"Nicht wirklich. Vielleicht ein
bisschen."
Sie drückt meine Hand noch fester auf ihre
Haut, ihre warme, weiche, einladende Haut und meine Muskeln ziehen sich
unfreiwillig zusammen.
"Ich frage mich, wie dick du wirst," sinniere ich und versuche, mich von der Art, wie sie
sich anfühlt abzulenken.
"Dicker als mir lieb ist, bin ich mir
sicher."
"Manche Frauen werden überhaupt nicht
sehr dick."
Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass sie
nicht eine dieser Frauen sein wird. "Ich bin jetzt schon dicker als mir
lieb ist. Allerdings wird dir vielleicht ein Teil davon gefallen..."
Sie bewegt unsere Hände auf ihrem Bauch
hinauf zu einer ihrer festen, aber wesentlich größeren Brüste. Die Brustwarze
ist hart und sie drückt meine Finger darum zusammen und seufzt.
"Fühlt sie irgendwas anders für dich
an?"
Ja. Ja, alles. Ich kann es aber nicht zu ihr
sagen. Besonders nicht jetzt.
"Äh...ein bisschen."
Sie klettert plötzlich auf mich drauf und
setzt sich, in einem offensichtlich zufälligen Ausbruch sexueller Energie,
rittlings auf meinen Schoß. Oder vielleicht ist er auch nicht so zufällig. Ich
habe es auch gespürt.
"Es wird...es wird bald dunkel werde," kriege ich fertig zu stammeln, wissend, dass es
ziemlich lahm ist, das zu sagen, aber ich bin nicht imstande, mir eine andere
Entschuldigung auszudenken.
"Na ja, dann beeilen wir uns besser."
Sie küsst mich mit einer unverhohlenen
Leidenschaft, die mich erschreckt und so tief berührt, dass ich mir einen
Augenblick lang erlaube zu vergessen, es wirklich als das zu genießen, was es
ist und nichts anderes. Aber es dauert nicht lange, bis die Bilder kommen, wie
sie es immer tun. Schließlich huste ich ziemlich heftig in ihren Mund.
Sie zieht sich zurück, besorgt.
"Geht es dir gut? Du wirst nicht wieder
krank, oder?"
"Ja. Nein. Ich meine...es geht mir gut.
Wir sollten wirklich zurückgehen."
"Warum? Hast du eine Verabredung?"
Sie drückt sich gegen mich und bemerke, wie
ich hart werde, trotz all meiner gegenteiligen Bemühungen. Ihre Hände sind
überall. Auf meinem Gesicht und meiner Brust, in meinen Haaren. Es fühlt sich
so gut an, so angenehm. Vielleicht kann ich das tun.
"Komm schon, Baby, ich verspreche, ich
erzähle es nicht deiner Frau," flüstert sie
witzelnd in mein Ohr, aber die Gewalttätigkeit, die das in mir auslöst, ist
überhaupt nicht komisch.
"Hör auf!" fordere ich barsch,
wünsche mir verzweifelt, dass es aufhört, dass der Schmerz und die Übelkeit weggeht.
Sie zieht sich abrupt zurück, ängstlich und
verwirrt. Die Schlinge liegt fester als sonst um meinen Hals.
"Es...tut mir Leid?" versucht sie,
aber sie hat unrecht. Sie hat unrecht. Sie sollte sich nicht dafür
entschuldigen. Ich sollte sie sich nicht so fühlen lassen, die Krankheit noch
weiter anfachen.
Ich bin der, dem es Leid tut. Mir tut es
Leid und ich bin krank und verdreht. Aber ihr zu sagen warum, wäre die
ultimativ selbstsüchtigste Handlung. Ich muss das entweder beenden, oder ihr
geben, was sie will, selbst wenn das heißt, tiefer in diese selbst geschaffene
Hölle zu sinken. Das erste Mal in meinem Leben habe ich ehrlich keine Ahnung,
was ich tun soll.
Ende Kapitel 7
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Kapitel 8
Schön, was kann man dazu sagen? Es gibt
schlechte Tage und es gibt Tage, die spotten einfach jeder Beschreibung. Tage,
die so schlecht sind, dass es dafür keine Worte gibt. Tage, an denen man
herausfindet, dass die Möglichkeit besteht, dass kleine graue Männchen dein
Zuhause überfallen und niederbrennen werden, jeden töten werden, denn man kennt
und gern hat. Tage, an denen man herausfindet, dass das Kind, mit dem man
schwanger ist, nicht wirklich das eigene ist, sondern statt dessen das Kind des
halb-außerirdischen, weiblichen Mannes, der früher dein Partner war und des
halb-verrückten, manchmal Bastards, der dein Ehemann sein sollte oder dein
Geliebter oder...oder irgendwas, aber der dich gerade im Moment noch nicht
einmal küssen kann, ohne dass es ihn würgt. Es gibt die Tage, für die man sich
noch nicht mal die Mühe machen sollte aufzustehen.
"Alex, was ist los?"
Er starrt seit seinem Ausbruch ausdruckslos
an mir vorbei, auf irgendeinen entfernten Punkt, als wollte er selbst
herausfinden, was dazu geführt hat. Ich bin nicht geduldig genug zu warten, bis
er es alles in seinem Kopf aussortiert hat. Ich möchte nicht seine
überarbeitete, verdrehte Version hören. Es ist schon lange zu spät für
Manipulationen.
"Alex, sag es mir. Sag es mir jetzt.
Hör auf, darüber nachzudenken."
"Es...es ist nichts. Es tut mir leid.
Wir sollten wirklich zurück gehen."
"Nein. Wir werden nirgendwohin gehen,
bis du mir gesagt hast, was mit dir los ist. Du hast mich nicht mehr angefasst,
seit wir herausgefunden haben, dass ich schwanger bin. Ich möchte, dass du mir
sagst warum."
"Es ist nicht wichtig. Es ist nichts,
worüber du dir im Moment Gedanken machen solltest."
Er hat in gewissem Sinne recht. Unsere höchste
Priorität sollte es sein, ein Meeting zu organisieren, um die verbleibenden
Leute davon zu überzeugen, dass sie die richtige Wahl treffen, wenn sie bei uns
bleiben. Zweitens sollten wir herausfinden, warum genau es die richtige Wahl
ist. Drittens und bald erstens - das Baby. Wir müssen anfangen, uns auf die
Tatsache vorzubereiten, dass ein anderes menschliches Wesen in wenigen Monaten
von uns abhängig sein wird. Sex sollte nicht das wichtigste sein, was ich im
Moment im Kopf habe.
Es gibt Arbeit zu erledigen, Pläne zu
machen. Aber ich weiß nur zu gut, dass wir dazu bestimmt sind, zu versagen,
wenn Alex und ich nicht funktionieren, wenn wir nicht völlig als Team
funktionieren.
Außerdem bin ich schwanger. Es ist eine
allseits bekannte Tatsache, dass schwangere Frauen jede Menge Sex brauchen.
"Du wirst dem Baby nicht weh tun, das
weißt du."
"Ich weiß das", nickt er.
"Ich habe in der Bibliothek Bücher über Babys gelesen."
"Das hast du?" Der Gedanke
sonderbar anrührend, obwohl ich mir sicher bin, dass Doktor Spock nicht viele
Erkenntnisse zu unserer speziellen Situation beizutragen hat.
"Ja, ich weiß alles über schwangere
Frauen und Sex."
Seine Mundwinkel heben sich ein wenig und er
sieht mich endlich an. Ein gutes Zeichen, auch wenn seine Augen schwarz wie
Bratpfannen sind.
"Also, was ist es dann?"
"Es ist nur...es ist so blöd, Dana. Ich
will dich nicht aufregen."
"Zu spät, Baby."
Versteht er immer noch nicht, dass mich
*nichts* mehr aufregt, als wenn er Dinge vor mir verbirgt? Sind wir die zwei am
meisten kommunikationsgestörten Menschen in diesem Universum?
"Okay,"
seufzt er. "Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt."
Ich klettere von seinem Schoß, um ihm ein
bisschen mehr Platz zu geben, aber ich lasse meine Hand auf seinem
Oberschenkel, um mit ihm verbunden zu bleiben.
"Ich möchte nicht, dass du denkst, dass
hätte irgendetwas mit Vertrauen zu tun," beginnt
er und ich kann einen winzigen Schauer nicht unterdrücken. Kann eine
Unterhaltung, die so anfängt gut enden?
"Oder etwas mit meinen Gefühlen für dich
oder mit deiner Wirkung auf mich oder ... oder irgendetwas mit dir."
Ein bizarrer Gedanke taucht in meinem Hirn
auf, fast wie ein Deja vú,
als wenn ich das alles schon mal irgendwo gehört hätte. Vielleicht in einem
Film. Oder einem Buch. Über...
Nein, das kann nicht sein. Oder? Er stand in
der letzten Zeit unter ziemlich großem Stress. Es scheint mir eine dumme Idee
zu sein, ihn zu fragen, aber vielleicht würde es für ihn dann leichter sein, es
mir zu sagen.
"Bist du, äh... hast
du...Probleme...dort?" frage ich vorsichtig und schaue kurz aber gezielt
in Richtung seines Schrittes.
"Wovon sprichst du?"
Verdammt. Toller Erfolg. Ich habe
wahrscheinlich alles noch hundertmal schlimmer gemacht.
"Ich bin nicht impotent, wenn du das
denkst!"
"Okay, okay. Es ist nur... es tut mir
Leid. Erzähl einfach weiter. Ich werde dich nicht mehr unterbrechen."
Er atmet tief ein und fängt an, Muster in
den Dreck zu zeichnen mit dem gleichen Stock, den ich vorhin verwendet habe.
Und dann beginnt er zu sprechen.
"Ich habe nur...ich habe ein paar
Schwierigkeiten. In meinem Kopf. Ich denke es fing an, als du mir von Mulder
erzählt hast."
Natürlich. Das war die einzige andere
Möglichkeit.
"Es ist aber nicht das, was du denkst.
Es geht nicht darum, dass ich wütend auf dich bin oder deine Gefühle für mich
bezweifle. Es ist nur, dass ich seit diesem Tag, jedes Mal wenn ich versuche,
an dich auf ... auf sexuelle Weise zu denken, Probleme habe, irgendetwas
anderes zu sehen. Selbst wenn ich mir einen runterhole. Am Anfang versuche ich,
an etwas anderes zu denken, aber es läuft immer wieder darauf hinaus."
Oh Gott, er hat recht. Es ist nicht das, was
ich annahm. Es ist viel schlimmer. Mit Wut hätte ich viel besser umgehen
können. Über Zorn kann man hinwegkommen und ihn vergessen. Aber wie löscht man
Bilder aus dem Kopf von jemandem?
"Ich habe einfach Angst, dass das alles
sein würde, was ich sehe, wenn wir uns lieben und ich die Augen schließe und
dass ich mich einfach daran gewöhne und dass du einfach ... dazu wirst."
"Oh, Alex... ich ... es tut mir so
leid."
"Es ist nicht deine Schuld. Es ist mein
Problem."
"Nein, es ist unser Problem. Und ich
hätte wissen müssen, dass es das sein würde. Es war dumm von mir, zu glauben,
dass es dich nicht auf diese Weise belasten würde. Dass du augenblicklich
vergeben und vergessen würdest."
Und jetzt, mit dem Baby, wie wird er jemals
in der Lage dazu sein können, darüber hinwegzukommen, wenn diese ständige
Erinnerung uns jeden Tag begleitet?
"Ich habe dir verziehen, Dana. Ich habe
dir gesagt, es hat nichts damit zu tun. In gewisser Weise ist es eigentlich
wirklich eine gute Sache, dass du es getan hast. Wenn du es nicht getan
hättest, hätten wir jetzt kein Kind."
Ich kann ein Lachen unter meinen Tränen
nicht unterdrücken. Er hat diese Gabe, meine negativen Gedanken umzukehren und
sie zu etwas Positivem zu machen.
Selbst wenn er durch seine eigene
persönliche Hölle geht.
"Okay, du hast vergeben. Aber du hast
nicht vergessen, Alex."
Ich drücke leicht sein Bein und er bedeckt
meine Hand mit seiner.
"Ich möchte es."
"Dessen bin ich mir sicher."
"Ich weiß nur nicht wie, Dana."
Ich weiß das auch nicht. Aber ich bin mir
ziemlich sicher, dass es nichts gibt, was ich tun kann. Es scheint mir so, als
wäre es der beste Weg, die Sache einfach frontal anzugehen, aber das zu
empfehlen, scheint mir der falsche Ansatz zu sein. Das letzte, was er jetzt
brauchen kann, ist sich unter Druck gesetzt zu fühlen.
Warum fühle ich mich plötzlich wie ein
geiler pubertierender Jüngling, der versucht, seine neue Freundin zum Knutschen
auf dem Rücksitz zu überreden?
Weil ich geil bin, verdammt. Gottverdammt
noch mal.
Bedauernswerterweise lässt der Gedanke
daran, dass dieser Tag ohne Sex enden wird, Tränen der Enttäuschung in meine
Augen steigen.
Ich spüre, wie er nach meinen Fingern greift
und meinen Namen sagt, aber das alles scheint auf einmal weit weg zu sein. Der
Klang seiner Stimme wird von dem Brüllen des Ozeans in meinen Ohren übertönt.
Seine Berührung wird abgeschwächt von dem aufdringlichen Pulsieren zwischen meinen
Beinen, dem Verlangen nach mehr.
Alles was ich will, ist ein kleiner Quickie. Warum muss das bei uns so verdammt kompliziert
sein?
"Djewotschka?
Geht es dir gut?"
Ich nicke kurz und wische mir über das
Gesicht, versuche in die Realität zurückzukehren und mich daran zu erinnern, wo
wir in unserer Unterhaltung stehen geblieben waren. Ein kurzer Blick in seine
Augen ist alles, was ich brauche, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen,
um zu erkennen, was wirklich wichtig ist.
"Es...es geht mir gut, Alex. Ich bin
nur...ich weiß nicht, ob es dir möglich ist zu vergessen. Wenn es das ist, wird
es Zeit brauchen. Vielleicht sehr lange..."
Ich höre auf und starre auf unsere Hände,
die nun ineinander verflochten sind und mir fällt etwas sehr wichtiges auf.
Etwas, an das ich bis jetzt gar nicht so richtig gedacht hatte. Und es kommt so
plötzlich über mich, dass ich eine Weile atemlos bin.
Ein kleiner Quickie
ist tatsächlich nicht alles, was ich will. Genaugenommen ist er ganz unten auf
der Liste, wenn es hart auf hart kommt, egal was mein Körper sagt. Oder
schreit.
"Aber Alex, du könntest...du könntest
mir sagen, dass es unser ganzes Leben dauern würde und es würde nicht eine
Sache ändern. Es würde keine Rolle spielen. Ich meine, das würde es. Es würde
mich sehr traurig machen, sehr äh...frustrieren, aber ich würde das hier
deswegen nicht weniger wollen."
"Was wollen?"
"Uns. Zusammen. Eine Familie. Ich...ich
kann ohne den Sex leben, wenn das bedeutet mit dir zu leben, dieses Kind mit
dir großzuziehen. Das ist alles, was ich will, Alex. Es ist alles, was ich
brauche."
"Willst du mir sagen, dass es dir egal
ist, wenn wir nie wieder Sex haben?"
"Nein, nein, es ist mir nicht egal. Ich
möchte es. Aber ich lebe lieber ohne Sex als ohne dich. Ich nehme an...ich
nehme an, was ich sagen will ist, dass du bereits mein Leben bist, mein alles.
Sex ist nur der Zuckerguss auf der Torte."
Er lächelt und legt seinen Arm um meine
Schultern, zieht mich an seine Brust und drückt mich so fest an sich, dass es
fast weh tut. Als er wieder spricht ist seine Stimme rau und tränenerstickt.
"Ich fühle auch so, Dana. Aber, mein
Gott, ich will mit dir schlafen."
Wir beide lachen amüsiert und bestürzt.
"Es tut mir so leid, Alex. Ich wünschte,
ich könnte dafür sorgen, dass das von dir weggeht,"
flüstere ich in sein Hemd. "Aber das kann ich nicht. Verstehst du?"
"Ich weiß. Ich weiß, dass du das nicht
kannst. Deswegen wollte ich es dir erst gar nicht erzählen."
"Ich bin froh, dass du es getan hast.
Jetzt verstehe ich es wenigstens."
Wir trennen uns widerwillig voneinander. Es
wird jetzt wirklich dunkel. Und sehr kalt. Es ist Zeit zu gehen.
"Bringst du mich nach Hause,
Captain?"
Ich stehe auf, strecke meine Hand aus und er
nimmt sie und erhebt sich langsam auf seine Füße.
Als wir zum Camp zurücklaufen, Arm in Arm,
bin ich eigenartigerweise, unpassenderweise aber ganz
ehrlich zufrieden.
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Ich nehme an der Schein kann trügen, aber
ich muss sagen, dass Dana im Moment friedvoller aussieht, als ich sie je
gesehen habe.
Selbst im Schlaf sieht ihr Gesicht oft
gequält aus, voller Sorgenfalten und zerfurcht von den Gedanken aus ihren
wachen Stunden, ihr Körper in eine Verteidigungshaltung zusammengerollt. Heute nacht sind ihre Wangen rosig und weich wie die eine Babys,
ein kleines Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln und sie hat ihre Arme und Beine
achtlos quer über das Bett von sich gestreckt.
Ich bin versucht, sie unbedeckt zu lassen
und den Rest der Nacht damit zu verbringen, ihre glühende nackte Haut
anzusehen, aber diese Haut wird langsam zur Gänsehaut. Es fängt langsam wieder
an, nachts kalt zu werden.
Ich ziehe die Decke hoch, wickle uns beide
hinein und schmiege mich an sie. Sie seufzt im Schlaf und schlingt einen Arm um
meinen Hals.
Ja, hier ist Frieden. Es ist schwer zu
verstehen warum, wenn man den Tag bedenkt, den wir hinter uns haben, aber ich
wiege mich in dem Glauben, es hätte etwas mit meinen unglaublichen sexuellen
Kräften zu tun. Oder etwas derartigem.
Es dauerte nur eine relativ kurze
Zeitspanne, bis ich das volle Ausmaß meiner Idiotie erfasst hatte. Es hat mich
ganz besonders heftig in dem Moment getroffen, als wir Arm in Arm aus dem Wald
nach Hause gelaufen sind.
Die meiste Zeit meines Lebens scheint in
einem Nebel aus Erwartungen an mir vorbeizuziehen. Ich verbringe fast all meine
Zeit damit, zwei Schritte vor mir selbst zu stehen, planend, erwartend, immer
vorwärts schauend. Aber an einem Punkt während dieses Spaziergangs schien meine
innere Uhr stillzustehen. Oder wenigstens ein bisschen langsamer zu gehen.
Morgen und der Tag darauf schienen zu verschwinden, genauso wie Gestern und der
Tag davor. Ein paar gesegnete Momente lang waren Dana, ich und die Bäume alles,
was existierte, alles was zählte.
Es wurde mir klar, dass ich trotz allem sehr
viel Glück habe. Ich habe Glück, noch am Leben zu sein. Glück, ein Kind zu
bekommen. Glück, dass sich die Frau, die ich liebe, dazu entschlossen hat, mit
mir zusammen sein zu wollen, in guten und nicht so guten Zeiten. Sich an den
Ereignissen einer einzigen Nacht hochzuziehen, erschien mir plötzlich absurd im
Angesicht all dessen, was wir gemeinsam durchgemacht haben.
Ich blieb stehen, erschrocken über die
Klarheit meiner eben gewonnenen Erkenntnis und Dana sah mich besorgt an.
"Was ist los, Alex? Ein Kojote?"
"Nein, nein. Es ist nur...das ist
lächerlich, Dana. Ich möchte mit dir zusammen sein. Ich möchte mit dir
schlafen."
Sie lächelte ein wenig und nickte, nicht
verstehend.
"Ich weiß. Ich bin da, wann immer du
bereit dazu bist, Alex."
"Ich bin jetzt bereit."
Ehrlich, ich war mir nicht ganz sicher, aber
auf den besonderen ‚richtigen Moment' zu warten, erschien mir immer mehr wie
pure Dummheit. Dieser Moment würde nie kommen, wenn ich nicht dafür sorgen
würde und ich habe schon viel zu lange gewartet. Zu hören, dass sie für immer
warten würde, hat mich das erkennen lassen.
Uns beiden das zu verweigern wäre wesentlich
qualvoller, als für den Rest meines Lebens mit den verdrehten Bildern zu leben.
"Jetzt sofort?" fragte sie. Ich
habe sie am Hinterkopf gepackt und sie zu einem Kuss an mich gezogen um ihr zu
zeigen, ja, ich will sie jetzt sofort.
Ihr Lippen öffneten sich sofort für mich und als meine
Zunge zart die Rückseite ihrer Kehle berührte, wurden mir durch ihr Stöhnen buchstäblich
die Knie weich. Ich war fast augenblicklich hart.
Und sonderbarerweise kamen die Bilder nicht.
Es half, meine Augen geöffnet zu halten.
"Ich denke, ich bin das Ganze völlig
falsch angegangen", flüsterte ich in ihr Ohr. "Ich brauche einen
neuen Ansatz."
"Mmm, klingt
interessant. Was schwebt dir vor?"
Ich zog mich zurück und nahm ihr Kinn in die
Hand, sah ihr lange in die Augen und spürte zum wiederholten Male die Macht
unserer Verbundenheit.
"Ich muss aufhören, die Augen zu
schließen und dich mir vorzustellen und einfach ... einfach meine Augen öffnen
und dich ansehen, hier, mit mir."
"Ich bin hier, Alex. Für immer."
Mehr als alles andere wollte ich sie einfach
an den nächsten Baum drücken und mich in ihr vergraben, aber wir waren immer
noch mitten im Wald und wegen der schnell aufziehenden Dunkelheit und dem
Fehlen einer Taschenlampe, mussten die Bedürfnisse hinter der Erfordernissen
zurückstehen.
"Wer zuerst da ist", flüsterte sie
leichfertig in meinen Mund. Sie war schon zwanzig Meter vor mir, bevor ich
fragen konnte, ob das eine gute Idee wäre. Sie blieb die ganze Zeit vor mir,
aber ich konnte ihr Lachen zu mir schallen hören also nahm ich an, dass es
sicher sei.
Als ich es ins Zimmer zurück geschafft
hatte, keuchend, überhitzt und mich fragend, ob ich wirklich in so einer guten
Kondition sei, wie ich immer geglaubt hatte, saß sie auf dem Bett, völlig nackt
und mit normaler Atmung.
"Wie hast du das gemacht?" fragte
ich, wischte mir dabei massenweise Schweiß von der Stirn und betete, dass ich
jetzt zu mehr fähig wäre, als einfach zusammenzubrechen.
"Muss an diesen Hormonen liegen," grinste sie.
Sie sah so wunderschön aus. Es war das erste
Mal, dass ich es mir gestattete, sie so anzusehen, nackt und schwanger und
strahlend, und das raubte mir das bisschen Atem, das ich noch übrig hatte.
Sie erhob sich auf ihre Knie und ich drückte
ihren weichen, heißen Körper an mich. Ob es die Hormone waren oder einfach nur
ein bisschen Übertreibung um meinetwillen weiß ich nicht, aber ihre normalen
Reaktionen auf meine Berührungen waren irgendwie vervielfacht. Jeder Kuss und
jedes Streicheln entlockte ihr übermäßiges Stöhnen und Schreie des Vergnügens,
deren Authentizität mein Verstand in Frage stellte, aber in denen mein Körper
schwelgte. Ich habe sehr ernsthaft versucht, meinen Verstand auszuschalten.
Es hat eine Weile funktioniert. Als sie
anfing, an meine Sachen zu reißen, brach ihr glaubhafter, ungezügelter
Enthusiasmus durch meine Zurückhaltung und erreichte den Teil von mir, der auf
sie auf einer rein instinktiven Ebene reagiert.
Wir haben ein bisschen so weiter gemacht,
berührend, schmeckend, Empfindungen neu entdeckend, die schon lange im Stich
gelassen wurden. Ich küsste mich auf ihrem leicht gerundeten Bauch nach unten
und spürte etwas neues. Die Lebenskraft in ihr, die
nicht existieren sollte, es jedoch tut. Den winzigen Menschen, den wir genau
durch diesen Akt erschaffen haben.
Erst als ich mein Gesicht zwischen ihren
Beinen vergrub, erst als ich das erste Mal seit wir begonnen hatten meine Augen
schloss, erinnerte ich mich daran, dass wir nicht die einzigen waren, die
dieses Leben erschaffen haben.
Im Nachhinein kommt es mir idiotisch vor,
aber das sind wohl die meisten mentalen Probleme. Sobald ich sie nicht mehr
ansah, kamen die Bilder wieder. Schlimmer als sonst, weil ich sie hören konnte.
Stöhnend. Plötzlich war ich es nicht mehr, der sie das fühlen ließ, es war
Mulder.
Aber sie war immer noch sie und ich war
immer noch erregt. Genau das, wovor ich Angst gehabt hatte.
Ich versuchte sie wieder anzusehen, aber da
war es schon zu spät. Sie hatte sich aufgesetzt, gegen das Kopfende gelehnt,
ihre Lippen geöffnet und Hände in meinen Haaren vergraben, mich weiter
antreibend. Sie war ein Anblick für die Götter, so viel ist sicher. Das Problem
war, ihre Augen waren jetzt geschlossen und die kleine Saat der Unsicherheit
wuchs in mir zu unglaublichen Ausmaßen. Ich fragte mich, ob ihre Gedanken
ebenfalls woanders wären.
Widerwillig - und ich war widerwillig, weil
es verdammt nett war - hörte ich mit dem auf, was ich getan hatte und
verursachte bei ihr ein frustriertes Brummen.
"Alex....Gott,
was ist los?" keuchte sie.
"Sieh mich an."
"Mmmwa?"
"Öffne deine Augen und sieh mich
an."
Sie hat es getan. Und ich habe sie ebenfalls
angesehen. Und es war, um es mal erbärmlich sentimental auszudrücken, völlige
Magie. Plötzlich war es nicht mehr mein Verstand und mein Körper. Es war nur
mein Herz. Und meine Zunge.
Wir beobachteten einander, bis sie die
Schwelle des Orgasmus erreichte und zu diesem Zeitpunkt informierte sie mich
atemlos, "Ich muss jetzt die Augen zumachen."
Während sie kam, rief sie ungefähr zwanzig mal meinen Namen, um das wieder gutzumachen.
Als sie dann auf mir war und sich in einem
langsamen, schwachen Rhythmus bewegte, hat es keine Rolle mehr gespielt, dass
unsere Augen offen waren. Der letzte Rest meiner Unsicherheit war von ihrer
Aufrichtigkeit besiegt worden. Aber ich habe es genossen, ihr dabei zuzusehen,
wie sie mir zusieht. Und ich denke sie hat es auch genossen.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie
wieder kam - ein Orgasmus, der uns beide mit seiner Intensität und
Geschwindigkeit erschütterte.
"Oh Gott, Sex in der Schwangerschaft
ist großartig!" teilte sie mir glücklich mit, als das Beben vorbei war und
sie dann damit weitermachte, mich härter und schneller zu reiten, als ich es
für menschenmöglich gehalten hätte. Ich musste ihr zustimmen.
Ich versuchte auszuhalten, aber es war schon
verdammt lang her, seit ich mir überhaupt einen runtergeholt hatte und sie war
einfach erstaunlicher, als man es beschreiben könnte. Glücklicherweise hatte
sie noch eine letzte Explosion vor meiner in sich.
Als es vorbei war, rollte sie sich von
meinem Körper, streckte sich auf dem Rücken flach auf dem Bett aus.
"Das war so ... oh Gott, Alex, das hat
sich so gut angefühlt."
"Uh-huh," war alles, was ich antwortähnliches zustande bringen
konnte.
"Mein Gott, es ist als wenn alles
einfach so ... ich habe einfach das Gefühl, als wenn alles ... es ist einfach
wirklich intensiv."
"Ja." Zugegeben. Ich bin nicht der
redseligste post-koitale Gesprächspartner.
"Wie geht es dir, Alex? War es...ich
meine, geht es dir gut?"
"Sehr. Sehr gut."
Sie hat gelächelt und mich zart geküsst und
dann ist sie schnell in einen herrlichen, festen Schlaf gefallen. Und sie
schläft immer noch. Ich glaube, dass ich ihr bald Gesellschaft leisten kann.
Vielleicht der Schlaf der Verdammten, aber
warum sollten wir uns beklagen? Wie haben unser Leben und unsere Liebe und wir
erwarten ein Kind. Alles andere sind nur Hintergrundgeräusche.
Ende Kapitel 8
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 9
22. Oktober 2006
Geburtstag ist für mich ein ebenso fremdes
Konzept, wie es Liebe einst war.
Vor ein paar Wochen war Mulders Geburtstag
und als er mich ich bei einem Festessen nach meinem Geburtsdatum fragte,
bemerkte er seinen Fehler fast augenblicklich. Ich wurde nicht geboren. Ich
wurde erschaffen, zum Leben erweckt von skrupellosen Wissenschaftlern, an einem
Tag, den zu notieren sich niemand die Mühe gemacht hatte. Nein, das stimmt
sicher nicht. Es gibt sicher Aufzeichnungen, aber ich war nie berechtigt, diese
einzusehen.
Mulder fand das Fehlen meines Geburtstages
unaussprechlich traurig, was mich unaussprechlich glücklich machte und so
entschieden wir, dass heute, der 22. Oktober, mein Geburtstag wäre. Er sagte,
dass würde mich zu einer Waage machen, wie er einer wäre und das schien mir
richtig zu sein. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was das bedeutet, aber es
klang damals gut. Alles, was uns einander näher bringt, ist etwas Gutes.
Also war heute mein Tag. Wir wollen all das
tun, was ich gern tun wollte, aber alles, was ich tun wollte, war in meinem
Zimmer zu sitzen und sein Gesicht anzustarren. Ich nehme an er dachte das sei
nicht gut genug, weil er mich zu einem Spaziergang im Wald eingeladen hat und
mir ein paar Geistergeschichten erzählt hat, von denen er behauptet, sie seien
wahr. Er konnte nicht die passenden Zutaten für einen Kuchen finden, aber er
hat es fertiggebracht, mir einen albernen Papierhut
zu basteln. Und dann sind wir in mein Zimmer zurückgekommen und er hat mir dich
geschenkt.
Du bist ein altes, mit Drähten gebundenes
Notizbuch, auf dessen Einband getrocknete Blätter und Blüten geklebt sind. Du
bist ein Tagebuch und hast die Besonderheit, das einzige Geburtstagsgeschenk zu
sein, das ich jemals bekommen habe.
Obwohl du ziemlich schön bist, verwirrt mich
deine Existenz. Ich habe ihn gefragt, wozu du nützlich bist.
"Es ist ein Tagebuch", hat er
gesagt. "Dort kannst du alle deine Gedanken und Gefühle
niederschreiben."
Ich habe nicht verstanden, warum ich diese
Dinge schreiben soll, wenn ich schon jeden Tag damit lebe, aber er sagte mir,
dass es ein gutes Gefühl sein würde.
Und wenn nicht, dann wäre es eine Chronik.
"Möchtest du nicht, dass zukünftige
Generationen erfahren, was wir hier getan haben? All die Arbeit, die du getan
hast und all die Dinge, die du erreicht hast?", fragte er. Geschichte. Er
wollte, dass ich unsere Geschichte schreibe.
Unglücklicherweise werden meine Hoffnungen,
dass eine künftige Generation existieren wird, ganz zu schweigen davon, dass
sie das lesen wird, jeden Tag geringer.
Danas Schwangerschaft scheint gut zu
verlaufen. Darin liegt Hoffnung. Aber in jeder anderen Sache die passiert liegt
eine fast greifbare Bedrohung.
Also, künftige Generation, wenn du irgendwo
dort bist - lass mich dir sagen, dass du verdammt viel Glück hast.
Wir haben im letzten Monat noch mehr Leute
verloren. Dieser schreckliche alte Mann mit dem britischen Akzent, der Mann,
der uns eigentlich "helfen" sollte, hat schließlich mehr als die
Hälfte der hier lebenden Leute davon überzeugt, Alex den Rücken zu kehren und
seiner Gruppe beizutreten. Sie mussten zwei unserer Laster stehlen, um alle
hier weg zu bekommen.
Alex hat eine Bitte an sie gerichtet bevor
sie gegangen sind, hat versucht sie davon zu überzeugen, dass sie hier besser
dran sind, mit den Menschen, die sie kennen und die sie angefangen haben zu
mögen, an dem Ort, der ihr zu Hause geworden ist. Es hat nichts genützt. Gegen
Massenpanik kann man schwer argumentieren.
Also sind sie gegangen, haben unsere
Gesamtzahl auf lächerliche einhundertundzwei gedrückt.
Alex hat fast alle seiner Komiteeleiter verloren und die meisten der Komitees.
Wir werden immer weniger, niemals mehr.
Die Menschen, die hier bleiben, bleiben aus
zwei Gründen. Entweder sind sie wie ich und Brian, Alex gegenüber aus welchen
Gründen auch immer loyal, oder sie haben völlig aufgegeben und denken, dass sie
sowieso bald sterben werden und sie deswegen genauso gut hier bleiben können.
Die letztere Gruppe ist wesentlich größer.
Die Moral ist so niedrig wie noch nie.
Manchmal habe sogar ich das Gefühl, dass es sinnlos ist, für die Zukunft zu
planen, weil wir niemals dort ankommen werden.
Die Stimmung ist traurig an meinem
Geburtstag, aber das hat mich nicht davon abgehalten, ihn zu genießen. Dank
Mulder weiß ich jetzt ein bisschen mehr über Liebe und über Geburtstage. Ich
denke, dass ist die einzige Geschichte, die ich heute zu dokumentieren habe.
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4. November
Heute hat jemand meine Schuhe gestohlen.
Ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, was
Mulder mit Geschichte dokumentieren meinte, aber es scheint mir irgendwie wert,
darüber zu schreiben.
Ich hatte sie nur ein paar Minuten lang
ausgezogen. Das Wasser war tagelang abgeschaltet gewesen und ich hatte schon
seit einer Ewigkeit nicht mehr geduscht. Ich stand im Badezimmer meiner
Unterkunft, schaute mich im Spiegel an und fragte mich, ob ich jemals altern
würde, ob meine Haare auch grau werden würden, wie die von Mulder, oder ob ich
immer so aussehen würde, bis ich eines Tages sterbe.
Aus irgendeinem Grund begann ich geistesabwesend
mit dem Wasserhahn zu hantieren und zu meiner großen Überraschung kam Wasser
heraus. Aufgeregt und unsicher darüber, wie lange das Glück andauern würde,
sprang ich so schnell wie ich konnte unter die Dusche.
Es war die kälteste, kürzeste Dusche meines
Lebens und als ich rauskam, mich abtrocknete und
meine Sachen wieder anzog, waren meine Schuhe weg.
Irgendjemand hat meine verdammten Schuhe
geklaut. Ich habe nur ein Paar.
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5. November
Mulder hat mir ein neues Paar Schuhe
besorgt. Stiefel, um genau zu sein. Ich weiß nicht, wo er sie her hat und ich
will es auch nicht wissen. Ich fürchte, wenn ich ihn frage wird er mir sagen,
dass er sie von jemand anderem gestohlen hat.
So ist es jetzt hier.
Es ist so kalt in meinem Zimmer. In einem
Monat oder so wird der Schneefall einsetzen und die Heizung funktioniert nur an
zwei Tagen in der Woche. Es wird ein schlimmer Winter werden. Wenn das so
weiter geht, werden die Leute bald anfangen zu sterben. Aus Unterkühlung oder
Hunger, oder einfach aus Elend, wenn uns die Aliens
nicht vorher in die Finger bekommen.
Ich habe heute mit Dana gesprochen. Sie
macht sie Sorgen. Über alles. Sie sagt, dass sie mit Alex über die Probleme
gesprochen hat, dass er sein Bestes tut und ich weiß, dass es so ist, aber
manchmal denke ich, das ist nicht gut genug. Ich weiß, dass er mehr Hilfe
braucht, als er erbittet.
Sie sieht allerdings gut aus. Gesund.
Wenigstens kümmert er sich um sie.
Ich wünschte, dass Mulder hier wäre. Er ist
letzte Nacht bei mir geblieben. Er hat seine Decke mitgebracht und wir haben
sie zu meinem Stapel hinzugefügt, uns darunter zusammen gekuschelt und uns
gegenseitig warm gehalten. Na ja, das war es zumindestens,
was er getan hat. Ich mag weniger edle Motive gehabt haben.
Heute nacht
arbeitet er allerdings. Wachdienst. Ich frage mich, ob er auch wie ich denkt,
dass wir uns alle voreinander beschützen sollten, anstatt vor äußeren
Eindringlingen.
Die Nächte, in denen er bei mir bleibt, sind
die einzige Sache, auf die ich mich noch freue.
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25. November
Heute ist Thanksgiving.
Wir haben hier keine Truthähne. Nur magere Hühnchen, die schon halb tot sind,
bevor wir sie überhaupt essen. Trotzdem denke ich, dass wir für einiges dankbar
sein sollten. Wir sind immer noch am Leben.
Ich habe Mulder heute nach dem Abendessen
geküsst. Ich denke nicht, dass ich ihn damit allzu sehr erschreckt habe. Er ist
nicht fortgelaufen, wie ich es erwartet hatte. Er hat meinen Kuss sogar
erwidert. Aber nur ein bisschen. Und obwohl er heute nicht arbeitet, ist er
nicht bei mir geblieben.
Manchmal wünschte ich, ich könnte mich mit
jemandem über ihn unterhalten, darüber, was ich fühle, aber es gibt niemanden.
Der einzige Mensch, der verstehen würde und mir annähernd so etwas wie einen
hilfreichen Rat geben könnte ist Dana. Ich kann nicht mit Dana reden. Nicht
darüber.
Ich denke es macht mich einfach wütend und
ich möchte nicht auf Dana wütend sein. Tatsache ist, dass sie ein großer Teil
des Problems ist und es scheint einfach nicht fair zu sein.
Wie kann er sie immer noch lieben? Warum?
Sie hat schon jemanden, der sie liebt. Warum sollte sie zwei haben, wenn ich
niemanden habe?
Ich habe ihn einmal gefragt, wie es ist,
verliebt zu sein. Er sagte, "Es ist wunderbar und es ist schrecklich. Es
ist so, als wenn dieser Mensch das wichtigste auf der ganzen Welt ist und du
nichts mehr willst, als ihn glücklich zu machen. Es ist so, als wenn du alles
geben würdest, um nur eine Minute mit ihm zu verbringen."
Da habe ich erkannt, dass ich ihn liebte und
dass er immer noch in sie verliebt war.
Hin und wieder denke ich, dass er vielleicht
in der Lage wäre, mich auch zu lieben. Manchmal vielleicht, aber wohl nicht
heute Abend.
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13. Dezember
Heute ist jemand erstochen worden. Während
eines Streites um eine Decke. Zu müde und zu kalt, um mehr zu schreiben.
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19. Dezember
Morgen ist ein großer Umzug. Alex hat
entschieden, dass es das beste wäre, wenn wir alle von
nun an im gleichen Gebäude wohnen, um Ressourcen zu sparen.
Wir sollten wenn möglich zu zweit ein Zimmer
bewohnen. Es ist eine gute Idee, aber ich fürchte, es ist ein bisschen zu wenig
und ein bisschen zu spät.
Er versucht es. Das tut er wirklich, aber es
wird so schwer. So angsteinflößend. Und er kann sich
nicht vollständig für uns aufopfern, so wie er es früher getan hat. Nicht mit
Dana, die im siebten Monat schwanger ist und so viel von ihm für sich braucht.
Jedenfalls werden Mulder und ich von nun an
ein Zimmer teilen. Es war seine Idee, was mich überrascht und sehr glücklich
gemacht hat.
Vielleicht werde ich bald mal wieder
versuchen, ihn zu küssen.
Was auch kommt, ich werde mich sicherer
fühlen, wenn er immer bei mir ist.
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26. Dezember
Weihnachten war besser als erwartet.
Mulder und ich haben die Cafeteria geschmückt und ein paar von den Küchenleuten
haben es fertiggebracht, zur Abwechslung ein ziemlich ordentliches Essen
zusammen zu bringen. Es gab genug Essen für jeden und es gab keinen Streit.
Abends hat es angefangen zu schneien, aber nur ein bisschen.
Ich habe mir ein Kleid genäht. Es war weiß
und sah irgendwie einer Toga ähnlich, aber ich denke Mulder mochte es. Ich habe
ihn dabei erwischt, wie er mindestens zwei Mal während des Essens auf meine
Brust gesehen hat.
Dana sah hervorragend aus, obwohl
gigantisch. Ich denke sie hat mehr als jeder andere gegessen, aber keiner hat
sich beschwert. Ich habe mitbekommen, wie Alex zu ihr gesagt hat, "Mein
kleines Mädchen ist gar nicht mehr so klein." Es würde mich nicht
überraschen, wenn er später dafür ein paar hinter die Ohren bekommen hätte.
Wahrscheinlich macht sie Mulder Sorgen
darum, was passieren wird, wenn das Baby geboren ist. Ich muss zugeben, dass
ich das auch tue, aber aus anderen Gründen.
Er möchte diesem Kind ein Vater sein, ein
richtiger Vater mit allen Rechten und allen Pflichten und obwohl Dana sicher
keine Probleme mit seiner Beteiligung haben wird, sind die Konflikte mit Alex
abzusehen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt schon mal miteinander
darüber gesprochen haben, wie das funktionieren soll.
Mulder scheint das zu sorgen. Mich nicht.
Ich glaube mehr an Alex, als es Mulder tut und ich glaube, dass er letzten
Endes das tun möchte, was für sein Kind am besten ist. Außerdem kann ihn Dana
zu allem überreden.
Was mich mehr bedrückt, ist die Situation,
in der das Baby hineingeboren wird. Nicht zwischen den dreien, sondern an
diesem Ort, dieser Welt. Als wir die Schwangerschaft entdeckt haben, konnte ich
nicht fassen, was sie in Erwägung gezogen hat. Ich konnte es nicht verstehen.
Jetzt tue ich das glaube ich. Ich habe Angst um dieses Baby, dieses kleine
unschuldige Leben, mit so viel Potential. Was für eine Existenz können wir ihm
bieten? Wie werden wir es beschützen können, wenn wir uns selbst kaum
beschützen können?
Ich beginne mich zu fragen, ob es vielleicht
besser gewesen wäre, die Schwangerschaft zu beenden, als sie die Chance dazu
hatte.
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5. Januar
Es gab eine Zeit, in der ich
Führungspersönlichkeiten uneingeschränkt vertraut habe. Als die Tatsache, dass
jemand der 'Chef' war bedeutet hat, dass er ohne jeden Zweifel Recht hatte. Als
ich in der Zeit davor mit den anderen zusammenlebte, hatten die Ärzte das
Sagen. Sie sagten uns wohin wir gehen, wie wir aussehen, uns benehmen und
sprechen sollten. Wir haben auf sie gehört, weil sie sich um uns gekümmert
haben, aber auch, weil wir es nicht besser wussten. Wir wussten nichts von
einer Alternative.
Als die Kolonisation begann, sah ich zu, wie
meine Schwestern geopfert wurden, eine nach der anderen, für die Sache. Ich
sah, wie sie sich willig in die Hände der Kolonisten begeben haben, weil es
ihnen die Ärzte so befohlen hatten. Ich habe meine ganze Familie verloren, weil
keine von ihnen wusste, wie man nein sagt, wie man die Autorität der Männer in
Frage stellt, die uns geschaffen haben. Durch eine einzige Sache entging ich
diesem Schicksal; Alex Krycek.
Er hat mich gerettet, genauso, wie er Dana
gerettet hat, obwohl sicherlich aus eigennützigeren Gründen. Er brauchte mich,
eine Wissenschaftlerin, einen Klon, jemanden, mit umfassendem Wissen über das
Projekt. Bald wurde er auch ein Chef, aber eine andere Sorte Chef, als es die
Ärzte waren. Er gab mir Arbeit und er gab mir einen Grund zum Leben, und er gab
mir auch die Freiheit. Die Freiheit des Gedanken und des Wortes und der Taten.
Ich bin ihm immer noch dankbar dafür und das ist der Grund, dass das hier so
verdammt schwer ist.
Alex ist immer noch ein Führer und bis zum
heutigen Tag ist in mir eine Spur von Widerwillen, das in Frage zu stellen.
Aber noch mehr als das respektiere ich ihn als Menschen und verstehe ihn. Mehr
als andere verstehe ich seine Unfähigkeit, jemanden um Hilfe zu bitten, selbst
wenn er sie verzweifelt gebrauchen könnte.
Er braucht sie jetzt. Sehr sehr dringend. Und es ist kaum noch jemand übrig, der sie
ihm bieten könnte.
Das Gefühl des Ausgeliefertseins ist weiter
gewachsen, als der Winter eingesetzt hat. Die Nahrungsmittel sind verzehrt, die
Rationen erschöpft, die Vorräte bis zu einem
beängstigenden Ausmaß aufgebraucht. Für die Zukunft zu planen ist zu einer
lächerlichen Aufgabe geworden. Diese Menschen denken, dass sie sehr sehr bald sterben werden.
Sie haben wahrscheinlich recht.
Alex hat sein bestes getan, aber ein Mann
allein kann nicht alles tun.
Morgen werden Mulder und ich zu ihm gehen
und verlangen, dass wir ihm dabei helfen können, diesen Ort zu organisieren.
Jemand muss es tun und es scheint niemanden sonst wirklich ausreichend zu
kümmern.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXX
6. Januar
Ich habe erwartet, dass er sich angegriffen
fühlen würde. Was wir erbeten haben ist eine Menge für so einen stolzen - manch
einer würde sagen arroganten - Mann. Was ich nicht erwartet hatte war, dass
meine diplomatische Intervention in einen territorialen Piss- Wettkampf
ausartet.
Es hat relativ zivil angefangen. Mulder hat
still dagesessen und ich habe Alex erzählt, dass wir in Schwierigkeiten sind
und dass er beginnen sollte, Verantwortung zu delegieren, die Moral aufzubauen.
Er hörte mir eine Weile still zu, sein Gesicht ausdruckslos und ich dachte,
dass vielleicht irgendetwas zu ihm durchdringt. Bis er auf die Zettel schaute,
die überall auf seinem Schreibtisch verstreut waren und murmelte, "Ich habe
keine Zeit dafür", und das in einem besonders nervtötend endgültigen
Tonfall.
An diesem Punkt hat Mulder angefangen zu
sprechen.
"Spiel uns nicht diesen verärgerten
Führer Mist vor, Krycek", hat er fast über den
Tisch geschrieen, während er sich melodramatisch von
seinem Stuhl erhob. "Das ist etwas, wofür du dir Zeit nehmen musst!"
Von da an ging es ziemlich heftig bergab.
Sehr viel albernes Aufgespiele
fand statt und Alex brachte das ganze schließlich zum Siedepunkt, als er
anfing, von "seinem Kind" zu sprechen und dass das jetzt seine
allerhöchste Priorität sein müsste. Abgesehen davon, dass er damit unsere
Meinung sehr deutlich bewies, haben seine Possessivpronomen Mulder nur noch
weiter gereizt.
"Es ist auch meins, das weißt
du!", erinnerte er Alex schließlich sehr laut- "Und lass mich dir
eines sagen, wenn du vorhast zu versuchen, mich von diesem Baby fernzuhalten,
dann wirst du es bereuen."
Ich hätte das vorhersehen müssen. Im
Nachhinein betrachtet war es wahrscheinlich ein Fehler, Mulder überhaupt erst
mit her zu bringen. Er und Alex müssen erst mal ihre familiäre Situation
klären, bevor sie über irgendetwas anderes diskutieren können.
Das frustrierendste
daran ist, dass ich weiß, dass Alex nicht plant, Mulder von dem Baby
fernzuhalten. Ich weiß, dass die beiden das klären werden, aber als Alex erst
mal in die Ecke gedrängt war, war er nicht willig irgendetwas zu klären.
"Was willst du, Mulder?" hat er
gefragt. "Willst du 'Meine zwei postapokalyptischen Väter' spielen? Willst
du mein Kind und meinen Job? Ist es das? Wollt ihr beiden diesen Ort selbst
leiten? Alle eure großen Pläne umsetzen?"
"Alex, du hörst nicht zu", habe
ich gesagt und versucht, dass Thema wieder auf den eigentlichen Grund unseres
Besuches zu lenken. "Das ist nicht irgendeine Intrige. Wir wollen dir nur
helfen."
"Und ich will dass du die Tatsache
einsiehst, dass es unser Kind ist, nicht deines. Was auch immer du von mir
persönlich denken magst, du hast kein Recht dazu..."
"Mulder", habe ich ihn
unterbrochen und ihn vorsichtig am Arm berührt. "Könntest du uns einen
Augenblick allein lassen?"
Ich hoffe, dass ich ihn damit nicht verletzt
habe, aber ich hatte eingesehen, dass nichts erreicht werden würde, wenn er da
geblieben wäre. Ich denke er hat es auch eingesehen, trotz seines Ärgers und
seines Frusts. Er muss es eingesehen habe, weil er ohne zu streiten gegangen
ist.
Ich habe mich bei Alex entschuldigt. Nicht
weil es mir leid getan hat, sondern weil es der einzige Weg war zu erreichen,
dass er mir zuhört.
"Wir müssen hier
zusammenarbeiten", habe ich zu ihm gesagt. "Wir müssen alle
zusammenarbeiten, wenn das funktionieren soll. Du musst die Menschen an dich
heranlassen, zulassen, dass sie dir helfen. Mit der Arbeit und Dana und dem
Baby. Diese Menschen brauchen Anleitung und eine Richtung und wenn du im Moment
zu beschäftigt bist, das zu leisten, dann musst du es jemand anderen tun
lassen. Niemand will die Führung übernehmen. Niemand bedroht deine Position.
Alles was wir wollen ist dir zu helfen."
Er seufzte und entspannte sich ein wenig in
Mulders Abwesenheit.
"Dana ist diejenige, die mit den
Menschen umgehen kann. Sie ist so gut darin. Aber jetzt..."
"Jetzt muss sie sich um sich selbst
kümmern und um niemand anderen. Ich weiß. Aber Alex, du hast das früher
geschafft, bevor sie herkam. Und du hast es geschafft indem du dich mit Leuten
umgeben hast, die wussten, wie man mit den Menschen umgehen muss, die sie
organisieren und motivieren konnten, sie für die Dinge begeistern konnten, die
sie getan haben. Erinnerst du dich?"
"Ich musste mir damals um kein Kind
Gedanken machen. Ich musste mir um nichts weiter Gedanken machen als darüber,
am Leben zu bleiben."
"Du musst es aber wieder zu einer
Priorität machen, weil wenn du es nicht tust wird niemand mehr da sein, der
sich um dein Kind kümmern kann."
Er sah betroffen genug aus, um es als
Aufforderung zum Gehen zu verstehen, also stand ich auf. Bevor ich die Tür
erreichte, hörte ich wie er sich räusperte und ein paar Papiere hin und her
schob. Ich hielt inne, wartete darauf, was er zu sagen hätte und als er es
schließlich tat, fühlte es sich wie ein Fortschritt an.
"Roseanne? Kannst du - kannst du für
mich nach Dana sehen? Sie wird bald aufwachen und ich habe hier eine Menge zu
tun."
Ich lächelte ihn ein bisschen an, versuchte
ihm zu zeigen, dass er auf dem richtigen Weg ist und ging um zu tun, worum er
mich gebeten hatte.
Ich fand Mulder an Scullys Bett. Sie schlief
immer noch und es sah so aus, als wäre sie in guten Händen, also bin ich wieder
gegangen. Ich nehme an sie haben einiges, worüber sie reden müssen.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
29. Januar
Ja. Ich habe einen Dienstgrad.
Kommunikations- Direktor. Die Tätigkeitsbeschreibung fällt irgendwo zwischen Alex-zu-Englisch Übersetzer und Gemeinschafts
- Cheerleader. Ich denke das es das ist, was er
braucht. Ich hoffe, dass ich nicht versage. Es ist ein Schritt in die richtige
Richtung, dass er mich überhaupt gefragt hat und das ist alles worauf ich im
Moment hoffen kann.
Ich hatte recht was das Baby betrifft.
Gestern habe ich mit Dana gesprochen und wenn ich ihr glauben kann, dann werden
Mulder und Alex das gleiche Sorgerecht haben, wenn das Kind geboren ist. Und
soweit es mich betrifft ist ihr Wort Gesetz. Und was auch immer Alex
herausposaunen mag, wenn sie nicht dabei ist, er weiß das auch.
Sie hat mich nach Mulder gefragt.
"Du liebst ihn", hat sie gesagt.
"Das sehe ich."
Sie war auf der Couch in ihrem Zimmer
ausgestreckt und hat eigenartigerweise auf einem Stift gekaut. Ihre Größe hat
mich abgelenkt. Es schien so, als wenn sie jeden Tag dicker werden würde. Wenn
ich diese Tests nicht selbst durchgeführt hätte, würde ich denken, dass sie
Zwillinge bekommt.
"Woher weißt du das?" fragte ich
etwas beschämt, aber erleichtert, endlich darüber reden zu können.
"Weil dein Gesicht jedes Mal
aufleuchtet, wenn du über ihn sprichst und wenn er in der Nähe ist, du schaust
dann niemand anderen an."
Ich wollte sie fragen, wie ich ihn dazu
bringen könnte, mich auch zu lieben, aber ich wusste, dass das eine dumme Frage
wäre. Man kann niemanden zu bestimmten Gefühlen zwingen.
"Er braucht Liebe, Roseanne", hat
sie zu mir gesagt. "Liebe ihn einfach und du wirst ihn sehr glücklich
machen. Selbst wenn er abweisend ist oder ängstlich oder ... was auch immer,
irgendwann wird ihm klar werden, dass er gefunden hat, wonach er immer suchte."
Mir haben die Ressentiments, der Zorn so
leid getan, den ich ihr gegenüber deswegen empfunden hatte. Sie möchte, dass er
glücklich ist. Sie möchte, dass ich glücklich bin. Sie liebt uns beide und es
war dumm von mir, etwas anderes zu denken.
"Wie lange hat er gebraucht, um sich in
dich zu verlieben?" habe ich sie gefragt.
"Keine Ahnung. Es hat Jahre gedauert,
bis er mich wirklich an sich herangelassen hat."
Durch diese Worte habe ich mich ein bisschen
besser und ein bisschen schlechter gefühlt. Was, wenn wir nicht mehr jahrelang
Zeit haben?
Ende Kapitel 9
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 10
Autor: Rachel Anton
Danksagung: Für dieses Kapitel ist eine spezielle Danksagung notwendig. Als
erstes an meine ständigen Quellen der Inspiration, Laura und Cynthia. Und
zweitens an mein erstklassiges Team von Muttis, Camille, Kris und Candice. Dieses Kapitel wäre ohne euch großer Mist
geworden.
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"Ich fühle mich wie ein gestrandeter
Wal."
Mulder lacht. Als wenn ich einen Witz
erzählt hätte, versucht hätte komisch zu sein. Ha ha.
Ich möchte ihn gerne mal sehen, wie er dieses gigantische Baby aus der Hölle
einundvierzig Wochen lang mit sich herumträgt. Dann werden wir sehen, wer hier
lacht.
"Was ist mit den Mutterfreuden
passiert, Scully?", fragt er. Ich nehme an bei diesem Handel habe ich das
mütterliche und er den Spaß abgekriegt. Ich hoffe nur, dass ich eine größere
Verbindung zu dem Baby fühlen werden, wenn es geboren
ist. Mehr als das Gefühl, dass sich mein Körper in Geiselhaft befindet.
"Ich habe meine Freude vor sieben
Monaten erbrochen."
Er lacht wieder und zündet eine weitere
Kerze an und setzt sich dann wieder neben mich auf die Couch. Ich ziehe die
Decke bis zu meinem Kinn und zittere.
Wir haben heute alles verloren. Der
Schneesturm hat unseren Generator zerstört und wir haben seit fast zehn Stunden
keine Heizung, kein Licht und keinen Strom. Diesmal denke ich nicht, dass wir
das wieder hinbekommen werden.
Ich habe Alex vor ein paar Stunden davon
überzeugt zu gehen. Er wollte mich nicht allein lassen, wollte nichts
verpassen. Das Baby hat sich vor ein paar Tagen gesenkt und die Wehen änderten
sich von gelegentlich zu regelmäßig, wo sie jetzt leider immer noch sind. Der
Schmerz des Babys, das gegen meine Lungen und meine Blase drückt ist fast
unerträglich geworden und die Tatsache, dass ich es kaum eine halbe Stunde
aushalten kann, ohne pinkeln zu müssen ist, obwohl es Alex amüsiert, das
nervtötendste, was ich je erlebt habe. Ich denke wenn es nicht bald aus mir
rauskommt, werde ich selbst mit einer Schaufel reingehen und es holen.
Alex' größte Angst ist es, dass er nicht hier ist wenn es schließlich soweit ist. Aber
ein Baby braucht Wärme und Licht und diese Dinge wieder zu bringen muss heute
Abend seine oberste Priorität sein.
Ich habe ihm gesagt, dass er Mulder holen
soll, dass Mulder bei mir bleiben würde und das er
weiß was er tun muss, wenn es passiert. Er hat sich nicht mit mir gestritten.
Er schien sogar fast erleichtert zu sein, dass es eine Lösung gab, irgendeine
Art Hilfe.
Und so ist er mit einigen der anderen Männer
an die Arbeit gegangen, raus in die kalte, dunkle Nacht um für uns zu retten,
was zu retten ist. Gleich nachdem er gegangen war, spürte ich eine Reihe
von leichten, aber stoßweisen Schmerzen, die sehr
wohl die Anzeichen für Wehen sein können. Oder es könnte auch nur Luft im Darm
sein. Jedenfalls geht das jetzt schon seit vier Stunden so. Ich versuche, mir
keine Hoffnungen zu machen. Ich versuche nicht in Panik auszubrechen. Ich habe
es Mulder nicht erzählt aus Angst davor, er könnte enttäuscht sein, wenn wieder
mal kein Baby erscheint.
Meistens glaube ich an das, was ich tue.
Manchmal habe ich Angst, dass ich einen furchtbaren Fehler gemacht habe. Heute
Abend bewege ich mich irgendwo in der Mitte und bin froh, dass mein Kind nicht
zwei, sondern drei, wenn nicht sogar vier Eltern hat, die nichts weiter als ihr
Glück und ihre Sicherheit wollen. Zur gleichen Zeit fürchte ich, dass keiner
von uns allen in der Lage sein wird, ihr das zu geben.
"Also, was ist, wenn es ein Junge
wird?", lächelt Mulder und wickelt sich in einen festen Kokon aus Decken.
"Was wäre wenn?"
Nur Roseanne weiß sicher über das Geschlecht
des Babys bescheid und sie hat sich ganz einfach
geweigert, es mir zu sagen. Du hast so lange gewartet, hat sie gesagt. Verdirb
dir jetzt die Überraschung nicht.
Ich hatte bereits die Überraschung,
überfällig zu sein, die Überraschung von zwei falschen Wehen. Ich bin mir nicht
sicher, ob ich noch mehr Überraschungen ertragen kann.
"Naja", sagt Mulder, "wir
sind davon ausgegangen, dass es ein Mädchen wird weil...warum sind wir
eigentlich davon ausgegangen?"
"Alex hat so ein Gefühl."
"Ach ja, stimmt. Kryceks
übernatürliche Visionen. Okay, lass uns mal annehmen, einfach nur der
Diskussion willen, dass er Unrecht hat."
"Okay..."
"Also, wenn es ein Junge wird, wie
werden wir ihn nennen?"
Namen. Er macht sich Gedanken um Namen? Ich
mache mir Gedanken darum, dass wir nicht in der Lage sein werden, dass
verdammte Ding zu waschen und zu ernähren.
"Keine Ahnung, Adam?"
"Oh Scully, wie schrecklich
vorhersehbar."
Nun, was ist deine glänzende Idee, Mister
Originalität?"
"Traditionell werden Jungen nach ihren
Vätern benannt", stellt er fest. Damit gibt es einige Probleme.
"Also möchtest du, dass ich ihn Falex nenne?"
Wir beide lachen, als ein Windstoß an den
Fenstern rüttelt. Ich hoffe Alex ist es nicht allzu kalt da draußen.
"Und, denkst du, du möchtest irgendwann
noch eines haben?", frage ich irgendwann. Der überraschte und verwirrte
Blick auf seinem Gesicht, voller Panik, ist mir Antwort genug.
"Scu...Scully,
ich...willst du nicht erst mal schauen, wie dieses hier wird?"
"Ich meinte nicht mit mir,
Mulder."
"Naja, also dann..."
Er starrt mich einige Sekunden ausdruckslos
an und ich kämpfe mit meinem Gesichtsausdruck und versuche ihm eine Art Hinweis
zu geben. Für jemanden, der so intelligent ist, kann er manchmal schrecklich
schwer von Begriff sein.
"Sie mag dich wirklich sehr,
Mulder."
"Sprichst...sprichst du von
Roseanne?"
"Von wem sonst?"
Das ausdruckslose Starren kehrt zurück, aber
wird schnell von einem beschämten Senken des Kopfes ersetzt.
"Scully, ich weiß nicht, was ich mit
ihr anfangen soll."
"Naja, dann wirst du wahrscheinlich
nicht derjenige sein, der dem Baby das mit den Blumen und den Bienen
erzählt."
"Nein, nein ich meine, ich denke
einfach, dass sie etwas von mir erwartet, das ich ihr wahrscheinlich nicht
geben kann."
"Mulder, alles was sie will, ist in
deiner Nähe zu sein. Ich weiß, dass du eine Menge Liebe zu geben hast und ihr
beide verdient es, glücklich zu sein. Ich würde es hassen zu sehen...."
Oh Gott, das ist es.
"Hassen was zu sehen? Scully?"
Oh Gott. Oh Gott.
"Mulder, ich..."
Ich will dieses Baby nicht. Was tue ich hier
eigentlich? Was zur Hölle denke ich, was ich hier tue?
"Mulder, meine Fruchtblase ist gerade
geplatzt."
Wir sind das ganze schon duzende Male
durchgegangen. Er weiß, was er tun sollte, aber einen Moment lang ist alles,
was ich in seinen Augen sehe Panik und Verwirrung. Kein sehr beruhigender
Anblick.
"Deine, äh..."
"Ich denke, dass ich in den letzten
Stunden Kontraktionen hatte."
"Du denkst...warum hast du nichts
gesagt?"
"Ich war mir nicht sicher. Aber jetzt
bin ich ziemlich sicher. Mulder, es wird heute nacht passieren."
Er nickt dümmlich und ich bitte ihn, ich ins
Bad zu bringen, so dass ich mich ein wenig saubermachen kann. Es gibt nichts erfreuliches daran, in einer Pfütze aus eiweißhaltiger
Flüssigkeit zu sitzen.
Wir prüfen die Farbe der Flüssigkeit,
versichern uns, dass alles normal erscheint und ich ziehe das an, was Alex in
seinem schlimmsten Ghettoakzent, meine 'Baby-Geburts-Kleidung' genannt hat. Es
sieht aus wie ein Zuckersack.
Als ich schließlich zurück zur Couch
watschele, hat Mulder offenbar seinen Verstand wiedergefunden. Der Bastard
sieht tatsächlich aufgeregt aus.
"Also wie lange denkst du wird es
dauern?"
"Ich denke..."
Meine Kehle schnürt sich zusammen, als ich
versuche zu sprechen und ein Schluchzen droht sich seinen Weg heraus bahnen.
Ich möchte weinen. Ich möchte schreien. Ich möchte meine Fäuste auf den Tisch
schlagen und Gott anflehen zu verhindern, dass das passiert, so dass ich nicht
diesen kleinen unschuldigen Menschen in unsere kleine beschissene Welt bringen
muss. Ich nehme an, dass Mulder das nicht besonders mögen würde.
Verdammt, Alex. Warum musstest du gehen? Ja.
Ich weiß. Ich habe es dir gesagt, aber mir war nicht klar, dass ich jemanden
brauchen würde, den ich schlagen kann. Wie kann ich in Mulders unschuldiges,
nettes, kleines Gesicht schlagen? Wie kann ich meine Nägel in seine Wangen
vergraben und verlangen, dass er machen soll, dass es aufhört, wenn er so
nervös ist und so glücklich und so lieb? Ich brauche dich Alex. Du musst mein
Fels in der Brandung sein.
"Könnte jeden Moment passieren",
kriege ich relativ ruhig heraus.
"Wie geht es dir?"
Als wenn die Welt zu Ende geht. Als wenn ich
den schrecklichsten Fehler mache, den man sich vorstellen kann. Als wäre ich
mitten in einem langen und verdrehten Alptraum und jeden Moment würde mein
Monster Baby mitten aus meinem Bauch herausplatzen wie in diesem Alien Film,
blutig und krallenbewehrt uns schreiend. Als wenn mir etwas entgeht, weil dies
ein glücklicher Moment sein sollte und die meisten Frauen Freuden- statt
Angsttränen in den Augen haben. Als wenn ich irgendeine defekte, mutierte Frau
bin, die damit beschäftigt war, mit einer Knarre rumzuspielen, als die Mütterlichkeitsgene ausgeteilt wurden.
"Es geht mir gut."
"Du siehst nicht gut aus."
"Es geht mir gut."
Es geht mir gut. Es geht mir gut.
Gott, bitte, Baby, komm nicht raus, bis Alex
herkommt, okay? Er will wirklich, wirklich dabei sein. Vielleicht, wenn ich
meinen Atem anhalte...
Autsch. Oh Gott. Autsch.
Ich kann ein schmerzvollen
Stöhnen nicht zurückhalten, als mich die Wehe trifft. Zu schnell. Das passiert
alles viel zu schnell.
"Scully? Scully was ist los?"
"W-we-"
"Wehe?"
Ich nicke und greife nach seinem Arm, drücke
fest zu in dem Bedürfnis, den Schmerz zu teilen.
"Scully, atme. Du musst atmen."
Oh Gott. Ich habe vergessen zu atmen.
Was ist das für ein Krach? Mein Gott, was
passiert hier?
Roseanne. Es ist Roseanne, die über mir
steht und der Schmerz beginnt abzuebben. Aber es ist nur eine Frage der Zeit,
bis er wiederkommt. Wo ist Roseanne hergekommen?
"Dana, geht es dir gut? Geht es jetzt
los?", fragt sie mit sorgenvollem Gesicht.
Ich greife zu ihr hoch, nehme sie an den
Schultern und ziehe sie nach unten, so dass ihre Nase fast die meine berührt.
"Roseanne. Hol Alex. Jetzt."
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Ich wusste, dass es so kommen würde. Sie
sagte, es würde nicht, aber ich wusste es. Sie sagte, das hier wäre wichtiger,
aber ich wusste, dass es das nicht ist. Sie sagte, dass Mulder das schaffen
würde und verdammt, es ist mir egal ob er das kann oder nicht.
Schnee. Blöder, verdammter Schnee. Ich kann
nichts sehen. Ich kann meine Füße nicht spüren. Wo zur Hölle sind wir.
Ich frage mich, wie lange Roseanne gebraucht
hat, um mich zu finden. Sie war außer Atem, als sie mich von den anderen
weggezogen hat um mir zu sagen, dass es jetzt losgeht. Sie ist wahrscheinlich
gerannt. Aber wir rennen jetzt auch und scheinen trotzdem nirgends hinzukommen.
Im Schnee zu rennen, ist wie im Wasser zu rennen. Sie hat bestimmt eine halbe
Stunde gebraucht, um bis zum Standort des Generators zu kommen und mich dort in
diesem Chaos zu finden hat sicher noch mal eine zehn oder fünfzehn Minuten
gekostet.
Sie könnte das Baby genau in dieser Minute
bekommen und ich kann mich verdammt noch mal nicht schneller bewegen. Es hat
noch nicht einmal Sinn gehabt. Der Strom fehlt immer noch. Die Leute sind immer
noch ärgerlich und verängstigt. Ich habe nicht einen einzige verdammte Sache
erreicht und wahrscheinlich den wichtigsten Augenblick meines Lebens
verpasst.
Mein Gott, wo sind wir?
"Bist du sicher, dass du in die
richtige Richtung gehst? Sind wir gerade an der Bibliothek
vorbeigekommen?", rufe ich in die Dunkelheit, durch die wirbelnden Böen
aus weißem Puder.
"Ja! Ich habe es dir doch gesagt! Ich
bin den Spuren gefolgt, die ich vorhin hinterlassen habe. Abgesehen davon war
das nicht die Bibliothek. Es war die Cafeteria. Wir sind fast da."
Cafeteria. Fast da. Behalte das im Kopf und
vielleicht wird es wahr.
Wenn wir nur Licht hätten. Es ist so
verdammt dunkel hier draußen. Ein weiteres Versagen auf der schnell länger
werdenden Liste. Ich frage mich, ob mein Baby jemals wissen wird, wie es ist,
fließend warmes Wasser zu haben, oder ein warmes Bett zum Schlafen.
Wenigstens habe ich es geschafft, so etwas
wie einen sinnvollen Arbeitsplan für jeden aufzustellen, bevor diese neue Krise
aufgetreten ist. Die Dinge schienen sich eine Zeit lang etwas verbessert zu
haben. Hoffentlich wirft und das jetzt nicht wieder weit zurück.
Allerdings haben wir noch eine Menge Winter
vor uns. Eine lange Zeit, um ohne Strom und Heizung und Licht auszuhalten. Eine
lange Zeit, um sich um eine Baby zu kümmern, ohne die
Bequemlichkeiten des modernen Lebens.
Baby. Heute Nacht wird ein Baby in meinem
Zimmer sein. Ein wirkliches, lebendes, atmendes, weinendes, pinkelndes Baby.
Was werden wir damit anfangen?
Roseannes Taschenlampe hat aufgehört, sich
zu bewegen. Wir sind da. Gott sei Dank.
Ihre Hände zittern, als sie versucht, den
Schlüssel zu drehen, um uns in das Gebäude zu lassen. Zu langsam, sie bewegt
sich zu verdammt langsam.
Ich schiebe sie aus dem Weg, beende das
Aufschließen selbst und stürze zur Treppe. Meine Taschenlampe reicht kaum aus,
um mich die drei Stockwerke bis zu unserem Zimmer hinaufzuführen. Ich stolpere,
fluche, renne, stolpere wieder, meine Schuhe quietschen auf dem Linoleum,
schallen durch die Dunkelheit des fast leeren Gebäudes.
Fast da. Fast da. Warte noch ein kleines
bisschen, Baby.
Den Gang hinunter und mir fällt die
Zimmernummer nicht ein. In welchem Zimmer wohne ich? Einunddreißig? Dreizehn?
Verdammt noch mal.
Dieses hier...dieses mit der schwarzen Delle
an der Tür, wo ich sie eingetreten habe, als sie mich mal aus Versehen
ausgesperrt hat. Ich brauche alle meine Selbstbeherrschung, um die Tür mit der
Hand zu öffnen, anstatt direkt durch das Holz zu rennen.
Der Raum ist dunkel, aber heller als der
Flur. Kerzenlicht scheint von den Wänden wider und es ist warm, viel wärmer,
als ich es seit langem hatte.
Ich leuchte mit der Taschenlampe hin und her
und versuche, ein Lebenszeichen in dieser fast unheimlich friedlichen Umgebung
zu finden. Ret, der unter dem Küchentisch schläft,
jault wegen der plötzlichen Helligkeit.
"Hier drüben, Alex", flüstert es
von der Couch. Mulder, Dana, die nah beieinander sitzen und hinuntersehen
auf...
Ich habe es verpasst. Ich habe alles
verpasst.
Da ist ein Baby in ihren Armen. Ein
winziges, rosafarbenes Baby, eingewickelt in eines meiner alten Flannelhemden. Es ist so leise. So leise. Mein Gott, was
ist, wenn es tot ist?
"Dana?"
"Komm her und begrüße deine Tochter,
Alex."
Okay, lebt also offenbar. Außer sie ist
verrückt geworden.
Ich bewege mich langsam zur Couch, plötzlich
verängstigt, mit dem Wunsch, es wäre eine akzeptable Antwort, schreiend wieder
aus der Tür zu rennen. Es ist wirklich da.
Mein Herz schlägt immer noch so schnell von
dem Adrenalinrausch, der durch den Versuch, rechtzeitig hier herzukommen
entstanden ist, dass ich mich nur schwer auf diese neue Realität einstellen
kann.
"Alex, bitte, mach die Taschenlampe
aus."
Ich tue widerstrebend, worum sie mich
gebeten hat. Ich habe das Gefühl, als wenn dies meine einzige Verbindung zu der
Welt vor dem Baby wäre. Alles ist so weich hier drin. Ich fühle mich
ungeschickt und riesig und laut.
Endlich habe ich es bis zur Couch geschafft,
um mich neben Dana zu setzen und sie anzusehen. Sie ist schweißüberströmt, die
Haare kleben an ihrem geröteten, verschwollenen Gesicht. Trotzdem wunderschön.
Das Baby schläft friedlich in ihrem Arm.
"Dana..."
Gott, ich habe keine Ahnung, was ich sagen
soll, was fragen, was denken. Ich kann nicht aufhören zu zittern, kann meinen
Atem nicht unter Kontrolle bringen.
"Sie sieht gesund aus", sagt Dana
ruhig, leise. So ruhig. Wie kann sie so ruhig sein?
"Sie hat es auf jeden Fall eilig gehabt
rauszukommen", fügt Mulder in einem ähnlich normalen und gelassenen Ton
hinzu. Eilig? Sie war fast zwei Wochen überfällig, um Himmels Willen.
"Es...es tut mir Leid, dass ich nicht
hier war", versuche ich schwach. Leid tun beschreibt es noch nicht mal
annähernd.
"Mir auch, Alex. Aber es war keine
komplizierte Geburt. Es ging sehr schnell und Mulder hat alles gut
hingekriegt."
Ich schaue das erste mal rüber zu Mulder,
sehe seinen freudigen Gesichtsausdruck und seine Stolz und es sollte mich
wütend machen, weil ich derjenige hätte sein sollen, der dieses Baby holt, aber
das tut es nicht. Ich bin einfach froh, dass überhaupt jemand hier war.
"Danke Mulder. Ich bin froh..."
Ein winziger Seufzer kommt von der
eigenartigen Kreatur in Danas Schoß, unterbricht mich und zieht jedermanns
Aufmerksamkeit auf sich. Sie ist aufgewacht.
"Ich nehme an, jemand will Hallo
sagen", sagt Dana und sie hält das Baby, diesen kleinen, winzigen Menschen
in ihrem Arm und hebt sie hoch, so dass ich sie sehen kann, wirklich sehen und
sie sieht so... so klein aus. Und faltig. Ihr etwas kegelförmiger Kopf löst
einen Moment lang Panik bei mir aus, aber dann erinnere ich mich, was in den
Büchern stand. Sie sieht wie ein normales Neugeborenes aus.
"Eva, das ist dein anderer Papa."
"Hallo", sage ich dümmlich und
winke. Sie gurgelt erschreckend und Dana lacht leise, als ein Schwung Speichel
aus dem Mund des Babys kommt. Großartig. Sie mag mich schon.
"Warum nimmst du sie nicht mal",
schlägt Mulder vor. Na klar, tolle Idee. Und wenn ich sie auf den Kopf fallen
lasse oder ihre Rippen zerquetsche, dann können wir darüber auch alle herzlich
lachen.
"Ja Alex, das solltest du."
Bevor ich mir eine Ausrede ausdenken kann,
positioniert Dana schon meinen Arm und legt das Baby, in Decken eingewickelt,
an meine Brust. Sobald Eva die Abwesenheit von Danas Arm spürt und komplett in
meinem Griff liegt, fängt sie an zu weinen. Ihr Gesicht verzieht sich zu einem
entstellten, leidenden roten Ball und ihre Fäustchen wedeln protestierend in
der Luft herum.
"Dana, sieh...du musst sie
zurücknehmen", fordere ich sie auf und versuche, mir über dieses
furchtbare Gebrüll hinweg Gehör zu verschaffen.
"Entspann dich einfach, Alex. Sie spürt
wahrscheinlich, dass du nervös bist."
Entspannen? Wie zur Hölle soll ich mich
entspannen? Mein Baby hasst mich. Sie weiß, dass ich nicht da war, als sie
geboren wurde, dass ich sie schon im Stich gelassen habe. Und es ist ihr
wahrscheinlich auch verdammt kalt. Ich bin mir sicher, dass sie irgendwo in
ihrem kleinen Baby-Unterbewusstsein weiß, dass das meine Schuld ist.
Dana streicht über meine Haare, legt ihren
Kopf auf meine Schulter und flüstert beruhigende Worte in mein Ohr. Zumindest
spüre ich, dass sie beruhigend sind. Ich kann sie nicht wirklich verstehen.
"Vielleicht hat sie Hunger", frage
ich, verzweifelt bemüht, das Elend des armen Geschöpfes zu beenden.
"Sie hat schon ein wenig
gegessen."
Na ja, vielleicht muss sie ja noch ein
bisschen mehr essen. Gott, Dana, nun nimm sie schon zurück.
"Halt sie einfach, Alex. Erinnerst du
dich an all die Bücher, die du gelesen hast? Du wirst ihr nicht weh tun."
Bücher. Alles klar. Wo zur Hölle bist du,
wenn ich dich brauche, Doktor Spock? Du hat mir nie
gesagt, dass sie anfangen würde mich anzuspucken und zu schreien, wenn sie mich
sieht.
Was habe ich mir überhaupt gedacht? Habe ich
wirklich erwartet, dass mich irgendein Buch darauf vorbereiten könnte, auf
diese...diese armselige, heulende, hilflose kleine Eva? Kleine Eva, mein
kleines Mädchen, die ich beschützen und versorgen und erziehen und lieben
sollte und die ich noch nicht einmal richtig halten kann.
Oder vielleicht kann ich das. Ihre Augen
fliegen auf und das Weinen hört so plötzlich auf, wie es angefangen hat. Ihre
Finger entspannen sich und ihre Hände greifen nach oben, nach meinem Gesicht.
Oder vielleicht wedeln sie nur wild herum. Jedenfalls brüllt sie nicht mehr.
Ich bemerke, dass ich nervös mit meinen
Beinen gewackelt habe, sie unbewusst auf meine Knien gewiegt habe und
vielleicht mag sie das. Vielleicht habe ich etwas richtig gemacht, ohne es
überhaupt zu versuchen.
"Siehst du? Du machst das toll,
Alex."
"Wie geht es dir?"
Sie lächelt ruhig und sieht fast betäubt
aus.
"Gut. Erschöpft, aber gut."
"Hat es weh getan?"
Blöde Frage, ihrem Gesichtsausdruck nach zu
urteilen. Natürlich hat es wehgetan, du Idiot.
"Du hättest sie schreien hören
sollen", kommentiert Mulder. Ja, das hätte ich.
"Es tut mir wirklich Leid, dass
ich..."
"Ich weiß, Alex. Ich weiß, dass du es
versucht hast. Es ist in Ordnung. Entspann dich einfach und lerne dein wunderschönes
Baby kennen."
Mein wunderschönes Baby. Ich sehe sie wieder
an und alles andere scheint zu verschwinden, weil sie wunderschön ist. Runzlig
und verschmiert und einfach so absolut wunderschön.
Ich rutsche ein bisschen herum, lege sie in
die Beuge meines falschen Arms, was sie nicht zu stören scheint oder was sie
nicht als ungewöhnlich empfindet, so dass ich sie mit der Hand berühren kann.
Aus irgendeinem Grund muss ich ihre Haut spüren, um zu wissen, dass sie ein
richtiger Mensch ist.
Ich fasse behutsam nach unten, weil ich
nicht will, dass sie in einen erneuten Heulkrampf ausbricht und streichle mit
dem Zeigefinger zärtlich ihre kleine Babywange. Ich denke sie ist die zarteste
Sache, die ich jemals angefasst habe.
Ich ziehe meine Hand zurück, wackle mit mein Finger in ihrem Sichtfeld und versuche ein erneutes
Begrüßungswinken. Und dann, mitten im Winken, greift sie mit ihrer kleinen Hand
nach oben und legt sie um meinen Finger.
Irgendwie bringt dies meinen Brustkorb dazu,
sich in einer eigenartigen Mischung aus Angst und Bewunderung
zusammenzukrampfen. Angst, weil sie so zart ist, so vertrauensvoll und
unschuldig, dass ich Angst um sie habe. Bewunderung, weil sie mir gehört und
weil sie mich nicht so sehr hasst, wie ich dachte. Nein, sie hasst mich
überhaupt nicht. Sie braucht mich und sie liebt mich. Ich kann das fühlen.
Ich werde dich beschützen, Eve. Ich
verspreche dir das. Du wirst es niemals bereuen, dass du mir so vertraut hat. Ich werde dein Vertrauen wert sein, ich werde dich wert
sein.
"Alex?"
Ich spüre Danas Hand über meine Wange
streichen und bemerke, dass ich keine Ahnung habe, wie viel Zeit vergangen ist,
wie lange ich das Baby angestarrt habe. Ich bemerke, dass es wärmer wird. Ich
kann die Heizung wieder laufen hören und ich höre Mulder schnarchen. Ich
bemerke, dass ich weine.
"Du wirst ein wundervoller Vater sein,
Alex."
Ich hoffe du hast Recht, Dana. Gott, ich
hoffe, du hast Recht.
Ende Kapitel 10
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 11
Am Ende läuft es auf eine Entscheidung
hinaus. Nicht widerstehen, sondern dienen. Nicht kämpfen, sondern sterben.
Keine Fritten, sondern Zwiebelringe. Nein, nicht ganz so dramatisch. In den
letzten vierundzwanzig Stunden hat sich unser Leben auf zwei entmutigende
Alternativen reduziert. Den Versuch, unser Zuhause zu verteidigen und in den
sicheren Tod zu gehen, oder wegzulaufen und dem fast sicheren Tod
entgegenzugehen.
Meine Mutter hat früher viel über Zeit
gesprochen. Sie war besessen davon. Die Zeit meiner Pubertät war besonders
schwierig für sie.
Als sie sah, wie ich in einer beängstigenden
Geschwindigkeit gewachsen bin - fast zwei Zentimeter pro Monat, als ich
dreizehn war - hat sie traurig den Kopf geschüttelt und gesagt, "Oh Fox,
du wirst zu einem Riesen. Die Zeit geht so schnell vorbei. Bald werde ich tot
sein."
Mutter war wirklich ein komischer Typ. Sie
hat es sogar fertig gebracht, dass ich mich für mein Wachstum schuldig fühlte.
Aber ich muss zugeben, dass sie in einer Hinsicht Recht hatte; wenn man ein
Kind hat, scheint die Zeit an einem vorbei zu fliegen.
Es ist schon fast anderthalb Jahre her, seit
Eva geboren wurde. Wenn ich jemals meinen Zweck auf dieser Welt hinterfragt
habe, dann liegt die Antwort in meiner Tochter.
Die ersten Monate waren schwierig. Keiner
von uns hatte praktische Erfahrungen mit Kindererziehung und wir passen uns
immer noch an, erforschen die Parameter unserer mutierten Familieneinheit und
lernen diese eigenartige neue Person kennen, die uns unauflöslich aneinander bindet.
Ich habe es versucht, trotz des bleibenden
Unwohlseins bezüglich der Beziehung zwischen Scully und Krycek,
ihnen den Raum zu geben, den sie brauchten, aber ich war von dem verzweifelten
Verlangen erfüllt, Zeit mit meinem Kind zu verbringen. Es war ein sensibler und
schwieriger Balanceakt. Es gab Streit. Es gab Unbeholfenheit. Aber irgendwie,
irgendwann, haben wir es geschafft, über die richtige Formel zu stolpern. Wir
mussten es. Für sie.
Sie sind jetzt dankbar für meine Hilfe,
froh, dass es jemanden gibt, der Eva liebt und der sie gern einmal für ein paar
Tage zu sich nimmt, so dass sie ein wenig Ruhe und Zeit für sich selbst haben.
Und ich habe - unglaublich genug - damit angefangen, dankbar für sie beide zu
sein, für ihre Liebe zueinander. Ohne sie gäbe es keine Eva. Und sie haben ihr
ein gutes Zuhause gegeben, ein unterstützende, liebevolle Umgebung, von der ich
glaube, dass weder Krycek noch ich sie hatten, als
wir aufwuchsen.
Nenn mich voreingenommen wenn du willst,
aber ich denke, dass sie das bemerkenswerteste Kind ist, das je gelebt hat. Sie
ist wirklich hübsch, obwohl sie die körperlichen Eigenschaften ihrer beider
Väter geerbt hat. Irgendwie scheint die Mischung von dunkelbraunen Haaren,
braunen Augen, dunklem Teint und einer riesen Nase
bei ihr zu funktionieren. Abgesehen von ihrer überdurchschnittlichen
Intelligenz - sie spricht bereits in ganzen Sätzen - und ihrer Bewunderung für Krycek ist sie ein normales und gesundes Kind.
Ich kann mir mein Leben ohne ihr
ansteckendes Lachen, ihren Hang zum Probleme bereiten,
ihren verdrehten Sinn für Humor nicht vorstellen. Vor ein paar Tagen hat sie Kryceks Holster gestohlen, oder 'Dads Holler' wie sie es nennt, es sich umgehängt und die
beste Krycek-Imitation vorgeführt, die ich je gesehen
habe - finsterer Blick, russische Schimpfworte und alles was dazu gehört. Und
er hat gelacht.
Sie ist anstrengend aber niemals eine
Belastung. Selbst Roseanne ist ihrem Zauber verfallen. Sie behauptet zwar immer
noch, dass ihr jegliche Elternfähigkeiten fehlen würden, aber in gewisser Weise
ist sie genauso ein Elternteil für Eva, wie wir alle. Das hat mich dazu
gebracht mich zu fragen, ob wir irgendwann, wenn Eva ein bisschen älter ist und
nicht mehr so viel ständige Fürsorge braucht, ihr vielleicht irgendwann mal zu einem
kleinen Halbbruder oder einer Halbschwester verhelfen könnten.
Ich sollte sagen, dass ich mich das gefragt
*habe*. Jetzt ist das eine Zukunft fern jeder Realität.
Bis gestern konnte ich ehrlich behaupten,
dass ich glücklich war, hoffnungsvoll für die Zukunft und zufrieden in der
Gegenwart.
In der Gemeinschaft als ganzes liefen die
Dinge den Umständen entsprechend gut. Es wurde wieder mit dem Ackerbau begonnen
und die Bestände wurden fair und organisiert verteilt. Die Meuterei Drohungen
sind lange vergangen, seit Krycek damit begonnen
hatte, Macht und Verantwortung zu teilen. Der Strom ist nie wieder gekommen,
aber wir haben gelernt, damit zu leben. Die Dinge waren, relativ betrachtet,
wieder normal und sie sind es seit einigen Monaten gewesen.
Und ich - ich hatte alles, was sich ein
sechsundvierzigjähriger Mann wünschen kann. Ein hübsches Kind, einige gute
Freunde, meine Gesundheit, eine heiße, junge Freundin, die nichts mehr will,
als mich glücklich zu machen. Ich habe diese Dinge immer noch und, ganz ehrlich,
mein Leben wäre fast verdammt perfekt, wenn es nicht diesen ganzen
heraufziehenden Weltuntergang gäbe. Und das Fehlen von Baseball.
Es begann mit einem Wiedersehen.
Als ich die Dronenkolonie
vor all diesen Jahren verließ, hat mir Spender geholfen. Er hat mir gesagt, wo
Scully war und mich mit allem versorgt was ich brauchte, um dorthin zu kommen.
Dafür wäre ich ihm für alle Ewigkeit dankbar gewesen, aber nie, niemals hätte
ich damit gerechnet, ihn wiederzusehen um diese Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen.
Gestern ist er buchstäblich auf meiner
Türschwelle erschienen und sah dreckig, erschöpft und völlig verstört aus.
Seine Ankunft in der Kolonie wurde von wesentlich weniger Fanfarengeschmetter
begleitet als meine. Wir haben nicht mehr genug Leute, um jeden Eingang
vierundzwanzig Stunden am Tag bewachen zu können, also blieb ihm die
Erniedrigung einer Verhaftung durch Schläger und der Vorführung vor dem
Königspaar erspart. Er spazierte einfach während der Mittagszeit in die Cafeteria.
Scully und Krycek
waren mit Eva zu Hause, aber fast jeder andere war da und der ganze Raum wurde
beim Anblick des Fremden totenstill. Ich stand auf und beruhigte sie,
versicherte ihnen, dass er ein Freund ist und betete, dass er mir nicht das
Gegenteil beweisen würde.
Er hat sich mit mir und Roseanne hingesetzt
und wir haben ihm was zu essen gegeben. Ungefähr fünfzehn Minuten, nachdem er
wie ein Verhungernder, der er wahrscheinlich auch war, gegessen hatte, fing er
an zu sprechen.
"Mein Vater ist tot", war das
erste, was er sagte. Das waren nicht gerade schockierende Neuigkeiten, wenn man
das Alter und den Gesundheitszustand des Mannes bedenkt und ganz sicher hat mir
das keine Träne in die Augen getrieben. Aber da war noch mehr. Viel mehr.
"Die haben ihn beschützt. Es wurde ihm
versprochen. Und er hat dich beschützt, hat diesen Ort beschützt. Aber jetzt,
jetzt wo sie zu Phase drei übergegangen sind, ist niemand mehr sicher. Die
haben ihn umgebracht und die haben alles gefunden, was er verborgen hat. Die
wissen, wo ihr seid. Die wissen alles."
"Warte, warte, langsam", habe ich
ihn unterbrochen, überwältigt von seinem rasenden Informationserguss.
"Dein Vater hat uns beschützt? Wie? Warum?"
"Jesus, Mulder, das ist jetzt nicht
mehr wichtig!" Er schlug mit der Faust auf den Tisch und brachte damit das
Besteck genauso zum Schwingen, wie meine Nerven. "Das Wichtige ist, das,
was du verstehen musst ist, dass du nicht mehr beschützt wirst. Die wissen wo
ihr seid und die kommen hierher. Es könnte jetzt jederzeit passieren."
Wir haben das schon mal gehört, von dem
Briten, aber das ist fast zwei Jahre her. Ich hatte angefangen zu glauben, dass
er geblufft hat, dass er irgendwie versucht hat, Krycek
auf seine Seite zu ziehen. Das hätte tatsächlich so sein können. Aber egal wie,
ich setze sehr viel Vertrauen in das, was Spender sagt.
"Und Sie sind den ganzen Weg hierher
gekommen, nur um uns zu warnen?" fragte Roseanne, verständlicherweise
skeptisch. Er war ein Fremder für sie.
"Ich bin hierher gekommen, weil ich
irgendwo hin gehen musste. Das ist der einzige Ort den ich kenne, der einzige,
der noch übrig ist. Es gibt nichts anderes mehr. Ihr wisst nicht, wie es
draußen ist. Ihr müsst einfach..."
Seine gehetzten Augen füllen sich mit Tränen
der Angst und der Frustration und jeder Zweifel, den ich gehabt haben könnte
verschwand. Er hat uns die Wahrheit erzählt und er war nicht nur verängstigt,
er war vollkommen eingeschüchtert.
"Mulder, wenn ihr hier nicht
verschwindet, dann steht euch die völlige und sichere Auslöschung bevor."
"Gut, wo sollen wir hingehen?"
fragte Roseanne. "Sie haben uns gerade erzählt, dass nichts mehr übrig
ist."
"Das spielt keine Rolle. Geht einfach.
Irgendwo hin. Lauft weg, so lange ihr noch könnt. Wenn ihr hier bleibt, gibt es
keinen Widerstand gegen die. Es gibt überhaupt keinen Widerstand gegen die,
aber wenn ihr weglauft könnt ihr euch vielleicht irgendwo verstecken, um ein
wenig länger auszuhalten."
"Ich kann nichts ... ich werde das
nicht glauben. Es muss irgendetwas geben, was wir tun können", bot ich an,
mehr um mich selbst als irgend jemand anderen zu
überzeugen.
Spender schüttelte seinen Kopf.
"Mulder, es bleibt keine Zeit mehr für deinen Idealismus. Ihr müsst gehen.
Wir müssen alle gehen."
Als ich meinem Gegenüber in das Gesicht sah,
welches so von reiner, ungezügelter Verzweiflung beherrscht wurde, war mir
klar, dass etwas getan werden musste. Und zwar schnell.
Wir haben die Information zuerst Krycek überbracht. Er hat klugerweise entschieden, es jeden
sofort wissen zu lassen und jeden die Kampf-oder-Flucht
Entscheidung selbst treffen zu lassen. So weit ich weiß hat niemand gewählt zu
kämpfen.
Uns allen wurde ein Überlebenspaket
mitgegeben - ein paar Nahrungsmittel, ein paar Medikamente, Kleidung, eine
Zahnbürste, ein Stück Seife, Wasserreinigungstabletten, all diese grundlegenden
Dinge - und wir teilten uns in Gruppen zu sechs bis zehn Personen auf. Jeder
Gruppe wurde ein Fahrzeug gegeben, ein Kompass und die Hinweise für die
Richtung, in der die Kolonie des Briten liegt. Es ist der einzige Ort, der
jedem einfällt, wohin man noch gehen könnte.
Die Evakuierung begann letzte Nacht mit der
ersten Gruppe, die unter Brians Kommando wegfuhr. Als ich mich von ihm
verabschiedete, hatte ich das grausige Gefühl, dass ich ihn jetzt das letzte
Mal sehe.
Unsere Gruppe ist klein - nur Roseanne,
Spender, Scully, Krycek, Eva und ich - aber ich denke
wir sind stark. Es gibt die sehr reale Möglichkeit, dass dies die einzigen
Menschen sind, die ich jemals wiedersehen werde.
Krycek hat entschieden und wir haben alle zugestimmt, dass
wir als letzte gehen sollten, so dass wir den anderen bei ihren Vorbereitungen
helfen können. Wir haben fast alle Gruppen weggeschickt und unsere Zeit kommt
schnell heran. Es war überaus schwierig. Ganz besonders, so wie ich denke, für Krycek.
Ich helfe ihm, sein Büro auszuräumen, alles
zusammen zu sammeln, was zukünftig für uns wichtig sein könnte. Sein Verhalten
ist noch mürrischer, als mein eigenes.
"Ich würde bleiben", sagt er zu
mir, während er den Inhalt des oberen Schubfach seines
Aktenschrankes in einen Plastiksack entleert. "Ich würde bleiben und um
diesen Ort kämpfen, wenn ... wenn die Dinge anders wären."
Er scheint sich fast zu entschuldigen, als
wenn er fürchtet, dass ich ihn dafür verurteilen würde, dass Schiff zu
verlassen, sich nicht der Möglichkeit zu stellen und Kryceks
letzte Stellung zu verteidigen.
"Wir müssen an Eva denken. An ... an
unsere Familie", sage ich ihm. So sehr ich mir selbst wünsche, eine letztes Mal Stärke und Widerstand demonstrieren zu
können, verstehe ich, dass dies unsere einzige Möglichkeit ist.
"Ich weiß das, Mulder. Ich hasse es
nur, wegzulaufen."
Ich hasse es auch. Mein Gott, und wie ich es
hasse.
"Du hast dein Bestes getan, Krycek. Besser, als es von jedem anderen hätte erwartet
werden können."
Er hört mit seiner wilden Bürodurchstöberung
auf und sieht mich mit einem Gesichtsausdruck an, der erschreckend nahe an
Dankbarkeit herankommt. Er streckt seine Hand aus und ich nehme sie, verfalle
in einen angenehmen Handschlag. Ich spüre ein eigenartiges Bedürfnis, ihn zu
umarmen, aber unter den Umständen würde die Geste wahrscheinlich etwas verwirrt
wirken.
"Danke, Mulder", sagt er einfach
und wir beenden schweigend das Einpacken.
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Babies packen nicht gerne.
Wir sind viel umgezogen, als ich klein war.
San Diego, North Carolina, Virginia, wieder zurück und das gleich noch mal. Ich
habe die ersten paar Male geweint. Ich erinnere mich an die Verwirrung, die
Angst, an das Gefühl der völligen Orientierungslosigkeit, als meine Sachen von
Raum zu Raum geschoben wurden, in Kisten, Autos und Flugzeuge. Nach einer Weile
hatte ich mich daran gewöhnt, aber ich habe mir immer geschworen, dass ich,
wenn ich ein Kind haben würde, mein möglichstes tun würde, damit dieses Kind an
einem Ort bleiben kann. Manchmal spielt das Leben nicht so, wie man es
erwartet.
Eva weint. Das ist kein bemerkenswertes
Ereignis für die meisten Zweijährigen, aber unsere Eva weint nicht viel. Das
hat sie nie getan.
Sie ist ein Schreihals, ein Brüller, ein Fußaufstampfer. In letzter
Zeit hat sie angefangen, hochmütig mitzuteilen "Du gehen Hölle!" wenn
etwas oder jemand ihr nicht gefällt. Eine weitere liebenswürdige Eigenart, die
sie von Alex abgeschaut hat. Aber wir sehen ihr Gesicht selten
tränenüberströmt, so wie es jetzt fast den ganzen Nachmittag war.
Sie ist zu klein um zu verstehen, warum ich
gerade ihre Sachen zuerst einpacke. Das Märchenbuch, das Alex für sie gemacht
hat, Worte auf Notizpapier geschrieben mit etwas, was Schönschrift sein sollte,
Bilder, bei denen sie darauf bestanden hat, sie selbst zu malen, weil "Dad
kannich malen" - das war das erste, was ich in
eine Tasche getan habe, die jetzt überläuft mit Dingen, die Eva gehören. Ihre
liebste Kuscheldecke, das "Festkleid", das Roseanne ihr für ihr
erstes Weihnachten genäht hat, die Sammlung von Katzenbildern, die sie mit
Mulders Hilfe aus der Bibliothek geschmuggelt hat, alle diese Dinge sind
gepackt und sie kommen mit uns mit, egal was passiert. Ich habe sie zuerst
eingepackt, weil komme was wolle, diese haben meine höchste Priorität.
Die letzte Hürde ist Blumenbär. Blumenbär
sieht, soweit es Spielzeuge betrifft, ziemlich erbärmlich aus. Er ist ein
Kissenbezug mit Blümchenmuster, wenig überzeugend in die Form eines Teddybären
gebracht, mit schwarzen Knopfaugen und einem ballartigen Schwanz, der aus einer
alten Sportsocke gemacht wurde.
Ich war nie sonderlich kunsthandwerklich
begabt, aber ich habe es versucht und irgendwie ist das einzige Spielzeug, das
ich für meine Tochter gemacht habe, ihr allerliebster Besitz geworden.
Sie will ihn mir nicht geben. Sie hat sich
in eine fetale Position auf der Couch zusammengerollt, Blumenbär fest in ihrem
Griff und jeder Versuch, das ausgestopfte Tier herauszuziehen wird mit noch
mehr Tränen und ungehorsamen Geheul begleitet.
"Eva, komm schon. Mami meint es jetzt
ernst. Es ist Zeit zu gehen."
Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer
sein würde. Ich dachte nicht, irgendetwas könnte so schwer sein.
"Nein! Nein geh weg!" schreit sie,
ihre dunklen Locken um sich werfend und die kleine Händchen zu Fäusten geballt.
Ich würde am liebsten mit ihr zusammen weinen, jemanden, irgendjemanden
anflehen, diesen Alptraum zu beenden und mich hier bleiben zu lassen. Das erste
Mal in meinem Leben wünschte ich, ich wäre ein kleines Kind ohne Macht, ohne
Verantwortung, ohne Wahl und dass irgendjemand einfach hier rein kommen könnte
und mich aufnehmen und mir sagen, was zur Hölle ich tun soll. Ich wünschte ich
wüsste nicht, warum das getan werden muss.
"Süße, wir müssen gehen. Es tut mir
Leid. Bitte, gib mir einfach den Bär, so dass wir..."
"Mami, Lichter! Schau mal!"
Eva zeigt zum Fenster, plötzlich abgelenkt,
gelähmt. Blumenbär fällt auf den Boden, zeitweise vergessen und ich nutze die
Möglichkeit, das Spielzeug zu schnappen und in die Tasche zu stopfen. Dann gehe
ich zum Fenster.
Es dämmert. Die Sonne hängt niedrig am
Himmel, sendet einen goldenen Schein über das Herbstlaub, das an unseren Bäumen
hängt.
Die Farben sind kräftig, viel lebendiger und
voller als jemals vorher.
In der Ferne, hinter den Gebäuden unseres
Geländes, sind die Lichter. Explosionen. Rote und orange Feuerbälle verbrennen
den Wald östlich von uns.
Es ist eine wunderschöne Szenerie. Eine, die
gegen die eindrucksvollsten Kunstwerke antreten könnte, die bewegendste
Symphonie. Es ist unser Weltuntergang.
"Eva, zieh deine Jacke an. Es ist Zeit
zu gehen."
Ende Kapitel 11
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Kapitel 12
Irgendeine Nacht, irgendwo, im Truck.
Ich habe dich mitgenommen. Wir konnten nur
das Notwendigste mitnehmen - den Inhalt unserer Überlebenspakete - aber jeder
hat etwas Zusätzliches eingepackt. Dana hat Evas Spielzeug und Ret. Mulder einige Bücher und ein paar von diesen alten
Musikkassetten, die er gefunden hatte. Mir ist nicht klar, wo er erwartet,
diese abspielen zu können. Alex hat fast den gesamten Inhalt seines Büros
eingepackt. Und ich dich.
Mulder hat mir dich geschenkt, so dass ich
meine Geschichte aufzeichnen kann und diese Geschichte ist jetzt noch nicht
vorbei. Nicht so lange ich immer noch atme.
Ich weiß nicht, wie lange wir schon gefahren
sind. Es ist dunkel draußen und Alex ist am Steuer, seit heute morgen die Sonne
aufging, aber ich habe aufgehört zu zählen, wie oft wir die Sonne durch die
Fenster des Trucks auf- und untergehen sahen, in unserem neuen mobilen Zuhause.
Wir haben ein paar Mal angehalten - immer
wenn wir einen verlassenen Tankstelle oder Raststätte gesehen haben. Es gibt
immer noch Benzin und Mulder hat immer noch die Zugangskarte, die ihm Spender
vor all den Jahren gegeben hat.
Spender ist tot. Er war der einzige in
unserer kleinen Gruppe, der es nicht lebend geschafft hat. Wir sahen ihn
sterben, verbrannt zu einem Haufen rauchender Asche. Er war so nahe am Truck,
aber nicht nah genug. Sein Rucksack war schon da, auf dem Boden vor den
Rücksitzen und dort ist er immer noch, zwischen Mulders Beinen. Keiner von uns
hat ihn geöffnet.
Wir haben es fast nicht geschafft. Ehrlich,
ich weiß nicht, wie wir es geschafft haben. Es war ein Nebel von Angst und
Schrecken, zusehen zu müssen, wie unser Zuhause bis auf die Grundmauern
niedergebrannt wurde und fliehen zu müssen. Alles was ich weiß ist, dass der
Rest von uns es rechtzeitig lebend in den Truck geschafft hat und dass Dana
schneller als der Teufel fahren kann, wenn sie um ihr Leben rennt.
Der Karte nach zu urteilen sind wir sehr
nahe an der Kolonie des Briten. Die anderen scheinen Hoffnung zu haben. Jeder
scheint daran zu glauben, dass unsere Freunde dort auf uns warten werden und
dass wir wissen werden, was zu tun ist, wenn wir erst einmal dort sind. Ich bin
da nicht so hoffnungsvoll.
Aus irgendeinem Grund fürchte ich, was wir
in der anderen Kolonie finden werden. Nachdem ich die Zerstörung meines eigenen Zuhause mitangesehen
habe, kann ich mich nur fragen, ob es den anderen besser ergangen ist.
Jetzt jedenfalls bin ich trotzdem erst mal
froh, dass wir alle leben und zusammen sind.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Ein weiterer Tag.
Wir haben Smiths Kolonie am Morgen erreicht,
kurz nach Sonnenaufgang. Ich bin traurig feststellen zu müssen, dass mein
Pessimismus gerechtfertigt war. Die Gebäude sind niedergebrannt und es ist
nicht die Spur von Leben mehr übrig.
Während wir durch die Asche liefen,
stolperten wir über die Reste von furchtbar verkohlten Knochen. Dana
identifizierte die meisten davon als menschlich, aber einige waren
außerirdisch.
Es ergab keinen Sinn.
"Wie konnte das passieren?",
fragte Alex und hielt einen zerbröselnden Alienschädel
in der Hand. "Wie konnten sie sterben?"
Keiner hat einen
Antwort. Wir haben immer geglaubt, sie seien unaufhaltbar, unzerstörbar. Feuer
reicht mit Sicherheit nicht aus, sie zu töten.
Wir haben die Kolonie vor einigen Stunden
verlassen und wir fahren nach Süden, keine bestimmte Richtung vor Augen. Vor
ein paar Meilen sind wir an einem Gebäude an der Straße vorbeigekommen, das wie
eine Art Kontrollpunkt ausgesehen hat. Wir waren nervös als wir an der
Wachhütte ankamen, aber als wir sie erreichten sahen wir etwas sehr seltsames.
Eine weitere Alien-Leiche, diese völlig intakt, auf
einem Plastikstuhl sitzend.
Dana wollte sie untersuchen, aber Alex war
dagegen. Wir können nicht wissen, welcher Sache sie ausgesetzt waren, was für
Gefahren wir uns selbst aussetzen würden, wenn wir ihnen zu nahe kommen.
Erleichtert aber verwirrt fuhren wir weiter.
XXXXXXXXXXXXXXXXXX
Ein weiterer Tag.
Es ist viele Tage her, seit wir die Kolonie
des Briten gefunden haben. In dieser Zeit haben wir noch mehr Alien-Leichen gefunden, in der Landschaft verteilt.
Letzte Nacht, des kurzen Dösens im fahrenden
Truck überdrüssig, haben wir uns dazu entschlossen, im Wald zu kampieren.
Unsere Angst davor, festgenommen und getötet zu werden kann von Tag zu Tag
abgenommen und wir fühlten uns relativ sicher, unser Lager im Freien
aufzuschlagen.
Von meinem Schlafsack aus sah in Lichter,
die vom Himmel fielen. Erst dachte ich, es seien Sternschnuppen, aber sie waren
viel zu groß und zu bunt. Ich weckte Mulder und wir beobachteten sie gemeinsam.
"Denkst du, es sind Schiffe?",
fragte ich ihn.
"Vielleicht. Es scheint so, als wenn
alle hier unten sterben würden", sagte er.
Ich habe sehr viel Ahnung, wahrscheinlich
mehr als einer von den anderen, von der komplizierten symbiotischen Beziehung
zwischen der Physiologie und der Technologie der Aliens.
Es ist logisch, dass wenn eines dieser beiden Dinge ausfällt, stirbt, das andere folgen würde. Als das außerirdische Leben auf der
Erde verfiel, hörten die Maschinen, die so lange über uns geschwebt haben auf
zu funktionieren.
Die einzige Frage ist - warum? Warum starben
sie?
Dana glaubt, dass die Aliens
mitten in ihrem Werk der Zerstörung, die einzige Sache freigesetzt haben, die
die Macht hatte, sie zu zerstören. Sie glaubt dass irgendjemand, irgendwo die
Bio-Waffe perfektioniert hatte, an der wir alle so hart gearbeitet hatte.
Alex besteht darauf, dass die letzte
Hoffnung auf diese Bio-Waffe bei dem Überfall auf das Hauptquartier der
Rebellen zerstört wurden, dass es eine andere
Erklärung geben muss. Ich denke es macht ihm zu schaffen, dass sie vernichtet
sind und er nicht derjenige war, der sie besiegt hat.
Meine einzige Sorge ist, dass wir Unrecht
damit haben, dass sie alle tot sind. Es scheint fast zu schön um wahr zu sein.
Und dann ist da die Frage nach anderen
Menschen.
Die Welt fühlt sich sehr leer an. Ich weiß
nicht, wie viele Tage wir gefahren sind, aber ich weiß wie weit: fast 2000
Meilen. Ich habe beobachtet, wie sie auf dem Tachometer weiter gedreht wurden.
Während aller dieser Meilen haben wir kein weiteres Lebenszeichen gesehen,
Alien oder menschlich. Tiere und verlassene Gebäude sind alles, was übrig ist.
Wir fahren weiter nach Süden. Es wird
wärmer. Bald wird uns die Straße ausgehen. Ich weiß nicht, was wir alle dann
tun werden. Zwei Männer, eine Frau, ein Klon, ein Kind und ein Hund. Kann das
alles sein, was übrig ist?
Der Gedanke scheint alle anderen zu
ängstigen. Alex hat seit sehr langer Zeit nicht gesprochen. Dana hat Eva auf
ihrem Schoß gehalten, sie getröstet und beruhigt und dabei stand ihr nackte
Angst in den Augen. Mulder hat meine Hand gehalten. Seine Handflächen sind
schon seit Tagen verschwitzt.
Jeden Tag war ich dankbar, dass wir noch am
Leben sind, aber jetzt fange ich an mich zu fragen, ob wir die einzigen sind.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Eine weitere Nacht.
Mulder hat mich heute gefragt, als wir auf
einem leeren Parkplatz Dosenmais aßen, ob ich es glaube.
"Denkst du, dass wir wirklich allein
sind?", fragte er. "Sind wir die einzigen, die auf diesem Planeten
übrig sind?" Er sah so aus, als wenn er anfangen würde zu weinen.
"Vielleicht", sagte ich. "Ich
weiß es nicht. Ehrlich gesagt ist es für mich nicht so wichtig. Alles was ich
liebe ist in diesem Truck."
Er küsste mich und ich war glücklich, aber
er sah sehr traurig aus.
Die Räder rollen weiter und die Nacht wird
lang. Jeder schläft außer Alex und mir. Während ich das hier blind im Dunkeln
schreibe, frage ich mich, ob es am Morgen lesbar sein wird. Ich frage mich, ob
in zehn oder zwanzig Jahren irgendjemand am Leben sein wird, der es liest.
XXXXXXXXXXXXXXXXX
Vor langer Zeit, in einer fernen Galaxie,
habe ich ein Schauspiel über die Hölle gelesen. Die Menschen dort wussten
nicht, dass sie in der Hölle waren. Es waren drei, in einen Raum gesperrt,
gezwungen Small Talk miteinander zu machen, während sie darum rangen heraus zu
finden, wie sie dort hineingekommen sind und wie sie wieder herauskommen
würden. Zwei Frauen, ein Mann. Eine der Frauen war lesbisch. Die Lesbe wollte
die andere Frau, die den Mann wollte, der die Lesbe wollte.
Die Hölle, nach Jean Paul Sartre, sind die
anderen Leute.
Ich habe in den letzten Tagen nicht viel
geschlafen, aber wenn, dann war mein Schlaf traumlos. Dies ist einer der
Faktoren der zu meiner Meinung beiträgt, dass ich überhaupt nicht wirklich hier
bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich tot bin.
Das könnte sehr wohl die Hölle sein, aber
zumindest sind wir zu viert.
Die Sonne geht wieder auf, genau so, wie sie
es jeden Tag meines Lebens getan hat, aber ich bin willens zu wetten, dass es
in der Hölle eine Sonne gibt. Sollte es nicht heiß sein? Es wird jeden Tag
heißer in diesem Truck ohne Klimaanlage.
Krycek fährt auf einen Parkplatz, so dass wir Plätze
tauschen können. Ich bin mit fahren dran. Ich steige aus dem Truck aus, strecke
meine Glieder und sehe mich um.
Der Parkplatz ist fast leer. Fast. Es gibt
ein anderes Fahrzeug, ganz in der Nähe der ausgebrannten Reste eines Gebäudes
und ich laufe in blinder Hoffnung darauf zu. Dumme Hoffnung. Als ich nahe genug
heran bin, um die Spinnweben im Inneren wachsen zu sehen, die sich um die
Skelettreste auf dem Fahrersitz schlingen, drehe ich mich um und steige wieder
in den Truck.
Das war früher mal ein McDonalds. Das
Gebäude ist fast verschwunden, aber das gigantische M steht immer noch. Ich
frage mich, ob es noch irgendwelche Zutaten dort drin gibt. Ich könnte jetzt
wirklich ein Happy Meal vertragen.
"Was war in dem Auto, Mulder?",
fragt Scully mich vom Beifahrersitz aus. Eva hüpft auf ihrem Schoß herum,
lächelt und streckt ihre Hände in der Luft, versucht, nach den Sonnenstrahlen
zu greifen, die durch die Windschutzscheibe fallen.
"Nicht. Nur ... nichts."
Und dann sind wir wieder auf der Straße. Ich
und Scully, wieder in einem Auto, auf einem weiteren Highway. Nur diesmal
zerkrümelt der Asphalt unter uns und es gibt keinen Fall, den wir schnell lösen
müssen. Tatsächlich haben wir überhaupt keine Eile. Das passt natürlich, dass
wenn wir ein einziges Mal nicht in Eile sind, überhaupt kein Verkehr ist. Nicht
ein einziges verdammtes Auto auf der Straße.
Wir fahren an Ausfahrten vorbei, die behaupten
zum Holiday Inn zu führen, zu Pizza Hut, Long John Silvers,
aber die Zeichen sind staubig und voller Lügen. Eines
von ihnen behauptet, dass wir fast in Disney World sind. Das Bild von dieser
verdammten Maus ist auf einem Anschlag und ich finde das so verdammt komisch,
die Dinge, die überlebt haben.
"Guck ma! Was
das?", fragt Eva, ihre Stimme aufgeregt und neugierig. Sie zeigt auf das
Schild als wir daran vorbeifahren und zappelt auf Scullys Beinen herum. Ich
denke, dass es lustig gewesen wäre, mit meiner Tochter Disney World zu
besuchen. Ich frage mich, was davon übrig ist.
"Das ist Mickey Maus", sagt
Scully. "Magst du ihn?"
Eva ist eine lange Zeit still, denkt über
die Frage nach. So ein nachdenkliches Kind, so verdammt klug. Zu was für einem
Leben haben wir sie verurteilt?
"Äh, nein", entscheidet sie
schließlich. "Mausen sind schrecklich."
Vom Rücksitz höre ich Lachen. Krycek.
Ich nehme an es ist ziemlich komisch. Von
all den schrecklichen Sachen, der verfluchten alptraumhaften Horrorshow, der
dieses Kind ausgesetzt war, Dingen, denen sie mit einer ruhigen Sorglosigkeit
gegenübergestanden hat, um die wir alle sie beneidet haben, hat sie Angst vor
der verdammten Mickey Maus.
Mein Gott, ich liebe dieses Kind. Wir können
nicht in der Hölle sein. Eva ist hier.
Vielleicht ist es nur das Fegefeuer.
Wie auch immer, mein Bedürfnis, nach Disney
World zu fahren ist durch Evas Abneigung bezwungen worden. Wir fahren an der
Ausfahrt vorbei und ist nur ein weiteres blaues
Zeichen, ein weiterer Punkt auf dem endlosen Highway.
Ich schaue in den Rückspiegel und sehe
Roseanne, die mich ansieht, ein Lächeln auf dem Gesicht. Sie war fast so ruhig
wie Eva durch all diese ... diese Dinge, dieses Weltuntergangs Blitzkrieg Szenario,
durch das wir gefahren sind. Vor langer Zeit hat sie mir erzählt, dass sie sich
davor fürchtet, aber jetzt, wo es passiert ist sie fast sorglos.
Manchmal verstehe ich sie überhaupt nicht.
Die Tatsache, dass ich das möchte ist so etwas wie eine Offenbarung. So lange
Zeit gab es nur Scully, nur Scully in meinem Kopf und in meinem Herzen. Sie ist
natürlich immer noch dort und ich weiß, dass ich auch in ihrem Herzen bin, aber
jedweder romantische Gedanke, den ich von einer einzigen wahren Liebe gehabt haben
mag, scheint hier fehl am Platze zu sein.
Ich liebe Roseanne. Ich weiß nicht, ob es
eine romantische Liebe ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob das eine Rolle
spielt. Ich würde gern ein Kind mit ihr haben und gerade jetzt scheint mir das
eine sehr wichtige Sache zu sein.
Die Welt wieder zu bevölkern mit einem so
limitierten Genpool ist eine ein wenig aussichtslose Sache, aber ich nehme an,
wir müssen irgendwo anfangen. Es ist die einzige Hoffnung, die wir haben.
Wir fahren weiter und weiter. Ich und mein Karass, der, so wie sich herausstellte, die ganze Zeit dazu
bestimmt war, die letzten Menschen auf der Erde zu sein. Als wir eine
Straßengabelung erreichen, entscheide ich mich dafür, nach Osten zu fahren. Der
Ozean scheint mir vielversprechender, als der Golf.
Vielleicht können wir schwimmen gehen, wenn
wir dort sind. Hey, zumindest würde der Strand nicht zu voll sein.
Ende Kapitel 12
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Kapitel 13
Meine liebste Eva,
ich schreibe dir dies auf einem Blatt
Papier, dass ich von einem Ort namens 7-11 gestohlen habe. Es war in der Zeit
vorher ein Tante Emma Laden. In der Zeit vor der Zeit vorher.
Oh mein Gott. Das wird noch viel schwieriger
werden, als ich befürchtet hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob du die
Möglichkeit haben wirst, unsere Geschichte aus einer anderen Quelle zu lernen
und es gibt so vieles, von dem ich möchte, dass du es weißt und verstehst. Ich
möchte dass du weißt, wie die Welt war, bevor du geboren wurdest. Ich möchte
dir erzählen, wer deine Eltern waren, wer wir sind und warum wir uns
entschieden haben, dich zu bekommen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo ich
anfangen soll.
Ich möchte dir erzählen, wir dein Mulder und
ich uns getroffen habe, aber wie kann ich anfangen, die X-Akten zu erklären,
wenn das Konzept einer Bundespolizei für dich wahrscheinlich genauso fremd ist,
wie das eines Tante Emma Ladens? Es fühlt sich so sinnlos an, wie einem Blinden
die Farbe Blau zu erklären.
Vielleicht ist das meiste an der Geschichte
gar nicht so wichtig. Vielleicht ist das meiste davon zu düster, zu
kompliziert, zu unschön, um es hier wieder aufzuzählen. Wie du entstanden bist
ist sekundär, die Details werde ich dir mitteilen, wenn du dich entschließt zu
fragen, die aber, wenn ich genau darüber nachdenke, weniger wichtig sind.
Das, was du wissen musst, der Grund, aus dem
ich dir diesen Brief schreibe ... du hast uns gerettet, Eva. In jeder möglichen
Hinsicht. Ich glaube nicht, dass wir heute noch am Leben wären, wenn es nicht
deinetwegen wäre.
Ich hatte immer Schwierigkeiten damit, an
Schicksal zu glauben, aber heute mit der Realität konfrontiert habe ich keine
andere Wahl, als zu glauben. Was für eine andere Erklärung gäbe es dafür?
Schicksal hat uns dich gebracht und Schicksal hat uns die Aufgabe überlassen,
eine völlig neue Welt für dich zu beginnen. Ohne dich hätte ich nicht die Kraft
weiterzumachen. Ich hätte jetzt nicht mehr die Kraft weiter zu leben und weiter
zu kämpfen.
Die Dinge erscheinen jetzt so kahl, so leer,
fast hoffnungslos, aber ich werde von dem Bedürfnis getrieben, vielleicht einem
biologischen Imperativ, zu finden, was immer an Essenzen des Lebens
übriggeblieben ist, um es wieder aufzubauen.
Mulder hat uns an den Ozean gefahren. Ich
sehe dich im Sand, wie du mit Roseanne, Mulder und Ret
spielst, wie deine nackten Füße in die Wellen tauchen. Du siehst jetzt
glücklich aus, aber ich frage mich, wie viel von der Zerstörung, die du gesehen
hast in dein Bewusstsein gesunken ist. An wie viel wirst du dich erinnern?
Wirst du uns dafür hassen, dich in diese Welt gebracht zu haben? Wirst du
jemals ein anderes Kind haben, mit dem du spielen kannst?
Was auch immer passiert, Eva, bitte sei dir
bewusst, dass deine Mutter dich mehr liebt, als sie jemals irgendetwas anderes
geliebt hat und dass sie gewillt ist, dir ein Leben zu geben, das lebenswert
ist.
"Was schreibst du?", fragt Alex
und ich lege den Stift und den Zettel hin, auf die Motorhaube des Trucks. Ich
nehme seine Hand in meine Hände, stehe auf und sehe ihn an.
"Einen Brief an Eva. Ich versuche zu
... erklären."
Seine Lippen kräuseln sich zu einem kleinen
Lächeln und seine Finger legen sich um meine.
"Ich denke sie versteht."
"Oh Alex, wie könnte sie? Wie können
wir ... Gott, was haben wir getan?"
Tränen beginnen meine Wangen herunter zu
laufen und ich wische sie genervt weg. Dies ist nicht die richtige Zeit, um
zusammenzubrechen. Aber wann, wenn nicht jetzt?
"Sie weiß, dass wir sie lieben, Djewotschka", flüstert er und hebt seine Hand um meine
Wange zu umfassen. "Sie weiß, dass wir uns lieben."
"Ist das genug? Wie kann das genug
sein? Wo sollen wir leben, Alex? Wie? Wie können wir leben, wenn keine anderen
Menschen irgendwo sind?" Was geschieht mit ihr, wenn wir sterben. Ich kann
diese Frage noch nicht einmal laut aussprechen. Ich bin schon fast hysterisch.
"Wir werden einen Weg finden. Wir
werden andere Menschen finden. Sie sind irgendwo, dessen bin ich mir
sicher."
"Wie? Wie kannst du da sicher
sein?" Ich schreie jetzt. Benehme mich dumm, kindischer, als meine zwei
Jahre alte Tochter.
"Sch, Djewotschka,
schh", summt er in mein Ohr, zieht mich in eine
beruhigende Umarmung. Ich denke ich bin über den Punkt hinweg, mich beruhigen
zu lassen. Ich schlage meine Fäuste auf seine Brust und er lässt mich. Er lässt
mich weinen und ihn schlagen und er steht einfach da, hält mich und sagt mir,
dass alles gut werden wird, aber wie kann es jemals wieder gut werden? Wie?
"Ich versuche es, Alex", schluchze
ich und sinke gegen ihn. "Ich versuche es so sehr, so stark für sie zu
sein, aber ich weiß einfach nicht, was zur Hölle wir tun sollen!"
"Ich weiß. Ich weiß. Ich weiß es auch
nicht. Alles was ich weiß ist, dass wir nicht aufgeben können. Wir müssen es
einfach ... weiter versuchen."
Seine Stimme ist dunkel und als ich mich
zurückziehe um ihn anzuschauen, sehe ich, dass er auch weint. Ich schlinge
meine Arme um ihn, lege meinen Kopf unter sein Kinn und er hält mich weiter.
Fest.
Nach einer langen Zeit sagt er,
"vielleicht sollten wir noch ein Baby bekommen."
"Wir können nicht, Alex. Ich müsste ...
mit Mulder."
"Ich denke, ich könnte es dieses Mal
verwinden, Dana."
Ich lache ein wenig und weine ein wenig
mehr. Er hat recht. Die alten Regeln zählen nicht mehr und Monogamie erscheint
ein Ideal zu sein, dass zu sinnlos ist, um es anzustreben. Unsere eigenen
selbstsüchtigen Bedürfnisse, ob sie nun auf Liebe beruhen oder nicht, müssen
jetzt hinten an stehen. Es sind hier größere Dinge am Werk, als die Liebe
zwischen einem Mann und einer Frau.
Tatsache ist trotzdem, dass ich jeden Tag
älter werde und es für mich bald keine Babies mehr
gibt.
"Vielleicht werden Mulder und Roseanne
ein Baby bekommen", biete ich hoffnungsvoll an. Roseanne hat sich als
ziemlich alterslos erwiesen. Wenn sie fähig ist, sich
zu reproduzieren, sollte ihr diese Fähigkeit eine lange Zeit erhalten bleiben.
"Und vielleicht werden ich und Roseanne
auch eines haben."
Ich mag diesen Gedanken nicht besonders,
aber ich denke, wenn er den Schmerz für den Erhalt der Menschheit aushalten
kann, dann kann ich das auch.
"Alex, wenn alle unsere Kinder
miteinander Kinder haben, werden sie deformiert sein."
"Nun", seufzt er, "wir müssen
irgendwo anfangen."
"Ich liebe dich, Alex."
Er lächelt und er küsst mich und vielleicht
ist das schließlich genug. Vielleicht ist es das.
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Früher wollte ich der König der Welt sein.
Um zu herrschen und zu erobern und zu besitzen. Ich weiß, dass es ein stolzes
Ziel war und dass ich, bevor ich es erreichen würde mich zunächst darauf
konzentrieren musste, am Leben zu bleiben.
Überleben ist eine starke Triebkraft. Es hat
mich durch vieles hindurchgeführt und bald war meine Zeit gekommen. Die
Kolonisierung hat mich zum König meiner eigenen Welt gemacht und eine Weile
lang war das genug. Als sie dann kam, wurden die Dinge kompliziert. Gedanken an
Liebe, an Treue, Ehrlichkeit und Loyalität begannen durchzusickern und mein
Bewusstsein zu erreichen. Unordentliche Gedanken.
Die Welt ist jetzt sehr klein und es gibt
hier keinen König. Aber trotzdem ist der Drang zu überleben immer noch sehr
mächtig in mir. Das Bedürfnis bleibt und genauso bleiben die unordentlichen
Gedanken. Meine Angst ist, dass beide in dieser neuen Welt nicht koexistieren können.
Trotzdem gibt es Hoffnung. Es gibt Eva. Mehr
als Selbsterhaltung, mehr als Ehre, mehr als die persönliche Befriedigung einer
erfüllten romantischen Liebe, mehr als jede andere verdammte Sache ist Eva. Ich
kann ganz ehrlich sagen, dass ich alles opfern würde, um ihr eine Zukunft zu
geben.
Die gesamte Zukunft der Welt hängt davon ab.
Außerdem gibt es unsere gemeinsame Stärke.
Roseanne ist ein lebendes Lexikon voller Wissen und mit der computerartigen
Fähigkeit, Informationen zu speichern, zu priorisieren
und zu verarbeiten. Mulder, mit seiner teilweise außerirdischen Physiologie ist
mit erstaunlicher Körperkraft und Durchhaltevermögen gesegnet. Ich denke dass
es möglich ist, dass er ewig leben kann. Dana hat das Herz, die Güte und die
Liebe, uns alle zusammen zu halten. Ich denke dass ich mich als fähig erwiesen
habe, einigermaßen kompetent zu führen. Und Eva gibt uns den Grund, die
Motivation weiterzumachen und die Kraft, es fertig zu bringen.
Schicksal, oder vielleicht Gott, hat uns
dazu auserwählt. Vielleicht habe ich nicht eigenhändig die außerirdischen
Bedrohung von der Erde verbannt. Vielleicht habe ich nicht den Planeten
gerettet, aber sie sind weg und wir sind hier. Wie auch immer es passiert sein
mag, wir sind jetzt mit der einzigartigen Möglichkeit konfrontiert, eine völlig
neue Zivilisation aufzubauen, mit nichts anderem in unserem Weg, als unseren
eigenen Ängsten und Gefühlen der Isolation. In gewisser Weise ist das fast
befreiend.
Es gibt natürlich die Möglichkeit, dass sie
zurückkommen. Das die, die hier zu Grunde gegangen sind nur der Anfang waren.
Aber ich kann mir nicht erlauben, dies ernsthafter in Betracht zu ziehen, als
ich die Möglichkeit unseres Scheiterns in Betracht ziehen kann.
Ich gehe mit Dana hinunter zum Wasser, um
mich zu Eva, Mulder und Roseanne zu gesellen. Ret rennt
auf Dana zu und sie streichelt ihn und füttert ihm chemisch konserviertes
Hundefutter. Ich nehme Evas Hand und beobachte die Wellen. Nur ein weiterer Tag
am Strand.
"Wass da 'rüben?", fragt sich mich und zeigt auf das Meer.
"Das ist der Ozean."
"Nein, nein, wass
auf der andern Seite?"
Die andere Seite. Wie kann sie wissen, dass
es eine andere Seite gibt? Wenn ich aus dieser Perspektive auf das Wasser sehe,
kann ich verstehen, warum unsere Vorfahren glaubten, dass die Erde flach wäre
und man herunterfallen würde, wenn man zu weit segelt. Sie sieht gewaltig und
kreisförmig aus. Es sieht so aus, als wäre es ein pfannkuchenförmiger Planet.
"Es gibt einen anderen Kontinent auf
der anderen Seite. Land wie dieses."
"Leben Leute da 'rüben?"
Eine sehr gute Frage. Ich sehe nach unten,
in ihre großen und neugierigen Augen und dann wieder zum Wasser und dem
Versprechen, das es birgt.
"Ich denke das tun sie, Eva. Ich denke
wirklich, dass sie das tun."
Mulder läuft auf uns zu und hält Spenders
verwaistes Überlebenspaket. Wir haben die Lebensmittel ausgeleert und alles was
von Jeffrey Spender übrig bleibt ist ein lascher Rucksack.
"Ich denke wir sollten so etwas wie,
äh...", quält sich Mulder, während er den Beutel hält und ihn eigenartig
anstarrt.
"Ein Begräbnis?", biete ich an.
"Ja, ich nehme an, das ist das richtige
Wort."
"Er hat uns gerettet, auf eine
Art."
Mulder nickt und wir laufen zu Dana und
Roseanne an den Rand des Wassers. Wir stellen uns eng zusammen, eine
schmutzige, durchnässte und erschöpfte Gruppe. Mulder hält den Beutel eine
Weile schweigend und beginnt dann seine Trauerrede.
"Es erscheint eigenartig, eine
Trauerfeier für eine Person abzuhalten, wenn so viele gestorben sind, aber
Jeffrey Spender war ... ja, er war ein wahrer Freund. Er hat mir auf so vielen
Wegen geholfen. Er hat es mir möglich gemacht, euch zu finden, euch alle. Und
dann kam er, um uns zu warnen ... er hat uns gerettet. Er hat uns alle
gerettet."
Er sieht auf den Rucksack und sagt,
"Danke, Jeffrey." Dann wirft er den Beutel in das Meer. Wir sehen ihm
zu wie er treibt und hüpft.
Ich schaue hinüber zu Dana. Sie hat wieder
Tränen in den Augen und ihre Hand liegt auf ihrem Kreuz. Erstaunlich, dass sie
es immer noch hat, nach alle dem. Es lässt sich mir wieder die Frage über Gott
stellen und ob wir wirklich die Auserwählten sind. Ich frage mich, ob Dana mehr
Briefe schreiben sollte, ob sie Moses sein sollte und die Geschichte unseres
kleinen Stammes für weitere Generationen aufzeichnen sollte. Oder für die
Kinder, die vielleicht "da 'rüben" wohnen.
Vielleicht ist das mein Job.
Wie geht man überhaupt daran, eine
Gesellschaft aufzubauen? Das klingt für mich wie der Anfang eines Monthy-Pythons Sketches. Ich kann John Cleese fast hören,
wie er die Liste der Dinge herunterbetet, die ich zu tun haben werde.
Ist es jetzt mein Job, meine Aufgabe als
Mensch, Religion, Kultur und Tradition wieder aufzubauen? Welche meiner alten
Ideale sind wichtig genug, um sie zu erhalten? Welchen moralischen Kodex sollte
ich an meine eigene Tochter weitergeben? Wie haben die es am Anfang gemacht?
Habe ich überhaupt einen moralischen Kodex?
Wenn man den Mythen glaubt, hat Gott zu
diesen Menschen gesprochen. Wird Gott zu mir sprechen? Zu Dana? Wird der Geist
von John Cleese zu uns herabsteigen und uns mit der verzauberten Schriftrolle
einen Besuch abstatten? Ich denke wir könnten die Hilfe wirklich gebrauchen.
Ich sehe in den Himmel, in das tiefe Blau
und die Wolken und die Sonne und ich erinnere mich an eine Nacht vor langer
Zeit, als Dana mir von dem Zauber in den Sternen erzählte. Ich dachte es war
eigenartig, ja geradezu verrückt von ihr, Schönheit darin zu sehen, wenn
solcher Schrecken aus dem Himmel gekommen war. Jetzt denke ich, dass ich
endlich verstehe, was sie dort oben gesehen hat.
Ich bitte still um Führung, um Weisheit von
oben, aber es gibt kein blendendes, helles Licht oder gewichtige Wort in meinem
Kopf. Alles was ich weiß ist, was ich in mir fühle, die Liebe, die ich für
diese Menschen empfinde und das Bedürfnis, meine Familie zu beschützen.
Vielleicht hat Gott nie wirklich richtig zu
irgendjemandem gesprochen. Vielleicht war das was sie hörten die Stimmen in
ihren eigenen Köpfen, die ihnen sagten, was getan werden musste, warum sie eine
wunderbare Welt für ihre Kinder erschaffen mussten.
Ich sehe wieder zu Dana und frage mich, ob
sie an Gott denkt. Sie hat immer geglaubt, durch all den Schrecken und Streit.
Glaubt sie jetzt? Fühlt sie, wie ich, dass eine höhere Macht für unser
Überleben und unsere Stärke verantwortlich sein muss?
Vor langer Zeit hat mir mal jemand erzählt,
dass es keinen Gott gibt, dass das, was wir für Gott halten nur außerirdisch
ist. Ich kann das jetzt nicht glauben. Ich werde es nicht glauben.
Dana erwidert meinen Blick und öffnet ihren
Mund zum sprechen. Der Wind bläst ihre Haare in ihr Gesicht, in ihren Mund. Sie
sieht klein und müde aus und wunderschön in dem hellen Sonnenlicht. Ihre Stimme
bricht. Sie schluckt, schließt ihre Augen und beginnt leise zu beten.
"Ehre sei dem Vater und dem Sohne und
dem Heiligen Geiste. Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in
Ewigkeit. Amen" *)
XXXXXXXX
ENDE
*) der Gebetstext im Original:
Glory be to the Father, the Son, and the Holy Spirit. As it was in
the beginning is now and ever shall be, world without end. Amen.